Fjodor Mandzukicz und Johanna Niedermeyer finden zusammen und fällen eine wichtige Entscheidung für ihr Leben. Titelbild: www.pixelio.de/©Gerd Altmann/PIXELIO
Fjodor lief mit ein paar Büchern, welche er in einer Tasche transportierte, zur Wohnung von Johanna Niedermeyer. Zum Glück passten keine Polizisten auf. Oder besser gesagt wurde man von denen auch nicht aufgehalten, wenn man entsprechende Ehrungen mit sich trug. Ja, seinen Orden trug er heute einmal zur Schau. Und den Effekt, dass niemand ihn ansprach und alle förmlich eine Gasse für ihn bildeten war ihm nur hilfreich.
Solange niemand etwas von ihm wissen wollte war es wunderbar. Denn die Bücher, welche er mit sich führte, waren nicht für die Augen Fremder bestimmt und schon gar nicht für die von diensteifrigen Polizisten. Denn es waren die verbotenen, die es eigentlich so nicht geben sollte.
Erst als er in die Wohnung eingetreten war entspannte er sich richtig, zog seinen Mantel aus und die beiden begrüßten sich mit einem Kuss. In diesem kam aber nicht nur die gegenseitige Liebe zueinander zum Ausdruck, sondern auch die Freude darüber, dass man ein gemeinsames Geheimnis hütete.
Johanna hatte ihre Bibelübersetzungen bereits auf dem Tisch ausgebreitet. Fjodor staunte nicht schlecht darüber.
„Das ist aber ein ganz ordentlicher Wust. Ich hoffe, den wirst du mir nicht vorlesen“, begann er lachend.
„Na warte, wenn du weiterhin so davon sprichst mach ich das vielleicht doch noch“, antwortete sie scherzhaft.
„Und, jetzt mal ehrlich, wie lange machst du das schon?“
Johanna musste kurz überlegen.
„Naja, 3 Jahre vielleicht, aber ich zähle nicht mehr. Ich weiß nicht genau wie ich anfing. Ich weiß jetzt aber viel besser mit der Sprache umzugehen und ich übersetzte deutlich schneller, aber nicht immer gelingt es mir gewisse Worte korrekt zu übertragen, oder jedenfalls so, dass es richtig Sinn ergibt. Die hab ich mir rot markiert. Und das sind mal mehr und manchmal sogar keine. Ich lese auch ältere Passagen und kann sie dann manchmal jetzt übersetzen, weil ich weiß, was das Wort bedeutet. Zudem lese ich manchmal Sachen über diese Stellen, also die von heute und bin erschrocken, wie man alles so missverstehen kann.“
Fjodor nahm eine Stelle, die sie ihm reichte und die Interpretation der offiziellen Stelle. Und tatsächlich. Man erkannte in der angegebenen Stelle nichts Schlimmes, doch die Interpretation schuf die Düsternis und Dunkelheit in persona.
„Im aufgeklärten Utilitarismus ist alles Gift, was Religion ist, abgesehen von ihm selbst, das weißt du doch. Also verwundert diese Interpretation nicht“, rief ihr Fjodor ins Gedächtnis.
„Du hast ja recht, aber verdammt, so kann man doch das auch nicht tun. Ich meine, man sollte den Leuten doch einfach die Interpretation überlassen, oder nicht? Dann kann sich doch jeder ein Bild davon machen. Und ich wette, dass es auf gar keinen Fall das offiziell verkündete Bild sein wird, soviel möchte ich wagen zu prognostizieren.“
Er zog Johanna zu sich heran.
„Du wirst ja richtig wütend, mein Schatz! Komm, entspann dich.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, Fjodor, da kann ich doch nicht ruhig bleiben, wenn ich das lese.“
„Das solltest du auch nicht, aber bedenke doch die Folgen, wenn du es laut hinausposaunst. Deine Arbeit ist fabelhaft und Fachkreise werden sie zu schätzen wissen. Es reicht schon, wenn deine Schriften dazu führen, dass man gewisse harte Positionen überdenkt. Und dann wird es mit der Zeit abgeschwächt und vielleicht sehen wir dann irgendwann wieder klarer. Du kannst das jetzt gewaltsam erzwingen wollen, aber das hilft nicht. Du solltest es ganz in Ruhe tun. Und die nachfolgenden Generationen.“     Â
Sie küsste ihn.
„Danke, danke, dass du so viel Verständnis für eine Irre hast, wie ich es bin.“
„Du bist doch nicht irre, nur weil du die Wahrheit hinter den offiziellen Phrasen suchst. Ich meine, wir wissen in unserem Inneren doch alle, dass es nicht so ist, wie es scheint. Und nach der Wahrheit zu suchen mag ein Verbrechen sein, aber nur, weil wir es denken. Aber in Wirklichkeit ist die Erkenntnis der Wahrheit doch eigentlich erst Erkenntnis im wahrsten Sinne. Denn zu erkennen, was man erkennen soll, das ist keine Kunst, finde zumindest ich.“
Johanna war gerührt von diesen Worten. Eine Träne rann ihre Wange hinab.
„So schön hat noch niemand zu mir gesprochen“, brachte sie mit tränenerfüllter Stimme hervor. Beide küssten sich lange.
„Dann wollen wir uns mal ansehen, was du so mitgebracht hast“, sprach sie dann wieder etwas gefasster und nahm eines von Madzukiczs Büchern.
„Die christliche Philosophie“, las sie laut und sofort funkelte es in ihren Augen. „So etwas wird denen doch gerade abgesprochen, eine tiefgehende Philosophie! Weißt du, wie wichtig so etwas sei kann?“, fragte sie vollkommen elektrisiert, schlug eine unbestimmte Stelle auf und las einige Zeilen.
„Das ist Wahnsinn! Sowas ist ein Schatz, der nie verloren gehen darf.“
Sie spürte Energien in sich, die sie noch nie gefühlt hatte. Und es gefiel ihr ausgesprochen gut so zu fühlen. Es musste daran liege, weil es nicht ihr Buch war, sondernd das eines Gleichgesinnten. Sie blickte in das Gesicht ihres Gegenüber und war verzaubert.
„Ich liebe dich!“, stieß sie aus und schon lagen sich die beiden in den Armen, küssten sich, tänzelten so vereint bis in ihr Schlafzimmer, immer die Körper eng aneinander gedrückt. Die Kleider konnten sie sich nur schwer von den Leibern streifen, weil sie beide so erregt waren, sodass sich Fjodor in seinen Ärmeln verlor und Johanna ihren BH kaum öffnen konnte.
Als diese Hürde schließlich genommen wurde lag sie auch schon unter ihm und fuhr über die muskulösen Arme ihres Liebsten.
„Willst du dir nichts überstreifen?“, fragte sie zitternd.
„Du hast doch die Pille, oder?“, fragte er und Johanna nickte nur. Ja, sie nahm die Pille, wie es ärztlich verschrieben alle Frauen taten, denn so konnte man sich noch sicherer vor ungewollten Schwangerschaften schützen, wenn doch einmal die tierischen Triebe überhandnahmen.
Kaum hatte sie dies bestätigt drang er in sie ein und für beide war es wie ein Sturm, der über sie hereinbrach. Alles war so intensiv wie nie und es fühlte sich wunderbar so an. Denn hier geschah mehr als nur das Einswerden von Körpern. Hier trafen sich zwei verwandte Seelen und das machte alles noch viel schöner.
Als beide einen intensiven Höhepunkt erlebte hatten begab sich die zitternde Johanna ins Bad um sich frisch zu machen. Und hier fasste sie den Entschluss endlich einmal mutig zu sein. Deshalb trat sie verführerisch in den Türrahmen und flüsterte: „Ich hab übrigens keine Pille genommen.“
Fjodor machte große Augen weil er wusste, was das bedeutete. Doch sie lachte bereits, als sie das bemerkte.
„Entschuldige, Fjodor. Ich hab dich nur veralbert!“
Er atmete beruhigt auf und empfing sie in seinen Armen, wo er Johanna auch gleich wieder eng an sich drückte.
„Das war wunderschön“, bestätigte er ruhig und strich durch ihre langen weichen Haare.
„Das fand ich auch. Es ist so schön jemanden zu haben, der genauso interessiert ist wie man selbst.“
Eine Weile lang küssten sich die beiden, tauschten kleine Liebkosungen und erfreuten sich an der Wärme des Anderen, doch dann begann Johanna zu weinen.
„Was ist?“, fragte Mandzukicz unruhig, weil er nicht verstand, was der Anlass für diesen Gefühlsaufbruch war.
„Ach, du weißt schon“, begann sie kryptisch, worauf er nicht antwortete, weil er nicht wusste, was er darauf erwidern sollte.
„Nun, da liegen wir hier, haben unser Vergnügen, das ist ja nicht schlimm, aber mal ehrlich. Was führte uns denn auch zusammen? Unsere verdammte Leidenschaft für diesen verbotenen Kram. Fjodor, ich weiß nicht wie es dir geht, aber wenn wir beide mehr wollen, dann müssen wir das einstellen. Ich meine über unserer Beziehung steht immer dieses Verbotene und es kann zu jeder Zeit wie ein Fallbeil auf uns herniedergehen und vernichten. Und das will ich nicht!“, sprach sie aus und weinte wieder an seiner Schulter.
Fjodor war erschrocken, denn was Johanna ausgesprochen hatte war das, was ihn auch schon mal des Nachts bewegt hatte, ihn aber am Tage nie beschäftigt hatte. Ja, es war schon so. Da konnte auch er nicht dran herumdeuteln.
„Ich weiß, ich weiß. Das ist wichtig für uns beide aber es belastet uns permanent. Ich habe Angst, dass unser beider Leben deswegen einfach zu Ende ist und das, was zwischen uns deshalb auch stirbt, nur weil wir dieser Leidenschaft nahhängen.“
Beide blickten sich an und doch aneinander vorbei. Das alles war so wahr und real, dass es ihnen wie ein Traum vorkam. Ihre Liebe oder ihre Leidenschaft? Eines von beiden, das war ihnen klar, mussten sie opfern. Und was war das Glück allein gegen das zu zwein?
So gingen sie zum Kamin, welchen Johanna in ihrer Wohnung hatte. Auf das Fall davor ließen sich die beiden nieder, deckten sich mit einer weichen decke zu und sahen den Flammen dabei zu, wie sie die Bücher von Fjodor verzehrten. Johanna ließ ihre Aufzeichnungen im Safe zurück, doch schwor sie sich, sobald sie dieser Ablenkung nicht mehr bedurfte, würden auch ihre Aufzeichnungen in Flammen aufgehen. Und als sie sich dann eng umschlungen liebten wussten sie um den Verlust doch gleichzeitig um den großen Gewinn.  Â