Humor & Satire
Grüße nach Tscheboksary

Grüße nach Tscheboksary

DoktorSeltsams Reise ins Exil






© fleur 2012

Hallo, lieber Doktor Seltsam! Inzwischen bist du vermutlich in der Gesellschaft von Christian Wulff und zu Guttenberg mit der panamesischen Frachtmaschine in der Hauptstadt Tschuwaschiens gut gelandet, denn anders lautende Nachrichten der Medien haben uns bisher nicht erreicht. Es steht auch zu hoffen, dass ihr die sieben Kilometer vom Flughafen in die Stadt nicht zu Fuß zurücklegen musstet, bei Tagestemperaturen um -18°C (nachts auf -25°C absinkend)

und eisigem Wind von der Wolga her, dürfte das ziemlich unangenehm sein. Und möglicherweise wart ihr ja auch noch gar nicht diesem gefühlten sibirischen Klima entsprechend mit Walenki (Filzstiefeln), pelzgefüttertem Mantel und Schapka (Ohrenklappenmütze) ausgetattet.

Zu einigen Hotels soll es jedoch Shuttle-Verkehr vom und zum Flughafen geben… Wenn ich nur wüsste, wo ihr

untergekommen seid! Am besten würde sicher das „Iossif“ Superior Hotel**** in der Wolgogradskaya für euch passen, obwohl das Lupus Country Hotel**** an der Wolkowskaya Rosha (Wolfsschnauze) auch einen ganz passablen Eindruck macht, da gibt’s Appartments mit Kitchenette, falls euch die russische Küche mal zu schwer werden sollte … Doch da es direkt am Wolgaufer liegt, sollte man es sich gut überlegen, im Winter dort abzusteigen. Wenn nämlich der Fluss zugefroren ist, kommen die Wölfe

über das Eis, es soll keine Seltenheit sein, dass sie mit lautem Geheul dann auch in der Hotellounge auftauchen … Also, wenn dem so sein sollte, lieber Dok, halte dich immer schön im Windschatten von Wulff, der scheint irgendwie mit ihnen verwandt zu sein … Denn möglicherweise haben sie dich ja wegen der Gespensterstory über Transkaukasien zum Fressen gern … Wie dem auch sei, irgendwo werdet ihr ein angemessenes Logis gefunden haben… Und dich, lieber Dok, hat

womöglich dein erster Stadtbummel in die Kirche der Heiligen Tatjana geführt, um dem Nobelpreisträger Solschenizyn in memoriam eine Kerze anzuzünden … Bevor ihr dann weiter reist, um die Quellen des Tscheboksarsker Stausees zu erkunden, solltet ihr auf jeden Fall das Tschapajew-Museum besuchen, das ist ein absolutes Muss! Schließlich war Tschapajew ein berühmter Heerführer der Roten Armee im Bürgerkrieg und ist im "Großen Land" noch heute allerorts bekannt. Dafür sorgen schon die

vielen Anekdoten und Witze, die zu Sowjetzeiten über ihn, seinen Adjutanten Petka und die MG-Schützin Anna (die Haupthelden des legendären Tschapajew-Films) gerissen wurden… Was euch im Museum, mit dem alten Blockhaus, in dem er einst gewohnt hatte, erwartet, ist übrig gebliebener präsowjetischer Alltag… Ganz besonders spannend wird es allerdings im letzten Raum, dem Allerheiligsten sozusagen. Dort befinden sich zwei original erhaltene Skelette, ein großes und ein

kleines. Das große stammt von Tschapajew nach seinem Heldentod im September 1919, und das kleine stellt ihn als Kind dar, erfährt der staunende Besucher … Und wenn ihr mich jetzt des Plagiats bezichtigt, weil ihr diese Anekdote schon kennt, liebe Leser, dann lasst euch sagen, es ist ein weit verbreiteter Witz, den jemand vor Jahrzehnten in einem Leningrader Studentenwohnheim aufgeschnappt und mir weitererzählt hatte …