Humor & Satire
Goldgräberstimmung

Der allmorgendliche Gang durch die Kinderzimmer gleicht immer wieder einer Expeditionstour. Wurde sich erst einmal durch den Berg von Schmutzwäsche Zugang verschafft, dann ist viel entdecken: Geschirr, das schon ewig vermisste wurde; Scheren und Kleber, die hier im Umfang einer Großfamilie verbraucht werden und Flaschen, deren Pfanderlös locker für ein Essen beim Lieblingsgriechen reicht.

Der heutige Fund ist unbezahlbar.

Vor einigen Wochen hatte sich die siebenjährige Charlie ein Tagebuch gewünscht und natürlich auch bekommen. Es gibt Gesichtsausdrücke, die lassen keine Wahl. Einige Zeit war dieses Tagebuch der liebste Begleiter. Es wurde nicht darin geschrieben, aber es musste überall mit und wurde mit viel Liebe und Herz bemalt und beklebt. Dann war es verschwunden.

Und heute lag es da, mitten auf dem Tisch. Ob da jetzt etwas darin geschrieben steht? Neugierig wurde das Tagebuch von allen Seiten beäugt, in die Hand genommen und wieder hingelegt. Das Kinderzimmer wurde verlassen, doch der magische Bann dieses Tagebuchs zog immer wieder zurück.

Nur einen einzigen Blick. Eine Seite. Nur kurz. Schuldbewusst wurde die erste Seite aufgeschlagen. Tatsächlich, das Büchlein hatte sich in der Zwischenzeit gefüllt. Mit krakeliger Kinderschrift war jede Seite beschrieben, liebevoll mit Herzen und Schmetterlingen verziert.

„Liebes Tagebuch!“ Jeder Eintrag begann mit diesen Worten. Gollum hatte einen Schatz gefunden, der nach ihm schrie. Wie gern würde jetzt jede Seite studiert werden, aber das schlechte Gewissen erinnerte an den Vorsatz, nur einen Blick in das Kleinod zu werfen.

Nach dem Zufallsprinzip wurden alle Seiten durchblättert und plötzlich angehalten. Diese Seite durfte es nun sein, dieser Blick war erlaubt.

Liebes Tagebuch!

Ich habe Angst vor Falten.

Deine Charlie

Die ausgelösten Gefühle wechselten zwischen dem Wunsch, laut loszulachen oder seufzend ein „Ist das süß.“ in die Welt zu entsenden. Hervor kam natürlich der Drang, noch einen Blick zu erhaschen. Einen noch! Komm schon!

Behutsam und im Zeitlupentempo wurde das Tagebuch zurückgelegt.

Ein echter Schatz, der in diesem Zimmer liegt.

Der wahre Schatz wohnt darin!