Ein 65. Geburtstag
Es war ein wunderschöner Tag. Die Sonne lachte am Himmel. Kein Wunder , denn Linette, meine kapriziöse, französische Freundin mit ihrem unnachahmlichen Akzent hatte Geburtstag. Überschwänglich begrüßte sie mich. Sie freute sich riesig, hatte ich doch schon seit Jahren versprochen, sie auch mal zu besuchen.Aber seitdem sie Bremen verlassen hatte und sich in Niedersachsen eine Wohnung gesucht hatte, war mir der Weg immer zu kompliziert erschienen. Nun aber hatte sie mir die passende Busverbindung heraus gesucht, und mit einiger Verspätung, der Bus hatte die Haltestelle falsch angegeben, konnten wir uns nun doch noch in die Arme schließen. Der Kaffee dampfte schon auf dem Tisch und der Pfirsich und Erdbeerkuchen sahen sehr einladend aus
Heute wollte sie mich doch einmal mit ihren anderen Freunden bekannt machen. Gespannt wartete ich nun auf die Dinge, die da kommen sollten. Und Sie kamen ---
Linette hatte schon so viel von Rosi erzählt, der der Ruf vorauseilte, schon mehrere ihrer Männer überlebt zu haben.
Nun wurde ich vorgestellt. Selma war eine attraktive Endfünfzigerin, Rose in den 70 ern und schließlich ein Herr, der sich als Goethe vorstellte, wobei der Name nun wirklich nicht zu ihm passte. Stöhnend , wahrscheinlich der steilen Treppe wegen ließen sie sich nach der Begrüßung in die Polster von Linettes gemütlicher Couch fallen.
„Rosi, nun zeig mir mal Deinen Ballen“ Selma stieß ihre Nachbarin an. Rosi kam sofort der Aufforderung nach , und beide Damen verglichen, ungeachtet meines Beisein miteinander ihre Füße, wobei Selma sogar den lateinischen Namen ihres Ballen wußte. Ich glaube, sie nannte ihn Hallux oder ähnlich. Wolli, wie sie den Herrn Goethe nannten, verzog keine Miene dabei. Wahrscheinlich war er so etwas schon gewohnt. Ich wusste nicht so recht zu welcher Dame er wohl gehörte. Er saß zwischen den Beiden auf der Couch.
„Nanu“ dachte ich, bin ich hier auf einem Geburtstag oder einem Fußpflegekongress.
Gut dass Linette nun aus der Küche erschien und zu Tisch bat. Womöglich hätte ich mir sonst noch sämtliche Fußkrankheiten anhören müssen.
Rosi nahm mich jetzt etwas näher in Augenschein und stieß einen spitzen Schrei aus. „Sie habe ich doch schon mal gesehen, kennen wir uns nicht von irgendwoher.? Ich kannte sie vom Ansehen, da sie in der Nähe meiner Arbeitsstelle in einem bekannten Restaurant gearbeitet hatte. Nachdem sie das vernahm wurde sie noch enthusiastischer und rief ein ums andere Mal: „Hast Du das gehört, Wolli, die Dame kennt mich Ist das nicht toll !! Dann können wir doch gleich „Du“ zueinander sagen.!! Ich hatte da keine Schwierigkeit, hatte aber nicht mit der Reaktion der anderen, die auf den Namen Selma hörte, gerechnet. „Du kannst das ja machen“ sagte sie etwas pikiert, „ich duze nicht so schnell jemanden. Es gibt wohl nur 5 Leute außer meinen Verwandten, mit denen ich mich duze. Ich beeilte mich ihr zu versichern, dass es wirklich nicht in meiner Absicht läge, in ihrer Liste die Nummer 6 zu werden, ihr nicht zu nahe treten wolle und sie weiterhin siezen werde. Worauf sie zufrieden nach einem Stück Kuchen griff und mir erklärte, dass Rosi wohl ziemlich unbedarft wäre und ziemlich schnell Freundschaften schließen würde. Das wertete ich doch als positiv. „Stellen Sie sich vor, sie war schon 3 mal verheiratet. Die sind gestorben und sie hat sich immer gleich einen neuen gesucht. Aber auch die sind verstorben.“
Rosi saß mit strahlenden Augen neben ihr, nickte dazu und man sah es ihr an, dass sie sichtlich stolz darauf war, im Mittelpunkt zu stehen. Daraufhin wagte ich zu fragen, zu wem eigentlich der Herr Goethe, genannt „Wolli“, gehörte. Dieses wiederum hatte ein allgemeines Gelächter zur Folge. Von der Seite Selmas jedoch klang es etwas gezwungen. Sie fühlte sich gemüßigt, mir zu erklären, dass ja eigentlich sie Wolli kennen gelernt hatte. Sie hatte ihn zu Bekannten mitgenommen wo leider auch Rosi anwesend war. Als sie dann nach Hause wollte und Wolli daraufhin ansprach, bekam sie zur Antwort, dass er wohl noch bleiben wollte. Sie ging allein, und das Schicksal schlug zu. Wolli lebt heute noch seit 3 Jahren bei Rosi glücklich und zufrieden. „Ja, genauso war es „ strahlte Rosi und hob ihr Glas „ nun wollen wir doch alle mal auf unsere Linette trinken „ Jeder erhob sein Glas und es erscholl ein „Hoch soll sie leben „ was jedem musikalischen Menschen kalte Schauer über den Rücken laufen lassen würde.
Nun wollten sie wohl Näheres über mich wissen. „ Und was machen sie so ? Leben Sie allein ? Ich beantwortete brav ihre Fragen und versicherte ihnen, dass ich mich rundum wohlfühle und meine Tage auch ohne Mann sehr ausgefüllt wären. Nun machte ich einen fatalen Fehler. Ich erzählte ihnen, dass ich jeden Freitag bei meiner Tochter und den beiden Enkelkindern wäre und dort bügeln und kochen würde. Dafür tätigt sie mit mir meine Einkäufe, was für mich ja auch eine große Hilfe wäre
Mit dieser Reaktion hatte ich nun gar nicht gerechnet. Selma schnappte hörbar nach Luft und rief gepresst : „Was machen Sie , bügeln? Das würde mir im Traum nicht einfallen, bei meinen Kindern zu bügeln. Ich gehe nur zu ihnen, wenn ich ausdrücklich eingeladen werde. Woraufhin sich überraschenderweise Wolli zu Wort meldete. „Vielleicht gibt es noch Frauen, die gern bügeln und sich um ihre Familie kümmern. „ Das wiederum hätte er nicht sagen dürfen. Selma schaute ihn vernichtend an und erklärte, dass er wohl ein bisschen Plemm, plemm wäre, so etwas zu denken. Es gibt keine Frau, die gern bügelt. Ich fühlte mich etwas in die Enge getrieben und schwieg. Na ja, ehrlich gesagt ist Bügeln natürlich nicht mein Hobby. Ich fühle mich aber gut, wenn ich damit meine Tochter in ihrem Stress etwas unterstützen kann. Aber das dieser Selma zu erklären, wäre wohl müßig. Sie war schließlich 10 Jahre auf der „Europa“ gefahren (als Servicekraft), hätte die tollsten Leute und natürlich die ganze Welt gesehen. Na, wenn das nichts war !!!
Mitleidig schaute mich Rosi an. „Aber möchtest Du nicht mal wieder einen Mann haben ? Es ist doch viel schöner zu zweit zu sein, nicht Wolli ? Guck Dir doch mal meinen Wolli an, ist der nicht ein ganz Lieber ?“ Wolli gehörte zwar nicht zu den Attraktivsten, aber ich merkte, daß seine Brust sichtlich schwoll. Nun kam Selma wieder zu Wort. „Das ist unmöglich, so etwas zu sagen, wenn Wolli daneben sitzt. Du weißt überhaupt nicht, was sich gehört.“ Mit großen Augen erwiderte Rosi:“Das kann er doch ruhig wissen, dass ich ihn mag, nicht Wolli ?“ Wolli nickte zustimmend.
Schlagartig wurde mir klar, warum Wolli Rosi der Selma vorzog. Sie gab ihm das Gefühl der Großartigste und Tollste zu sein, und sie war das kleine Frauchen, das behütet werden musste. „Na, du könntest sowieso nie alleine leben. Immer wenn einer von Deinen Männern starb, hattest Du gleich einen anderen.“ Irgendwie klang da Neid in ihrer Stimme. „Du würdest allein nie klar kommen.“ „Ja, das stimmt, ich mag eben die Männer,“ erwiderte Rosi „ und ohne sie hätte ich auch nicht so vieles erlebt und gesehen. Ich hatte einen, Scholle, der hat mir fast die ganze Welt gezeigt. Wir waren in Indien, Ägypten und in der Dominikanischen Republik. Das war so toll. Aber leider ist der auch verstorben.“ Etwas leiser zu mir gewandt, fügte sie hinzu:“Ich habe letzte Nacht etwas ganz Fürchterliches geträumt. Ich habe Wolli in einer Kiste gesehen. Ist das nicht schrecklich ?“ Ich spielte mit dem Gedanken, Wolli den Rat zu geben, bei der Essensauswahl etwas vorsichtig zu sein. Auch Getränke können eine fatale Wirkung haben. Rosi hatte inzwischen schon einige Gläser Wein getrunken. Man sah es an ihren roten Bäckchen. „Du bist doch eine ganz Nette, Du würdest bestimmt auch noch einen Mann kriegen“ wandte sie sich an mich. Ich beeilte mich, ihr zu versichern , dass ich wirklich keinen wollte. Selmas Stimme klang etwas bissig:“ Rosi ist ja sowieso mit allem zufrieden. Sie hat überhaupt keine Ansprüche. Hauptsache, ein Mann ist da.“
Mit leicht getrübtem Blick erwiederte Rosi, dass es doch gut wäre, wenn man zufrieden und glücklich ist mit dem was man hat. „Nicht Wolli?“ und Wolli nickte beifällig. Das Klingeln des Telefons schwächte die etwas angespannte Atmosphäre. Es war Linettes Sohn. Auf einmal ein glücklicher Aufschrei und ein strahlendes Gesicht . „Stellt Euch vor „ Linette wandte sich zu uns „Die Kinder fragen, ob ich im Juli für eine Woche nach Hannover kommen würde und auf die 3 Enkelkinder aufpassen würde. Ich freue mich ja so !!“ Und schon hatte Selma wieder etwas einzuwenden. „Na, Dein Sohn, der ist ja ganz geschickt, dass in eine Einladung zu verpacken. Der denkt doch nur an sich ! Psychologisch war das ja ganz raffiniert. Weißt Du, was Du Dir da antust ? 3 Kinder !! “. Düstere Schatten überzogen Linettes eben noch so strahlendes Gesicht. „Aber ich sehe die Kinder doch so selten !“ Ich versuchte einzugreifen :“Aber warum machen sie das gleich so herunter, wenn Linette glücklich ist ?“ „Ach was, ich ärgere mich nur über den Sohn, der seine Mutter so ausnutzt. Ich fragte mich, wie sie wohl mit ihrer Familie umginge. Aus den Gesprächen hatte ich entnommen, dass sie 2 Kinder und 3 Enkelkinder hat. Wahrscheinlich müssen die ihr eine schriftliche Einladung schicken.
Rosi hatte inzwischen schon etwas von ihrer Gehfähigkeit eingebüßt. Man merkte es ihr an, als sie sich erhob um die Toilette aufzusuchen. Als sie zurückstolperte lallte sie mit ihrer süßesten Kleinmädchenstimme:“ Wollilein, wollen wir nach Hause ?“ Er stimmte sofort zu. Erstaunlich war , daß sie in ihrem Zustand sogar an mich dachte“Wollilein, können wir nicht Brigitte mit nach Hause nehmen?“ Und Wollilein wollte. Er war ja wirklich ein ganz Netter. Wie er Rosi die steilen Treppen halb tragend herunter brachte war schon bewundernswert.
Wolli war schon ein ganz Lieber !!!
Hoffentlich erfreut er sich noch recht lange guter Gesundheit.