Kurzgeschichte
Wenn du mal weg bist.

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"Wenn du mal weg bist."
Veröffentlicht am 02. März 2013, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Hi, ich bin Krysztyna, mache bald Abi. Von daher immer im Stress. Ich liebe Literatur, vor allem die der Postmoderne, Kunst und Musik. Romantik und Impressionismus sind am geilsten. Mein Klavier ist das Allerheiligste.
Wenn du mal weg bist.

Wenn du mal weg bist.

Beschreibung

Spuren hinterlassen, Anonymität.

Wenn du mal weg bist.

   Hallo. Ich bin Mali. Ich bin sieben. Meine Mama ist tot. Keiner hat sie gekannt. Jetzt ist sie weg, und nichts mehr ist von ihr da.

   Jetzt wohne ich auf der Straße. Es ist schön. Die Katzen sind meine Freunde und die Hunde auch und die Mäuse, aber die haben manchmal Angst. Das verstehe ich. Ich habe auch immer Angst vor den Großen.

 Es gibt ganz viele von ihnen. Den Großen. Sie hetzen morgens über die Straße und gucken nicht nach links und rechts und dann verschwinden sie irgendwo unter den anderen Großen. Alle sehen gleich aus. Sie haben alle Anzüge an und Hüte und glänzende Schuhe und tragen viereckige kleine Koffer unter dem Arm.

   Wenn man ganz genau hinschaut, sieht man, dass sie doch alle ein bisschen verschieden sind. Manche haben große Nasen und manche einen Bart und ein anderer hat ganz dünne Streifen auf dem Jackett und wieder ein anderer hat einen braunen Koffer.

   Aber wenn ich auf den Baum neben der Fußgängerzone geklettert bin und sie beobachte, sehen sie aus wie ein Haufen gruseliger Gestalten, die wie Roboter umeinander stürmen, ohne etwas zu sehen. Früher dachte ich, dass sie keine Augen haben und das unter ihren Hüten verstecken wollen. Mich hat auch noch nie einer entdeckt.

   Sie entdecken mich nicht einmal, wenn sie auf einer Bank sitzen und in meine Richtung schauen. Ich kann sogar ganz nah an sie ran, ohne dass sie sich rühren. Nur die Hand mit dem Kaffeebecher geht zum Mund und dann lässt sie ihn auf die Bank fallen. Und der Große steht auf und hat einen Kaffee getrunken, ohne sich bewegt zu haben.

   Meistens wenn sie weg sind, nehme ich dann den Becher und schreibe mit ein bisschen Erde darauf, wer ihn dort hingestellt hat. So etwas wie „groser mid roten bard“ oder „seer groser mid grauen schuen“.

   Und wenn ich am nächsten Tag auf die Bank schaue, ist der Becher immer weg. Das macht mir Angst.

 

   Abends rennen dann immer die gleichen Großen in genau die andere Richtung. Nur ein bisschen langsamer. Aber immer noch blind. Sie reden nie. Nachts ist es dann ganz still. Und die, die noch da sind, wissen nie, dass die anderen auch da waren.

   Einmal habe ich gesehen, wie abends einer auf eine Bank Pipi gemacht hat. Und als es nachts war, hat sich da ein anderer hingesetzt und es war ihm egal. Er hat Zeitung gelesen. Aber er hat sie nicht gelesen, sondern nur angeschaut, als sich ein anderer neben ihn gesetzt hat. Dann hat er sich ein Brot gekauft. Ich würde mir niemals ein Brot kaufen. Ich weiß nicht, wer es gebacken hat.  

   Den Mann mit dem Brot und der Zeitung hab ich früher immer gesehen. Und dann an einem Tag ist er nicht mit den anderen mitgerannt. Und am nächsten Tag auch nicht und am nächsten auch nicht. Und dann kam er nie mehr. Das ist manchmal so. Man sieht immer die gleichen Großen, bis irgendwann einer nicht mehr kommt. Und die anderen rennen trotzdem, ohne zu bemerken, dass er einer nicht da ist. Keiner weiß, dass er jemals da war. Dann ist nicht mal mehr sein Kaffeebecher da.

 

   Ich klettere von meinem Baum hinunter. Vor meinen Füßen liegt eine Maldose. Ich kenne diese Dosen. Die sind toll. Man drückt oben auf einen Knopf und dann kommt eine Farbfontäne raus. Das macht Spaß.

   Ich gehe zu einer Wand und drücke auf den Knopf. Ganz langsam sprühe ich meinen Namen an die Wand. M – A – L …

   „Was machst du da?“, ruft eine empörte Stimme hinter mir. Ich drehe mich um. Vor mir steht ein Großer, mit einer tiefen Falte auf der Stirn.

   Ich habe Angst. Aber ich frage ihn: „Und was bleibt von dir da, wenn du mal weg bist?“

Bild

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Hörbuch

Über den Autor

Krysztyna
Hi, ich bin Krysztyna, mache bald Abi. Von daher immer im Stress.
Ich liebe Literatur, vor allem die der Postmoderne, Kunst und Musik. Romantik und Impressionismus sind am geilsten. Mein Klavier ist das Allerheiligste.

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AutorNom Bin heute eher zufällig drauf gestoßen und muss sagen: ganz toll. Wenn sich andere über Wortwahl wundern, dann scheinen sie den Inhalt zu vergessen und die Botschaft. Ein Literaturprofessor mit viel Lebenserfahrung und 70- jährig würde solche Eindrücke sicher nicht haben wie die Kleine. Gefällt mir wirklich.
LG
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
RSchulz Das finde ich großartig. Endlich bewegt mich mal was. Ich freue mich sehr darüber. R.
Vor langer Zeit - Antworten
Carolyn2 Deine Geschichten gehen unter die Haut!

LG

Dörte
Vor langer Zeit - Antworten
Zeitenwind Entdeckt - Eine ganz große kleine Geschichte, die ich hier entdeckt habe. Toll gemacht und so wahr. Kinderaugen sehen das. Man denkt nicht darüber nach ... nicht immer, aber es ist tatsächlich so wie Du das hier beschrieben hast. Für mich ein Favo. Super ...

Gruß vom Trollbär
Vor langer Zeit - Antworten
Krysztyna Re: Mich hat ... -
Zitat: (Original von PhanThomas am 05.03.2013 - 16:44 Uhr) ... jetzt erst mal der Kaffeebecher auf dem Cover angelockt, geb ich zu. Was mit Kaffee kann nie verkehrt sein. Und recht habe ich behalten. Wow, was 'ne tolle Geschichte! Zugegeben, für eine Siebenjährige ist sie ein wenig sehr wortgewandt, zumindest stellenweise, und wie sie mit Erde die Worte auf den Becher geschrieben bekommt, frag ich mich auch (streuen geht ja nicht, dafür wären die Becher zu klein), aber davon abgesehen ist das eine durchweg runde Geschichte mit ganz starker Aussage. Jeder fragt sich doch, was mal bleibt, wenn man weg ist. Und wer sagt, dass ein bisschen Farbe an der Wand weniger wert ist, als ein großes Denkmal? Schön ruhiger Text, der nachdenklich stimmt.

Viele Grüße
Thomas


Vielleicht hätte ich statt Erde Matsch schreiben sollen. Ich hab bei ner Großstadt immer automatisch ein schmieriges und regnerisches Bild vor Augen, keine Ahnung, warum.
Ist einfach ne clevere Siebenjährige.;) Nein Quatsch, ich hab mich einfach nicht ganz getraut, die Sprache komplett abzustumpfen. Ausschließlich Parataxen wären ja mega ätzend und so ne ganz karge Wortwahl ist mir persönlich irgendwie zu flach. Aber eigentlich war mir die Sprache im Verhältnis zur Aussage relativ egal, und die kam ja offensichtlich an.;)

Danke! Liebe Grüße, Krysztyna
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Mich hat ... - ... jetzt erst mal der Kaffeebecher auf dem Cover angelockt, geb ich zu. Was mit Kaffee kann nie verkehrt sein. Und recht habe ich behalten. Wow, was 'ne tolle Geschichte! Zugegeben, für eine Siebenjährige ist sie ein wenig sehr wortgewandt, zumindest stellenweise, und wie sie mit Erde die Worte auf den Becher geschrieben bekommt, frag ich mich auch (streuen geht ja nicht, dafür wären die Becher zu klein), aber davon abgesehen ist das eine durchweg runde Geschichte mit ganz starker Aussage. Jeder fragt sich doch, was mal bleibt, wenn man weg ist. Und wer sagt, dass ein bisschen Farbe an der Wand weniger wert ist, als ein großes Denkmal? Schön ruhiger Text, der nachdenklich stimmt.

Viele Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Krysztyna Re: -
Zitat: (Original von maninkka am 03.03.2013 - 14:01 Uhr) Abgesehen von ein oder zwei Wörtern, die nicht in den einfachen Schreibstil passen, habe ich auf Anhieb nichts zu bemängeln. Die Geschichte ist einprägsam und ansprechend, die Monotonie des Herumgerennes der 'Großen' spiegelt sich wunderbar im Satzbau.
Gleich mal sehen, ob Krysztyna noch mehr geschrieben hat :)

LG
maninkka


Diese wären? Das ließe sich sicher austauschen.

Dankeschön!;)

Liebe Grüße,
Krysztyna
Vor langer Zeit - Antworten
Markus Re: Re: Das ist doch einmal eine gute Geschichte -
Ja aber das gefällt mir ja, wenn sich jemand ins Kindesalter und -psyche hineinversetzen kann und auch will.
(meine Pappkrone ließ ich auch schon vom Kopf rutschen,muß beim letzten Kinderfasching gewesen sein)
lieben gruss
markus

Zitat: (Original von Krysztyna am 03.03.2013 - 18:01 Uhr)
Zitat: (Original von Markus am 03.03.2013 - 17:49 Uhr) die auch sprachlich gut gelungen ist (ohne...)
lieben gruss
markus der 1950er


Haha, ich muss grad wirklich lachen;)
Da ich versucht habe, die Sprache eines oder einer Siebenjährigen zu übernehmen, ist das Vokabular zwar nicht gerade bis ans Maximum der deutschen Wortvielfalt ausgereizt, aber es scheint Ihro Gnaden doch eher zufriedenzustimmen als ..., gell?;)
Dankeschön, lieber 1950er-Markus!;)

Ganz liebe Grüße,
Krysztyna

Vor langer Zeit - Antworten
Krysztyna Re: die Anonymität... -
Zitat: (Original von PAHU am 03.03.2013 - 12:58 Uhr) manchmal scheint es, als liefen seelenlose Hüllen durch die Gassen.
Belebte Fußfängerzonen und doch leblos. Einheitsdenken, Erfolgsanbetung haben gnadenlos Einzug gehalten. Was nicht in dieses Schema passt, wird mit dem Stempel "wertlos" versehen und ignoriert oder verbannt. Die Indivudualisten sind nicht mehr gefragt, stören nur.
Und das Herz? Wo ist das Herz geblieben?

Sei lieb gegrüßt
Paul


Ja genau. Individualismus ist zumindest in den Industrieländern ein Fremdwort. Alles ist einheitlich. Du bekommst nirgendwo ein Regal, das nicht ein anderer sonst schon hat und keine Schuhe, die nicht irgendeiner irgendwo anders auch trägt.
Das macht die Welt total farblos. Ich finde das mega schade. Deshalb bastel ich mir ziemlich viel selber, das macht super viel Spaß und du kannst davon ausgehen, dass es kein anderer hat;)

Liebe Grüße,
Krysztyna
Vor langer Zeit - Antworten
Krysztyna Re: Das ist doch einmal eine gute Geschichte -
Zitat: (Original von Markus am 03.03.2013 - 17:49 Uhr) die auch sprachlich gut gelungen ist (ohne...)
lieben gruss
markus der 1950er


Haha, ich muss grad wirklich lachen;)
Da ich versucht habe, die Sprache eines oder einer Siebenjährigen zu übernehmen, ist das Vokabular zwar nicht gerade bis ans Maximum der deutschen Wortvielfalt ausgereizt, aber es scheint Ihro Gnaden doch eher zufriedenzustimmen als ..., gell?;)
Dankeschön, lieber 1950er-Markus!;)

Ganz liebe Grüße,
Krysztyna
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