Frederik Delon sah nichts. Was daran lag, dass man ihm die Augen verbunden hatte. Seine Füße und Arme steckten in festen Metallkrausen, weshalb er diese nicht frei bewegen konnte. Angezogen war er noch und doch spürte er die Kälte einer Stahlunterlage, auf der er sich befand. Zudem hatte man Elektroden auf ihm angebracht.
„Herr Delon!“, rief eine Stimme aus einiger Entfernung. Er reagierte mit einem lauten „Ja?!“.
Er vernahm Schritte, die sich langsam näherten. Ein Stuhl wurde heran geschoben.
„Sie haben eine Flucht begangen aus dem Gebiet, in welches Sie rechtmäßig hingehören. Frederik, was haben Sie sich dabei gedacht?“, fragte die gleiche Stimme dicht neben seinem Ohr.
„Ich wollte frei sein, ich wollte nur einen Tag lang sehen, was es noch gibt, was ich normalerweise nie sehen darf.“
Es blieb kurz still. Er hörte, wie man ein Bandgerät eingeschalten hatte um alles aufzunehmen. Zudem hörte er jemanden etwas tippen, also war auch ein Protokollant anwesend.
„Sie wissen aber warum das verboten ist?“
„Weil es angeblich der Erhaltung der Gesellschaft dient“, sprach er ironisch und im nächsten Moment zogen Stromstöße durch seinen Körper, sodass er dachte, man würde ihn zerreißen, er schrie laut auf.
„Es dient der Erhaltung der Gesellschaft, denn wenn niemanden etwas anderes kennt als das, wo alle gleich sind, dann hat er auch keinen Antrieb nach Höherem zu streben und egoistisches Gewinnstreben und der Klassenkampf werden verhindert. Ist es nicht so?“, fragte der Befrager.
„Ja“, antwortete er wortlos und erneut zuckten sie ihn zerreißenden Stöße durch ihn.
„Das war nicht ernst gemeint. Und ich denke dass Sie verstehen, wie das Spiel läuft. Sprechen Sie die Wahrheit und wollen Sie diese auch aussprechen, dann wird nichts geschehen. Belügen Sie mich weiterhin, dann werden noch stärkere Stromstöße durch Sie fahren. Und ich habe auch noch andere Methoden“, kam es vollkommen ruhig von den Lippen des Befragers.
„Also, das war ja eine ganz interessante Sache. Ihre Armbanduhr haben wir untersucht. Ein nettes Spielzeug. Haben Sie die selber gebaut?“
„Ja“, kam es fest von Frederik Lippen.
„Wirklich?“
„Ja“, hatte er gerade sagen können, als erneut ein starker Stromstoß durch ihn fuhr, bei dem er dachte seine Gedärme würden zerkocht.
„Sie hatten also Helfer? Anders zu erwarten war das ja nicht. Ich wüsste ja gerne die Namen Ihrer Helfer.“
Er schwieg.
„Ein Ritter gar?“, fragte der Unsichtbare und jagte eine Ladung durch den Körper von Frederik, dass er glaubte, dass sein Hirn zerkochen würde. Alles schmerzte wie verrückt und er schrie, weil er glaubte verbrennen zu müssen.
„Man soll ja niemals nie sagen, nicht wahr? Und ich brauche sie ja heute nicht zu wissen. Zumindest jetzt noch nicht. Dann machen wir mal weiter. Wie sind Sie über die Grenze gekommen?“
„In einem Kofferraum eines Wagens rübergefahren worden“, antwortete er wahrheitsgemäß.
„Sehr mutig, immerhin das muss ich anerkennen. Und ja, bisher hat es in der Tat noch kein Mensch über unsere Grenzen geschafft. Und nun Sie. Welch eine große Sache, Frederik. Aber ich will Ihnen natürlich nicht verhehlen, dass Sie auch der Letzte waren, der das schaffte. Wir wissen ja, wo Sie arbeiten, also werden wir herausfinden, wie Sie es in den Wagen schafften und diese Sicherheitslücke werden wir zusammen mit den Verantwortlichen radikal ausmerzen. Ich gratuliere dazu, dass Sie halfen eines der letzten Schlupflöcher zu schließen.“
Frederik lächelte bitter. Er hätte niemals gewollt, dass ausgerechnet er damit noch einen Dienst an diesem Staat leistete.
„Gern geschehen“, kam es säuerlich von seinen Lippen. Es vergingen nur wenige Augenblicke, da glaubte er man würde versuchen seinen Darm zu Mund und Gesäß gleichzeitig hinaus zu drücken, weil er einen dermaßen harten Schlag auf seinen Magen erhielt. Dass dieser dank eines Schlagringes ausgeführt wurde war ihm egal, dem Leser sei dies aber noch als zusätzliche Information mitgeliefert.
„Ich sagte doch, dass ich auch andere Mittel zur Verfügung habe“, sprach der Verhörer eiskalt und ohne jede menschliche Rührung. Solche Menschen zogen einem bei vollem Bewusstsein die Haut vom Leib und konnten Witze dabei reißen, als würde man nicht am ganzen Leib Höllenqualen durchleben.
„Dann mal so ein paar Dinge nebenbei. Haben sie Freunde, Familie?“
Er wusste nicht, ob er antworten sollte. Nannte er Namen konnten diese Menschen auch bald nicht mehr existent sein, so wie es wohl jetzt mit ihm geschah, denn er würde verschwinden, einfach so. Und vielleicht tauchte er irgendwann wieder auf, wer wusste das schon?
Da er länger nicht antwortete spürte er, wie Rippen in seinem Körper brachen, als der Schlag, den er gerade eben in der Magengegend gefühlt hatte nun auf seine Seite einwirkte.
„Ich habe Sie nicht zum Spaß gefragt. Die Frage beantworten Sie mir bitte wahrheitsgemäß.“
„Ich habe eine Freundin. Svetlana Bor und auch ein paar Kollegen auf Arbeit, sonst niemanden. Meine Eltern sind beide tot, bei einem Autounfall vor 2 Jahren verstorben. Und die sonstige Verwandtschaft interessiert mich nicht“, brachte er hervor, während er ein wenig zur Seite spuckte.
Es folgte keine Drangsalierung. Anscheinend war diese Auskunft korrekt.
„Haben Ihnen diese Freunde geholfen?“, fragte der Befrager.
„Nein, sie halfen mir nicht.“
Ein Schlag in die andere Seite, noch stärker, sodass er nicht atmen konnte und glaubte schon jetzt zu ersticken.
„Das tüftelt niemand allein aus. Aber wir haben es ja schon festgestellt, dass Sie nicht allein war. Dies war sozusagen ein Test Ihrer Starrköpfigkeit. Ich meine, wir können das auch erst einmal so stehen lassen. Ihr Verschwinden und Schicksal dürfte allen anderen ein leuchtendes Beispiel dafür sein, wie man es nicht macht und dass man sich nicht mit der Weltgemeinschaft anlegt, haben Sie verstanden?“
„Dann sagen Sie bitte noch einmal, aus freien Stücken, dass Sie es allein waren.“
Frederik atmete schwer.
„Ich…“
„Lauter“, kam es ungerührt von den Lippen des Befragers.
„Ich, Frederik Delon, erkläre, dass ich allein diese Tat ausgeführt habe!“, schrie er unter heftigen Schmerzen.
„Schwören Sie?“
„Ich schwöre, bei allem, was mir heilig ist!“, kam es brüllend von ihm.
„Ist Ihnen die Weltgemeinschaft heilig, sozusagen das Heiligste?“
„Ja!“, schrie er, obwohl er wusste, dass dem nicht so war und deshalb erntete er einen Schlag ins Gesicht, dass seine Nase brach und heftig blutete, sowie die Lippen aufplatzten.
„Rausbringen“, kommandierte der Befrager.
Zwei Männer erlösten Frederik, hoben ihn auf eine Krankenbare. Schoben ihn in einen Operationssaal und dort kam die Betäubung. Er spürte also nichts von der Operation und Versorgung, die man ihm angedeihen ließ, mit der man ihn, zumindest notwendigerweise, versorgte. Und er fühlte auch nicht, wie man ihn in eine Transportbox brachte.
Er erwachte in ihr. Es war dunkel, kein Licht, kein Fenster. Lediglich Luft, die man hinein blies. Die Wände bestanden aus gummierten Polsterungen. Sprang er gegen sie federte er zurück. Versuchte er sie zu zerkratzen brachen seine Fingernägel. Er kratzte, bis seine Fingerkuppen bluteten und er hatte nichts erreicht. Hier saß er nun, in einer vollkommenen Dunkelheit. Nur das Geräusch der Luft, die man einblies, war ein Gefährte. Weinend ließ er sich auf den Boden fallen und betastete seinen Körper. Ein stützender Verband umspannte seinen Oberkörper und das Gesicht befand sich zum Teil unter einem Leinenverband. Er spürte zumindest sich, das war schon einmal gut. Und er tat es intensiver, da die Betäubung nachließ und er den Schmerz fühlte, der bisher durch die Narkosemittel unterdrückt wurde. Und sofort wünschte er sich wieder in dieser weichen Welt zu sein, dieser weichen Welt, in der er keinen Schmerz spürte. Er sehnte sich nach dem Tod. Nur die Erinnerungen an diesen einen Tag in Nordberlin hielt ihn am Leben. Und er dachte an Svetlana, die zurückkommen würde und vielleicht einen Brief vorfand, der ihr mitteilte, dass er weg wäre, dass er nicht mehr existierte. Und die Arme würde bitterlich weinen, so wie er und dann würde sich die Erde weiterdrehen. Ja, er wurde sich dessen bewusst, wie unbedeutend er doch war. Die Gesellschaft lebte weiter und er verging. Doch so durfte es doch nicht einfach sein! Er hatte jahrelang existiert, also konnte er aus ihrem Gedächtnis nicht einfach gelöscht werden!
Und in diesem Moment wuchs in ihm der Wunsch nach Opposition. Egal was man mit ihm in der Besserungsanstalt zufügte, denn das Urteil über ihn war sicherlich schon gesprochen, denn man hatte ja sein freies Geständnis bereits in Händen.
Trotzdem wollte er sich nicht unterkriegen lassen. Und man konnte ihm ja viel nehmen, vielleicht auch sein Leben, aber seinen Willen, den konnten Sie nicht brechen! Und das würden Sie nicht schaffen, eher verreckte er auf diesen Foltertischen.     Â