Romane & Erzählungen
Ein ungewöhnlicher Morgen - Storybattle 21

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"In memoriam Franz Kafka, zum 100. Todestag"
Veröffentlicht am 25. Januar 2013, 18 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
© Umschlag Bildmaterial: Daniel Gast / pixelio.de
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

"Der Lyriker bringt seine Gefühle zum Markt wie der Bauer seine Ferkeln." Wilhelm Busch Habe hier 2010 mit Gedichten begonnen, aber das meiste davon ist für mich inzwischen passé. Man lernt auch als Großmutter nicht aus ;-) Bin in der DDR aufgewachsen, immer berufstätig gewesen, links orientiert. In zweiter Ehe verheiratet, gehören zu meiner Familie drei Enkelinnen. Den Nick "Fleur de la coeur" hat seinerzeit meine Freundin Seelenblume ...
In memoriam Franz Kafka, zum 100. Todestag

Ein ungewöhnlicher Morgen - Storybattle 21

Einleitung

Vorgegeben waren der erste Satz aus Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" mit freier Wahl des Lebewesens/Gegenstands, in welches/welchen die Verwandlung erfolgt war, sowie folgende Wörter im Text:
- Schleiereule - Tagtraum - Haselnusscreme

- Mansardenzimmer - Feingefühl - Körper - Bärenfalle

- Linienrichter

- Marschflugkörper

Ein ungewöhnlicher Morgen

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Braunbären verwandelt. Im Moment des Erwachens war er jedoch noch völlig ahnungslos.
Ohne die Augen zu öffnen, drehte er sich ächzend auf die linke Seite, nach dem Handy auf dem Nachtschrank greifend, um den Weckruf auszudrücken. Irritiert stellte er fest, dass ihm in der rechten Hand jegliches Feingefühl fehlte. Er konnte das Handy weder mit der Hand

fassen, noch die Aus-Taste drücken, nahm nur das kratzende Geräusch seiner Fingernägel auf dem Kunststoffgehäuse wahr. Verstört riss er die Augen auf und betrachtete staunend eine zottige braune Bärentatze mit langen Krallen an Stelle seiner rechten Hand.
Was war das – ein Tagtraum oder ein ausgewachsener Wodkarausch? Er hätte sich gestern Abend in der russischen Bar mit seinem ominösen Geschäftspartner etwas mehr zurückhalten sollen … Wer weiß, womöglich war ja der Wodka gepanscht gewesen?

Hastig setzte er sich auf, schwang sich mit einem Ruck aus dem Bett und sah fassungslos an sich herunter. Auf allen Vieren tappte er zum großen Spiegel an der Tür des Kleiderschranks und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Ein heiseres Brüllen entrang sich seiner Kehle angesichts seines Spiegelbildes, das einen ausgewachsenen Braunbären zeigte. Die Augen blickten ihm klein und trüb entgegen, die gelblichen Zähne waren kräftig und die Eckzähne besonders lang, das Fell bedeckte glanzlos und zottelig den gesamten Körper. Was war mit seinem Penis los -

knochenhart und lang wie ein Marschflugkörper … ach ja, er hatte einmal davon gelesen, dass Bären und andere Säugetiere einen echten Knochen in ihrem besten Stück besaßen. Widerwillig begab er sich ins Badezimmer, um seinem Harndrang nachzugeben. Den Kopf vom Spiegel über dem Waschbecken abgewendet, lief er zum WC und setzte sich gewohnheitsmäßig auf die Brille, die mit Seepferdchen in Leuchtfarbe verziert war. Das war wieder mal so ein schwachsinniger Einfall seiner Frau gewesen, wie vieles andere auch.

Als er sich endlich erleichtern wollte, konnte er jedoch den harten Penis nicht im Klobecken unterbringen und urinierte schließlich voller Erleichterung auf den WC-Vorleger im weiß-blauen Seepferdchen-Design, sich dabei schadenfroh die zeternde Empörung seiner Frau vorstellend. Ein barbarischer Gestank machte sich im Raum breit, doch er konnte ihn nicht als solchen wahrnehmen.
Wo war sie eigentlich, seine Frau, die alte Schleiereule? Ihre Bettseite war leer gewesen, als er erwachte.


Bevor er sich auf den Weg machen konnte, sie zu suchen, läutete im Schlafzimmer erneut sein Handy. Das Display zeigte verschwommen einen Namen, den er jedoch nicht lesen konnte. Wie das? Ach ja, wahrscheinlich hatte er als Bär ein schlechteres Sehvermögen … Mühsam angelte er nach seiner Brille, doch als er sie endlich ungeschickt auf seinem Kopf platziert hatte, passte sie ihm nicht mehr … Wütend hieb er auf das Handy, um es abzuschalten, er hatte keinen Bedarf mehr nach Kommunikation, war er doch der menschlichen Sprache

ohnehin nicht mehr mächtig.

Ganz beiläufig öffnete er seinen Kleiderschrank, denn er ahnte schon, dass er darin keine für einen Bären passenden Kleidungsstücke finden würde. Wozu auch, schließlich hatte er ein wärmendes Fell. Auf allen Vieren nahm er die Treppe nach unten und begab sich in die Küche, in Erwartung eines gedeckten Frühstückstisches. Doch wieder wurde er enttäuscht, lediglich die leere Kaffeetasse seiner Frau stand auf der Spülmaschine. Darunter lag ein Zettel mit ihrer großen,

steilen Handschrift: “Herbert ist erkrankt, du solltest heute Nachmittag für ihn als Linienrichter einspringen. Ich habe schon mal vorsorglich abgesagt und quartiere mich jetzt vorsichtshalber bei meiner Freundin in ihrem Mansardenzimmer ein. Vorher gehe ich zum Anwalt und reiche die Scheidung ein. Edeltraut.“

Eigentlich war ihm auch gar nicht nach Kaffee zumute, so trank er massenhaft kaltes Wasser und leerte dazu genüsslich zwei Gläser mit Haselnusscreme, denn Honigtöpfe gab es seit Jahren nicht in

seinem Haus und schon gar nicht mehr in seiner Ehe.

Jetzt war ihm nach einer Morgenzigarette. In der Diele hing seine Jacke am Garderobenhaken. Mit einem gezielten Tatzenhieb schlitzte er die linke Tasche auf, in der sich Zigarettenetui und Feuerzeug befanden. Das Zigarettenetui bekam er nach längerem Bemühen auf, doch hatte er keine Chance, das Feuerzeug zu zünden. Also kippte er die Zigaretten auf den Boden und fraß sie auf, obwohl ihm das - genau genommen - keinerlei Genuss

bereitete. Im Wohnzimmer fläzte er sich schnaufend in seinen Fernsehsessel, und es gelang ihm mit einiger Mühe, sein gewohntes Programm einzuschalten. Um diese Zeit liefen die Börsennachrichten. Schei.., was war das denn! Anscheinend war er bei seiner Transaktion mit den RADOST-Papieren doch tatsächlich in eine Bärenfalle getappt, und nun überkam ihn nach dem unüblichen Zigarettengenuss auch noch ein heftiger Stuhldrang … Bis ins WC schaffte er es ohnehin nicht mehr, und es war ihm völlig schnurz, ob er

sich auf dem gefliesten Küchenfußboden oder auf dem Seidenperser im Wohnzimmer explosionsartig entleerte. Nachdem es ihm danach wieder besser ging, wühlte der Hunger schmerzhaft in seinen leeren Gedärmen. Kurzerhand erhob er sich vom Perserteppich, nahm den Autoschlüssel vom Haken in der Diele und machte sich auf in den nächsten Supermarkt.
Als er eine gute Stunde später im Schockraum der Notaufnahme erwachte, hatte er heftige Kopfschmerzen, sein linker Arm war geschient und am rechten

hing eine Infusion. Oberarzt Dr. Petri und Schwester Yasmin standen mit ernsten, aber freundlichen Gesichtern an seiner Seite. “Guten Morgen, Herr …., Sie hatten einen Verkehrsunfall und sind jetzt in der Charlottenklinik. Leider hatten Sie keine Papiere bei sich, denn Sie trugen nur ein Faschingskostüm.“ Mit den Augen wies Dr. Petri zum Stuhl, auf dem ein Bärenfell hing. Samsa glaubte seinen Augen nicht zu trauen, er hatte wieder seine menschliche Gestalt und trug ein Kliniknachthemd. Sein Herz hüpfte vor Freude, wenn er sich doch nur

nicht so schlapp fühlen würde! Und der Bauch fing auch schon wieder an zu grummeln …. “Ich bin Gregor Samsa, wohnhaft im Kamillenweg 28e, privat krankenversichert bei der AlieN, Herr Doktor!“ “Gut, Herr Samsa, Schwester Yasmin wird Ihre Personalien aufnehmen. Doch es gibt ein Problem. Sie müssen operiert werden, haben aber viel Blut verloren. Leider konnte unser Labor Ihre Blutgruppe noch nicht bestimmen, in Ihrem Blut wurden bisher keine Merkmale menschlicher Blutgruppen festgestellt …“ Dr. Petri konnte die Sorgenfalten in seinem Gesicht

jetzt nicht länger verbergen. “Herr Doktor, ich bin einverstanden mit der Verlegung in die Veterinärmedizin. Aber bitte, geben Sie mir vorher noch eine Zigarette!“ © fleur 2013 Cover: foto Daniel Gast / pixelio.de

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Hörbuch

Über den Autor

FLEURdelaCOEUR
"Der Lyriker bringt seine Gefühle zum Markt wie der Bauer seine Ferkeln."
Wilhelm Busch

Habe hier 2010 mit Gedichten begonnen, aber das meiste davon ist für mich inzwischen passé. Man lernt auch als Großmutter nicht aus ;-)
Bin in der DDR aufgewachsen, immer berufstätig gewesen, links orientiert. In zweiter Ehe verheiratet, gehören zu meiner Familie drei Enkelinnen.

Den Nick "Fleur de la coeur" hat seinerzeit meine Freundin Seelenblume für mich ausgesucht. Er hat nichts mit der Gestalt aus den Harry-Potter-Büchern Fleur Delacour zu tun.

Inzwischen bin ich im letzten Lebensquartal angelangt, da küsst mich die Muse nur noch selten. ;-(

mariewolf43@gmail.com

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Enya2853 Liebe Fleur,
diesen fantastischen Einstieg in deine Grischa-Sammlung habe ich nun mit Genuss noch einmal als Einzelbeitrag gelesen. Hier konnte ich auch Herz und Talerchen vergeben.
Es ist eine großartige Story, zum Schmunzel und auch ein wenig zum Nachdenken.
Die Idee, Kafkas Anfang aus seiner "Verwandlung" zu nehmen, war toll, wie ich finde. Du hast es prima gelöst.
Dass daraus ein ganzer Geschichtenzyklus werden würde, wusstest du damals noch nicht, oder?

Ganz liebe Grüße
Enya
Vor ein paar Monaten - Antworten
FLEURdelaCOEUR Liebe Enya, dir gefällt diese Story offenbar wirklich gut, so oft wie du sie schon gelesen hast ;-) Ich freue mich natürlich sehr darüber! Sie war keineswegs als "Fortsetzungsroman" geplant, das hat sich dann später erst so ergeben. Unterm Buch "Grischa" haben wir beide uns auch schon darüber ausgetauscht. Dass ich diese Updates zu Kafkas Todestag von der Einzelstory und dem Gesamtbuch gleichzeitig gemacht habe, lag daran, dass es nicht richtig geklappt hat. Ich konnte das Gesamtbuch in der Bücherliste nicht sehen und habe es deshalb mit der Einzelstory versucht. Aber da war es dasselbe. Irgendwie ist das System hier angeknackst, es spinnt.
Von Herzen Dank für alles und ganz liebe Grüße an dich zurück,
fleur

PS.
Das Klinikpersonal stammt z.B. aus der Sachsenklinik, TV-Serie "In aller Freundschaft". OA Dr. Petri alias OA Dr. Stein und Schwester Yasmin alias Schwester Arzu ;-)) Spontaner Einfall beim Schreiben
Vor ein paar Monaten - Antworten
Enya2853 Weißt du, liebe Fleur, ich mag den Grischa wirklich und besonders natürlich die Art, in der du es erzählst.

Hab einen schönen Abend.
Liebe Grüße
Enya
Vor ein paar Monaten - Antworten
FLEURdelaCOEUR Danke dir! :-)
Vor ein paar Monaten - Antworten
Brubeckfan Das ist Dir so toll gelungen, liebe Fleur. Humorvoll, animalisch, gewiß würde auch Kafka schmunzeln. Sicher dachtest Du nun an seinen 100. Todestag. Gestern hörte ich im ausverkauften RBB-Sendesaal eine sehr anregende Lesung.
Und künftig werde ich immer mal in Deiner Grischa-Sammlung schmökern und so einiges wiedererkennen. Junge, was so mit den Jahren zusammenkommt.

Viele Grüße,
Gerd
(Frohsinn-Aktien? klingt halt verlockend)
Vor ein paar Monaten - Antworten
FLEURdelaCOEUR Danke für alles, lieber Gerd, du hattest mir damals schon so einen tollen Kommi geschrieben, ganz weit unten! Dass ich diese Story noch zusätzlich zum Gesmt-Grischa upgedatet habe, liegt daran, dass es mir gestern einfach nicht glücken wollte, ihn in die Werbung zu stellen. Habe es abwechseld immer wieder versucht, konnte nicht erkennen, ob es geglückt war ... Sicher ist die erste Story die beste. Dann noch "Ringfrei", der Brief seiner Exfrau an ihre Freundin. Die andern sind alle etwas wie "aus der Zwischenwelt". Ist ja immer dem jeweiligen Battle- Thema geschuldet ...

Viele Grüße zurück,
fleur
Vor ein paar Monaten - Antworten
Brubeckfan Und schrieben immer noch a-heins...: Erst jetzt fällt mir Unschuldslamm ein, "Dom radosti", sagt man bei Grischa so zum profitablen F...haus? Ach laß Dich nicht ärgern.
Vor ein paar Monaten - Antworten
Brubeckfan Updates kannst Du nicht mit Coins propagieren, nur Neuerscheinungen. Updates tauchen ja nicht unter "Neue Bücher" auf.

Mein Kommentar damals, ich bin also doch eine integre Person, die nun zur selben Qualität dasselbe meint ...

Der RBB-Sendesaal hat übrigens eine interessante Geschichte, sagt mir Wikipedia. Z.B. saß dort der sowjetische Sender in der britischen Zone und schleppte alles nur mögliche hinaus. Was ich mitnahm: Georg Kolbes tolle Frauenplastik "Die Nacht" im Albtraum und die Idee, Kafkas Sachen mal wie kubistische Gemälde anzusehen. Dagegen die prämierte Mickymausstimme aus "Fuck you Goethe" und der konstant lümmelnde Sven Regner, nun ja.

Bald wieder auf dem Bärenfell lagernd,
Gerd
Vor ein paar Monaten - Antworten
FLEURdelaCOEUR Lieber Gerd,
Mit den Updates möchte ich dir widersprechen. Ich habe das schon oft gemacht, ein älteres Buch beim Update in die Werbung zu stellen. Habe ja reichlich Coins. Z.B. auch bei den damaligen Geburtstagsbüchern, wenn ich nur eine neue Seite angefügt hatte. Apoll & Buhuu machen das übrigens auch mit ihren Leseproben, Rattenbuch und sonstigen. Man konnte Bücher beliebigen Erscheinungsdatums mit Coins in die Werbung stellen. Z.B. fällt mir das Gedicht über die ukrainische Kriegshochzeit ein, habe ich am Jahrestag mit Werbung upgedatet.
Was die Hauptstadt und ihre kulturellen Verlockungen betrifft, zuletzt waren wir vor 2 Jahren mit dem Flixbus dort. Das ginge jetzt so nicht mehr, leider ...
"Starost nje radost", mein Lieber, seufzzz ...
fleur
Vor ein paar Monaten - Antworten
Brubeckfan Nö, liebe Fleur, ich hab das jetzt mit "Klagelied" versucht, das Update erscheint nicht in der Bücherliste, auch nicht durch heutige Reklame.
Bei Dir und Franck hats offenbar geklappt. Vielleicht muß der Nutzername mit F beginnen?
Schönen Tag wünscht Dir
Gerd
Vor ein paar Monaten - Antworten
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