Kapitel 1 Der Atem der Stadt
16 Jahre später….
2790 Erde, Sprawl City
Daniel Frost sah von seinem kleinen Notizbuch auf und hinaus aus dem Fenster seines Apartments.
Seine hellgrünen Augen musterten alle so, als sähen sie es zum ersten Mal. Aus den Luftdichten Fenstern seiner Wohnung konnte er den Umweltschild unter sich erkennen, eine silbrige, hier und da rostfleckige, Kuppel, zehn Kilometer hoch und fünfzig Kilometer breit. Darunter lagen die großen Park und Wohnanlagen der besser gestellten Teile der Stadt. Dahinter und um Sprawl City erstreckte sich nichts als braunes Ödland. Hier und da spiegelte sich die erbarmungslos brennende Sonne in einer Pfütze mit einem Wasserrest. Aber niemand wäre so dumm, dieses Wasser zu trinken. Was dort im Licht so einladend schimmerte war alles, was vom Atlantik geblieben war. Pfützen mit verstrahltem Salzwasser. Pfützen, die aus dieser Höhe zwar klein wirkten, in Wirklichkeit aber mehrere Kilometer Durchmesser hatten. Aber er konnte selbst den trostlosen Blick über diese Wüste etwas abgewinnen. Mit schnellen Handbewegungen skizzierte er die Leuchtenden Wasserpools auf dem Bogen Papier in seinem Buch. Dann das Land darum herum… Er hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, den er vor das Fenster gestellt hatte. Auf einem Tisch neben ihm standen mehrere Tablettenröhrchen und einen angebrochene Flache Tokajer. Natürlich keine echter. Niemand könnte noch Wein im freien anbauen. Er nahm einen Schluck des künstlichen Weins. Sie bekamen das einfach nicht richtig hin, aber Wein aus den Farmen unter dem Umweltschild war zu teuer. Das lag vor allem daran, dass für die Landwirtschaft Wasser importiert werden musste.
Das wiederaufbereitete Abwasser war, trotz der Reinigung nicht dafür geeignet. Eigentlich war es für überhaupt nichts geeignet. Schon gar nicht zum Trinken. Einige arme Teufel taten es trotzdem. Die lebenden Toten , die vor allem die unteren, billigeren Etagen der Wohnapartments unsicher machten. Die Zähne fielen ihnen Reihenweise aus, genau wie die Haare. Und ihre Haut… er schauderte bei dem Gedanken. Trotz allen Mitleids konnte er seien Abscheu vor diesen armen Kreaturen nicht verbergen.
Ein plötzlicher stechender Schmerz hinter seinen Schläfen durchzuckte ihn. Das Buch und der Bleistift entfielen seinen Händen, die sich sofort verkrampften. Darauf warteten, das es ihn diesmal umbringen würde. Dreiundzwanzig… er hatte dreiundzwanzig Jahre überlebt. Wenn es ihn jetzt erwischte, wäre das schon Ironie.
Langsam ließ der Schmerz nach, aus dem Stechen wurde ein leichtes Summen… dann verschwand es ganz. Sein Blick wanderte vom Boden hinauf zu einem eingerahmten Zeitungsartikel an der Wand. Aus einer Zeit, wo sie noch Papier für so was benutz hatten. Seit ein paar Jahren sparte man sich auch das.
Er kannte den Text fast auswendig.
,, Earth-Development gesteh Fehler ein.
Nach einer Reihe von ungeklärten Unfällen auf der neuen Kolonie Metis stellt Earth-Dev jegliche Förderung ein.
Wie ein Sprecher verkündete, seien die Verluste nicht länger tragbar, sowohl was Menschen als auch Material angeht. Unklar ist bisher, wie es zu den Unfällen kam. In den nächsten Tagen will Earth Development Vorstand Niel Bloomfield zu den Vorwürfen Stellung nehmen, man hätte die Kolonisten nicht ausreichend über die Gefahren gewarnt.
Er wies aber schon jetzt sämtliche Vorwürfe klar zurück. Alle Vorkommnisse seien selbst verschuldet, hieß es und man fühle zwar mit den Angehörigen, aber es sei ja niemand ernsthaft verletzt.
Die Kolonie soll bis Ende der Woche evakuiert werden. Damit verbleiben von den drei Interstellaren Außenposten nur noch zwei. Gaia und Sarasvati Die Earth Develpopment weigerte fragen nach einem weiteren Kolonialisierungsversuch. zu beantworten. “
Er kannte auch die Artikel die darunter hingen.
,, Fortbestand ? Einige Earth-Dev Kolonisten wollen bleiben.“
,, Kolonisten kehren sicher zurück.“
,, Erster Rückkehrer gestorben - Mediziner ratlos.“
,, Kontakt zu Metis abgebrochen. Planet nun offiziell Sperrgebiet.“
,, Was immer es ist, es ist nicht ansteckend.“ , sagen Experten.“
,, Quarantäne verhängt, Wissenschaftler sprechen von Sensationsfund.“
Ein Sensationsfund… oh ja, für sie war es genau das gewesen. Nicht so für die verletzten Kolonisten.
Daniel sah einen Moment unschlüssig zwischen dem heruntergefallenen Notizbuch und dem Bleistift hin und her. Er wollte sich danach bücken, doch ihm wurde nur schwindlig. Der Anfall von eben hatte seine Spuren hinterlassen.
Er Blickte zu dem am Boden liegenden Stift, der auf einen großen Kaffeefleck im Teppich gerollt war.
Daniel seufzte.
Was als nächstes geschah, hätte wohl jedem Menschen der dabei zusah Angst gemacht. Die Luft um den Stift begann leicht zu flimmern, wie bei großer Hitze… dann sprang der Stift, schneller als ihm das Auge folgen konnte vom Boden und landete in Daniels Hand über die sich eine gut sichtbare, silbrig glitzernde Narbe zog.
Das Buch ließ er lieber doch liegen. Das Papier war ihm zu wertvoll und zu leicht zu beschädigen. Er würde es nachher holen.
Daniel stand auf, wobei er so vorsichtig wie möglich war, um nicht erneut einen Schwindelanfall zu erleiden. Ich bewege mich wie ein alter Mann, dachte er bitter.
Vor ihm lag das Schlafzimmer des Apartments. Neben dem Stuhl am Fenster und den Zeitungsartikeln an der Wand gab es nur ein Bett und einen Kleiderschrank, der aussah als hätte ihn ein fünfjähriger als Spanholzplatten zusammengezimmert. Und nicht einmal die waren echt. Holz war schier unbezahlbar. Er durchquerte den Raum und betrat die Küche, von der aus ein kleiner Flur zur Wohnungstür und eine weitere Tür zum Bad führten. Am Kühlschrank hing seine Jacke an einem Haken und eine große Aktentasche lag auf dem Tisch in der Mitte des gefliesten Raums.
Achtlos warf er sich die Jacke über die Schulter und nahm die Aktentasche in eine Hand bevor er die Wohnung verließ. Normalerweise arbeitete er bei der Ökologischen Kontrolle der Stadt.
Was wichtiger klang, als es eigentlich war. Er tat tag aus tag ein eigentlich nichts anderes, als dafür zu sorgen, dass der pH-Wert Boden unter der Kuppel in einem halbwegs annehmbaren Bereich blieb und die Bakterienkulturen der Wasserfilterbecken nicht zerstört wurden.
Nur heute nicht. Er dachte kurz zurück an die Zeitungsausschnitte. Heute stand seine halbjährige Untersuchung bei Dr. McLeod an. Was für eine Ironie das wäre, überlegt er kurz, wenn es ihn genau auf halbem Weg zur Praxis umbrachte…
Hinter ihm fiel glitt die Tür automatisch wieder zu und verriegelte sich, als er das Apartment hinter sich ließ. Ein breiter Korridor verlief vor ihm und führte in die eine Richtung zu einem Fahrstuhl, und in die andere Richtung zu einer Treppe, die wohl niemand benutzte. Der Wohnbau erhob sich fast fünf Kilometer hinauf in den Himmel. Der Gang selbst bestand aus stumpfem Metall, das mit Holzpanelen verkleidet war. Zumindest dort, wo die Verkleidung noch existierte. .Ein dicker Teppich auf dem Boden dämpfte die Schritte, aber auch dieser hatte sicherlich bessere Zeiten gesehen. Es gab viele Brandlöcher von achtlos fallengelassenen Zigarettenstummeln. Aber im Vergleich zu den tiefer liegenden Ebenen des Wohnblocks konnte Daniel sich nicht beklagen. Es war nicht unbedingt schön, aber zumindest sicher. Drei Beamte in dunklen uniformen standen im flackernden Licht einer Lampe in der Nähe der Aufzugstüren. Sie unterhielten sich grade mit einem weiteren Mann, der wild mit einem Ausweis durch die Luft gestikulierte. Er konnte nur den Rücken des Mannes sehen. Er trug eine auffällig gelbe Jacke, über die sich ein großer Streifen verschmiertes Öl zog. Einer der Hausmeister vielleicht ? , überlegte Daniel. Die flackernde Lampe würde sicher bald jemand auswechseln. Aber dann würde es sicher keine solche Aufregung geben.
Er wusste aus Erfahrung, das sie jeden der keinen Zugangspass für diese Etage hatte zwingen würden, wieder zu gehen. Und das nicht grade sanft.
Jeder der drei war mit einem Taser bewaffnet.
Daniel selbst jedoch machte sich wenig Sorgen. Er kannte die drei so wie die meisten anderen Sicherheitsbeamten, die hier Dienst hatten.
Ein kurzes zunicken im Vorbeigehen Richtung Fahrstuhl, das war alles. Daniel beschleunigte seine Schritte. Falls es Ärger gab, wollte er das möglichst nicht miterleben. Die Aufzugstüren glitten automatisch auf, als er näher trat und kurz bevor sie wieder zufielen, hörte er einen Schlag, als einer der Sicherheitsbeamten dem Mann in der Jacke einen Schlag versetzte, der ihn zu Boden warf.
Innerlich verkrampfte sich Daniel, aber er konnte dem Mann nicht helfen. Zumindest sagte er sich das. Natürlich hätte er ihm helfen können….
Ein sanftes Vibrieren lief durch die Maschinerie jenseits der kleinen Kammer, als diese ihren rasanten Abstieg in Richtung Erdboden begann. Daniel verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich in der ansonsten leeren Kabine um. Währenddessen warf er immer wieder nervöse Blicke auf die Anzeigetafel und hoffte, dass sonst niemand mehr zustieg. Zumindest nicht von diesen tieferen Ebenen. Er musste kurz lächeln, als er an einen alten Spruch dachte.
In der Sprawl City fängst du unten an, arbeitest dich hoch… und entweder bleibst du da, oder kommst wieder runter.
Das bezog sich auf die Wohnaufteilung innerhalb der Stadt. Im Apartmentblock unten gab es die billigsten Wohnungen, manche wurden auch illegal besetzt. Die Sicherheitskräfte kümmerte das wenig. Je weiter man aber in den Türmen nach oben kam, desto besser und teurer wurde die Umgebung. War man oben, konnte man sich immerhin zur Mittelschicht zählen. Und wenn man es wirklich zu etwas brachte… nun dann landete man wieder ganz unten. In einer der schickeren Häuser unter dem Umweltschild. WO auch er jetzt hin musste.
Ein großes Graffiti nahm die Rückwand der Aufzugskabine ein und Daniel nahm sich einen Moment die seltsam verschlungenen Linien zu mustern. Seltsam, dass man es noch nicht entfernt hatte, dachte er. Aber irgendwie hatten die seltsam Angeordneten Linien etwas höchst Beunruhigendes für ihn. Dann kam die Kabine endlich zum Stehen und er trat nach draußen in eine holzvertäfelte Lobby Hier gab es keine Zeichen von Verfall oder Beschädigung, alles war auf Hochglanz poliert und die grellen Lichter spiegelten sich in den Oberflächen, was ihn kurz blendete.
,, Name ?“ , fragte eine Stimme zu seiner rechten.
,, Was….“ , er sah zu der Uniformierten Gestalt herüber. Anders als die nur leicht bewaffneten Sicherheitsbeamten in den Apartments trug dieser Mann ein Sturmgewehr und eine leichte Panzerung, die ihn wohl vor Stichwaffen und kleinen Kalibern schützen sollte. Schließlich konnte man nie sicher sein, wer aus den Blocks kam. Normalerweise wurde er jedoch nicht angehalten.
,, Können sie sich Ausweisen ?“ Daniel kannte das Gesicht des Mannes nicht. Vermutlich war er neu.
,, Natürlich…“ Er reichte dem Wachposten eine kleine Plastikkarte, die dieser kurz überprüfte.
,, Daniel Frost, richtig ?“ , er gab ihm die Karte zurück.
,, Das ist richtig.“
,, Sie arbeiten hier ?“
,, Auch, in der Ökologie. Aber heute bin ich unterwegs zu Dr. McLeod.“ , antwortete er.
Der Mann nickte einmal kurz, dann ließ er ihn passieren.
Rasch durquerte Daniel die Lobby, bis er an eine große Glastür gelangte und hinaus ins Freie trat.
Zumindest konnte man leicht dieser Illusion erliegen. Vor ihm erstreckte sich das innere des Umweltschilds. Aber statt einer stählernen Kuppel lag ein blauer Himmel über der weitläufigen Parkähnlichen Landschaft. Die Sonne strahlte vom Zentrum des Himmelszelts aus und tauchte alles in helles Licht. Natürlich war nichts davon echt. Das Ganze war lediglich eine riesige Projektion. Und so beeindruckend es auch aussah, desto näher man dem Rand der Kuppel kam, desto mehr offenbarte sich die Fälschung. Hier und da zog eine künstliche Wolke über den falschen Himmel.
Aber vermutlich war es immer noch besser, als die Wirklichkeit außerhalb der schützenden Mauern.
Er war einmal draußen gewesen. Das Atmen viel einem schwer, die Sonne verbannte einem langsam die Haut… und der aufgewirbelte Staub vom einstigen Meeresboden brannte in den Augen.
Daniel konnte gut nachvollziehen, wieso sich jene, die es sich leisten konnten, lieber vor der Wahrheit versteckten. Und doch… lag in der Ödnis dort draußen auch etwas Schönes. Zumindest für ihn. Wie eine Erinnerung an etwas, das einst gewesen war. An verpasste Chancen. An das, was die Menschheit letztlich ins All getrieben hatte. Die Erde war keine Heimat mehr für sie. Nur noch für jene, die nicht weg konnten oder wollten. Selbst der Mond oder die Marskolonien boten einen schöneren Anblick. Blauer Planet hatten sie ihre Welt einst genannt. Von dem blau war nichts geblieben. Stattdessen musste jeder, der auf die kleine Kugel hinab sah jetzt ein braunes Ödland sehen, in das sich niemand freiwillig wagte, außer den Mutigsten oder den Verzweifelten.