Muss sie dort bleiben?
Sie nahm die Hand von ihrer Wange. Er nahm ihre und zog sie aus dem Tipi und in die Sonne. Er liess sie nicht los, bis sie bei einem grossen Korral angekommen waren. Dort waren einige Pferde drinnen. Kayla staunte. Sie hatte noch nie so viele Pferde auf einmal gesehen. Früher war sie gelegentlich geritten, aber sie hatte es lange nicht mehr gemacht. Als wüsste Dyami das, holte er ein grosses braunes Pferd und bedeutete ihr aufzusteigen. Sie seufzte und befolgte seinen Befehl. Sie wusste, früher oder später würde sie es sowieso machen. Darum nahm sie kurzen Anlauf und zog sich auf den Pferderücken. Dyami liess das Pferd los und sagte: "Das Maka."
Kayla nickte und trieb die Stute sanft an. Sofort setzte sie sich in Bewegung. Kayla hielt sich an der Mähne fest und ritt aus dem Dorf. Kurz beschlich sie die Idee so schnell wie möglich wegzureiten, aber da holte Dyami sie schon mit einem mittelgrossen Schecken ein. Sofort verwarf sie den Gedanken, sie würde nur getötet werden. Die beiden ritten im Gelände umher, für Kayla sah alles gleich aus, aber Dyami hatte kein Problem sich hier zurecht zu finden.
Kayla wachte in einem Bett auf. Es war hart, aber wenigstens etwas. Ein Indianer, ungefähr 18, wenn sie sich nicht irrte, sass neben ihrem Bett, und sie zuckte zurück. Der Indianer aber lächelte: "Du brauchst keine Angst haben. Ich möchte dir helfen."
Kayla sprach das erste was ihr in den Sinn kam: "Wieso kannst du so gut Englisch?" Sie wurde rot, und ergänzte: "Ich meine, Dyami spricht ganz anders als du."
Der Indianer nickte: "Ich war eine Weile bei den Amerikanern. Da habe ich es gelernt."
"Wieso bist du hier?"
"Ich wollte sehen wie es dir geht. Es muss schlimm sein von seiner Familie weggeholt zu werden."
"Wieso behaltet ihr mich hier, wenn ihr so darüber denkt."
"Die weissen haben uns bekriegt, und nun bekriegen wir sie. Aber ich habe gehört was du getan hast."
"Wie? Was hab ich getan?"
"Du hast die Waffe fallen gelassen."
"Deswegen könntet ihr mich doch bei meiner Familie lassen."
"Du wirst wie sie."
"Hä?"
"Sie haben die Waffen nicht fallen gelassen, irgendwann wirst du wie sie. Wir wollen aber dich."
"Vielleicht will ich aber nicht euch!"
Der Indianer seufzte: "Steh auf."
"Wie bin ich hergekommen?"
"Wie meinst du das?"
"Ich kann mich nur noch daran erinnern dass ich auf dem Pferd gesessen bin. Da waren wir aber nicht hier."
"Du bist gestürzt und in Ohnmacht gefallen. Jetzt steh auf."
Kayla folgte. Er reichte ihr seinen Arm. Er war braungebrannt. Langsam machte sie sich Sorgen; wieso sahen die Jungs und Männer hier alle so gut aus? Sie zögerte, weshalb der Indianer lachend den Kopf schüttelte und ihre Hand nahm. Er zog sie hinaus. Die Frauen sahen auf, wendeten sich aber bald wieder der Arbeit zu. Die Männer sahen sich immer wieder zu ihr um und beobachteten sie misstrauisch. Der junge Indianer führte sie durch die Zeltreihen, wie Dyami zuvor. Bald schon kamen sie bei einem grossen Feuer an. Der Indianer reichte ihr etwas, das wahrscheinlich Fleisch war. Er selber nahm sich auch eine Portion und setzte sich dann im Scheidersitz auf den Boden, direkt dort wo er stand. Kayla wich etwas zur Seite und setzte sich abseits hin. Der Indianer fing an mit den Fingern zu essen, und da ihr nichts anderes einfiel, machte sie es ihm nach. Nach einer Weile war ihr Hunger gestillt. Der Indianer war schon längst fertig mit essen, und schien auf sie zu warten. Als ihr Essen alle war stand er auf, wusch sich die Hände. Wieder machte sie es ihm nach. Dann reichte er ihr wieder die Hand. Diesmal ergriff sie sie ohne zu zögern, was ihn sichtlich zufriedenstellte. Er führte sie weiter, auf einen Hügel zu. Sie liefen eine Weile bergauf, bis sie auf dem höchsten Punkt ankamen. Er liess sich nieder, sie neben ihm. Er sagte: "Ich bin Koi."
Sie nickte: "Du weisst ja wer ich bin."
"Deinen Namen kenne ich nicht."
"Ich bin Kayla."
"Schöner Name."
"Deiner auch."
"Was bedeutet deiner."
"Wie?"
"Unsere Namen haben immer Bedeutungen."
"Unsere nicht. Welche hat deine?"
"Panther."
"Ah. Wie alt bist du?"
"17. Wieso?"
"Einfach so. Eigentlich ist es ganz schön hier. Wenn ich nicht gefangen wäre."
"Du wirst es zu schätzen lernen."
"Muss ich für immer hier bleiben?"
Der Indianer sah ihr ins Gesicht: "Es wäre schöner wenn du fragen würdest; darf ich für immer hier bleiben."
"Vielleicht wäre ich ja mal freiwillig hergekommen."
"Wir hätten dich eher nicht gelassen. Wir dulden keine Eindringlinge in unserem Land."
"Das habe ich bemerkt."
"Du fragst dich wahrscheinlich wieso wir euch angegriffen haben."
"Ja."
"Wir sind nun mal verfeindet, und es ist unser Land. Die Leute wissen das, kommen aber dennoch immer wieder her. Bisher haben wir sie ziehen lassen, dies wird ihnen hoffentlich eine Lehre sein."
"Sie werden kommen und mich befreien."
"Wieso bist du dir so sicher?"
"Na, wir weissen denken nun mal, wir sind stärker mit den Waffen, und können euch bezwingen. Ich weiss dass sie kommen werden. Meine Eltern werden mich hier nicht alleine lassen."
"Sie haben dich gehen lassen."
"Sie lieben mich!"
"Vielleicht lieben nicht nur sie dich."
"Erkäre das bitte."
"Vielleicht lieben dich die Indianer auch." Koi sah sie eindringlich an. Sie erwiderte den Blick, konnte den Sinn hinter den Worten aber nicht verstehen. Er stand auf, zog sie ebenfalls hoch und führte sie zurück zum Tipi-Dorf. Er brachte sie in das gleiche Zelt, in dem sie aufgewacht war. Sie bemerkte dass sie ziemlich müde war. Kio deutete auf das Bett, und sie liess sich darauf fallen. Er liess sie in Ruhe. Lange lag sie noch wach. Mit Tränen schlief sie irgendwann doch noch ein.
Am nächsten Tag schlug sie die Augen erst auf, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Sie streckte sich und sah sich im Tipi um. Neben dem Bett, am Boden, war ein Abdruck. Wahrscheinlich hatte da ein Indianer geschlafen. Ein schlechtes Gewissen hatte sie nicht, sie wollte ja gar nicht hier sein. Kayla schwang die Beine über den Rand des Bettes und stand auf. Etwas zu schnell. Ihr wurde schwarz vor Augen und schwindelig. Als es vorbei war lief sie raus ins Sonnenlicht, wo sie ein paar Mal blinzeln musste. Die Indianer waren alle schon an ihrer Beschäftigung. Koi kam auf sie zu gelaufen. Er lächelte breit. Auch sie überwand sich zu einem Grinsen, und musste sich eingestehen dass es ihr leichter fiel als es sollte. Koi nahm sofort ihre Hand. In die andere reichte er ihr ein Stück Brot. Während sie ass führte er sie wieder durch die Tipi-Siedlung, auf den Korral zu. Nun führte er zwei Pferde raus, die sie noch nicht gesehen hatte. Er schwang sich auf das eine, sie auf das andere. Dann ritten sie zusammen durch das Dorf hinaus in die Landschaft. Einige Zeit schwiegen sie, bis Kayla fragte: "Wo gehen wir hin?"
"Ich möchte dir etwas zeigen."
"Was denn?"
"Überraschung."
Sie ritten schweigend weiter, bis Kayla ein Rauschen hörte. Sie fragte nicht nach, war trotzdem aber neugierig. Bald kamen sie zu einem Fluss, dem folgten sie, bis es nicht mehr weiter ging. Ein monströser Wasserfall war da. Kayla riss die Augen weit auf. Staunend betrachtete sie die Landschaft. Hinter dem Wasserfall erstreckte sich eine riesige Landschaft, anscheinend völlig unberührt vom Fortschritt. Kayla konnte nicht anders, als zu flüstern: "Wunderschön."
Anscheinend hatte Koi es gehört. Er hob sie vom Pferd und sagte: "Ja, oder? Hier hin sind die Weissen noch nicht vorgedrungen."
Kayla nickte: "Ich sehe es."
Koi sah sie erwartungsvoll an: "Darf ich dich was fragen?"
"Ja."
"Was habt ihr, also die weissen, mit den hässlichen metalldingen, die in den Himmel ragen."
"Wolkenkratzer?"
"Ja."
"Sie sind ziemlich beliebt, da man von oben alles sehen kann."
"Das kann man auch von einem Berg."
"Schon, aber in einem Berg kann man nicht wohnen."
"Wenn man ihn ausgräbt."
"Fenster hat man keine."
"Man kann welche, wie nennt ihr es, bohren?"
"Ja, bohren. Wolkenkratzer sind nunmal beliebt, und in jeder grossen Stadt zu finden."
"Na gut."
Kayla seufzte und drehte sich um. Anscheinend wusste Koi was in ihr Vorging, denn schweigend ritten sie auch wieder zurück. Dort angekommen stiegen sie von den Pferden welche zu den anderen verschwanden, und Koi zeigte ihr zu Fuss noch ein paar Dinge, die ihr sonst nie aufgefallen wären, nämlich einige verschiedene Pflanzen und Sträucher, von denen man wundervoll schmeckende Beeren pflücken konnte.