Beschreibung
Mein Beitrag zum Storybattle 22. Alle vergegebenen Wörter außer dem Joker wurden verwendet, abgesehen vom Joker.
Ich habe mich dagegen entschieden, das besagte Gemälde als Titelbild zu verwenden, da ich mir bezüglich der rechtlichen Situation nicht sicher war.
Die SONNE senkte sich langsam dem Horizont entgegen und ließ den Himmel in feurigem Rot glühen. Er hastete den Kiesweg entlang, verfolgt von den abwertenden Blicken den Spaziergänger, als wäre seine Eile unerwünscht in dieser Welt. Seine Lungen brannten bei jedem Atemzug, und obgleich er alle Zeit der Welt gehabt hätte, rannte er weiter. Viel zu tief saß die Furcht, den Mut zu verlieren und wieder in Zweifel zu verfallen.
„Nein“, Gewissheit zischte aus seinen Gedanken, „Ich habe nicht alle Zeit der Welt. Ich habe nur diesen Moment. Es muss enden, hier und jetzt.“
Der Kiesweg mündete in eine Brücke, die sich weit über den FJORD spannte, in dessen kristallklarem Wasser die Sonnenglut brannte. Trotz der späten Stunde bevölkerten etliche Menschen das hölzerne Konstrukt, plauschten, lachten, versanken in ihren Smartphones oder standen simpel an der hölzernen Brüstung, um verträumt in die Landschaft zu starren. Auch er trat an das Geländer, so weit abseits es eben ging.
„Hier und jetzt“, seufzte er noch einmal, „So muss es geschehen.“
Seine Rechte langte in die Tasche seines Mantels, umschloss den Griff.
Er musste schnell handeln, bevor der blinde horror vacui ihn ergreifen und von seinem Vorhaben abbringen konnte. Entschlossenheit rann eiskalt durch seine Venen, SCHAUDERND hob er den Blick zum feuerroten Himmel, zum letzten Anblick, den diese schöne Welt ihm schenken würde.
Kinderlachen drang in seine Ohren. Seine Hand glitt vom Griff, als er herumschnellte und eine Familie erkannte. Ein offenbar glückliches Paar, das mit einem Säugling im Kinderwagen und einem etwas älteren Kind über die Brücke schlenderte.
„Nein…nicht vor Kindern“, er zog die Hand wieder aus der Tasche und stützte sich auf das Geländer, während eisiger Schweiß auf seiner Stirn perlte. Seine Nägel gruben sich ins Holz der Brüstung, als eine einzige Frage durch seinen Schädel gellte:
„Warum?“
Er hätte zuhause bleiben und die ganze Sache alleine regeln sollen, aber nein, er hatte sich ja dafür entscheiden müssen, den ganzen Schlamassel in der Öffentlichkeit auszutragen, die Leute mit seinen Angelegenheiten zu belästigen.
„Wenigstens springe ich nicht vor einen Zug.“
Er hatte diese Leute stets verachtet, die anderen mit ihrem freiwilligen Ableben auch noch Schwierigkeiten
bereiteten. Diese Sache hingegen würde sauber von statten gehen, aber sie musste hier geschehen, an eben diesem Ort, auf dieser Brücke, über diesem Fjord, unter diesem Himmel. Ganz in der Nähe war er geboren worden, oft hatte sein Vater ihn mit über die Brücke genommen, in die Stadt auf der anderen Seite. Später hatte er so manchen Tag und sicherlich ebenso viele Nächte mit Freunden am Fjord verbracht, im sonnig warmen Sommer genauso wie im eisigen Winter.
Das alles schien nun Ewigkeiten zurückzuliegen, in einem anderen Leben, einer anderen Welt. Einer Welt, die keine Sorge und kein Leid gekannt hatte. So naiv, so wundervoll.
Jäh befiel ihn die MELANCHOLIE, nagte an seiner Entschlossenheit, dass sie ihn zwang, die Nägel noch tiefer in das Holz zu graben. Hastig warf er einen Blick auf die Familie, die jedoch so langsam dahinschlenderte, dass sie noch Ewigkeiten in seinem Blickfeld verbringen würde. Er seufzte, als er noch weiter gegen das Geländer sank. Sein ganzer Körper war ausgezehrt, abgemagert. Er fühlte sich müde, TODMÜDE. Die Ironie trieb ihm ein bitteres Lächeln auf die blassen Lippen.
Der Krieg hatte ihn nicht töten können, aber das, ausgerechnet das sollte ihn umbringen. Eine Diagnose, das Wort eines Arztes. Wohl wahr, die Krankheit würde seinen Körper nicht antasten, nur seinen Geist verzehren. Aber genau das konnte er nicht zulassen; er konnte nicht, er durfte nicht als sabberndes, willenloses Wrack in irgendeinem Verschlag enden, als eine leere Menschenhülle, ein bloßes Objekt. Er konnte nicht alles vergessen, was er je gewesen war, jeden, den er je gekannt hatte, alles, was er getan hatte. Er durfte es nicht geschehen lassen.
Tod, lautete das einzige Gegenmittel und er musste es nutzen, bevor er zu unentschlossen, zu unsicher, zu schwach wurde. Sein Andenken durfte nicht durch seine eigene Existenz beschmutzt werden. Die Vernunft verlangte, dass er seine Würde bewahrte, was auch immer dafür geopfert werden musste.
„Was auch immer geopfert werden muss“, flüsterte er leise in den Wind.
Immer noch schallte das Kinderlachen in seine Ohren, wobei es ihm fast die Tränen in die Augen trieb. Beinahe versank er in der ungetrübten Lebensfreude, die aus den Lauten echote und ihn für einen Moment dem Todeswillen entriss. Wie tausend Nadeln stach die Ungewissheit durch seinen Geist.
Habe ich mein Leben vergeudet?
Er blickte zurück auf die wenigen freudvollen Moment, die er erlebt hatte und die im grauen Meer des Alltags ertranken. Wann hatte er je an sich gedacht? Ideale - Ehre, Würde, Pflicht - waren seit jeher die Leitmotive seines Handelns gewesen, vor denen jeder Gedanke an das eigene Wohl, an das eigene Wollen verblasst war. Er war sich sicher, dass sein Leben freudiger hätte sein können. Aber richtiger?
Noch blieben ihm ein paar Jahre, bis die Krankheit seinen Geist in einen Scherbenhaufen verwandelt haben würde, noch blieben ihm ein paar Jahre, um zu leben, wahrhaft zu leben.
„Nein!“, fuhr er sich selbst an, während die ANGST in ihm erblühte, er könnte in seinem eigenen Zweifel ertrinken, „Das sind Jahre, in denen ich schwach werden würde, in denen ich die Entschlossenheit verlieren würde. Ich darf hier nicht scheitern, ich darf diese Sonne nicht mehr untergehen sehen…ich darf nicht überleben.“
Voller Zorn rief er erneut das Bild eines Verwandten in sein Gedächtnis, den er einst hatte dahinsiechen sehen, der ein verwirrtes Wrack gewesen war, menschliches Gemüse, unfähig, seine eigene Frau, seine eigenen Kinder zu erkennen.
Manchmal war besagte Person ohne jeden ersichtlichen Grund in Anfällen von Wahnsinn und Wut förmlich explodiert, hatte versucht, die Einrichtung zu zertrümmern oder die Pfleger zu schlagen, bis man ihn mit Psychopharmaka vollgepumpt hatte. Von diesem Tag an, war sein einstiger Freund kaum noch von einem Wachkomapatienten zu unterscheiden gewesen. Ekel schnürte seine Kehle zu, als er ich dessen entsann. Wie oft hatte er mit dem Gedanken gespielt, die Waffe zu nehmen und seinem Freund die Gnade eines schnellen Todes zu schenken? So wie er sich nun wünschte, dass irgendjemand ihm diese Gnade schenken würde.
„Das ist Unrecht“, sagte er sich, wobei er die Lippen zu einem spöttischen Lächeln verzog. Langsam verebbte das Kinderlachen im unterschwelligen Gemurmel der anderen Passanten, worauf er mit einem bangen Blick feststellen musste, dass sich die Familie dem Ende der Brücke näherte.
Die letzten Sandkörner fielen, der letzte HAUCH von Entschlossenheit verflog, während seine Hand erneut in die Tasche zum Griff der Waffe fuhr. Alles war so unendlich schwer.
Würde er einen neuen Morgen sehen oder im Nichts versinken, in der blinden Leere, in der es nicht einmal
mehr Schwärze geben konnte. Bei dem Gedanken drehte sich ihm erneut der Magen um.
„War nicht alles besser als das Nichts?“, der Zweifel grub sich durch seine Venen, stach feurig in seine Brust.
„Schweigt!“, wollte er seinen Bedenken entgegenbrüllen, „Ich muss mein Andenken, meine Würde retten.“
„Hier und jetzt“, der Gedanke brannte so eindringlich in seinem Geist, dass die Worte als Wispern seinen Mund verließen. Seine Hand presste sich um den Griff der Pistole. Langsam zog er sie aus der Manteltasche, ohne dass jemand Notiz davon nahm. Dann hob er den Blick zur Sonne, die ihm BLUTROT entgegenstrahlte. Schon wollte er den Kopf in den Nacken legen, den Lauf unter dem Kinn ansetzten, um sich eine Kugel ins Hirn zu pusten, wie man es unzählige Male in diversen Filmen sah. Doch er entsann sich des Plans, den er schon vor Tagen geschmiedet hatte und erstarrte in der Bewegung, um den Lauf anschließend zum Herzen zu führen. Ein Loch in der Brust konnte man bei der Aufbahrung verbergen, einen zerfetzten Schädel nicht.
Obgleich der Winkel sich als komplizierter erwies, als gedacht, gelang es ihm doch, die Waffe in Position zu bringen.
Da er sich immer noch an Geländer presste, abseits der Leute stand und auf den Fjord hinausblickte, bemerkte niemand, was er gerade tat.
„Irgendwelche letzten Worte?“, fragte eine geisterhafte Stimme, worauf sich ein makabres Lächeln über seine Lippen spannte, „Die habe ich längst gesprochen.“
Als er ein letztes Mal die kühle Abendluft einatme, hatte die Entschlossenheit seine Zweifel endgültig erstickt. Mit einem flüchtigen Schulterblick versicherte er sich, dass niemand hinter ihm stand, nur für den Fall, dass die Kugel seinen Körper durchschlagen sollte.
„Adieu“, sagte er, nicht zu der Welt, sondern zu sich selbst.
Dann drückte er ab.
Die Kugel brach in seine Brust, der Schmerz leckte sowie FEUERZUNGEN durch seinen Körper, tobte wie ein Sturm in ihm. Sein Herz explodierte, der Boden sackte ihm unter den Füßen weg, er stürzte auf die Knie, spürte nur noch Kälte, sah nur noch Schwärze, versank im Nichts. Ein gleißendes Licht flackerte in der Ferne.
Das Donnern des Mündungsfeuers verhallte über dem Fjord. Schon wandten sich alle Gesichter um, ein SCHREI verließ die Lippen einer älteren Dame, die sogleich die Hände vor dem Mund verschlug.
Beherzte Helfer hasteten über die hölzernen Planken, doch alle Bemühungen sollten vergebens sein, kamen viel zu spät.
Die Sonne versank im Horizont, während Schwärze in die Welt flutete.