Krimis & Thriller
Der Tod der Kritikerin

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"Der Tod der Kritikerin"
Veröffentlicht am 28. Januar 2013, 10 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Der Tod der Kritikerin

Der Tod der Kritikerin

Irrtum?

 

Wer glaubt, dass die Kritikerin nur einen Schritt oder nur einen Ansatz dazu zu erkennen gab, sich erklären zu müssen, irrt. Kein Wort bezüglich des Vorfalls vom letzten Mal. Stattdessen, ganz konzentriert, verbissen und unbeeinflussbar, Kurs auf ihr Ziel, das da hieß: wie mache ich diesem törichten Menschen nur klar, welch schwache Schreibe er zustandebringt!

Eine sehr schwierige Bürde würde das sein, das war klar und so war es kaum verwunderlich, dass sie zunächst um den heißen Brei redete. Aber ich war froh, dass sie mich überhaupt wieder kontaktiert hatte und was sie von meiner Literatur halte mochte, war mir letztlich schnuppe. Nur sie interessierte mich. Ich war von ihrem pädagogischen Impetus und ihrem missionarischen Eifer nur amüsiert.

„Ich möchte nicht im einzelnen und auf bestimmte Dinge in ihrer Literatur eingehen. Es drängt mich nur allgemein, etwas dazu zu sagen, wenn es ihnen Recht ist.“

„Aber natürlich!“

Immerhin operierte sie nicht ohne das Einverständnis des todkranken Patienten.

Je grotesker es mir erschien, so fand ich es doch ratsam, so distanziert wie möglich aufzutreten. Außerdem, mit dem ersten Satz bereits, konnte ich sie ohnehin nicht mehr ernst nehmen. Merkt es jemand, wenn er nicht mehr ernst genommen wird? Sie scheinbar nicht, das steht fest.

„Warum versuchen Sie es nicht mit einem anderen Hobby, Malen zum Beispiel? Können Sie malen?“

Dass diese Frau, diese Literaturkritikerin, meinen Erzählungen gegenüber unsensibler als ein Hackstock war, war ein unzweifelhaftes Faktum. Aber ein Minimum Verständnis hätte ich mir schon gewünscht, zumindest in anderer Hinsicht. Beispielsweise etwa folgende Frage hätte ich erwartet: seit wann befindet sich das verirrte Schaf auf seinem Irrweg? „Seit wann schreiben Sie?“

Aber nein, diese Frage fiel nicht. Denn dann hätte sie sich nicht der Tatsache verschließen können, dass ich dies bereits seit meinem 16. Lebensjahr tat. Völlig respektlos und nahezu misanthropisch wäre gewesen, wenn sie diesen wichtigen Umstand meiner Biographie völlig hätte außen vor gelassen und mich zur totalen Umkehr oder völligen Umkrempelung meines bisherigen Lebenslaufes, meiner jahrlang gepflegten Gewohnheiten und schwer erkämpften Fähigkeiten aufgerufen und gedrängt hätte. Aber natürlich, danach nicht gefragt, brauchte sie auch keinerlei Rücksicht darauf nehmen. Wenn dahinter Kalkulation stand, dann clever, Fräulein Pädagogin.

Also Malen.

Ich müsse zunächst erst einmal darüber nachdenken, bitte sehr, erbot ich mir.

Klipp und klar war es, dass ich dies keine Sekunde tun würde.

Stattdessen verfolgte ich ein anderes Ziel, etwas aus ihr herzukitzeln, was mich weiterbrächte.

„Nur eine Frage, wenn Sie gestatten. Wirklich nur eine.“

Ich wusste, mehr würde ich nicht herausschlagen können.

„Was ist die große Schwäche an meiner Literatur?“

Ohne zu überlegen, sagte sie: „Das kann ich Ihnen leicht sagen.“

Die Promptheit ihrer Antwort musste nichts besagen. Denn sie machte stets ja ihre Kunstpausen. Wohl um die Antwort erst zu finden. Raffinierter Schachzug, wohinter ein Übermaß an Selbsteinschätzung steckte. Was, wenn ihr keine passende Antwort einfiel? Verdammt peinlich, was.

Aber noch immer war sie um keine Antwort verlegen.

Jetzt zumindest lastete wieder einmal Schweigen zwischen uns. Wer aber glaubt, dass sie mich damit hätte auf die Folter spannen können, unterliegt einem Irrtum. Ich übte mich in Geduld. Und heute schien ich unerschöpflich geduldig zu sein.

„Sie haben keine Phantasie!“, kam es dann.

„Ich habe keine Phantasie?“, wiederholte ich eselsdoof. Ja, ich nickte sogar, als erkannte ich damit die Wahrheit, die von ihr auf mich übertragene Weisheit, nachdem sie mir Scheintoter das Lebenselixier eingegeben, das Blut für Dracula eingeflößt oder der Brennstoff für ein fahrbereites Fahrzeug eingefüllt hatte. Welch ein Hohn, dachte ich ingrimmig.

„Ja, sehen Sie, die Geschichten stecken voll autobiographischer Daten, Hinweise und Hintergründe. So weit, so gut, das ist legitim. Da muss jedoch  noch mehr kommen, viel mehr. - Im Grunde kreisen sie nur um sich selbst. Sie haben drei, vier, fünf Charakter. Ach, Charakter, schon zu hoch gegriffen. Ein paar Personen treten in ihren Geschichten auf, wobei bald klar wird, letztlich handelt es sich nur um eine: die des Autor selbst!“

„Aber Sie kennen mich doch gar nicht.“

„Ja, das brauche ich auch nicht. Das Geschriebene ist zu homogen, zu geschlossen, zu schlicht und simpel, als dass es den Leser befruchten, das darin pulsierende Leben ihn anstecken, bewegen, sprich sich irgendetwas auf den Leser übertragen könnte. Nein, stattdessen Langeweile, bohrende, öde Monotonie. Und einem klugen Leser ist bald klar: Der Autor steht vor einem Spiegel und grimassiert wie eine Affe um sein selbstverliebtes Spiegelbild. Dieser armselige Tropf ist letztlich außerstande, über seinen eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Das ist nur jämmerlich und erbärmlich“

Starker Tobak. Aber egal, damit war diesem Gespräch über meine Literatur zunächst ein Endpunkt gesetzt. Für mich wenigstens. Nur zum Schein ging ich auf ihren hanebüchenen Vorschlag ein, ja, zum Beispiel Malen.

Man muss wissen, ich verehre die bildenden Künste zu sehr, um lax zu sagen: dann male ich halt eben. Ich weiß zu genau, dass dieses Metier mindestens so schwierig und komplex ist wie das schreibende. Blanker Irrwitz, dumpfe Torheit und hirnrissige Selbstüberhebung ist es, so einfach mal von heute auf morgen vom Schriftsteller zum Maler umsatteln zu wollen.

Deswegen regte sich hier allmählich der Gedanke: diese Person nimmt dich nicht wirklich Ernst und stattdessen auf die Schippe – niemand konnte so etwas ernsthaft fordern.

Merkwürdig, ich würde genau hinsehen müssen, um dieses Exemplar von Mensch verstehen zu lernen. Ich war ihr also nicht im mindesten böse, schließlich, wie kann man einer Verrückten böse sein?

„Außerdem“, fügte sie phinzu. „Ihre Literatur ist voller Klischees. Sie schreiben einfach so, wie man heutzutage eben schreibt. Sex, Mord und Totschlag“, und ein definierbarer, leiser Laut entfuhr ihr, kein Zweifel, dass es einer derjenigen Sorte war, die dem menschlichen Empfinden der Verachtung am nächsten kam.

„Aber ich bin kein Klischee!“, entfuhr es mir.

Sie blinzelte mit den Augen.

Jetzt hatte ich sie. Ich genoss meinen Stoß.

„Wenn meine Literatur nur Spiegelbild meines Ichs ist und diese Literatur Klischee ist, dann...“, ich brauchte den Satz nicht zu vollenden. Ich hätte ihn mir durchaus sparen können, nur zu gut hatte sie ihn verstanden. Jetzt steckte sie in einer Zwickmühle fest, stand mit dem Rücken zur Wand. Aber sie war zu hochmütig, um zu sagen: „Sie haben ja recht! Das kann nicht sein. Irgendetwas sehe ich falsch.“

Nein, diese Person offenbarte gewiss keine Schwäche, gab sich keiner Blöße hin, indem sie etwa einen Irrtum eingestand. Sie wollte sich als Pädagogin aufspielen und mich unterkriegen, nur darum ging es ihr. Jedoch hatte sie sich verrechnet.

Ich lehnte mich zurück, wobei ich die Arme vor meiner Brust verschränkte. Meine empfundene Genugtuung troff bestimmt schon aus den Ohren.

„Leider...“ Die Gute gab nicht auf. „...ist jedoch ihre Wahrnehmung von sich selbst, die sie zu Papier bringen, klischeehaft. Natürlich sie selbst nicht. Es gelingt ihnen nicht die Zeichnung eines detaillierten, einmaligen, unverwechselbaren und originellen Charakteristikums eines Menschen. Darin liegt das Problem.“

Die Wahrnehmung also, meine reduzierte, verkürzte und zu simplifizierende war es.

Sie hatte es so selbstsicher gesagt, das ich nichts mehr entgegnen konnte. Wie bei einem Gerichtsprozess, bei dem Aussage gegen Aussage stand. Und sie hatte die Autorität des Richters hinter ihrem Wort. Dazu war nichts mehr zu erwidern. Und doch siegt die Wahrheit stets. Und hier war sie bereits am Sägen ihres allmächtigen Stuhles, auf dem sie thronte.

Wir wurden hektisch, fielen einander ins Wort. Während ich noch vorschlug, wir sollten vielleicht ein besseres, gediegeneres Etablissement aufsuchen, stieß sie tonlos aus: „Bringen Sie mich bitte nach Hause!“

Als ob mit einem solchen Simpel wie mir, es sich nicht weiter lohnte zu verkehren.

Immerhin gewährte sie mir eine zweite Audienz.

 

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