Kapitel 10 Requiem
Am nächsten Morgen wusste Aaren mit Sicherheit, dass er sterben würde. Als er es endlich schaffte, auch nur die Augen zu öffnen, blendete ihn die Sonne. Der Sand um ihn herum war warm, trotzdem zitterte er und seine Glieder wollten ihm nicht richtig gehorchen.
Ein Blick auf die Verletzung am Bein reichte Aaren. Mehrere rote Linien breiteten sich von dort aus und liefen sein Bein hinauf.
,, Oh Großartig.“ Der Klang seiner eigenen Stimme überraschte ihn, aber er wusste im nächsten Moment schon nicht
mehr warum. Irgendetwas stimmte damit nicht.
Aaren versuchte aufzustehen, was aber nur dazu führte, das e im nassen Sand landete. Sand, der ihn an etwas wichtiges erinnerte. Er hatte gestern nicht darauf geachtet, wo er einschlief…
Die Flutlinie…
Eine Welle überrollte ihn und spülte Aaren ein Stück den Strand hinauf. Nach Luft schnappend blieb er liegen wo er war. Wenigstens hatte das Wasser ihn kurz wieder klar denken lassen. Als er sich das Wasser aus den Augen wischte, stellte er fest, dass seine Haut viel zu warm war. Wie viel Grad Fieber ? Aaren entschied, dass er es gar nicht so genau
wissen wollte. Er glühte förmlich.
Irgendwie schaffte er es schließlich doch noch aufzustehen. Seine Beine zitterten,. Und nun war ihm nicht mehr kalt… stattdessen schien es ihm, als würde er innerlich verbrennen.
Aaren machte ein paar unbeholfene Schritte vorwärts…stolperte und fiel erneut in den Sand. Einen Augenblick wurde es schwarz um ihn, und als er die Augen dieses mal wieder aufschlug, war die Sonne verschwunden, ersetzt durch graue Wolken, die über ihm dahintrieben. Offenbar verschlechterte sich das Wetter wieder.
,, Seltsam.“ , er konnte sich später nicht erinnern, ob er wirklich sprach, oder die
Worte bloß Gedacht hatte, ,, Ich hatte immer Gedacht der Tot würde mir mehr Angst machen Sophie.“
Er wusste nicht, mit wem er eigentlich redete… Wer war Sophie? Er zwang sich, sich zu erinnern. Aber alles schien so Bedeutungslos. Seine Gedanken erschienen ihm wirr. Dafür sah er jetzt allerdings Formen im Sand und in den Wellen, die keinen Sinn ergaben. Und verschwanden, sobald er genauer hinsah. Auch seine Umgebung schien plötzlich bedeutungslos. Aber der Geschmack von Regen in der Luft…
Regen… und feuchte Erde. Es hatte tatsächlich Geregnet. Das Wasser lief
ihm in Strömen übers Gesicht, vermischte sich dort mit den Tränen. Die wenigsten Leute ließen sich noch in der Erde bestatten. Zumindest nicht auf dem dicht besiedelten Heimatplaneten der Menschheit. Aus Platz und Preisgründen wurden die meisten einfach verbrannt. Aber Aaren hatte das nicht gewollt.
Und so kam es, dass er nun auf einem kleinen Stück Rasen stand. Seine Schuhe sanken in den lehmigen Boden ein, der Regen hatte das schwarze Jackett das er trug vermutlich ruiniert. Und auch der Lilienstrauß in seiner Hand war bereits in Mitleidenschaft gezogen.
Vor ihm lag ein frisch geschlossenes Grab. Der Stein war noch nicht da,
stattdessen gab es ein schlichtes Holzschild. Kein Kreuz. Das hatte er abgelehnt. Er glaubte nicht an Götter und wenn er es je getan hatte… so lag diese Zeit jetzt in der Vergangenheit.
Aaren brauchte das Schild nicht mehr zu lesen. Er kannte die Inschrift, hatte sie in den letzten Stunden immer wieder studiert. Als könnte das alles ein Fehler sein, als hoffte er, das sich der Name darauf irgendwie änderte…
Die wenigen Gäste, die zur Beerdigung gekommen waren, waren längst wieder gegangen. Nur Aaren nicht. Schließlich ließ er sich auf die Knie sinken, legte den Blumenstrauß auf die frische Erde.
,, Ist schon komisch…“ Er musste eine
Pause machen. ,, Ich habe immer gedacht, dass ich es sein würde, der zuerst stirbt. Das Justizministerium ist nicht der sicherste Platz und jetzt….“
,, Ich weiß, was sie grade durchmachen Terrel.“
Aaren drehte sich um, entdeckte die grauhaarige Gestalt, die im Regen zu verschwimmen schein.
,, Bei allem Respekt… ich fürchte, das tun sie nicht Herr Minister. Ihre Mentalblocker…“
,, Ich nehme keine.“ , erwiderte der Mann. Eine Weile schweigen Beide.
,, Sie haben mir einen Posten als Kommissar angeboten.“ , begann Aaren schließlich. In der Ferne sah er den
niedrigen Zaun, der das Friedhofsgelände umgab. ,, Das waren sie, oder ?
,, Ich dachte nur…“ Der Minister klang fast entschuldigend.
,, Schon gut.“ Aaren folgte dem Verlauf des Zauns, dann wanderte sein Blick wieder zurück zum Grab. ,, Ich denke ich werde annehmen.“
,, Überlegen sie sich das gut. Ich möchte nicht, das sie…“
Er brachte den Minister mit einer Handbewegung zum Schweigen. Dann stand er langsam auf.
,, Ich will den Mann, der das getan hat.“
,, Aaren…“
,, Sie haben ihn noch nicht erwischt,
oder ?“
,, Nein, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Sie wissen, dass wir sie nicht einfach…“
,, Minister…“
,, Sagen sie Arthur.“
Er ignorierte das Angebot. ,, Minister. Mir ist egal, was sie dazu sagen. Ich frage sie nicht um Erlaubnis.“
,, Ich weiß.“ , erwiderte der Minister, als Aaren sich an ihm vorbeidrängte. Er sah ihm eine Weile nach, dann machte er sich selbst auf den Weg.
Aaren hatte nicht lange gebraucht um den Mann auswendig zu machen, den er suchte. Er arbeitete seit mehr als drei
Jahren für die Justiz des Elektorats, wenn auch nur als Bezirksaufseher, der immer noch der Gerichtsbarkeit anderer unterstand, nicht als Kommissar. Auf der Erde gab es praktisch keine größeren Verbrechen, aber es galt immer dafür zu sorgen, dass das auch so blieb. Die Agenten des Ministeriums lernten mit der Zeit Menschen mit wenigen Blicken einzuschätzen. Und wenn nötig auch mit wenigen Bewegungen unschädlich zu machen.
Und jetzt wartete er, vor einer etwas heruntergekommenen Hütte in den Randbereichen der Metropole. Der Mann, den das Elektorat verdächtigte, war erst vor wenigen Tagen hier angekommen…
und irgendwie durch die Sicherheitskontrollen geschlüpft. Ein auf mehreren Welten bekannter Drogenabhängiger, der auch verkaufte und schmuggelte, wenn sich die Gelegenheit bot.
Oder eben tötete…
Aarens Hände ballten sich zu Fäusten. Nein… er würde warten, bis der Mann rauskam und ihm dann eine Kugel zwischen die Augen verpassen. Die Waffe, mit einem Schalldämpfer versehen, befand sich in seiner Tasche. Das war alles, schwor er sich selbst.
Es gab nur wenige Anlaufstellen für Junkies, die sich Stoff besorgen mussten. Und das Ministerium kannte sie alle.
Ganz eindämmen ließ sich der Drogenhandel nie, aber wenn er nur an bereits bekannten Orten stattfand war das Elektorat in der Lage ihn einzuschränken und zu überwachen. Dachten sie zumindest.
Es hatte nicht lange gedauert, einige Kontakte zu befragen und herauszufinden, wo sich der Mann rumtrieb.
Mittlerweile regnete es nicht mehr, aber die Straße war immer noch nass. An einer Mauer ihm gegenüber prangte ein buntes Graffiti, das im Licht einer Stra0enlaterne schimmerte. Es war bereits dunkel geworden.
Aaren wartete zündete sich die letzte
Zigarette seines Lebens an. Nach zwei Zügen ließ er sie allerdings fallen und trat sie aus. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Tür des Hauses. Von dort waren jetzt stimmen zu hören.
,, Vergiss es.“ , rief eine offenbar wütende Stimme.
,, Hey Mann…du kannst mich nicht einfach so wegschicken.“
,, Und ob ich das kann. Komm wieder wenn du Geld hast.“
Die Tür wurde geöffnet und ein einzelner Mann taumelte heraus auf die Straße. Irgendwie war Aaren fast enttäuscht. Die wenigen Haare, die der Mann noch hatte standen ihm Wirr vom
Kopf ab. Die Augen wirkten gehetzt und schimmerten blass. Bleiche Haut…
Der Kerl war eine menschliche Ruine, dachte er. Vielleicht hätte er noch ein, zwei Jahre zu Leben… Nahm er seine Umgebung überhaupt noch richtig wahr? , fragte Aaren sich, während der Mann an ihm vorbeilief, ohne ihn auch nur zu bemerken.
Langsam folgte er ihm. Die Straßen waren verlassen, die Fenster der Häuser dunkel. Niemand würde ihn sehen.
Schließlich beschloss er, dass es genug war. Seine Hand zitterte nicht, als er stehenblieb, die Waffe hob und zielte. Ein Schuss und es wäre vorbei.
Aber etwas hielt ihn davon ab.
Stattdessen zielte er auf die Beine des Mannes. Und drückte ab.
Der Schalldämpfer machte den Schuss fast unwirklich leise.
Die Kugel durchschlug das Knie seines Ziels. Der Mann schrie auf, blieb kurz benommen liegen und versuchte dann, sich wieder aufzurichten und auf einem Bein weiter zu humpeln.
Einen Moment drehte er sich um, sah den Mann im ruinierten Jackett mit der Waffe in der Hand…
Aaren zielte erneut. Das noch gesunde Knie wurde von der Kugel zerfetzt. Niemand schein etwas zu bemerken… und wenn doch würden sie so tun, als wäre nichts, das wusste
er.
Jetzt versuchte der Mann wegzukriechen.
,, Was zur Hölle wollen sie ?“ , rief er, als er merkte, das Aaren langsam näher kam. ,, Hören sie… wenn Wilhelm sie schickt.. er bekommt das Geld…“
Aaren antwortete nicht, sondern trat ihn.
,, Ich habe…“
Ein weiterer Tritt. Dann riss er den Mann auf die Füße, hielt ihn aufrecht. Schmerz und Furcht schimmerten in seinem Blick, als er versuchte, sich gegen den stählernen Griff zu wehren.
,, Ich weiß nicht wer sie sind… aber…“
Aaren holte mit der Pistole aus, schlug ihn den Waffenkolben gegen den Kopf und stieß ihn wieder zu
Boden.
,, Bitte…“ , setzte der Mann an.
,, Hat sie das auch gesagt ?“
Der Mann sah ihn verständnislos an. Seine trüben Augen schienen begreifen zu wollen, was grade geschah. Aaren war es egal. Egal ob er verstand…
Er trat wieder zu. Eine Rippe brach.
Der Mann wimmerte jetzt nur noch. Aaren trat ein paar Schritte zurück. Er atmete schwer, wischte sich übers Gesicht, und stellte fest, dass seine Hände blutig waren. Genau wie seine Schuhe… Und der gesamte Rest auch.
Er hatte ihn doch nur töten wollen. Stattdessen…
Aaren hob langsam den Kopf. Blut lief
auf das Pflaster der Straße, zeichnete eine Spur hinter dem Mann her, der immer noch versuchte, wegzukommen.
Langsam hob Aaren die Waffe und zielte auf den Kopf seines Opfers. Er hatte dem Mann Unrecht getan. Ihn töten… das war eine Sache gewesen ja gut… aber das hier… das war zu weit gegangen.
Aus Unrecht wurde kein Recht. Ein Gedanke, der später zu seinem Leitspruch werden sollte.
Als er schließlich abdrückte und die Kugel den Kopf des Mannes durchschlug, empfand er kein Gefühl der Rache… für den Mann war es vermutlich eine Erlösung
gewesen.
Aaren drehte sich um und verschwand leise in der pechschwarzen Nacht. Dunkelheit, die ihn verschluckte und den Mann, der einmal Aaren Terrel gewesen war mit sich trug.
Schwärze. Mehr war da nicht. Dunkelheit, nur durchbrochen durch das Rauschen von Wellen…
Er blinzelte, sah Sand auf dem sich Mondlicht spiegelte. Eine weitere Welle brach sich am Strand und durchnässte seine Kleidung. Entweder war grade Flut oder er war aus undefinierbaren Gründen näher ans Wasser gelangt. Aaren hätte gelacht, wenn er dazu in der Lage
gewesen wäre. Vielleicht ertrank er ja, bevor ihn die Blutvergiftung umbrachte. Seine Erinnerung verblasste langsam. Was für eine Ironie. Vor sich sah er wieder das Gesicht des Mannes in der Nacht. Blutend und mit schrammen übersäht.
Fünf Jahre lang… Wovor war er weggerannt?
,, Vielleicht nur vor mir.“ Der Klang seiner eigenen Stimme erschreckte ihn. Irgendetwas am Rand seines Gesichtsfeldes zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Goldgelbe Punkte im Dunkeln.
Dann fielen seine Augen wieder zu. Erneut Schwärze. Diesmal tiefer und…
endgültiger.
Abundius trieb auf dem Wasser. Er wusste nicht mehr, wie er aus der Salmakis entkommen war. Auf dem Weg die Treppe hinauf hatte er im Wasser die Orientierung verloren. Und danach ? Das Wrack war abgerutscht, daran konnte er sich erinnern.
Irgendwann hatte er es dann doch geschafft, einen Ausweg aus dem Schiff zu finden. Das musste vor drei Tagen gewesen sein. Vielleicht auch vier.
Alles, was Abundius wusste war, das als er endlich die Oberfläche erreichte, weder von dem Schiff noch von der Insel noch
etwas zu sehen gewesen war. Nur Meilenweit Wasser und einige vereinzelte Trümmer, die er als Schwimmhilfe nutzen konnte.
Er war auf ein großes Stück weißen Kunststoff, der wohl einst zur Innenverkleidung des Schiffs gehört hatte, geklettert, das sein Gewicht über Wasser halten konnte.
Das Funkgerät hatte er irgendwo verloren, wie er schnell feststellte und auch ansonsten blieb ihm nicht viel.
Der einzige Grund, warum er die letzten Tage überlebt hatte, war eine kleine Flasche mit Wasser, die er, beinahe einer inneren Eingebung folgend, am Vortag der Expedition zur Salmakis eingepackt
hatte. Allerdings ging auch diese nun langsam zur Neige.
Er hatte bereits versucht, in Ermangelung irgendwelcher Landmarken, sich am Stand der Sonne zu orientieren. Ein vergebliches Unterfangen, ohne Kompass oder Uhr und noch dazu auf einem Planeten, dessen Tagesrhythmus er nicht kannte. Es mussten wohl annähern 24 Stunden sein, den einen größeren unterschied hätte er bemerkt. Hoffte er zumindest.
Was Abundius jetzt allerdings sah, ließ ihn stutzig werden. Zuerst hielt er es für eine Täuschung, weil er gezwungen war, direkt in die Sonne zu sehen. Ein kleiner Schatten am
Himmel.
Als der Schatten jedoch näher kam und er schließlich die Motoren hören konnte, wusste Abundius, das er sich nicht irrte. Das war ein Landungsshuttle… und es kam definitiv in seine Richtung.
Sein erster Impuls war es, irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. Dann jedoch erstarrte er. Das waren vielleicht Callahans Leute… und auch wenn es unwahrscheinlich war, das die ganze Hive-Station und Omnisphere in die Aktion des Gouverneurs eingeweiht waren, wie lange würde er überleben, wenn er zum Hive zurückkehre?
Andererseits… blieb er, würde er ebenfalls sterben und zwar sogar
sicher.
Das Landungsschiff war jetzt bereits ein gutes Stück näher und wurde langsamer. Während er noch die Arme hob um zu winken, wurde ihm klar, dass das Schiff abbremste. Sie hatten ihn gesehen.
Jetzt wurde es ernst. Nervös tastete er nach der Pistole, die Aaren ihm gegeben hatte. Er wusste nicht, ob die Waffe nach der Zeit im Wasser überhaupt noch funktionierte. Aber im Zweifelsfall war es besser als nichts. Das Shuttle kam direkt über ihm in der Luft zum Stehen, die schwenkbaren Düsen hielten es grade in der Luft.
Abundius stutzte. Das gibt es doch nicht, dachte er. Auf dem Unterboden des
Schiffs befand sich nicht etwa das orange Emblem von Omnisphere, wie er erwartet hätte… sondern das Symbol des Justizministeriums des Elektorats. Zwei Adlerfedern auf einer Waage. Ein Wappen, das das alte Zeichen mittlerweile fast überall ersetzt hatte.
,, Wollen sie da noch lange rumstehen ?“ , rief jemand von oben. ,, Sieht so aus, als hätten sie eine Menge durchgemacht.“
Abundius antwortete vor Überraschung nicht gleich, als ihm das Ende einer Strickleiter zugeworfen wurde. Er hatte ganz vergessen, wie sich andere Menschen anhörten. Und das nach nur… Waren es wirklich nur vier Tage
gewesen?
Dann jedoch fiel ihm etwas Wichtigeres ein… Aaren. Hatte der Kommissar es ebenfalls aus dem Wrack herausgeschafft?