Nahezu genauso wie filmisch schon vorgestellt, lief alles Schritt für Schritt ab.
Ich ging auf das Badezimmer zu, legte meine Kleidung ab, zog mir den Bademantel über. Es öffnete sich die Türe, als ich die Klinke herunterdrückte. Eine dampfend heiße Atmosphäre, wie erwartet, schlug mir entgegen. Ich zuckte mit dem Oberkörper zurück. Dann äugte ich durch einen großen Spalt hinein.
Im diesigen Raum sah man zunächst nur schemenhafte Umrisse, hie und da überlagert von verzerrenden Dampfschwaden. Die Luft war angeräuchert von Kerzengeruch, und es dauerte schon einige Zeit, bis ich sie ausmachen konnte, die da heftig flammten und züngelten. Der dicke Qualm und Rauch rührte nicht nur von den Kerzen her, sondern auch von etlichen Räucherstäbchen. Eingesteckt in Halter mit indisch bunten Mosaikverzierungen bildeten sie mit dem Disko-Fetisch ein aerodynamisches Luft-Farb-Amalgam, dessen wohl der hartgesottenste Anti-Romantiker hoffnungslos aufgesessen wäre.
Aha, es roch nach Sandelholz. Und nach Goloka Nag Champa. Agarabatti. Hm, alles vermeintliche Aphrodisiaka.
Überdies blinkte, irrlichterte und kreiselte inmitten der Decke eine Silberkugel. Indirekte, bunte Lichtquellen, raffiniert versteckt hinter Regalen, eingelassen in Wände, die Decke, ja sogar Boden sendeten gesprenkelte Lichtpunkte aus und fluteten jeden Winkel.
In allen Ecken standen riesige Glassäulen, verschieden farbig: künstlich wirkend, lumineszierend und oszillierend quollen darin dehnbare Plastikgebilde, eine Lava-Lampe, als wären es urtierhafte Amöben, gallertartige Einzeller oder Tier-Pflanzen-Hybride, die sich in ihre Bestandteile auflösten, doch phönixgleich wieder erneuerten im Nu.
Die Krönung inmitten des Raumes, zwischen Tür und ausladender Badewanne war ein kleiner Brunnen, welcher auf einem Sockel stand. In der Mitte der Brunnenschüssel strebten sich zwei Gestalten und Figuren wie liebend zu, wobei aus den je unterschiedlichen primären Geschlechtsteilen Wasserfontänen gegen das jeweilige Pendant spritzten. Um nicht von der Geschwindigkeit in ihrer Bahn abgelenkt zu werden, wurde die Flüssigkeit über durchsichtige Rohre geleitet, durch das ein starkes Quellen und Spritzen erkennbar war. Das rasante Tempo ließ fürchten, dass beide Figuren, obwohl auf kreisendem Sockel postiert, jeden Moment durch die Zentrifugalkräfte aus ihren Fundamenten gerissen und in den Raum geschleudert werden könnten.
Als ich endlich einzutreten wagte, blendeten mich mehr als erwartet diese kunterbunten Lichtquellen und grellen Farbpunkte - die, sich drehend, aufblitzten und aus minimalen Öffnungen herausstachen wie Laserstrahlen. Der sich dazu gesellende, dicke gewürz- und duftgeschwängerte Brodem im Raum, betäubte mich nicht nur grenzwertig, sondern wirkte reizüberflutend, nur noch eins zu wünschen: ab in die heiße Badewanne, geschlossenen Auges das warme Wasser genießend. Glücklicherweise verflüchtigte sich die Dichte in dem weiträumigen Badearsenal schnell, so dass zwei Personen nicht würden ohnmächtig werden.
Ich zuckte instinktiv die Schultern, während ich dachte: „Dieses Spektakulum und Brimborium war der Bühnenentwurf für einen kitschig-romantischen Film à la ... aber egal, folge jetzt einfach den Regeln dieses Spieles weiterhin. Es versprach, außer Buntheit bestimmt noch andere Überraschungen.“
Von der Eingangstür aus führte eine tiefrote Gummimatte wie ein Läufer in den Raum hinein. "Wie ein roter Teppich für einen Staatsgast", dachte ich lächelnd. Ich folgte diesem roten Teppich bis zur Badewanne - sehr praktisch, denn so war ein Ausrutschen auf den neblig-nassen Fliesen nahezu ausgeschlossen.
Diese Professionalität des Arrangements ließ in mir einen Verdacht aufkeimen: „Ob ich der einzige Literat bin, der diese Unterlage mit seinen Füßen je treten durfte, dorthin, wo...“ Die Badewanne tauchte endlich im grauen Feuchtvorhang Nebel auf. „Und wenn nicht, was geschah dann mit den anderen?“, überlegte ich noch, bis mich der Strudel der Ereignisse mitriss...
Ich fand sie schließlich in der Badewanne liegend vor, regungslos. Vorsichtig stützte ich mich mit den Händen auf der Randkante ab, um mich darauf niederzulassen. Ich testete das Wasser. Gar nicht so heiß, obgleich es dampfte. Lustig, auf der großen, weiten dampfenden Badewanne-Oberfläche trieben ein paar runde Schälchen, in denen Ölflammen loderten.
Ich erhob mich wieder, ließ den Frottemantel hinter mir heruntergleiten, eine Geste zu theatralisch, ich geb’s zu und stieg sachte und behutsam zu ihr hinein. Freudig ließ ich mich vis-à-vis von ihr nieder.
Unsere Körper berührten sich nicht. Ich sah ja nichts, aber sie musste ihre Knie angezogen haben. Überlegt man sich, dass ihr Kopf dabei nach hinten gelegt war und sie sich so steif verharrend kein bisschen regte, erinnerte sie an eine wartende Eidechse oder einen Leguan, der unter sengender Sonnenstrahlen regungslos auf seine günstige Gelegenheit lauerte, um endlich ihre schleimige Zunge auszufahren und damit fliegende Insekten zu schnappen.
Wegen des Dampfes, der am stärksten vom Wasser aufstieg, zeichnete mehr meine Phantasie als die Realität diese Gestalt: dünne Arme, eingefallene Gesichtszüge, nach oben gebundene Haare, und sie schien den Kopf auf die Seitenwand zurückgelehnt zu haben und atmete bewusst ein und aus, dem vernehmlichen Schnaufen nach zu urteilen. Es setzte ihr wohl sehr zu, dieses heiße Bad.
Aber mir schließlich auch, schoss mir doch der Schweiß aus den Poren und ich fing an, schwer zu atmen.
Ihre Stellung, diese verharrende Ruhelage, strömte etwas sehr Bedrohliches aus, als würde sie überraschend und jeden Moment ihre Geheimwaffe, ob verborgener Speer, verhexender Zauberstab oder hypnotisierender, böser Blick anwenden, einem Mittel, dessen sie hundertprozentig sicher zu sein schien.
Natürlich, mir erschien diese Situation deshalb so beängstigend, weil ich sie mir bislang nicht in meinen kühnsten Vorstellungen hatte vorstellen mögen. Sie hatte wieder einmal den ersten Schritt getan, Kuhmist. An meiner Lage hatte sich nicht das Geringste geändert: wie immer, so auch jetzt hier, hinkte ich hinterher.
Ich hörte ihre Stimme: „Eins würde mich interessieren. Wenn Sie meine Person als Vorbild für eine Figur in einem Ihrer Romane nehmen würden, wie würden Sie mich dann zeichnen?“
Ja, wenn ich ihr dies jetzt beschrieb, nahm sie getreu ihres Kunstverständnisses an, es steckte etwas anderes dahinter, ich würde sie wohl nachgerade „falsch“, „gegenteilig“ und verzerrt darstellen. Aber es war mir egal, dachte ich. Beschreibe sie also geschönt.
„Die klugen, pfiffigen Augen waren von einer stahlblauen Undurchdringlichkeit und bewegten sich rasend hin und her in ihren Augenhöhlen, so dass es dem Betrachter schwer fiel, in ihnen Emotionen erkennen zu können. Rätselhaft konnte man nicht gerade sagen deshalb, jedoch hinterließ diese ihre Unfassbarkeit, hektische Beweglichkeit und Raserei der Augen beim Betrachter ein Unwägbarkeitsgefühl und etwas Rätselhaftes.“
Es fiel mir schwer, flüssig zu reden. Hatte ich etwa Angst, mich zu verraten?
Hm, weiter.
„Ihr knochiger, breiter Körperbau bewegte sich abrupt und schnell und nicht einschüchternd.“
Klingt doch nicht schlecht, oder? Außerdem schien sie zu schmunzeln, jedenfalls stärker zu schnauben. Wohl weil es sie erheiterte, hoffte ich.
Gleichzeitig erschrak ich: hatte ich nicht vorhin ihre Augen als rätselhaft, undurchdringlich und undurchschaubar beschrieben, wenngleich sie doch im Gegenteil sehr ruhige und gleichzeitig stechende Augen besaß?
Allerdings minderte diese Gegenteiligkeit der Beschreibung nicht eine gewisse für den Außenstehenden Uneinsichtigkeit in die Persönlichkeit der Beschriebenen, ob so oder so. Ebenso verhielt es sich mit der Körperzeichnung: ob sie nun krude und eckig mit ihrer bedrohlichen Korpulenz erschien oder stechend durch ihren skelettartigen Körperbau, beide Male hatte dies das gleiche Ergebnis zur Folge, nämlich: gehe lieber auf Distanz zu diesem Körper.
Nichtsdestominder, ich reflektierte noch zu sehr beim Erzählen, wie das beim Leser oder ihr ankommen musste, was ich mir verbot, da es gegen die Regeln eines Spiels war, das mir immer mehr zusagte. Aus irgendwelchen Gründen euphorisierte mich dieses Bad. Vielleicht lag es an der schwülen Atmosphäre hier?
Ich roch an dem Wasser. Es befand sich darin ein penetranter Cocktail von Duftstoffen, der mich fast umgehauen hätte, wenn ich mich nicht schon in horizontaler Lage befunden hätte. Aber weiter, weiter...
Ihre von mir wahrgenommene Schmächtigkeit, Eingefallenheit, Abgemagertheit verursachte die gleiche Wirkung wie das beschriebene Gegenteil einer sehr agilen, breiten und resoluten Körperbeweglichkeit. Manchmal, folgerte ich daraus, egal wie man es beschreibt, gerade, wenn man es gegenteilig beschreibt, wird doch die selbe Wirkung erzielt. Beim Schreiben, wie gesagt.
Weitere Gedanken und Fragen hinsichtlich der Parallelitäten zur Bildenden Kunst, die aufkamen, wischte ich sofort wieder weg, sich nur aufs Geschehen konzentrierend.
Phantastisch, nicht einmal ihr permanent albernes Gekichere und unterdrückte Lachen hinderte mich daran. Durch nichts wurde meine Beschwingtheit gebremst, war alles doch bloß mehr oder minder ein Tanz. Ich glaube, liegt man mit einer Frau endlich nackt wie wir zusammen in einer Badewanne, musste man sich einfach so fühlen. Oder es lag an den besonderen Umständen hier?
Aber was immer ich im Folgenden weiter beschrieb, sagte mir stets das Gleiche: obwohl entgegensetzt dessen, wie ich sie sah, war der Effekt der Gleiche.
Das ist, wenn nicht der Gegensatz zu ihrem Kunstbegriff, so doch dessen Widerlegung!
Der auf die Bildenden Künste beruhenden Kunstbegriff ist nicht auf die Literatur übertragbar. Dieser muss ein anderer sein als jener: in der Literatur kann man nicht umhin, Personen in ihrer Wirkung wegen auf die Umwelt zu beschreiben, also nicht nur so, wie sie einem in Wirklichkeit auch begegneten. Es genügte nicht, nur das Äußere derselben zu zeichnen. Man musste jede Skizze nicht nur nicht ausmalen, sondern durch besondere Farbgebung den Sinn der Malerei einverleiben. In der Literatur ist es die Transzendenz, der Geist, die Art der Deskription, die Seele.
Wusste sie das bereits? Hatte sie mich bewusst in die Irre geführt?
Mit einem Mal fühlte ich mich total ernüchtert. Ich spürte, ich war am Ende meines Beschreibens angekommen. Das Gefühl, von ihr auch auf dem intellektuellem Terrain aufs Glatteis geführt worden zu sein, gewann die Oberhand.
Aber gleichzeitig, der unerklärlichen Beschwingtheit muss es zugeschrieben werden, lachte ich mir meinen Frust sofort wieder weg.
Woher kam nur diese aphrodisierde Wirkung, der ich immer wieder unterlag, diese euphorisierende Stimmung, der ich erneut anheimfiel, diesem Narkotikum, das mich permanent lähmte?
Tröstlich, nein wohltuend und erhebend der Gedanke, die Kritikern getäuscht sehen zu müssen in ihrem Kunstbegriff, der offensichtlich nur auf die Malerei anwendbar war, jedenfalls nicht unumwunden auf die schreibende Kunst – so mein Eindruck, der sich wieder in den Vordergrund drängte.
http://www.pentzw.homepage.t-online.de/literatur.htm