Beschreibung
Ich lasse meinen Blick traurig deinem folgen. Erkenne das du dich von niemanden mehr zurück halten lässt. Es ist beschlossene Sache und ich hatte dir mein Versprechen gegeben dich nicht aufzuhalten. Doch werde ich das wirklich können? Werde ich dich einfach springen lassen? Meine große Liebe, mein Ein und Alles.
Die Brücke
Â
Du stehst auf einer Brücke. Eine Brücke die für dich in diesem Moment einfach alles bedeutet. Sie bedeutet für dich in diesem Moment die Welt, während du auf die Mauer kletterst die eigentlich verhindern sollte herunter zu stürzen. Doch genau das willst du ja. Ich weiß es und ich stehe daneben. Greife nach deiner Hand. Versuche dir zu zeigen, dass ich eigentlich bei dir bin.
Doch weiß ich nicht selbst in diesem Moment, dass es dafür zu spät ist? Weiß ich nicht selbst nur zu gut das ich in deiner Welt schon längst nicht mehr existiere?
Mir entflieht eine Träne. Eine Träne der Verzweiflung. Eine Träne der Verzweiflung bahnt sich langsam ihren Weg über meine blasse Wange.
Ich habe Angst um dich. Angst um dich und mich, uns.
„Ich will nicht das du springst.“, sage ich leise und versuche mir ein Schluchzen zu verkneifen. Es gelingt mir nicht. Auch das Zittern meiner Hände bringe ich nicht unter Kontrolle.
Du siehst zu mir. Siehst mich mit deinen großen traurigen Augen an, die mir dein Innerstes offenbaren. Ich weiß wie du dich fühlst und doch will ich dich nicht gehen lassen.
Ich denke über unsere Gespräche nach. Es waren so viele. Zu viele um sie jemals auf ein Blatt Papier niederschreiben zu können. Zu viele um sie in Worte in einem Lied zu verkleiden.
Ich weiß wie es in dir aussieht. Ich weiß alles über dich. Alles und doch habe ich das Gefühl nichts zu wissen. Ich frage mich, wieso ich dich nicht von dieser Mauer ziehe, vor der uns ein langer furchteinflößender Abgrund befindet.
Es ist nur ein kleiner Millimeter, welcher dich vor deiner Erlösung vom Leben trennt. Und somit auch von mir. Ich entgegne dir einen flehenden Blick. Ein Blick der einfach alles sagt.
Ein Blick der dir vermitteln lässt, wie sehr ich dich liebe. Wie sehr ich an dir hänge und nicht ohne dich sein will. Ich bitte dich in diesem einzigen Augenblick bei mir zu bleiben. Ich möchte dir helfen.
Du schweigst. Ich höre nur den leichten Wind, der sich wie ein Mantel um uns schließt. Ich wünschte er würde dich zurück werfen auf den sicheren Boden.
Ich übe leichten Druck auf deine Hand aus, der dir noch einmal verdeutlichen soll, das du niemals alleine bist. Du wirst nie ohne mich sein genau wie ich es dir versprochen hab und trotzdem vernehme ich deinen festen Willen die letzte Millimeter hinter dich zu bringen um mit offenen Armen deiner Befreiung entgegen zu fliegen.
„Vicki nicht!!“, vernehme ich einen lauten sehnsüchtigen Schrei hinter uns und drehe mich um.
Mein Bruder. Mein Bruder der völlig außer Atem einige Meter fern uns stehen bleibt. Ich sehe zu dir. Sehe wie du ausdruckslos in die Tiefe starrst.
Ich lasse meinen Blick traurig deinem folgen. Erkenne das du dich von niemanden mehr zurück halten lässt. Es ist beschlossene Sache und ich hatte dir mein Versprechen gegeben dich nicht aufzuhalten. Doch werde ich das wirklich können? Werde ich dich einfach springen lassen? Meine große Liebe, mein Ein und Alles. Â
Weine nicht!
Wenn der Moment kommt an dem man erkennen muss, das man sich und die Welt um einen herum schon längst aufgegeben hat, verschwimmen Tatsachen und Illusionen.
Die Regentropfen prasseln auf dich hinab, gleiten über deinen Körper bis sie ihren Tod auf dem Boden finden auf dem schon Pfützen ihrer selbst liegen.
Wut wird zu Angst. Und Angst wird zu einem stummen Schrei der letztlich aufgibt. Man hört ihn nicht einmal mehr selbst, tief in einem erstickt.
Erstickt an Worte die mal raus wollten. Worte die vom Herzen den Weg über die Lippen nicht gefunden haben. Sie haben sich verirrt. Sind verschollen in Gedanken und in tiefer Hoffnung, das alles wieder gut wird.
Hoffnung – was ist das schon?
Aufgeben ist sie. Nicht mehr wiederzubeleben. Gestorben für alle Zeit. Irgendwo zwischen der Welt und dem Universum.
Selbst wenn eine kalte Hand dich zurück ziehen will vor dem tiefen Abgrund vor dem man steht, erkennt man nicht das man nicht alleine ist. Ja, sie versucht einem zu sagen: Ich bin da.
Ich bin da.
Drei Worte die voller Bedeutung und doch in diesem Moment bedeutungslos sind. Kein Gewicht mehr bekommen und verhungern. Sie prallen ab und stürzen vor dir in die Tiefe in die man eigentlich selbst schweben will.
Schreie versuchen die laute Stille zu durchbrechen.
Doch auch diese gehen unter, wie ein Schiff auf hoher See. Mit unglaublicher Kraft peitschen die Wellen auf den Schrei nieder. Und auch dieser Schrei muss sich geschlagen geben. Kriecht bettelnd vor der Macht des Wassers und wird von dieser in die Knie gezwungen.
Nach dem Verlieren kommt die Resignation.
Verstehst du das denn nicht?
Dein Gesicht. Es ist so wunderschön. Makellos.
Traurig schön.
Wieso weinst du? Verzweiflung und Hilflosigkeit bilden Fältchen unter deinen wunderschönen Augen, um deinen Mund und auf deiner Stirn.
Deine Hand so kalt und bleich. Und doch kraftvoll und bereit einen Menschen immer und jeder Zeit vor dem tiefen Abgrund abzufangen.
Weine nicht. Deine Tränen werden keinem mehr helfen. Du bist da.
Einfach da. Und das ist gut so.
Doch du wirst nichts aufhalten können, was nicht hätte schon längst passieren sollen.
Spiele nicht mit dem Schicksal.
Pathologisch kalt
Dein Körper.
Regungslos, bleich und kalt liegt er vor mir. Nur mit einem weißen Lacken bedeckt. Deine Haare umrahmen dein wunderschönes Gesicht.
Ich schlucke schwer. Versuche die aufkeimenden Tränen damit zu verscheuchen. Sie tun mir weh.
Du tust mir weh.
Ich hebe meine Hand. Möchte ein letztes Mal über deine Wange streichen.
Mein Blick hebt sich, nachdem der in blauer Kluft gehüllte Mann sich räuspert.
“Sie… sie sollten sie nicht berühren.”, versucht er mich von meinem Vorhaben abzubringen. “Sie sind ungewöhnlich kalt. Und die meisten Angehörigen erschrecken sich davor.”
Ich nicke kaum wahrnehmbar. Überlege und denke über die Worte des Pathologen nach und doch lege ich meine Hand auf deine Stirn und streiche über dein wunderschönes Haar. Wieder und wieder während die Tränen unbeholfen über mein ausdrucksloses Gesicht fließen.
Ich vernehme wie der Pathologe den Saal verlässt, wofür ich ihm dankbar bin. Dankbar dafür ein paar Minuten alleine mit dir zu sein.
Ich fühle dich ein letztes Mal. Muss mir eingestehen das der Doktor recht hatte. Du bist unbeschreiblich kalt. Doch nicht die Tatsache das du dich völlig unterkühlt anfühlst ist das schreckliche, sondern das ich dich nicht mehr aufwärmen kann. Egal wie viele Decken ich dir bringen würde, egal wie fest ich dich an mich drücken würde - es würde dich nicht aufwärmen.
Deine Adern sind gefroren. Dein Herz hat sich zu Ruhe gesetzt. Hat die Pumparbeit für immer beendet.
Verzweiflung tritt in mein Gesicht, während meine Berührungen hektischer über deinem Haar wird.
“Herr Fitzke”, vernehme ich seine Stimme wieder und sehe auf.
Er lächelt mitfühlend. Ein Zeichen das er mich dezent darauf hinweist zu gehen. Ich nicke. Beuge mich über dich und küsse dich sanft auf die Stirn.
Eine letzte Berührung. Ein letzter Blick.
Ich gehe.
Verlasse den Saal. Verlasse die Pathologie und somit das Gebäude. Renne ohne jeglichen Schutz vor dem Unwetter hinaus in die Arme des Regens. Sie empfangen mich mit offenen Armen und ich bin dankbar dafür. Ich laufe durch die Straßen und weine, ohne das ein Mensch mich mitleidig oder aufmunternd zu lächelt.
Die Regentropfen beschützen mich davor.
Ich verstecke meine Hände in den Hosentaschen und laufe teilnahmslos an den Schaufenstern der Stadtläden vorbei. Innerlich zerfetzt und zerfressen. Einsam und Verlassen ohne zu wissen wie es weiter gehen wird ohne dich.
Gedankenlos und mit leeren Blick.
Eines jedoch habe ich beschlossen: Mein Herz ist zerbrochen. In Millionen von kleinen Einzelteilen, unreparierbar. Und keine werde ich jemals mehr lieben können.
Fehlende Worte
Triefend nass schließe ich die Wohnungstür auf und trete hinein.
Ich rieche dich. Blicke auf und sehe wie du dich gegen den Türrahmen lehnst und mich warm anlächelst. Ich lächele zurück. Blinzele die Tränen weg und als ich wieder dort hinsehe bist du verschwunden.
Ich nicke zu mir selbst um mein Innersten zu sagen das es dich nicht mehr gibt.
Ich schüttele den Kopf. Ungläubig.
Ein Kampf zwischen mir und meinem Innersten.
Ich lasse die Tür hinter mir zu fallen und würde am liebsten weinend auf den Boden sinken, würde ich nicht ein leises Kichern vernehmen.
Ein Kichern, welches sie von dir vererbt bekommen hat. Es klingt sorgenlos und unbeschwert. Sie wird es nicht verstehen Vicky. Sie wird irgendwann sauer auf dich sein. Sauer auf ihre eigene Mutter. Du hast sie im Stich gelassen. Sie und mich.
Du hast uns aufgegeben. Uns verlassen.
“Papi!” Ihre kleinen Schritte tapsen über das Parkett. Ihre Ärmchen willkommend ausgestreckt, bereit sie um meinen Hals zu schlingen.
Ich knie nieder und fange sie mit einem erzwungenen Lächeln auf. Drücke sie fest an mich und vergrabe mein Gesicht in ihr braun gewelltes Haar.
Ich weiß nicht wie ich ihr sagen soll, das du einfach weg bist. Wie erklärt man einer Zweijährigen das ihre Mutter tot ist?
Ich schlucke schwer und wische mir unauffällig eine entkommene Träne weg.
“Und wie war es mit Onkel Marco?”, frage ich und streiche ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.
“Gut!”
Sie strahlt. Strahlt über beide Wangen, bis sie sich umguckt.
“Wo ist Mama?” Ihre tiefgründigen braunen Augen werden groß und traurig. Blicken mir fragend entgegen.
Und ich kann nichts weiter machen als sie schweigend zu mustern. Als würde ich eine Antwort in ihrem Gesicht finden.
“Holly deine Lieblingsserie fängt an”, rettet mein Bruder mich aus dem See voller Leichen. Holly klatscht begeistert in ihre Hände und rennt hektisch zurück ins Wohnzimmer.
Dankbar blicke ich hinauf zu Marco. Zeitgleich läuft uns eine Träne über die Wange.
“Sie war so wunderschön!”, flüstere ich und streiche über mein Gesicht.
“Onkel Marco!”, quietscht es aus dem Wohnzimmer.
“Du solltest dich duschen und was warmes anziehen. Ich werde solange auf sie aufpassen.”
Ich nicke.
Marco nimmt tief Luft und ich vernehme wie er vorgespielte Begeisterung Holly entgegen bringt.
Ich befolge seinen Rat und steige die Treppe hinauf nach oben. Direkt ins Bad in dem ich mich von der nassen Kleidung befreie und sie achtlos auf den Boden fallen lasse. Ich steige unter die Dusche setze mich hin und lasse heißes Wasser auf mich niederprasseln. Lasse meine Tränen ungehemmt freien Lauf und versuche meine wirren verzweifelten Gedanken zu sortieren.
Versuche Worte zu finden. Worte die unserer Tochter beibringen werden das du nicht mehr zu uns zurück kehrst. Das du tot bist.
Doch gibt es dafür Worte?