Kurzgeschichte
Minas Grüne Rose

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"Minas Grüne Rose"
Veröffentlicht am 11. Januar 2013, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Minas Grüne Rose

Minas Grüne Rose

Beschreibung

Sicher, jeder Mensch hat seine Vorlieben und Dinge an denen er hängt - manchmal aber geht dieses "Hängen an" in ein "Abhängig sein" über... Eine Geschichte über ein Mädchen, das in ihre eigene Welt geflüchtet lebt - und es schließlich doch schafft zu entkommen.

Minas Grüne Rose

„Und, was darf ich dir bringen?“, die Kellnerin sah mich fragend an. „Bitte einmal den Stachelbeerkuchen und einen Kiwisaft“, antwortete ich schnell. Ich mochte es nicht, mit fremden Leuten zu sprechen. Irgendwie machte es mich immer nervös, wenn sie mich so erwartungsvoll ansahen.
„Das tut mir leid, Kiwisaft haben wir leider nicht, aber ich könnte dir Apfel-, Orangen- oder Traubensaft anbieten. Oder Kirschsaft, den haben wir auch noch da.“ Ich spürte, wie sich meine Hände unter der Tischplatte in den grünen Cordrock krallten. Kirschsaft. Rot wie Blut. „H-Haben Sie auch grünen Tee?“ stieß ich leise hervor. Zu meiner Erleichterung lächelte die Frau und nickte. „Tees haben wir eine ganze Menge! Wenn du möchtest, kann ich dir die ganze Box mit rausbringen, dann kannst du dir einen aussuchen.“ Mein Blick klammerte sich an die Tischdecke. „Dan-ke“, ich zögerte „aber, können Sie mir einfach einen normalen grünen Tee bringen?“ „Kann ich auch“, die Kellnerin sah mich unverwandt an. „Also dann, ein Stück Stachelbeerkuchen und einen grünen Tee.“ Ich nickte schnell und atmete auf, als die Frau sich wieder auf den Weg ins Café machte.
Es war ein lauer Sommertag, mitten im Juli. Angenehm warm schien die Sonne mir ins Gesicht. In der Luft hing der Duft von frisch gemähtem Gras, und in den großen Linden, die sich rund um die kleine Terrasse drängten, saßen unzählige, zwitschernde Vögel. Lindgrün. Die Kellnerin kam und brachte einen Teller mit Kuchen und eine dampfende Tasse. „Bitteschön, guten Appetit!“, sagte sie freundlich und stellte die Sachen vor mich auf den Tisch. „Danke“ ich lächelte ihr nur flüchtig zu. Zum Glück hob in dem Augenblick ein Mann auf der anderen Seite des kleinen Cafés die Hand, um zu bestellen, und die Kellnerin ging, ohne mich in ein Gespräch verwickeln zu können.

Die Stachelbeeren leuchteten mir saftig und grün entgegen. Ich griff nach der Gabel und schob mir einen großen Bissen in den Mund. Fruchtig und nicht zu sauer.

Entspannt lehnte ich mich zurück. Ich liebte den Anblick der tanzenden Blätter und das satte Grün der Wiesen. Er gab mir eine gewisse Sicherheit.

Als ich die letzten Kuchenkrümel mit der Gabel vom Teller gefischt hatte, kramte ich einen Fünf-Euro-Schein hervor und legte ihn auf den Tisch. Ich hängte mir die hellgrüne Stofftasche über die Schulter, und stand auf.

Ich schlenderte den breiten Kiesweg entlang, und genoss die Sonnenstrahlen auf der Haut. Die kleinen Steinchen knirschten unter den Sohlen meiner Sandalen. Irgendwann war das Lachen und Kreischen der spielenden Kinder nur mehr Hintergrundmusik. Und schließlich hörte ich, außer dem Gesang der vielen Vögel, kaum mehr etwas. Nur hin und wieder war das Quaken eins Frosches zu vernehmen. Irgendwo in der Nähe musste es wohl einen Teich geben.

Da zog ich Lido, meinen kleinen Plüschfrosch aus der Tasche. Er war flauschig, hellgrün und hatte riesige Augen, die einen lustig ansahen. Seit meine Mutter ihn mir damals zu meinem zehnten Geburtstag geschenkt hatte, hatte ich ihn fast immer bei mir.

Ich glaube, er stammte aus Mailand. Meine Mutter war Modedesignerin und somit oft dort um irgendwelche Modeshows oder andere Aufträge vorzubereiten. Als sie am Morgen meines Geburtstages endlich nach Hause kam, drückte sie ihn mir fröhlich in die Hand. „Alles Gute, meine Große!“, hatte sie gesagt und mir einen Kuss auf die Stirn gedrückt. An dem Tag hatte mein Vater, extra für mich, grüne Kiwitorte besorgt. Es war ein schöner Tag gewesen, auch wenn der Koffer meines Vaters am Abend schon wieder gepackt im Flur stand. Sein Unternehmen brauchte ihn in England.

Ich hatte Lido vom ersten Moment an in mein Herz geschlossen. Inzwischen war er mein bester Freund geworden. Eigentlich war er nicht nur mein bester, sondern auch mein einziger Freund. Aber das störte mich nicht besonders. Meisten jedenfalls. Gut, ich war schon manchmal einsam, aber ich konnte mit den Mädchen und Jungs aus meiner Klasse einfach nichts anfangen. Und sie nichts mit mir. Ich war eben anders als sie.

Schon als ich noch im Kindergarten gewesen war, hatte ich lieber alleine oder mit meinen ausgedachten Freunden gespielt, als mit den anderen Kindern. So war ich eben – ein Kind mit blühender Fantasie, wie die Erwachsenen immer zu sagen gepflegt hatten. Und das schien auch für alle in Ordnung zu sein.

Doch dann färbte ich, vor den entsetzten Augen meiner Mutter, einer meiner Puppen die glänzend blonden Haare grün. Obwohl sie, laut meinem Vater, nun eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Hexe aufwies, mochte ich diese Puppe sehr und trug sie immer bei mir. Bis Lido sie dann schließlich ablöste.

Irgendwann fing ich an, nur noch grüne Kleidung zu kaufen. Ich strich mein Zimmer neu und wurde Vegetarierin. Schließlich aß ich sogar fast nur noch grüne Lebensmittel. Oliven, Trauben, Pistazieneis. Das war der Punkt, an dem meine Eltern begannen, sich ernsthaft Sorgen um mich zu machen.

Doch auch diese Phase ging vorbei. Bald folgten sie weiter ihrem Arbeitsleben, und ich meinem inzwischen immer grüner werdenden.

Die Farbe gab mir Sicherheit.

Grün war die Farbe der Hoffnung und des Lebens. Sie war positiv. Ja, manchmal klammerte ich mich regelrecht an meine olivgrüne Kuscheldecke, oder ich stand minutenlang vor den vielen Pflanzen auf der Fensterbank. Tat nichts, als sie anzustarren.

Mit dem Stofffrosch in der Hand lief ich weiter den Weg entlang. Irgendwann kam ich an eine Wiese, die sich von den anderen unterschied. Keine einzige, bunt blühende Blume hatte sich hierher verirrt. Nur eine große, leuchtend grüne Fläche lag einladend vor mir. Grasgrün.

Aber diesmal war es nicht nur die Farbe, die mich anzog. Ich streifte meine Sandalen ab und setzte vorsichtig einen Fuß auf das Gras. Es war von der Sonne aufgewärmt und kitzelte zwischen den Zehen. Behutsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, als hätte ich Angst die zarten Halme verletzen zu können. Schließlich stand ich mitten auf der Wiese. Ich ließ die Tasche von meiner Schulter gleiten und legte mich dann selbst daneben ins Gras. Die Hände unter den Kopf geschoben, blinzelte ich in die Nachmittagssonne. Ich schloss die Augen. Nachdem ich eine Weile einfach nur so da gelegen hatte, rollte ich mich auf den Bauch. Erst dann öffnete ich die Augen wieder. Ein kleiner Käfer saß vor mir auf einem Grashalm.

Gerade wollte ich mich wieder aufrappeln, als mir etwas auffiel. Konnte das denn sein? Nur einen halben Meter vor mir blühte eine Rose vor mir im Gras. Ein warmes Grün.

Eigentlich mochte ich Rosen nicht besonders. Die knalligen Farben ihrer Blüten waren mir nicht geheuer. Nur ihren faszinierenden Stiel, mit den vielen Dornen, betrachtete ich immer wieder gerne. Noch so etwas, das andere oft nicht verstehen konnten. Einmal hatte mir ein Junge eine Rose geschenkt. Ich nahm sie, brach die rote Blüte ab und betrachtete den Stiel in meiner Hand. „Danke, der ist wunderschön!“ sagte ich dann leise zu ihm. Aber der Junge schaute mich nur verwundert an.

Das war das letzte Mal gewesen, dass mir jemand eine Blume geschenkt hatte.

Doch diese Rose hier war anders. Ihre Blütenblätter waren nicht rot oder orange, sondern leuchteten in einem wunderbar warmen Hellgrün. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals eine solche Blume gesehen zu haben.

Vorsichtig ging ich auf die Knie und legte die Hand um die zarte Blüte. Ich staunte, denn ich hätte nie gedacht, dass Blumen so schön sein konnten. Behutsam glitten meine Finger den Stängel hinab. Dort, wo er in der Erde verschwand, trennte ich ihn mit dem Fingernagel durch.

Mit der grünen Rose in den Händen lief ich zurück auf den Kiesweg. Es war schwierig die Sandalen wieder anzuziehen, zu fasziniert haftete mein Blick an der Blume. Den ganzen Weg nach Hause betrachtete ich sie. Fast wurde ich von einem Auto angefahren.

In meinem Zimmer stellte ich sie in die schönste grüne Vase, die ich finden konnte und kuschelte mich in die Bettdecke. Rosengrün.

 

Es war, als würde mich jemand rufen. „Mina, Mina, komm!“ Immer wieder hörte ich die fremde Stimme. Doch anstatt mich zu fürchten, schlug ich die Decke beiseite, kletterte aus dem Bett und lauschte. Die Stimme schien von draußen zu kommen. Im Schlafanzug huschte ich erst durch den dämmrigen Flur und dann durch die Eingangsdiele. Schon hatte ich die Haustür geöffnet und stand draußen auf der Straße. Stockfinster war es. Sogar die Straßenlaternen waren ausgeschaltet.

 Dunkelheit war schwarz. Wie zähflüssiges Öl. Es kann dich verkleben und töten.

 Ich ließ meinen Blick über die Straße wandern, doch es war nirgends jemand zu entdecken. Von wo war das Rufen gekommen?

 „Mina, Mina, komm, ich bin hier!“, kam es da aus der Ferne.

Ich folgte der Stimme. Zuerst die Straße hinauf und über die Kreuzung. Zu dieser Zeit war kein einziges Auto zu sehen. Wie blind und ohne darauf zu achten, wohin ich lief, folgte ich den immer wiederkehrenden Rufen. Irgendwann befand ich mich mitten in einem Wald. Ich blieb stehen, hielt inne und lauschte. Stille. Das Rufen hatte aufgehört.

Ich sah mich um. Bäume. Um mich herum nur schwarze Bäume. Es war, als kämen sie auf mich zu. Von allen Seiten stürzten sie sich auf mich. Plötzlich kroch die Angst von allen Seiten in mich hinein. Wild nahm sie meinen Körper in Besitz. Ich spürte den Pulsschlag in meinen Schläfen. Wie einer dieser schmerzend dröhnenden Gongs hämmerte er in mir. Äste griffen wie Arme nach mir. Braun und knochig.

Ich wollte losrennen, doch meine Füße waren wie von Wurzeln umschlungen. Ich konnte keinen Schritt tun. Ein Schatten sauste vorbei. Die Hände über den Kopf geschlagen fiel ich auf die Knie. Ein gellender Schrei in meinen Ohren. Er kam tief aus mir. Doch die Dunkelheit, das Schwarz, verschlang ihn einfach. Bäume, überall Bäume.

Wieder der Schatten. Diesmal direkt über mir. Und Ruhe. Ja, wie eine Welle überschwemmte sie mich, drang in jede Pore, nahm die Angst mit sich. „Mina, Mina, hier oben bin ich!“ Da war das Rufen wieder. Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Tatsächlich. Kaum einen halben Meter über mir schwebte eine riesige, grüne Rose. Ich sah, wie mein Arm sich ausstreckte und an den dicken Stängel klammerte. In dem Moment fächerten die grünen Blütenblätter auseinander und die Rose begann höher zu steigen. Schnell griff auch meine zweite Hand nach dem Stiel. Schon hatte ich den Boden unter den Füßen verloren, stieg immer weiter empor. Ich entkam den sich nach mir windenden Bäumen und den knorrigen Ästen, die sich noch immer nach mir rekelten. Dem Schwarz des Waldes.

 

Schweißgebadet lag ich unter der Decke. Das Laken unter mir war nass geschwitzt. Mein Atem ging stoßweise.

Im Zimmer war es taghell. Die Rose stand nach wie vor in der Vase auf meinem Nachttisch. Als ich sie sah, entspannte ich mich etwas. Sie strahlte eine seltsame Ruhe aus.

Ich schlich durch das wieder einmal leere Haus in die Küche, um mir etwas zum Frühstück zu machen. Wie gewöhnlich schob ich zuerst zwei Toast in den Toaster, dann holte ich Butter und Kiwimarmelade aus dem Kühlschrank. Als ich die Tür wieder schließen wollte, fiel mein Blick auf das Glas mit dem Erdbeergelee. Erdbeergelee – glänzendes Rot. Ich hatte es noch nie gegessen. Die Farbe beunruhigte mich.

Da dachte ich an die Rose in meinem Zimmer und etwas in mir regte sich, doch ich konnte nicht sagen, was.

Sollte ich es vielleicht nicht doch einmal probieren?

Ich stellte das rot schimmernde Glas neben das mit der Kiwimarmelade auf den Tisch. Unsicher musterte ich es.

Als der Toast aus dem Toaster sprang, legte ich ihn auf meinen Teller. Etwas zögernd griff ich nach dem Glas mit dem Gelee. Ich öffnete den Deckel und blickte in das Rot darin. Rot, wie Blut. Oder Rot wie die Liebe.

Auf meinem Brot wirkte es seltsam, irgendwie fremd. Und als ich dann – noch zaghaft – den ersten Bissen nahm, schloss ich vorsichtshalber die Augen. Während ich kaute, kam mir die Rose wieder in den Sinn. Ich fühlte mich plötzlich seltsam leicht. Ich dachte, dieses Gefühl hätte ich längst verloren. Mir kam es fast vor, als würde diese grün blühende Rose etwas aus mir, in sich aufnehmen.

Als würde sich tief in mir etwas verändert haben.

Ein neues Gefühl der Leichtigkeit durchströmte meinen Körper.

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Kommentare
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Helene Schön - geschrieben.
Ich muss zwar zu geben, dass ich nicht sicher bin ob ich den Sinn der Geschichte verstehe, aber nichts desto weniger finde ich ihn schön geschrieben.
Dies gelingt ja leider nur wenigen, aber dir, so finde ich, ist es gelungen

Gruß
Helene
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EagleWriter Brauche ich da noch groß was zu sagen ?
Einfach toll geworden die Geschichte.

lg
E:W
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