Kurzgeschichte
Metallische Harmonie

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"Metallische Harmonie"
Veröffentlicht am 21. Februar 2013, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Metallische Harmonie

Metallische Harmonie

Metallische Harmonie


Funkelnd schwebte die tiefrot glänzende Sonnenscheibe jenseits der Zinnen und Erker des Schlösschens empor und tauchte den Pfad, die Allee, den Park in das glühende Lichtbad eines neuen Tages. Stets blickte ich gen Osten.
Erst jetzt mischte sich die hellen Schreie von Star und Sperling in den tirilierenden Singsang zwitschernder Vogelstimmen, orchestrierten den Kreislauf von Tag und Nacht, übertönten alle Glocken und waren Hymne der Gräser, der Bäume, der Blumen.

Von jeder Hektik befreit spielten sie auf und hießen die willkommen, die da anströmten:
Faltige Köpfe mit buschigem Haar und Hund, die den Kiesweg beschritten, mir kurz in die Augen starrten und davonzogen. Noch immer unterlegte der Gesang der Natur die Szenerie, die Flattermänner, die zwar nicht in Akkorden, aber doch im Akkord ihr Können darboten. Schmale Arme und Beine, wache, lachende Gesichter, die sich auf den Marmor des mich rings umgebenden Beckens setzten und in den eiskalt sprudelnden Fontänen Äpfel wuschen, Haare wuschen, quiekend lachten.
Rotkehlchen, Blaumeisen.
Mollige Bäuche mit blitzenden Apparaten, die mich fixierten, die Familie dirigierten, sich hinter verspiegelten Brillen das fröhliche Gesicht nicht verkniffen.
Leben umströmte mich.

Butterbrote und Butterblumen verströmten den Duft des Sommers. Mein bronzenes Schwert deutete in starrer Entschlossenheit auf Helios‘ Abgesandten, dessen Kreisbahn ihn weiter und weiter aus meinem Blick trieb. Mein silbriges Schild indes blendete so manchen Passanten, poliert und blank, die Schrift gut lesbar.
Ich atmete Wärme und Gefühl.
Rotbraunes Fell flitzte den borkigen Stamm der mächtigen Kastanie aufwärts, die Bänke und Sandweg zu dieser Zeit in Schatten tauchte. In einer Astgabel verweilte das Hörnchen, blickte auf, verschwand bald darauf. Die Menschen taten es ihm gleich, Staub erhob sich und stob von den Wegen gegen Hosenbeine.

Erneut ließen sie mich in Einsamkeit zurück. Leere pulsierte unter meiner Pickelhaube.
Nun hatte ich die fallende Sonne im Rücken, prächtige Farben sprenkelten die Perspektive meines Auslugs, doch wo blieb sie, die Freiheit, die ich vermisste? Wehmütig, nachtigallenbegleitet, hing ich den überwältigenden Gefühlen der Jugend nach, als mich nichts fesselte.
Als meine Augen noch im hellen Blau des Horizontes strahlten und nicht im Schwarz matter Kohlen starrten.

In hellem Weiß lachten die Diamanten der Nacht auf mich herab, malten gezackte Linien in die Milchstraße und verhöhnten mich und meine Lähmung. Im Mondschein sah ich, wie sich Tautropfen auf der nahen Wiese bildeten. Die Jahre hatten meine Sinne geschärft, doch mein Mut war stumpf wie mein Schwert.
Fast glaubte ich, mein treues Pferd, das mich noch immer trug wie ein allverlässlicher Thron, ein ewiger Sockel aus dunklem Metall, hatte sein dunkles Schnauben in die Nacht hinausgesandt, dieses wütende Pfeifen, das seinen Nüstern dereinst stets entwich, wenn es den Kopf neigte, um geharnischte Widersacher beiseite zu räumen.
Unmerklich schoben sich knisternde Wolken vor die Gestirne. Grillen setzten ein, die himmlische Reinigung zirpend zu empfangen, und tatsächlich weichten bald erste Tropfen die Wege auf und verwandelten den Staub in formbaren Lehm.
Blitze durchzuckten den Nachthimmel wie elektrische Spiralen, doch es war niemand da, der sich daran stören konnte. Die Nacht schwieg, und sie schwieg mich tot.

Plötzlich durchzuckte mich ein Impuls fast vergessener Energie. Mein in die Höhe gerecktes Schwert hatte ihn eingefangen.
Ich schüttelte den kantig geschmiedeten Kopf und klopfte mir den Schreck aus den Platten meiner Rüstung. Ich bewegte mich! Tränen der Freude entströmten den dunklen Knöpfen, die meine Augen waren, und verdampften an der Luft wie Quecksilber.
Ungelenk und maschinenartig steif schwang ich mich vom versteinerten Abbild meines Pferdes, das noch immer in Pose, als wieherndes Schlachtross dramatisch drapiert, unseren Sockel bewachte.
Ich reckte meinen Hals, um die Plakette, die sie mir einst angeheftet hatten, in Augenschein zu nehmen. Bemühte mich, das Schildchen abzureißen, doch es war fest verschraubt.
Platschend watete ich durch das knöcheltiefe Wasser des Springbrunnens und betrachtete mein in wässriger Dunkelheit verschwommenes Antlitz. Fiebernd überlegte ich, wie ich meine neu gewonnene Freiheit nutzen sollte.
Ob ich das Schloss aufsuchen sollte, nachsehen sollte, ob der alte Herr des Palastes die Jahrhunderte besser überstanden hatte als ich?
Ob ich mein Pferd befreien sollte?
Ein Zeichen hinterlassen, ein Zeichen, das aussagte: Ich, euer Held, bin wieder da!
…?
Nein.

Ich dachte zurück an den Tag und den Kreislauf der Sonne. Ich dachte zurück an das, was vergangen war. Ich dachte an das, wofür ich bestimmt war und besann mich eines Besseren.
Im Stechschritt wie einst umrundete ich mein eigenes Denkmal und pfiff die Melodie, die ich von Buchfink und Zaunkönig gelernt hatte.
Und es schien die Vögel zu wecken, denn mehr und mehr Stimmen trugen die metallische Harmonie, und ihr haftete nichts Soldatisches an, es war ein Klang, ein Klang, Einklang.
Die Natur gebärdete sich wie toll und ich konnte und wollte nichts mehr, als diese Perfektion zu genießen, ein Teil von ihr zu werden.
Ich schöpfte mit meiner Pickelhaube ein paar Schlucke aus dem seichten Gewässer des Springbrunnens, konnte nicht trinken, doch genoss die Erfrischung des kühlen Wassers, das herab regnete, mir ins Gesicht spritzte, bronzene Haut benetzte und mich leben ließ.

Am folgenden Morgen saß ich regungslos auf dem Rücken meines Pferdes, blickte gen Osten, sah den Pfad, die Allee, den Park feucht vom Regen, doch so, wie ich sie kannte, seit man mich vor unzählbar vielen Jahren hier aufgestellt hatten.
Das Kurzschwert deutete mit krampfhaft wirkender Entschlossenheit zur Sonne.
Doch zum ersten Mal, seit mein Leib gegossen und beschlagen wurde, sahen die morgendlichen Spaziergänger einen lächelnden Soldaten, von dessen Kinn in leiser, steter Folge das Elixier des Lebens tropfte.

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