Der Heilige Abend
Endlich war es sechs Uhr! Jonas ging ins Esszimmer, wo die Eltern schon gedeckt hatten. Auf einem Kuchenblech in der Mitte des Tisches lagen Hawaiitoasts, die nur darauf warteten, gegessen zu werden.
Nach dem Essen musste Jonas in sein Zimmer. Gespannt wartete er dort, bis die Eltern das Glöckchen klingeln ließen. Dann aber hielt ihn nichts mehr! Er raste ins Wohnzimmer.
Dort stand ein kleiner Weihnachtsbaum mit unzähligen Kerzen bestückt. Darunter lagen viele Geschenke und daneben eine kleine Krippe, wo ein Ochs und ein Esel, Maria und Josef mit ihrem Baby und die Hirten standen.
Doch der Krippe schenkte Jonas kaum Beachtung. Er ließ sich auf der kleinen Couch nieder und wartete ungeduldig ab, bis auf Wunsch seiner Mutter einige Weihnachtslieder gesungen worden waren und der Vater die Weihnachtsgeschichte gelesen hatte. Endlich gab die Mutter den Startschuss und überreichte Jonas als erstes ein ziemlich großes Paket, das Jonas sogleich aufriss. Heraus kam ein riesiger Plüschbär, der größer war als Jonas selbst, der für seine fünf Jahre auch sehr klein war.
Als alle Geschenke von ihrer Hülle befreit waren, musste Jonas ins Bett. Es war auch schon spät für ihn, zehn Uhr! Glücklich schlief er ein und träumte die ganze Nacht von seinen Geschenken.
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Der Tag nach Heiligabend
Jonas wachte auf. Es war sechs Uhr morgens. Schnell schlüpfte er in seine blauen Pantöffelchen und in seinen ebenso blauen Bademantel. Er tappte ins Wohnzimmer und spielte mit seinen neuen Sachen. Um acht stießen seine Eltern zu ihm und setzten sich, mit einem Buch bewaffnet, unter die geschmückte Fichte.
Erst um neun gab es Frühstück.
"Heute gehen wir zu Oma", teilte Jonas' Mutter ihm beim Essen mit.
"Müssen wir?", maulte Jonas.
"Natürlich, und da gibt es gar keine Diskussion! Deine Großmutter ist krank, sie freut sich so, wenn wir kommen. Sie hat niemanden mehr außer uns und sie leidet so. Also gibt es da überhaupt keinen Widerspruch, verstanden?"
"Ja, Papa." Jonas schaute kleinlaut auf seinen Teller.
"Außerdem bekommst du dann ein Geschenk, Jonas", erinnerte seine Mutter ihn sanft. Bei diesen Worten hellte sich Jonas' Miene auf, die des Vaters verfinsterte sich.
"Wenn der Junge keinen Anreiz hat außer den Geschenken, die er dabei einsackt, hat das keine Zukunft", meinte der Vater.
Jonas sah seinen Vater mit großen Augen an. Er verstand den Vater nicht.
"Johann, bitte. Jonas kommt gern zu deiner Mutter, davon bin ich überzeugt. Er würde bestimmt auch gern kommen, wenn es kein Geschenk gäbe. Und jetzt reden wir bitte über etwas Erfreulicheres."
"Wir fahren in einer Stunde." Mit diesen Worten erhob er sich und verließ den Raum.
Katrin, seine ruhige Ehefrau, seufzte. Sie wusste, dass es eine schwere Zeit für ihren Mann war. Seine Mutter hatten keinen Lebensmut mehr. Sie musste oft ins Krankenhaus und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann ihr Körper genug hatte vom Leben.
"Jonas, hilf mir bitte, die Küche aufzuräumen. - Hast du ein Geschenk für Oma?"
"Ja, Mama! Ich hab' im Kindergarten einen Weihnachtsmann gebastelt!"
Mit diesen Worten beendeten die beiden ihr Frühstück und deckten den Tisch ab.
Weihnachtstag
Seit einigen Wochen war der kleine Jonas schon ganz aufgeregt. Der Grund: Weihnachten stand vor der Tür. Heute Abend schon würde Jonas das Geschenkpapier aufreißen dürfen!
Jetzt war es aber gerade mal zwei Uhr am Nachmittag. Die Eltern machten eine kurze Mittagspause und Jonas war in sein Zimmer verwiesen worden. Hier hatte er sich aus Lego eine Burg gebaut und spielte, wie ein armer Bauer vor den König trat.
Aber er konnte sich nicht recht auf sein Spiel konzentrieren. So ließ er es schließlich sein und warf sich aufs Bett. Von dort aus schaltete er den CD-Player ein und legte eine Kinder-CD auf.
Diese CD konnte ihn eine Stunde fesseln, doch länger hielt er es in seinem Zimmer nicht mehr aus. Er zog einfach das Kabel aus der Steckdose und lief in den Flur. Dort stand seine Mutter und telefonierte mit Jonas' Großmutter.
"Ich geh' raus!", rief Jonas, ohne auf das Telefongespräch Rücksicht zu nehmen, und zog seine Jacke an. Die Mütze über den Kopf gestülpt, den Schal um den Hals gewickelt, und in die Handschuhe geschlüpft. Noch die Winterstiefel zugemacht und raus ging es - doch hier erwartete Jonas eine große Enttäuschung: Der Schnee, der noch gestern die Landschaft geschmückt hatte, war geschmolzen. Jetzt kam zwar etwas vom Himmel, doch nicht mehr in Form von kleinen Kristallen, sondern in dicken Tropfen.
Eine Ahnung überkam Jonas - schnell rannte er in den kleinen Garten des Hauses.
Und da sah er die Bescherung: Die drei Schneemänner, die er am Vortag mühsam errichtet hatte, flossen auseinander.
In deren Anblick versunken bemerkte Jonas gar nicht die nette Nachbarin, die unter ihnen wohnte.
"Jetzt is der Schnee scho weg, nich wahr?", bedauerte sie den kleinen Jonas.
Der fuhr erschreckt herum und sah in das faltige Gesicht der Frau. Sie wohnte im Erdgeschoss, damit sie auf ihre alten Tage gut aus dem Haus kam.
Jonas nickte nur und zog enttäuscht wieder ins Haus ab. Er musste die Zeit bis abend wohl anders herumschlagen!
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Der letzte Besuch
Das kleine Auto der Familie bog in eine Parklücke am Straßenrand und hielt. Vater, Mutter und Sohn stiegen aus und betraten das Pflegeheim.
Sie steuerten auf das Zimmer mit der neun zu und klopfte an. Auf das schwache "Herein!" betraten sie das kleine Zimmer.Â
In einem Sessel saß eine alte Frau und wurde von einer Pflegerin mit Essen versorgt.
Ein Leuchten ging über das von Falten durchfurchte Gesicht der Frau. Lächelnd begrüßte sie die kleine Familie.
"Kommt herein und setzt euch!", forderte sie ihre einzig gebliebenen Verwandten auf.
Die Pflegerin jedoch setzte das Tablett ab und rauschte ohne ein weiteres Wort zur Tür hinaus.
Die Familie verbrachte einen schönen Tag bei der Großmutter, der es allerdings an diesem Tag sehr schlecht ging. Sie hatte einen Tumor im Kopf, der schnell wuchs.
Jonas' Oma drückte ihm diese Weihnachten, anders als sonst, nur ein paar Geldscheine in die Hand mit den Worten, er solle sich davon selbst etwas Schönes kaufen.
Eine traurige Nachricht
Am nächsten Tag spielte Jonas in seinem Zimmer.
Auf einmal kam seine Mutter herein. Sie hatte Tränen in den Augen und teilte Jonas mit, dass seine geliebte Oma vor zwei Stunden gestorben sei.
Jonas warf sich in die Arme seiner Mutter und weinte. Jetzt hatte er nur noch sie und seinen Vater!