Muss man erst sterben um in den Himmel zu kommen?
Daheim musste Nicolas Mom dann natürlich von dem Typen erzählen. Sie wurde richtig sauer dass ich überhaupt mit solchen Typen redete. Aber auch Nicolas schimpfte sie zusammen, da er ihm wahrscheinlich die Nase gebrochen hatte. Ich könnte Nicolas zutrauen dass er es auch Dad verklickern würde. Das wäre dann aber keine so tolle Einleitung in unser Gespräch. Ich freute mich gar nicht darauf. Aber weiter hinauszögern wollte ich es auch nicht mehr. Das schob ich nun schon 2 Jahre vor mir her.
Immer schon wollte er mit mir darüber reden, aber ich sagte immer: "Habe ich schon mit Mom drüber geredet." Erst jetzt wusste ich dass er nicht ruhe geben würde, bevor ich nicht auch mit ihm darüber geredet hatte.
Am Wochenende ging ich zu ihm. Nicolas blieb daheim. Dad begrüsste mich ziemlich erstaunt: "Enya! Was machst du denn hier?"
Ich zuckte mit den Schultern: "Ich wollte dich mal wieder besuchen."
Er nickte und atmete tief durch: "Ich möchte mit dir reden. Bitte setze dich."
Ich setzte mich auf einen der Küchenstühle die quer im Wohnzimmer verstreut waren. Mein Dad nahm sich einen Stuhl und setzte sich gegenüber von mir. Er fing an: "Du ahnst wahrscheinlich worüber ich mit dir reden möchte?"
Ich nickte: "Es musste ja so kommen."
Er nickte: "Ich möchte einfach dass du wirklich alles verstehst."
Ich blockte ab: "Ich muss ja nicht alles so genau wissen, oder?"
Er nickte lächelnd. Dann fing er an: "Ich möchte einfach nicht dass du zu früh damit anfängst. Du weisst ja..."
"Wie das mit dir und Mom geendet hat. Aber damals gab es wahrscheinlich keine so guten Verhürungsmethoden Dad."
"Ja. Wenn du irgendetwas brauchst."
"Dad!"
"Schon gut. Ich sag ja nix. Ich wäre nur froh wenn du es nicht so schnell an gehen würdest."
"Ja, ja."
"Oder, wenn du es schon... Dann nicht so... wie soll ich sagen? Dass du nicht so eine Nutte wirst."
"Daad!"
"Okay, okay. Ich..."
"Ich habs begriffen. Nicht so schnell angehen."
"Also hast du noch nicht..."
"Ich bin noch Jungfrau Dad!"
"Okay. Dann bin ich ja beruhigt. Mit 15 wäre das ja auch noch etwas Jung, finde ich."
"Ja, ja. Finde ich auch. Kannst du mich jetzt bitte nicht mehr damit nerven?"
"Na gut. Aber wenn du über irgendwas reden willst..."
"... Gehe ich zu Mom."
"Zum Glück."
"Und was jetzt?"
"Möchtest du mein neuestes Bild sehen?" Zur erklärung: Mein Vater war Maler. Er malte gut, und verdiente viel. Sein letztes Bild hatte er für 10 Riesen verkauft. Er malte meistens Tiere, die am Schluss eher wie Kirchen aussahen. Aber das war das beliebte an seinen Bildern. Ich hatte selber ein paar in meinem Zimmer hängen. Aber ich selber fand sie nicht sehr besonders.
Er lief also in den Keller und kam bald darauf mit einem noch feuchten Bild hinauf. Es sollte wahrscheinlich ein Insekt darstellen, aber es war eher eine Moschee. Dad zeigte mir ausserdem einen selbstgemachten Rahmen, den er für das Bild verwenden wollte. Er sah ziemlich gut aus und passte zu dem Bild.
Ich nickte um meine Zustimmung zu zeigen: "Es gefällt mir. Sieht gut aus."
"Danke."
Ich sah kurz auf mein Handy und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Dad: "Also, ich muss jetzt gehn. Es ist schon spät..."
Er liess mich nicht ausreden: "Und du hast ja auch Termine. Natürlich. Aber komm mich doch bald wieder besuchen, ja?"
Ich nickte: "Jetzt lässt du aber bitte das Thema fallen."
"Mit Vergnügen."
Ich umarmte ihn kurz, dann lief ich hinaus. Es war ein sonniger Tag und ich beschloss den langen Weg entlang dem See zu nehmen.
Ich überquerte ein paar Strassen mit viel Verkehr und ging ein schmales Gässchen lang.
Dann sah ich das glitzernde Wasser des Sees. Ich ging in Richtung Bahnhof. Auf dem Weg kamen mir einige verliebten Pärchen entgegen. Sie sahen alle so glücklich aus. Im Gegensatz zu mir. Ich schlenderte weiter. Es war doch keine so gute Idee gewesen hier lang zu gehen, jetzt war ich total depri. Aber ändern konnte man es ja auch nicht mehr.
Ich sah in die glitzernde Sonne. Mir wurde warm und schwummrig zumute. Es war mitte März und das Wasser war noch kalt. Ich liess mich in die Dunkelheit fallen. Da ertönte ein Aufschrei und ich wurde von zwei starken Armen aufgefangen.
Ich schlug die Augen auf und sah ihn ein wunderschönes Gesicht. Der Junge der mich aufgefangen hatte, hatte Haselnussbraune Augen und mahagonifarbenes Haar. Er hatte ein Baseballcap auf, sah aber sonst ganz akzeptabel aus. Er erinnerte mich an Nicolas.
Ich musste fassungslos aussehen, denn er grinste: "Gehts wieder?"
Ich schluckte und nickte: "Ja, danke."
Immernoch grinste er: "Keine Ursache. Es wär nicht gut rausgekommen wenn du ins Wasser gefallen wärst."
Ich machte mich sanft, aber bestimmt los um wieder auf eigenen Beinen stehen zu können: "Ja, ich weiss." Er inspizierte mich gründlich. Es fiel mir auf: "Was ist denn?"
"Geht es dir ganz bestimmt gut? Du bist plötzlich umgekippt. Vorher gings dir doch noch gut?"
"Wie meinst du das?"
"Als ich vorher an dir vorbeigelaufen bin sahst du noch ganz normal aus."
"Wieso bist du umgedreht?"
Er musste grinsen und wurde etwas rot: "Du bist nicht gerade hässlich."
Ich lachte los: "Danke."
"Wie heisst du?"
"Enya."
"Hübscher Name. Ich heisse Eric."
"Auch ein schöner Name."
"Danke. Wohin gehst du?"
"Zum Bahnhof."
"Soll ich dich begleiten? Es wäre nicht schön wenn du noch einmal umkippst."
"Gerne."
Wir schlenderten zusammen den Weg zum Bahnhof. Jetzt ging es mir schon viel besser. Eric lief zwischen mir und dem Wasser. Als wir nach einer Weile am Bahnhof angekommen waren sah ich auf den Plan. "Gleis 4", murmelte ich. Eric fragte: "Wo musst du hin?"
"Gleis 4. Sag ich doch!"
Er lachte schallend los und sah auf den Plan. Dann nickte er: "Da wohnt mein Onkel."
Ich lächelte: "Echt? Meine Mutter wohnt dort. Mein Vater hier."
"Sie sind getrennt?"
"Ja. Schon seit einiger Zeit."
"Das tut mir leid."
"Schon gut. Ist besser so."
"Wie wärs, ich fahr mit dir dort hin."
"Das wäre cool. Bekommst du dann keinen Ärger?"
"Ach, meine Alten sind nicht so pingelig deswegen. Sie mögen Onkel Tommy recht gern."
"Na dann." Wir waren inzwischen am Gleis angekommen und stiegen in den schon seit einer Weile stehenden Zug ein. Gleich darauf fuhr er los.
Wir setzten uns nebeneinander auf zwei Sitze. Er schlang den einen Arm um mich und ich lehnte mich an ihn. Es war ein schöner Tag gewesen und schon bald war ich eingeschlafen.
Ich konnte nicht sagen wie lange es her war seit ich das letzte Mal die Augen offen hatte, aber als ich sie dieses Mal öffnete, war ich schon draussen. Eric sah lächelnd auf mich hinab. Ich lag in seinen Armen auf einer Parkbank. Diese kannte ich recht gut. Früher sassen meine Freundin und ich nach der Schule immer dort und machten Hausaufgaben, oder lachten uns über irgendwelche Typen kaputt.
Jetzt lag ich da, Erics Schoss unter meinem Kopf. Plötzlich kam Andri wieder angelaufen: "Hey Enya! Was machste heute noch süsse?"
Ich seufzte und erwiderte: "Halt deine Fresse."
"Oh, so solltest du nicht zu deinem Freund reden."
"So rede ich ja auch nicht zu meinem Freund."
Er sah kurz zu Eric: "Er ist dein Freund, hä?"
Eric mischte sich ein: "Und wer bist du?"
"Andri. Ihr Ex-Freund."
Eric sah zu mir. Ich schüttelte grinsend den Kopf: "Nein. Nein, ist er nicht."
Aber plötzlich war alles weg. Es wurde alles weiss und es tauchte ein gigantischer Kopf auf. Er war bärtig, sah aber sehr eindrucksvoll aus. Ich sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an. Er lächelte und sagte: "Du bist Enya. Das Wasser des Lebens."
"Woher wissen sie was das bedeutet?"
"Ich weiss von allen was sie bedeuten."
"Wieso?"
"Sonst hab ich ja nix zu tun"; er lachte los, und ich lächelte.
Ich sah mich genau um, aber es war alles weiss: "Was mach ich jetzt hier? Ich war doch grad noch bei Eric und Andri?"
"Du wirst etwas für mich tun."
"Und was?"
"Du wirst einige Aufträge erfüllen."
"Okay."
"Du weisst wer ich bin?"
"Vielleicht Jesus?"
"Nicht ganz."
"BITTE WAS?"
"Ich bin Gott."
"Das sagste einfach so."
"Ja, mach ich. Kam immer gut an."
"Immer?"
"Immer wenn ich jemanden in einen Engel verwandle."
"BITTE WAS?"
"Vielleicht sollte ich es dir erklären."
"Ja, wär nicht schlecht."
"Also eben, du wirst Aufträge für mich erledigen."
"Wieso?"
"Du hast eine reine Seele."
"Wie eine reine Seele?"
"Du rauchst nicht, u.s.w."
"Achso. Und was für Aufträge sind das?"
"Du wirst zum Beispiel liebende zusammenbringen."
"Aha."
"Du wirst bei Eric anfangen."
"Bei den wo ich gerade war?"
"Ja."
"Und, ähhm, mit wem?"
"Eigentlich sollte ich dir das nicht sagen, aber das erste mal sag ich es dir. Als Willkommensgeschenk sozusagen. Du wirst ihn bitte mal mit dir zusammenbringen. Ich weiss es Kleine."
"Oh mein Gott."
"Hey!"
"Sorry."
"Los."
"Wie komme ich wieder zu Eric?"
"Indem du fliegst."
"Hä?"
"Schau mal hinter dich."
Ich sah mich um und sah, direkt hinter mir, zwei grosse, weiche, federige, goldige Flügel. Sie waren wundervoll, und ich spürte sie sogar ein wenig. Ich bewegte sie sachte, und gleich schon stieg ich in die Luft. Ich staunte: "Wie soll ich die verstecken?"
"Du kannst sie unsichtbar machen. Für Halloween sind sie ganz hübsch. Und du kannst weit damit fliegen. Jetzt mach dich auf den Weg. Wenn du es geschafft hast wirst du automatisch zu mir gebeemt."
"Cool."
"Ja. Mach dich auf den Weg."
Ich stieg in die Höhe und fand mich gleich darauf in blauem Himmel wieder. Unter mir waren buschige weisse Wolken. Ich stürzte kopfüber in die Tiefe und flog über die Häuser hinweg. Den Weg wusste ich tief in meinem Innern auswendig. Schon bald war ich entlang dem Eifeltumr geflogen und auch schon wieder bei Eric. Ich versteckte meine Flügel und lächelte ihn an. Er lächelte zurück, Andi stapfte gerade davon. Eric fragte: "Du solltest heim gehen. Es ist spät."
"Ja. Gehen wir." Er nahm meine Hand und wir liefen den Weg zu dem Haus meiner Mutter. Dort angekommen standen wir etwas unbeholfen vor der Türe. Ich setzte alles auf eine Karte und schlang die Arme um ihn. Er ahnte es schon und schlang seinerseits seine Arme um meine Hüften. Dann zogen wir uns an einander und unsere Lippen berührten uns. Da sich Gott wohl noch etwas Zeit zu nehmen schien, verabschiedete ich mich und ging hinein. Nicolas rief: "Wo warst du so lange?"
"Bei Dad!"
"Du bleibst nie so lange bei ihm!"
"Ich habe mit ihm geredet."
"Gut. Sonst noch etwas?"
"Ich wurde etwas aufgehalten."
"Das habe ich gesehen."
"Wie du hast es gesehen?" Nachdem ich es kapiert hatte wusste ich es schon.
Er nickte, da er heruntergekommen war: "Ja. Seit wann?"
"Ich habe ihn heute kennengelernt."
"Das ist nicht dein Ernst!"
"Doch."
"Du schleppst also gleich jeden ab den du kennen lernst?"
"Du bist so ein Idiot!" Ich stapfte hoch. Oben angekommen wurde schonwieder alles weiss. Da dran würde ich mich erst noch gewöhnen müssen, dachte ich. Wieder sah ich den gigantischen Kopf vor mir auftauchen. Er grinste: "Das ging ja flott."
Ich nickte: "So schwer war das nicht."
"Du hast viel Selbstbewusstsein."
"Das ist mir nichts neues."
"Als nächstes kommen Herr und Frau Trotz. Sie sind seit langem verheiratet und für einander bestimmt, aber ein Streit droht alles zu zerstören."
"Wo finde ich sie?"
"Du wirst ihnen über den Weg laufen. Ein altes Pärchen und immer gleich angezogen. Wenn du sie siehst, wirst du sie erkennen."
"Okay."
"Und jetzt geh. Ich habe zu tun."
"Ja Mister." Ich stieg in die Lüfte empor um mich gleich darauf wieder in einem rasanten Sturzflug wieder zu finden. Ich flog durch das Fenster in mein Zimmer und liess mich auf mein Bett fallen. Es krachte und ich versteckte hastig meine Flügel, bevor mein Bruder hereingestürzt kam: "Was ist los?"
"Nichts. Wieso?"
"Es hat geklungen als würde dein Schrank umkippen."
"Ich hab mich nur auf mein Bett fallen lassen."
Er grinste und kniff mich leicht: "Vielleicht solltest du etwas abnehmen."
"Du bist wirklich das Letzte, weisste?" Ich kniff ihn zurück und grinste ebenfalls. Vielleicht würde ich ihm ja auch einmal helfen seine Liebste zu finden?