Kapitel 8 Schiffbrüchig
Aaren und Abundius standen einfach nur eine Weile stumm vor dem Durchgang zum Nebenraum.
Keiner sagte etwas. Die schwache Beleuchtung des Raums erhellte ihre Gesichter und lediglich das Summen der Schiffsgeneratoren unterbrach die Stille.
,, Hat er deshalb solche Angst gehabt, das wir uns hier umsehen ?“ , fragte Abundius, als er seine Sprache wiederfand.
,, Der Stromausfall muss es fast getötet haben.“ , murmelte Aaren, während er einen Schritt in den Raum
hineintrat.
Das Innere wurde zur Hälfte von einem großen Wassertank, ähnlich denen weiter vorne auf dem Labordeck, eingenommen. Das Becken hier allerdings war nur notdürftig beleuchtet. Schwebeteilchen trieben durch die Lichtstrahlen und etwas Großes schwebe im Halbdunkeln im Wasser.
Das erste was Aaren auffiel waren die halb geschlossenen goldenen Augen. Sie wirkten beinahe teilnahmslos, folgten aber kaum merklich jeder seiner Bewegungen. Es stellte sich schlafend oder tot, wie ihm langsam klar wurde. Aaren weigerte sich darüber nachzudenken, was das bedeuten konnte.
Trotz aller Fremdartigkeit wirkte es erstaunlich Humanoid. Und war ganz offenbar Intelligent…
Der Kopf selbst war mit kaum sichtbaren silbrigen Schuppen besetzt und besaß eine ovale Form.
Haare trieben in einem wirren Kreis um den Kopf, bei denen es sich aber auch nur um eine optische Täuschung handeln konnte. Und es besaß deutlich sichtbare Kiemen am Hals.
Zwischen den sieben Fingern, die letzten zwei bestanden hierbei lediglich aus kleinen Knochenkanten, befanden sich durchscheinende Schwimmhäute. Das gleiche mit den Füßen.
Der Körper war schlank. Die unwirtlich wirkenden Haare fielen fast wie Kleidung über die Brust.
Geschlechtsmerkmale gab es ansonsten keine, auch wenn die Form auf ihn definitiv weiblich wirkte. Vielleicht interpretierte er auch nur zu viel.
Etwas, das auf ihn wie eine Große Flosse wirkte, spannte sich wie ein Schemen um das Wesen im Tank.
Plötzlich öffnete es die Augen musterte ihn mit der Geduld eines Raubtiers, das sich die Haare in seinem Nacken aufstellten. Hinter den blassen Lippen verbargen sich kleine, aber spitz zulaufende Zähne.
Das Ding war definitiv bösartig. Er schüttelte sofort den Kopf bei dem Gedanken. Nichts war einfach so böse. Die Mentalblocker fehlen wirklich.
Narben verunstalteten die Arme und Aaren warf einen beunruhigten Blick zu der Reihen von Reagenzgläsern, die auf einem Tisch gestanden hatten, bevor sie der Sturm umgeworfen hatte.
Scherben lagen über die Arbeitsplatte neben dem Wassertank verteilt. Schwarz Rote Flüssigkeit war darüber gelaufen und dort geronnen .Das war Blut, wie ihm klar wurde. Und in Zusammenhang mit den Narben des Wesens…
,, Ein Tier ? Bitte sagen sie mir, dass
das nur ein Tier ist.“ Aarens eigene Stimme klang einen Moment ungewohnt für seine eigenen Ohren. Panisch. Er hatte mit allem gerechnet. Nur ganz sicher nicht mit dem, was er nun tatsächlich gefunden hatte.
Abundius sah dem Wesen lange in die Augen. Furcht blitze plötzlich darin auf, ersetzte die Wut. Dann verschwand es im trüben Dunkel des Wassers
. ,, Das bezweifle ich.“ , meinte er schließlich düster.
,, Deshalb hatte er solche Panik ? Ich meine das ist…“ Vielleicht nicht unbedingt das, was er als ethisch richtig ansah, aber wie Aaren klar wurde, kein Grund für das Elektorat gegen den
Gouverneur vorzugehen. Es gab hierfür soweit er wusste nicht einmal Gesetze…
Er würde sich später darüber Gedanken machen.
,, Callahan wird mir einige Fragen beantworten.“ , meinte Abundius und griff nach seinem Funkgerät. Zum ersten Mal schien er wütend. Aaren wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er wünschte wirklich, er hätte die Mentalblocker dabei. Dann wäre alles einfacher und er könnte klarer Denken. So aber blieben ihm nur die Tabletten, die ihm der Kapitän gegeben hatte.
,, Kein Signal.“ , stellte Abundius wütend fest und kickte das Gerät in eine
Ecke.
,,Was immer es ist, es hat sich bestimmt nicht einfach so fangen lassen.“ , meinte Aaren. Die erhöhte Unfallrate bei den Arbeitern… ein Paar Puzzleteile fielen an ihren Platz. Auch wenn er bezweifelte, dass die Männer von Omnisphere alle gewusst hatten was sie taten.
,, Das ist doch jetzt nebensächlich…Das ist einfach nur krank“. Ein funkeln erhellte Abundius Augen. ,, Wusste das Elektorat hiervon ?“ , seine Stimme war gefährlich leise.
,, Was ?“
,, Stellen sie sich nicht dumm. Wusste das Elektorat, was hier vor sich
geht?“
,, Das ist Blödsinn. Sie lassen zu, das ihre Wut ihr Urteilsvermögen trübt.“
,, Ach ja ? Wissen sie was, das ist mir Scheißegal. Wissen sie was ich glaube? Ein bisschen weniger Vernunft würde ihnen ganz gut tun. Ihre verdammten Mentalblocker erfüllen doch nur die Aufgabe, sie emotionslos zu machen, weil sie es sonst nicht ertragen könnten. Wenn hier jemand verblendet ist, dann sind sie das. Sie und das ganze verdammte Elektorat.“
Das reichte Aaren. Er wusste nicht, ob es an der seltsamen Situation lag, den Entzug der Mentalblocker oder aus seiner Angestauten Abneigung gegen den Mann.
Vielleicht eine Mischung aus allen drei. Aber er schlug ihn.
Der Hieb traf Abundius unvorbereitet und fegte ihn fast von den Beinen. Langsam richtete er sich wieder auf. Der Mann spuckte Blut.
,, Ist das alles, was ihnen bleibt ?“ , fragte er die Lippen zu einem grausigen Lächeln verzerrt.
,, Vorsicht.“ , meinte Aaren. Fast ohne es zu merken hatte er die Pistole gezogen und zielte auf Abundius.
,, Was wollen sie machen ? Mich erschießen? Nur zu!“
Eine Bewegung zu seiner rechten zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die zerbrechlich wirkende Gestalt hinter dem
Glas schien sie zu beobachten. Nein… beobachtete sie garantiert, berichtigte er sich selbst. Aber diesmal weder mit Hass oder Angst… sondern mit verstohlener Neugier. Ihm wurde schlecht, als er diese Art der Neugier erkannte. Es war dieselbe, die die Leute immer zusammentrieb, wenn ein Kommissar ein Todesurteil vollstreckte.
Seine Hand begann leicht zu zittern. Was zur Hölle dachte er sich dabei?
Unwirtlich langsam ließ Aaren die Waffe sinken. ,, Reißen sie sich zusammen.“ , sagte er und wusste nicht, ob er sich selbst oder Abundius meinte.
,, Sie sind ein verdammter…“
In diesem Moment ging eine
Erschütterung durch das Schiff, die beide von den Füßen riss. Die Welt schien zur Seite zu kippen und von irgendwo her kam das Geräusch zerreißenden Metalls.
Wasser, das durch die Tür in den Raum strömte, schlug Aaren entgegen, als er sich wieder auf die Füße kämpfte. Er schluckte und schmeckte Salz. Eine weitere Erschütterung brachte ihn beinahe erneut zu Fall. Explosionen, stellte sein verwirrter Verstand fest. Sie wurden beschossen.
Es überlief ihm Eiskalt. Gouverneur Callahan ging offenbar kein Risiko ein… Aber irgendetwas stimmte ganz und gar
nicht.
,, Was war das ?“ , rief Abundius über das Rauschen des Wassers hinweg.
Langsam wurde Aaren klar, was ihn störte. Der gesamte Raum lag Schief. Und das bedeutete…
Ein weiterer Ruck. Der Raum geriet noch weiter in Schräglage. Er stand nun halb auf der Wand, um das Gleichgewicht noch zu halten.
,, Das Schiff rutscht ab.“ , rief er. ,,Wir müssen hier raus.“
,, Was ist damit ?“ , reif Abundius und deutete auf den Tank. Aaren zögerte und blieb stehen.
,, Dafür haben wir jetzt wirklich keine Zeit. Nebenbei bemerkt wissen wir nicht,
ob und das Ding nicht auffrisst.“
,,Ernsthaft ?“
,, Ach verdammt...“ Er winkte ab. Der Wasserspiegel stieg beunruhigend schnell und wenn das Schiff noch mehr in Schieflage geriet würde es sie einfach mit in die Tiefe reißen.
,, Es gibt bestimmt eine Möglichkeit den Tank zu öffnen.“
,, Und ob.“ , erwiderte Aaren und hob die Waffe. Das Wasser im Raum war bereits knietief und wenn er das Glas zerschoss… ,, Sie wissen, dass der Raum dann vollkommen unter Wasser steht ?“ , fragte er Abundius.
,, Ich war noch nie ein guter Schwimmer.“ , erwiderte
er.
,, Dann lernen sie besser schnell oder ertrinken.“ Er zog die Tabletten aus seiner Tasche und warf sie dem Mann zu. ,, Hier. Also, bereit?“ , fragte er während er auf die Glasscheibe anlegte.
,, Was kümmert sie das ?“ Ein weiterer Ruck der das Wrack zum Schwanken brachte und dafür sorgte, dass nur mehr Wasser eindrang.
Er antwortete nicht sondern drückte lediglich den Abzug der Waffe dreimal durch. Das Glas hielt der ersten und auch der zweiten Kugel stand, auch wenn sie es durchschlugen, die dritte lies es jedoch in dutzende von scharfkantigen Scherben zerbersten, die sofort vom
Wasser mitgerissen wurden.
Aaren warf sich zur Seite, bevor die Flutwelle mit den Glasklingen ihn erfassen konnte. Es gelang ihm jedoch nicht ganz. Ein Splitter erwischte ihn am Bein und Schnitt die Wade auf voller Länge auf. Aaren unterdrückte einen Schmerzensschrei und kämpfte sich wieder an die Wasseroberfläche.
Wo war das Wesen aus dem Tank?
Ein silbriges Schemen im Wasser. Er streckte eine Hand in die Richtung aus, was damit quittiert wurde, das es danach Schnappte. Ein Kopf tauchte einen Moment aus dem Wasser auf.
Goldenen Augen musterten sie einen Moment und verschwanden dann wieder.
,,Nur
raus hier“ , rief Aaren Abundius zu, bevor das Wasser über ihnen zusammenschlug. Sie hatten zu lange gewartet, wie ihm klar wurde. Er suchte im trüben Wasser nach der Tür. Sich im Wasser auflösende Papiere trieben umher. Die Lampen an der Deck brannten wenige Sekunden später durch, als das Salzwasser sie ebenfalls erreichte. Bis auf das schwache Licht der Taschenlampe war nun endgültig alles dunkel.
Jemand zog ihn an der Schulter. Abundius. Er deutete grob in eine Richtung. Das Schiff schien sich erneut zu bewegen.
Aaren schwamm los, in dem Wissen, das
ihnen im besten Fall wenige Minuten blieben, bis das Schiff endgültig im Abgrund verschwand. Und da war auch endlich die Tür.
Mit der Beinverletzung war es schwer richtig zu schwimmen. Und das Salzwasser, das sich in die Wunde zu fressen schien, machte die Sache nicht grade besser.
Er zog sich in den Hilfskontrollraum, der noch nicht völlig unter Wasser stand und tauchte einen Moment auf. Abundius erschien neben ihm. Bald wäre auch dieser Raum völlig überflutet.
,, Wir müssen irgendwie nach draußen.“
Abundius nickte. Für den Augenblick zählte nur
das.
,, Wo ist eigentlich unser neuer Freund abgeblieben ?“
,, Weiß ich nicht und es ist mir auch egal.“ , antwortete Aaren. ,, Wir ertrinken wegen dem Ding noch.“ Dann, als hätte er es fast vergessen fragte er noch: ,, Schaffen sie es?“
,, Hätte nicht gedacht, dass sie das noch kümmert.“
Wortlos tauchte Aaren wieder ab. So brauchte er sich zumindest nicht mit dem Mann auseinandersetzen. Sie durchschwammen die vollkommen unter Wasser stehende Halle mit den Wasserbecken. Es hatte etwas Surreales für Aaren die kleinen Fische, Algen und
Wasserpflanzen jetzt noch durch eine Glasscheibe zu betrachten. Vor sich konnte er endlich das Treppenhaus erkennen, durch das sie ursprünglich hierher gelangt waren. Nur, das er es nun aus der seltsam verzerrten Perspektive betrachtete, die die Schräglage der Salmakis verursachte. Seine Lungen brannten bereits. Auftauchen. Das war der einzige Gedanke, der ihn noch antrieb. Irgendwie musste er nach oben.
Aaren versuchte sich selbst zur Ruhe zu zwingen. Das Wasser erschwerte es irgendetwas zu erkennen und seien Augen tränten. Oben… aber wo genau war das
jetzt?
Er tastete umher und fand das Geländer der Treppe. Langsam, um sich nicht wieder in der Dunkelheit zu verlieren, schwamm er daran entlang nach oben. Aber lange würde das nicht mehr gut gehen, dachte er bei sich. Vor seinen Augen tanzten bunte Schemen, sein Blickfeld verengte sich bereits bedenklich…. Und all das während er mit stoischer Gelassenheit dabei zusah. Vielleicht war er nach all den Jahren nicht mehr dazu fähig echte Panik zu empfinden, selbst kurz vor dem Tod.
Es war beinahe lächerlich.
Und dann durchbrach sein Kopf doch die Wasseroberfläche und er schnappte nach
Luft. Das erste, was er tat sobald sein nach Luft ringender Körper es zuließ war lachen. Er würde es später auf den Sauerstoffmangel schieben. So schnell es ihm möglich war, stand Aaren wieder auf. Er war noch immer auf dem Schiff. Auf dem ersten Deck, um genau zu sein. Durch die zersplitterte Decke schienen die letzten Sonnenstrahlen herein. Und Abundius war nirgends zu sehen. Er war allein…
Grade, als Aaren wieder auf die Füße kam, ging ein letzter Ruck durch das Wrack. Die Welt kippte erneut zur Seite, diesmal jedoch in unglaublicher Geschwindigkeit. Der Abendhimmel in der Lücke verschwand, kurz sah er die
kleine Insel, dann Wasser, als das Schiff endgültig zur Seite kippte.
Ohne lange nachzudenken, nutz er die Gelegenheit, rettete sich mit einem Hechtsprung nach draußen… und wurde erneut unter Wasser gedrückt, als das Schiffswrack ihn ein Stück weit mit in die Tiefe riss.
Als Aaren es endlich schaffte aufzutauchen, gab es um ihn herum nur noch aufgewühltes Wasser und einen schwachen rötlichen Schimmer am Horizont. Sonst war alles verlassen. Keines der beiden Schiffe zu sehen.
Aber vermutlich war das auch besser so, dachte er. Er würde sonst kaum noch viel länger
überleben.
Langsam schwamm er in Richtung der Insel. Die Verletzung an seinem Bein brannte. Er würde sich darum kümmern müssen.
Und Abundius…. Wer wusste, was mit dem passiert war. Ein kleiner Teil von ihm bedauerte es, den Mann vorhin geschlagen zu haben. Der größere Teil jedoch war nur darauf konzentriert, nicht unterzugehen und an Land zu kommen.