Science Fiction
Letztes Licht - 51 Seiten insgesamt

0
"Letztes Licht - 51 Seiten insgesamt"
Veröffentlicht am 12. Februar 2013, 54 Seiten
Kategorie Science Fiction
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will? Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.
Letztes Licht - 51 Seiten insgesamt

Letztes Licht - 51 Seiten insgesamt

Beschreibung

Im Jahre 2100 ist der Untergang der Welt absehbar, doch trotz moderner Raumfahrttechnologie gestaltet sich die Rettung der Menschheit problematisch. In einer Forschungsstation auf dem Planeten Kappa IV trifft die Erdenrepublik die letzten Vorbereitungen für einen skrupellose Rettungsversuch. Als die wahren Pläne schließlich vertuscht werden sollen, geraten die Wissenschaftler Jetta Lune und Quentin Trent plötzlich in größte Gefahr. (Inspiriert von einer Diskussion im hiesigen Forum)


Prolog
14. November.2101; 20:48 Uhr - Sternenkreuzer H.S.S.W. Newton, Orbit von Kappa IV

„Er kann unmöglich verschwunden sein“, tobte Sergeant Pierce so laut durch den Funk, dass es in Toms Ohren schmerzte.
„Im Frachtraum ist er jedenfalls nicht, Sir“, seufzte der junge Soldat mit resignierender Stimme, während er sich gegen einen der schweren Stahlcontainer lehnte. Zwei Stunden lang hatten sie zu sechst systematisch den ganzen Frachtraum durchkämmt, ein Areal, das sich über fast drei Fußballfelder erstreckt hätte, durchrankt von meterhohen Regalen, gewaltigen Containern und dem Geflecht des automatischen Frachtverteilungssystems. Zuletzt hatte er seinem übereifrigen Vorgesetzten gestehen müssen, dass die ganze Aktion sich lediglich als Verschwendung von Zeit und Ressourcen erwiesen hatte.

„Finden Sie den Admiral, Ewans! Koste es was es wolle“, dröhnte die Stimme des Sergeants aus seinem Headset. Obgleich es Ewans letzter Einsatztag hätte sein sollen und er sich ausgemalt hatte, morgen schon zurück zur Erde zu fliegen, wagte er nun nicht einmal, an Widerspruch zu denken.


 

 

„Natürlich, Sir. Ich finde ihn“, bestätigte er.
„Das hoffe ich für Sie!“, blaffte Pierce, „Und hängen sie das ja nicht an die große Glocke! Pierce out.“
Nachdem die Funkverbindung verloschen war, konnte Tom Ewans seinen fünf Kameraden nur noch mitteilen, dass sie sich auch noch den Rest des Tages versauen durften. Eine einzelne Person auf einem Kreuzer dieser Größe zu finden, hielt er für gänzlich unmöglich, zumindest solange die Chiportung nicht funktionierte. Außerdem war ihm vollkommen schleierhaft, wie der Admiral einfach so verschwinden konnte. An diesem Abend war er einfach nicht zur angesetzten Besprechung erschienen. Der Captain hatte darauf Sergeant Pierce gebeten, nach dem Admiral zu sehen, eine Aufgabe, die Pierce jedoch an Tom und sein Squad weitergereicht hatte. Als er die Kabine des Admirals erreicht hatte, war ihm selbst auf mehrfaches Anfragen und lautes Klopfen nicht geöffnet worden, sodass er schließlich die Techniker bemüht hatte, die Tür auf elektronischem Wege zu knacken. Dahinter hatte er die riesige Kabine des Admirals ebenso aufgeräumt wie ausgestorben vorgefunden. Seitdem galt Gerald Paleman, Oberbefehlshaber der vierten interstellaren Flotte, als spurlos verschwunden.


 

 

„Und was nun?“, Private Janette Rosier schürzte die breiten, roten Lippen, worauf Ewans sich dabei ertappte, sie anzulächeln. Oftmals fragte er sich, wie er sich bei seiner Arbeit noch konzentrieren sollte, wenn die enganliegende, marineblaue Deckuniform der interstellaren, menschlichen Streitkräfte, kurz IHF, jeden körperlichen Reiz Janettes bestens zur Schau stellte.
„Wir haben eine wichtige Aufgabe“, sagte er mehr zu sich selbst, bevor er lauter weitersprach, „Der Admiral muss noch auf dem Schiff sein. Seitdem er heute Mittag das letzte Mal gesehen wurde, hat kein Shuttle die Newton verlassen. Dennoch fürchte ich, dass wir ihn niemals finden, wenn lediglich blind durch das ganze Schiff stolpern. Falls der Admiral selbst für sein Verschwinden verantwortlich sein sollte…“
Der grobschlächtige Wayne Cage unterbrach ihn:
„Warum sollte er?“
„Warum unterbrechen Sie einen Vorgesetzten, Cage?“, blaffte Tom zurück, „Also, falls der Admiral selbst für sein Verschwinden verantwortlich ist, wird er möglicherweise versuchen, das Schiff zu verlassen. Wir müssen daher jedes Shuttle vor dem Start durchsuchen. Cage, Shankar, Cassilas, Wong, sie werden sich darum kümmern.

 

Sagen sie den Technikern, dass es sich nur um Routineuntersuchungen handelt. Wie Pierce schon sagte: Das ganze darf nicht an die große Glocke gehängt werden.“
„Zu Befehl“, gab Shankar, ein indisch stämmiger Soldat, zurück, wobei er salutierte.
„Rosier, Sie kommen mit mir. Wir werden uns die Kabine des Admirals noch einmal ansehen. Vielleicht finden wir einen Hinweis“, er räusperte sich, als sein Mund von saharaartiger Trockenheit befallen wurde. Er war es einfach nicht gewohnt, Befehle zu geben, „Und jetzt weggetreten! Das erste Shuttle startet in zwanzig Minuten.“
Als die Soldaten auseinanderstoben, um seine Befehle aufzuführen, schwellte der Stolz in seiner Brust. Nur Janette verharrte, wobei sie ihn erwartungsvoll anstarrte.
„Das hast du gut gemacht“, lobte sie, und obwohl ihre Stimme neckisch klang, hatte er oftmals das Gefühl, dass sie unter den Mitgliedern seines Squads die einzige war, die ihm seine Beförderung nicht missgönnte.
„Wir sollten uns ebenfalls beeilen“, drängte er, bevor er sich in Bewegung setzte, um den Frachtraum zu verlassen.

 

Ein von schwarzgelben Markierungen eingerahmter Pfad führte sie zwischen den Containern und Regalen hindurch zwei Frachteben nach oben, wo sich ein schmaler metallener Steg an ein gewaltiges Förderband schmiegte, das selbst die schweren Container tragen konnte. Am Ende des breiten Durchgangs mündete das Förderband in einer Monorailstation, auf der bereits ein Zug wartete. Tom und Janette beeilten sich, ihn noch zu erwischen. Im geräumigen Wagon gähnte die Leere, denn die Newton flog auf dieser Mission nur mit Minimalbesatzung. Außer zwei Technikern, die fortlaufend mit derart vielen fachchinesischen Begriffen um sich warfen, dass Tom kein Wort mehr verstand, waren er und Janett die einzigen im Zug.
Zwei Stationen weiter und kaum eine Minute später hatte die Monorail sie vom Mittelteil des Schiffes zum Bug gebracht. Ein Hochgeschwindigkeitsaufzug katapultierte sie anschließend etliche Decks nach oben, bis sie die Kabinensektion für Offiziere erreichten.
Die kalten, grauen Stahlwände, die den überwiegenden Rest des Schiffs dominierten, ertranken dort hinter prunkvollen Holzvertäfelungen.

 

Auch fraß sich hier kein grelles Neonlicht in ihre Augen, stattdessen leuchteten die Birnen warm und sanft. Zwei Soldaten, die über ihren marineblauen Uniformen leichte, weiße Körperpanzerungen trugen stoppten sie auf dem Korridor hinter dem Aufzug.
„Waffen und Ausweise, sofort!“, hallte eine dumpfe Stimme durch den Helm, dessen verspiegeltes Visier kein Gesicht erkennen ließ.
Während Tom der Aufforderung nachkam, fragte er sich, ob die Wachen den Offizieren, die hier untergebracht waren, mit derselben Höflichkeit begegneten.
„Anliegen?“, fragte der Wächter, nachdem die beiden Soldaten ihm ihre Waffen übergeben hatten, denn hier oben war es nur Offizieren gestattet, eine Waffe zu tragen.
„Wir sind wegen des Admirals hier“, antwortete er.
„So?“, für einen Moment schien sich der Mensch hinter dem Visier enttarnt zu haben. Dann jedoch verwehte die eisige Routine diesen kurzen Ausrutscher, „Sie dürfen passieren.“
„Haben Sie irgendwas gesehen?“, Tom ging davon aus, dass zumindest diese Wachen von Verschwinden des Admirals wussten.

 

 

 

 

„Wenn das so wäre, wüssten Sie es bereits.“    „Natürlich“, gab er zurück, bevor er an den Wächtern vorbei schritt.
Die Kabine des Admirals lag im hinteren Teil des Sektors und verhöhnte die Soldaten, die in ihren Kojen wie Gefangene hausten, mit Dekadenz. Die gesamte Einrichtung umfing sie mit erleuchtender Helligkeit von mattiertem Weiß und Grau. Saftgrüne Pflanzen reckten sich an den Ecken, im hinteren Teil der Kabine erhob sich eine Empore mit Leseecke und mehreren Regalen, die sichtbar unter der Last der Bücher ächzten. Über den unteren Teil, wo eine lederne Couch zum Sitzen einlud, spannte sich ein komplett verglastes Dach, hinter dem sich die endlose, schwarze Weite des Weltalls erstreckte. Tom konnte sehen, wie die lange, schmale Fregatte Delaware, das älteste Schiff der Flotte, einige Meilen entfernt in der Schwärze trieb. Meilen, die in diesen Dimensionen nur wie Meter wirkten. Scheinbar befand sich dieser Teil der Newton gerade auf der vom Planeten abgewandten Seite, denn die zerklüftete, hellgraue Oberfläche von Kappa IV konnte er nirgends entdecken.
„Hey, wir sind nicht wegen dem Ausblick hier“, erinnerte Janette.

 

 

 

„Ja…natürlich“, murmelt er, worauf er den Blick abwandte, „Such nach allem, was…dir komisch vorkommt.“
„Komisch?“, erneut verzogen sich ihre Lippen zu diesem neckischen Lächeln, „Ich sehe mir die Leseecke an.“
„Tu das“, stimmte Tom zu, während er das Banner der Erdenrepublik betrachtete, das die Wand hinter der Couch zierte. Auf hellblauem Grund prangte der weiße Unterarm, dessen Faust sich um die Silhouette der Erde schloss.
Das jähe Bedürfnis ergriff Tom, davor zu salutieren.
„Das ist albern“, wollte er sich noch sagen, doch plötzlich stach eine Anomalie in seine Augen, die das Bedürfnis hinfort fegte und seinen Gedankengang ertränkte. In der unteren linken Ecke des Banners steckte ein schwarzes Abzeichen, das mittig mit einem weißen, leicht bläulichen Lichtstrahl verziert war, welcher sich pyramidenförmig nach unten ausbreitete.
„Sieh dir das an!“, rief er, worauf Janette sofort an seine Seite eilte.
„Ein Abzeichen der Licht-Partei?“, sie beugte sich näher heran, als würde sie ihren eigenen Augen nicht trauen. 

 

Auch Tom hätte niemals erwartet einen derartigen Gegenstand auf einem IHF-Kreuzer zu finden, schon gar nicht in der Kabine des Admirals. Die Licht-Partei konnte man bestenfalls als Opposition bezeichnen, aber in der IHF nannte man sie schlichtweg Rebellen.
„Das hat der Admiral niemals selbst dort hingesteckt“, sagte er bestimmt.
„Aber wenn Licht dahinter steckt…“, murmelte Janette, wobei das Unheil aus ihren Worten triefte.
„Dann ist das hier ein Anschlag“, vollendete Tom.
Plötzlich wurde es merklich heller, feuriger Glanz tanzte auf dem edlen Weiß der Einrichtung. Janette schnellte herum.
„Tom!“, kreischte sie und deutete auf die Scheibe, doch mittlerweile hatte auch er sich umgedreht und starrte mit offenem Mund ins All. Dort wo vor wenigen Minuten noch die Delaware im Orbit getrieben war, loderte nun ein gewaltiger Feuerball, während Trümmerteile in alle Richtungen schossen.
Dann erreichte die Druckwelle auch die Newton. Der Stahl erbete so heftig, dass es Tom und Janette von den Füßen riss.

 

Hart knallten sie auf die weißen Fliesen der Admiralskajüte, während über ihnen die Alarmsirenen dröhnten.
„Verdammte Scheiße!“, ächzte Tom.


14. November.2101; 21:03 Uhr - Pandora
-Station, Kappa IV
„Bist du dir sicher?“, fragte Victor Ortonov noch einmal.

„Natürlich bin ich sicher, ich weiß doch, was ich gesehen habe“, antwortete Fred Noah hitzig, wobei er sich durch die lockigen, kupferroten Haare fuhr, „Ich war eben in der Galerie und da hängt ein verdammter Feuerball am Himmel.“
„Also schön“, Victor schüttelte bedächtig den Kopf, bevor er das Headset wieder aufzog, „Pandora-Station an Flottenkommando: Sagt mal, was ist da oben eigentlich los bei euch?“
Das ewige Rauschen erbarmte sich keiner Antwort.
„Und?“, drängte Noah, wobei er sich eine Zigarette ansteckte. Normalerweise ging er zum Rauchen auf die Galerie, weil es innerhalb der Kommunikationszentrale verboten war.

 

 

Doch nun schien die Aufregung überhandzunehmen, und da sich außer ihm und Victor niemand in der Funkzentrale aufhielt, konnte er es sich erlaubten.
„Nichts“, entgegnete Victor.

„Hast du auch die richtige Frequenz eingestellt?“
„Ich bin kein Idiot, Fred!“, blaffte Ortonov. Manchmal zeigte sein Kollege ein Talent dafür, ihm auf die Nerven zu gehen.

„Dann geh selbst auf die Galerie und sieh es dir an“, forderte Fred.
„Die Zentrale muss immer besetzt sein“, dementierte er, „Ich werde nochmal versuchen, die Schiffe einzeln anzufunken. Mehr kann ich nicht tun.“
Während er sich an die Arbeit machte, registrierte er beiläufig, wie Noah sich an einem Computer neiderließ und wild auf die Tastatur einhackte.
Nachdem er jeweils dreimal an jedes der vier Schiffe gesendet hatte, ohne eine Rückmeldung zu erhalten, gab er auf und schleuderte das Headset auf seinen Schreibtisch zurück.
„Nichts“, murrte er.
„Wundert mich nicht“, schmatzte Fred, der sich in der Zwischenzeit eine halbe Tüte Chips einverleibt hatte, „Es geht nichts mehr raus.“


 

„Wie bitte?“, für einen Moment verstand Victor nicht, doch als Noah zur Erklärung ansetzen wollte, hatte auch er begriffen, „Jemand stört unser Signal?“
„Exakt“, bestätigte sein Kollege.

„Aber wer…“, begann er, bevor ein unerwartetes Geräusch ihn verstummen ließ. Jemand hatte die Tür geöffnet und ein breiter Lichtstrahl fiel in Kommunikationszentrale, die sonst nur vom Leuchten der Bildschirme erhellt wurde. Im Licht des Korridors erkannte Victor die hochgewachsene Gestalt eines Soldaten, der eine leichte schwarze Körperpanzerung über einer dunkelgrünen Uniform trug.
Special Forces. Er konnte sich an die Bedeutung der Farbkombination erinnern. Aus dem aschfahlen, schneidigen Gesicht des Mannes starrte eisige Disziplin. Victor glaubte, ihn schon einmal gesehen zu haben, doch gelang es ihm nicht, sich an den Namen zu erinnern.
„Colonel Daines“, grüßte Noah, der es anscheinend besser wusste, nicht ohne Verwunderung.
„Sagen Sie, wissen sie, was da oben…“
„Nein“, erwiderte Daines barsch, „Haben sie die Staffel für den Transport des Objekts benachrichtigt?“
„Natürlich, Sir. Bereits vor einer halben Stunde“, bestätigte Victor eilig.

 

„Gut“, der Colonel presste die fadenscheinigen, blassen Lippen fest aufeinander, „Dann brauche ich sie jetzt nicht mehr.“
Die schwarze Pistole mit Schalldämpfer hatte er schneller gezogen, als Victor es realisieren konnte. Ein Schuss löste sich, der lediglich wie ein Klicken klang, und Noah stürzte mit einem purpurnen Fleck auf dem weißen Hemd zu Boden.
„Oh“, ächzte er noch. Das war der vorletzte Laut, den Victor hörte, bevor ein weiterer Klick binnen eines Sekundenbruchteils jedes Leben aus ihm fegte.

Ein gleißendes Licht flackerte in der Schwärze.

 

 

Kapitel 1: Letzer Abend
14. November.2101; 21:12 Uhr - Pandora-Station, Kappa IV        

Jetta Lune ließ ihren Kopf auf die Hände sinken, sodass sie sich nun fast über die Tischplatte beugte. Eine schlechte Idee, wie sie im selben Moment feststellen musste, denn die Musik dröhnte selbst durch das Holz des Tisches. Missmutig rappelte sie sich wieder auf. Achtzehn Monate hatte sie fast jeden Abend in ihrem spartanischen Quartier verbracht, und obgleich es direkt über der Cafeteria lag, hatte achtzehn Monate lang angenehme Ruhe geherrscht. An diesem Abend war es anders. Die laute Musik brachte selbst den Boden zum Beben und freudige Rufe schallten durch die Fliesen in ihr Quartier.
„Sie haben es verdient, sich zu freuen. Sie fahren nach Hause, du fährst nach Hause“, sagte sie sich und verstand sich selbst für einen Moment nicht mehr. Sie war nie ein ausschweifender Mensch gewesen, nicht verbittert zwar, aber das Feiern lag ihr nicht, denn sie empfand dabei schlichtweg nichts. Auch hätte sie niemals von sich selbst verlangt, nach unten zu gehen, um mit den anderen zu tanzen, zu trinken und laut auf den Erfolg zu prosten.

 

Doch das war eben nicht alles: In diesem Moment empfand sie gar keine Freude, stattdessen überschattete eine jähe Niedergeschlagenheit ihr gesamtes Dasein, trübte den Ausblick auf die Heimreise, darauf, ihre Eltern, ihre Schwester wieder zu sehen.
Sie verdrehte eine Locke ihres langen, dunkelbraunen Haares und strich sie hinter ihr linkes Ohr zurück.
„Trent“, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf, „Trent ist verantwortlich für diesen ganzen Mist und dabei hat er nur einen einzigen Satz gesagt.“
Es war heute Mittag gewesen, als sie mit einigen Kollegen beim Essen in der Cafeteria gesessen hatte, während einige der Wissenschaftler bereits damit beschäftigt gewesen waren, die Girlanden für das Fest aufzuhängen. Plötzlich war Trent mit seinem Tablett von der Essensausgabe zurückgekehrt. Der eigensinnige Virologe, der nur dann mit anderen sprach, wenn er sich über irgendetwas beschwerte, speiste nie in der Cafeteria, sondern verzehrte das Essen stets allein in seinem Quartier oder in seinem abgeschotteten Labor. Doch an diesem Tag war er stehen geblieben, hatte den Wissenschaftlern mit ihrer Klappleiter und den Girlanden einen finsteren Blick zugeworfen und gesagt:

 

 

 

„Ich wünsche euch viel Freude, wenn ihr das Blut an euren Händen feiert.“
Bevor jemand auch nur in der Lage gewesen war, irgendetwas zu erwidern, hatte er den Speisesaal auch schon wieder verlassen. Sie hatte danach aufgegessen, war ins Labor zurückgekehrt, hatte die letzten Berichte geschrieben, die übrigen Formulare ausgefüllt, dann war sie in ihr Quartier zurückgekehrt, um noch ein paar Sachen zusammenzupacken. Doch irgendwie hatte sie sich bei allem unwohl gefühlt. Trauerte sie etwa darum, heim zu müssen? Wohl wahr, die Erde mochte viel von ihrer einstigen Schönheit verloren haben, doch auf Kappa IV gab es nichts außer der Pandora-Station und einem Haufen zerklüfteten Gesteins.
Sie starrte in den kleinen Spiegel auf ihrem Schreibtisch. Ihr seidiges, gescheiteltes Haar fiel ihr bis auf die Schultern und umrahmte ihr hübsches Gesicht, dessen einziger Makel die etwas zu breite Kieferpartie war. Aber das alles sah sie nicht, sie starrte nur in die Tiefe ihrer braunen Augen und erkannte, dass Quentin Trent ein Wissen in ihr geweckt hatte, das schon seit ihrer Ankunft in lauerte.

 

 

 

Nur hatte sie es bisher ertränkt, verdammt hinter fadenscheinigen Ausreden und erfundenen Gründen, nur damit sie das, was sie getan hatte, nicht selbst für falsch halten musste. Doch Quentin hatte den Stein losgetreten, der die Lawine auslöste. Nun erschien ihr alles falsch, so falsch, dass ihr übel wurde.
Plötzlich entflammte der Zorn in ihr.
„Quentin, dieser selbstgefällige Idiot!“, fluchte sie in Gedanken, „Er verurteilt uns alle, dabei hängt er selbst genauso tief drin.“
Tat er das? Wusste sie das? Brannte ihr Zorn gegen Quentin oder gegen sie selbst?
Für einen Moment suchte sie wieder Schutz in den altbekannten Ausflüchten, in der Geschichte, die die Erdenrepublik ihr und den anderen Wissenschaftlern aufgetischt hatte.
„Es dient nur dem Schutz der Kolonisten. Sie haben diesen Virusstamm auf einem bewohnbaren Planten gefunden, wir sollten nur einige Mutationen erproben und ein Gegenmittel finden. Alles was wir getan haben, diente dem Schutz und dem Fortbestand der Menschheit.“
Ihre eigenen Worte klangen leer in ihren Ohren.

 

 

 

Sie kannte die Zwietracht, die Menschen hegen konnten, sie wusste, wozu Menschen fähig waren, und ebenso wusste sie, was man mit ihren Forschungsergebnissen anrichten konnte. Irgendwie hatte sie es von Anfang an gewusst und das Wissen war mit jedem Tag auf diesem Felsbrocken gewachsen, bis sie es schließlich akzeptieren musste.
„Ich habe eine Waffe gebaut“, wurde ihr klar, während eine ganz andere Frage in ihr aufkeimte:
„Eine Waffe gegen wen?“
Seit dem dritten Weltkrieg hatte die Erdenrepublik keine Feinde mehr, abgesehen von der Licht-Partei und den Fatalisten, aber das waren keine Feinde, die man mit biochemischen Waffen bekämpfen konnte. Das alles wollte, ihr nicht einleuchten.
Vielleicht dient es doch nur dem Schutz.
In der tiefen Grube der Ratlosigkeit fühlte sie sich noch unwohler als in den Flammen des Zorns und es nagte so sehr an ihr, dass sie einfach irgendetwas tun musste.
„Ich könnte mit Quentin reden“, überlegte sie, was ihr jedoch im selben Moment dämlich vorkam. Quentin Trent sprach wahrscheinlich häufiger mit seinen Laborapparaturen als mit anderen Menschen.

 

 

Dennoch musste sie zumindest raus aus ihrem Quartier. Die Labore hatte man bereits versiegelt und sonst gab es im gesamten Wohnblock wohl keinen Ort, der nicht von der Cafeteria aus beschallt wurde. Aber außerhalb des Wohnblocks verlief die Galerie, die den wissenschaftlichen Trakt mit der Kommunikationszentrale, der Kaserne, dem Dock und dem Vorratslager verband. Von dort aus konnte man zu den Sternen sehen, in die tiefe Schwärze des Alls oder man erhaschte einen Blick auf die gewaltigen Raumschiffe, die hoch über Kappa IV im Orbit trieben.
So erhob sie sich und streifte ihren Laborkittel über, obwohl sie gar nicht vor hatte ins Labor zu gehen. Auf der einen Seite tat sie aus automatisierter Gewohnheit, auf der anderen trugen die Wissenschaftler auf Kappa IV stets ihre weißen Mäntel, um sich von den Soldaten und dem übrigen Personal abzugrenzen. Im Laborkittel trat sie auf den Flur hinaus, wo die Musik so laut in ihre Ohren hämmerte, dass sie fürchtete, Kopfschmerzen zu bekommen. Daher eilte sie schnell den niedrigen Korridor entlang, bis sie die Treppe am anderen Ende erreichte. Allerdings bog sie vor den Stufen ab, da diese sie nur in die Cafeteria geführt hätten.

 

 

 

Stattdessen wählte sie den weiten äußeren Weg durch den Wohntrack und wunderte sich nun angesichts der niedrigen Gänge und der schäbigen Wandverkleidung aus grauem und gelbem Metall, wie sie es all die Monate dort ausgehalten hatte.
Schließlich stand sie vor der schweren, stählernen Doppeltür, die aus dem Wohntrakt in den breiten, bogenförmigen Gang führte, den man aufgrund seiner kompletten Verglasung Galerie getauft hatte.
Durch die Mitte bohrte sich eine metallene Wendeltreppe in den Untergrund, der sich durch den steinigen Boden von Kappa IV rankte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Wohntrakts erhob sich das Kasernengebäude, auf dessen Dach, gespickt mit etlichen Radarschüsseln und Antennen, die dunkle Kuppel der Kommunikationszentrale thronte. Dahinter ragten lediglich noch die dunklen Silhouetten der siloförmigen Lagerräume auf.
Zu Jettas Rechten hingegen ruhten drei gewaltige kreisrunde Schotts aus Beton, die so tief in den zerklüfteten Felsboden eingelassen waren, dass man sie nur dank der grellen Beleuchtung erkennen konnte. Sie wusste, dass es sich dabei um Landeluken für Shuttles handelte, unter denen jeweils ein kleiner Hangar lag.

 

 

 

Diese waren als Schleusen notwendig, da Kappa IV keine Atmosphäre besaß, was es schwierig machte, die Shuttles im Freien zu be- und entladen.
Zu ihrer Linken klaffte ein gewaltiger Riss in der Oberfläche des zerrütteten Planeten, aus dem sich gewaltige Felszacken wie rasiermesserscharfe Zähne emporreckten. Über ihr hing nur die ewige Schwärze des Alls, durchsetzt vom Funkeln weniger Sterne.
Sie ging weiter über die glänzend schwarzen Kacheln der Galerie, wobei sie eine Bank in der Mitte des Bogens, gleich neben der Wendeltreppe fixierte. Sie hatte knapp die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als plötzlich ein dumpfes Grollen ertönte und der Boden unter ihr leicht zu beben begann. Eilig hielt sie inne, wandte ihren Blick nach rechts und erkannte, wie sich die beiden schweren Hälften des mittleren Schotts langsam aus dem grauen Boden reckten.
„Natürlich“, schoss es ihr durch den Kopf, „Sie schaffen unsere Ergebnisse rauf zur Flotte.“
Gebannt beobachtete sie, wie sich auch der Rest des Schotts öffnete, bis seine beiden Hälften senkrecht dem Sternenzelt entgegenragten. Dann erhob sich vollkommen lautlos im Senkrechtflug ein Shuttle aus den Tiefen des Hangars.

 

 

Tatsächlich erinnerten die Shuttles Jetta stets an die Bilder militärischer Transportflugzeuge des frühen 21ten Jahrhunderts, die ihr Großvater, ein pensionierter Pilot, ihr in Kindheitstagen gezeigt hatte. Abgesehen davon, dass die Turbinen schwenkbaren Düsen gewichen waren und die gesamte Statur des Shuttles leicht nach oben gekrümmt wirkte, gab es kaum nennenswerte Veränderungen. Während das Shuttle immer höher in die Schwärze stieg, ertönte eine leise Stimme hinter ihr: „Noch jemand, der diesen Abend lieber nicht feiern möchte?“


14. November.2101; 21:59 Uhr - Sternenkreuzer H.S.S.W. Newton, Orbit von Kappa IV

„Das ist doch scheiße“, seufzte Tom Ewans, während er missmutig mit seiner Gabel in den Nudeln herumstocherte. Da der Kreuzer nur mit der Minimalbesatzung flog, hatte man lediglich den kleinen Speisesaal geöffnet, doch selbst dieser war so leer, dass er sich darin vollkommen verloren vorkam.
„Weißt du, ich sollte morgen schon zur Erde zurückfliegen…nach Hause, zu meiner Familie“, klagte er.

 

 

 

„Du hast Familie?“, Janette schien ernsthaft überrascht.
„Ja, allerdings“, bestätigte Tom, wobei er den Ehering an seiner rechten Hand präsentierte.
„Oh…“, entfuhr es ihr, „Ich weiß nicht….ich glaube nicht, dass das funktioniert.“
„Was?“, unbewusst legte er die Stirn in Falten.
„Na ja, der Job und Familie“, antwortete sie, während sie Spaghetti auf ihre Gabel rollte, „Deine Frau und…hast du Kinder? Jedenfalls bekommt dich doch das halbe Jahr keiner von denen zu sehen. Oder noch länger. Ich meine, wie lange waren wir jetzt hier draußen?“
„Achtzehn Monate.“
„Achtzehn Monate und ich wusste nicht mal, dass du verheiratet bist“, sie lachte.
„Wir kennen uns auch erst seit knapp drei Monaten“, entgegnete er.
„Ja, richtig“, ihre Augen leuchteten, als würde sie sich gerade erst daran erinnern. Sie drehte eine Locke in ihr perlschwarzes Haar, bevor eine jähe Bitterkeit das Funkeln aus ihren Augen wischte, „Gott sei Dank, hatte ich mit Cassillas und Wong nicht so viel zu tun.“
„Das macht es trotzdem nicht einfacher“, murmelte Tom, der bereits satt war, obgleich er nur zwei Bissen

 

heruntergewürgt hatte. Die Explosion der Delaware steckte immer noch tief in seinen Knochen, obgleich er selbst mit niemandem auf dem Schiff engen Kontakt gepflegt hatte. Doch auch auf der Newton hatte die Druckwelle einigen Schaden angerichtet. So waren Janette und er zwar mit ein paar belanglosen Blessuren davon gekommen, schlechter war es allerdings Casillas und Wong ergangen. Die Druckwelle hatte das Shuttle, zu dem Tom sie geschickt hatte, erfasst und es während des Startvorgangs in den Hangar zurückgeschleudert, wo es einen gewaltigen Riss in die Außenhülle geschlagen hatte. Sechs Techniker und die beiden Soldaten waren dabei ums Leben gekommen. Auch Cage und Shankar, die das Glück gehabt hatten, sich in einem anderen Teil des Hangars zu befinden, waren nicht ohne Verletzungen davon gekommen, sodass sie nun beide auf der Krankenstation lagen, Cage mit einer ausgekugelten Schulter, Shankar mit ein paar Rippenprellungen.
„Wer tut nur so was?“, fragte Janette, wobei sie den Blick ihrer mandelförmigen Augen zur Decke richtete.
Licht“, Zorn schwoll in ihm, als er das Wort sprach.

 

 

 

Seit Jahren machten diese scheinheiligen Idealisten allen, die für die Menschheit etwas verändern, etwas bewirken wollten, das Leben schwer…und jetzt das.
„Ich weiß nicht“, murmelte Janette nach einem weiteren Bissen Spaghetti, „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, das Licht dahinter steckt. Anschläge…das passt einfach nicht zu Licht. Sagen die Leute aus der Partei nicht immer, dass sie jedem mit offenem Visier entgegentreten würden?“
„Politiker...“, Tom schnaubte verächtlich, „Die sagen viel, aber selten die Wahrheit.“
„Ich könnte mir eher vorstellen, dass die Fatalisten, dahinter stecken“, sinnierte Janette.
„Aber warum dann das Parteiabzeichen in der Kabine des Generals?“
„Wer weiß“, sie zuckte mit den Schultern, „vielleicht wollten sie nur vortäuschen, dass Licht dahintersteckt…oder aber das Abzeichen gehörte tatsächlich dem Admiral.“
„Der Admiral niemals. In der IHF gehört niemand zu Licht…“, protestierte er.
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, raunte sie, „Ich habe da dieses Buch in seiner Kabine gesehen.“
„Welches Buch?“

 

 

„Das Drakonische Manifest“, erneut rankte sich das neckische Lächeln über ihre Lippen, dass er sich fühlte, als sei er in eine Falle getappt. Das Buch, von dem sie sprach, war eine Art Bibel der Licht-Partei. Er hatte bisher nur wenig darüber gehört. In der IHF sagten sie, es lobe die Werte von Ehre und Würde, sei aber durchweg menschenverachtend.
„Der Admiral ist ein gebildeter Mann. Wahrscheinlich besaß er es nur deshalb, rein interessehalber…“, murmelte er und musste sich selbst eingestehen, nicht besonders überzeugend zu klingen. Janette wollte gerade zu einer weiteren Äußerung ansetzten, als ein lauter Ruf ihre Silbe noch im Keim verschluckte:
„Ewans, Rosier! Da sind sie ja!“
Sergeant Pierce stampfte begleitet von zwei vollgerüsteten Soldaten durch die Reihen der Tische. Das Neonlicht schimmerte auf seiner ebenhölzernen Haut, und obwohl er sicherlich schon auf die Fünfzig zuging, durchfurchten kaum Falten sein strenges Gesicht. Den Schädel hatte er kahl geschoren, wohingegen die buschigen, pechschwarzen Augenbrauen und der Bart, der sich um Oberlippe und Kinn rankte, munter weiter sprossen. Sein muskelbepackter Körper schien kein einziges Gramm Fett zu tolerieren.

 

 

 

„Das Ganze Schiff ist in Auffuhr, es herrscht höchste Alarmstufe“, schnaubte er „und sie beide sitzen hier und essen?“
„Wir haben nur unsere Fortschritte bezüglich der Suche nach Admiral Paleman besprochen“, Janette schenkte ihm ein Lächeln, das jedoch an seiner stählernen Miene abprallte.
„Welche Fortschritte?“, blaffte er, „Ich sehe den Admiral hier nirgendwo.“
„Wir gehen davon, dass der Admiral entführt wurde, Sir“, meldete sich Ewans zu Wort, „Vermutlich steckt die Licht-Partei dahinter. Wir fanden das hier in seiner Kabine“, er überreichte seinem Vorgesetzten das Abzeichen.
Licht“, Pierce Stimme triefte vor Verachtung, während er den Gegenstand mit der Miene eines Raubvogels beäugte, „Das hilft uns auch nicht weiter.“
„Wenn wir nur mehr Zeit hätten…“, begann Janette, doch der Sergeant winkte ab.
„Die werden sie nicht bekommen. Ich habe andere Aufgaben für sie“, er machte eine kurze Pause, als wollte er sich versichern, dass ihm die beiden auch wirklich genauestens zuhörten, „Seit der Explosion scheint unsere Funkverbindung zur Station defekt zu sein und diese Nerds von der Technikabteilung kriegen

 

das nicht wieder hin. Ich fürchte, die Station weiß nicht einmal, was hier oben vorgefallen ist. Und zu allem Überfluss soll in 30 Minuten das Shuttle mit den Ergebnissen von der Station hier eintreffen, obwohl wir wegen des Schadens am Steuerbordhangar nicht mehr genug Landeplätze haben.“
„Was können wir tun, Sir?“, erkundigte sich Tom devot.
„Bewegen sie ihren Arsch zum Backbordhangar und nehmen sie ein Shuttle runter zur Station. Sagen sie Colonel Daines, dass er die Ergebnisse auf die Widow schicken soll.“
„Die Widow, Sir?“, fragte er ungläubig, „Das ist doch das Schiff der Special Forces. Warum nicht die Armstrong?“
„Die Armstrong ist genauso ein Schrotthaufen wie die Delaware und die Newton und genauso unterbesetzt. Wir müssen damit rechnen, dass es noch einen weiteren Anschlag geben wird. Auf der Widow sind die Erfolgschancen dafür am geringsten. Die Forschungsergebnisse werden dort sicher sein.“
„Natürlich, Sir“, bestätigte Tom, und obwohl er Pierces Argumente einleuchtend fand, entdeckte er doch Zweifel in Janettes Augen.

 

„Worauf warten sie dann noch? Schaffen sie ihre Ärsche in den Backbordhangar!“, rief der Sergeant und verhinderte damit, dass Tom noch tiefer in den Augen Rosiers versank. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihr Essen stehen zu lassen und den Befehl zu befolgen. Obgleich Tom kaum mehr als drei Bissen verschlu^ngen hatte, schwellte Übelkeit in seinen Eingeweiden, die sich nach der Beschleunigung durch die Monorail kaum besserten. Wenigstens gelangten sie schnell zum Backbordhangar, wo bereits ein Shuttle bereitstand. Der Copilot, dessen orangefarbene Sicherheitsweste leuchtete wie ein Weihnachtsbaum und dessen Gesicht hinter dem schweren, weißen Helm versunken war, winkte ihnen hektisch zu.
„Beeilt euch, wir sind schon 20 Sekunden hinter dem Zeitplan!“, schrie er gegen den Lärm der Startdüsen, die das Shuttle bereits in der Schwebe hielten.
„Oh wie tragisch“, raunte Janette, so leise, dass nur Tom es hören konnte. Dennoch sprang sie hastig auf die Laderampe und eilte in die schwarze Röhre des leeren Laderaums. Tom folgte ihr, während der Copilot noch zurückblieb.

 

Wahrscheinlich verlangten die Vorschriften, dass er als letzter an Bord ging. Als Tom über die Laderampe hechtete, streifte irgendetwas seine rechte Wange. Obgleich es ihn nur leicht wie ein Luftzug berührte, war er sich doch sicher, dass es da gewesen war. Nur gähnte um ihn herum lediglich die Schwärze des Laderaums.
„Na los weiter rein, die Sitzplätze sind vorne!“, drängte der Copilot, der mittlerweile auch auf der Rampe stand.
„Natürlich“, gab Tom sichtlich verwirrt zurück, während sich hinter ihm bereits die Luke schloss.
Als sie nach vorne eilten, mussten sie sich gegen den Schub stemmen, denn der Pilot schien den Start bereits eingeleitet zu haben. Erschöpft erreichte er das Cockpit, wo er sich auf einen kaum gepolsterten, sehr schmalen Sitz sinken ließ. Durch die verglaste Front sah er gerade noch, wie das Shuttle durch das geöffnete Schott ins All schoss.
„Macht euch auf einen holprigen Flug gefasst“, lachte der Pilot, der sich mit Helm und Warnweste kaum von seinem Kollegen unterschied, mit rauer Stimme, „Seit es die Delaware zerpflückt hat, fliegen hier Unmengen Trümmerteile rum.“

 

 

 

Im selben Moment wurde seine Aussage dadurch bestätigt, dass das gesamte Shuttle erbebte und ein ganzes Stück nach unten sackte. Die Übelkeit flutete Toms Kehle hinauf.
„Kollision“, meldete die weibliche, aber tonlose Stimme des Bordcomputers.
„Was du nicht sagst“, knurrte der Pilot, bevor er sich an Tom und Janette wandte, „Keine Sorge, wir haben schon Schlimmeres durchgestanden. Die Lady hat einen dicken Pelz.“
Das sollte sie besser, dachte Tom, bevor eine weitere Erschütterung ihn so hart in die Gurte presste, dass jede Luft aus seinen Lungen gequetscht wurde. Zugleich fürchtete er, der ganze Sitz würde aus der Wand brechen.
„Kollision“, wiederholte der Bordcomputer.
„Ja ja“, schnaufte der Pilot, wobei er auf irgendwelche Apparaturen eindrosch. Toms Übelkeit steuerte unterdessen unaufhaltbar dem Erbrechen entgegen. Als die nächste Kollision das Schiff durchschüttelte, stach bereits die Bitterkeit von Galle durch seine Mundhöhle. Diese Mal blieb die Warnung des Bordcomputers jedoch aus, stattdessen erschallte eine andere Stimme, männlich und abgehetzt:

 

 

 

„Sternenkreuzer Newton an Shuttle Eleonore. Hier spricht Supreme-Command. Kehren sie sofort zum Kreuzer zurück. Ich wiederhole: Kehren sie sofort zurück.“
„Das soll wohl ein Scherz sein“, fluchte der Pilot.
„Wir machen keinen Scherze“, antwortete der Sprecher von Supreme-Command und fügte noch etwas an, das Tom jedoch nicht verstand, da sich plötzlich Sergeant Pierce auf seinem Headset meldete.
„Ewans!“, brüllte er, so laut, dass Tom fürchtete, sein Trommelfell würde platzen, „Höchste Alarmstufe. Wir verdächtigen den Admiral des Hochverrats. Er hat einen Tarnanzug aus dem Waffenlager entwendet. Wir fürchten, dass er sich Zugang zum Shuttle verschafft hat.“
„Einen Tarnanzug?“, ächzte Tom, der sich fragte, was so schlimm daran war, dass jemand eine Camouflageuniform aus dem Waffenlager entwendet hatte.
„Ein experimentelles System zur kompletten optischen Tarnung. Es macht den Träger quasi unsichtbar.“
„Der Luftzug…“, schoss es ihm durch den Kopf. Dann traf ihn irgendetwas so hart gegen den Brustkorb, dass sein ganzes Bewusst sein hinfort gefegt wurde.

 

 

 

Wie ein nasser Sack hing er in seinem Sicherheitsgurt, spürte gerade noch, wie irgendetwas die Pistole aus seinem Halfter entwand, hörte einen spitzen Aufschrei von Janette.
„Jetzt gebe ich hier die Befehle“, zischte jemand, „Fliegen sie weiter!“
Dann sank er in die Ohnmacht.


14. November.2101; 22:00 Uhr - Pandora-Station, Kappa IV
Quentin Trent, ein hagerer Mann mit dunkelblonden Haaren, der sich mit der Körperhaltung eines Geiers bewegte. Sie fragte sich, ob er je ein Wort mit ihr gewechselt hatte, und auch jetzt wirkte der Satz ins Leere gesprochen, nicht an sie gerichtet, sondern an ein imaginäres Publikum, das irgendwo in der in der Galerie schwebte. Er zog an Jetta Lune vorbei, um sich auf eine der gepolsterten Bänke sinken zu lassen, die vor den Scheiben der Galerie standen. Von dort aus hob er seinen Blick in die endlose Weite des Alls.

„Mir liegt nicht viel am feiern“, rechtfertigte sie sich.
„So“, unverwandt starrte er die Sterne an, „Nun mir auch nicht. Und dennoch…Sie wissen, dass das nicht der wahre Grund ist. Sie wirken…betrübt.“


 

 

Woher kann er das wissen? Er hat mich nicht einmal angesehen.
„Ich…“, begann sie, worauf er jedoch nur den Kopf schüttelte.

„Sie wissen genauso gut, wie ich, dass hier etwas nicht stimmt“, für einen einzigen Augenblick sah er sie an, allerdings, wie sie feststellen musste, nur, um den Namensaufdruck auf ihrem Kittel zu entziffern, „Madam Lune.“
„Sie glauben, dass wir eine Waffe gebaut haben“, sprudelte es aus ihr heraus.
„Ich würde es eher wissen als Glauben nennen“, entgegnete er.
„Ich bin mir nicht sicher“, zweifelte sie und für einen Moment fiel es ihr schwer, offen zu sprechen vor diesem Menschen, den sie eigentlich gar nicht kannte. Langsam fuhr sie fort, „Ich meine, unsere Forschung wäre schon waffenfähig nur…gegen wen sollten sie diese Waffe einsetzten wollen? Haben wir denn Feinde?“
„Feinde?“, ein bitteres Lächeln rankte sich über das pockennarbige Gesicht des Virologen, „Ich kann auch nur Mutmaßungen anstellen…doch ich fürchte, das Ganze hier hat eine größere Tragweite, als sie sich vorstellen können.

 

Eine Tragweite, die die Erdenrepublik möglicherweise zu Handlungen zwingt, die für uns drastische Konsequenzen hätten.“
„Ich verstehe nicht“, entgegnete sie, obgleich sie jedem seiner Worte aufmerksam gelauscht hatte.
„Ich wollte damit sagen, dass wir morgen höchstwahrscheinlich nicht mehr hier sein werden.“
„Natürlich nicht, morgen wird die Delaware uns…“, begann sie, worauf er jedoch nur bedächtig den Kopf schüttelte. Eine träge Bitterkeit schwang in jeder seiner Bewegungen und plötzlich, dämmerte auch ihr, worauf er hinauswollte.
„Nein!“, entfuhr es ihr, „Das können die unmöglich tun!“
„Nun, Madam Lune, was glauben Sie wohl, warum die Special Forces hier sind, die gnadenlosesten, loyalsten und tödlichsten Soldaten der Republik? Um eine Forschungsstation in irgendeiner abgelegenen Ecke des Alls zu beschützen, obwohl die Menschheit gar keine Feinde hat. Ich glaube kaum.“
Die Gewissheit brach wie eine Sturmflut in ihren Geist, wo die Last so schwer wurde, dass sie glaubte, darunter zusammenzubrechen. All die Soldaten mit ihren leeren Gesichtern, den toten Augen, den schweren Waffen. Sie hatte es alles gesehen und doch nicht einen Moment daran gedacht, dass… 

 

 

 

Sie konnte nicht länger gegen die Tränen ankämpfen, als die bodenlose Grube der Erkenntnis vor ihren Füßen aufriss, aus der nur Schwärze und Vergessen gähnten.
Ich werde sterben.
„Madam Lune“, Trent stand plötzlich vor ihr und reichte ihr ein seidenes Taschentuch, das sie mit zittrigen Händen entgegennahm.
„Sie haben das all die Zeit gewusst?“
„Ich bin nicht so schnell darauf gekommen, wie ich es hätte tun sollen…so offensichtlich wie es doch ist“, Enttäuschung triefte aus seinen Worten, „Aber seit vier Monaten bin ich mir sicher.“
„Warum haben Sie dann nichts getan? Sie hätten…“, schluchzte sie.
„Konnte ich das?“, er zuckte mit den Achsel, „Es wäre vermessen, davon auszugehen, eine Chance gegen die Special Forces zu haben. Was hätte ich tun können?“
„Sie hätten…“, plötzlich verstand sie gar nichts mehr, und bevor sie auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, erschallte die Stimme von Argus II, einer künstlichen Intelligenz, welche die Pandora-Station überwachte:

 

 

 

„B3…der Wohnblock!“, schoss es ihr durch den Kopf, worauf sie sofort herumschnellt. Doch an der Tür, die zurück in ihr Quartier und die Cafeteria führte, wo all die anderen Wissenschaftler fröhlich feierten, flackerte hektisch ein rotes Lämpchen und verkündete, dass die Tür versiegelt war.
„Was…“, keuchte sie.
„Gas schätze ich“, Quentin schüttelte betrübt den Kopf, „Wenigstens werden sie nicht lange leiden müssen.“
„Ich..“, sie sah sich außerstande, auch nur noch ein einziges Wort zu sprechen oder einen klaren Gedanken zu fassen. Der Schock hatte ihren Kiefer, ihre Zunge gelähmt und ihr Geist ertrank in verzehrender Trauer und blinder Angst.
„Ein guter Scotch wäre jetzt schön gewesen“, sinnierte Trent, „Hätte ich doch die letzte Flasche nicht schon vor Monaten geleert.“
Seine Worte trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht, brachen ihren Lähmung, zwangen sie, zu schreien:
„Sie wollen einfach hier auf den Tod warten?“
„Wie gesagt, ich bin nur ein Wissenschaftler. Was soll ich gegen die Special Forces ausrichten? Falls Sie allerdings vor ihrer akademischen Karriere eine tödliche Einzelkämpferin waren, Madam Lune, hätten wir vielleicht noch eine Chance…“, sein Blick haftete

 

immer noch an den fahl funkelnden Sternen, doch sein Galgenhumor ekelte sie an.
„Warum sind Sie dann überhaupt hier?“, schrie sie, „Wäre es nicht einfacher gewesen, mit den anderen in der Cafeteria zu sterben?“
„Na ja“, zum ersten Mal klang er so, als würde ihn die Situation, in der sie steckten, tatsächlich berühren, „Ich ziehe es vor, durch einen Schuss in den Kopf zu sterben, anstatt mich wie Vieh abschlachten zu lassen.“
„Es…es geht Ihnen, also nur darum, wie Sie sterben?“, ächzte Jetta.
„Das ist eine Frage, vor der in nicht allzu weit entfernter Zukunft, die gesamte Menschheit stehen wird“, gelassen lehnte er sich auf der Bank zurück.
„Nein“, schluchzte sie, „Ich…ich werde nicht so enden. Die Treppe führt nach unten. Ich werde zu den Docks gehen, zu den Shuttles und…“
„Angenommen Sie würden es tatsächlich zu den Shuttles schaffen. Können Sie eines fliegen? Können Sie die Schotts öffnen? Abgesehen davon: Jeder von uns trägt einen Ortungschip. Sind Sie hart genug, sich das Ding selbst rauszuschneiden? Haben Sie überhaupt ein Skalpell, ein Messer, überhaupt irgendeine Waffe?“ 

 

Seine Worte sogen alle Hoffnung aus ihr heraus. Ein Schuss in den Kopf war also das Schicksal, das sie erwartete. In den Augen Quentins mochte dies ein guter Tod sein. Sie jedoch zweifelte.
Meine Leiche wird hässlich aussehen. Ob sie sich wohl darauf einlassen, mir ins Herz zu schießen, wenn ich sie darum bitte?
Im nächsten Moment verwischte sie den Gedanken. Vermutlich würde niemand je ihre Leiche zu Gesicht bekommen. Für einen Moment fragte sie sich, wie die Republik den Vorfall erklären würde.

Sterbe ich an verdorbenem Essen, ein einer Seuche an Bord eines Schiffes, bei einem Raumschiffabsturz? Explodiert vielleicht die ganze Station? Hat irgendein Trottel versehentlich das Virus freigesetzt? Wird es einen Anschlag der Fatalisten geben?
„Und wenn sie nicht damit rechnen, dass jemand aus dem Wohntrakt entflieht“, als sie den Gedanken fasste, hatte sie ihn auch schon ausgesprochen.
„Unwahrscheinlich“, winkte Quentin ab.
„Es ist mir egal, ob es unwahrscheinlich ist. Wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, zu fliehen…ich meine, wollen sie etwa sterben? Müssen wir nicht überleben? Müssen wir nicht kämpfen, damit irgendjemand von dem erfährt, das hier geschieht?“

 

 

 

Sie starrte ihn an und plötzlich wandte er seinen Blick von den Sternen ab, um in ihr Gesicht zu sehen. In seinen giftgrünen Augen gähnte die Resignation, während ihre in Tränen schwammen. Beide verharrten und sie vermochte nicht zusagen, wie lange sie sich einfach nur unverwandt ansehen, bis er schließlich blinzelte.
„Ich habe vier Monate lang versucht, mich auf meinen Tod vorzubereiten, mich damit abzufinden…Sie machen es mir ziemlich schwer, daran festzuhalten“, er schüttelte erneut den Kopf und zeigte sein bitteres Lächeln, „Wissen Sie, in den vier Monaten bin ich nicht darauf gekommen, dass ich noch eine Verantwortung gegenüber dem Rest der Menschheit habe. Sie haben Recht, jemand sollte von dem erfahren, was hier geschieht.“
„Das heißt…“, angesichts seiner Veränderung umfing sie erneute Verwirrung, „Sie helfen mir?“
„Solange Sie mich nicht bitten, Ihnen den Ortungschip aus dem Oberarm zu pulen“, die Resignation in seinen Augen wich einem fahlen Funkeln.
„Dann sollten wir wohl gehen, bevor Sie es sich anders überlegen“, es fiel ihr immer schwerer, Worte zu finden, die sie in dieser Situation für angebracht hielt.
Was ist überhaupt noch angebracht?

 

 

 

„Bevor wir gehen, sollten wir die hier los werden“, sagte er ernst, wobei er sich den weißen Laborkittel vom Leib riss und ihn in den Unterbau der Galerie schleuderte, wo er zwischen einem Geflecht aus Metallstreben in der Dunkelheit versank. Erst als sie es ihm nach getan hatte, erkannte sie, dass er einen makellosen, nachtschwarzen Anzug trug, in dessen Knopfloch eine rote Nelke blühte.
„Was denn?“, entgegnete er, der ihren erstaunten Blick aufgefangen hatte, „Ich wollte für den Tod angemessen gekleidet sein.“

 

 

 

Kapitel 2: Exeunt omnes
14. November.2101; 22:15 Uhr - Schwere Fregatte H.S.S.W. Salvation, Sektor Iota

Marten Bram stand in der gewaltigen Kapitänskabine seiner Fregatte und betrachtete sich in einem mannshohen Spiegel. Der Kragen seiner schwarzen Uniform erhob sich, bekränzt mit silbernem Dekor, bis unter das fahle Kinn. Das schneidige Gesicht war so abgemagert, dass die Wangenknochen hart hervorstachen, während die schwarzen Augen in ihren tiefen Höhlen versanken. Die glänzend schwarzen Haare durchzog ein perfekter Scheitel, das Dekor glänzte. Obgleich er einsah, dass er sein Äußeres von jedem Makel befreit hatte, verzerrte doch der Zorn seine Miene und er fragte sich, warum er eigentlich vor den Spiegel getreten war.
„Was siehst du?“, seine Stimme flüsterte so leise, dass selbst die nur gedachten Worte sie übertönten.
„Einen Captain der IHF“, antwortete das Offensichtliche.
„Ist das alles?“
Er erinnerte sich an eine Zeit, als Gerechtigkeit alles gewesen war, was er gewollt hatte. Gerechtigkeit…Rache an den Fatalisten, die seine Familie getötet hatten.


Nur aus diesem Grund war er der IHF beigetreten, um seinen Durst nach Rache zu stillen.

„Rache? Nein, Gerechtigkeit!“, sagte er mit Nachdruck, „Aber das hier ist keine Gerechtigkeit.“
Am liebsten hätte er den Spiegel zerschlagen, ihn in tausend Splittern danieder hageln sehen, um sein Abbild in einem Scherbenhaufen zu betrachten.
„Heute ist der Tag, um das Richtige zu tun“, sagte er sich ein einziges Mal, denn die Wahrheit bedurfte keiner Wiederholung. Doch was war schon wahr?
„Wenn ich nur Beweise hätte.“
Aber nichts hatte er, nichts außer einer unvollständigen Transmission aus Sektor Kappa und dem wenigen, das er während der Briefings selbst zwischen den Zeilen gelesen hatte.
„Nichts!“, erneut raste seine fahle Faust, aus der jede Sehne wie ein Drahtseil hervortrat, in die gefährliche Nähe des Spiegels. Nur das leise Piepen seines schmalen, einseitigen Headsets vermochte, den Schlag aufzuhalten.
„Was?“, blaffte er in den Funk, obgleich er nicht einmal wusste, wer am anderen Ende zuhörte. Auf seinem Schiff würde ihn ohnehin niemand in Frage stellen.
„Captain, hier spricht Lieutenant Gates“, der andere flüsterte, als wollte er seine Worte unbedingt verheimlichen, „Die Manöverpläne sind gerade raus.“

 

 

 

„Und?“, blaffte Bram.
„Was wir erwartet hatten“, Bitterkeit klang aus dem Wispern.
„Und von Paleman?“
„Nichts weiter.“
„In Ordnung…“, murmelte Bram, „warten Sie auf weitere Anweisungen.“
„Natürlich, Sir“, gab Gates zurück, worauf der Captain die Verbindung beendete. Langsam trat er vom Spiegel zurück und setzte sich an den niedrigen Tisch im unteren Bereich seiner Kabine. Immer noch brannte der Zorn in ihm, den auch ein Glas Scotch, das zuvor auf dem Tisch gewartet hatte, nicht löschen konnte. Er hatte sich vom Trinken des Whiskys nicht mehr Klarheit versprochen, wohl aber mehr Entschlusskraft, doch auch diese wollte sich nicht einstellen.
„Jetzt ist die Zeit, die Welt zu verändern. Das ist meine Chance, einmalig im Leben“, sagte er sich, doch eine andere Stimme verkündete:
„Die Chance, ins offene Messer zu laufen.“
„Was auch immer geopfert werden muss…“, er füllte das Glas erneut mit Whisky, um den Inhalt anschließend in einem Schluck hinunterzukippen, „Was auch immer geopfert werden muss!“

 

 

 

Er sprang auf, hastete zu dem Banner der Erdenrepublik, das neben dem Spiegel hing. Voller Hass spuckte er auf die Faust, die die Welt umschloss, dann riss er das Banner von der Wand, womit er das Wappen von Licht offenbarte, das dahinter verborgen gewesen war. Er schlug die Hacken zusammen, um vor dem stilisierten Lichtstrahl zu salutieren.
„Gott ist mit den Gerechten!“, rief er, bevor er seine Pistole zog, deren Sicherung und Magazin er sogleich überprüfte. Zufrieden meldete er sich wieder bei Lieutenant Gates:
„Lieutenant“, sprach er nun leise und berechnend, „Wir gehen wie geplant vor. Geben Sie den anderen Bescheid und treffen Sie mich in fünf Minuten vor der Kabine des Admirals!“
„Natürlich, Sir“, Gates Stimme überschlug sich vor Freude, „Gott ist mit den Gerechten!“
„Gott ist mit den Gerechten“, wiederholte er, bevor er die Verbindung unterbrach.
Noch einmal warf er einen Blick in den Spiegel, fuhr mit den spinnengleichen Händen über das silberne Dekor, begutachtete die Linearität seines Scheitels. Dann nickte er seinem Spiegelbild zu, ergriff den versiegelten Hefter, der auf seinem Tisch neben dem Whiskyglas lag, und verließ mit eiligen Schritten die Kabine. 

 

 

 

Während er über die hellerleuchteten Korridore des Offiziersdecks marschierte, schlossen sich ihm etliche andere Männer in Gardeuniform an.
„Gott ist mit den Gerechten“, einige flüsterten andere schrien es fast heraus. Bram lächelte, als er sah, dass ein jeder eine Waffe in seinem Halfter trug. Zwei Gänge weiter war aus einem Mann eine ganze Prozession geworden, die unaufhaltsam der schweren Doppeltür von Admiral Catherine Lancasters Kabine entgegenflutete.
„Meine Kabine!“, zischte Bram in Gedanken. Seit jeher hatte er es als Affront betrachtet, dass der Admiral sich ausgerechnet auf seinem Schiff eingenistet hatte. Blanker Hohn, ein Schlag mitten ins Gesicht, den er nun zurückzahlen würde.
Vor der Kabine wartete Edward Gates, den man häufig schlicht Ed nannte,  mit dem Rest der Offiziere, die allesamt ehrerbietend vor Bram salutierten.
„Meine Herren“, er nickte ihnen freundlich zu, „Heute ist unser Tag gekommen. Ich danke jedem von ihnen, für ihre bedingungslose Loyalität! Auf der Erde mag man uns Verräter nennen, aber wer kann Verräter sein, nur weil er das Richtig tut? Alsbald wird ein jeder Mensch, auf der Erde und im Weltall, einsehen müssen, dass die Erdenrepublik der wahre Verräter ist!

 

 

 

Wir werden nicht scheitern, denn Gott ist mit den Gerechten.“
Er schlug sich auf die Brust und alle anderen taten es ihm nach, während der Wahlspruch der Licht-Partei aus dutzenden Kehlen widerhallte.
„Lieutenant Gates und die Adjutanten der übrigen fünf Captains begleiten mich. Der Rest wartet hier“, befahl er, worauf er an die Tür trat und auf den Sprechknopf drückte.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Die Zeit, die verging, bis Catherines Stimme durch die Gegensprechanlage schallte, zog g sich quälend zäh wie Teer in die Länge. Doch schließlich ertönte doch noch der affektiert süße Klang durch die Lautsprecher.

„Wer möchte den Admiral sprechen?“
„Captain Bram, ich habe ein dringendes Anliegen.“
„So? Das wurde mir gar nicht mitgeteilt.“
„Es duldet keinen Aufschub“, versicherte er mit einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
„Also schön…geben Sie mir zwei Minuten.“
Er rümpfte die Nase.
Zwei Minuten mehr oder weniger machen auch keinen Unterschied. Was jetzt geschieht, es ohnehin unvermeidlich.

 

 

 

Stille legte sich über den Korridor, dass man einen jeden Atmen hören konnte. Einigen schien das Herz bis zum Halse zu schlagen und ihr Atem raschelte schwer, während andere mit eisernem Blick wie versteinerte Statue auf die Tür starrten. Endlich ließ ein leises Sirren verlauten, dass der Admiral die Tür aus dem Inneren der Kabine geöffnet hatte, während zugleich ein rotes Licht über der Tür verlosch und ein grünes aufleuchtete. Langsam drehte Bram den Knauf und trat ein, worauf ihm die sechs ausgewählten Offiziere folgten.
Admiral Catherine Lancaster war jung für eine Frau ihres Ranges, hatte die Militärakademie mit Bestnoten bewältigt und danach bei der Gründung der sechsten Flotte eine steile Karriereleiter erklommen, über die sich unter den männlichen Offizieren einige klischeehafte Gerüchte rankten.
Sie saß auf der weißen Couch vor dem niedrigen Tisch im unteren Teil der Kabine. Aus ihren schulterlangen, blonden Haaren tropften immer noch vereinzelte Wasserperlen auf ihre schwarze Uniformjacke, die sie nicht zugeköpft hatte, sodass sie das schwarze Top darunter offenbarte. Augenscheinlich hatte sie gerade erst geduscht und die kalten Essensreste auf dem Teller, der auf dem Tisch vor ihr ruhte, verkündeten,

 

 

 

 

 

dass sie zuvor noch gespeist hatte.
„Captain Bram“, grüßte sie und funkelte ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen an, in denen eine Wärme strahlte, die  er seit jeher verachtete, „Was ist denn los? Es war ziemlich laut da draußen.“
„Allerdings“, er konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln über seine fadenscheinigen Lippen rankte, „Die Captains der sechs Schiffe der Ihnen unterstellen Flotte sowie ein Großteil der Besatzung sehen sich nicht mehr im Stande, die Befehle der Erdenrepublik weiterhin zu befolgen, aus diesem Grund haben wir…“
Sie lächelte ihn an.
„Captain Bram…“, unterbrach sie ihn, „Sie sprechen doch nicht etwa von Meuterei? Sie wissen, dass ich das dem Oberkommando melden müsste und…“
„Nein, ich spreche nicht von Meuterei!“, ihre Stimme war so leise, dass seine Worte sie einfach hinfort peitschten, „Ich spreche davon, das Richtige zu tun. Ich…wir können die Entscheidungen der Erdenrepublik bezüglich des Planeten Neleon nicht dulden.“
„Der Planet Neleon ist lediglich das Ziel einer Manöverübung“, entgegnete Catherine, in deren Gesicht sich weiterhin eher Unverständnis als Beunruhigung zeigte, „Ich verstehe daher, Ihre

 

 

 

moralischen Bedenken nicht.“
„Eine Manöverübung?“, es fiel ihm schwer, sie nicht auszulachen, „Reden Sie sich das nur weiter ein, Admiral.“
Er fragte sich, ob es überhaupt möglich war, noch mehr Verachtung in das letzte Wort zu legen.
„Was wollen Sie, Bram?“, auch ihre Worte trieften nun vor Abneigung.
„Wir haben diesen Kontrakt aufgesetzt. Wir geben Ihnen die Möglichkeit, Ihn zu unterschreiben, mir somit friedlich das Kommando über die sechste IHF-Flotte zu übertragen und sich gegen die Anweisungen der Erdenrepublik zu entscheiden.“
Er überreichte ihr den Hefter, den sie beiläufig aufschlug. Obgleich er über zwanzig Seiten beinhaltete, überflog sie lediglich die erste, bevor sie ihn auf den Teller mit den Essenresten schleuderte.
„Ich werde das nicht unterschreiben“, entgegnete sie mit einem selbstzufriedenen Grinsen.
„Nun, ehrlich gesagt, hatte ich das gehofft“, gestand er, während er ein Zittern in seinem rechten Zeigefinger spürte.
„Ach ja“, fauchte sie, „Was wollen Sie denn tun, Bram? Mich festnehmen?“

 

 

 

„Nein“, sein Lachen konnte er nun nicht mehr zurückhalten, „das werde ich ganz sicher nicht tun.“
„Was…“, sie verstummte, als er die Pistole zog und sie auf ihren Kopf richtete. Bevor sie auch nur einen weiteren Laut von sich gegeben konnte, drückte er den Abzug und betrachtete amüsiert, wie die Wärme in ihren Augen für immer verlosch.
„Was auch immer geopfert werden muss“, lachte er.
„Und was nun, Sir?“, wollte Ed wissen, „Nehmen wir Kurs auf die Erde?“
„Nein“, entgegnete Bram, „Auf Kappa IV“

 

 

http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_84368-0.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_84368-1.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970001.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970002.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970003.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970005.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970006.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970007.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970008.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970009.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970012.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970013.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970014.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970015.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_970016.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_971229.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_971230.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_971231.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_971232.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_971233.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_971244.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_971245.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_971246.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_971247.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972261.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972262.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972263.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972275.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972276.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972277.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972278.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972279.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972280.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972281.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_972282.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_974720.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_974748.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_974749.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_974754.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_974759.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_974764.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_974765.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_974766.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975655.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975656.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975657.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975658.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975659.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975660.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975661.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975662.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975663.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_975665.png
0

Hörbuch

Über den Autor

Crawley
Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will?
Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.

Leser-Statistik
36

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
EagleWriter Bin gespannt wies weitergeht
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Re: -
Zitat: (Original von Crawley am 14.02.2013 - 19:52 Uhr) Hm, es sind nicht wirklich 68 Seiten...


Stimmt 33
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Und es wird nicht besser wie ?
Bin mal gespannt.
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Crawley Hm, es sind nicht wirklich 68 Seiten...
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Ich glaube viel zu feiern wird es wohl nciht geben. Bin gespannt wies weitergeht.
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Crawley Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 12.02.2013 - 18:39 Uhr)
Diese Diskussion ?
http://www.buch-schreiben.net/forum/2591-Schoene-neue-Welt-oder-Endzeitfiasko.htm
Na ja, der Start ist ja schon mal super geworden. Bin gespannt wie sich das ganze weiter entwickelt.
lg
E:W


Danke.
Ja, genau die Diskussion war gemeint.

LG
Crawley
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter 
Diese Diskussion ?
http://www.buch-schreiben.net/forum/2591-Schoene-neue-Welt-oder-Endzeitfiasko.htm
Na ja, der Start ist ja schon mal super geworden. Bin gespannt wie sich das ganze weiter entwickelt.
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
7
0
Senden

84368
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung