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"Auf Rehwildjagd mit Jesus"

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""Auf Rehwildjagd mit Jesus""
Veröffentlicht am 08. Dezember 2012, 16 Seiten
Kategorie Sonstiges
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"Auf Rehwildjagd mit Jesus"

"Auf Rehwildjagd mit Jesus"

Beschreibung

Meldungen aus dem amerikanischen Klassenkampf

Auf Rehwildjagd mit Jesus

Rezension_Rehwildjagd

Meldungen
aus dem amerikanischen Klassenkampf

„Auf
Rehwildjagd mit Jesus“ / Joe Bageant

Buchtipp von
Harry Popow

Das
nenne ich Glück - das Erlebnis des Ensembles Cirque du Soleil (Im Zirkus der
Sonne). Du fühltest dich wie in eine andere Welt versetzt, gleichsam auch
emporgehoben. Wieviel menschliche Leistungsfähigkeit, Akrobatik, Schwung,
anmutige Leichtigkeit, begleitet von einer Musik-Produktion, die sich laut
Programmheft u.a. von den Beatles inspirieren ließ, von herrlichen Farben, von
tollen Lichteffekten. Ein Kunstwerk, was wohl mehr Sehnsucht nach
Menschlichkeit nicht ausstrahlen kann. Das Schöne, die Grösse des Menschen
wirbelte den vor Beifall tobenden Zuschauern entgegen. Im Programmheft steht: „Der
Cirque du Soleil macht sich Gedanken über die Welt von morgen und richtet sein
Engagement vor allem auf den weltweiten Kampf gegen die Armut.“ Das trifft
nicht nur die Amüsier- und Spassstrecke der Zuschauer, sondern gleichermaßen deren
Hirn und Herz, stimmt nachdenklich. Fragt sich, wie weit ist der reale Weg vom
Zirkus zur Welt der Sonne?

 

Dazu
hat der amerikanische Autor Joe Bageant (1946-2011) etwas zu sagen. In seinem  Buch „Auf Rehwildjagd mit Jesus“ beschreibt er
ebenfalls eine Welt – allerdings mit weniger Sonne, eine Welt, die uns in
Europa nicht so fremd sein dürfte. Die Größe des Autors: Er besingt förmlich
die Schönheit des Menschen, seine Sehnsucht nach Erfüllung und Frieden,
abzulesen an den Schicksalen derjenigen, die der Autor in seinen acht Essays
vorstellt, darunter eine Karaoke-Sängerin, eine Putzfrau, ein Vorarbeiter, eine
Hühner-Schlacht-Gehilfin, ein Folter-Girl oder die verarmte Witwe eines
Kurzstrecken-Truckers. Er webt deren Leben ein in die gesellschaftlichen
Umstände, in die Widrigkeiten dieses so gelobten Landes, in die angeblich
„klassenlose Gesellschaft“. Das alles beschreibt er mit einem gekonnten
Schreibstil, mit Liebe, mit Wärme für die Benachteiligten dieser
kapitalistischen Gesellschaft, Spannung inklusive.

 

Auf
Seite 27 bekennt er: Ich möchte dem Leser „das Leben der amerikanischen
Arbeiter näherbringen, näher, als dies unsere Medien jemals tun würden.“ Sarkastisch
beantwortet er sich die Frage, was ihn berechtigt, sich derart
gesellschaftskritisch zu äußern: „Eigentlich nichts, bis auf die Tatsache, dass
ich der eingeborene Sohn eines Landes von Arbeitern bin, das auf den Hund
gekommen ist.“

 

Joe
Bageant – einer, der das Schuften und Mühen Auge in Auge mit der Arroganz der
links-liberalen Elite kennengelernt hatte: Als Marinesoldat, Arbeiter, Journalist,
Pferdezüchter, Kneipenwirt, Redakteur, Mitwirkender in Sendungen des Radio und in
Dokumentarfilmen und im Internet.

 

Gerade
deshalb wird der Autor bissig und wütend, wenn er ganz unbarmherzig die
sozialen Zustände dieses großen Amerika anprangert, aufdeckt, entlarvt. Ja, er
reißt förmlich die Maske herunter von dem angeblich so tollen auf hohem Pferd
sitzenden Amerika. Der oft propagierte „Amerikanische Traum“ bekommt – nicht
erst jetzt – einen gewaltigen Kratzer.

 

Den
Titel des Buches könnte man nach dem ersten Lesen bereits abwandeln: Mit der
Waffe in der Hand und Jesus im Kopf verteidige ich mein arg geschütteltes
Vaterland. In den acht Kapiteln berichtet der Autor u.a. von den Konsequenzen
der Globalisierung für die Einwohner einer Stadt, von der Abzockerei beim
Erwerb von mobilen Eigenheimen, vom Waffenkult, vom tiefen Glauben an Gott, von
den Verwerfungen im Gesundheitswesen. Und, und und…

 

Dem
Autor geht es vor allem um das untere Drittel der amerikanischen Gesellschaft,
Menschen, „die sich wie folgt beschreiben lassen: konservativ, politisch
fehlinformiert oder passiv und patriotisch, auch wenn es zu ihrem eigenen
Schaden ist.“ Viele glauben noch an den Amerikanischen Traum, der sich
„ausschließlich über Geld definiert“. (S. 60) Dieser Traum besage auch, „unsere
aus dem Bauch kommenden, uninformierten Meinungsäußerungen seien so etwas wie
ungeschminkte und fundamentale politische Wahrheiten.“ (S. 231) Es fehle die
„Befähigung zum kritischen Denken“, schreibt der Autor auf Seite 287.

 

Als
ein Mensch, der komplex denken gelernt hat, erwähnt er dabei zunächst auch die „Errungenschaften“
dieses Amerika, z.B.: Cineplex-Kinos, Outlet Stores, dreistöckige Straßen,
extragroße Wegwerf-Bierdosen Hummers, Honda, Game Boys,
Dale-Earnhardt-Gedenk-Dampfkochtöpfe … „die ganze dynamische, blinkende,
digitale Phantasmagonie.“

 

Arbeitslosigkeit?
Die nationale Mythologie (S. 35) propagiere Amerikaner, die „schrecklich
gesund, gebildet, reich und glücklich sind.“ Der Autor setzt dagegen: Mit mindestens
19 Millionen Arbeitslosen oder arbeitenden Armen unter den Weißen habe man es
zu tun, wobei der gewiß höhere Prozentsatz bei den Schwarzen liege. Die Armen
und die an der Armutsgrenze angesiedelten Arbeiter unter den Weißen bewegen
sich, so der Autor, „analog zu den Schwarzen und Latinos, die in Ghettos ums
Dasein kämpfen, innerhalb einer mit einer Sackgasse vergleichbaren sozialen
Matrix, bei der ein Scheitern vorprogrammiert zu sein scheint.“ (S. 19) Den
Blick auf die Arbeiterklasse richtend, stellt Joe Begeant resignierend fest:
„Die Krise, in der die Arbeiterschaft steckt, ist ebenso schrecklich wie
unspektakulär. Die Passivität der Arbeiterklasse, ihre Abneigung gegenüber
allem, was sie für zu intellektuell halten, und ihre Aggressivität gegenüber
der Welt“ würden sich bereits zu Hause und in der Grundschule bemerkbar machen.
(S. 46)

 

Die
Folge: „Eine lausige Bildung und ein Leben in der Gladiatoren-Arena einer
Marktwirtschaft, in der jeder gezwungenermaßen gegen jeden kämpft, sind
ungeeignete Voraussetzungen, um Grundeinstellungen wie Optimismus oder
Unvoreingenommenheit zu entwickeln, die den Liberalismus kennzeichnen.“ Ein
solcher Hintergrund, meint der Autor, münde in einer Art von düsterer Grobheit
und emotionaler Verrohung. Sie führe dazu, dass die betroffenen Arbeiter Kriege
des amerikanischen Imperiums hinnehmen, „ohne auch nur mit der Wimper zu
zucken.“ (S. 87) Was Wunder, wenn die mitunter sehr gottgläubigen Menschen darauf
hören, was die radikale christliche Konservative predigen, „dass Frieden
niemals zur ersehnten Wiederkunft Christi führen kann und dass jeder, der sich
um Frieden bemüht, ein Werkzeug Satans ist.“ (S. 186)

 

Unter
dem Dach des peitschenschwingenden Großunternehmentums (S. 294) entpuppe sich
die viel gepriesene amerikanische Freiheit größtenteils als Fiktion. (S. 295)
Die Kultur basiere auf Fernsehen und Öl. (S. 294) Das Fernsehen entmündige den
amerikanischen Durchschnittsbürger, indem es ihm „die politische und
intellektuelle Sphäre aus den Händen nahm.“ (S. 296)

 

Ohne
Bildung, meint Joe Bageant, könne sich nichts ändern. Und dann haut er wieder
einen sehr persönlichen Satz rein, der ihn ebenfallls sympathisch macht: „Was
meine Leute wirklich brauchen, ist jemand, der einmal ordentlich auf den Tisch
schlägt und laut und verständlich sagt: ´Hört mal zu, Ihr verdammten
Büffelhörner! Wir sind blöder als ein beschissener Hackklotz und hätten dafür
sorgen sollen, dass man uns was beibringt, damit wir wenigstens ein bisschen
kapieren, was in dieser beschissenen Welt abläuft.´“

 

Auswege? An
die Linke gewandt mahnt er, echte Bewegungen sollten das Protestpotenzial, das
unter unzufriedenen und enttäuschten Leuten vorhanden ist, für ihre Ziele im
Interesse der Menschen nutzen. (S. 99) Sein persönliches Fazit drückt der Autor
auf Seite 213 so aus: „Ich warte begierig darauf, dass mein Streben nach einer
besseren Gesellschaft endlich Früchte trägt…“

 

Alles
in Allem: Das Buch ist eine politisch-soziale Fundgrube, auch wenn vieles
bekannt ist. Aber nach dem Lesen dieser gesellschaftskritischen Arbeit ist
einem die amerikanische Seele näher gekommen. Das liegt auch an der sehr
gründlichen Recherche durch den Autor, seinen zahlreichen Konsultationen mit
Freunden und Wissenschaftlern. Fremdwörter, spezifischen Vokabeln aus der
amerikanischen Geschichte, findet man in den Anmerkungen wider.

 

Amerika in
diesem interessanten und aufschlußreichen Buch - welch ein Erkenntnisgewinn! Dass
der bundesdeutsche Leser manches wiedererkennen wird beim Lesen an Zuständen in
seinem eigenen Land mag durchaus kein Zufall sein. Solch einen Spiegel vor der
Nase möchte man da rufen: „Ach wie gut, dass niemand ahnt, dass wir gar nicht
soweit weg sind vom gelobten Land…“ Cirque du Soleil!! Was heißen soll „Im
Zirkus der Sonne“. Der Weg ist noch weit von diesem herrlichen Zirkus zu einer Welt
der Sonne…

 

Joe
Bageant: „Auf Rehwilsjagd mit Jesus“, gebundene Ausgabe: 350 Seiten, Verlag: VAT Verlag André Thiele; Auflage: 1 (9. Oktober 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3940884928, ISBN-13: 978-3940884923, Originaltitel: Deer Hunting with Jesus. Dispatches from America's Class War
, Größe und/oder Gewicht: 21,4 x
13,2 x 2,4 cm

 

Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung

 

Mehr
über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

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