Beschreibung
Ilgarion Quynt reist als zielloser Abenteurer durch die achtzehn Fürstentümer des Königreichs Kalatars, bis er von einer Gruppe von Paladinen ihn zu einer geheimnissvollen Mission rekrutiert. Auf der Suche nach einem verschollenen Ritter sie in den Süden des Reiches, doch in der Wüste und den prunkvollen Städten stoßen sie nur auf Zwietracht und Missgunst. Bald schon werden die Ideale der Gottesmänner auf eine harte Probe gestellt und Ilgarion weiß nicht mehr, wem er noch trauen kann.
Zur besseren Orientierung findet man auf meinem Profil mittlerweile eine Karte Kalatars.
Titelbild by el7bara
(Quelle: everystockphoto.com)
Prolog
1. Mondweihe. 763 ÄIII n.Br. – Fürstentum Vaska
Obgleich Cor Herra nur ein kleiner Ort war, der sich im Süden des Fürstentums Vaska an irgendeinen Berg schmiegte, vermochte die Nacht heute nicht in die schmalen Gassen einzufallen. Tausende Lichter brannten unter dem schwarzen Himmel, Menschen tanzten, lagen sich in den Armen, der Wein floss aus Krügen, Flaschen und Fässern. Keiner Seele sollte Schlaf gegönnt sein, denn das Dorf begoss, wie es Brauch war, das Ende des Sommers mit dem sogenannten Mondfest.
Der Zufall hatte Ilgarion Quynt in dieses Dorf geführt, ein Zufall, den er nun mit einem Lächeln bedachte, während er einen weiteren Krug des fruchtigen Weins seine Kehle hinabgoss. Dass er aus dem Norden des Reiches stammte und von der Existenz des Mondfestes bislang nicht einmal geahnt hatte, kümmerte die Bürger von Cor Herra wenig. Hier an den langen Holztafeln im warmen Schein der unzähligen Fackeln und bunten Lampions wurden aus Fremden Brüder, die gemeinsam unverständliche Lieder lallten.
„Noch einen?“, der junge Mann, der neben ihm am Ende der Bank saß, schob die tönerne Weinkaraffe zu ihm herüber.
„Aber sicher doch“, lachte Quynt, wobei er seinen leeren Krug auf den Tisch knallte und sich nachschenkte. Einen Augenblick später stieß er mit dem Einheimischen an, der Wein rann seine Kehle hinab, der warme Spätsommerwind fuhr unter sein Hemd und Freude keimte in seinem Herzen, während hinter ihm einige Trommler den Takt zu einem weiteren hektischen Tanz schlugen. Sein Sitznachbar leerte den Krug in einem Zug, bevor er hastig aufsprang.
„Tut mir leid, mein Freund, aber da muss ich mitmachen“, sagte er noch, bevor er sich in die Menge der Tanzenden stürzte. Quynt hob seinen Krug zum Abschied und wollte sich gerade einem Gespräch zu seiner Linken zuwenden, als er eine Frau entdeckte, die sich aus dem wabernden Meer tanzender Menschen löste. Ihr sonnengebräunter Teint glänzte im Schein der Lampions, der Wind strich durch ihre haselnussbraunen Haare, ein feuerrotes Kleid schmiegte sich um ihre üppigen Kurven. Als sie sich neben ihm auf die Bank setzte, glaubte er, sein Herz würde sich selbst im Feuer verzehren. Der Blick ihrer mandelförmigen Augen ließ lodernde Flammen durch seine Adern schlagen.
„Darf ich?“, sie deutete auf die Karaffe mit dem Wein, während sein Blick immer noch in ihren Augen versank.
Wie gelähmt von ihrem Anblick, vom Klang ihrer Stimme, die selbst durch das Donnern der Trommeln sanft wie eine Violine in seinen Ohren sang, war er zunächst unfähig überhaupt etwas zu tun.
Was soll das, Quynt?
Unter dem Tisch ballte er die Linke zur Faust, wohingegen die Rechte nach der Karaffe griff.
„Natürlich“, gab er unter eiligem Nicken zurück, wobei seine Stimme vor Freundlichkeit triefte, „Ich schenke Euch ein.“
„Oh“, sie lächelte, beinahe geschmeichelt, wobei sie den Krug in seine Richtung schob, „Ihr seid wohl nicht von hier?“
„Was hat mich verraten?“, lachte er, „Die blasse Haut oder der nordische Akzent?“
„Eher die versteifte Förmlichkeit“, antwortete sie neckisch, nachdem sie den gefüllten Krug entgegengenommen hatte. Ihre Worte säten Verblüffung in seinen Geist.
„Was meint Ihr?“, entwisch es seinen Lippen.
„Was meinst du“, korrigierte sie, worauf er sich mit der flachen Hand vor die Stirn schlug, „So förmlich spricht hier niemand, vor allem nicht auf dem Mondfest.“
„Natürlich nicht“, bestätigte er, wobei er ihr zuprostete, „Dann nennst du mir doch sicherlich auch deinen Namen.“
„Solimea“, erneut rankte sich das neckische Lächeln über ihre blutroten Lippen.
Verdammt, selbst ihr Name klingt wie Seide.
„Und deiner?“
„Ilgarion Quynt“, antwortete er, wobei ein genialer Einfall durch seinen Geist blitzte, „Sir Ilgarion Quynt.“
Mit einem Rittertitel konnte er sicherlich Eindruck schinden und er glaubte nicht, dass an diesem Ort irgendjemand in der Lage wäre, seine Lüge zu durchschauen.
„Ein Ritter also“, ihr Lächeln weitete sich, „Nun, dann musst du einer Dame doch jeden Wunsch erfüllen“, ihre Augen funkelten im Schein der unzähligen Lampions und er glaubte, dass die seinen dasselbe taten, während er ein jedes Wort von ihren Lippen sog.
„So ist es Pflicht“, versicherte er, wobei er erneut den Krug hob.
„Dann tanz mit mir, edler Ritter“, forderte sie.
„Tanzen…“, er stockte.
Warum muss es ausgerechnet Tanzen sein?
Unter dem Tisch schlug er mit seiner Linken gegen sein lahmes Bein, das vor Jahren eine unschöne Bekanntschaft mit einem Streitkolben gemacht hatte. Zwar waren die Brüche verheilt und er konnte das Bein wieder normal bewegen, doch bei größeren
Anstrengungen und hektischen Bewegungen brach stets bestialischer Schmerz durch seine Knochen. Das ununterbrochene Donnern der Trommeln prophezeite, dass ein solcher Tanz ihn zu Tränen foltern würde.
„Zögerst du etwa, Ritter?“, neckte sie ihn.
„Nein, ich...“, ein Plan fügte sie sich in seinen Gedanken zusammen, „Es wird mir ein Vergnügen sein, deine Bitte zu erfüllen. Doch zuvor muss ich austreten…zu viel Wein.“
„Dann werde ich hier warten, Sir“, versprach sie, während er sich erhob.
„Das hoffe sich doch“, lachte er, bevor er die ersten Schritte vom Festplatz setzte. Mit einem Blick über die Schulter versicherte er, dass sie ihm nicht nach sah, dann rannte er los, wobei er Schmerz feurig in seine Knochen biss. Fast strauchelte er, fing sich jedoch und hastete weiter. Diese Frau war es wert, das Leid zu ertragen. Er würde sich beeilen müssen, um die Taverne zu erreichen, in der er untergekommen war und zum Festplatz zurückzukehren, bevor die Zeit seine Ausrede löchrig werden ließ. In seinem Zimmer bewahrte er ein Elixier auf, das die Schmerzen zumindest für eine Weile unterdrücken würde. Auf dem Weg zu der Unterkunft schalt er sich dafür, die Phiole nicht schon zuvor mitgenommen zu haben, doch das
Fest hatte ihn einfach mitgerissen und ihn der Gelegenheit beraubt.
Keuchend erreichte er die Taverne in einer ausgestorbenen Seitengasse, durch die dennoch die Trommeln dröhnten. Hinter der Tür lag der Schankraum, den das Fest leergefegt hatte, im Halbdunkeln. Erst nachdem er zwei Schritte gesetzt hatte, erkannte er, dass an einem der runden Tische eine schattenhafte Gestalt saß.
„Vielleicht nur jemand, der seinem Rausch entfliehen will“, dachte er, wobei seine Hand dennoch zum Griff des Dolches wanderte, der in einer ledernen Scheide an seinem Gürtel ruhte.
„Lasst das!“, forderte die Gestalt, aus deren hoher Stimme Arroganz echote. Hastig warf er einen Blick über die Schulter, worauf er sah, wie sich eine weitere menschliche Silhouette vor der Türschwelle aufbäumte.
„Was soll das?“, verlangte er zu wissen. Seine Hand zitterte immer noch am Griff des Dolches, während er in den Tiefen seiner Vergangenheit nach einer Erklärung grub. Sicherlich, er hatte viele Leute verärgert, aber nicht so sehr, dass sie ihn im Schankraum einer Taverne niedermeucheln würden.
Es sei denn…
Ein kleines Licht flammte auf, kaum stark genug, um
die Dunkelheit auch nur vom Gesicht der Person zu drängen, die es entzündet hatte. Die Flamme glitt zu einer Kerze, zischte am Docht und gebar ein weiteres Feuer, stärker und heller. Der Schein der Kerze offenbarte den Mann am Tisch, ein athletischer Kerl, dessen Gesicht aus einer säuberlich gepflegten, goldblonden Haarmähne hervorlugte. Daran verschwendete Quynt allerdings keinen Blick, haftete er doch an dem stilisierten, purpurnen Richtschwert, das auf dem reinweißen Waffenrock des Mannes direkt über seinem Herzen prangte.
Paladine!
Wenigstens würden sie ihn nicht foltern oder umbringen, zumindest nicht ohne ihn vorher zu verurteilen.
„Ich bin fertig mit euch!“, zischte er.
„Tja“, der Mund des Mannes spannte sich zu einem ekelhaft breiten Lächeln, „Wir aber nicht mit dir.“
„Kümmert mich nicht. Ich kenne euren Kodex, ihr könnt mich nicht zwingen“, blaffte er. Paladine mochten in der Schlacht tödliche Gegner sein, wohingegen ihr strenger Ehrenkodex sie im wahren Leben berechenbar und ungefährlich machte. So durften sie zum Beispiel keine Wehrlosen angreifen und keinen ehrlosen Kampf beginnen.
Da ein Kampf zweier gerüsteter Männer gegen einen angetrunkenen Krüppel offensichtlich ehrlos war, wiegte sich Quynt in einiger Sicherheit.
„Ich werde mich einfach umdrehen und gehen“, lachte er. Solimea konnte er nun ohnehin vergessen, nachdem ihn die Ritter Gottes schon zu lange aufgehalten hatten. Er drehte sich um und durchmaß den Raum in Richtung des Ausgangs, wo immer noch die schattenhafte Gestalt wachte.
„Das werdet Ihr nicht“, schallte es ihm von hinten in die Ohren, worauf er jedoch nur höhnisch den Kopf schüttelte.
Fast hatte er die Tür erreicht, als die Gestalt einen Gegenstand aus einer kleinen Tasche aus ihrem Gürtel zog. Kaum einen Herzschlag später erstrahlte ein Licht, so rein und grell, dass es ihm jede Sicht raubte. Geblendet stolperte er, stürzte zu Boden, Füße knarrten auf den maroden Dielen, starke Hände packten ihn an den Schultern. Der Sommerwind wehte in sein Gesicht, als sie ihn nach draußen zerrten. Jemand fesselte ihm die Hände mit einem Strick, man zog ihn auf die Füße, stieß ihn voran. Schmerzen fraßen sich durch seine Knochen, während vor seinen Augen immer noch die blanke Schwärze tanzte, durch die ab und an regenbogenartige Farbspektren blitzten.
Da es bergab ging, fürchtete er, bei jedem Schritt zu stolpern. Doch als ihm einmal tatsächlich der Boden unter den Füßen weg glitt, fing ihn einer der Paladine wieder auf und trieb ihn weiter. Schließlich flachte der Weg ab, sie stießen ihn noch ein Stück weiter, dann wurde er erneut an den Schultern gepackt und auf die Knie gedrückt.
„Was habt ihr mit mir gemacht?“, ächzte er, während er unablässig blinzelte, um seine Sehkraft zurückzugewinnen.
„Der Abschaum verbrennt im Lichte des Herrn“, höhnte die arrogante Stimme des Blonden.
„Keine Sorge“, flüsterte ein anderer, „Das geht gleich vorbei.“
Tatsächlich zog sich die Schwärze langsam zurück, worauf er verschwommen seine Umgebung wahrnehmen konnte. Obgleich immer noch Neonfarben durch sein Sichtfeld flackerten, klarte es schnell auf. Er hob den Kopf und starrte in ein wohlbekanntes Gesicht. Pockennarben zerfurchten die eisige Miene, die bleiche Haut spannte sich so eng über den Schädel, dass jeder Knochen und jede Sehne hervortrat. Am Hals spannten sich die Muskeln wie Drahtseile. Die pechschwarzen Haare über dem schneidigen Gesicht waren kurz geschoren, die Augen saßen so tief in ihren Höhlen, dass man nur Schwärze
darin sehen konnte. Über den schmalen Schultern des hoch gewachsenen, sehnigen Mannes lag der reinweiße Wappenrock mit dem Wappen des purpurnen Richtschwerts. Goldenes Dekor, das die Ränder des Rocks zierte, zeichnete ihn als Erzpaladin aus.
Aymeric Lemorgant!
Der Wahnsinn musste tief sitzen, damit ein Königssohn den paradiesischen Garten eines royalen Lebens und jeden Anspruch auf den Thron gegen die karge Einöde der Askese tauschte.
„Ihr?“, zischte Quynt.
„Ganz Recht“, entgegnete Aymeric, wobei er seine bleichen, knochigen Hände faltete. Sie standen an der Straße, die den Berg hinab führte, neben einer unsauber gemauerten Brüstung, über die dunkles Moos wucherte. Zwei der Paladine hielten Quynt immer noch in eisernem Griff, allerdings konnte er hinter Aymeric noch vier weitere Ordensmänner ausmachen, die sich ein Stück weiter die Straße hinab um einen Pferdekarren scharrten.
„Was wollt Ihr von mir?“, ächzte er.
Der Erzpaladin schürzte die blassen Lippen, als würde ihm die Antwort bereits unausgesprochen missfallen.
„Es besteht die Möglichkeit“, begann er, „dass wir Eure Kenntnisse der südlichen Kultur benötigen.“
„Meine Kenntnisse der…“, ächzte er. Tatsächlich hatte er einige Zeit in den südlichsten Staaten des Königreiches verbracht, wobei er einiges über die Menschen und Bräuche gelernt hatte. Aber es gab andere Paladine, die dasselbe getan hatten, die klüger und folgsamer waren als er. Dafür brauchten sie ihn nicht.
„Außerdem“, fuhr Aymeric fort, „kanntet Ihr Cardwyn Venauld.“
„Cardwyn…was…“, stammelte er, bevor vergangene Wut aus ihrem Grabe brach und wie Feuer durch seine Venen flutete, dass er sie herausschreien musste, „Nein! Ich habe mit euch nichts zu schaffen. Nicht mit dem Licht, der Gerechtigkeit, eurem Gott und schon gar nicht mit Euch persönlich, Lemorgant. Ich habe den Orden vor fünf Jahren verlassen. Nach all der Zeit kommt ihr zurück, behandelt mich wie Dreck und erwartet, dass ich euch helfe?“
Bei dem Wort Dreck räusperte sich einer der Paladine, die ihn festhielten. Doch Aymerics ausgemergelte Miene verharrte ebenso steinern wie erhaben, als hätte er längst gewusst, was Quynt sagen würde.
„Vielleicht gibt es da noch eine persönliche Angelegenheit, die Ihr erledigen wollt“, der Erzpaladin öffnete seine knochige Rechte, worauf eine silberne Brosche zum Vorschein kam.
Ein silbernes Veilchen spross darauf, dessen Blüte einen kleinen, violetten Edelstein beherbergte.
„Das…was habt Ihr mit ihr gemacht, Ihr elendiger…“, heulte Quynt, bevor er sich entsann, wer ihm da eigentlich gegenüberstand.
Aymeric ist ein Paladin, er würde nie…
„Woher habt Ihr das?“, verlangte er zu wissen, während er gegen die Tränen ankämpfte, die in seine Augen stiegen.
„So viel soll gesagt sein: Es stammt von dem Ort, an den wir reisen werden.“
„Dann werde ich tun, was Ihr von mir verlangt“, gelobte Quynt.
„Nichts anderes hatte ich erwartet“, gab Aymeric zurück, worauf er den Blick zu den Bewachern hob, „Öffnet die Fesseln und lasst ihn los! Dann zahlt das Mädchen aus!“
Ein Messer glitt durch seine Fesseln, der Druck schwand von seinen Schultern und jemand half ihm auf die Beine.
„Verzeiht“, murmelte der Paladin, vermutlich jener, der ihn geblendet hatte, „Alles in Ordnung mit Euch?“
„Ja, geht schon“, entgegnete Quynt, wobei er sich den Staub von seinen geschundenen Knien klopfte.
„Hey“, herrschte der Blonde aus der Taverne seinen Kameraden an,
„Du hast den Erleuchteten gehört, Gilwen. Geh und gib der Hure ihr Geld!“
Quynt folgte seinem Blick, bis er die Gestalt erkannte, die ein Stück weiter die Straße hinauf wartete: Solimea.
„Es wäre auch zu schön gewesen“, lachte er bitter, bevor er den Paladinen zum Karren folgte.