Gegen den Krieg
Ein entschlossener Glanz lag in seinen Augen, als er den Griff aus Granit seines Zweihänders fasste und den letzten Abschnitt der Opfertreppe zu Krelic hinaufsah. Der Gott des Krieges wartete am höchsten Punkt seiner Welt, dem Götterplateu des Krieges, auf seine Ankunft. Er war bereit seine Taten zu verteidigen.
Links und rechts vom Krieger gähnte der Abgrund des Himmels. Die schwere Marmortreppe, der einzige Weg, den er wählen konnte, hatte ihn über das Wolkenzelt in die Sphäre der Göttlichen, zwischen Sonne und Wolken geführt. Die gleißenden Strahlen des brennenden Lichtballs, dessen Hitze den Schweiß auf seiner Haut verdampfen ließ, blendeten ihn schon lange nicht mehr. Er trat vor, um sein erstes Ziel zu erreichen und auf einer Stufe mit den Göttern zu stehen.
Der Krieger erklomm die erste Stufe des letzten Abschnittes. Krelic zog seine beiden Schwerter und stieß sie parallel zueinander in den dunklen Marmor der Treppe. Beim Aufprall verursachten sie zwei gänzlich verschiedenen Töne. Die Klinge in seiner Rechten, Abrahs ewige Sünde erzeugte einen tiefen Klang, gleich einem Sog, der allein ausgereicht hätte mehreren hundert Menschen da Bewusstsein zu rauben. Für die Waffe in seiner Linken konnte das Gegenteil behauptet werden. Soradils gleißende Richtung ließ einen so feinen Ton entstehen, der den Eindruck von Zerbrechlichkeit erweckte. Obwohl man die Vibration an der Klinge mit dem bloßen Auge eines Kriegers erkennen konnte, war der Ton so rein und stetig, dass jeder, der ihn vernahm, mit grausiger Endgültigkeit einsah, wie unwürdig er des Lebens ist.
Weder der Sog der Dunkelheit, noch das blendende Lichtb brachten ihn zum Wanken. Auf seiner Reise hatte er gelernt sich vor den beiden Seiten der Münze zu schützen.
Er ging weiter. Mit jedem seiner Schritte stieß Krelic die Werkzeuge seines Kriegs erneut in den Boden. Jedes Mal mit mehr Macht. Die Treppe fing an unter der Wucht zu beben und die Wolken unterhalb des Plateaus in den Wolken wogten im Takt der Schläge. Doch der Krieger zeigte sich ungerührt. Sobald er die letzte Stufe erreicht hatte, zierte ein triumphierendes Lächeln sein Gesicht. Nur wenige Fingerbreiten trennten ihn jetzt noch vom Gott des Krieges, der ihn um gute zwei Köpfe überragte und ihn mit Blicken bedachte, die stechender waren als vergiftete Pfeile. Doch auch diesen widerstand er. Dann sprach der Krieger mit einer Stimme gleich der Ruhe in der schwarzen Tiefe eines Sees:
“Ich erlaube es dir nicht Unwissen zu heucheln. Du weißt warum ich gekommen bin. Gebe mir zurück, was du einst aus Verlangen geraubt hast oder diese Klinge wird deine Existenz zerschneiden.”
“Den mächtigeren Feind zu reizen, ist oft das Todesurteil der Arroganten und Dummen. Voreilige Schlüsse zu ziehen ebenfalls. Kehre um und ich vergesse, dass du deinen Respekt vor einer Gottheit vergessen hast!”, erwiderte er, wobei jedes einzelne Wort, mochte es auch noch so kurz sein, die Kraft einer anstürmenden Armee in sich trug.
“Spricht da etwa die Angst? Götter können sich also auch fürchten?”
“Deine Worte werden dich dein Leben kosten, Mensch.”
“Die Höhe hat deine Gedanken vernebelt, Krelic. Worte haben noch nie die Menschen getötet. Es war immer die Tat. Ich werde dich überwinden, um die Wahrheit aus ihrem eigenen Mund zu hören!”
Die Stimme des Kriegers veränderte sich, während er sprach. Wellen aus der Mitte schlugen über die Ufer und leckten nach neuem Land. Der Wasserspiegel stieg an und der See wurde zu einem reißenden Strom, der die Erde erbarmungslos verschlang. Doch dort stoppte er nicht. Die Wassermassen türmten sich weiter auf. Formten ein Meer der Wut, das dem Gott Wellen der Vergeltung entgegenwarf.
Der Gott war ein Berg im Meer. Hoch thronte er, erhaben berührte seine Spitze die Welt über dem Himmel. Jedem Angriff widerstand er mit jener rohen Gewalt der Unantastbaren ohne auch nur ein einziges Mal zu wanken.
Sieben Tage lang rangen sie miteinander, ohne dass sich ein Sieger hervortat. Einen Tag später zerbrach Soradils gleißende Richtung in tausende glühende Splitter. Der Berg begann zu bröckeln und ließ menschengroße Felsen ins Meer hinabregnen. Am neunten Tag wurde der namenlose Zweihänder des Kriegers in der Mitte zerteilt. Doch dies brachte den Taifun noch weiter zum Toben. Unermesslich hohe Wellen brachen Mal für Mal über die Spitze des göttlichen Berges hinein.
Am zehnten Tag wurden beide vollständig entwaffnet. Die Reste des Zweihänders und Abrahs ewige Sünde verschwanden in der dichten Wand der Gewitterwolken unterhalb des Götterplateus.
Der elfte Tag brachte die Entscheidung. Der Berg zersprang und verschwand in den Untiefen des tobenden Meeres. Und trotzdem war es das Meer, das zur Ruhe gezwungen werden sollte.
Die Hände des Kriegers lagen an der Kehle seines Gegners, dessen kraftloser Körper unter seinem Gewicht begraben war.
“Wessen Todesurteil war es noch gleich?”, fragte der Krieger mit einer kratzenden Stimme. Der Schweiß lief an seinem Gesicht herab und tropfte auf seinen Gegner herab.
“Wenn du glaubst, dass man dir deine Tat vergeben wird, hast du dich getäuscht. Du wirst sterben. Wenn auch nicht durch meine Hand. Die anderen Götter werden dich nicht dulden”, die Stimme des Gottes war unverändert, als hätte ihm der elf tägige Kampf nichts abverlangt. Trotzdem lief ihm beim Sprechen das Blut aus dem Mundwinkel.
“Ich führe keinen Krieg gegen die Götter. Nur gegen dich. Es war dein Verlangen, das diese Situation hervorgerufen hat. Und nun sprich. Wo ist sie?”
In diesem Augenblick wehte ein fremder Wind über das Plateau. Instinktiv stellte sich jedes Härchen des Kriegers auf, als er die bekannte Präsenz mit jeder einzelnen Faser seines Körpers spürte. Ruckartig richtete er sich auf und wirbelte herum. Direkt vor ihm stand eine Frau deren Augen die Tiefe und das Leben der dichtesten Wälder enthielt. Eine berauschende Woge der Macht ging von ihr aus, der er sich nur schwer entziehen konnte. So war es schon gewesen, bevor sich ihre Aura verändert hatte.
“Lisanna…”, flüsterte er unfähig zu denken, “Du hast mich verraten…”
“Habe ich je gebeten gerettet zu werden?”, hielt sie dagegen ohne eine Gefühlsregung zu zeigen.
“Er hat dich entführt.”
“Das hat er.”
Während sie sich in die Augen sahen, schwand die Kraft des Tsunamis. Die Wellen glätten sich und der Meerespiegel sank. Das Wasser gab einen blühenden Wald frei, der vom gewaltigen Kampf der Mächte völlig unberührt war.
“Und er hat dir etwas gegeben, das ich dir nie hätte geben können”, sagte er.
Sie lächelte und strich ihm über die raue Haut seines Gesichts. Die letzte Distanz zwischen ihnen schloss sie mit nur einem Schritt. Dann presste sie sich gegen ihn und gab ihm einen letzten leidenschaftlichen Kuss, der ihm jegliche Kräfte raubte. Nach einer Ewigkeit lösten sich ihre Lippen voneinander. Sie hielt ihn weiterhin in einer engen Umarmung und flüsterte in sein Ohr:
“Ich werde dir jetzt nehmen, was dich ausmacht, was dich getragen und mündig gemacht hat.”
Seine Hände schlossen sich um ihre Hüfte und versuchte sie von sich zu drücken. Allerdings weichte sie kein Stück von ihm, egal wie viel Kraft er aufwandte. Ihr Körper glich in diesem Moment einem massiven Baum, dessen Wurzeln bis hinab zum Kern der Erde reichten.
“Warum?”
“Ich kenne dich doch. Rachedurst würde dich treiben, unfähig zu akzeptieren, dass man dir alles genommen hat. Niemand würde hier deinem Zorn entgegentreten können.”
Langsam löste sie sich von ihm und zeichnete mit ihrem Zeigefinger ein Symbol auf seine nackte Brust.
“Dann töte mich.”
“Ich würde es, immerhin liebe ich dich. Aber das würde mich als neue Göttin in Verlegenheit bringen. Ohne Strafe kann ich dich nicht gehen lassen.”
“…”
Das Symbol, ein Kelch dem ein grüner Sprössling entwuchs, fing an zu leuchten. Neongrünes Licht umschloss den Körper des Kriegers. Dann schossen aus dem Boden vier armdicke Wurzeln, die ihn vollständig umschlangen. Langsam, aber mit grausiger Stetigkeit zogen sie ihn in den Boden, bis nur noch ein dunkles Loch von der ehemaligen Präsenz des Kriegers übrig geblieben war.