Romane & Erzählungen
Ein Leben - Ade Du mein lieb Heimatland

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"Ein Leben - Ade Du mein lieb Heimatland"
Veröffentlicht am 10. Dezember 2012, 8 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Ein Leben - Ade Du mein lieb Heimatland

Ein Leben - Ade Du mein lieb Heimatland

Ade Du mein lieb Heimatland

Ade du mein lieb Heimatland

 

Der eisige  Winter verabschiedete sich mit Macht. Durch die geöffneten Fenster zog der Duft des Frühlings. Der Forsythienbusch vor unserem Kinderzimmerfenster streckte seine goldblühenden Zweige der Sonne entgegen, deren Strahlen das Zimmer durchfluteten. Die Vögel zwitscherten fröhlich, ungeachtet des entfernten Kanonendonners. In diese friedliche Idylle platzte meine Mutter herein „Kinder, Kinder, beeilt Euch, macht  schnell !!  Packt alles zusammen, was ich Euch gestern gesagt habe.!! Wir  müssen weg !! Kreidebleich, mit zerzaustem Haar stand sie  in der Kinderzimmertür. Erschrocken schauten wir sie an. Sie hatte uns wohl am Vortage auf eine mögliche Abreise vorbereitet. Dass es aber so rasch sein würde !! Von der Straße her hörten wir aus dem geöffnetem Fenster Getöse    und aufgeregtes Rufen: „Der Russe steht vor der Tür.!! Beeilt euch, in einer halben Stunde fährt der letzte Zug ab !!“ Meine 5 Geschwister, mit denen ich gerade friedlich gespielt hatte, sprangen auf und hetzten wild durcheinander. Jeder versuchte die wichtigsten Teile, die ihm am Herzen lagen, in 2 bereitliegende Koffer und Taschen zu packen

Diese Geschichte erzählten mir später meine Geschwister, da ich aus dieser Zeit keine Erinnerungen mehr hatte.        

Mitten in den Wirren des 2. Weltkrieges  am 23. Mai 1943 bin ich als 6. Kind einer Kaufmannsfamilie in Posen im Warthegau geboren. Ich hatte noch 4 Schwestern und einen Bruder.

Unser Vater war im Krieg, und meine Mutter musste uns so recht und schlecht alleine durchbringen. 1945 kapitulierte Deutschland. Russland besetzte einige Teile Deutschlands und die jenseits der Oder-Neißegrenze liegenden Gebiete Deutschlands. Wir waren also gezwungen, die Heimat und unser Haus Hals über Kopf zu verlassen. So wurden damals 14 Mill. Deutsche heimatlos.

Meine Mutter griff nach mir, der Kleinsten ( ich war gerade 2 Jahre alt )zog mir eine Jacke über, ergriff einen schon gepackten Koffer und eine Tasche, und verließ hastig, meine 5 Geschwister im Schlepptau, das Haus. Jeder rempelte, stieß und drückte den Anderen weiter. „Hierher, „ rief Evi, meine große Schwester, Sie hatte sich mit ihren 12 Jahren durch die Menge gedrängt, und ihren 4 kleineren Geschwistern den Weg freigemacht. Und schon schloss sich die Menge hinter ihr. Meine Mutter nahm mich auf den Arm und reichte mich durch das Zugfenster. Womöglich hätte mich die Menge sonst totgetrampelt. Verzweifelt umklammerte ich meinen geliebten Spielzeughasen, strampelte mit den Beinen und schrie, wie  am Spieße. Ich wollte nicht von ihr weg. Wieder ein Pfiff, ein Mann schrie: „Weg vom Zug!!“ Mit einem Satz schaffte es meine Mutter noch aufzuspringen. Da fuhr der Zug schon an.

„Gott sei Dank, geschafft!“ Weinend nahm sie uns in die Arme, und versuchte uns zu erklären, dass wir nun zu unseren Großeltern nach Bautzen führen, um dort die  Heimkehr unseres Vaters zu erwarten.

Ich kannte meine Großeltern noch gar nicht. So war ich sehr gespannt auf sie. Da standen sie nun am Bahnhof, eine kleine alte Frau mit einem dicken Haarknoten am Hinterkopf und ein noch älterer kleiner Mann. Daneben, eine Schwester meiner Mutter, 'Tante Else, deren Brillengläser so dick waren, dass ich ihre Augen kaum sehen konnte. Wenn ich heute zurückdenke, erschienen mir meine Großeltern damals uralt, obwohl sie erst Mitte 60 waren. Aber lieb waren sie zu uns. Wir sollten erst einmal bei ihnen wohnen. Bis unser Vater eine neue Bleibe für uns gefunden hatte.

Großeltern zu haben, bedeutete eine neue Erfahrung für mich. Die Großeltern väterlicherseits hatte ich nicht mehr kennengelernt. Also genoss ich es, als Nesthäkchen von ihnen verwöhnt zu werden. Unser Opa war Tischler und er baute für die Kleinen eine Puppenstube. Die Zimmer darin wurden aufgeteilt und ich bekam die Küche. Vielleicht rührt schon meine Vorliebe für das Kochen aus dieser Zeit her. Sogar elektrisches Licht hatte die Puppenstube. Wir waren ungeheuer stolz auf unsere neue Errungenschaft.

 

Weihnachten kam dann auch unser Vater nach Hause. War das eine Freude !! So waren wir alle im Haus der Großeltern wieder vereint. Das Osterfest in Bautzen wird mir immer in Erinnerung bleiben. Sonntags morgens hieß es Eierstiepen. : . Am Vortage wurden schon kleine Birkenreiser zu einer Rute  zusammen gebunden. Mit diesen Ruten schlichen wir am Sonntagmorgen dann leise ins Schlafzimmer unserer Eltern  und schlugen auf sie ein  mit den Worten : „Stiepe, Stiepe Osterei, gibst du mir kein Osterei, dann stiep ich dir das Hemd entzwei.“  Man kann sich vorstellen, wie das Bett nach 6 Osterruten hinterher aussah. Unsere Eltern griffen dann schnell in die Nachttischschublade, wo sie für jeden etwas Süßes hervor zauberten. Dann ging es zu den Osterreitern. Es lebte in Bautzen eine sorbische Minderheit, die am Ostermorgen mit Zylindern auf dem Kopf auf prächtig geschmückten Pferden, in sorbischer Sprache Kirchenlieder singend, durch die Stadt ritten. Was war das für ein prachtvolles Schauspiel. Dann gab es noch das Eierschieben. Von einem bestimmten Berg, wir nannten ihn den Eierberg, wurden von wohlhabenden Leuten für die Kinder der Stadt, Obst, Süßigkeiten und natürlich Ostereier runtergekullert. Mich ließ man leider nicht mitmachen, ich war noch zu klein dazu. So gab es doch noch Tränen am Ostertag.   

 „Mami, Mami, komm bald wieder !! Wir Kinder umringten unsere Mutter, die mit Hut und Mantel im Begriff war, das Haus zu verlassen. Diesen Traum hatte ich jahrelang, mit dem Bewusstsein, dass so der Abschied von meiner Mutter gewesen sein muss. Doch Jahre später klärten mich meine Geschwister auf, dass es keinen Abschied gegeben hat.

Meine Mutter war wieder schwanger geworden. Da der Arzt ihr nach meiner Geburt weitere Kinder verboten hatte, ging sie zu einer sogenannten Engelmacherin. Das war eine von den Frauen, die für Geld, Abtreibungen vornahmen. Offizielle Schwangerschaftsabbrüche gab es damals noch nicht. Meine Mutter hat es nicht überlebt und ließ 6 Kinder mutterlos zurück. Sie wurde nur 37  Jahre alt !!  „

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Brigitte

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Brigitte Re: -
Zitat: (Original von schnief am 15.07.2013 - 15:15 Uhr) Erst die Flucht und dann auch noch die Mutter verloren,nur wegen solch einem dummen Gesetz.
Habe sie zum zweiten mal gelesen und konnte mich noch genau an die Geschichte erinnern. Klasse geschrieben
LG
Schnief

Ja liebe Schnief, damals war das Jahr 1945. Der 2. Weltkrieg war zu Ende. Legale Abtreibungen gab es damals überhaupt nicht . Da hätte kein Arzt überhaupt gewagt, so etwas zu tun. Es war eben eine andere Zeit. Ich danke Dir daß Du so Anteil an meinem Leben nimmst. Liebe Grüße Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
schnief Erst die Flucht und dann auch noch die Mutter verloren,nur wegen solch einem dummen Gesetz.
Habe sie zum zweiten mal gelesen und konnte mich noch genau an die Geschichte erinnern. Klasse geschrieben
LG
Schnief
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Re: eine schöne Erzählung -
Zitat: (Original von mariot am 08.07.2013 - 15:15 Uhr) ein lieber Gruss aus dem heissen Wien
schönen Tag wünsche ich dir

niki

Ach Niki, jetzt fängst Du ja ganz von vorn an.Das freut mich aber besonders.
Danke für den Kommentar. Ich wünsche Dir einen zauberhaften Abend. LG Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Re: liebe brigitte -
Zitat: (Original von derrainer am 08.07.2013 - 15:11 Uhr) die flucht überlebt und dann doch gestorben,
traurige schicksale , diese passieren immer noch auf dieser welt.
engelsmacher sie gab es auf den dörfern ,
glücklichweise ist vieles besser geworden.
eine lebensgeschichte , die aber auch positives brachte .
gern gelesen
lieben gruß rainer

Danke lieber Rainer , daß Du in meine Lebensgeschichte rein geguckt hast. Ja, die Mütter haben damals viel aushalten müssen durch diesen unsinnigen Krieg. Ich wünsche Dir noch einen schönen Abend. LG Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Re: -
Zitat: (Original von Brigitte am 08.07.2013 - 14:58 Uhr) Meine liebe Enya, das freut mich aber besonders, daß Du Dich über meine Lebensgeschichte hergemacht hast. Ich habe sie eigentlich damals nur geschrieben, weil eine Freundin aus Kassel ein Buch über das Leben verschiedener Frauen schreiben wollte, und mich bat, doch mein Leben mal aufzugliedern. Sie war so begeistert davon . Ihr Buch ist nie entstanden, somit aber meine Lebensgeschichte. Für meine Kinder und anderen Nachfahren wird sie sicher einmal interessant sein. Und ich hoffe, daß es auch Dir einige Abwechslung bringt. Ich schicke Dir ganz liebe Grüße Brigitte



Liebe Brigitte,
ich finde es prima, dass du es aufgeschrieben hast. Neben persönlichen Erinnerungen ist so etwas ja auch ein wenig Zeitzeugnis.
meine Kinder sind immer ganz begierig aus meinem Leben oder dem ihrer Großeltern etwas zu erfahren.

Lieben Gruß
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
derrainer liebe brigitte - die flucht überlebt und dann doch gestorben,
traurige schicksale , diese passieren immer noch auf dieser welt.
engelsmacher sie gab es auf den dörfern ,
glücklichweise ist vieles besser geworden.
eine lebensgeschichte , die aber auch positives brachte .
gern gelesen
lieben gruß rainer
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Meine liebe Enya, das freut mich aber besonders, daß Du Dich über meine Lebensgeschichte hergemacht hast. Ich habe sie eigentlich damals nur geschrieben, weil eine Freundin aus Kassel ein Buch über das Leben verschiedener Frauen schreiben wollte, und mich bat, doch mein Leben mal aufzugliedern. Sie war so begeistert davon . Ihr Buch ist nie entstanden, somit aber meine Lebensgeschichte. Für meine Kinder und anderen Nachfahren wird sie sicher einmal interessant sein. Und ich hoffe, daß es auch Dir einige Abwechslung bringt. Ich schicke Dir ganz liebe Grüße Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Welch eine Geschichte... - Erinnerungen an die frühe Kindheit, wo du Trauriges, aber auch Schönes erleben durftest.

Es ist sehr arg, so früh die Mutter zu verlieren und die Zeiten waren grausam - nicht nur, dass der Krieg so vieles zerstört hat, Familien auseinander gerissen, heimatlos gewordene Menschen, die ganz von vorn anfangen mussten, all die schrecklichen Erlebnisse... nein, die gesellschaft zwang Frauen dann auch noch, Abtreibungen auf so furchtbare Weise durchführen zu lassen.

Sehr schön sind deine Ostererinnerungen und ich habe wieder einiges bezüglich verschiedener Bräuche gelernt.
Gut auch, dass du deine Großeltern kennen lernen durftest, ich denke, sie sind einfach wichtig für ein Kind.
Mein Großvater hat mir übrigens auch einmal eine Puppenstube gebastelt.

Sehr gern gelesen und ich freue mich auf die weiteren Teile.
lg
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
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