Harold
Harold Faltenmayer war 16. Und ein Klon!
Er lebte in einer Stadt voller Klone, in einem Land voller Klone, Auf einem Planeten voller Klone. Und es waren nur Klone einer Person, die schon vor mehr als fünfhundert Jahren gestorben war. Er lebte am Anfang des 21. Jahrhundert und war zusammen mit dem Rest seiner Rasse, während eines sogenannten Weltkrieges, umgekommen.
Ein damaliger Supercomputer, der erbaut wurde um künstliche Intelligenz zu simulieren, schaltete sich nach dem Ende der Welt nicht aus und aus der Simulation wurde ein Bewusstsein.
Jahrzehnte lang simulierte der Computer, der sich nun MUTTER nannte menschliches Verhalten, bis er irgendwann in einem abgelegenen Labor auf die Theorie des Klonens stieß und auf einen eingefrorenen Hautfetzen von gerade diesem Harold Faltenmayer.
Der sechzehnjährige Harold war also die sechste Generation der Klone. Eine Kopie, einer Kopie einer Kopie. Alle waren gleich, bis auf kleine Abweichungen, doch von der DNA her identisch. Sie lebten ihr Leben, was fast 90 Jahre ging und starben, eigentlich wie ganz normale Menschen. Nur dass sie keine normalen Menschen waren.
Sie waren unnatürlich und ihre Art wurde von dem Computer MUTTER erhalten. Harolds Vater war Harold. Er hatte sich mit 36 die Erlaubnis geholt einen Sohn zu haben. Der echte Harold hatte eine Tochter gehabt, das wussten alle Harolds, und sie sehnten sich nach ihrer Tochter, doch sie konnten nur geklont werden und so hielten sie nach neun Monaten eine kleine Kopie von sich selbst in den Armen. Die meisten Harolds wollten Kinder haben und alle Harolds wollten Buchhalter werden. Doch wie es in einer funktionierenden Gesellschaft nun mal Tax ist, kann nicht jeder Buchhalter werden. Also wurde schon in den Kindergärten sondiert, welche Harolds sich vielleicht für einen anderen Weg um erziehen ließen, um alle Bereiche des menschlichen Lebens zu besetzten. Es gab Bäcker, Hotelfachangestellte, Buchmacher, Polizisten, Wissenschaftler, Rock- und Popsänger und alle mannigfaltigen Berufe, die die Menschen in den Jahrhunderten ihrer Existenz entwickelt hatten. Doch nur die Buchhalter waren wirklich glücklich und zufrieden.
Bei unserem Harold fiel schon im Kindergarten auf, dass er sich nur sehr schwer unterordnen konnte. Er war unkonzentriert, während die anderen Harolds gerade Türme aus Holzklötze bauten und wenn er Langeweile hatte, stieß er sie um.
Harolds Vater war auch nicht wirklich konform mit dem Rest seiner Art. Er lachte gerne über Witze und er wusste, dass auch die anderen Harolds gerne über Witze lachten. Doch niemand von ihnen konnte welche erzählen. Also dachte sich Harold, wenn ich kein Buchhalter werden kann, weil es in meiner Stadt genug gibt, dann werde ich halt Komiker.
Damit hatte er eine Marktlücke entdeckt. Denn alle Harolds auf der ganzen Welt lachten gerne nach dem Feierabend in ihrer Stammkneipe über Buchhalterwitze.
So machte Harold eine Karriere, die ihn durch die ganze Welt tingeln ließ. Er wurde Reich, denn nur wenige schafften es seinem Talent nachzueifern.
So hatte der Komiker Harold nichts dagegen, dass sein Sohn ein Punk werden wollte.
MUTTER hatte in vielen TV-Sendungen darüber gesprochen, dass das menschliche Dasein verschiedene Wege einschlagen könnte. Die meisten der Harolds wollten zwar Buchhalter werden und in staatlichen Betrieben arbeiten, doch gab es auch Alternativen für einen Harold. Ein Harold hatte Interesse an Kunst, dem Malen, der Musik, aber auch dem Schauspiel und in einigen Exemplaren war der Drang nach der künstlerischen Freiheit höher, als der Wille zu den absoluten Zahlen.
Doch das ein Harold der Arbeitswelt komplett dem Rücken zu wandte, dass kannten weder die Harolds in den Oberschichten noch MUTTER selbst.
Unser Harold trug zur sichtbaren Abgrenzung einen Irokesen und hörte nur Musik aus der Zeit, als es noch andere Menschen gab. Seine Lieblingsband aus der Zeit waren die Ärzte, die sich ironischer Weise auch noch die beste Band der Welt nannte. Sein Lieblingssong, der jeden Tag zur jeder Stunde von ihm gespielt wurde war „Junge!“. Besonders bei der Textzeile „...und wie du wieder aussiehst!“ grölte er kreischend mit. Sein Vater wippte den Takt auch schon mit der Fußspitze mit.
„Minime!“ rief ihn sein Vater.
„Ja Dad?“ Der Junge kam aus seinem Zimmer geschlurft.
„Was hältst du von diesem Gag? Was bestellt ein Buchhalter in einer Kneipe?“
„Na sag schon, was?“ Harold friemelte ungehalten an seinen Nasenring.
„Na die Geschäftsbücher!“
„Toller Joke, Dad! Wahnsinn!“
„Also Sohn, du solltest an deiner destruktiven Art arbeiten. Irgendwann schicken dich die Oberen noch zu den Bucks. Dann bist du ein Gesetzloser. Und bei den Mutanten, glaube ich nicht, dass ein Junge wie du lange überlebt.“
„Pa, ich mach doch nix!“
„Eben. Das wird dir noch zum Verhängnis.“
Als der Junge wieder in sein Zimmer trotten wollte, klingelte, wie auf das Kommando wartend, der Telekommunikationsautomat.
„Ja mein Herr, der ist Zuhause, er steht direkt neben mir.....Hm?....Hmhm!....Ja....ich! Nein. Er macht halt nicht wirklich was. Seine Noten?....Befriedigend. ... Ich Komiker! Ja, ja der Komiker! ...Oh Sir, ....Ja gerne, da danke ich aber! Ich werde ihn schicken! Natürlich!“
Er schaltete das Gerät ab und schaute seinen Sohn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „So, dass hast du wohl davon!“
„Wovon?“
„Der langweilige Harold von neben an, der mit seinen beiden fetten Kindern, hat sich über deine Musik und dein Aussehen beschwert. Du sollst sofort ins Büro für nationale Sicherheit kommen. Sie haben schon zwei Beamte geschickt.“
„Aber da hab ich gar kein Bock auf! Papa, du bist doch wer...“ Harold schüttelte den Kopf.
„Junge du bist selbst schuld! Ich hab dir gesagt....“
„Dad... Ich sag denen, dass du immer in den Puff gehst!“
„Wann hast du mich denn da gesehen?“
„Dad! Da laufen Hunderte rum, die aussehen wie du. Du musst beweisen, dass du es nicht bist!“
„Junge, das nennt man Erpressung. Ich kann dir aber echt nicht helfen.“
„Was bist du nur für ein Vater?“ Harold war frustriert.
„Deiner!“ sagte Harold als es an der Türe läutete und die beiden Beamten seinen Sohn mitnahmen.
Im Büro für nationale Sicherheit saß ein Harold, so um die sechzig, er schaute über die Ränder seiner goldenen Brille in die Augen des Punks. „Harold!“
„Herr Faltenmayer !“ Harold nickte ihm zu.
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass du dich asozial der Gemeinschaft verhältst. Du hörst Musik, aus der anderen Welt, hast dir einen Hahnenkamm rasiert und frönst dem, was sich im Groben als Anarchismus bezeichnen lässt....“
„Aber Herr Geheimrat, ich mache doch nichts. Ich will nur nicht so einen dummen Job, wie alle anderen haben. Es gibt nichts, was mir Spaß macht und ich mag halt nicht jeden. Ich glaube, ich mag nicht mal mich....“
„Aber deinen Vater, den magst du doch, oder?“
„Ich liebe ihn, ....aber?“
„Ich weiß dass du deinen Vater liebst, wir alle tun das. Wir alle lieben unsere Väter, doch lieben wir auch alle deinen Vater, den Komiker. Willst du nicht in seine Fußstapfen treten....“
„Ich bin nicht lustig, Herr Faltenmayer.“ Harold ließ den Kopf sinken.
„Also ich find dich zum schießen!“ Harold lachte.
„Wissen Sie, wenn ich den ganzen Mist hier sehe! Ich meine wir sind doch alle die Selben! Die Gleichen. Ja, einige lassen sich um erziehen, andere haben einen genetischen Fehler und fallen deswegen von der Norm ab. Aber wenn ich sie anschaue, dann weiß ich doch schon, wie ich in fünfzig Jahren aussehen werde. Ich werde mal kurzsichtig, fett und alt! Ich möchte das aber nicht! Ich will ... einzigartig sein.“
„Einzigartig? Junge, so wie du habe ich auch mal gedacht. Aber Junge, so funktioniert unsere Gesellschaft nun mal nicht. Jeder muss etwas leisten, sein Päckchen zu den anderen stellen. Es kann doch nicht dein Wille sein Arbeitslos zu sein. Sinnlos dahinvegetieren. Du musst doch einen Plan haben?“
„Unser aller Plan ist es doch Buchhalter zu werden. Doch die Stellen sind vergeben, also sollen wir uns nach Alternativen umsehen. Das hier, ich...Das ist meine Alternative. Ich möchte....“
„Nicht so enden?“ er lächelte verständnisvoll. „Ich werde MUTTER fragen.“
Er griff zum Hörer seines Kommunikator und wählte die geheime Nummer. „MUTTER! Ja ich bin es... Ja ich habe mit ihm gesprochen....Ja, genau das sind seine Ideen. Die Bucks werden ihn zerfleischen....Er hat ganz andere Ideen....Ja, hm. MUTTER auch das ist doch, ich denke wieso nicht? Du bist das Gesetz! Ja...Wer weiß, auch nur eine Alternative.“
Freundlich lächelnd legte er auf. „MUTTER lässt dich so laufen wie du willst. Er sagt du bist zwar ganz aus den Parametern ausgebrochen, doch er sieht deinen Weg der Alternative und er sagt die Gemeinschaft soll dir deinen Lebensunterhalt finanzieren.“
Harold lachte zufrieden. „Haben Sie mal einen Kredit, Herr Faltenmayer?“
„Warum?“
„Weil ich jetzt ein Punk bin, offiziell! Und Punks müssen schnorren!“
Harold Faltenmayer, oberster Bürokrat des Landes verschluckte sein Lachen hustend und reichte dem Jungen das Geldstück.
Einige Monate später.
Vor der Bühne in der Nebraska Bar saßen die Harolds, tranken ihre Weine und Schnäpse und lachten über die Witze des Komikers. Der war in Hochform und gab noch einen weiteren seiner Kalauer: „Ihr kennt alle diese neue Bewegung. Die Punks?“
Ein Murmeln, teils amüsiert, teils knurrend ging durch die Reihen.
„Also ein Punk fragt einen Buchhalter nach einem Kredit, sagt der Buchhalter: Sorry ich habe kein Konto auf den ich den Abgang verbuchen kann!“
Die Menge schrie vor lachen.
Für Dany!
„Wenn wir es wollen ist es kein Traum!“
(„Der Judenstaat“)