Kapitel 4 Das Meer
,, Wie ist der Status des Schiffs jetzt ?“ , wollte Aaren wissen.
,, Die Salmakis ist vor gut zwei Stunden in einen Sturm geraten.“ , wiederholte der Gouverneur.,, Die Ionosphäre des Planeten macht Funkverkehr leider recht schwierig , von Radar ganz zu schweigen und bei diesen Wetterbedingungen…“ Er machte eine ausladende Handbewegung in Richtung des Fensters. Draußen war das, jetzt in Dunkelheit gehüllte, Meer noch aufgewühlter als sonst. Wellen, die beinahe bereits die Unterkante der Hive.
Plattform erreichten krachten gegen die Schilde, die der Wucht der Naturgewalten nicht mehr völlig standhalten konnten. Jede Welle brachte die Station leicht zum Zittern. ,, Es wäre Selbstmord ein Schiff da rauszuschicken, selbst mit Sturmschilden. Es tut mir leid, aber sie werden bis Morgen warten müssen.“
Callahans Büro war ein großer Raum, der sich in einer de oberen Etagen des Verwaltungsbezirks befand. Neben dem Fenster befanden sich mehrere Regale mit Büchern, die meisten klassische Literatur, wie Aaren feststellte. Die Odyssee, Ilias, einige Dichter. Nur bei einem Buchtitel hielt er inne.
,, Ordnung und Licht- eine Abhandlung über die Grundfesten des Elektorats.“ Er wendete sich vom Schreibtisch und dem Gouverneur ab und zog das Buch aus dem Schrank.
,, Das ist nicht grade die Art von Literatur, die ich hier finden sollte.“ , sagte er.
,, Das Elektorat hat das Werk nicht zensiert. “, entgegnete der Gouverneur. ,, Das Elektorat zensiert nie etwas.“ Es klang beinahe spöttisch.
,, Nein… aber sie sollten es auch nicht offen rumstehen haben.“ , erwiderte Aaren, der die Seiten durchblätterte. Das Buch war eine ältere Ausgabe. Statt dem
vollen Autorennamen oder einer Kurzbiographie befand sich an der entsprechenden Stelle nur das Wort Nemo. Niemand. Das Elektorat versuchte seit fast zehn Jahren herauszufinden, wer diesen Text geschrieben hatte. Einige vermuteten, es müsste ein Interner gewesen sein, der aus irgendeinem Grund Schaden anrichten wollte.
,, Was wollen sie tun, mich verhaften ?“ Es klang beinahe wie eine Aufforderung.
,, Wir sind Gerecht. Auch wenn es… Narren gibt, die immer wieder das Gegenteil behaupten.“
,, Vielleicht sind sie ja der Narr. Und nur zu Blind es zu sehen. “ , erwiderte Callahan. ,, Oder glauben sie wirklich
dann würde das Elektorat noch so etwas wie Kommissare brauchen ?“
,, Wir sind Gesetzeshüter nicht mehr.“ , entgegnete er.
,, Wenn das nur alle so sehen würden. „
Aaren las schlug das Buch an einer Stelle auf. Er kannte den Text, zumindest Auszugsweise.
,, Das ist ein einziger Aufruf zur Anarchie.“
Aaren stellte das Buch zurück.
,, Ist Anarchie nicht besser als totale Stagnation ?“
,, Wie meinen sie das ?“
,, Ich meine, das die Gesellschaft auf den Zentralwelten erstarrt ist.“
,, Aber sie sind
frei.“
,, Frei ? Das Elektorat erstickt die Gesellschaft mit Regeln und ihrem Wahn von Ordnung. Es gibt Gesetze… und es gibt Wahnsinn der vorgibt Gesetz zu sein. Und der Unterschied ist manchmal ein sehr feiner.“
Aaren beschloss, das Gespräch zu beenden, bevor der Gouverneur tatsächlich noch etwas sagte, das ihn…. Zum Handeln zwingen würde.
,, Ich werde einfach so tun, als hätte ich das alles nicht gehört.“ Er wendete sich zum Gehen. ,, Ich erwarte, dass morgen früh ein Schiff bereit steht um uns zur Position der Salmakis zu bringen. Und das Wetter, ist mir dabei vollkommen
egal.“ In einem Anflug von Wut, den auch seine Mentalblocker nicht ganz unterdrücken konnten fügte er noch hinzu. ,, Ordnung und Licht.“
Kurz sah es so aus, als würde der Omnisphere-Gouverneur nichts erwidern. Dann jedoch wiederholte er düster: ,, Ordnung und Licht. Ich werde sie morgen begleiten.“
Aaren schloss die Tür hinter sich.
,, Hey.“ Wusste der Teufel, wie Abundius ihn im Gewirr der Gänge gefunden hatte. Der Mann schien ein Talent dafür zu haben, immer dann Aufzutauchen, wenn es am wenigsten
passte.
,, Ich bin Müde, verschonen sie mich also bitte.“
,, Wie ist das Gespräch mit dem Gouverneur gelaufen ?“
,, Gut.“ Er beschleunigte seine Schritte etwas, in der Hoffnung Abundius abzuschütteln.
,, Das heißt es geht bald los ?“
,, Ja.“
,, Ich verstehe.“
,, Das bezweifle ich stark.“
Eine Weile liefen sie schweigend durch die Gänge des Hive, ab und an auch über einen großen Platz. Treppen hinauf und wieder hinab. Aaren achtete nicht darauf, wohin ihn seine Füße trugen, er
wollte einfach nur Abundius irgendwie loswerden. Sie überquerten erneut einen offenen Platz mit Glasdach. Hier befanden sich mehrere Casinos und die Omnisphere-Arbeiter die noch etwas Lohn übrig hatten verprassten ihn hier wohl großzügig.
Abundius wurde nicht langsamer, sondern blieb ihm weiterhin dicht auf den Fersen.
Schließlich hatte Aaren genug.
Mit einem Ruck blieb er stehen, drehte sich um und packte Abundius an den Schultern.
,, Was zur Hölle wollen sie eigentlich ?“ , schrie er. Einige der Umstehenden blieben wie erstarrt stehen und plötzlich
sah er Angst in Abundius Augen aufflackern. Angst… nur einmal sollte der Mann wissen, was das bedeutet. ,, Was wollen sie hier überhaupt ?“ , wiederholte er , diesmal leiser.
Abundius schien keine Antwort einzufallen, als auf die Hand zu starren, die ihn gepackt hielt. Auf seine Linke.
,, Sie sind verheiratet ?“ , fragte Abundius, als würde er die Antwort schon kennen.
Er trat ein paar Schritte zurück und ließ ihn los, als hätte er sich verbrannt.
,, Ich war es. Sie ist tot.“
,, Das ist es also ? Das ist alles?“
,, Was hatten sie erwartet ? Eine dunkle Familiengeschichte, oder politische
Intrigen ? Nein, der einzige Grund,“ er packte den Mann wieder, sorgte dafür, das er jedes Wort hören und bis an sein Lebensende nicht mehr vergessen würde. ,, Der einzige verdammte Grund, aus dem ich zur Kommission ging ist, das ich nicht mehr darüber nachzudenken brauche, was hätte sein können. Damit andere nicht das gleiche durchmachen.“
Er stieß ihn zurück und drehte sich um, weil trotz aller Beherrschung nun Tränen in seinen Augen standen. Nervös tastete er nach dem kleinen Tablettenfläschchen in seiner Tasche und schluckte zwei.
,, Wurde sie…“
,, Es macht keinen Unterschied.“ , unterbrach ihn
Aaren.
,, Das macht es immer. Krankheiten und Unfälle passieren. Aber…“
Er wirbelte herum. ,, Ihr Name war Sophie Sie haben mich die Leiche nicht sehen lassen wollen. Ein verfluchter Kleinkrimineller der es irgendwie durch die Kontrollen nach Terra geschafft hatte. Ein Drogendealer. Ein zerstörtes Leben. Frage beantwortet?“
,, Es… tut mir leid. Ich wollte sie nicht…“
,, Ich habe den Mann gesucht, der es getan hat.“ , flüsterte Aaren.
,, Und ?“
,, Was glauben sie ?“
Er lief durch die nächstbeste Tür und
versuchte sich irgendwie zu orientieren.
Als er schließlich Stunden später endlich sein Zimmer wiederfand und die Tür hinter sich verriegelt hatte, ließ er sich einfach daran zu Boden gleiten und saß eine Weile auf den kalten Stahlfliesen.
Hatte er wirklich geglaubt, damit fertig geworden zu sein? Offenbar war Selbstbetrug einfach, wenn man keinen freidenkenden Idioten ums ich hatte.
Erst kurz vor Sonnenaufgang schlief er endlich ein.
Der nächste Tag begrüßte ihn mit strahlendem Sonnenschein. Der Sturm, der gestern noch getobt hatte, schien sich fürs erste gelegt zu haben um Platz für einen der wenigen Windstillen Tage
zu machen. Immer noch wühlten Wellen die blaue Meeresoberfläche auf, aber sie waren längst nicht mehr so bedrohlich. Warme Seeluft schlug ihm entgegen, als er nach draußen auf den kleinen Balkon trat. Offenbar hatten die Schürfer des Hive vor, das gute Wetter zu nutzen. Dutzende von Schiffen wurden an den Kais beladen und in einiger Entfernung entdeckte er weitere, die bereits abgelegt hatten. Der Gouverneur wäre jetzt nicht mehr in der Lage, sie irgendwie daran zu hindern nach der Salmakis zu suchen.
Er ging zurück nach drinnen, legte den Patronengurt und die zweite Waffe wieder an und verließ das Zimmer. Unterwegs hielt er an der kleinen
Bäckerei an, die sie während ihrer Ankunft hier gesehen hatten und war überrascht, tatsächlich echten Kaffee zu bekommen, anstatt gefriergetrocknetem Pulver.
Dann machte er sich auf den Weg zum Dock, an dem das Schiff auf sie warten sollte.
Der Kai lag, freischwebend, einige Meter über der eigentlichen Meeresoberfläche. Vermutlich wollte man so gewährleisten, dass keine Welle einfach den Steg überspülte und Ausrüstung beschädigte. Bei schwerem Seegang jedoch würde wohl auch das nicht viel nützen.
Heute jedoch lag die Türkis
Wasserfläche ruhig vor ihm.
Aaren lehnte sich an das den Steg umlaufende Geländer. Bis zum Horizont gab es nichts als eine endlose Wüste aus im Sonnenlicht funkelndem Wasser.
Wie hatte es der Pilot gesagt? Mit der Zeit lernte man das hier lieben. Er war sich nicht sicher, ob das auf ihn zutraf. Aber er konnte sich wohl daran gewöhnen.
Abundius hatte sich noch nirgendwo sehen lassen und fast hoffte er, der Mann würde einfach nicht auftauchen. Dann könnte er ihn hier lassen.
,, Schönes Wetter.“
Wäre ja auch zu schön gewesen.
,, Ich schätze, ich kann sie nicht einfach
bitten, hier zu bleiben ?“ , fragte er seufzend.
,, Hören sie, es tut mir leid wenn ich…“ , begann der Mann.
,, Schon in Ordnung.“ Natürlich war es nicht in Ordnung, aber das würde er Abundius sicher nicht wissen lassen. ,, Ich habe lediglich die Beherrschung verloren. Das kommt nicht wieder vor. Ganz sicher.“
,, Ich verstehe es einfach noch immer nicht.“
,, Was ?“
,, Sind alle Kommissare so…“
,,Seelisch Tot ? Monster ?“
,, Ich wollte sagen Kalt.“
,, Natürlich wollten sie
das.“
,, Ich habe immer Gedacht , die Kommissare… ich weiß nicht was ich gedacht habe.“
,, Das was man ihnen erzählt hat, schätze ich. Die erste und letzte Verteidigungslinie des Elektorats. Die großen Wächter der Ordnung vielleicht ?“ Aaren schüttelte langsam den Kopf und sah hinaus aufs Meer, wo sich jetzt ein Schiff näherte. Er wusste nicht, ob es das für sie bestimmte war.
,, Man braucht einen Grund Abundius, um so zu werden wie ich. Mir ist noch nie ein Kommissar begegnet, der nicht etwas oder jemanden verloren hätte. Das macht uns aus. So kann man es ertragen,
ohne Gefühle zu urteilen und zu handeln. Absolutus aequalitas. Absolute Gerechtigkeit. Das sind die Kommissare.“
,, Das klingt einfach nur grausam.“ , entgegnete Abundius.
,, Nicht so grausam, wie das was sie sonst durchmachen würden. Ich kann nur für jeden hoffen, es nicht selbst herausfinden zu müssen.“
Eine Weileschwiegen beide. Dann ergriff Abundius wieder das Wort.
,, Ich komme mir grade ziemlich dumm vor.“
Aaren überlegte, etwas zu erwidern wie, schön dass sie selbst drauf kommen, schwieg dann aber
doch.
Als er nicht antwortete, fuhr Abundius fort. ,, Ich denke… ich verstehe es jetzt besser. Wir haben beide unsere Ansichten und vielleicht haben sie sogar recht.“
Aaren schwieg.
,, Warum wollten sie unbedingt hierher?“ , fragte er schließlich. ,, Ich habe ihre Empfehlungsschreiben gesehen. Sie hätten überall arbeiten können. Aber sie wollten zum Justizministerium und noch wichtiger, zur Kommission. Warum ?“
,, Ich schätze, ich wollte mal Weg von der Erde. Terra Firma geht einem irgendwann auf die Nerven, verstehen
sie? Ein bisschen was erleben, bevor man sich irgendwo in die Maschinerie einklinkt.“
,, Dann sind sie vielleicht am falschen Ort.“ , antwortete Aaren. ,, Sollten wir hier etwas ,, erleben“ wie sie es nenne, haben wir vermutlich ein Problem.“
,, Können sie mir noch eine Chance geben ?“
Aaren zögerte. ,, Sie sehen ihre Fehler. Das respektiere ich.“ Er streckte dem Mann die Hand hin.
,, Willkommen bei der Kommission.“
Abundius schlug ein. ,, Hoffen wir, das es ruhig bleibt.“ , meinte er mit Blick auf die See und das sich nähernde Schiff. Dahinter erspähte Aaren bereits
ein zweites. Sieht aus, als wollte Callahan kein Risiko eingehen, dachte er.
,, Was, doch plötzlich keine Lust mehr auf Abenteuer ?“
,, Nicht auf dem Meer, nein.“
,, Wieso nicht ?“
,, Ist wohl ein schlechter Moment um zuzugeben, dass ich ein Miserabler Schwimmer bin.“ , gestand Abundius.
,, Nur so viel. Ich rette sie nicht, wenn sie von Bord fallen und ertrinken.“ , entgegnete Aaren.