Romane & Erzählungen
Ein Leben - 4. Kapitel Lehr- und Wanderjahre

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"Ein Leben - 4. Kapitel Lehr- und Wanderjahre"
Veröffentlicht am 02. Januar 2013, 8 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Ein Leben - 4. Kapitel Lehr- und Wanderjahre

Ein Leben - 4. Kapitel Lehr- und Wanderjahre

Kapitel 4

Lehr- und Wanderjahre

 

 

  1958  wurde dann meines Vaters Geschäft enteignet, und ich musste im HO-Betrieb Buchhaltung lernen. Es machte mir überhaupt keine Freude, da ich früher wie heute mit Zahlen nicht so gut umgehen kann. Dafür kann ich aber heute noch die ganze Bürgschaft aus dem Kopf rezitieren.

Dann wurde mein Vater entlassen. Er plante, mit meiner Mutter, uns 3 Mädchen, und dem kleinen Bruder in den Westen zu flüchten. Mir sagte man nichts davon. Wahrscheinlich hätte ich mich geweigert. Und so fuhr ich mit meinen Schwestern über Königswusterhausen mit der S-Bahn    nach Berlin, im Glauben ins Theater zu fahren. Das hatten mir meine 2 Schwestern weisgemacht. Dort erwarteten uns die Eltern und mein kleiner Bruder, die mir eröffneten, dass wir jetzt im Westen bleiben würden. Als folgsame Tochter blieb mir nichts anderes übrig, als dazubleiben. Eine Schwester, die gerade 18 Jahre alt war, ging heimlich zurück, da sie einen Freund in Beeskow hatte und im Westen wäre sie erst mit 21 Jahren volljährig geworden.

Für mich war das ein ziemlicher Schock, da sie meine Lieblingsschwester war. Aber ich durfte ja nicht zurück. Ich war minderjährig und wäre ins Heim gekommen. So hatte ich mit einem Schlag alle Freunde und alle Habe verloren.

 Wir kamen dann erst einmal nach Marienfelde ins Lager und wurden 5 Tage später ausgeflogen nach Frankfurt/Main. Dann ging es mit dem Zug weiter nach Marxzell in ein Lager in der Nähe von Karlsruhe. Dort bekam ich eine Arbeit zugewiesen in Frauenalb. Das ist ein Lungensanatorium in der Nähe. Ich hatte jeden Tag einen Fußmarsch von einer halben Stunde und musste in der Küche als Küchenhilfe arbeiten.

Es wurde aus Gründen der Ansteckungsgefahr alles weggeworfen, was aus dem Speisesaal kam, was mich aber nicht hinderte, vieles einzupacken und nach Hause mitzunehmen, So kam meine Familie ganz gut über die Runden.

Aus der Zeit fällt mir noch ein, dass im Lager einige Russlandheimkehrer  waren, die der deutschen Sprache nicht mehr so mächtig waren. Da ich im Russischen immer gut war, erbot ich mich, Ihnen beim Ausfüllen der vielen Formulare, die auf sie zukamen, zu helfen. Sie waren ganz glücklich darüber. Einer gab mir sogar  30.-DM dafür. Das war für mich wie ein Lottogewinn.

Ich konnte nicht widerstehen, ging in den nächsten Lebensmittelladen und kaufte alles, was ich schon immer mal probieren wollte Z.B. Schokolade, Bonbons, Kaugummi, Kekse Coca Cola und einiges mehr. Man kann sich vorstellen, was ich mir von meinen Eltern anhören musste. Einer dieser Rußlandheimkehrer war Waldemar. Mit meinen 15 Jahren fing ich gerade an, mich für das andere Geschlecht zu interessieren. Ich habe nur gute Erinnerungen an ihn, Obwohl er schon 30 Jahre alt war, nutzte er nie meine Unwisssenheit aus. Wir tauschten heimlich ein paar Küsse.und er versprach mir auf mich zu warten, bis ich alt genug zum Heiraten wäre. Jeden Morgen, bevor ich zur Arbeit ging, lief ich in sein Zimmer, um mich von ihm zu verabschieden und er griff unter sein Kopfkissen,, wo schon eine Tafel Schokolade für mich bereit  lag. Leider wurde er nach 2 Monaten nach Heidelberg geschickt, und wir verloren uns aus den Augen.

Danach kamen wir in ein Lager nach Rastatt. Dort musste ich in einem Kaufhaus Osterartikel verkaufen. Nach einigen Wochen wurde die Familie nach St. Peter im Schwarzwald zur Erholung geschickt. Im Hotel „Zum Goldenen Hirschen“ hat es uns sehr gut gefallen, zumal ich mich auch im Service dort etwas nützlich machte. Dadurch bekamen wir sogar eine Woche Verlängerung.  Von dort aus nahm mein Vater Kontakt zu einem alten Jugendfreund aus Pommern, der in Bremen wohnte ,auf . Der half ihm, in Bremen sesshaft zu werden. Erst kamen wir wieder in ein Lager in Lesum.  In den Lagern wohnten wir übrigens immer alle in einem Zimmer und schliefen in Hochbetten.

Damals wurde gerade ein neuer Stadtteil in Bremen gebaut, die Neue Vahr. Dort bekamen wir bald eine 4 Zimmerwohnung. Das war ein ganz neuer Luxus für uns nach dieser ganzen Lagerzeit. Mein Vater kaufte dann eine Behelfsbaracke. Es gab ja weit und breit keine Geschäfte. So fing unser neues Leben an. Meine Schwester und ich machten einen Kassenkurs. Damals erschienen gerade die ersten elektronischen Registrierkassen. Der Laden wurde eingerichtet und so hatte mein Vater wohl ein ganz schönes Einkommen. Ich war zu der Zeit voll in der Pubertät. So blieb es nicht aus, dass ich anfing mit der Männerwelt zu flirten. Einmal erwischte mich meine Mutter während der Arbeit dabei, und stellte mich vor der Kundschaft als nichtsnutzig und faul hin. Ich sagte ihr, dass sie Schuld hätte, wenn ich mal weglaufen würde. Daraufhin bekam ich mit 16 Jahren die schlimmsten Prügel meines Lebens von meinem Vater,Er schlug mit dem Kleiderbügel zu, so dass ich am nächsten Tage nicht aus dem Hause gehen konnte.

Mit 18 Jahren fiel ich dann auf einen Lügner rein, ich wurde schwanger. Ich wurde ja nicht aufgeklärt. Mein Vater hatte immer nur gesagt: „ Mach ja keine Dummheiten“. Doch was waren für mich Dummheiten ? Ich suchte doch nur Liebe. Doch Walter hatte mir verschwiegen, dass er schon verheiratet war und schon 2 Kinder hatte.

Am 1. Oktober 1962 wurde ich von einer Tochter entbunden. Ich nannte sie Gabriele.

Nun hatte ich etwas für mich allein, dass ich richtig liebhaben konnte. Mein Vater besorgte mir eine Wohnung, was damals nicht einfach war. Es wollte ja keiner an eine uneheliche Mutter vermieten. Dann folgten 4 Jahre absoluten Stresses. Tagsüber hatte ich Gabi bei einer Pflegefamilie, die 2 km entfernt wohnte. Das hieß, jeden Morgen eine halbe Stunde Fußmarsch dorthin, dann ins Geschäft, abends wieder das Gleiche zurück, das Kind gebadet, gefüttert und ins Bett gebracht. Dann kam noch das Windelwaschen Die Windeln wurden damals noch im großen Wäschetopf gewaschen, danach in der Badewanne gespült, Eine Waschmaschine war noch ein Traum für jede Mutter, Doch ich biss die Zähne zusammen, denn mein kleines Mädchen entschädigte mich für alles.

Und  ein Gutes hatte das Alleinleben für sich, ich begann die Freuden des Lebens kennenzulernen. Ich besuchte mit einer Freundin Tanzlokale mit Kapellen, in denen man noch zum Tanzen aufgefordert wurde von der Männerwelt. Es stärkte enorm mein Selbstbewusstsein, wenn die Tänze sogar vorbestellt wurden. Als Babysitter hatte ich Udo, den Bruder meiner Freundin, der mein Vertrauen sichtlich genoss und es sich bei Chips und Cola bei mir gemütlich machte. Ich hatte bei einem Preisausschreiben 1000.- DM gewonnen., und so kaufte ich mir meinen 1. Fernseher.

Morgens hielt ich mich mit „Hallo wach“, das war ein Aufputschmittel, was es in der Apotheke frei zu kaufen gab, auf den Beinen. Mein Vater durfte ja nichts von meinem“ lockeren „Lebenswandel wissen. Ich kaufte mir einen kleinen Plattenspieler. Ich glaube, ich war der größte Fan von Udo Jürgens. Stundenlang konnte ich vor meinem Gerät sitzen , und bei Kerzenschein seinen Herz -Schmerzliedern lauschen. Auch Christian Anders, Adamo, Gilbert Becaud, Francoise Hardy und Daliah Lavi gehörten unter anderem zu meinem Repertoire. Ich glaubte ja immer, dass es die große Liebe gab, die in den Liedern besungen wurde. In jeder freien Minute verschlang ich die 3 Groschenromane von Courths- Mahler und machte mir so ein bestimmtes Bild von der Liebe. Später brachte mich der Mann einer Freundin, ein Schriftsteller, an die anspruchsvollere Literatur heran. Und so wurde ich so langsam erwachsen.

 

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Brigitte

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schnief Toller Titel und sonst kann ich nur Enya anschließen.
LG
Schnief
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Re: Lehr- und Wanderjahre... -
Zitat: (Original von Enya2853 am 11.07.2013 - 11:57 Uhr) einen besseren Titel hättest du für diesen teil nicht wählen können.

Du musstest früh erwachsen werden, so jung mit einem Kind - den "lockeren" Lebenswandel, wie es dein Vater nannte, wer mag das nicht verstehen.
Er war nicht locker, du warst einfach jung und hast versucht, ein wenig die Freuden dieser Zeit zu genießen.

Schlucken musste ich bei den heftigen Prügeln. Ich hoffe mal, es war eine Ausnahme. Auch dass deine mutter dich so vorgeführt hat, empfinde ich als schlimm.

Du aber bist über alles hinausgewachsen, hast Stärke gezeigt und für vieles wird dich auch deine kleine Tochter entschädigt haben.

Dass du im Westen dich mit "Genussmitteln", die du nicht kanntest, eingedeckt hast, ist mir verständlich.
Obwaohl im Westen aufgewachsen, hatte ich davon nur wenig. Als ich etwa 12 Jahre alt war, wurden von der Schule aus Pakete in die ostzone verschickt. Jeder musste etwas mitbringen. Ich verstand so gar nicht, dass meine Mutter Schokolade spendete, obwohl wir uns diese nicht leisten konnten. Eigentlich kannte ich sie nur zu Weihnachten.

Dieser Teil hat mich doch ziemlich beeindruckt, eigentlich liest man zwischen den Zeilen, dass es doch harte Jahre waren.

Liebe Grüße
Enya

Danke liebe Enya für das Weiterlesen und Deinen so langen Kommentar. Ja die Zeiten haben sich geändert. Man versteht die Jugend heute viel besser. Gott sei Dank! Und ich habe, glaube ich wengstens, keinen bleibenden Schaden davon bekommen. Dir einen schönen Tag noch mit lieben Grüßen Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Misspelled was für eine Jugend... - ... aufregend stressig aber doch etwas, an was man sich dennoch gern erinnert.

Es schadet nichts früh erwachsen zu werden, wenn man genug Fantasie besitzt dieser harten Umwelt zu entgehen.

Auch wenn ich mir mit den Nachfolgenden Sätzen bestimmt viele Feinde mache, muss ich sagen, dass ich dich verstehe. Was sind deine Eltern für Egoisten. Wenn man schon einem Staat dem Rücken zukehrt sollte man doch wenigstens so ehrlich innerhalb der Familie sein und alle einweihen und den neuen Start ins Leben, nicht mit einer Lüge beginnen.

Ich hasse solche Familienoberhäupter. Ich weiß natürlich, dass sie es gut meinen mit ihren Familien, aber was tun sie ihren Kindern für einen Schaden an. Sie zerstören Seelen obwohl sie es nicht wollen. Egomanen halt.

Ich habe nie begreifen können, auch 1987 nicht, wie man Kinder in Lager verschleppen kann. Wie damals in Ungarn. Tausende Kinder haben in Lagern leben müssen wo es nicht mal mehr anständige Kläranlagen gab. Weil die Betreiber überfordert waren und nicht mit dem Ansturm rechneten. Wie viele Kinder sind dort krank geworden und einige sind wegen des Egoismus ihrer Eltern sogar gestorben. Aber lassen wir das, zurück zu deinem Buch.

Man fühlt heute noch die Wut und den Schmerz den du gefühlt hast und ich glaube du warst mit Recht wütend. Bäume sollte man nicht entwurzeln, tut man das können sie eingehen. Nur starke Bäume fassen danach wieder festen Fuß im Erdreich.

Zum Glück bist du ein starker Baum gewesen, um mit der Metapher weiter zu sprechen, du hast schlussendlich doch wieder Wurzeln geschlagen. Man sagt zwar immer Lehrjahre sind keine Herrenjahre, aber dieses Buch zeigt sehr deutlich, dass manche Väter wohl nie begreifen dass sie mit ihrem Zwang mehr kaputt machen als verbessern. Das Ziel deines Vaters war nicht das was deine Lieblingsschwester und du dir gewünscht hast. Ich hoffe sehr, du hast sie nach der Wende wieder getroffen und ihr habt eure alte Verbundenheit wiederentdecken können.

Sehr schönes Buch, auch wenn es ungewollt einen alten Hass in mir weckt. Aber ich denke das ist wieder mal nur mein Gefühl das da geweckt wurde. Einfach deshalb weil auch ich von meinen Eltern zu Dingen gezwungen wurde, ohne dass ich sie je tun wollte. Der Hass wird nie vergehen und mein Unverständnis für solche egoistische Entscheidungen von Eltern wird wohl niemals enden. Kinderseelen sind so empfindlich, man sollte sie vorsichtiger behandeln als dünnes Glas. Einmal zerbrochen lässt sich eine kindliche Seele nie wieder vollständig heilen.

Gut geschrieben.

Lg Miss Pelled
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Lehr- und Wanderjahre... - einen besseren Titel hättest du für diesen teil nicht wählen können.

Du musstest früh erwachsen werden, so jung mit einem Kind - den "lockeren" Lebenswandel, wie es dein Vater nannte, wer mag das nicht verstehen.
Er war nicht locker, du warst einfach jung und hast versucht, ein wenig die Freuden dieser Zeit zu genießen.

Schlucken musste ich bei den heftigen Prügeln. Ich hoffe mal, es war eine Ausnahme. Auch dass deine mutter dich so vorgeführt hat, empfinde ich als schlimm.

Du aber bist über alles hinausgewachsen, hast Stärke gezeigt und für vieles wird dich auch deine kleine Tochter entschädigt haben.

Dass du im Westen dich mit "Genussmitteln", die du nicht kanntest, eingedeckt hast, ist mir verständlich.
Obwaohl im Westen aufgewachsen, hatte ich davon nur wenig. Als ich etwa 12 Jahre alt war, wurden von der Schule aus Pakete in die ostzone verschickt. Jeder musste etwas mitbringen. Ich verstand so gar nicht, dass meine Mutter Schokolade spendete, obwohl wir uns diese nicht leisten konnten. Eigentlich kannte ich sie nur zu Weihnachten.

Dieser Teil hat mich doch ziemlich beeindruckt, eigentlich liest man zwischen den Zeilen, dass es doch harte Jahre waren.

Liebe Grüße
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Re: - Danke liebe Petra, für Dein Lesen . Ja, unsere Schicksale ähneln sich doch alle ein wenig. Für Dich weiterhin alles Gute Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Goldmarie Auch dieser Beitrag hat mich an vieles erinnert und er war gut geschreben,jedenfalls macht er neugierig auf den nächsten.
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Re: Ja, liebe Brigitte, - Noch einmal vielen Dank liebe Bärbel. Ich freue mich, dass Du so Anteil an meinem Leben nimmst und alles liest. Jetzt fehlt noch eins, dann bist Du auf dem neusten Stand. Ganz lieben Dank für Deine Kritik und schlaf schön

Ganz liebe Grüße Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Ja, liebe Brigitte, - so war es damals - von Aufklärung keine Spur. Trotzdem hast Du das Leben gemeistert. Man kann sich die Schwierigkeiten so richtig vorstellen. Auch ich hatte damals keine Waschmaschine und musste die Windeln immer in einem großen Kochtopf auskochen und dann mit dem Waschbrett waschen. Aber wenn man jung ist, empfindet man das alles nicht für so schwer, es war eben so und das genügte.
Gut geschrieben.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Re: Liebe Brigitte, - Ganz lieben Dank, liebe Fleur dass Du auch diesen Teil gelesen hast und er Dir auch gefällt. Liegt mir doch an Deiner Kritik sehr viel. Es ist schon merkwürdig, wie schnell man in diesem Forum warm wird und auch Freunde gewinnt. Ich denke, dass ich das nächste Kapitel eine Woche später reinsetze. Dir wünsche ich jetzt eine gute Nacht und grüße Dich ganz herzlich Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Liebe Brigitte, - ich habe diesen Teil förmlich verschlungen ... Kann mir alles gut vorstellen.
Auch den Windelkochtopf und das Spülen in der Badewanne kenne ich gut...
Es gibt viele Parallelen, und doch verlief das Leben in der DDR anders...
Freue mich auch schon auf den nächsten Teil, ich finde es gut, dass immer ein wenig Abstand dazwischen ist.

Ganz liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
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