Fjodor Mandzukicz lauschte interessiert den Worten von Molly Waters. Als sie den Satz beendete blickte sie verträumt zu ihm hinüber.
„Das Kapitel ist damit auch abgeschlossen, Süßer. Und heute ist wieder Samstag, also besteht für dich die Chance mich wieder zu nehmen und dann noch ein Kapitel zu hören. Wir haben viel Zeit“, sprach sie säuselnd, legte das aufgeschlagene Buch auf das Nachttischchen und küsste ihn.
Er widerte die Zärtlichkeit mechanisch. Fjodor hatte schon lange die Lust auf Molly verloren. Zuerst waren ihre überlegenen Reize eine gewaltige Spielwiese für ihn gewesen. Sie war eine heiße Verlockung, der man nur erliegen konnte. Und Molly musste nicht viel tun um ihn in Ekstase zu versetzen. Bereits kleine Lockungen reichten, damit er über sie herfiel, wie ein wildes Tier über seine Beute. Und in ihren weichen Armen erschöpfte er sich und sie kamen beide in einer gemeinsamen berauschten Sekunde. Doch genau dieser Rausch war schon bald gewichen. Molly lockte immer noch und sie kannte viele Wege, das musste man ihr lassen. Doch seit dem ersten Tag, als ihn eher fesselte, was sie vorlas als was er mit ihr tun konnte, so hatte dieses erste Interesse immer mehr an Bedeutung gewonnen. Er liebte Molly nur noch, weil er musste. Und das spürte sie, denn lange war alles nicht mehr so unbändig, wie zu Beginn. Auch bedurfte es mehr Zeit um sie zum Höhepunkt zu bringen. Aber Fjodor musste dies erreichen, denn ohne das hatte er das Problem, dass er sich für nichts verausgabte. Nur der Höhepunkt garantierte ihm ein weiteres Kapitel. Und während Molly scheinbar unersättlich war hatte er manches Mal gar keine Lust auf sie. Und doch musste er es tun.
Doch gerade jetzt war wieder ein Punkt erreicht, wo er wirklich überhaupt keine Lust mehr hatte.
„Molly, nimm es mir nicht krumm, aber ich habe echt keine Lust mehr. Ich glaube, wir sollten aufhören“, sprach er unruhig und setzte sich auf. Sofort umklammerten ihn die elastischen Arme und eine Hand glitt zu seinem Glied und packte es fest.
„Du mein Starker, du mein Schöner!“, stieß sie aus und massierte sein Glied. „Du kannst nicht einfach gehen, nein, das kannst du nicht!“, rief sie erfreut aus.
Er zog ihre Hand weg und schüttelte sie von sich und warf sich dann auf sie, sodass sie sich nicht vom Bett bewegen konnte.
„Und was sollte mich daran hindern?“, fragte er wütend.
Sie kicherte kindisch und legte ihre Beine um die Seinen.
„Ja, weil ich die Macht habe dich ganz einfach wegzuputzen, mein Süßer. Ich muss nur anzeigen, dass du nach verbotenen Schriften stöberst und ich werde Beweise finden, Liebling, Dann landest du in der Besserungsanstalt und das war es dann für dich. Ich finde schon einen Anderen, der es mir ordentlich besorgt“, stöhnte sie und umarmte ihn fest.
„Und wer hindert mich daran dies alles hier an die große Glocke zu hängen?“, fragte er überlegen.
Molly schlug mit der flachen Hand auf seinen Hintern.
„Du ungezogener Bengel!“, rief sie aus. „Du bist nicht der Erste. Hier kommt es darauf an, wer zuerst die schlagenderen Beweise vorzeigen kann und wer die mächtigeren Leute informiert hat. Und dann ist die Person weg. Aber man kann die andere auch noch anschwärzen und sollte auch nur der kleinste Beweis gefunden werden kann war es das, Fjodor. Aber jetzt hör auf darüber nachzudenken und mach deine süße Molly wieder glücklich, oder willst du kein weiteres Kapitel heute lesen?“, fragte sie hinterlistig und genoss sofort, wie er begann sie stürmisch zu küssen und in sie einzudringen. Wenn sie ihn nicht mehr genug erregte, die Aussicht auf mehr Informationen war ihm dies alles wert.
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Fjodor ging Am Montag, nachdem er das gemeinsame Fußballspiel mit seinem Kollegen Jonas Härtlein beendet hatte, zusammen mit ihm, in dessen Apartment.
Er holte seinem Gast ein kühles Bier aus dem Kühlschrank und die beiden ließen sich in zwei breite Ledersessel fallen.
„Scheiße Jonas, ich brauche deine Hilfe.“
„Immer doch, was ist es denn?“
Fjodor wusste nicht recht, wie er beginnen sollte. Vielleicht chronologisch?
„Nun, wie du vielleicht weißt bin ich persönlicher Adjutant der Abschnittsbevollmächtigten Waters.“
Jonas nickte und nahm einen kräftigen Zug.
„Naja. Meine Arbeit dreht sich nicht primär um Aktenberge, die ich zusammen mit ihr durchforsten muss. Ich muss andere Sachen mit ihr tun“, äußerte er vage.
Jonas setzte die Flasche ab und blickte seinen Freund ernst an.
„Was ist denn das? Solange du sie nicht beschlafen musst ist doch alles soweit paletti, oder etwa nicht?“
Fjodor war unwissentlich zusammengesunken, was sein Freund aber eindeutig deuten konnte. „Nein, das habe ich aus Spaß gesagt. Aber das stimmt wirklich? Du musst Molly Waters knallen?“, fragte er perplex.
„Ja, muss ich“, antwortete er niedergeschlagen.
„Und, wie ist es so?“, fragte sein Freund interessiert, ließ das Bier auf dem kleinen Beistelltisch stehen und beugte sich nach vorn.
„Gut, ja, wirklich gut. Am Anfang musste sie nur die Lippen spitzen und ich habe sie genommen, als gäbe es kein Morgen mehr. Sie ist auch so gewandt im Bett, so schön und alles, aber mal ehrlich, wenn man sie jeden zweiten Tag durchnimmt, dann verfliegt der Zauber auch irgendwann. Zudem geschieht das ja nicht auf freiwilliger Basis. Sie hat erfahren, dass ich mich für alte Bücher interessiere. Sie besitzt ein Geschichtsbuch in französischer Sprache aus dem sie mir nach jedem Schäferstündchen vorliest. Und das ist zuletzt meine einzige Motivation geworden, Jonas. Ich will nicht mehr, ich will da rauskommen!“, rief er verzweifelt und bedeckte das Gesicht mit seinen Händen.
Jonas ließ sich alles durch den Kopf gehen.
„Blöde Situation. Ich wette du kommst da nicht so ohne Weiteres raus, nehme ich an?“
Fjodor nickte.
„Wenn ich sie anschwärze schwärzt auch sie mich an. Aber da hat sie mir etwas verraten. Wer von uns beiden schneller ist, der hat den Vorteil auf seiner Seite, dass der Andere erst einmal wegkommt. Sollte dieser dann den Verräter anschwärzen überprüfen sie den Verräter. Aber da muss man eben dran drehen, dass nichts gefunden wird. Ich habe mir da auch schon mal was überlegt, aber dazu brauche ich Hilfe, deine Hilfe.“
Jonas war ganz Ohr.
„Das klingt doch ganz interessant, was hast du denn vor?“
„Nun, wir müssten an die Geheime Staatspolizei herantreten, dass Molly Waters solche Bücher hat. Und man munkelte doch schon darüber, nicht wahr?“
Jonas überlegte. „Stimmt, immer mal wieder ist das Gerücht davon aufgeflammt, aber es ist immer wieder versandet. Aber mal ehrlich, ganz koscher war die noch nie.“
Fjodor nickte zustimmend.
„Exakt. Und jetzt können wir die Sache drehen. Ich habe jetzt durch mein Verhalten wissentlich so getan, als würde ich mich dafür interessieren. Und tatsächlich, sie hat angebissen.“
Härtlein nahm sein Bier und genehmigte sich einen ordentlichen Zug.
„Du meinst, wir stellen dich als großen Spion dar, der ihre Reaktion erforschen wollte? Das hätte den Vorteil, dass wir erklären könnten, wieso diese Gerüchte von dir aufkamen, denn irgendwoher muss sie ja diese Info haben und das sind eben meist Gerüchte.“
Fjodor musste breit grinsen.
„Ich sehe, du hast verstanden. Genau so wird es gemacht. Und dann habe ich das Spiel ebenso lange getriebene, damit ich mir sicher sein konnte, dass es wirklich das war, aber jetzt bin ich mir eindeutig sicher. Ich weiß wo sie das Buch verwahrt, ich weiß wie es aussieht und was da drin steht. Also, wir sollten zuschlagen.“
„Moment“, warf dieser ein.
„Das starten wir, sobald wir bei dir Ordnung geschaffen haben. Hast du irgendwelche Bücher bei dir, die nicht koscher sind?“
Fjodor ging in den kleinen Abstellraum und holte, unter den dort lagernden Elektrogeräten, die er schon lange mal wegwerfen wollte, eine kleine Holztruhe hervor.
„Da sind meine Schätze drin“, erklärte er.
„Das sind dann aber auch alle?“, fragte Härtlein ernst. Er nickte.
„Gut, dann musst du die irgendwo hingeben. Das Beste wäre es zur Verwahrung beim nächsten Mal dem Antiquar zu geben. Ich kenne seine Adresse für das nächste Treffen. Dort bringst du die Kiste hin und lässt sie dort verwahren, bis die Durchsuchung bei dir durch ist.“Â
Mandzukicz verstand. Und natürlich hatte Jonas recht gehabt. Man konnte nicht einfach zuschlagen. Das alles must ernsthaft geplant werden, wenn man nicht wollte, dass das alles in einem gewaltigen Fiasko endete. Also versprach er die Kiste beim nächsten Treffen mit dem Antiquar abzugeben, dass zum Glück auf einen Montag fiel, er also keine Ausrede brauchte um sich schneller von Molly loszueisen.
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Die Kiste transportierte er in einem kleinen Handwagen, der er sich von einem anderen Kollegen geliehen hatte. Darüber hatte er die Abdeckung eines abgeschlossenen Weinkartons getan, damit niemand, der ihn sah, ein falsches Bild bekam. Jemand, der einen Handwagen mit einem solchen Karton zog, der war auf gar keinen Fall irgendwie verdächtig. Selbst die sonst so aufmerksamen Polizeibeamten sagten zu so etwas gar nichts und machten nicht einmal Anstalten dahingehen zu ergründen, ob da wirklich Wein drin war. Das kann man sich aber nur dadurch erklären, dass irgendwelche Anschläge mit solchen angeblichen Inhalten noch nicht stattgefunden haben. Wäre ein Irrer nur einen Tag zuvor auf die Idee gekommen Waffen in einen solchen Karton zu stecken um dann ein gewaltiges Blutbad anzurichten, die Polizei hätte Fjodor angefangen, da wäre er gerade einen halben Schritt aus seinem Wohnblock hinaus gewesen.
Doch da dies bisher nicht eingetreten war konnte er vollkommen unbehelligt abends durch die Straßen ziehen. Man vermutete ganz einfach, er würde zu einer Feier bei Freunden gehen, mehr nicht.
Vor der Adresse, die ihn in einen dunklen Hinterhof führte blieb er stehen und vollführte das geheime Klopfzeichen. Der Türsteher öffnete ihm und ließ ihn hinein, denn er erkannte Fjodor wieder.
Die Kiste trug man gemeinsam hinunter, die noch im Karton steckte. Der Antiquar schaute zuerst verwirrt, weil er nicht wusste, was er denn mit deinem Karton voll mit Wein anstellen sollte. Als man ihm jedoch den wahren Inhalt zeigte begannen seine Augen zu funkeln. Wie ein kleines Kind durchforstete er den Berg von Büchern und erkannte alle auf Anhieb. Bei einigen Ausgaben erschrak er fast, weil er nicht glauben konnte, dass diese Bücher tatsächlich noch existierten. Und natürlich versprach er die Bücher getreulich zu verwahren. Fjodor gestattete ihm gar sich eines der Bücher herauszusuchen sobald er die Kiste in diesem Zustand wieder abholte.
Beim Hinausgehen wünschte er viel Freude mit dem gelieferten Wein und ging wieder nach Hause in dem guten Wissen, dass kein verdächtiges Material mehr bei ihm lagerte.
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Die Geheime Schutzpolizei hatte, was ihr Name nicht vermuten ließ, überall ihre kleinen Büros. Sie waren auf den ersten Blick wirklich nur schwer ausfindig zu machen. Sobald man aber wusste, wonach man sehen musste, wurde einem die Suche zumindest dadurch erleichtert, dass man ein solches Gebäude wenigstens nicht verfehlen konnte.
Härtlein hatte es noch einfacher, denn aus gut unterrichteter Quelle wusste er, wo sich ein solches Gebäude mit einem Poster in einem der Fenster befand, auf dem das Abbild des Begründers der Geheimen Staatspolizei war, Iwan Malakow.
Dieser Mann hatte sich für die Errichtung dieser sonderbefugten Polizeibehörde ausgesprochen um die innere Sicherheit der Gesellschaft und deren Stabilität zu unterstützen. Gerade in den Anfangsjahren des Umbruchs sollten sie dafür sorgen, dass Abweichler schnell wieder auf den Weg der Wahrheit zurückfinden würden.
Und Malakow errichtete eine Behörde, die so mächtig war, dass man die einfache Polizei gar übertrumpfte. Man richtete die enge Zusammenarbeit ein, doch eine Verschmelzung gab es nie, denn die Geheime Schutzpolizei sollte die wichtigere, aber auch mit mehr und weitergehenden Befugnissen ausgestattete Institution sein, die aber auch dafür im Hintergrund arbeitete. Und damit ist der wichtigste Unterschied auch schon erklärt.
Jonas begab sich in den dunklen Betonbau. Auch das war eine Besonderheit. Während alle anderen Gebäude mit viel Glas verkleidet waren und einen allgemein sehr freundlichen Eindruck machten, waren alle Gebäude dieser Behörde so angelegt, dass man eigentlich vorbeirennen wollte und nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollte, dass dieser Betonklotz da stand. Doch Jonas begab sich sogar durch die schwere Eingangstür, die ebenfalls signalisierte, dass man dort besser nicht rein wollte.
Eine Eingangshalle erwartete ihn, die schon allein durch ihr tristes Aussehen jeden Besucher schreckte. Die Stauen, die überall standen, zeigten die Macht der Behörde. Ãœberall wurden Delinquenten gebeugt. Das machte Eindruck. Und Malakows Bildnis war auch überall zu sehen. Er näherte sich einem überdimensionierten Tresen, der so hoch war, dass er nach oben blicken musste um die Empfangsdame zu sehen. Ma sollte ich hier wirklich in jeder Beziehung klein vorkommen, denn einerseits war alles dunkel und ließ alles eigentlich kleiner wirken, doch die Decken waren so hoch und alles so schlecht beleuchtet, dass man glaubte durch die undurchdringliche Nacht zu wandern. Man wünschte sich hier jemanden mit einer Taschenlampe neben sich.        Â
„Sie wünschen?“, fragte die junge Frau vergnügt und legte ihr Buch zur Seite.
„Ich möchte mal jemanden sprechen, der interessante Informationen annimmt.“
Die Frau beugte sich belustigt nach vorne und sah sich Jonas lange an.
„Es gibt hier praktisch niemanden, der eine interessante Information nicht gerne hören würde“, kicherte sie. „Aber mal ganz ernsthaft. Worum handelt es sich denn und keine Angst, mir können Sie blind vertrauen“, sprach sie und zwinkerte ihm zu.
Jonas war perplex. Wie konnte ein menschliches Wesen in dieser Umgebung nur solch einen gesegneten Humor haben und dazu noch so freundlich sein? Die junge Frau mit ihrem blonden Haar war schön anzusehen und so kokettierte gar damit, obwohl der Besucher von ihr nicht viel mehr sah als ihre schwarze Bluse. Allerdings hatte die Frau diese ziemlich weit geöffnet. Das konnte, nein, das musste einfach Berechnung sein. Dein einem so süßen Fräulein erzählte man doch gerne, was man wusste und noch viel mehr. Das war auf jeden Fall Taktik, dass man sich verquatschte, wenn die Hormone überschwappten.
„Es, es handelt sich um einen Fall von Verbreitung illegaler Schriften.“
Die junge Frau seufzte enttäuscht.
„Also wirklich, dass es das heute noch gibt macht einen ganz traurig.“
Härtlein wusste nicht, wie er die Szenerie bewerten sollte. Die Empfangsdame weinte fast, also hatte sie das bei der Schauspielschule nicht richtig gelernt auf Kommando weinen zu können.
„Soll ich mehr erzählen?“, fragte er verwirrt.
„Auch wenn mir dabei das Herz bricht, Sie müssen“, entfuhr es ihr und sie holte ein Taschentuch unter der Tischplatte hervor.
„Nun, mein Arbeitskollege, Fjodor Mandzukicz, er hat von seiner Chefin gehört, besser gesagt, wir alle, wir haben gehört, dass sie angeblich verbotene Bücher hat. Und das hörte man immer wieder. Da wollte er es genauer wissen, denn so ein Zustand ist unerträglich.“
Seine Gesprächspartnerin hackte hier genauer nach.
„Was arbeiten sie denn alle?“
„Wir sind Wächter am Grenzzaun in Berlin.“      Â
Die junge Frau wäre wohl am liebsten sofort zu ihm hinab geflogen und hätte ihn lange umarmt.
„Oh Gott, ich habe noch nie mit einem Wächter gesprochen. Sie sind meine absoluten Idole. Schon als kleines Mädchen habe ich sie alle bewundert und wollte immer einen Freund haben, der ein Wächter ist“, schwelgte sie in kindlicher Erinnerung und Freude. Das konnte einfach schwer gespielt sein, oder sie war wirklich in diesen Sachen perfekt. Zur Verdeutlichung legte sie ihre Hände auf die Herzregion und atmete schneller.
„Nun, er wollte dem eben nachgehen und dafür habe wir das Gerücht gestreut, er habe selbst solche Bücher, was er natürlich nicht hat. Und dann musste er vorsprechen bei ihr. Und jetzt ist es so, dass sie ihm aus diesem Buch vorliest insofern er sie sexuell befriedigt als Gegenleistung. Er will das gar nicht, macht das aber, weil er eine Bestätigung brauchte. Und er wird das solange machen müssen, bis wir ihn da rausgeholt haben. Und dafür brauchen wir eben Ihre Behörde.“
Die junge Frau war plötzlich wieder ganz ruhig geworden.
„Es ist schlimm, wenn Frauen ihren Körper einsetzen um Männer zu beeinflussen“, erwiderte sie ruhig. Härtlein musste sich auf die Zunge beißen nicht laut lachen zu müssen, denn was tat sie denn?!
„Also gut, ich denke ich kenne die Person, die Ihnen und ihrem Freund helfen kann“, eröffnete sie und betätigte eine kleine Gegensprechanlage.
„Würde bitte jemand den Herrn in der Eingangshalle zu Herrn Alexander führen? Danke.“
Sie blickte liebevoll zu Jonas hinab.
„Ihr Führer wird gleich kommen und zu dem Mann führen, der auf jeden Fall helfen kann“, sagte sie ihm mit fester Stimme.
Als sie diese Worte gerade ausgesprochen hatte öffnete sich eine ferne Tür und ein Mann, der eine Gestalt wie ein Schrank hatte, kam angeschritten. Besser gesagt, er schob sich eher voran, bewegt durch seinen massigen Körper.
„Nehmen Sie den Herrn bitte mit?“, fragte die Frau freundlich. Der Schrank nickte nur und legte seine prankenartige Hand in seinen Rücken und schob ihn an.
Er führte ihn wortlos durch mehrere lange Flure, die alle sehr düster waren. Jonas konnte die Hand vor den eigenen Augen gerade noch erkennen. Die Aufschriften der Türen waren beleuchtet, also konnte man zumindest sehen, woran man vorbeiging, doch selbst das war ihm selten vergönnt, weil ihn der Riese einfach mit einem gewaltigen Tempo anschob.
Er führte ihn durch Treppenaufgänge, die ebenfalls kaum Licht sahen. Und dann ging es wieder durch scheinbar endlose Gänge die von den leuchtenden Namen und Bezeichnungen gesäumt waren. Alles kam ihm wie ein endloser Tunnel vor. Doch dann hielt ihn der Führer plötzlich an der Schulter fest. Sie standen vor dem Büro mit dem Namenszug Richard Alexander. Mehr stand da nicht. Das bedeutete in dieser Behörde, dass es sich um einen der Ermittler handelte. Alle anderen Namen trugen Berufsbezeichnungen, diese nicht.
Die Tür öffnete sich von allein und der Riese schubste Härtlein in gleißendes Neonlicht. Verwirrt und blind blickte er um sich. Er sah nur weiß, nichts weiter. Er kniff die Augenlieder zusammen, denn er brauchte eine Weile um sich an das helle Licht zu gewöhnen.
„Setzen Sie sich doch bitte auf den Stuhl“, meinte eine dunkle Stimme und er kam dem nach, auch wenn er nur verschwommen erkennen konnte, wo der besagte Stuhl war.    Â
„Sie müssen nichts sagen, ich weiß bereits alles. Unsere Empfangsdame schaltet immer direkt die Gegensprechanlage ein, ist sie nicht ein bezauberndes Mädchen?“, fragte er und das Grinsen in seinem Gesicht konnte man erhören.
„Ja, reizend“, antwortete Härtlein und schaffte es langsam mehr als nur verschwommene Umrisse zu erkennen.
„Richard Alexander ist interessiert. Wie heißt denn Ihre Vorgesetzte, oder besser gesagt, seine?“
„Abschnittsbevollmächtigte Molly Waters“, antwortete er mechanisch.
Er erkannte, dass Alexander eine Akte öffnete. Wahrscheinlich hatte man bereits alles da, was man brauchte.
„Ich lese da, dass man sogar einmal versuchte ein Verfahren gegen sie anzustrengen, was aber im Sande verlief. Die Anschuldigung war im Grunde die Gleiche, wussten Sie davon?“, fragte er routiniert.
„Nun, wir hörten davon. So laut wird das ja nicht herausposaunt, aber die anderen Abschnittsbevollmächtigten von Berlin sind nicht gut auf sie zu sprechen. Zudem ist zu hören, dass sie, bevor das aufkam, man sie sogar in der engeren Wahl zur Oberabschnittsbevollmächtigten. Aber das hat sich seit diesem Tag gegessen.“
„Nicht verwunderlich. Und wie lange muss sich Ihr armer Kollege bereits mit ihr abgeben?“
„Glaube zwei Wochen. Das liegt aber daran, weil er sich zuvor nicht an mich gewandt hat. Sie muss ihm ziemlich großzügig erklärt haben, dass sie ihn über das von ihm geschaffene Gerücht stolpern lassen könnte, also hielt er sich erst zurück. Aber wir wollen den ersten Schritt tun.“
Alexander nickte.
„Ja, in der Tat haben wir hier auch eine gewisse Notiz zu Herrn Mandzukicz vorliegen. Sollte aber alles in Ordnung sein, dann wird ihm ja, trotz Anschuldigung, nichts nachzuweisen sein, denke ich. Und damit wäre Molly Waters ihres Amtes endgültig enthoben. Ich bin sehr zufrieden, sie beide haben sich korrekt verhalten sich Hilfe bei uns zu suchen. Keine Sorge. Sagen Sie ihrem Freund er soll das Spiel noch ein wenig mit ihr treiben. Wann muss er das überhaupt?“
„Dienstag, Donnerstag, Samstag.“
Alexander blickte auf ein Formular und musste lachen.
„Sie hat ihn als persönlichen Adjutanten eingeteilt. Nicht schlecht, nicht schlecht. Das mag jetzt plump erscheinen, aber mal ehrlich, es ist, wenn man es genauer betrachtet, eigentlich nicht ganz so dumm. Naja. Wir greifen bald ein, versprochen.“
Die Tür öffnete sich, als Jonas sich gerade an das grelle Licht gewöhnt hatte. Der Riese packte ihn an der Schulter und hob ihn hoch. Dann schubste er ihn hinaus.
„Nochmals Dank!“, rief er der Gestalt zu, die er nie richtig hatte sehen können.
Dann befand er sich von totaler Dunkelheit umgeben und wurde wieder, vollkommen blind, bis in die Eingangshalle geführt, wo ihm die Empfangsdame noch einen schönen Tag wünschte und dann stand er wieder auf der Straße und setzte sich ein paar Minuten auf den Fußweg um wieder normal zu werden.
Danach erhob er sich und ging mit einem merkwürdigem Gefühl im Magen nach Hause.
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Es war ein Donnerstag an dem Molly Waters wieder neben Fjodor lag und über seinen muskulösen Bauch strich.
„Du Süßer! Du bist so schön, aber leider hast du heute einen gewissen Antrieb vermissen lassen. Was hast du denn?“, fragte sie beunruhigt.
„Ach nichts. Ich bin nur eben nicht so gut drauf, ganz einfach“, erwiderte er lapidar.
„Aber wenn es dir schlecht geht, dann geht es auch mir schlecht, weil ich dann keinen Spaß habe, mein Liebster. Also, sei mal wieder ein wenig glücklicher, dann wird das auch wieder. Macht denn deine Molly dich nicht glücklich?“, fragte sie ein wenig düster.
„Doch, aber du zierst dich immer so mit dem Vorlesen.“
„Das kommt davon, weil du mich nicht mehr ordentlich nimmst, Fjodor. Da muss ich mich schon manchmal fragen, ob ich dir dann auch eine Belohnung geben soll, wenn du mich nicht gut befriedigst“, erwiderte sie und griff nach dem geschlossenen Buch.
Gerade hatte sie damit begonnen das Kapitel über den fortgeschrittenen Verlauf der Französischen Revolution, in dem die Hinrichtung Robbespierres geschildert wird, zu lesen, als eine Truppe schwarz gekleideter Männer plötzlich aus Schrank, Nebenzimmer etc. herein quollen und das Bett umstellten.
Molly schrie laut und umklammerte Fjodor panikartig. In gewisser Erwartung dessen, was folgen würde küsste sie stürmisch seinen Hals.
Einer der Beamten nahm das Buch, welches sie panisch von sich geworfen hatte. Er überreichte es Alexander, welcher eine schwarze Melone, passend zu seinem schwarzen Ledermantel trug.
„Er hatte Recht, das ist es. Und es ist verboten. Holt die Frau da runter und verhüllt sie, das muss doch nicht sein“, sprach er und sofort zerrten zwei Männer an Molly Waters, die sich aber zu fest um Mandzukicz geschlungen hatte. Dieser ließ seine Hände zu ihren Füßen gleiten und kitzelte sie dort. Sie war da besonders anfällig. Wie erwartet konnte Molly sich nicht halten, während sie lachte und wurde von den Männern äußerst unsanft vom Bett gezerrt. Fjodor hingegen konnte sich in Ruhe wieder ankleiden, während man ihr ihre Kleidung schnell reichte und sie sie, unter den Blicken der anwesenden Herren, anziehen musste, was für sie allein schon Erniedrigung genug war. Ihre Uniform durfte sie sich natürlich nicht anziehen. Stattdessen reichte man ihr einen Roch und eine Bluse aus ihrem Kleiderschrank. Als sie murren wollte, dass die beiden Stücke nicht zusammenpassen würden schlug einer der Schwarzgekleideten ihr so stark ins Gesicht, dass ihre Unterlippe aufplatzte und blutete. Sie wimmerte elendig.
Alexander befahl den Männern sie in den bereitgestellten Kleinbus zu bringen und dann auf ihn zu warten. Während man Molly Waters hinausführte warf sie noch einmal einen flehenden du dann wütenden Blick auf ihren Gespielen. Das war das Letzte, was er von ihr je sehen würde. Später sollte er ihr noch einmal begegnen, allerdings war sie da bedeutend älter und vollkommen umerzogen. Molly Waters sollte schließlich in einer ruhigen Beamtenstellung landen und dort bis zu ihrem Berufsende verweilen. Mit den Wächtern hatte sie ihr Lebtag nichts mehr zu tun.
„Die Gemeinschaft dankt Ihnen, Fjodor. Sie haben einen großen Dienst erwiesen“, wandte sich Alexander an ihn.
„Sollten Sie eine blütenweise Weste haben, wie es ihr Freund Härtlein behauptet, dann sehe ich gute Chancen, dass Sie bald in einer höheren Position sein werden“, deutete er grinsend an und führte ihn aus dem Apartment, welches Fjodor zum letzten Mal in seinem Leben sah.
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Und die Andeutung von Richard Alexander sollte sich bewahrheiten. Sofort erfuhren die anderen Abschnittsbevollmächtigten von diesem Vorfall. Der Posten von Molly Waters war nun frei. Ein geeigneter Kandidat musste gefunden werden. Und zur engeren Wahl standen automatisch nur Mandzukicz und Härtlein. Schnell entschied man sich, nachdem man in der ersten Wahl diese beiden Kandidaten herausgefiltert hatte, bei der Wahl am Tag darauf, dass Fjodor den Stuhl einnehmen sollte. Jonas blieb allerdings in guter Erinnerung für zukünftige Wahlen. So wurde Fjodor Mandzukicz in kürzester Zeit vom Angeklagten zum Ankläger und schließlich Triumphator. Und er blieb es auch, denn nur wenige Stunden, nachdem er seine eigene Wohnung am kommenden tag für den Dienst, damals noch als Wächter, verlassen hatte, waren die Beamten der Geheimen Schutzpolizei bereits durch seine Wohnung geschlichen und hatten jeden Winkel gründlich durchleuchtete. Ein Zettel im Briefkasten, dass man da war, zeigte Fjodor am Nachmittag an, dass er den Test bestanden hatte. Ale Anschuldigungen, die Molly vorbrachte waren damit gegenstandslos geworden.