7.Kapitel
Sky, die Tochter des Königs von Columbata, der Welt des Krieges und des Kampfes, stand auf der Klippe nahe ihrem Palast. Die Klippe war ihr Ort; der, der es ihr erlaubte, sich zurückzuziehen. Wo sie mit ihrem Livoniterfreund Loren allein sein konnte, der gerade dastand, ihr Kinn in seinen Händen, und sich von ihr verabschiedete. Die Sonne, die blutrot am Himmel stand, kündete von Krieg, einer blutigen, neuen Epoche, und niemand von beiden war sich sicher, ob sie sich je wieder treffen würden. In Skys Welt war eine rote Sonne das Wahrzeichen eines bevorstehenden Krieges - eigentlich ein Grund zum Feiern für die Columbata. Doch das einzige, was Sky verspürte, war kommender Verlust.
"Ich muss Euch verlassen. Meine Welt, Livon, braucht mich im Krieg", sagte Loren bitter, fast kalt.
"Ich dachte, Livoniter halten nichts von Bündnissen?"
"Nein", antwortete Loren. "Zwar werden wir uns auf keine Seite stellen, doch werden wir uns einmischen wollen. So wie Euer Volk den Kampf liebt, so liebt meines das Abenteuer." Er hielt inne, warf ihr einen innigen verzweifelten Blick zu, während seine andere Hand krampfhaft auf ihrer Schulter ruhte."Versprecht mir, auf Euch aufzupassen."
"Loren ..." So ein Versprechen konnte sie nicht halten. Jeder Columbata war sich vor einer Schlacht bewusst, was er riskierte zu verlieren.
"Versprecht mir das!" Seine Hand auf ihrer Schulter war fest und beruhigend. Sie nickte.
"Und ... vergesst nicht, Eure Deckung zu wahren, wenn Ihr in der Luft seid und wieder einmal von einem Drachen gejagt werdet." Sein Grinsen zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.
"Mach ich", sagte Sky. Er drückte ihr einen schnellen Abschiedskuss auf die Stirn und wandte sich schließlich von ihr ab. Das Letzte, was er zu ihr sagte, war: "Auf ein Wiedersehen, Prinzessin." Dann war er weg. Keine letzte Liebesversprechung, kein Versprechen, er werde wiederkommen, kein letztes Spiel mit ihm und seinem Drachen, kein Gar Nichts. Und das war der Grund, weshalb Sky, von Abschied und Trauer gezeichnet, die Stimmen überhörte, die aus der Ferne zu kommen schienen. Die blutrote Sonne war untergegangen; die Abermillionen von Sternen am Himmel schienen von dem Dunkel der Nacht verschluckt worden zu sein. Die Klippe hatte nichts mehr von ihrer Schönheit und Abgeschiedenheit an sich, lag nur dunkel und geheimnisvoll in dem Nebel da, der plötzlich aufgekommen war, und von dem sie nicht wusste, ob sie ihn sich nur einbildete oder nicht, genau wie den Wirbelsturm, der aufzog. Oder den Chor von Stimmen, die der Wind auf einmal an ihr Ohr trug.
"Vater?"
"Hier bin ich." Sofort beruhigte sich Sky wieder, als sie die Stimme ihres Vaters vernahm. Für einen kurzen, qualvollen Augenblick hatte sie gedacht, sie werde verfolgt von ...
"Beeile dich." Die Stimme ihres Vater war leise, fast zischend. Sky folgte der Stimme und fand eine dunkle Höhle vor.
"Vater?" Schweigen. Ein Schatten näherte sich ihr aus der Höhle. Ein Schatten, der zu klein war, um ihrem Vater gehören zu können.
Der Schatten sprach. Die Stimme gehörte einem kleinen Mädchen. "Es tut mir leid. Das wollte ich nicht!"
Sky hatte Mitleid mit dem kleinen Mädchen, das verzweifelt ihr Gesicht in ihren Händen vergraben hatte, schluchzend. "Was ist denn los, Kleines?", fragte Sky, sich dem Mädchen gemächlich nähernd.
Skys Herz machte einen Salto rückwärts in ihrer Brust, als sie die Stimme ihres Vaters aus dem Mund des kleinen Mädchens vernahm. "Es ist ... alles in Ordnung", säuselte die Stimme ihres Vaters.
"Allessss ... in Ordnung", sangen die Stimmen dem Mädchen nach, die sich ihr wie der Wirbelsturm leise näherten und sie zu umzingeln versuchten.
Endlich trat das kleine Mädchen aus dem Schatten hervor, offenbarte Sky ihr Gesicht, ihre blutroten Augen.
Sky sah zum Himmel. Dem goldenen Stern entgegen, der sich wie ein Rettungsring über sie bildete, ein Ring, der sie wegbringen würde in eine andere Welt, eine Welt, in der keine Verdammten Seelen sie mit blutroten Augen anspringen würden, um ihr ihre spitzen Raubtierzähne in die Brust zu reißen und sie zu einer von ihnen zu machen.
Sie erhob sich in den goldenen, strahlendumwobenen Lichtring, dem Tor zu dem Bahnhof der neun Welten, war noch nie so dankbar um ihre Gabe zu fliegen gewesen, während sie die Sekunden zählte, die sie baruchte, denn das Mädchen sprang ihr nach, immer höher und höher und ... erwischte sie im Rücken. Während das goldenen Tor die Prinzessin von Columbata einließ, in eine andere Welt.
Als sie im nächsten Moment die Augen wieder aufschlug, fand sie sich auf einem Bahnhof wieder. Das geschäftige Treiben auf dem Bahnhof kam nur verschwommen und gedämpft bei ihr an. Benommen fühlte sie den Schmerz in ihrem Rücken, etwas Heißes, Flüssiges, das austropfte. Sie brauchte eine Weile, bis sie registrierte, dass es ihr Blut war.
Eine Hand zog sie hoch. Sie sah ihrem Helfer ins Gesicht.
"Du!", zischte sie und schwankte, als sie seine Hand losließ. Alles drehte sich.
"Ich", bestätigte Deagan grinsend. "Prinzessin, wie lange ist es her?" Sky konnte sich nur schwer auf den Beinen halten. Trotz allem zog sie, blind vor Wut, ihr Schwert, und machte den Eindruck, auf Deagan losgehen zu wollen.
Es amüsierte ihn. Beschwichtigend, beinahe sanft, entwaffnete er sie und hielt sie fest.
"Wenn ... wenn ich nicht ... verwundet wäre, wärst du jetzt t-t-tot, du Schwein!" Sie zerrte und stöhnte unter dem neuen Schmerz auf, der sich auf ihrem Rücken ausbreitete.
Endlich war sein blödes Grinsen verschwunden. Seine Miene war ernst. "Verwundet?", fragte er, eine Augenbraue hochziehend. Er zerrte sie zu sich herum und sah sich ihren Rücken an. Sie hörte, wie er scharf die Luft einsog und einen Namen rief. Eine Weile später tauchte ein Mädchen aus der Menge auf und kam auf sie zu. Es war ein Menschenmädchen. Beschämt wandte sich Sky von ihr ab, als sie sich niederkniete, um sich ihre Wunde anzusehen.
"Coral?" Deagan schien besorgt.
Sie schwieg eine Weile. "Die Verdammten Seelen", sagte sie schließlich, verbittert, als wäre Sky schon längst tot.
Deagan wirkte bestürzt.
Sky schnaubte. "Tu nicht so, als wärst du besorgt, Deagan. Das war du damals auch nicht. Das warst du nie. Nicht einmal ..." Sie verstummte. Sie wollte nicht über Deagan und seine Schandtat von damals reden, es würde ihr nur Tränen in die Augen treiben, und sie wollte nicht weinen, nicht vor ihm. Sie wollte ihm gar nicht mehr ins verhasste Gesicht blicken, geschweige denn, weiter seine Anwesenheit ertragen müssen. "Verschwinde", wimmerte sie mit dem bestmöglichsten Befehlston, dem eine Prinzessin von Columbata gebührte.
"Ich werde nicht zulassen, dass die Tochter meines engsten Verbündeten eine von den Verdammten Seelen wird", sagte er mit gespieltem ritterlichen Ernst und warf sie sich über die Schulter. Sky fragte sich, wann jemals in seinem Leben Deagan nicht sarkastisch gewesen war. Wohl noch nie, so kam es ihr vor.
Deagan schlug den Weg zum Gleis "Nach Starsun" ein und das merkwürdige Menschnmädchen namens Coral folgte ihm. Verschwommen hörte sie noch, wie Deagan vermutlich zu Coral sagte: "Mr. Auserwählter ist mit dem Drachen schon im Zug."
Benommen richtete sie sich auf, als ihr einfiel, was es mit dem Auserwählten auf sich hatte. Deagan hielt einen Finger auf ihren Mund, noch bevor sie etwas sagen konnte. "Erholt Euch", war seine knappe Anweisung. Wütend schwieg sie. Als sie den Zug nach Starsun erreicht hatten, holte sie schon der Schlaf ein.
"Weißt du was, Deagan? Irgendwann werde ich mich für alles rächen. Für alles, Deagan", murmelte sie mit schwacher Stimme, fast schon versöhnlich. "Und dann bist du dran."
"Auch dafür, dass ich dich nicht verbluten lasse?" Sie hörte sein Grinsen. Sein schönes, vertrautes, verräterisches Grinsen.
"Besonders dafür", knurrte sie, dann war sie eingeschlafen.