Prolog
Niemand hat je in Frage gestellt, warum die Hallen des silbernen Tempels heilig sind. Jeder, der sie sah, wurde von ihrer Schönheit überwältigt. Die Prismen, die ohne jegliche Halterung in der Luft schwebten, warfen den Schein der Kerzen, die die Hallen zu Hunderten beleuchteten, in allen möglichen Farben an die glänzenden, silbernen Wände.
Der Tempel thronte auf einem grünen Hügel in der Mitte eines Waldes, dessen Baumbestand das Sonnenlicht breit gesprenkelt auf dem Boden verteilte. Es schien fast, als wollten die Erbauer des Tempels ein künstliches Meisterwerk in ein natürliches setzen.
Doch die Erbauer des Tempels sind bereits seit langem verschwunden – allein der Tempel schien die Jahrhunderte zu überdauern. Er war ein beliebtes Reiseziel für alle Bewohner Keydaras, der Centriwelt, ein blaugrüner Planet, welcher auch heute noch zum großen Teil von Menschen bewohnt wird.
Denn geschichtliche Ereignisse ließen auch die Bevölkerung nicht unverändert – Seltsame Kreaturen durchstreiften seit Beginn der Geschichtsschreibung die Welt, manche davon dem Menschen ähnlich, andere nicht einmal humanoid. Sie waren entweder Einzelgänger von seltsamer Gestalt, versammelten sich in wandernden Sitten oder wurden sesshaft.
Und obwohl der Tempel leicht zu erreichen war, und die ebenfalls silberne Außenfassade nur ein schwacher Schimmer der enormen Schönheit der inneren Räumlichkeiten darstellt, weder ein Verbot das Betreten unterband noch jemand die Besucher aufhielt, betraten den Tempel nur die Wenigsten.
Es gibt viele Geschichten über die Kraft dieses Ortes. Die meisten der intelligenten, nicht-menschlichen Arten Keydaras sind sich einig, dass der Tempel der Geburtsort ihrer Rassen sind.
Ob die Erbauer des Tempels alles Leben auf dem Planeten geschaffen haben ist dennoch unklar – denn nur wenige Aufzeichnungen überdauerten die Zeit, und jene, die es taten, waren nicht selten in einer Schrift gehalten, welche niemand mehr zu entziffern vermag.
Es gab aber auch andere Geschichten. Es hieß, dass jene, die versucht hätten ihn zu betreten, gestorben sind. Dass die Schönheiten des Tempels nicht für die Augen Sterblicher gemacht sind, und jene, die den Tempel entweihten getötet wurden.
So bleiben nahezu nur noch jene übrig, die ihn betreten, die keine andere Wahl haben. Ausgestoßene und Verräter, Verzweifelte und Flüchtige. Aber manchmal betrat auch eine Person von edler Gesinnung, hohem Adel oder Wagemutige den Tempel. Denn es gab eine einzige Geschichte über den Tempel, die jeder Rasse, jeder Kreatur Keydaras bekannt war.
Dass dieser Ort weder ein Ort geistlicher noch weltlicher Inspiration sei – sondern von jenen aufgesucht werden durfte, die glaubten würdig zu sein, ein Gott werden zu dürfen.
Kapitel 1
Peraska war eine kleine, altertümliche Stadt Keydaras, mit einer willkürlich anmutenden Mischung aus verfallenen Holzhütten und massiven Steingebäuden und wurde von einer mannshohen steinernen Mauer umschlossen.
Vor der Stadt lebten Bauern, welche die zahlreichen Felder in der näheren Umgebung bewirtschafteten. Es gehörte Mut dazu, außerhalb der sicheren Mauern zu leben, denn die Wildnis vor Peraska war weit davon entfernt gezähmt zu sein.
Doch es war nicht in jeder Stadt so – die großen Städte Keydaras nutzten fortschrittliche Technologien, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, doch war es kein Geheimnis, dass die Bewohner dieser Städte dafür einen hohen Preis zahlten. Magie war in Keydaras weit verbreitet, doch war sie in hochentwickelten Städten schwieriger anzuwenden, und die Wirkung bei weitem nicht so mächtig.
Das Licht des Mondes war in jener Sommernacht, in der das Schicksal seinen Lauf nahm, so hell, dass die Häuser Peraskas klare Schatten auf die menschenleeren Straßen warfen.
Leer, bis auf eine Gestalt, deren Kleidung so schwarz war, dass sie im Zwielicht des Mondes deutlich erkennbar von Gasse zu Gasse huschte.
Die Gestalt blieb schließlich stehen und rührte sich minutenlang nicht mehr. Schließlich drang aus dem Schatten ein Flüstern an ihr Ohr – Ein Ort, eine Zeit, einen Auftrag.
Das Flüstern verstummte, und die Gestalt machte sich auf den Weg zurück. Mit fließenden Bewegungen kletterte sie die Holzfassade einer größeren Hütte hoch, drang durch das Fenster ein und ließ sich seufzend auf das knarzende Bett fallen.
Mit einer müden Handbewegung zog sich die Gestalt die Kapuze vom Kopf und ließ sie neben das Bett fallen.
Diese Bewegung entblößte das Gesicht einer jungen Frau von vielleicht 20 Jahren.
Ihre mandelförmigen, grünen Augen ließen das Gesicht verführerisch wirken, und es wurde von Haar eingerahmt, das so dunkel und tiefblau war, als wäre es aus den Wogen des Meeres gewoben. Wenn es so intensiv auch selten war, ungewöhnliche Farbgebung von Haar und Augen waren in Keydaras nicht selten.
Nach wenigen Sekunden klopfte es bereits, und die Zimmertür wurde, ohne dass für eine Antwort Zeit gewesen wäre, aufgerissen.
Der Blick der älteren Frau, die das Zimmer betrat, wirkte vorwurfsvoll, doch sprach zuerst die blau haarige Schönheit von ihrem Bett zuerst.
„Du musst nicht fragen, wo ich war, Mutter, es geht dich nichts an.“
Doch so wie die Stimme der Tochter hell und selbstbewusst durch den Raum schallte, ist die Stimme der Mutter von ihrem Alter geprägt.
„Liria! Ich muss nicht nachfragen, wo du gesteckt hast.“ Bei diesen Worten wanderte der Blick der Mutter zuerst über die schwarze Kleidung am Boden, ehe sie fort fuhr. „Du bringst dich in große Gefahr, Mädchen!“
Der massive Holzschrank fing Lirias Blick, und ihre Lippen wandelten sich jäh in ein Lächeln, als sie sich aufsetzte und zu ihrer Mutter blickte. „Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Aber das musst du nicht – ich bin bisher noch überall heil herausgekommen.“
Lirias Mutter beschloss vorerst, es dabei zu belassen, gab ein Geräusch des Unmuts von sich, und drehte sich wieder um. „Du wirst nicht immer so viel Glück haben.“
Kaum fiel die Tür ins Schloss, herrschte Stille im Raum. Dann erhob sich Liria, und ging langsam auf den Schrank zu. Auf dem Weg dorthin griff sie zu einem breit gebauten Stuhl, und blieb schließlich vor dem Schrank stehen. „Loko, dich dort drin zu verstecken ist furchtbar... unkreativ.“
Eine tiefe, eindeutig männliche Stimme erklang aus dem Schrank, allerdings seltsam gequetscht, als würde sein Gesicht gegen die Schrankwand gedrückt werden. „Immerhin habe ich hier bereits einige interessante Dinge drin gefunden!“
Liria presste ihre Lippen aufeinander, aber nur für eine Sekunde, dann blockierte sie mit einem massiv gebautem Stuhl den Schrank, und begann zu grinsen. „Du wirst bei diesen Sachen immerhin die ganze Nacht verbringen, also freunde dich mit ihnen an.“
Nur wenige Sekunden später erklang ein Wühlen im Schrank, und Lokos Stimme durchbrach erneut die Stille. „Ist das hier... Unterwäsche? Warst du kürzlich außerhalb der Stadt einkaufen?“
Das war zu viel für Liria, sie riss den Stuhl wieder weg, und die Schranktür auf, allerdings nur, um eine Sekunde später einen Satz zurück zu machen.
Neben Loko kam noch ein weiterer Mann aus dem Schrank gefallen.
Während Loko selbst dunkelbraunes, fast schwarzes Haar hatte, und sein Gesicht von einem 3-Tagebart geziert wurde, war das Haar des anderen Mannes nahezu schneeweiß und reichte ihm bis zu seinem Rücken. Sein Aussehen war bei weitem gepflegter, und sein Gesicht kantiger, nahezu aristokratisch. Sein Alter mochte wohl in den frühen Dreißigern liegen.
Der Unterschied zwischen den beiden war auch in ihrer Kleidung erkennbar – obwohl die einfache Kleidung beider in brauntönen gehalten war, wirkte der Alte bei weitem sauberer.
Er war auch jener, der sich als erstes wieder erhoben hatte, um seine Kleidung glatt zu streichen.
„Erlaubt mir, dass ich mich vorstelle, meine Dame...“
Doch bevor er seinen Satz beenden konnte, unterbrach ihn Liria. „Ariz, hör auf herumzualbern.“
Liria schaute kurz zu Loko, welcher entschuldigend die Schultern hob. „Er wollte uns bei einer unserer Touren begleiten.“
Dass er seinen Satz nicht beenden konnte schien Ariz allerdings nicht weiter zu kümmern, denn er zuckte mit den Schultern, nahm sich den Stuhl, und setzte sich darauf.
Von Lokos' Haaren hingen ihm einige Strähnen ins Gesicht, als er Liria fragend anschaut. „Wohin geht es dieses Mal?“
Sie begann zu lächeln, lässt sich wieder auf die Bettkante gleiten, und blickt abwechselnd zu den beiden Männern. Liria wusste, dass Loko und Ariz schon seit Jahren Freunde waren – Auch wenn die beiden sich bei weitem nicht so lange kannten wie Liria und Loko.
Normalerweise genoss es Liria, mit Loko allein die Stadt unsicher zu machen – und aus irgendeinem Grund versetzte es ihr einen Stich, dass Ariz sie jetzt auch dabei begleiten sollte.
„Ist Ariz nicht ein bisschen zu alt für so was?“
Bevor Loko zu seinem ersten Wort ansetzen kann, unterbrach ihn dieses Mal Ariz. „Ich bin sicher, dass du meine Fähigkeiten durchaus... nützlich finden wirst.“
„Also, wohin geht es nun?“
Es breitete sich eine Stille im Raum aus, und eine Spannung lag in der Luft. Allerdings ließ sich Liria einige Zeit, ehe sie antwortete.
„Der Palast im Stadtzentrum.“
Die Gesichter der Männer schienen einzufrieren. Ariz redete zuerst, und in seiner Stimme schwang Belustigung mit. „Ich wusste doch, dass ich Loko vertrauen kann. Er meinte bereits, dass du eine Irre bist. Aber von mir aus können wir sofort mit der Planung beginnen.“
Die Vorbereitungen in Lirias Zimmer hielten noch den größten Teil der Nacht an, ehe sich Loko und Ariz aus dem Fenster in die Nacht hinaus schlichen.
Als sich Liria umzog, und sich dann in ihre Decken schmiegte, fragte sie sich, ob es wirklich eine so gute Idee war, diesen Auftrag anzunehmen.
Ihre Mutter allerdings, die Stunden schweigend und lauschend vor der Tür verbracht hatte, war sich sicher, dass dies nicht der Fall ist, und verschwand stumm in ihr Zimmer.
Und das Glühwürmchen, welches unbeachtet auf dem Fenstersims seinen Stummen Liebesruf in die Welt hinaus geleuchtet hatte, sucht sein Glück nun woanders.