Kapitel 5
Was zum Teufel wollte dieser Fred hier? Suchte er etwa nach Beweisen? Das wäre ja Hausfriedensbruch. Wenn er ihn jetzt umlegte, wäre es nur Notwehr. Aber die Bullen würden neugierig.
Der Bäckersbursche schien ihn gehört zu haben, denn er blickte nervös um sich. Dann hörte er den Dicken sagen, wie er den Burschen aufforderte, intensiver in den hinteren Müllsäcken nachzuschauen.
Sie konnten ihm aber nichts. Die Klamotten waren schon vor Tagen beseitigt. Fast hätte Eduard losgelacht. Es fiel ihm schwer, stillzustehen. So
gern wollte er die beiden Mistkerle davon jagen.
"Hey! Ich glaub, ich hab hier was", staunte der Bäckersbursche.
"Zeig mal her!", schniefte Fred.
Eduard verdrehte seinen Hals, um unbemerkt zu bleiben und doch zu erblicken, was da so interessant war.
Der junge Mann hielt ein blutbeflecktes Tuch in der Hand und betrachtete es angewidert.
"Bist du wahnsinnig, das Ding anzufassen! Das könnte ein Beweisstück sein."
Beschämt ließ der Bursche das Tuch fallen, direkt in eine Pfütze. Fred geriet in Rage und bückte sich nach dem Teil,
um zu retten, was noch zu retten war. Er holte eine kleine Tüte aus seiner Weste und packte das vermeintliche Beweisstück hinein.
"Los! Lass uns gehen, bevor dieser Irre hier wieder auftaucht."
Eduard war beinahe beleidigt. Er war doch kein Irrer. Diese Typen hatten doch keine Ahnung. Am liebsten wäre er vorgetreten und hätte dem Bäckersburschen erzählt, mit wem er sich da abgibt.
Dieser Fred war ja nicht ein Deut besser als sein Freund Karl. Und bald würde die Zeit kommen, da er auch ihm eine Lektion erteilen würde.
"Das Ding bring ich jetzt zur Polizei. Du
bist mein Zeuge und kannst sagen, wo wir das gefunden haben, ja?", forderte der Dicke den Burschen auf, zuzustimmen.
Mit schnellen langen Schritten stiefelten die Beiden nach Hause und riefen sogleich Kommissar Hassel an.
Die Frau des Dicken beschenkte den Burschen mit einem großen Stück Apfelkuchen mit Sahne als Dankeschön für seine Mühen.
Es dauerte nicht lange, klopfte es an der Tür und der Polizeibeamte ließ sich hereinbitten.
"Ich hoffe doch, es ist wichtig. Ist heute mein freier Tag."
Eilig zog Fred die Tüte aus der
Westentasche und übergab sie ihm. Die Neugier des Kommissars erweckt, knisterte die Tüte in der Hand des Dicken.
"Also, nun geben sie schon her!", brummte Hassel.
Er schaute sich das Ding von rechts, dann von links an. Schließlich drehte er es herum, betrachtete es von hinten und von vorn.
"Mm."
"Was mm? Das ist der Beweis."
"Was für ein Beweis?"
"Dass ich nicht der Mörder bin", stammelte der Dicke.
"Wo haben Sie das Tuch her?"
"Von dem Typ, der im Wald wohnt. Der
hat neben uns gesessen. In der Kneipe. Als Karl ermordet wurde. Reichler heißt er, ist nicht von hier."
Der Bursche stimmte zu.
In aller Ruhe betrachtete Hassel weiter das Stück Tuch, schnüffelte daran und gab dann zum Besten:"Also, meine Lieben! Erstens verwette ich meinen Arsch darauf, dass das Kaninchenblut ist, und zweitens können Sie froh sein, wenn sie vom Herrn Reichler keine Anzeige wegen Hausfriedensbruch bekommen. Was haben Sie sich dabei gedacht?"
"Aber ich bin so sicher, dass er es war."
Hassel kniff die Augen zusammen und
analysierte den Dicken.
Es war nicht schwer, zu erkennen, dass er kein Mörder war. Die Fingerabdrücke auf der Mordwaffe konnten sonstwie darauf gekommen sein.
"Ich werde mal recherchieren."
Der Bursche schaute fraglich.
"Recherchieren - nachforschen - mich schlau machen", ergänzte Hassel zur besseren Verständigung.
Nun nickte auch der Bäckersjunge. Und der Kommissar ging kopfschüttelnd aus dem Haus.
Als es Abend war, und die Frau des Dicken bereits schlief, schlich der sich in den Keller und tappte vorsichtig in die
hintere Kammer. Dort gab es noch einen weiteren Raum, dessen Tür stets verschlossen war. Niemand, außer Fred und vielleicht Karl, durfte dort hinein. Selbst seiner Frau war es nicht gestattet, auch nur einen Blick zu wagen. Angeblich bewahrte er dort seine Jagdwaffen und was man eben zur Jagd sonst noch so braucht, auf. Zum Teil stimmte das ja auch, und seine Gattin hatte es nie hinterfragt. Aber Waffen zur Jagd waren nicht das Einzige, und sie waren schon gar nicht der Grund dafür, dass sein Weib nicht hinter diese Mauern blicken durfte. Nein. Hier war der Teufel am Werk. Der Raum war ohne Fenster und somit
stockdunkel. Erst als Fred die Deckenlampe anknipste, natürlich erst nachdem er die Tür sicher verschlossen hatte, konnte man etwas sehen. Die Regale waren staubig und voller Bücher, und irgendwelche Papiere und Fotos stapelten sich in ungeordneten Haufen. Rechts stand ein alter Schreibtisch mit einem Computer obendrauf. Ein drehbarer Ledersessel mit großer Rückenlehne davor. Gleich daneben eine Liege, die so verschlissen war, dass einem mit Sicherheit nicht der Gedanke kam, sich hinlegen zu wollen.
Fred sah von links nach rechts, hin und her. Mit zitternder Hand fasste er sich an die Nase, und ein Hauch Bedauern lag
in seinem Blick.
"Ich muss alles vernichten. Niemand darf etwas finden."
"Was darf man nicht finden?", fragte eine schwarze Gestalt, die es sich offenbar auf dem Sessel bequem gemacht hatte.
Fred fiel der Schlüssel aus der Hand. Er konnte den Jemanden nicht erkennen. Zum einen saß dieser Jemand mit dem Rücken zu ihm, und auch als der sich umdrehte, war das Licht zu gedämpft, als dass man hätte sein Gesicht erkennen können.
"Wer sind Sie? Und wie kommen sie hier herein?"
"Ich bin dein schlimmster Alptraum!
Mehr hat dich nicht zu interessieren."
(c) Shirley
2013