Thomas saß in der winzigen Küche und schlürfte einen Tee. Draußen regnete und schneite es in einem. Ein Martinshorn erschallte, wurde lauter und wieder leiser. Was mochte da passiert sein?
Thomas stand auf und ging zum Fenster in der Küche, das dringend wieder geputzt werden sollte. Aber Thomas hatte keine Zeit, er hatte sowieso fast nie Zeit, nicht einmal für solch wichtige Dinge. Und jetzt - jetzt war Weihnachten. Andere saßen halb liegend auf Sofas in warmen, hellen Wohnzimmern, unter einem von Kerzen erleuchteten Christbaum, ließen sich Plätzchen oder eine Weihnachtsgans schmecken und erfreuten sich an Geschenken. Und er? Er musste allein hier sitzen, in einer kaum beheizten, winzigen Wohnung, eingehüllt in eine zerschlissene Decke.Â
Thomas wollte eben wieder zurück zu seinem Tee in die Küche gehen, da schrillte die Klingel.
MIt einem Seufzer schlurfte er zur Sprechanlage neben der kleinen Wohnungstür und nahm den Hörer ab.
"Ja?"
"Lassen Sie mich ein, sonst friere ich noch ein!", ertönte eine gesangliche Stimme aus dem Hörer.
Verblüfft nahm Thomas den Hörer vom Ohr und schaute ihn an.
"Bitte, bitte, machen Sie auf, lassen Sie mich zu sich herauf!"
"Ääh, ja, okay, Moment bitte!", erwiderte Thomas und drückte auf den Knopf mit dem Schlüssel.
Unten in dem mehrstöckigen Wohnhaus erklang ein Geräusch, kurz darauf hörte man schwere Schritte auf der Treppe.
Thomas wartete. Als nichts geschah, öffnete er die Wohnungstür einen kleinen Spalt breit und lugte hinaus.
"Guten Abend, darf ich eintreten? Oder muss ich nochmal drum beten?"
"D-doch gern. Kommen Sie ruhig rein!" Thomas versuchte, ein Lächeln aufzusetzen.
"Ich habe mich nicht getraut, einfach reinzukommen. Deshalb wollte ich lieber sein wie die Frommen und nochmal fragen, was Sie denn nun dazu sagen?" Der Mann wartete erst gar nicht auf eine Antwort und trat ein. "Danke!"
"Ich bin sowieso alleine, deshalb können Sie mir ruhig Gesellschaft leisten!"
Thomas bat seinen Besuch in die Küche und bot ihm den anderen klapprigen Stuhl an.
"Bitte!", sagte er dann mit einem einladenden Lächeln und einer auffordernden Handbewegung.
Der Mann hatte einen grauen Bart und ebenso graue Haare, die jetzt unter seiner bunt gestreiften Mütze hervorkamen. Den Mantel, der äußerst dürftig zu sein schien. Die grünen Gummistiefel, die der Graubärtige eben auszog, waren innen mit Stoffresten ausgekleidet, um die darin steckenden Füße einigermaßen warm zu halten.
Thomas blickte beschämt zu Boden, als er die ärmliche Kleidung des Mannes wahrnahm. Da hatte er es ja noch richtig gut ...
Der Mann setzte sich jetzt mit einem erleichterten Seufzer auf den Stuhl, aber - mit einem gewaltigen Krachen klappte der Stuhl einfach unter dem Gewicht des erschrockenen Besuchers zusammen.
Der blickte Thomas verstört an, dann nahmen seine Augen einen reumütigen Ausdruck an.
"Es - es tut mir so schrecklich leid, mein Kopf ist voller Tollpatschigkeit ..."
"Kein Problem", beschwichtigte Thomas ihn. "Das macht nichts. Ich hole schnell einen Schemel!"
"Warum hast du mich eigentlich aufgesucht?"
"Ich suchte einen warmen Platz, wo ich ohne Hatz verweilen kann, aber irgendwann muss ich wieder weiter auf der Lebensleiter!"
"So, so", murmelte Thomas und stellte den kleinen Hocker auf den Boden."Wo bist du denn sonst so?"
"Jeden Tag, ja, etwas banal, bin ich im Laden, der ist phänomenal!"
"Welcher Laden?", erkundigte sich Thomas geduldig.
"Dort gibt es Blumen mit viel Volumen, gern kaufen dort die Leute ein, das sollte auch so sein, denn wir stecken in großen Schulden, da muss ich mich gedulden. Jetzt haben sie mich zum Sparen entlassen, ich konnt' es nicht fassen! Jetzt bin ich ein armer Mann, der nichts weiß und auch nichts kann."
Dem Mann rollte tatsächlich eine dicke Träne über die Wange, die er schnell wegwischte.
"Wie heißen Sie denn?"
"Mein Name ist Klaus Kirchenmaus."
"Aber Sie wissen doch viel, Sie können so gut reimen!"
"Meinen Sie wirklich? Doch das ist bedauerlich, mehr kann ich nicht!"
"Ach, wissen Sie, ich kenn' einen, der hat einen eigenen Verlag! Ich frag' ihn einfach, und dann können Sie dort Bücher mit Reimen veröffentlichen!"
"Sind Sie sicher? Das ist mir sympathischer als das Leben in den Gassen, die konnt' ich noch nie richtig fassen!"
"Schön. Ich regel' das für Sie. Sie können gern solange bei mir bleiben. Machen Sie sich einen Tee!" Thomas wies auf die Küchengeräte und verzog sich ins Nebenzimmer. Dort rief er seinen Freund an und regelte alles.
Als er wieder in die Küche kam, strahlte er Klaus Kirchenmaus an.
"Sie sollen morgen zu ihm kommen", erklärte er ihm. Dann überreichte er Klaus einen Zettel, auf dem die Adresse notiert war.
"Oh, vielen, vielen Dank! Das ist ja allerhand!"
Thomas wünschte dem Weihnachtsbesuch frohe Weihnachten. Er selber war glücklich, diesem armen Menschen geholfen zu haben. Jetzt konnte er frohen Mutes seine Eltern anrufen und auch ihnen ein frohes Fest wünschen!