Kapitel 3
Schulzeit
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Mit 6 Jahren begann nun der Ernst des Lebens. Ich wurde eingeschult. In der Schule war ich nur in Deutsch, Russisch, Musik, und Sport gut. Es war ja keiner da, der meine Schulaufgaben beaufsichtigte. So kam es, dass ich in der 5. Klasse 2 Vierer im Zeugnis hatte. War also schon sehr schlecht, weil es damals bei uns keine Sechser gab. Aus Angst vor Schlägen habe ich eine kleine Flasche Terpentin getrunken. Natürlich unter Aufsicht der Klasse. Ich genoss es im Mittelpunkt zu stehen und die Märtyrerin zu sein. Damals kam mir schon mein schauspielerisches Talent zu gute. „ Ich habe solche Angst vor meinem Vater, dass ich lieber sterbe, als ihm mein Zeugnis zu zeigen .Er schlägt mich tot.“ In der nächsten Schulstunde war mir die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse gewiss. Alles wartete sensationslüstern, was nun mit mir passierte.Mir wurde speiübel und die Lehrerin schickte mich nach Hause. Nun bekamen die Kinder doch Angst und erzählten ihr von meinem Auftritt. Sie ging zum Rektor, er zu meinem Vater, und so flog alles auf. Gott sei Dank ist es noch mal gut gegangen. Ich habe mir nur die Seele aus dem Leib gekotzt .Das Terpentin hatte ich mal von meiner Freundin Christiane zur Beseitigung für Flecken in der Kleidung bekommen. Wir spielten öfter in der Werkstatt ihres Vaters. Er war Malermeister. Seine Werkstatt war ein Labyrint aus Farbeimern, hinter denen man sich herrlich verstecken konnte. Mittwochs war bei uns immer Waschtag. Dafür wurde im Keller ein großer Kessel angefeuert. Daneben war ein Riesenzuber, in den das Wasser hinein gelassen wurde. Eine Waschfrau kam, die mit meiner Mutter die Wäsche der Familie, wir waren ja schließlich 9 Personen mit der Hand und einem Waschbrett wusch. Das ganze Haus roch dann nach Kernseife. Im Hof wurde dann die Wäsche aufgehängt, und wir Kinder machten uns einen Spass, uns hinter den großen Laken zu verstecken.
Ein Lichtblick hatte dieser Tag noch. Es gab zu Mittag immer Bratwurst mit Kartoffeln und Rotkohl. Das war mein Lieblingsgericht. Und deshalb freute ich mich schon immer auf den Mittwoch.
Im Herbst war für alle Schulen Kartoffelernte angesagt. Die ganze Klasse wurde mit einem Traktor nebst Anhänger abgeholt und auf die umliegenden Felder gefahren. Diese Tage waren für uns immer eine willkommene Abwechslung. An Kinderarbeit dachten wir damals noch nicht und haben es auch nicht so empfunden. Es ging dabei immer sehr turbulent zu. Die Jungen machten sich ein Gaudi daraus, und bewarfen die Mädchen mit Mäusen, die sie zwischen den Feldreihen fingen. Jedem Kind wurde eine Reihe zugewiesen und dazu ein großer Korb, in den die Kartoffen rein kamen. Wenn der Korb voll war, schleppten wir ihn mit einem Lehrer oder dem Bauern zum Wagen und bekamen einen Gutschein dafür. Pro Gutschein wurden dann später -30 Pfennig abgerechnet. Das war damals unser Taschengeld,. Auch mit Lindenblütensammeln, Lumpen , Altpapier und Buntmetall verdienten wir uns ein wenig. Ein sogenanntes Taschengeld, wie die Kinder es heute bekommen, war für uns Utopie. Ansonsten war ich sehr aktiv bei den Jungen Pionieren und später bei der FDJ.
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                                Nicht weinen mein Junge, es ist geschehn
                                du kannst deinen Vater nie wiedersehn
                                sie haben ihn auf der Flucht erschossen
                                Junge, einen unserer besten Genossen
                                auf der Flucht erschossen, Junge du weißt
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                           sie haben dir schon gesagt, was das heisst.
                                  2 Kugeln von vorn, in die Stirn, in die Lunge.
                                Sie haben ihn hingerichtet mein Junge.
                                Du siehst mich an so entsetzten Gesichts
                                Sei tapfer mein Kind, ich erspare Dir nichts.
                                Sie haben ihn wie einen Hund geschunden,
                                 er hat den qualvollsten Tod gefunden.
                                 Als sie ihn holten, da hast du geschrien
                                  und als er dich streichelte schlugen sie ihn
                                  er konnte kein Wort des Abschieds mehr sagen
                                  sie hatten ihm schon den Mund zerschlagen
                               Sie schlugen auf ihn 3 Tage lang, bis dass ihm
                                  die Haut auseinander sprang. Zittre nicht Junge
                                  du musst es erfahren, ich will dir das Schrecklichste
                                  nicht ersparen. Sie setzten ihm das Gewehr auf die Brust,
                                  aus blutendem Mund hat er Singen gemusst
                                Ihre Mordbrennerlieder musste er singen     . Â
                                 auf blutenden Füßen musste er springen.
                                   Und sähest du heute sein totes Gesicht,
                                   du würdest schreien, du känntest ihn nicht.
                                   Getreten, zerschunden, zerrissen, zerschossen,
                                   Junge, einen unserer besten Genossen !
                                   Wir trauern nicht Junge, das ist nicht gut,
                                   jetzt nichts mehr fühlen, als brennende Wut.
                                   Und diese Glut darf nie mehr erkalten, für
                                   den Tag Junge, wo wir Abrechnung halten.
                                                                                    Erich Weinert
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Dieses Gedicht, welches ich wirklich heute noch im Kopf habe, musste ich bei allen wichtigen Veranstaltungen, was die Pioniere und die 'FDJ betraf, rezitieren.
Ich kann mich erinnern, dass ich es das erste Mal aufsagte, nachdem wir die ersten MPs unserer NVA (Nationale Volksarmee) bei Fackelschein übergeben mussten. Das war für mich ein ungeheuer feierlicher Augenblick.          Â
Bei allen agitatorischen Ereignissen stand ich in der 1. Reihe und schwang die Fahne. Dadurch erhielt ich viele Auszeichnungen, meist in Form von Büchern mit Widmungen, die mich besonders stolz machten. Die Aktivitäten bei den Jungen Pionieren und die Auszeichnungen stärkten mein Selbstbewusstsein natürlich enorm.
Auch im Pionierchor war ich aktiv. Einmal fuhren wir aufgrund einer Einladung eines polnischen Pionierchores nach Zielona Gora in Polen. Nach gegenseitigen Chorgesängen tauschten wir unsere blauen Halstücher mit den roten der polnischen Pioniere. Ein Symbol der Völkerfreundschaft ! Adressen wurden ausgetauscht, und ich hatte eine neue Brieffreundin Bozena. Das hatte sich aber leider nach 2 Briefen hin und zurück wieder erledigt. Die Sprachschwierigkeiten waren denn doch zu groß. Auch im Schultheater habe ich viel gespielt. So ist mein größter Wunsch entstanden, später Schauspielerin zu werden.
Damals gingen viele Männer Sonntags morgens in die Kneipe zum Frühschoppen.So auch unser Vater. Ich kann mich daran erinnern, dass wir ihn öfter zum Mittagessen aus der Kneipe holen mussten, was uns sehr peinlich war. Sonntags nachmittags ging dann die ganze Familie ins Forsthaus, Da gab es für jeden von uns 1 Glas Brause oder 1 Malzbier. Meist sang dann dort auch der Männerchor, in dem mein Vater Mitglied war.
Eines Morgens , wir schrieben das Jahr 1956, kam ich in die Küche um zu frühstücken, Dort sass dort meine Stiefmutter und schluchzte laut. Die Stasi hatte meinen Vater abgeholt. Er hatte im Alkoholrausch in der Kneipe wiederholt Hetze gegen den DDR Staat verübt und immer wieder gesagt, dass er in seine Heimat Pommern zurück wollte. Er griff sogar noch einen Parteifunktionär tätlich an. Das war zu viel. Er wurde wegen dieser staatsfeindlichen Äußerungen zu 2 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt. Für mich war das der Anlass mich noch mehr für die Pionier- und FDJarbeit zu engagieren. Ich war ja überzeugt davon, und wollte beweisen, dass ich für des Vaters Vergehen nichts konnte. Denn ich war ja nun die Tochter eines Verbrechers.. Nun wurde ich für die Schauspielschule vorgeschlagen, doch mein Vater bestimmte aus der Haft, dass ich von der 8. Klasse abgehen und im elterlichen Betrieb arbeiten sollte.
Aus der Traum von der Schauspielschule !!! Â
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