Eins
Mit einem Lächeln im Gesicht stehe ich inmitten des immergrünen Tannenwaldes. Ich folge dem Schnee bedecktem Weg, welcher unter mir knirschend nachgibt. Er legt sich frostig um meine Knöchel.
Vorsichtig lasse ich meine nackten Fingerspitzen die Tannennadeln streifen, wodurch der Schnee, leicht wie Puderzucker, zu Boden rieselt.
Ich lege den Kopf in den Nacken und schließe meine Augen. Ich spüre wie die Flocken auf meiner Haut landen. Auf meinen Lidern, meinem Nasenrücken und den Lippen. Ich lasse meine Zungenspitze über meine Unterlippe streifen und schmecke den Schnee. Er schmilzt sofort bei meiner Körperwärme.
Ich gehe weiter, bahne mir meinen eigenen Weg zwischen die Tannen. Ich verschwinde von dem rechten Pfad und laufe querfeldein. Einzig und allein verraten mich meine zurückgelassenen Fußspuren. Doch auch sie werden bald von einer neuen Schicht Eis unauffindbar sein.
Ich gelange an den Fluss, welcher erstarrt vor mir liegt. Keinen einzigen Laut gibt er preis. Noch vor wenigen Monaten hat er mit mir gesprochen. Er gluckste sanft vor sich hin, wenn er ausgeglichen war. An diesen Tagen gestattete er mir, mit ihm zu reden und ihn zu betrachten. Mit all dem Leben das er unter seiner Oberfläche schützte. Ich durfte meine Füße in seinen wiegenden Wellen kühlen. Â
Ich mag es nicht wenn er aufbrausend ist. Dann schlägt er wütend sein blaues Gold gegen die Steine und wird lauter. Meist warte ich und lasse ihn zur Ruhe kommen.
Nun tanzen die Schneeflocken auf seiner Eisfläche, während er seinen Winterschlaf hält. Die eisige Kälte hat ihn eingefroren. Ich lege meine blanke Hand auf das Eis und erschrecke für eine Sekunde. Ist das bitterkalt!
Die Eisschicht dürfte dick genug sein, um mich zu tragen. Ich platziere langsam meinen Fuß auf die glatte Fläche. Leise dringt ein Knacken an mein Ohr.
„Das würdest du mir doch nicht antun.“, flüstere ich ihm zu.
Mein zweiter Fuß landet gleich neben dem Ersten. Wieder knackt und ächzt das Eis und ich rühre mich keinen Millimeter. Meine Augen wandern nach vorne. Ich muss ihn überqueren, um an mein Ziel zu kommen. Es gibt keinen anderen Weg.
Ich hole tief Luft, die frostig in meine Lunge dringt und setze mich in Bewegung. Wie eine Seiltänzerin breite ich meine Arme aus, um mich ausbalancieren zu können, falls ich zu sehr rutsche. Ich schleife meine Füße vor mir her, tue keine großen Schritte, da ich zu viel Angst habe zu fallen.
Ich gelange an die gegenüberliegende Seite, welche mich sehnsüchtig erwartet. Der Wind lässt eine feine Brise zu mir herüberwehen, die mich kurz erzittern lässt. Zufrieden schaue ich zurück. Du hast mich nicht einsinken lassen, flüstere ich ihm in Gedanken zu. Ich bin sicher dass er es wahrgenommen hat und richte meinen Blick wieder voraus.
Entschlossen laufe ich weiter und folge dem unsichtbaren Pfad, den nur ich kenne. Riesige Tannen stehen auf jeder Seite des Weges. Sie erstrecken sich bis in den weißen Himmel hinein. Mit jedem Schritt den ich vorwärts gehe, kommen sie näher an mich heran. Ihre Nadeln kitzeln meine Jacke.
Dann, endlich, entdecke ich mein Ziel.
Die Nadelbäume stehen dicht nebeneinander in einem großen Kreis. Niemand könnte sich einfach so durch sie zwängen. Dafür schützen und verteidigen sie ihre Mitte zu sehr. Doch mich kennen sie. Leise wispern sie meinen Namen und begrüßen mich.
„Hallo, ihr Schönen.“, flüstere ich zurück.
Ihre Äste knistern sanft, als sie sich bewegen um mir Platz zu machen. Sie schließen ihre knochigen Arme wieder hinter mir.
Ich sehe sie.
Diese wunderschöne Lichtung, im Schnee halb versunken. Wo ich auch hinsehe glitzert es. Wenige Meter von mir entfernt, steht der eisige Pavillon. Aus weißen Steinen bestehend, mit einem weißen Dach unterscheidet er sich kaum von seinem Umfeld.
Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Irgendetwas ist anders.
Dann nehme ich es wahr.
Wer ist das?