Krimis & Thriller
Das Tod der Kritikerin Teil XXII.

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"Das Tod der Kritikerin Teil XXII."
Veröffentlicht am 05. März 2013, 12 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Das Tod der Kritikerin Teil XXII.

Das Tod der Kritikerin Teil XXII.

Zeuge zwei

Zum Italiener trete ich voll der Hoffnung ein. Einer Gegenüberstellung steht aber unerwartet einiges im Wege, zwei Seiten einer Medaille, wie es so schön heißt: nämlich die Gastfreundlichkeit und Geschäftstüchtigkeit desselbigen. Er nötigt uns geradezu, zuerst einmal Platz zu nehmen. Wir kommen gar nicht zur Sprache unseres Anliegens.

Aber wenn es denn sein muss: „Können wir wenigstens einen Platz am Fenster haben?“

„Aber natürlich!“ Es klingt so, als wüsste er Bescheid, als wäre im klar, dass das mein Lieblingsplatz ist. Somit ist meine Hoffnung durch und durch gespeist. Aber als ich sitze, verfliegt diese Gewissheit schnell wieder, ich denke mir, entweder kennt er mich tatsächlich oder er sagt das stets, wenn ein paar Gäste Sonderwünsche äußern. So im Sinne, das habe ich doch gewusst, mir gleich gedacht, sehen Sie, ich habe es Ihnen doch schon von den Augen abgelesen, so dass der Betroffene gar nicht mehr weiß, ob er es überhaupt hätte äußern müssen, wenn nicht der Gastgeber es schon erraten und ungesagt seinen Wunsch erfüllt hätte.

Wir erinnern uns, er ist ein großer Psychologe.

Er bringt die Speisekarte.

„Wir sind nur kurz hier und wollen eigentlich mit Ihnen ein paar vertrauliche Worte wechseln, wenn es möglich ist“, sagt der Polizist.

„Copisko! Uno momento!”

Bevor er sich mir nur mehr vom Rücken her zeigt, rufe ich ihm noch zu: „Einen Espresso, bitte!“ Rumzusitzen und Däumchen zu drehen, bringt auch nichts.

„Mir halt auch!“, ergänzt mein Begleiter.

Dann dauert es immer noch seine Zeit, bis der italienische Gastgeber sich zu uns an den Tisch herbemühen kann oder will. Denn natürlich bringt eine Bedienung zunächst einmal die Bestellung.

 

Das gibt uns Gelegenheit, ein Gespräch zwischen Polizist und mir zu führen, auf das ich bestimmt lieber verzichtet hätte. Halt, es ist die falsche Formulierung, besser ist zu sagen, es ergibt sich einfach so.

Ich gebe es der Kürze wegen teilweise in der indirekten Form wieder.

Zunächst drücke ich meine Verwunderung darüber aus, dass ich nicht in Handschellen gelegt worden bin und bin noch mehr erstaunt, dass uns niemand von den Kollegen der Polizei begleitet. Erscheine ich denn als so harmlos? Muss ich nicht als potentieller Mörder betrachtet und behandelt werden? Was ist los mit dem Obersten Gebot der Polizei: Sicherheit.

Und die Ordnung! Mensch, wo lebe ich überhaupt?

Der Polizist lacht darüber. Ist das nicht unerhört?

„Warum lachen Sie denn?“

Der Blick, eine Mischung aus tiefen Ernst und Amüsiertheit, begleitet seine Worte: „Sie türmen mir schon nicht!“

„Was? Sie glauben mir nicht? Sie glauben mir nicht, dass ich türmen könnte?“

„Unser erstes Gespräch hat es bewiesen.“

Ich bin nahezu sprachlos: „Sie glauben doch dem nicht. Dem sein Hirn ist längst schon von Alkohol überschwemmt und von Koks zerfressen worden.“

„Hm!“, skeptisch.

„Ich sage Ihnen, ich b i n geflohen, vor dieser Frau. Ich h a b e mich vorzeitig aus dem Staub gemacht.“

„Wissen Sie, ich glaube nur, was ich sehe und bin bereit hin und wieder zu glauben, was man mir sagt. Aber in diesem Fall bin ich geneigt, in dieser Hinsicht dem Wirt es abzunehmen, was er da gestammelt hat. Wo keine Erinnerung, da kein Tatbestand!“

„So so!“

Er wendet immerhin jetzt ganz seinen Kopf zu mir und schaut mir tiefernst in die Augen: „Wollen Sie wirklich die Wahrheit hören?“

Ich verschränke die Arme vor der Brust: „Aber natürlich!“

„Gut, sie haben es so gewollt: Hören Sie zu, was ich von Ihnen denke. - Ich glaube Ihnen kein Wort hinsichtlich der toten Kritikerin. Sie haben niemanden umgebracht. Und das mit der Lehrerin ist wahrscheinlich nur ein Unfall gewesen. Aber Leichtsinnigkeit spielt schon mit. Dafür werden Sie sich verantworten müssen. - Ansonsten sind sie harmlos. Deswegen brauchen wir keine Begleitperson. Haha, Handschellen gleich gar nicht. Ich befürchte, dass Sie mir wohl länger erhalten bleiben, als mir lieb sein kann. Haha.“

Da hört sich doch alles auf. Hat man so etwas schon gehört? Ein Polizist, der sich nicht über einen Mörder freut. Im Gegenteil sogar. Da regt sich natürlich in mir umso stärkerer Widerstand.

„Glauben Sie das wirklich?“ Keine Frage, diese Frage stellt eine Provokation dar, zumal ich alle Kraft mobilisiert habe, um sie so zu modulieren, dass in ihr dafür die größtmögliche Kraft und Energie darin steckt. Aber sie schlägt kaum ein, diese beabsichtigte Bombe von einer Herausforderung.

Aber so niedergeschlagen worden, kann ich nicht auf mich sitzen lassen. Ein Pyrrhussieg muss wenigstens herausgeschlagen werden. Aha, ich weiß.

„Darf ich einmal austreten?“, frage ich jetzt unschuldig.

„Ha, ha. Sie bleiben schön sitzen, wo Sie sind.“

„Aber ich kann es nicht mehr aushalten.“

„Die paar Minuten werden schon gehen!“

„Aber, aber...“

„Dann muss ich Sie aber bis zum Klo begleiten.“

Das ist natürlich eine unschöne Option. Ich lasse es lieber, weil fäkalieren im Bewusstsein der Anwesenheit eines anderen mir ziemlich schwer fällt. Ich glaube, das erste Mal, dass ich Bedauern empfinde, dass ich nicht momentan nicht an einer kapitalen Diarrhö leide. Dem Gedanken eines solchen nun mit Freude und Wonnen erduldenden Leidens gebe ich mich in meiner Verletztheit eine Zeitlang hin: wie ich auf der Schüssel sitze, nebenan, vor der Klotür stehend der sich die Nase zuhaltende Oberkommissar... wunderschön.

Ich merke schon, der Oberbeamte gibt sich doch reserviert, zumindest hat er an dieser Stelle unser Sich-gegenseitiges-Hochschaukeln unterbrochen und unterlässt es, das Feuer weiter zu schüren. Kluger Mensch, denke ich mir, er ahnt wohl die Aussichten, haha.

Ich bin’s einigermaßen zufrieden, habe ich wenigstens einen Pyrrhussieg errungen und demjenigen, der kraft seiner sozialen Stellung in der stärkeren Position versetzt ist, eine Pyrrusniederlage, wenn es diesen Ausdruck gibt, beigebracht.

Fast könnte man ja sich als harter Typ träumen, so ein ultra-hartgesottener Brutalo, der, wie es die Werbung suggeriert, zu scharf und gefährlich ist, so dass er nur von der Öffentlichkeit weggesperrt und hinter Gittern gehört, sonst... Schwachsinne Wünsche, weiß der Teufel!

In der Folgezeit bin ich stattdessen hingebungsvoll mit der Beobachtung der hier ein- und ausgehenden Meute von Menschen, so muss man es schon sagen, beschäftigt, hinsichtlich der Frage: inwiefern steht der einzelne mit dem Maestro in Verbindung: Bekannter, Verwandter oder Freund. Ein schwieriges Unterfangen, wirklich!

 

Endlich. „So, jetzt bin ich für Sie da. Was kann ich für Euch tun, meine Herren?“, verkündet der Italiener großmütig, als er sich breitärschig neben uns auf einen Stuhl am Tisch niederlässt. Ist er für uns da, dann ganz, halb gibt es nicht, verkündet das großmütig.

Als der Polizist die Sache ausgesprochen hat, fixiert mich der italienische Freund eindringlich und nachgerade langatmig. Nun, das spricht wiederum gegen meine Hoffnung, erkannt worden zu sein. Oder aber ist diese Geste einfach gespielt übertrieben, längst schon hat er mich doch identifiziert? Denn natürlich, the Show must go on!

Und siehe da, es scheint mir, des Chefs pfiffiges Gesicht wird tatsächlich spitz. Zudem, dieses Funkeln in seinen Augen, das zu mir spricht: natürlich kennen wir uns, du und ich und deine verkorkste Signora damals. Wie sonst sehe ich einen Schalk aus ihm herausgrinsen?

Aber leider, er reagiert „natürlich“ dessen gegensätzlich. Er will mir helfen, dieser Freund. Er liest die Zeichen so, dass ich in der Patsche bin, von der Polizei natürlich bedrängt werde und das Letzte, was er will, ist, mich zu verraten. Verrat, nein, unter Freunden doch nicht.

„Ich habe Senior noch niemals gesehen in meinem Leben. Tut mir leid.“

Mein Hoffnung wird also so trügerisch enttäuscht. Ich falle aus allen Wolken. Das habe ich mir als letztes gewünscht. Mein Freund missversteht gründlich die Situation. Freund, Amico, nicht, nicht, so hör doch:   „Hören Sie, Sie müssen die Wahrheit sagen, unbedingt.“

Aber längst schon ist alles verloren. Er deutet natürlich diesen Satz von mir als bloße rhetorische Floskel, wie könnte es ja auch anders sein? Er tut so, was man ihm nicht verübeln kann, als verbete er sich entschieden jegliches ihm unterstellende Missverstehen-Wollen, macht dazu ein galantes, unverwechselbares, deutschsprachlich nicht wiederzugebendes: tz, unterstützt mit einem fremdartigen Reiben zweier Finger miteinander. Völlig fasziniert davon, sinniere ich, ob diese dentale Reibung der Konsonanten T und Z nicht durch diese gestische Reibbewegung verdeutlicht werden soll.

Ich hätte noch eine Chance, würde ich nämlich stärker insistieren, vielleicht lauter als der Umgangston es gebietet, damit er den Aufrichtigkeitston hinter meinen Sätzen heraushören könnte und ich so das Ruder noch einmal herumreißen könnte. Aber ich bin von des Mimen schauspielerischer Überzeugungskraft hin und weg und verpasse wohl den rechten Moment und das Schlüsselwort, um anzusetzen, ich kapiere bloß nach ein paar Sekunden, dass es vorbei, das Spiel aus ist und mir bleibt nur noch übrig, resigniert zu murmeln: „Ich verstehe!“

Belämmert lasse ich den Kopf fallen.

Meine Überzeugungskraft im Ton, wenn es denn eine gegeben hat, hat mein Amico schlichtweg der unangenehmen Präsens des Polizisten in die Schuhe geschoben, gedacht, va bene, bist ein guter Schauspieler, aber, Ragazzo, keine Angst, ich verrate Dich schon nicht, ich habe meine Erfahrungen mit der Obrigkeit, da brauchst Dich nicht zu ängstigen, oder mir etwas vorzumachen, ich weiß Bescheid. Er hat, kurzum meinen Appell völlig anders gedeutet: statt als aufrichtige Ausdruck der Angst, jetzt bitte die Wahrheit sagen, jetzt bitte nicht die Wahrheit sagen und mich zu verraten.

Ich war danach völlig am Boden zerstört.

Ich wusste überhaupt nicht mehr, wie es weitergehen sollte.

 

 

Buch erhältlich unter:

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