Einst kam eine Göttin auf die Erde, schöner und stärker als alles was die Menschheit bisher kannte. Ihre Haare waren lang und weich, die Konturen ihres Gesichtes waren nahezu perfekt und keine andere Frau konnte mit ihrem Körper mithalten. Man sagte, sie sei die Tochter des Lichts und wäre aus dem Reich der Götter auf die Erde gekommen, um die Menschheit in Unheil zu stürzen.
Vom Vater verstoßen, wegen des Diebstahls eines wertvollen Steines, verflucht dazu für immer und ewig zwischen den Menschen zu wandeln, fristete sie ihr Dasein, voller Groll und Wut.
Viele Männer eiferten ihr nach, viele wollten sie in ihrem Bett und an ihrer Seite wissen. Keiner von den Menschen wusste wer sie wirklich war. Keiner wusste um was für ein Monster es sich bei der wunderschönen Frau handelte. Denn Alle, die sich auf sie einließen starben, verschwanden einfach von Antlitz der Erde, stumm und unbemerkt.
Aber niemand verdächtigte die Frau des Mordes. Eine so wunderschöne Frau, sagten sie, wäre gar nicht in der Lage dazu. Eine so wunderschöne Frau, könne gar nicht schuld sein an dem leisen Massensterben. Nur ein junger Mann, das Herz verzerrt von Hass und Rachegelüsten, wusste, wer sie war. Nur ein junger Mann war in der Lage über das Engelsgesicht hinaus die Seele eines Teufels in ihr zu sehen. Also suchte er sie. Jahrelang folgte er den unsichtbaren Spuren der Verwüstung, bis er sie schließlich fand.
Er schlich sich in das Zimmer in dem sie nächtigte. Die Frau war überrascht einen fremden Mann in ihren Gemächern vorzufinden, als sie spät abends zurückkehrte.
„Ich weiß wer du bist“, sagte der junge Mann und seine Stimme war voller Hass. Die Göttin aber lachte laut auf und bedachte den unerfahrenen Jungen mit einem Blick voller Ächtung und Belustigung. „Du weißt nicht wer ich bin, Junge. Niemand weiß das. Vielleicht glaubst du etwas zu wissen, dumm und töricht wie du bist. Aber du wirst niemals in der Lage sein mein wahres Gesicht aufzudecken.“
Der junge Mann aber schüttelte den Kopf und lächelte sie an. Es war kein freundliches, kein schönes Lächeln. Es war das Lächeln eines Rächers, eines Hassers, dass Lächeln eine Mannes, der gekommen war um zu vernichten.
Er legte seine Hände zusammen und sah sie über seine Finger hinweg an. Seine Augen waren so blau und so klar wie das Mittelmeer.
„Erinnerst du dich nicht an mich? Erinnerst du dich nicht an mein Gesicht?“ Sie sah ihn an, überrascht und verwirrt, ihre vollen Lippen geteilt zu stummen Worten, die nicht kommen wollten. Bis sie blass wurde, blass wie Porzellan und zurück stolperte. „Das ist unmöglich“, flüsterte sie heiser und schüttelte den Kopf. Plötzlich sah er Angst in ihrem Gesicht.
„Du hast mich zu einem Monster gemacht und das werde ich dir nie verzeihen, du musst büßen für deine Taten, hier und jetzt.“
Dann verwandelte er sich. Er verwandelte sich aus dem jungen Mann in ein Monster. Ein Monster mit kalkweißer Haut, mit leuchtend gelben Augen und schwarzen, scharfen Krallen. Die Lippen waren pechschwarz und teilten sich zu einem Knurren, dass messerscharfe Zähne zum Vorschein brachte.
Aber das auffälligste an ihm waren die leuchtenden Adern, die sich von seinen Augenwinkeln, über den kahlen Kopf bis hin zu seiner Brust streckten und dort unter der Kleidung verschwanden.
Noch bevor die Frau reagieren konnte, sprang er auf sie zu und tötete sie, mit einem einzigen Streich seines kräftigen Armes.
Als sie fiel, glitzerte der rote Rubin, den sie um ihren schlanken Hals trug und dem jungen Mann kam ein Gedanke. Von Wut getragen wollte er ihr nicht die Genugtuung geben in ihre göttliche Heimat zurück zu kehren, also wendete er all seine Kraft auf um ihre Seele in den kleinen Stein zu bannen, auf das ihre Macht niemals verschwendet wird.
„Guckt euch das Opfer an“, höhnte eine Stimme und Phil seufzte gedanklich. Er hasste es, dass sie ihn so nannten, er hasste es das Opfer zu sein, aber wer tat das nicht? Es war nicht schlimm für ihn der Außenseiter zu sein, er hatte so oder so nicht gerne so viele Menschen um sich. Was ihn störte war der Hohn, den Zack und seine Freunde ihm immer entgegen brachten und er konnte einfach nicht sagen woran das lag.
Lag es an seinem Äußeren? Er war groß und schlaksig, blass und die kupfernen Haare waren vielleicht ein bisschen zu lang. Seine Augen hatten keine besondere Farbe, sie waren grün, aber weder grasgrün, noch dunkelgrün, ebenso wenig braun grün oder blaugrün. Sie waren einfach nur grün. Vielleicht lag es auch daran, dass er grundsätzlich schwarze Klamotten trug.
Er sagte nichts dazu, setzte sich einfach stumm auf seinen Platz. Denn die Worte hatte Zack nicht an ihn, sondern an seinen Tischnachbarn gerichtet, so leise, dass nur dieser es hätte hören sollen, aber Phillips Ohren waren außergewöhnlich gut. Er hörte beinahe alles was vor sich ging, was viele Vorteile, aber natürlich auch Nachteile mit sich brachte.
Wenn er ehrlich war hauptsächlich Nachteile, so musste er sich Dinge anhören, die er nicht hören wollte. Ob im Bus oder in der Schule. Wenn seine Nachbarn Musik hörten, dann hörte er immer mit, was grundsätzlich kein Problem gewesen wäre, aber er mochte die Musik nicht, die sie hörten. Er stand nun mal nicht auf Mainstream, er liebte die harten Töne, Metal und neue deutsche Härte, vielleicht machten Menschen wie Zack Kaiser sich auch deswegen über ihn lustig. Ein weiterer Grund dafür, dass er ausgeschlossen wurde war wohl auch seine eigene Schüchternheit, die ihm immer selbst im Weg stand. Dann und wann hatte er von Klassenkameraden auch schon das Wort seltsam aufgeschnappt und wenn er ganz ehrlich war, dann fand er sich selbst auch seltsam.
Aber das hatte wahrscheinlich mit der Erziehung seiner Mutter zu tun, sie war paranoid und ließ ihn nachts nicht raus, was ihn bei seinen Klassenkameraden auch nicht beliebter machte.
Immer noch in Gedanken versunken, ließ der junge Mann sich auf seinen Stuhl fallen und holte die Sachen für den Unterricht raus. Ungefähr für fünf Minuten hatte er seine Ruhe, dann sauste die erste Papierkugel gegen seinen Kopf und blieb in seinem Haar hängen.
Phil widerstand dem Drang sie herauszuholen und ließ seine Hände ineinander gekeilt auf dem Tisch liegen. Herr Singer sprach einfach weiter und schien nichts zu bemerken, nicht einmal das leise Gekicher in der letzten Reihe, das von Zack und seinen Freunden stammte. Wenn Herr Singer erst mal sprach, dann sprach er und nahm nichts mehr um sich herum wahr.
Das nächste Kügelchen klatschte gegen seinen Kopf und blieb neben dem anderen in seinem Haar hängen. Das Gekicher schwoll an und wurde nun auch von einem aufdringlichen Gegröle begleitet, welches nur von Zacks Anhänger Lennard kommen konnte, dessen Intelligenzquotient gerade so reichte um mit Ach und Krach in die zehnte Klasse gekommen zu sein, die er nun auch schon zum zweiten Mal wiederholte, womit er 18 Jahre alt und damit zwei Jahre älter war als Phillip. Inzwischen hatte ihr kleines Schauspiel schon die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse von Herr Singer abgelenkt und Phil konnte spüren wie seine Wangen heiß wurden.
„Hast bestimmt noch nie so viel Aufmerksamkeit bekommen, was?“, zischte eine gehässige Stimme hinter ihm und er kniff die Augen zusammen, die Knöchel seiner Hände wurden weiß und er spürte Wut in sich aufkochen.
Lass dich nicht reizen.
Wieder eine Kugel, er konnte etwas Klebriges seinen Hinterkopf hinunter laufen spüren.
Es ist alles gut, sie wollen dich nur provozieren.
Wieder Gelächter, diesmal auch aus anderen Teilen der Klasse.
Ganz ruhig. Ich bin ganz ruhig.
„Was ist? Sag doch mal was du Vollidiot.“
Phil konnte spüren wie die Wut schlimmer wurde, lodernder, wie die Welt um ihn herum schwarz wurde, wie sein Herz anfing zu rasen und sein Mund trocken wurde. Er ballte seine Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder im Rhythmus seines Herzschlages.
„Hast du deine Zunge verschluckt?“, lachte Zack nun und rotze Phil an, es klatschte gegen seinen Nacken und lief in den Kragen seines T-Shirts.
Dann brannte die Sicherung in ihm durch und er sprang auf, drehte sich um und knallte seine Hände auf den Tisch von Zack Kaiser. Phil starrte ihn an mit grünen Augen, die vor Hass sprühten, starrte in die blauen Augen des Anderen. „Lass mich in Ruhe!“, brüllte er wütend und irgendwie hörte sich seine eigene Stimme fremd an in seinen Ohren, beinahe bedrohlich, kalt.
„Was soll das denn werden?“ Zack hob eine Augenbraue und sah ihn belustigt an. Phillips Hände schossen schneller hervor, als er selbst es sich zugetraut hatte und krallten sich in den Pullover des Jungen. „Ich will, dass du mich in Ruhe lässt“, fauchte Phil und ließ den Blick immer noch nicht ab von Zack. Irgendwas regte sich in dem blonden Jungen, plötzlich stand Angst in seinen Augen, plötzlich brach ihm der Schweiß aus. „Ich…“, stammelte Zack. Phils Finger bohrten sich durch den Pullover in die kleine Kuhle über Zacks Schlüsselbein, er spürte den Widerstand der Muskeln und der Knochen und drückte weiter zu, hatte plötzlich das Verlangen Knochen brechen zu hören, Schreie zu hören. Er drückte fester, hörte das Keuchen aus Zacks Mund und wusste, dass er ihm Schmerzen bereitete.
Eine Hand packte Phils Schulter und drehte ihn herum. „Was soll das Phillip?“, fragte Herr Singer eindringlich und ihm klappte der Mund auf. Eigentlich sollte eine Erklärung herausquellen, etwas wie: Er hat angefangen. Aber ihm fiel nichts ein, er wusste nicht was er sagen sollte. Er konnte ja nicht mal genau sagen, was er da getan hatte. Das war überhaupt nicht seine Art, er war ruhig und besonnen, er tat anderen nicht weh, er schrie nicht rum.
„Keine Ahnung…“, murmelte er deshalb nur kleinlaut und senkte den Blick auf den Boden. „Er hat mich angegriffen Herr Singer!“, ertönte da wieder Zacks Stimme und diesmal hatte Phil nicht genug Energie um noch mal wütend zu werden, seine Schultern fielen ab und er wandte den Blick nicht von den grauen Fliesen ab, auf denen das Licht der Sonne tanzte.
„Ich schlage vor Sie gehen jetzt nach Hause Phillip und denken bis morgen darüber nach, was sie hier getan haben. Außerdem werde ich Ihnen für diese Stunde eine sechs geben und ich möchte sie bitten mir die Hausordnung abzuschreiben und morgen vorzuweisen und dazu einen Aufsatz darüber, warum man andere Menschen nicht angreifen sollte, weder körperlich noch geistig. Haben Sie das verstanden?“ Phil nickte.
„Ob Sie das verstanden haben?“, dröhnte die Stimme seines Lehrers nun lauter und Phil war gezwungen aufzublicken. „Ja.“
Als er den Chemiehörsaal verließ folgte ihm Getuschel und leises Gelächter. Hiermit hatte er sich das Leben zur Hölle gemacht.
Dieser Verdacht sollte sich im Verlauf der nächsten Wochen noch bestätigen. Zack und seine Freunde schikanierten ihn, sie taten ihm weh und demütigten ihn. Sie klauten seine Sachen und schmierten sie an, sie stellen ihn bloß und lachten ihn aus.
Es war unheimlich schlimm. Phillip hatte Angst in die Schule zu gehen, jeden Tag aufs neue. Sein Herz raste, wenn er morgens aufstand und schlug erst wieder ruhig, wenn er die Schule hinter sich gelassen hatte.
Aber die Angst war nicht das Schlimmste, auch die Demut nicht. Es war das Wissen, dass er sich wehren könnte, dass es etwas gab, das er tun könnte und dass er es nicht tat. Wegen dieser Blockade, die dann plötzlich da war, weil er sich fühlte wie gelähmt, bewegungsunfähig.
Das machte ihn krank, das bereitete ihm Kopfschmerzen und staute sich langsam aber sicher in ihm an.
An diesem Morgen war es kalt, immerhin war es gerade Mitte März und auch wenn die Klimaerwärmung ja allerseits so laut beschrieen wurde merkte Phil momentan nichts davon, aber er lebte ja auch in Kiel, gutes Wetter war hier beinahe ein Wunder. Der Atem stieg weiß auf vor seinem Gesicht und er fror erbärmlich, selbst in seinem dicken Mantel. Außerdem hatte es nachts geregnet und seine schwarzen Chucks waren nicht wasserfest, weswegen der Innenraum seiner Schuhe inzwischen ehe einem See glich, denn einem Schuh.
Wiedermal verfluchte er es, dass man mit 16 Jahren kein Auto fahren durfte und dass die Busfahrer mal wieder auf die grandiose Idee gekommen sind zu streiken. Immer dann, wenn das Wetter am schlechtesten ist, ganz klar.
Aber der Tag hatte auch etwas Gutes, heute war Freitag. Das heiß morgen war Samstag, morgen war keine Schule. Kein Zack. Keine Probleme. Keine Angst. Keine Schmerzen.
Einfach Samstag. Er hatte keine Ahnung, wie er den Samstag verbringen würde. Entweder mit seinem besten Freund oder allein. Phil hatte nicht so viele Freunde. Und jetzt hatte er noch weniger, seitdem Zack und seine Clique ihm offiziell den Krieg erklärt hatten. Aber das war ganz okay, Phillip war nicht der Typ, der sich gerne mit vielen Menschen abgab. Er hatte lieber weniger Freunde als zu viele.
Vor seinen Augen tauchte die Schule auf. Ein schweres Seufzen kam über seine Lippen und seine Schritte verlangsamten sich unbewusst. Vielleicht war es wirklich Angst, die ihn dazu brachte langsamer zu laufen, vielleicht auch Gewissheit. Er wusste halt einfach, was auf ihn zukommen würde, was geschehen würde. Er wusste, dass er sich nicht wehren würde, dass er nichts tun würde. Und das waren scheiß Gefühle.
Er betrat die Schule genau in dem Moment, in dem es zur ersten Stunde läutete. Phil unterdrückte einen ausgefallenen Fluch und vergrößerte seine Schritte. Im Schnellschritt hechtete er durch den Gang und die Treppe hinauf, kacke, dass Raum 31 so weit oben war. Normalerweise wäre zu spät kommen auch kein Problem gewesen, aber er hatte Deutsch mit Frau Brahm. Frau Brahm war eine Furie, sie war selbst schlecht drauf, wenn sie gut drauf war.
Er konnte die Tür schon am anderen Ende des Ganges sehen, als einige Personen aus dem Schatten traten. „Nein…“, stöhnte er und blieb stehen. „Was willst du?“, fragte er leise und blickte Zack an. Er hatte sich das blonde Haar geschnitten, es war jetzt höchstens noch 7 mm lang. Aber die Augen waren dieselben, sie waren hart und voller Hass. Phillip wusste nicht womit er diesen Hass verdient hatte.
Zur rechten Seite seines neuen Feindes hatte sich Lennard aufgebaut, bullig wie eh und je. Das dünne braune Haar klebte an seinem runden Kopf und seinem speckigen Nacken und das Doppelkinn war bewachsen mich einem unregelmäßigen Dreitagebart. Sein Gesichtsausdruck ließ ohne Probleme auf seine geistige Beschränktheit schließen und in der rechten Hand hielt er eine leere Plastikflasche.
Auf der anderen Seite von Zack stand Wolf. Er war etwas kleiner und schmächtiger, aber man sollte ihn trotzdem nicht unterschätzen. 10 Jahre Kampfsport hatten ihn zu einer Kampfmaschine unter den Jugendlichen gemacht. Er hatte die Arme vor der schmalen Brust gekreuzt und auf seinem Gesicht lag ein gehässiger Ausdruck. Das braune Haar fiel ihm ins Gesicht und die Lippen mit dem Piercing waren geteilt zu einem schmalen Grinsen.
„Was ich will?“ Zack zuckte mit den Schultern. „Was wollen wir Jungs?“ Provozierend blickte er von einem zum anderen, bis er seinen Blick zu Phil zurück gleiten ließ.
„Wir könnten ihn durchlassen“, schlug Wolf sarkastisch vor. Das war sein Ding, Sarkasmus ebenso Gehässigkeit und Gewalt. „Wir können auch sehen, ob sein Kopf so hohl ist, wie er aussieht“, meinte Lennard und hob die leere Plastikflasche. Phillip prustete los und hielt sich im nächsten Moment erschrocken die Hand vor den Mund, aber diese Worte aus Lennards Mund.
„Du findest uns also lustig?“ Zack hob, wie immer, wenn er eine Frage stellte, eine Augenbraue und bedachte Phil mit einem fragenden Blick. Er schüttelte hastig den Kopf, aber natürlich änderte das auch nichts. Nach einem kurzen Zögern überlegte er es sich aber anders. Sein Schicksal war eh schon besiegelt, egal was passierte, sie würden ihm wehtun und er würde zu spät zum Unterricht kommen, schlimmer konnte es auch nicht mehr werden.
„Wenn ich so darüber nachdenke, finde ich euch doch ganz lustig.“ Unschuldig blickte er zu den Drein auf und zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, aber drei gegen einen ist schon ganz schön peinlich und außerdem bin ich viel schwächer als jeder von euch. Ihr seid doch nur kleine Feiglinge, die sich zu Hause bei Mama unterm Rock verste…“ Weiter kam er nicht, denn in dem Moment krachte tatsächlich die Flasche gegen seinen Kopf und im nächsten Augenblick fand er sich auf dem Fußboden wieder, gepeinigt und getreten, der Inhalt seiner Schultasche im Umkreis von 10 Metern um ihn herum verteilt. Wieder mal fragte er sich, was in ihn gefahren war, dass er so etwas gesagt hatte. Eigentlich traute er sich nicht mal an so was zu denken.
Mit tränenden Augen setzte er sich auf und sah sich um. Von Zack und seinen Freunden war weit und breit nichts zu sehen. Seufzend legte er einen Finger auf seine pochende Lippe und zog ihn hastig zurück, als er spürte, wie sich die Wunde darunter bereits schloss und die Schwellung zurückging. Phil schüttelte den Kopf und schob es darauf, dass er sich eben diesen bei seinem Sturz angestoßen haben musste. Hektisch sammelte er seine Sachen zusammen und sprintete zu Raum 31 Die ersten 20 Minuten des Unterrichts waren bereits verstrichen.
Mit seinem besten Es-tut-mir-leid-dass-ich-zu-spät-bin-bitte-nehmen-Sie-es-mir-nicht-übel-Gesicht klopfte er an die Tür. Frau Brahm öffnete ihm und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. „Sie sind zu spät“, blaffte sie und glich dabei einer wütenden Doge. Sie war klein und breit und ihre Wangen hingen hinab, ihre Nase war rund und die Augen hatten die Form von Käfern. Sie trug wie immer ein sandfarbenes Kleid und dazu Sandalen mit weißen Socken. Es war ihm unbegreiflich, wie man das tun konnte, wo doch wirklich jeder weiß, dass das ein No Go ist. „Tut mir leid“, murmelte er und senkte zerknirscht den Kopf. „Ich… hab verschlafen.“ Die Hände in den Hosentaschen ballte er zu Fäusten um der Wut Herr zu werden, die sich wieder mal in ihm aufstaute und ihn zu übermannen drohte. Er presste die Zähne aufeinander und zählte langsam von zehn rückwärts, bis sich sein Herzschlag wieder beruhigt hatte. Er konnte eh nichts machen, egal was er tun würde, es würde nichts besser machen. Zack würde nur weiter machen, es würde nur schlimmer werden.
„Nach der Stunde bleiben Sie noch einen Moment bei mir. Setzen Sie sich jetzt“, bellte sie und wandte sich dann wieder ihrem Tafelbild zu. Phillip huschte schnell zu seinem Platz und ließ sich auf seinen Stuhl fallen, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Er hätte einen Schreikrampf erwartet oder eine Missbilligung, aber das, das war viel zu schwach, viel zu wenig.
„Was ist denn mit der heute los?“, fragte Phil seine Tischnachbarin. Christine war eine der wenigen Personen, die ihn mochten und die er mochte. Sie war sehr groß und sehr dünn und hatte einen Giraffenhals. Ihre Augen hatten eine seltsame Farbe, eine Mischung aus blau und grün und ihre Haare waren ehe grau denn blond. Aber sie war ein unheimlich netter Mensch.
„Keine Ahnung. Vielleicht hatte sie gestern ein Date.“ Das Mädchen kicherte und hielt sich dabei eine ihrer Spinnenhände vor den schmalen Mund, augenblicklich wurde sie aber wieder ernst. „Wo warst du denn nun?“ Phillip zuckte mit den Schultern und verzog das Gesicht. „Ich wurde aufgehalten.“
„Also lässt er dich immer noch nicht in Ruhe?“ Phil war sich nicht so ganz sicher, wieso sie eigentlich fragte. Es war allen klar, dass Zack ihn nicht besonders mochte, aber bisher hatte es niemanden interessiert. Im Laufe der Zeit hatte Zack einige Opfer gehabt, die er schlimmer und weniger schlimm getrietzt hatte und er selbst, Phil, war eine Person für die sich die Wenigsten interessierten. Das war schon immer so gewesen und es würde auch so bleiben. Niemand würde anhalten, wenn er sah, wie Zack ihn zusammen schlug oder seine Schulsachen mit Cola übergoss. Wozu? Um sich selbst zum Opfer zu machen?
Christines Frage hingegen klang mitleidig und sie klang so, als wolle sie gerne helfen und wenn er ganz ehrlich war, war das ein großer Fehler. Denn so würde sie bloß als nächste Kerbe in Zacks Bettpfosten von zerstörten Leben enden.
„Ist schon gut.“
Manchmal hatte er Angst, dass die ganze Geschichte auch sein Leben zerstören würde, dass die Leute sich nicht nur von ihm abwenden, sondern dass es ihn selbst kaputt machen würde. Er hasste es ausgegrenzt zu werden, klar, wer nicht? Aber es war nie schlimm gewesen. Das was Zack machte, das war viel schlimmer. Er bekämpfte ihn körperlich und psychisch, denn ab und zu gab es Tage, da herrschte quasi Flaute, Waffenstillstand und das war das Schlimmste. Dieses Warten darauf, dass irgendetwas geschehen würde. Die Angespanntheit bis der Tag vorbei ging. Zack wusste wie er mit seinen Opfern umzugehen hatte, er wusste wie er sie fertig machen konnte. Wie er ihre Gedanken und ihre Handlungen an sich riss, wie er sie weg ekelte, bis sie sich nicht mehr unter seine Augen trauten. Phillip hatte Angst, dass das auch mit ihm geschah, vielleicht war es längst mit ihm geschehen, vielleicht wusste er es nur nicht.
Da es Freitag war hatte Phillip bereits zur vierten Stunde Schluss. Mit seiner Tasche über der Schulter und hochgeschlagenem Kragen machte er sich auf den Weg in die Innenstadt, die von seiner Schule nicht allzu weit entfernt war. In einigen Minuten würde er sich dort mit seinem besten Freund treffen, sie wollten ins Kino gehen und danach vielleicht noch etwas Kleines bei McDonalds essen.
Sie hatten keine Lust abends ins Kino zu gehen, dann war es voll und im Saal schrien alle durcheinander, bis der Film endlich anfängt und man nur noch gelegentlich das Schnattern von kichernden Mädchen hört und das ging ihm auf die Nerven. Wenn er einen Film sah, dann wollte er auch seine Ruhe haben und den Film anschauen und sich nicht die Meinung von irgendwelchen Gören anhören, die ihn ohnehin nicht interessierte. Wenn er das wollte, dann würde er in einem Internetforum nach ihren Meinungen suchen.
Nach einer kurzen Zeit, in der er das Gefühl hatte, dass jeder seiner Körperteile eingefroren sein musste, fand er sich vor dem Kino wieder, Felix stand bereits dort und wartete mit hoch gezogenen Schultern, den roten Schal um seinen Hals gewickelt und die Jacke offen wie immer. Irgendwann hatte es sich mal in ihm festgesetzt, dass geschlossene Jacken beschissen aussahen, seitdem trug er seine Jacken offen, immer, auch im Winter. Unter der Jacke blitzte ein T-Shirt hervor auf dem sich eine halbnackte Frau räkelte mit der Aufschrift ‚All you need is love‘ Phil konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Wartest du schon lange?“, fragte er, als sie hinein gingen. „Ich glaub nicht, aber ich hab mir den Arsch abgefroren“, knurrte der Braunhaarige. Er trug die kastanienbraunen Haare mittellang, das brachte seiner Meinung nach sein Gesicht am besten zur Geltung, vermutlich hätte jede Frisur sein Gesicht zur Geltung gebracht, denn er war das, was viele als Naturschönheit bezeichnen würden, auch wenn er selbst es gerne immer und immer wieder abstritt. Was die meisten Mädchen an ihm mochten waren die klaren blauen Augen, die immer freundlich und amüsiert drein sahen. Felix war sehr beliebt und ab und zu fragte Phil sich warum er sich überhaupt mit ihm abgab, aber fragen würde er trotzdem nie, sie kannten sich seit dem Kindergarten und waren befreundet so lange Phil denken konnte. Noch nie hatten sie auch nur irgendeine Art von Geheimnis voreinander gehabt und er hoffte, dass es genauso auch in Zukunft bleiben würde, denn Felix war der Einzige, mit dem Phil wirklich über alles reden konnte und er brauchte jemanden zum Reden, sonst würde er an allem explodieren, was sich in den letzten Jahren aufgestaut hatte.
Der Zustand seiner Mutter hatte sich wieder verschlechtert, sie war paranoid und leicht depressiv und manchmal erwischte er sie dabei, wie sie blass und abwesend aus dem Fenster starrte und einen Besen umklammert hielt, als wartete sie darauf, dass jeden Moment jemand um die Ecke kam, der sie umbringen wollte. Es war ein schreckliches Gefühl dabei zuzusehen, wie die eigene Mutter an ihren Ängsten zu Grunde geht.
„Ich zahl die Karten, wenn du die Verpflegung bezahlst“, meinte Felix und legte der Tussi am Schalter schon sein Geld auf den Tisch, Phil nickte also bloß.
Der Film war wirklich gut. Ein unrealistischer Actionfilm, aber das waren genau die Filme, die er so sehr mochte. Hauptsache etwas explodierte und ein Held mit einer Shotgun rettete die Welt, während er noch die heiße Schnalle abschleppte und nebenbei drei Autos zu Schrott fuhr.
Nach dem Kino machten sie sich wie geplant auf den Weg etwas zu essen, wie immer verbrachten sie mindestens zwei Stunden damit, die verschiedensten Themen durchzukauen, während das Essen vor ihnen langsam kalt wurde.
„Wir könnten ihn umbringen und es wie einen Unfall aussehen lassen“, schlug Felix plötzlich und zusammenhangslos vor. Phil zog die Augenbrauen zusammen.
„Was? Wen?“ Er war das gewohnt. Felix machte gedanklich oft mehrere Sprünge und war auf einmal bei einem ganz anderen Thema, das mit dem Vorherigen gar nichts mehr zu tun hatte. Aber es war doch zweifelhaft wie er von Tashas letzter Party zu dem Mord an einer Person kam.
„Na Zack.“ Sein bester Freund ließ es so klingen, als wäre es total logisch, dass er nun von ihm sprach.
„Wie kommst du denn da jetzt drauf?“
„Na er ist zusammen mit der Schwester von Tashas bester Freundin, völlig klar.“ Phillip nickte, als würde er es genauso sehen.
„Völlig klar, natürlich. Das ich nicht selbst drauf gekommen bin.“
„Nä?“
„Ich glaube nicht, dass das die Lösung meiner Probleme wäre.“ Phil zuckte unbekümmert mit den Schultern, aber sein Innerstes zog sich schon wieder zu einem Klumpen aus Wut und Angst zusammen und er legte den Burger beiseite, den er eigentlich gerade hatte essen wollen.
„Stimmt es könnte raus kommen und dann sitzen wir im Knast, aber dann hat es sich zumindest gelohnt.“
„Mir ist allein die Vorstellung zu wider…“, murmelte er und verzog das Gesicht. Schon der Gedanke daran jemanden umzubringen erschien ihm unheimlich widerlich und unmoralisch. Phil glaubte nicht, dass er damit leben könnte, wenn er ein Leben auf dem Gewissen hätte.
„Wem nicht? Das war ja auch nicht mein Ernst, hör auf da jetzt ernsthaft drüber nachzudenken“, lachte Felix und schüttelte seinen Kopf.
„Du willst doch nicht, dass das an die Öffentlichkeit gelangt?“ Zack legte seinen Kopf auf die Seite und wedelte mit dem Foto unter Phils Nase herum. Es war nicht mehr als eine Fotomontage, die ihn und einen anderen Jungen bei etwas ziemlich intimen zeigte, das Problem war nur, dass die Fotomontage verdammt gut war, wenn er es nicht besser gewusst hätte, dann hätte selbst er das Foto für realistisch gehalten.
„Das ist nicht echt.“ Phils Blick glitt von Zack weg und zuckte durch den leeren Klassenraum. Gedämmtes Sonnenlicht erhellte den alten Raum, Staub tanzte in der Luft und auf die Tafel hatte jemand ein Mind Map zum Thema Auswandern gezeichnet.
„Wen interessiert es denn bitte ob das echt ist oder nicht?“ Hinterlist und Schalk tanzten in den Augen des Blonden und ein schiefes Grinsen zog sich über seine Lippen. Phillip verschränkte die Arme vor der Brust und machte einen Schritt zurück, sein Rücken stieß gegen die karge Steinwand.
„Und wenn ich nicht will, dass es an die Öffentlichkeit gelangt?“, griff er nun die vorherigen Worte wieder auf und biss sich auf die Unterlippe. Eigentlich wollte er es nicht wissen und es war sicher falsch danach zu fragen, aber was sollte er denn sonst tun? Wehren konnte er sich nicht.
„Das willst du wissen, ja?“ Nein, eigentlich wollte er das nicht wissen, das würde nur Unheil bringen und wenn er auf etwas keine Lust hatte, dann war das Unheil.
Einmal hatte er eine Reportage im Fernsehen gesehen, über Löwen. Auf der Jagd kesseln die Löwinnen ihre Beute ein, und wenn sie nah genug dran sind, versuchen sie die Beute zu erlegen, meistens mit einem Genick- oder Luftröhrenbiss. Der Mufasa des Rudels lag währenddessen im Schatten und schaukelte sich die Eier und genoss hinterher als Erstes das schöne Fressen, welches seine Jägerinnen ihm gebracht hatten. So machte Zack das auch, er ließ die anderen die Arbeit machen, bis die Beute weichgeklopft war, dann kam er mit dem letzten Hammer und heimste sich selbst den ganzen Ruhm ein. In all den letzten Wochen waren es immer Lennard oder Wolf gewesen, die ihm wirklich wehgetan hatten, Zack hatte immer nur daneben gestanden und blöde Kommentare von sich gegeben, aber die Hände würde er sich nie schmutzig machen. Dafür war er sich zu gut. Sein Gebiet war nicht das der rohen Gewalt, er hatte Köpfchen und das setzte er auch ein. Er brauchte nicht viel Kraft um seine Opfer dem Erdboden gleichzumachen, er brauchte nur Photoshop, nur Wissen, nur Worte. Und Worte hatte er genug, immer genug.
Es gab ein Gerücht, dass sich ein Mädchen einmal wegen ihm umgebracht haben sollte, weil er sie auf allen Eben, die es nur gab, verhöhnt hatte, bis sie es nicht mehr aushielt. Das war natürlich nur ein Gerücht aber kam der Wahrheit vermutlich schon ziemlich nahe.
Und jetzt wo er ihm hier gegenüberstand, in der Ecke eines dunklen Klassenraums, das Herz, das bis zum Anschlag schlug und das schiefe Grinsen auf den Lippen seines Gegenübers sah, da verstand er plötzlich alles, was man über Zack sagte. Früher hatte er ihn für einen Rowdy gehalten, der einfach ein Opfer braucht, vielleicht um seine Gefühle abzureagieren, vielleicht um sich größer oder stärker zu fühlen. Aber so war es nicht, Zack war schlichtweg gemein, fies, böse und Sadist. Er sah andere gerne leiden, sah andere gerne untergehen. Er genoss es, wenn der Funken Widerstand in ihren Augen erlosch und sie sich ihm untergaben und sich selbst aufgaben. Er genoss es, wenn Mädchen anfingen zu weinen und wenn Jungen anfingen zu zittern. Er genoss es, das Leben einer Person zu zerstören, die er gar nicht richtig kannte.
Und das machte Phil wütend. Es machte ihn unheimlich wütend, weil niemand das Recht haben sollte, sich so zu benehmen, weil niemand das Recht haben sollte, so mit anderen umzugehen. Niemand.
Phil ballte die Fäuste und starrte Zack an, die Augen zu Schlitzen verengt und mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, den man nur als mörderisch bezeichnen konnte.
„Du bist ein schlechter Mensch“, knurrte er leise und starrte den Blonden unverwandt an, dieser lachte nur auf und lehnte sich ein Stück zurück.
„Was soll das werden, hm? Ein Appell an meine Moral? An meine Menschlichkeit?“ Er lachte auf und schüttelte seinen Kopf, ein amüsiertes Blitzen in seinen Augen.
„Nein Zack, das war eine Feststellung“, antwortete Phil ihm und wusste einfach nicht, wo er diesen Mut hernahm und diese Ruhe. Zack könnte ihn jeden Moment zusammenschlagen, er könnte seine Freunde rufen und Phillip so lange zu Brei schlagen, bis er nie wieder auf eigenen Füßen stehen könnte. Und trotzdem stand er hier unheimlich ruhig und nahm sich das Recht hinaus sich Zack Kaiser entgegen zu stellen. Das passierte nicht oft, eigentlich passierte das nie und das schien den Blonden zu verwirren, ebenso wie es Phil selbst verwirrte.
„Wirst du jetzt frech?“, schnaubte der Andere und Phillip legte seinen Kopf auf die Seite. Sein Herz schlug in einem langsamen Rhythmus und seine Atemzüge waren tief und kontrolliert. Er starrte Zack einfach nur noch an, während Wut in ihm brodelte wie Wasser im Kochtopf, Hass türmte sich auf und vermischte sich mit Zorn, wurde zu einer gefährlichen Mischung die dafür sorgte, dass seine Sicht langsam verschwamm.
Aber da war auch noch etwas anderes, Wissen, das Wissen, dass er stärker war als Zack, dass er ihn ganz einfach besiegen könnte. Und zu dieser Gewissheit kamen Mut und Tatendrang. Es war ein seltsames Gefühl so hier zu stehen, so selbstsicher. Phillip ist lange nicht mehr so selbstsicher gewesen so davon überzeugt, dass ihm nichts passieren könnte. Ja, er fühlte sich sicher, sicherer als all die letzten Tage. Irgendwie war ihm klar, dass dieser Moment, dieser Tag entscheidend war, egal was jetzt passierte, es wäre vorbei und er müsste keine Angst mehr haben. Er wusste nicht, woher diese Erkenntnis kam, aber sie kam einfach und war da und leuchtete ihm plötzlich so klar vor Augen, als wäre sie schon immer dagewesen.
Diesmal schüttelte er bloß den Kopf, weiter kam er auch nicht, denn in diesem Moment packte Zack ihn am Kragen seines schwarzen Pullovers und drückte ihn gewaltsam gegen die Wand.
„Pass mal auf, mein Freund, ich lass nicht zu, dass du so mit mir umgehst, ist das klar?“ In seiner Stimme schwang jetzt keine Belustigung mehr mit, nur Wut, Wut wie sie auch Phil spürte. Reine Wut und tiefer, dunkler Hass.
„Lass mich los.“
„Was sonst, hm?“
„Lass mich los, Zack.“
Der andere Junge lachte auf und drückte fester zu. Phil spürte die Wand im Rücken und Zacks Arm an seiner Kehle. Er fühlte sich erdrückt, bekam plötzlich Angst, dass er ihn zerquetschen könnte, dass er ihn ersticken könnte.
„Lass los.“ Zack lachte auf ein gefährlicher, beinahe wölfischer Ausdruck trat in sein Gesicht.
„Was willst du sonst machen du Mädchen? Willst du zu deiner Mama rennen? Zu deiner verrückten Mama? Glaubst du die hilft dir? Willst du nach Papa schreien?“ Zack lachte noch lauter, dabei klatschte Spucke gegen Phils Gesicht. „Ach das hab ich ja ganz vergessen. Dein Vater ist tot, richtig? Hat er dich allein gelassen? Er hatte bestimmt nur keine Lust auf so einen Vollversager wie dich, wenn du mein Sohn wärst, dann hätte ich mir auch das Leben genommen.“
Hinter Phillips Augen explodierte etwas und er schrie auf, drückte Zack mit einem Ruck weg, der ihn durch den halben Raum schleuderte. Zack knallte gegen einen Tisch, der mit ihm zu Boden fiel. Phil atmete schwer und unkontrolliert während Schmerz durch seine Venen schoss. Plötzlich hatte er das Gefühl als würde sich in seinem Inneren etwas verändern, als würde etwas zum Leben erwachen, das schon immer in den Tiefen seines Kopfes geschlummert hatte. Seine Sicht veränderte sich und sein Denken wurde von etwas anderem, etwas Dunklem übernommen. Da war nur noch ein Gedanke.
Töte ihn.
Worte die bei jedem Herzschlag in seinem Kopf hallten und sich immer tiefer eingruben in sein Denken.
Töte ihn. Töte ihn.
Da war nichts mehr als Hass, rasender Hass. Hass und der Wille zu töten, der Wille die Knochen des Jungen brechen zu hören.
„N-Nein… das kann nicht sein.“ Fassungslos war Zacks Blick auf Phil gerichtet, der langsam näher kam und nicht länger aussah, wie der schlaksige Junge, der er eigentlich war. In der Mitte des Raumes stand ein Monster, wie dieses Gebäude es noch nie gesehen hatte. Leuchtende Adern zogen sich von seinen Augenwinkeln über das ganze Gesicht und über die Glatze. Die Augen leuchteten gelb und hatten die Form von katzenhaften Ovalen, die Iris war tiefschwarz und geschlitzt. Schwarze, lange Krallen besetzten die kalkweiße Hand und spitze, weiße Zähne blitzten zwischen den schwarzen Lippen hervor. Als er noch einen Schritt machte, tat er das mit einer Anmut, wie nur Katzen sie besitzen konnten. Zacks Augen weiteten sich und er wich zurück, krabbelte über den Boden, bis er gegen das Pult stieß und sich dort zusammen kauerte.
„Tu mir nichts… bitte!“, schluchzte er, dabei liefen ihm Tränen über das Gesicht. Tränen, die von seiner erbärmlichen Schwäche zeugten.
Aber er war nicht offen für dieses Flehen, Phil war in den Untiefen dieses Wesens verschwunden. Kein einziger Funken Vernunft ließ sich noch in seinen Augen finden, als er im rasenden Tempo auf den Blonden zu sprang, ihn an der Kehle packte und hochhob, bis sie sich auf Augenhöhe befanden. Angstgeweitete, gerötete Augen blickten in Gelbe.
„Du wirst büßen für das was du getan hast.“ Als das Ungetüm sprach schien seine Stimme aus allen Richtungen zu kommen, als hätte jemand mehrere Aufnahmen von ein und demselben Satz gemacht und sie übereinander gelappt abgespielt. Die Stimme hatte einen Ton, der durch Mark und Bein ging und sich in jeder Pore von Zacks Körper absetzte und eine Gänsehaut über seinen ganzen Körper schickte.
„Bitte…“ Aber es war zu spät, das Monster hatte seine Entscheidung schon längst getroffen.
„Du hast mir alles genommen“, flüsterte der Totgeweihte bevor das Monster mit einem diabolischen Lächeln seine scharfen Krallen in den weichen Hals seines Opfers grub, Blut spritzte aus der Wunde und färbte den Hals des Jungen und die Finger des Ungetüms rot. Ein metallischer Geruch drang an die feine Nase des seltsamen Wesens und machte es noch rasender. Mit einem wütenden Schnauben riss es dem Jungen den Kopf ab und warf die Leiche von sich. Rotes Blut bedeckte den Boden.
Blut so rot wie Rosenblüten.
Die Gestalt stand da, rasselnder Atem vermischte sich mit den Ausdünstungen des toten Körpers. Das Wesen riss die Augen auf und stolperte zurück.
Erschrocken ließ Phil sich auf einen Stuhl fallen, als die Rückverwandlung einsetzte und wieder der Junge mit dem kupfernen Haar zu sehen war, welches schweißnass an seinem Kopf klebte. Fassungslos starrte er auf Zacks Torso, sein Herz raste und Übelkeit stieg in ihm auf. Zitternd erbrach er sich auf den Fußboden und als er wieder aufblickte stand Zacks Leiche in Flammen. Unfähig sich zu bewegen beobachtete Phillip wie das Feuer die Leiche verschlang und schließlich selbst das frische Blut vom Boden wischte. Überwältigende Hitze stieg in dem Raum auf und er kroch in die hinterste Ecke des Raumes zurück, während sein ganzer Körper zitterte. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er auf seine Hände, die im Licht der Flammen rötlich schimmerten und erst dann wurde ihm wirklich bewusst was geschehen war.
Er hatte sich in ein Monster verwandelt, er hatte sich in ein Monster verwandelt und dann hatte er Zack umgebracht. Zack Kaiser, der grade mal 16 Jahre alt war, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte, Zack Kaiser der zwar ein Arschloch und ein schlechter Mensch war, aber trotzdem ein Mensch. Zack Kaiser, dessen Körper nun unerklärlich in Flammen stand.
Phil deckte seine Augen gegen die Hitze mit seinen Händen ab und starrte durch den Raum, die Flamme war herunter gebrannt und jetzt war da nichts mehr. Kein Ruß, keine Asche, nichts. Der Raum war leer und sauber und Staub tanzte im Licht der dämmrigen Sonne, die durch schmutzige Fenster hinein schien. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was das hieß. Niemand würde es erfahren, niemand würde wissen, dass er Zack Kaiser hier umgebracht hatte. Wenn sie nach ihm suchten, dann würden sie ihn nicht finden, nicht hier, vermutlich niemals. Bis sie die Suche irgendwann aufgeben würden und ihn als verschollen melden würden, bis in den Zeitungen stehen würde, dass die Suche nach dem 16 Jährigen Zack Kaiser erfolglos gewesen ist, der während der Schulzeit verschwunden war. Phillip schüttelte sich und schlich mit wackligen Schritten zum nächsten Fenster, mit kreidebleichem Gesicht öffnete er es und sprang hinaus. Kühle Luft umfing ihn und ließ seine Haut brennen, seine Jacke und sein Rucksack waren noch in der Schule, er würde nicht umdrehen um die Sachen zu holen.