Sonnenschutzfaktor 125
Endlich, nach monatelanger Suche hatte ich wieder einen Job gefunden. Nichts besonderes, aber immerhin mit einem angemessenen Lohn. Endlich konnte ich dann wieder aufgelaufene Verpflichtungen bezahlen und mir hin und wieder mal was Gutes leisten.
Montag morgen fand ich mich wie aufgefordert im Betrieb ein und meldete mich bei Herrn Krauter.
“Guten Morgen. Mein Name ist Michael Lüttke. Ich sollte mich bei Ihnen melden.”
Krauter sah mich gelangweilt an. ”Moment Kollege.” Er schüttete sich einen Kaffee ein, biss in sein Brot und las die Tageszeitung. Ich kam mir ziemlich blöde vor, stand rum, ging ein paar Schritte und kam wieder zurück. Dann endlich, nach 20 Minuten kam Krauter auf mich zu. “Dann woll’n wir mal. Komm mit.”
Er lief los und ich trottete ihm hinterher wie eine kleine unsichere Ente. Wir stoppten an einer Maschine. “Hier ist dein Arbeitsplatz. Schon mal an der K125B gearbeitet?”
“Nein.” antwortete ich wahrheitsgemäß.
Sein Gesicht verfärbte sich leicht rot und man sah ihm an, dass das nicht die Antwort gewesen war, die er gerne gehört hätte.
“So eine Scheiße hier. Kann denn keiner mal vernünftige Leute einstellen? Ewig diese Nullchecker. Komm her, ich zeig dir wie sie funktioniert.”
Er erklärte mir sämtliche Funktionen, ohne dass ich ein einziges Wort verstand. Dann holte er aus irgendeiner Ecke ein Blech, legte es ein, stellte am Display 501 ein und legte das Blech der Länge nach auf den unteren Teil der Maschine. Danach drückte er auf einen roten Knopf. Die Maschine machte einen Höllenlärm, zischte etwas und dann kam der obere Teil für den Bruchteil einer Sekunde nach unten. Es machte ein Geräusch wie ein Autounfall. Sie durchschnitt das Blech wie ein kleines Holzstück.
“Siehste Lüttke, das passiert, wenn die Taktung zu hoch ist. Das könnte dann auch dein Arm sein. Wusch und weg.”
Er lachte. Und sein Lachen offenbarte mir all die geringe Wertschätzung, all den Ekel, den er Menschen wie mir entgegenbrachte. Für ihn waren wir alle Versager. Nicht zu gebrauchender Müll.
“Also, Kollege, pass auf.” Er holte ein neues Blech, legte es in die Maschine, stellte am Display 125 ein und zeigte auf einen kleinen gelben Hebel.
“Achte drauf dass du immer genau die Taktung einstellst, dann lässt du die Hand am Hebel. Das ist dein Notanker. Wenn du ihn loslässt, dann stoppt die Maschine automatisch. Hier unten ist ein Fußpedal. Wenn du das Blech ausgerichtet hast bedienst du den ganz vorsichtig.” Er trat auf das Pedal, drückte den roten Knopf mit der linken Hand und hielt den Hebel in der rechten. Die obere Schneide senkte sich langsam in das Blech. Dann ertönte ein Summton und die Schneide fuhr wieder nach oben. Auf der Maschine lag ein genau 90 Grad gewinkeltes Blech.
Krauter zeigte auf einen Stapel Bleche. “Mach heute erst mal die da, da hat du genug zu tun. Verstanden was ich dir erklärt habe?”
Ich nickte und Krauter verschwand lautlos.
Ich nahm mir das erste Blech, legte es ein, trat auf das Pedal. Nichts passierte. Absolut nichts. Ich überlegte kurz und dann fiel es mir ein. Ich drückte den Knopf und trat erneut. WUSCH. Das Blech war sauber in der Mitte durchgeschnitten. Na Prima. Ich nahm ein Neues.
Also noch mal. Display auf... Scheiße, ich wusste es nicht mehr. Ich erinnerte mich an 501, stellte es ein, drückte den Knopf. Wusch und durch. Ich versuchte mein Glück weiter. Nach siebzehn Blechen gab ich auf und machte erst mal Pause. Ich ging in den Frühstücksraum. Krauter saß schon da. “Und, klappt es?”
Ich gab mir keine Blöße. “Sicher, kein Problem.”
Dann aß ich mein Butterbrot. Leinsamen mit Käse. Na klasse.
Eine viertel Stunde später ging ich wieder zu meinem Arbeitsplatz. Die Maschine stand genau so da, wie ich sie verlassen hatte. Sie sah mich angriffslustig und erniedrigend an. Sie war mächtig, arrogant und geschickt im Umgang mit neuen Mitarbeitern. Ich überlegte wie viele schon hier gescheitert sind. Sicher hatte sie tief in ihrem Innern eine Strichliste, für all die, die sie schon erledigt hatte. Aber eins war mal sicher, ich kam nicht auf diese Liste.
Ich nahm mir ein neues Blech. Dann überlegte ich kurz. Taktung 125. Genau, das war es. Taktung 125, Hebel festhalten. Knopf drücken und mit Gefühl das Pedal treten. In mir kam eine gewisse Befriedigung hoch, wie ich sie nur vom Sex kannte. Ich bekam feuchte Hände. Dann legte ich das Blech, wie eine heiße Frau in die Maschine. Fast zärtlich stellte ich alles auf dem Display ein. Ich nahm den Hebel in die Hand, setze meinen Fuß wie eine Prima Ballerina auf das Pedal und drückte vorsichtig und voller Sensibilität den roten Knopf. Wusch und durch.
Auch die weiteren Versuche brachten kein Ergebnis. Krauter kam vorbei. “Was’n das hier für’n Scheiß? Sag mal hast du ‘ne Vollmeise? Weißt du was die Bleche kosten?”
Er schnappte sich eins, stellte die Maschine ein. Dann gab es ein kleines sanftes Geräusch. Und ein wundervoll gekantetes Blech lag vor mir. “Ist das SO schwer? Wenn du zu blöd bist, dann geh’ woanders arbeiten.”
Dann ging er laut fluchend wieder in eine andere Halle. Gut, es blieben mir jetzt nicht sonderlich viele Alternativen. Entweder ich bekomme das hier hin, oder ich sitze wieder nutzlos im Garten rum, trinke Kaffee und lese die Zeitung. Ich entschied mich für heißen Kaffee in der Mittagssonne. Scheiß auf die Taktung. Von mir aus mit Sonnenschutzfaktor 125.