Die Tage vergingen und die Geschwister hatten sich an ihrer neuen Schule eingelebt. Den mysteriösen Night hatte Haru nicht noch einmal getroffen, was sie ein wenig traurig machte. Zwar war er ihr immer noch etwas unheimlich, aber irgendwie faszinierte er sie auch. Nun stand sie mit ihrem Bruder vor der Schule und wartete auf Mamoru und Ryo, um mit ihnen den Tag zu verbringen. Ihr Vormund hatte spontan entschlossen, dass sie den Tag in der Stadt verbringen sollten und war mit seinem Neffen den Wagen holen gegangen. Schließlich hielt das Auto des Schularztes vor ihnen und die Beiden stiegen ein.
„Hat es eigentlich noch einen Grund, warum wir in die Stadt fahren?“, wollte die Blonde wissen und schnallte sich an.
„Wenn du mich so so fragst, ja“, antwortete Mamoru und schaute durch den Rückspiegel kurz zu ihr. „Ich hab mir überlegt, dass wir ein bisschen shoppen gehen könnten. Ihr zwei könnte nämlich ein paar neue Klamotten gebrauchen und danach gehen wir was essen.“
Die Schülerin runzelte die Stirn und blickte an sich runter. Sie trug ein dunkles Langarmshirt mit einem Tieraufdruck drauf, eine schlichte, schon etwas ausgewaschene Jeans und einfache Turnschuhe. Eigentlich war sie ganz zufrieden mit ihren Sachen.
„So war das jetzt nicht gemeint Haru. Mir ist nur aufgefallen, dass ihr nicht wirklich viele Sachen habt und ein paar auch nicht mehr wirklich richtig passen. Deswegen will ich eure Garderobe etwas erweitern“, meinte der Erwachsene.
Harus Blick glitt zu ihrem Bruder. Seine Hose war ihm etwas zu kurz und auch sein Shirt lag viel zu eng an.
„Ich fände es schön, wenn wir ein paar neue Sachen hätten“, sagte Manabu leise. „Du weißt doch, dass Tante Midori nie wirklich viel Geld hatte. Weswegen wir immer nur Secondhandsachen gekauft haben. Wir hatten nie wirklich neue Sachen.“
Der Jüngere hatte wirklich recht. Sie besaßen fast nur abgetragene und schon etwas zu kleine Kleidung. Das Geld hatte eben immer nur für das nötigste gereicht, weswegen sie auch nie irgendwelche Geschenke bekommen hatte.
„Dann wäre das ja geklärt“, sagte der Schularzt lächelnd. „Wir werden bestimmt einen tollen Tag haben.“
„Na wenn du meinst“, murrte nun Ryo vom Beifahrersitz aus und man sah ihm an, dass ihm die Idee mit dem shoppen ganz und gar nicht gefiel.
„Jetzt stell dich mal nicht so an Ryo. Du hast versprochen mit den Beiden einen Tag zu verbringen und wenn das eben das Shoppen mit einschließt, dann musst du da eben durch.“
Ryo knurrte und rollte etwas mit den Augen, während Mamoru leicht grinste. Auch Haru lächelte schwach und blickte aus dem Fenster. Es würde vielleicht wirklich ein schöner Tag werden. Wenig später hatten sie die Stadt erreicht und Mamoru fuhr ins Parkhaus. Kaum waren die Geschwister ausgestiegen, schnappte sich ihr Vormund je eine Hand seiner Schützlinge und zog sie hinter sich her. Während das Mädchen darum bemüht war nicht zu stolpern, folgte ihr Bruder dem Älteren mit Leichtigkeit. Ihr erstes Ziel war ein Bekleidungsgeschäft für junge Männer. Mit großen Augen sah sich Manabu um. So viele neue Klamotten auf einen Haufen hatte er noch nie gesehen und er brauchte wirklich dringend ein paar neue. Er war in letzter Zeit um einiges größer geworden und daher waren die meisten seiner Sachen ihm schon zu klein. Mamoru suchte rasch ein paar passende Sachen raus und auch Ryo bekam ein paar Teile zur Anprobe in die Hand gedrückt. Dieser brummte zwar etwas, verschwand dann aber mit dem jüngeren Schüler Richtung Umkleidekabine. Haru setzte sich in einen Sessel, der im Laden stand, und der Schularzt setzte sich zu ihr.
„So, während die Jungs die Sachen anprobieren können wir uns ganz in Ruhe unterhalten. Du wolltest mehr über deinen Vater wissen und Ryo etwas besser kennen lernen nicht wahr?“, meinte der Braunhaarige und das Mädchen nickte. „Ich denke, ich werde dir erst ein bisschen was über meinen lieben Neffen erzählen. Er ist ja beschäftigt und kann uns nicht stören. Ich denke, er hat dir erzählt, dass er schon als Baby bei mir gelebt hat oder?“
Wieder nickte Haru und schaute ihren Vormund an.
„Naja, er kam nicht wirklich zu mir, sonder zu meinen Eltern. Ich selbst war damals gerade mal zehn Jahre alt. Meine Schwester ist mit 17 schwanger geworden und fühlte sich für ein Baby einfach noch nicht bereit, aber abtreiben wollte sie nicht. Sie hat dann den kleinen Ryo bei unseren Eltern abgeladen und ist dann mit Ryos Vater einfach abgehauen. Obwohl seine Mutter ihn nicht wollte, hatte Ryo eigentlich eine sehr glückliche Kindheit und ich habe einen kleinen Bruder bekommen. Ich musste aber schon recht früh für ihn Verantwortung übernehmen. Ich hatte gerade mein Studium abgeschlossen und den Job an der Rose Academy bekommen, da starben meine Eltern bei einem Unfall. Das war vor ungefähr fünf Jahren. Seitdem kümmere ich mich alleine um diesen Sturkopf.“
Aufmerksam hatte sie seinen Worten gelauscht und wartete darauf, dass er ihr nun von ihrem Vater erzählte, doch es kam nichts, denn die Jungen waren inzwischen mit ihrer Anprobe fertig.
„Und wie sieht es aus? Passen und gefallen dir die Sachen Manabu?“, wollte der Erwachsene wissen und erhob sich langsam.
„Ja, sie passe wie angegossen und sind wirklich toll. Und ich darf die wirklich alle haben?“, fragte der Jüngere nach und Mamoru wuschelte ihm lächelnd durchs Haar.
„Aber klar doch. Wie sieht es bei dir aus Ryo? Passt alles?“
„Ja, tut es, aber ich verstehe nicht, warum ich jetzt auch Klamotten anprobieren musste“, erwiderte der Schüler.
„Du bist schließlich auch schon wieder etwas gewachsen. Ich werde jetzt bezahlen gehen und dann wird Haru eingekleidet.“
Der Schularzt schnappte sich die Sachen der Jungen und ging voll beladen zur Kasse. Leise seufzend ließ sich Haru etwas tiefer in den Sessel sinken. Sie hatte so gehofft, dass er wenigstens noch ein bisschen was zu ihrem Vater gesagt hätte. Sie versuchte sich selbst etwas an ihn zu erinnern, doch das war gar nicht so leicht. Sie wusste zwar, wie er aussah, da sie ja ein Foto von ihm hatte, aber ansonsten wusste sie gar nichts. Außer vielleicht, dass er ihr manchmal ein Märchen vorgelesen hatte.
„Können wir weiter?“, riss Mamoru sie aus ihren Gedanken, sie nickte und stand langsam auf.
So machten sich die Vier auf den Weg zum nächsten Geschäft, welches sich als Boutique herausstellte. Haru brauchte nur einen kurzen Blick ins Schaufenster zu werfen um zu wissen, dass sie selbst hier niemals einkaufen würde. Die Schaufensterpuppen trugen alle sehr mädchenhafte Kleidungsstücke, welche die Blonde persönlich lieber nicht trug. Sie war eher der Typ Mädchen, der lieber ein schlichtes Oberteil und eine einfache Hose trug. Doch bevor sie noch protestieren konnte, hatte Mamoru sie auch schon in den Laden geschoben und ihr die ersten Teile in die Hand gedrückt. Leise murrte das Mädchen und seufzte dann. Wenn sie es schnell hinter sich bringen wollte, dann sollte sie jetzt anfangen, außerdem musste es ja nicht heißen, dass sie die Teile will, nur weil sie sie anprobierte. Wohlmöglich machte es ihrem Vormund einfach Freude sie in solchen Sachen zu sehen. Sie ging in die Umkleidekabine und begann damit verschiedene Outfits anzuprobieren. Während sie das tat, begann der Schularzt von ihrem Vater zu erzählen.
„Ich hab deinen Vater vor ungefähr 17 Jahren kennen gelernt. Ich war zu der Zeit ja selbst noch ein Kind. Hiroshi war damals gerade zum ersten Mal Vater geworden und kam ziemlich übermüdet in die Bücherei der Stadt, um ein bisschen Ruhe zu finden. Ich hatte da ja noch Glück, denn klein Ryo war noch nicht da, trotzdem war auch ich auf der Suche nach Ruhe in die Bücherei gekommen. Bei mir Zuhause gab es zu der Zeit viel Streit. Jedenfalls sah dein Vater mich an einem Tisch sitzen, wie ich total in ein Buch versunken war. Es hieß 'Das Königreich Pataya und seine Prinzessin'. Ich glaube zumindest, dass es so hieß. Wie auch immer. Hiroshi kam zu mir und sprach mich wegen dem Buch an. So kamen wir ins Gespräch. Er glaubte, dass es Pataya wirklich gab, denn es gibt auch eine Legend über dieses Reich. Wir fingen dann an uns regelmäßig zu treffen und über alles mögliche zu sprechen. Er war für mich so etwas wie ein großer Bruder. Ich lernte dann auch schließlich dich und später auch deinen Bruder kennen, aber daran kannst du dich wahrscheinlich gar nicht mehr erinnern.“
Eine Pause trat ein, denn offensichtlich holte Mamoru noch mehr Sachen für sie. Wollte er vielleicht den Laden leer kaufen? Haru dachte etwas nach. Den Namen Pataya hatte sie schon einmal gehört. Sie glaubte, dass ihr Vater jenes Märchen vorgelesen hatte, von dem der Andere vorhin gesprochen hatte. Plötzlich wurde der Vorhang zur Seite gerissen und ihr neue Kleidungsstücke gereicht. Sie wollte schon schreien, doch so schnell wie er aufgemacht wurde, wurde er auch wieder geschlossen. Leise knurrte Haru und zog sich weiter um.
„Naja und vor zwölf Jahren ist Hiroshi aufgebrochen um Pataya zu finden. Er hat euch damals zu eurer Tante gebracht, da damals gerade eure Mutter gestorben war und ihr noch zu klein wart um ihn zu begleiten“, fuhr der Schularzt fort.
„Ja, ich erinnere mich. Er hat zu mir gesagt, dass ich gut auf Manabu aufpassen soll und dass er sich bald bei uns melden würde, aber ich habe seit zwölf Jahren nichts mehr von ihm gehört“, sagte die Schülerin leise.
„Weißt du, ich glaube, wenn er es könnte, dann würde er sich bei euch melden.“
Die Blonde seufzte und machte weiter, doch irgendwann hatte sie wirklich genug. Sie hatte jetzt schon mindestens 100 verschiedene Outfits anprobiert.
„Ich hab jetzt wirklich genug!“, sagte sie laut, kam aus der Kabine und erntete von einigen Kundeninnen und Verkäuferinnen kritische Blicke. „Ich bin doch keine Barbiepuppe der man anziehen kann was man will.“
Mamoru saß auf einem Stuhl, blickte seinen Schützling ruhig an und faltete etwas die Hände.
„Es tut mir Leid, wenn ich etwas übertrieben habe, aber normalerweise mögen es Mädchen doch, wenn sie so viele Sachen anprobieren können“, entgegnete er. „Außerdem stehen dir die Sachen doch ausgezeichnet, aber du hast recht. Das ist genug für heute. Entschuldigen Sie. Wir nehme das was sie an hat und auch anbehalten wird. Dann noch das, das, das, das, das und diese Sachen auch noch.“
Der Schularzt war aufgestanden und hatte eine Verkäuferin zu sich gerufen, der er nun nach und nach die Sachen reichte, die er aussuchte. Anschließend folgte er ihr zur Kasse, um zu zahlen. Wütend sah die Schülerin ihm nach. Warum hatte er jetzt die Sachen ausgesucht? Sie hätte das tun sollen, denn sie musste sie ja auch schließlich tragen.
„So ist Mamoru eben“, sagte Ryo, der lässig an einer Wand lehnte. „Auf den ersten Blick wirkt er wie ein verantwortungsvoller Erwachsener, aber in Wirklichkeit ist er das nicht. Er liebt es einfach andere Menschen einzukleiden. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede. Wenn ich ihn nicht immer mit Gewalt davon abhalten würde mir ständig neue Sachen zu kaufen, bräuchte ich inzwischen ein ganzes Zimmer nur für Klamotten. Manchmal frage ich mich, wie er so sein Studium beenden konnte.“
Aufmerksam hatte Haru ihm zugehört, als plötzlich eine Verkäuferin auf sie zu kam und anfing sich an ihren Haaren zu schaffen zu machen.
„Hey, lassen Sie mich gefälligst in Ruhe“, fauchte sie und versuchte die Frau weg zustoßen.
„Ganz ruhig Kleine“, sagte ihr Vormund mit ihren Tüten in der Hand. „Sie macht dir doch nur etwas die Haare.“
Murrend ließ sie es über sich ergehen und schon wenige Augenblicke später hatte die Verkäuferin ihr einen hohen Pferdeschwanz verpasst, der von einem hellblauen Haarband gehalten wurde.
„Also ich finde, du siehst sehr süß so aus“, meinte Mamoru lächelnd und ihre Finger vergruben sich in das Top, dass sie trug.
In ihr regte sich der Wunsch ihm eine runter zu hauen. Kurz warf sie einen Blick in den Spiegel und konnte ihren Augen erst gar nicht trauen. War das wirklich sie? Sie trug ein pastelgelbes Top mit abgestuften Rüschen und eine dreiviertel Jeans. Sie musste zu geben, dass sie wirklich gar nicht schlecht aussah, allerdings war sie sehr froh darüber, dass sie ihre Turnschuhe wieder anziehen durfte. Sie bemerkte nun, dass auch Manabu sich inzwischen seine neuen Sachen angezogen hatte.
„So ihr, ich bring schnell mal die ganzen Tüten ins Auto. Ihr könnt ja schon mal in das kleine Café am Ende der Straße gehen und dort auf mich warten. Ich liebe dieses schnuckelige Café einfach“, sagte der Schularzt und seine jungen Begleiter nickten.
Bevor er aber ging, zog er aus einer der Taschen einen großen Teddybär hervor und drückte ihn Haru in die Arme. Sie kannte dieses Plüschtier, denn es hatte bis eben noch im Schaufenster gesessen. Die Schülerin wurde leicht rot und schaute den Anderen an. Was sollte das denn jetzt schon wieder? Sah sie für ihn vielleicht aus wie ein kleines Mädchen? Mit einem leichten Grinsen auf den Lippen verließ Mamoru schließlich den Laden und ging zum Auto. Grummelnd vergrub ihr Gesicht in dem Bären. Eigentlich freute sie sich ja über das Kuscheltier, da sie so etwas nie besessen hatte, aber musste er ihr es in die Hand drücken und dann einfach abhauen? Mit dem Teddy auf dem Arm ging sie schließlich mit den Jungen zu dem Café. Auf den Weg dorthin hatte das Mädchen das Gefühl, dass sie verfolgt würden. Leicht schüttelte sie den Kopf. Das war doch wirklich lächerlich. Sie waren in der Stadt und außer ihnen waren schließlich auch noch andere Menschen unterwegs. Da war es ja nur verständlich, wenn hinter ihnen jemand in die gleiche Richtung ging. Im Café setzten sie sich an das große Fenster, von dem man einen wunderbaren Blick auf die Straße hatte. Den Teddy setzte sie behutsam neben sich. Während sie warteten, studierte Haru bereits aufmerksam die Karte. Es gab hier wirklich eine große Auswahl von Kuchen, Torten und Törtchen. Da war es schwer sich zu entscheiden. Plötzlich vernahm sie ein knackendes Geräusch und schaute sich verwirrt um. Hatte sie sich das vielleicht nur eingebildet? Vielleicht war aber auch von draußen ein kleiner Stein ans Fenster geknallt und hatte das Geräusch verursacht. Die Schülerin wollte nicht weiter darüber nachdenken und widmete sich wieder der Karte, doch da war dieses Geräusch und es wurde langsam immer lauter. Genervt schaute sie zum Fenster, um zu sehen, ob irgendein Idiot Steine an die Scheibe warf. Dabei entdeckte sie einige Risse in der Scheibe und schon im nächsten Moment zersprang sie einfach. Gerade noch rechtzeitig hatte Ryo sie gepackt und unter den Tisch gezogen.
„Wir müssen hier weg“, flüsterte er.
Er hatte gerade fertig gesprochen, als der Tisch weg geschleudert und Haru am Hals hochgerissen wurde.
„Wo ist er? Wo ist der Magier?“, hörte sie eine finstere Stimme und versuchte sich mit aller Kraft zu befreien.
Doch je mehr sie sich wehrte, um so fester schloss sich die Hand um ihren Hals und drückte ihr die Luft ab. Nur leicht verschwommen konnte sie erkennen, wer sie da festhielt. Er war ein großer Kerl mit Muskeln bepackt wie ein Bodybuilder und riesigen Händen. Sie verstand gar nicht, was er von ihr wollte. Von was für einem Magier sprach er da? Auf einmal spürte sie einen leichten Schmerz im Oberarm und sie merkte, wie eine warme Flüssigkeit ihren Arm runter lief. Vorsichtig schaute sie hin und sah, dass sie eine große Scherbe im Arm stecken hatte.
„Sag mir endlich wo er ist“, knurrte der seltsame Kerl und sie konnte seinen eklig warmen Atmen an ihrem Ohr spüren.
„Ich weiß nicht, wer das sein soll“, keuchte sie schwach.
„Lüge! Ich hab dich mit ihm gesehen!“
„Hey du! Lass sie gefälligst in ruhe!“, schrie plötzlich Ryo und sah den Kerl wütend an.
Haru schloss langsam die Augen, denn es viel ihr schwer sie weiter offen zu halten. Sie hoffte sehr, dass der Andere ihren Bruder in Sicherheit gebracht hatte. Langsam verließen sie ihre Kräfte und sie hing schon fast leblos einfach nur in dem Griff des großen Mannes. Das Atmen viel ihr immer schwer, denn er packte immer fester zu.
„Bist du taub? Du sollst sie in ruhe lassen!“, brüllte der Dunkelhaarige und stürmte auf sie zu.
War er verrückt geworden? Nie im Leben hätte er eine Chance gegen dieses Monster, doch tatsächlich ließ er Haru los. Sie fiel unsanft auf den Boden, hustete und schnappte gierig nach Luft. Vorsichtig zog sie die Scherbe aus ihrem Arm und stand auf, um ihren Klassenkameraden aufzuhalten. Gerade wollte sie ihm was zu rufen, als der Riese von einer Art Blitz getroffen wurde.
„Ich habe gehört, dass du nach mir suchst“, hörte sie eine neue Stimme und blickte in die Richtung aus der sie gekommen war.
Auf der Straße stand ein Mann ganz in weiß gekleidet. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, da er eine schlichte weiße Maske trug.
„Da bist du ja endlich“, knurrte der riesige Kerl und rannte auf ihn zu.
Ryo hatte Haru inzwischen erreicht und nahm vorsichtig ihre Hand. Auch er schien vorhin ein bisschen was abbekommen zu haben, denn er blutete leicht am Kopf.
„Wie geht es dir?“, fragte er sie leise.
„Abgesehen von einer Schnittwunde und das ich fast erstickt worden wäre, ganz gut“, murmelte sie als Antwort und fasste sich an den Hals, als würde man noch immer die Kehle abschnüren. „Weißt du, was hier eigentlich los ist? Und wo ist mein Bruder?“
„Ich hab nicht die leiseste Ahnung. Um Manabu musst du dir keine Sorgen machen. Er ist zwar bewusstlos, aber ich habe ihn hinter dem Tresen dort in Sicherheit gebracht und dort sollten wir auch schleunigst hingehen.“
Erleichtert atmete die Schülerin auf und nickte schwach. Ihrem Bruder ging es gut und das war für sie das wichtigste. Ryo ging schon vor, doch das Mädchen drehte sich noch einmal um und sah die beiden Männer miteinander kämpfen. Der maskierte Mann murmelte Worte, die sie nicht verstand und um den Riesen erschien plötzlich ein Kreis mit seltsamen Symbolen und verletzte den Kerl offenbar. Was waren das nur für Leute? Eins war sicher, dass waren keine normalen Menschen. Sie wollte sich gerade abwenden, um Ryo zu folgen, als jemand vor ihr auftauchte und sich schützend vor sie stellte. Der Kerl hatte wütend ein riesiges Stück Asphalt aus der Straße gerissen und in ihre Richtung geworfen. Der Fremde ließ ein Schwert erscheinen und gleitete mit diesem wie durch Butter durch den Brocken. Die Stücke krachten links und rechts von dem Mädchen auf den Boden.
„Habt Ihr Euch was getan?“, drang eine vertraute Stimme an ihr Ohr.
„Night“, hauchte sie und ein schwaches Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Mir ist nichts passiert.“
Ihr Retter drehte sich zu ihr um und strich ihr zärtlich über die Wange.
„Aber Ihr blutet“, sagte er und deutete auf die Wunde an ihrem Arm.
„Ach was, dass hat schon fast wieder aufgehört“, erwiderte sie rasch, doch schon spürte sie seine Lippen an ihrer Verletzung und sie zuckte etwas zusammen. „Du musst das wirklich nicht tun. Das heilt auch so.“
Doch schon hatte sich die Wunde geschlossen und Haru keuchte erschrocken auf, als sie seine Lippen auch noch an den geröteten Stellen an ihrem Hals spürte.
„Hat er Euch das angetan?“, knurrte er, ließ von ihr ab und wartete gar nicht erst auf eine Antwort. „Meister Kisugi, tretet beiseite. Ich werde mich jetzt um ihn kümmern.“
Der Angesprochene nickte und trat zur Seite.
„So habe ich dich vorher noch nie gesehen Night. Sei vorsichtig“, sagte der Magier, doch der Schwarzhaarige antwortete ihm nicht.
Er war ganz und gar auf den Riesen vor sich konzentriert und seine Augen funkelten gefährlich. Mit langsamen Schritten ging er auf den Kerl zu, den Griff seines Schwertes fest umschlossen. Er schien überhaupt keine Angst zu haben. Der Riese rannte auf ihn zu und das Mädchen traute sich gar nicht richtig hinzusehen. Night ließ sein Schwert auf seinen Gegner niedersausen und als dieser hinter ihm war, sank er leblos zusammen. War er jetzt etwa tot? Haru schloss feste die Augen, dann das wollte sie nicht sehen. Der Magier machte eine Handbewegung und der tote Riese verschwand.
„Wir sollten jetzt gehen. Wir haben schon viel zu viel Aufmerksamkeit auf uns gezogen“, sprach der in weiß gekleidete Mann.
„Nur noch einen kurzen Moment“, sagte Night, ging zurück zu Haru und strich ihr durchs Haar, wobei er ihr Haarband löste. „So gefallt Ihr mir viel besser. Ihr seid jetzt in Sicherheit junges Fräulein.“
Ihre langsam blonden Haare vielen ihr über die Schulter und langsam öffnete sie ihre Augen, um ihren Beschützer anzusehen. Er schenkte ihr ein warmes Lächeln und irgendwie fühlte es sich sehr gut an, wenn er sie berührte.
„Bekomme ich eine Erklärung für das alles hier?“, fragte sie ihn leise.
„Es tut mir Leid, aber Ihr wisst eigentlich schon zu viel, aber so viel kann ich Euch noch verraten. Ich bin ein Ritter eine uralten vergangenen Königreich und ich werde Euch mit meinem Leben beschützen, wenn es sein muss“, flüsterte er und der Schülerin lief ein leichter Schauer über den Rücken. „Ich muss jetzt leider gehen, aber wenn Ihr mich braucht, werde ich da sein. Und das hier werde ich behalten, damit ich immer etwas von Euch bei mir habe. Passt auf Euch auf.“
Sachte küsste er ihr Haarband und war dann auch schon mit dem Magier verschwunden. Das blonde Mädchen stand einfach nur da, als würde jeden Moment ihr Ritter zurückkommen, doch dann vielen ihr wieder Manabu und Ryo wieder ein. Sofort drehte sie sich um und rannte über den Schutt des Café's in die Richtung, in die der Schüler gegangen war. Hinter dem Tresen sah sie ihn an der Wand lehnend. Er schien etwas benommen zu sein, aber sonst ging es ihm wohl gut. Wenige Meter neben ihm saß ihr bewusstloser Bruder und atmete ruhig. Voller Erleichterung warf sie sich Ryo einfach an den Hals. Sie war so froh, dass es den Beiden gut ging.
„Was soll das denn werden?“, wollte der Dunkelhaarige wissen.
„Ich bin einfach nur froh, dass euch nichts weiter passiert ist“, antwortete das Mädchen und löste sich wieder von ihm. „Was hattest du dir eigentlich dabei gedacht dieses Monster anzugreifen. Du hättest doch gar keine Chance gehen ihn gehabt.“
„Hey, ich bin schließlich Kapitän der Karateteams. Den hätte ich mit links platt gemacht.“
„Davon träumst du wohl Nachts. Der Kerl hat das halbe Café zerlegt.“
Doch bevor sie sich weiter streiten konnten, tauchte ein völlig außer Atem geratener Mamoru auf.
„Gott sei Dank, da seid ihr ja“, sagte der Schularzt und klang sichtlich erleichtert. „Draußen fahren gerade Krankenwangen und Polizei vor, aber ich werde euch jetzt lieber nach Hause bringen. Die kleine Wunde an Ryos Kopf kann ich auch bei uns im Krankzimmer versorgen. Ihr seid sicher total erledigt.“
Er half den beiden Teenagern hoch und nahm vorsichtig den Jungen auf den Arm. Bevor sie gemeinsam zum Auto ging, rannte Haru noch einmal zu ihrem Platz zurück und befreite ihren Teddy aus den Trümmern. Sie wollte das erste Kuscheltier, dass ihr geschenkt wurde nicht so einfach zurücklassen. Er war zwar ziemlich schmutzig geworden und sah etwas mitgenommen aus, aber sonst ging es ihm gut. Schnell folgte sie den Männern und war froh, als sie endlich im Wagen saß. Diesen Tag würde sie ganz sicher nicht so schnell wieder vergessen. Heute Nacht würde sie wahrscheinlich auch nicht schlafen können. Nachdenklich schaute die Schülerin aus dem Fenster und dachte über das vergangene Königreich, von dem Night gesprochen hatte, nach und auch über Pataya. Ob es sich wohlmöglich um das gleiche Königreich handelte? Auf jeden Fall wollte sie mehr über das Reich wissen, dass ihren Vater so faszinierte und weswegen er sie verlassen hatte. Vielleicht würde sie etwas darüber in der großen Schulbibliothek finden, aber sie würde erst dort hingehen, wenn sie sich von diesem Tag erholt hatte.
evelynpahlke genau mein fall - Total toll geschrieben super Würde mich über ein kommentar von dir freuen |