Krimis & Thriller
Der Tod der Kritikerin VIII.

Verführt

Während ich bezahlte, versuchte ich mir nebenbei ein Bild von ihrem Körper zu machen. Doch weiter Pulli und weite Hose gaben keine Anhaltspunkte her.

Wir erhoben uns, gingen Richtung Ausgang, sie voran, als sie plötzlich zwei ungestüm hereinrennenden Kindern auswich direkt in meine Arme hinein.

Ich bekam sie an den herausstakenden Schulterknochen zu fassen. Sie fühlten sich einfach nur knochig an, als hätte sie überhaupt kein Fett, ja keine Haut, nur Knochen. Spindeldürr musste sie sein, durfte man von dort aus auf die anderen Bereiche und Partien schließen.

Sie drehte ihren Kopf um nahezu 90 Grad, ein eiskalter Blick musterte mich, der mir durch Mark und Bein ging, als hätte ich mich ihr, einer Fremden, sträflich unsittlich genähert. Bleischwer senkten sich ihre Lider, hoben sich sogleich wieder langsam und blickten mich von unten nach oben mit weit aufgeschlagenen Augen und leicht flatternden Wimpern an, stammelnd: „Oh, Entschuldigung!“

„Aber nein, es ist mir ein Vergnügen!“

„Das könnte Ihnen so passen! Nur, wenn es dem anderen Partner auch Spaß macht.“

„Tut es denn?“

„Fragen Sie diese Person doch!“, recht dünn, begleitet mit einem Achselzucken.

Das war ein Witz, erstaunlich, sie wusste zu spaßen. Mehr als mir lieb war. Ich schluckte. Das war mir zu direkt.

Zwar handelte es sich nur um ein geistreiches Geplänkel allgemeiner Art, trotzdem war ich perplex. Sehr dumm von mir, sehr geschickt von ihr, womit sie Gefühle kaschieren konnte und aus dem Schneider war.

Jetzt schlug sie wieder ihre langen, zarten Wimpern langsam nach unten. Einen Moment lang ließ sie noch die Augenlider gesenkt, wartend,- mir also eine Chance bietend, bevor sie den Kopf endgültig nach vorne drehte. Und dahin war der Moment, mit einem ebenbürtigen lockeren Spruch zu reagieren und etwa nachzubohren.

Oh, ich hatte es vermasselt und daneben gegriffen, ich Trottel, wie ärgerlich!

Sie hatte den Laden heruntergelassen dicht vor meiner Nase. Nicht leicht Kirschen essen mit ihr war.

Einerseits Respekt dafür. Allmählich aber schnürte mir der kalte Überdruss leicht die Kehle zu. Diese Kälte, diese Distanziertheit zu andern Menschen, ich weiß, dass es Distanz heißen muss, aber das andere Wort trifft es besser. Also diese Distanziertheit, mich eingeschlossen, das, was ich heute Abend erfahren musste, und in mir reifte der Entschluss kurzum: für heute Zapfenstreich. Kurz und bündig sich vor ihrer Tür verabschieden. Das war’s!

Der Herr baut leider nicht auf Sand.

„Nun!“, hatte ich angesetzt.

Ich war stehen geblieben, während sie sich zum Gartentürchen gebeugt hatte, um den Schlüssel ins Loch zu stecken. Man kann es sich vorstellen, diese Stellung entzückte mich. Als sie sich dann aufrichtete und zu mir umwendete, spielte ein maliziöses Lächeln über ihre Lippen und entließ folgendes gehauchte Wort, das eindeutig auf meinen entzückten Blick hinwies: „Nun?“

Ich rang um Worte.

Sie ließ sich Zeit, beobachtete mich scheint’s amüsiert.

Ich nickte.

Sie unterließ ein Nicken, drehte sich einfach um und ging durch das geöffnete Tor.

Was sollte ich tun? Ich folgte ihr. Erneut hatte sie mich auflaufen lassen.

Warum lief ich ihr nach?

Sie hatte es geschafft, mich erneut zu irritieren.

Wie ein braver Hund trottete ich hinterher. Ich konnte so nicht auseinandergehen, mit meinen zwei Minuspunkten, die ich eingeheimscht hatte heute Abend. Ich sann auf Rache, nein, auf Ausgleich. Wenigsten das. Gleicher Punktestand, dann Servus.

Ich sah neben dem Treppchen zur Haustür Gartenutensilien aufgereiht, ein Geräte-Stiel neben dem anderen stehen, die Gebrauchsgegenstände recht quer durcheinander gestellt, eine über den Rand gefüllte Kiste mit Gerümpel, ziemlicher Unrat hier und da,– und diese Unaufgeräumtheit und das Chaos war ein Anblick, der mir wohl tat. Schafft sie es, selbstständig den Garten zu meistern? Sah nicht so aus. Gut so!

Weiter tröstete ich mich, als wir ins Haus traten und im Windfang unsere Oberkleider ablegten, als ich ein genaueres Bild von ihrem Körper gewann.

Der Raum war sehr eng, wir waren fast eingezwängt. Sie versuchte ihr Jäckchen abzustreifen. Ganz schön überschlank, grazil und feingliedrig-gebrechlich ihre Gestalt.

„Moment, ich helfe Ihnen!“

„Danke!“

Sie ließ sich ihren Überwurf, der bereits zur Hälfte nach hinten herunterhing, ganz abstreifen. Um sich ihr besser zu entledigen, hatte sie die Schulterknochen spitz herausgerenkt: knochen-eckig wie ein Skelett. Sie hatte nur mehr eine Bluse an, die die Schultern freiließ. Die Haut war blasmatt wie der Mond.

Nahezu nackt erschien sie mir damit und ich war ganz fasziniert von diesem Anblick totaler Blöße.

Mit einem Mal, d a, in einem übersehenen Spiegel in diesem kleinen Raum, Augen, starr und konsterniert, die Bände sprachen. Mensch, sie hatte mich die ganze Zeit beobachtet, wie ich ihr langsam das Kleidungsstück heruntergestreift und grausig-fasziniert über ihren Körper meditiert hatte.

Natürlich las sie in diesem Blick bloß sexuelle Gier.

Wie stand ich jetzt da: ein Tier, ein Unmensch und geiler Bock.

In dieser Pose erstarrte ich: Kleidungsstück-in-der-Hand und versuchte damit, ihrem musternden Blick standzuhalten. Wohin mit der Stola stand an, gelöst zu werden, wozu ich zu ihr blickte, als könnte ich in ihren Augen eine Antwort finden. Aber von dort kam nur eine Vorwurf.

Der Impuls elektrisierte mich, schnell sich in die Flucht des Handelns begeben und alles andere von vorhin passé erscheinen zu lassen. Doch hatte ich keinen blassen Schimmer, wohin.

So hielt ich ihrer Herausforderung stand, lächelte verlegen, sagend, wohin mit dem in meiner Hand sich befindenden Objekt, aber durchaus auch möglich, dass mein Schmunzeln als keckes Grinsen und verschämtes Verglühen einer zu interpretierenden Gier ausgelegt worden war, aber wenn, dann nur andeutungsweise, gab ich mich dem Glauben hin.

Ein irrlichterndes Flackern in ihren Augen teilte mir mit: ach, diese Männer, alle gleich! Leicht resigniert schien sie mir in die Knie zu gehen, um ihr Handtässchen vom Boden aufzuheben und weiterzutun.

„Hängen Sie es einfach an den Haken neben dem Spiegel zu den anderen Sachen!“

Wie mir aufgetragen, leistete ich Folge.

War lediglich der Wunsch der Vater des Gedankens, sie so bar, nackt, ja schutzlos-embryonal gesehen zu haben? Natürlich, dann war es wirklich Scham, die sie empfand und sie dazu getrieben hatte, allzu schnell meinen Blick auszuweichen - oder doch nur schlicht und einfach Sorge, sich um den Gast zu kümmern?

Ich konnte mir nicht gewiss sein. Kuhmist, was wusste ich schon über sie, was vermochte ich schon aus ihr herauszulesen, da sie mir doch so undurchdringlich erschien.

Wenigstens bald würde ich besser Bescheid wissen, so es sein soll und es soll sein!

Nun fand ich mich in der Coach ihres weitläufigen Wohnraums vor, unsicher und unzufrieden darüber. Denn ich hatte mich hierher zu kommen überreden und verführen lassen, wenngleich sie kein Wort – Ironie – hatte dazu verlauten lassen und – doppelte Ironie – hatte dazu verlauten lassen müssen. Wie ein Schulbub war ich verführt worden. Ob es mir passen sollte, bezweifelte ich jetzt gehörig.

Mein Blick fiel auf das beeindruckende Panoramafenster: ein großzügig in die Längswand eingelassenes Glas zur Terrasse hinaus. Nur herrschte draußen fast eine undurchdringliche Schwärze der Nacht. Um das Halo einer Straßenlaterne in weiter Ferne schienen Motten zu flattern, weil es unsicher flimmerte. Ein Hund jaulte irgendwo gotterbärmlich.

Auch keine gute Perspektive.

Dann fiel mein Blick auf ein Ölbild an einer Wand hier im Raum: Sandstrand, Kinderschaufel und Eimerchen, daneben noch zitronenförmige Orange mit einigen grünen Blättern dazu.

„Ein selbstgemaltes Bild.“, kam sie gerade hereingeflitzt, auf die Sekunde genau mit meiner Wahrnehmung des Bildes. Welch ein Timing, als habe sie darauf gewartet, dass ich auf irgendetwas, das ihre Bedeutsamkeit in der Vordergrund spielte, aufmerksam wurde, um ihr einen Auftritt zu ermöglichen, der sie ihre Souveränität mir gegenüber eindrücklich vor Augen führte.

Oder, Mensch, lass die Kirche im Dorf, sie wollte nur etwas von sich präsentieren, wie es jeder Mensch ganz einfach gerne von sich tat. Gewissermaßen, sehen Sie, ich bin das Bild, ja das bin ich, das Ölgemälde, die Wohnung, alles hier. Allein dieses selbstgefertigte Produkt ist der schlagfertige Beweis dafür und eine eindrucksvolle Demonstration dessen, dass ich etwas bin, etwas Besonderes.

Doch das ärgerte mich nun unergründlicherweise. Was wollte sie sich hier unpassend in den Vordergrund stellen? Wollte sie etwa über mich dominieren?

Warum konnte ich diesen Aspekt einfach nicht ignorieren, verspürte eine leichte, kaum spürbare Wut in mir?

Ich sag’s unumwunden: ich vergönnte ihr nicht dieses Sich-Produzieren, weil ich’s doch bislang gewesen war, der den drängenden Part ausgefüllt und innegehabt hatte, schließlich, ich hatte sie angesprochen, den schweren ersten Schritt getan und ich die Nuss geknackt erst einmal, und jetzt, jetzt tat sie so, als hätte sie allein die Zügel in der Hand.

Dagegen musste etwas unternommen werden.

Sie setzte zwei Weingläser auf die ovale Glasplatte vor mir und wandte mir schon wieder den Rücken zu, ohne dass ich Gelegenheit gehabt hätte, etwas Cooles und Geistreiches bemerken zu können, um ihren kleinen Vorteil auszubalancieren.

Ich konnte nur zähnebläkend und mich geschlagen fühlend ihrem Rücken nachsehen, wie sie sich genauso salopp und geschwind wieder zur Küche hinwegbewegte wie sie hierhergekommen war, ja fast flog, kam mir vor, obendrein die Türe mit einem laxen Handschwenker lautlos hinter sich zuzustupsen.

Grimmig verengten sich meine Augenbrauen und es fragte sich mein analytischer Verstand berechtigterweise, als sich mein Blick erneut aufs Bild fokussierte: Wo war das Kind, das mit diesen Dingen spielte? Nirgendwo in dem Strandgemälde, das reliefartig mit Gips diese Kinderutensilien auf den pastellfarbenen Hintergrund eines Badestrandes akzentuiert hatte, war es. War das nicht höchst verdächtig, Mensch! Ein Kinderbild ohne Kind.

Ich schaute nach ihr, ich luchste geradezu nach ihr.

Die Tür zum Nebenraum war nur angelehnt und es drang kein Geräusch von da hervor. Lauerte sie dahinter und wartete auf ein Zeichen, bis sie wieder wie auf einer Bühne in Erscheinung treten und also hier in diesen Wohnraum erneut hereinstolzieren konnte, als wäre sie Grand Dame der Welt schlechthin?

Es schien sie der Besuch im italienischen Restaurant sehr erheitert, beschwingt und belebt zu haben. Für mich als Gastgeber war das ein gutes Zeichen und sollte zufriedenstellend sein. Aber ich fühlte mich logischerweise wegen all der damit erfahrenen Dinge über sie eher deprimiert.

http://www.pentzw.homepage.t-online.de/literatur.htm