„Ich bin ganz Ohr, Matt. Leg los!“ forderte mich Jenna auf.
Die Situation, in der ich mich befand, schien irgendwie aussichtslos. Egal, wie oft ich Jenna versuchen würde zu erklären, dass ich sie nicht geschlagen hatte, sie würde mir nicht glauben. Nicht in Millionen von Jahren. Ihr Gesicht sah wirklich nicht gut aus und ich war ehrlich gesagt erschrocken darüber, dass jemand zu so etwas fähig war.
Und jetzt? Jetzt saß ich hier und war der Böse, dabei konnte ich mich nicht einmal an die letzten Stunden erinnern. Ich hatte einen Filmriss und ich verfluchte diesen Tag schon jetzt.
Das war doch alles nicht möglich. Ein Traum, aus dem ich mit einem einfachen Finger schnippen aufwachen würde, das wäre meine letzte Hoffnung.
„Hey! Hörst du mir überhaupt zu? Ich sagte, ich bin ganz Ohr!“ Jenna fuchtelte mit der Hand vor meinem Gesicht.
Ich zuckte ein wenig zusammen.
Im Augenwinkel nahm ich den kleinen leuchtenden Punkt unter der Kamera in der Ecke oben wahr. In den nächsten Sekunden konnte ich kein Wort heraus bringen. Ich musste sichergehen, dass ich mit Jenna allein war. Ganz allein.
„Ich möchte, dass du die Kamera ausmachst!“ bat ich sie.
„Wie bitte?“
„Ich möchte allein mit dir reden. Kannst du mir nicht einfach den Gefallen tun? Dann werde ich dir alles erzählen.“
Sie lachte ganz kurz, dann wurde sie wieder ernst.
„Du traust dich wirklich was, Matt.“
Und dann tat sie etwas, womit ich so schnell nicht gerechnet hätte. Ohne ein weiteres Wort stand sie einfach auf und verließ den Raum. Es dauerte nur wenige Sekunden bis sie wiederkam.
Ich schaute nach oben und der rote Punkt war tatsächlich verschwunden.
„So, wir sind allein. Uns kann weder jemand hören noch sehen. Und jetzt schuldest du mir einige Erklärungen, Matt Hallister. Was sollte zum Beispiel die Scheiße auf dem Dach des Hotels? Bist du nun völlig übergeschnappt?“
„Wenn ich könnte, würde ich es dir erklären, aber ich kann es nicht, verstehst du? Ich erinnere mich einfach nicht daran, da oben gestanden zu haben. Ich erinnere mich auch nicht daran, dich geschlagen zu haben. Warum sollte ich so etwas tun, Jenna, warum?“
Ich musste mich zusammen reißen. Wenn ich mich noch mehr in diese Sache hinein steigern würde, würde ich vermutlich noch völlig durchdrehen. Dass mir jegliches Wissen der letzten Stunden fehlte machte mir Angst und ich wusste, was der Grund dafür war. Garver.
Zugegeben, ich war mir nicht hundertprozentig sicher, ob er etwas damit zu tun hatte, aber ich lag sicherlich nicht falsch mit meiner Vermutung.
Jennas Faust landete mit einem lauten Knall auf dem Tisch. Sie war wütend, keine Frage.
„Ich dachte, du hättest dich wenigstens ein bisschen geändert. Aber ich sehe, dass du aus deinen Fehlern einfach nicht lernst, Matt.“
Ich war nicht überrascht über diese Reaktion. Wahrscheinlich hatte ich nur auf diese Vorwürfe gewartet.
Leider war es so, dass ich in Jenna' Schuld stand. Als ich Melinda damals kennen lernte, lebte ich ein anderes Leben. Ein Leben voller Drogen und Gewalt. Ich hatte es einzig und allein Melinda und Jenna zu verdanken, dass ich nicht in den Knast musste. Jenna riskierte ihren Job für mich, in dem sie Beweise vertuschte und das nur, damit ich heil aus dieser Sache heraus kam. Tief im inneren wusste ich, dass sie es nur für Melinda getan hatte. Seitdem bekam ich mein Leben in den Griff, doch das Verhältnis gegenüber Jenna war nie das Beste. In ihren Blicken sah ich, dass sie mir immer noch vorhielt ein schlechter Mensch zu sein. Na ja, vielleicht war ich das auch. Vielleicht bekam ich in diesem Moment meine gerechte Strafe.
„Jenna!! Du musst mir einfach glauben. Melinda ist verschwunden. Und mir passieren Dinge, die ich nicht erklären kann. Ich habe kein Verbrechen begangen oder sonst etwas. Ich habe dich nicht geschlagen, wirklich. Und wenn, dann kann ich mich auch daran nicht mehr erinnern. Es tut mir leid, okay? Ich weiß nicht, was gerade mit mir passiert.
Ich will einfach nur meine Melinda zurück!“
Ich war am Ende. Nicht nur, dass ich vollkommen allein war, nein, auch die Tatsache, dass Jenna mich für einen Vollidioten hielt, ließ mich zweifeln. Was entsprach hier eigentlich noch der Realität?
Jenna musterte mich, sagte aber keinen Ton.
„Dieser Scheißkerl hat mir einen Chip eingepflanzt!“
Meine Stimme bebte vor Wut und eigentlich war ich erleichtert, dass ich es aussprechen konnte.
„Das ist doch lächerlich. Warum sollte dir dieser Professor einen Chip einpflanzen? Weißt du was? Ich glaube tatsächlich, dass du ein wenig verrückt geworden bist. Melinda hat dich vielleicht verlassen und du kämpfst gerade mit den Konsequenzen. Für dich wäre es vielleicht besser, wenn sie dich in eine Gummizelle stecken.“
Nein, nein, nein. Warum glaubte sie mir nicht? Langsam verlor ich die Geduld.
„Warum sollte sie mich verlassen?“ fragte ich sie.
„Weil sie dich einfach nicht mehr ertragen konnte? Weil sie einfach nicht damit klar kam, dass ihr keine Kinder bekommen könnt? Weil du sie vielleicht betrogen hast? Such dir etwas raus, Matt. Ich werde jedenfalls jetzt gehen. Du kannst hier noch eine Weile schmoren.“
Jenna wollte gerade aufstehen als ihr Handy klingelte.
„Detective Coleman?“ hörte ich sie sagen.
In den nächsten Sekunden entwich sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht. Ihre Augen weiteten sich und sie musste schwer schlucken. Ihre Finger gruben sich in die Handinnenfläche und ein paar Blutstropfen landeten auf dem Boden.
Was zu Hölle war hier los?
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