Benedict wollte sich Carolin mit Gewalt erobern, als sei sie ein zu stürmender Burgfried, doch dass, so sagte ihm eine innere Stimme, würde er nicht schaffen können. Der Great Pretender hatte verspielt und daran, so war er sich sicher, würde auch diese letzte Verzweiflungstat nichts mehr ändern können.Â
"Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, Caro. Es tut mir leid." Benedict von Truchersheim nahm Abstand und ließ sie los. "Tut mir so leid, was ich dir angetan hab, Caro." Er weinte und machte kehrt, bis er nicht mehr zu sehen war.
"Was war das denn?", fragte Caro und drehte sich zu Jurek, immer noch total entsetzt. "Hast du gesehen? Er weint." Â
„Ja, ich habe es gesehen, aber glauben kann ich es nicht recht“, kam es verwirrt von Jureks Lippen.
„Da scheint doch mehr zu sein, als ich dachte. Aber was sollte dann dieses ganze hin und her? Warum verstößt er dich vor seinen Freunden und jetzt kommt er wieder reumütig angekrochen. Das mag einfach nicht zusammenpassen, wenn du mich fragst. Was will er denn für ein Freund sein, der dich vor aller Welt verleugnet?“
Sich aus seinen Betrachtungen reißend trat er auf Caro zu.
„Weißt du, ich glaube es ist besser, wenn du jetzt wirklich gehst und deine Gedanken erst einmal in Ruhe ordnest. Ich werde mal Benedict auf den Zahn fühlen. Dann kann er nicht noch einmal so eine Aktion durchführen, wie gerade eben.“
"Ja, ich wollte ja eigentlich schon die ganze Zeit gehen. Entschuldige", lächelte sie zaghaft und verabschiedete sich ein letztes Mal. "Fahre ins Krankenhaus zu meiner Schwester. Aber tu mir ein Gefallen und... Na, ja, vielleicht meinte Benedict es gerade nicht so, als er mich als seine Abgelegte tituliert hat und vielleicht liebt er mich doch und hat mir nichts vorgespielt..."
„Keine Sorge, dass finde ich schon noch heraus. Soll ich dich über die Ergebnisse informieren, oder willst du das Thema erst einmal beiseitelassen?“  Â
"Ich weiß, dass du nur das Beste für mich willst, aber ich hab dich mit meinen Problemen schon genug belästigt. Und ich hätte dir schon mal gar nichts gesagt, wenn ich gewusst hätte, dass du mich... Ist ja auch egal. Danke jedenfalls für alles, ja? Ich mach mich auf den Weg", lächelte Caro, strich ihrem besten Freund kurz über die Schulter und stieg in ihren alten Seat, während Benedict von Truchersheim sich in der nahgelegenen Seitengasse versteckte und das Geschehen beobachtete.
Lange würde es nicht mehr dauern, dann hatte er sie wieder.
Ein wenig beunruhigt blickte Jurek dem Automobil hinterher, bis er es nicht mehr sehen konnte. Was war nun zu tun? Abwarten und Tee trinken. Benedict würde sich schon bald bei ihm melden. Also, warum zu ihm laufen und provozieren, wenn er einfach abwarten musste, dass er kommen würde. Wenn der Prophet nicht zum berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen, sozusagen.
Also begab sich Jurek in die WG-Küche, machte sich erst einmal einen Tee, schlug die Tageszeitung auf und wartete darauf, dass sich der Herr von Truchersheim zu ihm begab.
Der ließ auch nicht lange auf sich warten und schloss, in einer Hand der Schlüssel, in der anderen das neue iPhone, die Tür auf.
-"Thank you for the information I needed, I'll call you back soon!"
Die Tür schlug zu und er stellte seinen Aktenkoffer im Flur ab.
Aha, der Herr war da. Jetzt hieß es abwarten, wann er sich ihm zuwand, wie seine Stimmung war, was er sagte etc. Jurek würde es doch nicht einfallen Benedict anzusprechen, dass musste schon er tun.
Erneutes Vibrieren des iPhones.
 -"Ja?"
"Hallo Benedict. Hier spricht dein Vater."
Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
 -"Hallo Papa. Entschuldigung für den Ton. Gibt's was Neues?"
"Allerdings. Ich glaube aber eher, bei dir gibt es viel interessantere Neuigkeiten, kann das sein? Manuel hat mir da was erzählt..."
Manuel Graf von Hohenstein, diese ekelhafte Tratschtante! Benedict beschloss, so ruhig wie möglich den Ahnungslosen zu machen.
 -"Mhm. Und was?", wollte der Junior wissen, obwohl er wusste.
"Das hübsche Arbeitermädchen, was du da geknallt hast, wozu war das bitte nötig?"
"Mist", entfuhr es Benedict. Nicht etwa, weil sein Vater ihm auf die Schliche gekommen war, sondern, weil er Nasenbluten hatte und in die Küche rannte, um sich mit Servietten zu versorgen.
Diese Unart der Zweckentfremdung von Servietten zur Nasenblutungsstillung kannte Jurek, also reichte er Benedict, wortlos, ein paar der Papierservietten. Stress mit dem Vater? Wenn man einen Erzeuger hat, der glaubt, dass jede Person, die keinen Titel trägt und nicht mindestens Geld im Wert der Kronjuwelen besitzt minderwertig ist, dann kann es schon einmal zu Reibungen kommen.Â
"Danke", meinte Benedict und nickte kurz zu Jurek hinüber.
-"Warum danke? Hörst du mir überhaupt zu?!", ertönte es aus dem iPhone.
"Ich meinte dich nicht, Vater. Entschuldige", schluckte Benedict kleinlaut.
"Gut. Dann hör mir jetzt bitte zu, mein Junge. Du solltest ein bisschen an deine Familie denken. Ich musste meine gesamten Kontakte spielen lassen, damit wir demnächst keine Fotos von dir und diesem Mädchen in der Öffentlichkeit sehen müssen."
-"Fotos?!" Benedict glaubte, er hörte nicht recht. Wer wollte ihm so übel mitspielen?
"Ja, genau. Fotos, mein Junge. Wenn du demnächst das Gefühl hast, dass du einen Ausgleich zum harten Studium brauchst, halte dich bitte etwas bedeckter."
-"Vater, entschuldige mich." Benedict wusste nicht, was er sagen sollte. "Ich weiß nicht, was du..."
Er brauchte eine neue Serviette.
Mechanisch, als wäre er zu nichts anderem auf der Welt reichte ihm Löwenstein neuerlich eine Serviette. Dabei achtete er nur nebenbei auf das Gespräch, während er sich durch den Politikteil der Tageszeitung las. Benedict schien jedenfalls schon einmal so weit zu sein, das er bereit war höflich gegen ihn zu sein. Immerhin, das könnte vielleicht doch ein besseres Gespräch werden, als er sich ausmalte. Zumindest würde Benedict ihn nicht sofort an die Gurgel springen, wenn er Caros Namen sagte.   Â
Benedict schloss die Augen und stützte sich mit der freien Hand am Spülbeckenrand ab.
"Vater, ich möchte jetzt sicher nicht unhöflich sein, aber lässt sich darüber reden, wenn wir uns das nächste Mal sehen? Du sagst selbst, am Telefon ist alles ziemlich unpersönlich. Ich müsste außerdem noch zwei Präsentationen vorbereiten für die nächste Woche. Du weißt ja selbst, Prof. Dr. Dr. Frankel ist nicht der geduldigste Dozent für Finanzwesen und Controlling."
Die folgende Standpauke seines Vaters vernahm er nur halb, bis dieser bei seinem letzten Satz angekommen war: "Wir sehen uns morgen."
Erleichtert legte Benedict von Truchersheim sein iPhone auf den Küchentisch und nahm sich mehrere Servietten, um in sein Zimmer zu gehen.
„Ich nehme nicht an, dass du mir ein paar Dinge erklären willst, angesichts deines derzeitigen Zustandes“, erklang es hinter der Deckung der Tageszeitung hervor.
"Richtig angenommen", erwiderte Benedict ohne sich noch einmal umzudrehen.
"Das ist aber schade. Ich bin gerade so gesprächsbereit wie schon lange nicht mehr. Setz dich, Benedict. Möchtest du einen Tee?", fragte Jurek, der die Gelegenheit nicht einfach verstreichen lassen wollte und so versuchte Benedict aus der Reserve zu locken.
"Auch wenn du nicht willst wäre es doch, so glaube ich, nicht verkehrt, wenn wir uns mal aussprechen würden, über gewisse Dinge. Endlich einmal Friede und Klarheit schaffen."
"Was hast du denn genommen? Unser kleiner Jurist heute auf Drogen, wie?" Benedict schüttelte grinsend den Kopf und schmiss die zwei gebrauchten Servietten in den Mülleimer im Flur. Er öffnete seine Aktentasche und holte sein iPad raus.
"Ich habe jetzt keine Zeit für deine Rechtsbelehrungen. Guten Tag."