Kapitel 11 Gold
War er tot? Aaren wusste es nicht. Nur langsam schien das Gefühl in seine Glieder zurückzukehren. Er spürte Wind. Schmeckte die bereits altvertraute, salzige Luft. Offenbar war er doch nicht so tot, wie er Gedacht hatte. Einen Moment lang, wusste er nicht, wo er sich befand, oder auch nur wer er war. Dann kehrten seine versengten Erinnerungen langsam zurück. Liurie, das Schiff…
Es bereitete Aaren Mühe auch nur die Augen zu öffnen aber… er fühlte sich nicht mehr so Elend, wie am Tag zuvor, stellte er überrascht fest. Das Fieber war
weg. Vorsichtig blinzelte er. Die Sonne blendete ihn trotzdem noch. Wasser umspülte seine Füße. Mit den Bewegungen eines alten Mannes schaffte er es schließlich sich aufzusetzen.
Vor ihm lag nur der graue Ozean. Und hinter ihm wohl immer noch dieselbe verlassene Insel.
Er sah hinab zu der Wunde an seinem Bein. Oder wo diese hätte sein sollen.
,, Was zur Hölle…“
Statt dem von roten Linien überzogenen Schnitt befand sich dort nur glatte Haut und eine kaum wahrnehmbare Narbe. Ein Versuch aufzustehen, wurde allerdings trotzdem nur damit belohnt, dass das Bein unter ihm nachgab und
Aaren unsanft im Sand landete. Einen Moment blieb er wie betäubt liegen. Ganz so einfach würde es also nicht werden…
Neben sich hörte er ein seltsames Glucksen, das fast wie ein Lachen klang. Er ignorierte es, während er darüber nachsann, ob es die Mühe wert wäre, es noch einmal zu versuchen.. Dann erstarrte er. Wo kam das Lachen her? Er war alleine hier, oder?
Seine letzte Erinnerung bevor er das Bewusstsein verloren hatte kehrte zurück. Goldene Augen.
Vielleicht überlegte er, irrte er sich einfach. Er halluzinierte immer noch durch das Fieber. Das musste es
sein.
Trotzdem zwang er sich dazu, den Kopf zu drehen. Was da ein paar Schritte entfernt von ihm im flachen Wasser saß sah definitiv aus, wie das Wesen vom Schiff. Nein, verbesserte er sich. Es war das Wesen vom Schiff. Die kaum verblassten punktförmigen Narben an den Armen waren nicht zu übersehen. Die große Rückenflosse trug es fast wie einen Umhang.
Einen Augenblick lang versuchte Aaren sich möglichst nicht zu bewegen und hielt den Atem an. Er konnte sich in seinem Zustand kaum Verteidigen. Das Wesen, das ein Teil von ihm immer noch als weiblich assoziiere, wirkte jetzt im
Sonnenlicht kaum gefährlich. Nicht auf den ersten Blick.
Es saß einfach nur da… beobachtete ihn und schien genau wie er darauf zu warten, das etwas geschah. Die ausdrucksstarken goldenen Augen musterten ihn mit einer Intelligenz, die er einerseits erschreckend, andererseits aber auch beruhigend fand. Was intelligent war, brachte ihn hoffentlich nicht um. Es war nicht so, dass er auch nur weglaufen könnte wenn… Aber neben der Intelligenz spiegelte sich auch Angst, vermischt mit Hass und… Neugier ? Es war seltsam, das Augen so viel verraten konnten. Und er fühlte sich unwohl zu lange hinzusehen. Goldene
und grüne Partikel schienen sich ständig neu anzuordnen und wirre Muster zu bilden. Aaren fürchtete, diese Augen könnten alles durchschauen, auch ihn.
Möglicherweise interpretierte er mal wieder zu viel. Woran die fehlenden Mentalblocker sicher auch nicht ganz unschuldig waren. Er schüttelte den Gedanken ab. Nein. Zum ersten Mal seit Jahren war er frei davon. Allerdings war Aaren sich unsicher, ob ihn das freuen oder Sorgen machen sollte.
Der Mann mit Gefühlen… das war der Mann, der einen unbewaffneten Getötet hatte. Auch wenn er es verdient hatte.
Aaren entspannte sich, tastete aber suchend nach seiner Waffe. Er fluchte
leise, als er sie nicht fand. Ein Blick zurück zum Strand zeigte ihm, dass der Griff der Pistole einige Meter weiter oben aus einer Sanddüne ragte. ,, Einfach Großartig.“
Aaren sah wieder zu dem Wesen. Es… sie, Aaren zögerte. Er sollte sich vielleicht einen Namen überlegen. Langsam kam er zu dem Schluss, dass es sich wohl nicht im nächsten Moment auf ihn stürzen würde und setzte sich vorsichtig auf. Sand rieselte aus seiner Kleidung.
,, Warst du das ?“ , fragte er. Schweigen. Die goldenen Augen weiteten sich fragend. Irgendwie musste die Waffe ja dorthin gekommen sein.
Allerdings machte ihm die Vorstellung Angst, das Wesen könnte eine Feuerwaffe erkennen… Das hieß zumindest nichts Gutes. Oder er hatte die Waffe im Fieber verloren. Aaren entschied, das die letzte Möglichkeit doch die bessere war.
,, Du verstehst kein Wort von dem was ich sage, oder ?“ , fragte er kopfschüttelnd. Keine Reaktion, lediglich ein fragender Laut, der sich zu sehr nach einem Wort anhörte.
,, Oder doch ?“
Zu seiner Überraschung wiederholte es : ,, Doch.“
Es klang vollkommen falsch. Aber das Wort war
unverkennbar.
,, Also gut… das ist interessant.“ Es konnte Worte nachahmen.
Aaren versuchte noch einmal aufzustehen, aber das ehemals verletzte Bein wollte ihn immer noch nicht tragen. Diesmal achtete er wenigstens darauf, nicht wieder unsanft auf dem Boden zu landen.
Er würde eine Krücke brauchen. Trotzdem, wenn er nicht eine Ewigkeit geschlafen hatte, wusste er nicht wie die Verletzung so schnell hatte heilen können.
Es sei denn natürlich… Aaren musterte das Wesen. Sein Blick wanderte zu den Narben auf seinen Armen, eine davon
schien frischer zu sein, als die anderen und mit einer Klinge statt einer Nadle zugefügt.
,, Warum ?“ , fragte er leise.
Es oder Sie hob einen Arm deutete hinaus aufs Meer… dort wo die Salmakis in die Tiefe gesunken war.
,, Weil ich dir geholfen habe ?“ Keine Reaktion. Die goldenen Augen verhärteten sich, betrachteten ihn nun nicht mehr mit Neugier… sondern Abscheu.
,, Warum dann ?“
Sie schien keine Antwort zu haben. Mit der Hand machte sie eine kreisförmige Bewegung.
,, Verdreht ?“ , er brauchte einen
Moment, bis er die Geste verstand. ,, Anders ? Wir waren… anders? Wie anders ?“
Er erhielt keine Antwort. Vielleicht verstand sie ihn doch nicht. Und was bitte tat er hier eigentlich? Er unterhielt sich mit… einem Fisch. Oh ja, er wurde definitiv langsam verrückt, wie es schien. Was jetzt jedoch wichtiger war, er musste irgendwie wieder auf die Füße.
Aaren sah sich den Strand entlang um. Einige der größeren Büsche besaßen Äste, die sich als Stütze eigene würden. Mehrere davon waren, wohl in Folge eines Sturms, abgebrochen und lagen im Sand, keine fünfzig Schritte entfernt. Nur hinkommen… das war keine Strecke,
die er gehen könnte.
,, Ich könnte etwas Hilfe gebrauchen.“ , murmelte er.
Sie musterte ihn einen Moment. ,, Hilf…“
,, Hilfe, ja.“ Er überlegte. Irgendwie musste er doch klarmachen, was er brauchte. Aaren deutete auf sein verletztes Bein und machte Anstalten erneut aufzustehen. Natürlich gab es unter ihm nach. Dann deutete er herauf zum Strand, auf eines der großen Holzgewächse.
Sie schien zu begreifen. Zumindest weiteten sich ihre Augen entsetzt. Aaren wurde langsam auch klar warum.
Sie saß immer noch halb im Wasser und
schein damit keine Probleme zu haben. Aber das war für ein Wasserlebewesen natürlich noch etwas anderes, als tatsächlich an Land zu gehen. Selbst wenn es Beine hatte. Konnte sie überhaupt laufen?
,, Vergiss es.“ , meinte er und kreuzte die Arm einmal vor der Brust. Er würde sich etwas anderes überlegen. Bevor er jedoch auch nur dazu kam, stand das Wesen auch schon unbeholfen auf.
Ein wackliger Schritt durch das niedrige Wasser, noch einer.
Aaren zuckt mit den Achseln und hoffte, dass sie die Geste verstand. Ihre Entscheidung. Hauptsache, er kam irgendwie hier weg. Am Strand
liegenbleiben konnte er nicht.
Der erste Schritt auf trockenen Boden schien sie zu Überraschen. Sie zog den Fuß sofort zurück ins Wasser, dort wo die Wellen den Sand noch erreichten.
Aaren musterte sie stumm. Dann setzte sie wieder einen Fuß in den trockenen Sand. Es waren vielleicht gut zwanzig Schritte, bis zu den ersten Pflanzen, aber das immer noch namenlose Wesen brauchte fast zehn Minuten, zumindest schätzte Aaren diesen Zeitraum um dorthin zu gelangen. Jeder Schritt war unsicherer als der erste wie es schien. Und nach etwa der Hälfte der Strecke schien sie Probleme zu haben, auch nur grade stehenzubleiben.
Aaren gestand sich nicht ein, das er sich Sorgen machte, aber… er konnte ihr schlecht helfen, wenn sie stürzte. Das wäre dann echte Ironie des Schicksals, überlegte er und musste ein leises lachen unterdrücken. Wann hatte er überhaupt das letzte Mal wirklich gelacht?
Sie schien immer schwerer zu atmen als sie endlich einen der abgebrochenen Zweige aufhob. Unsicher musterte sie den Ast, bis Aaren ihr bedeutete zurückzukommen.
,, Das sollte gehen.“ , rief er. Tatsächlich war er sich nicht sicher, ob die provisorische Krücke sein Gewicht tragen würde, aber es dürfte reichen,
wenn er zumindest vom Strand wegkam.
Sonst hätte er spätestens, wenn das Wetter schlechter wurde ein echtes Problem.
Sie hatten den Rückweg fast geschafft, als sie stehenblieb. Sie schüttelte sich, als wollte sie irgendein lästiges Insekt verscheuchen.
,, Alles in Ordnung ?“ , fragte er. Er wusste immer noch nicht, ob sie seine Worte verstand oder nicht.
Sie taumelte etwas, ließ den Holzstock in seiner Reichweite fallen und fiel beinahe zurück ins Wasser.
,, Hey.“ Er streckte eine Hand aus um sie zu stützen. Stattdessen wurde seine Hand ohne Vorwarnung weggeschlagen,
Ein blutiger Kratzer verlief über den Handrücken.
,, Na danke auch.“ , fluchte er. Ein Blick in die ihn misstrauisch musternden Augen war genug. Selber schuld, schienen sie zu sagen, während das Wesen den Ast neben ihm fallen ließ und zurück ins Wasser ging, bis es wieder ihre Knie erreichte.
Aaren versuchte mithilfe der Stütze aufzustehen. Etwas, das immer noch leichter gesagt als getan war. Sein Fuß war völlig gefühllos und der Sand machte es auch nicht einfacher, auf einem Bein und der Krücke zu balancieren. Irgendwie schaffte er es jedoch stehen zu
bleiben.
Aaren sah zurück zu dem Wesen im Wasser. ,, Hast du einen Namen ?“ , fragte er.
Keine Reaktion. Lediglich der wütende Ausdruck in den Augen schien kurz zu verschwinden.
,, Namen ?“ , wiederholte er. ,, Du verstehst wirklich kein Wort von dem was ich sage, oder ?“
Er setzte sich Vorsichtig wieder in den Sand. Langsam kehrte das Gefühl in sein Bein zurück.
,, Wenn du sowieso nichts verstehst… wie wär’s mit Sonea ? Das ist ein indischer Name glaube ich, auch wenn das wohl egal
ist.“
Sie schien ihn nach wie vor nicht zu verstehen.
,, Genau, du hast keine Ahnung was Indien ist. Oder wovon ich überhaupt rede, was das angeht.“
Aaren stand wieder auf.
,, Ich suche Wasser.“ , meinte er. Wenn er sich richtig erinnerte, musste das Wasserbecken hier irgendwo in der Nähe sein. Wobei… hier sah ohnehin alles gleich aus
Das schien Sonea wieder verstanden zu haben. Sie deutete aufs Meer hinaus und sah ihn an. Ein gluckender Ton, der wie ein Lachen klang. Irgendwie vermutete Aaren, das er grade ausgelacht wurde.
Natürlich… hier war ja auch überall Wasser. Nur eben keines, das er trinken könnte.
Aaren ging kopfschüttelnd den Strand hinauf. Unterwegs hielt er einmal an und hob seine Pistole auf.
Die Waffe war zu leicht. Aaren zog das Magazin heraus und stellte fest, dass die Munition fehlte.
Er sah zurück zu dem Wesen im Wasser. Hatte es… sie tatsächlich die Patronen entfernt? Und
wenn ja, woher wusste Sonea, was eine Feuerwaffe war? Geschwiege denn, wie diese Funktionierten?
Irgendwie hatte er damit gerechnet, dass sie verschwinden würde, sobald er außer
Sicht war. Eine Hand wäscht die andere, das war alles. Oder ? Eigentlich wunderte es ihn, dass sie ihm überhaupt geholfen hatte. Ich würde vermutlich eine Teufel tun und jemanden helfen, der mich in einen Glaskasten sperrt, überlegte Aaren. Aber immer noch wusste er nicht, was Callahan damit hatte bezwecken wollen…
Natürlich das Blut dieses Wesens schien unglaubliche Fähigkeiten zu haben, aber die hatte die moderne Medizin auch. Es dauerte vielleicht länger aber sie waren in der Lage jede Verletzung und beinahe jede Krankheit zu heilen. Nur dafür verschwieg man dem Elektorat ganz sicher nicht, das man dergleichen
gefunden hatte. Schon gar keine Augenscheinlich intelligente Lebensform. Und selbst wenn versuchte man deshalb keinen Kommissar umzubringen. Das war viel zu viel Aufwand bei zu viel Risiko. Dahinter musste noch mehr stecken.
Aaren ging weiter, blieb aber am Gipfel der Düne stehen und erstarrte. Er hörte ein Geräusch.
Es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass es ein Motor war. Und kein Bootsmotor.
Sofort begann Aaren den Horizont abzusuchen. Das Wasser hatte er vergessen. Selbst wenn es Leute des Gouverneurs wären um ihn endgültig
auszuschalten… vielleicht würde er mit ihnen fertig werden und könnte so von hier entkommen.
Das hieß wenn er Sonea überzeugen konnte ihm die Munition wiederzugeben. Aaren sah sich nach dem Wesen um, entdeckte aber nur noch ein leeres Stück Strand.
Bevor er sich deshalb jedoch Gedanken machen konnte, hörte er wieder etwas Neues. Weißes Rauschen…
Sofort durchsuchte er seien Taschen nach dem beschädigten Funkgerät, während am Himmel ein sich nähernder schwarzer Punkt sichtbar wurde. Endlich fand er was er gesucht hatte.
,, Hier ist Abundius Brady. Kann mich
irgendjemand hören?“
Aaren hätte das Funkgerät beinahe fallen gelassen. Der Mann hatte überlebt?
,, Ich bin hier. Und ich habe schon gedacht, ich wäre sie endlich los“
Langsam kam das Landungsshuttle in Sicht, schwebte über den Strand und setzte dann auf dem Boden auf. Seltsamerweise befand sich kein Symbol von Omnisphere auf dem Schiff, sondern das Wagenemblem des Elektorats. Eine Luke ging auf und drei Männer sprangen hinaus in den Sand. Zwei davon trugen die blau schwarze Uniform des Elektorats-Militärs. Die dritte war Abundius.
,, Verdamm, warum hat das so lange
gedauert? “ , rief Aaren, als er ihnen entgegenging, was die zwei Soldaten dazu brachte, kurz anzuhalten und sich verwirrt anzusehen. ,, Das sollte ein Scherz sein, verdammt ich bin halt aus der Übung.“ , sagte Aaren, während er die Sanddüne mehr hinunterrutschte als lief.
,, Ich glaube sie haben einiges zu Berichten.“ , meinte eine vierte Person aus dem Inneren des Landungsschiffs.