Humor & Satire
Miss Wahl in Sankt Himmelspfort - Eine unendliche Geschichte, Storybattle 20

Storybattle 20

Misswahl in Sankt Himmelspfort

Oberstudienrat a.D. Dr. S. Heilig saß in seinem Büro und schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Seinem Blick entschwand gerade ein Milan, der wohl auf der Suche nach einem guten morgendlichen Happen war. Heilig überlegte, wer wohl das stolzere Tier wär. Der Adler, der da majestätisch dem Himmel entgegen flog, oder doch der heimische Schwan, der in seinem Balz und Drohverhalten so elegant, wie auch mächtig wirkte? „Wenn ich mir ein Wappen gönnen würde, welches dieser Tiere, würde mich wohl am besten darstellen?“, dachte Heilig, während er die Post öffnete.

Nun man hatte ihm für sein Ehrenamt ein Büro zur Verfügung gestellt, denn schließlich hatte er Sankt Himmelspfort zu repräsentieren. Helene, die Bürokraft hatte Heilig nicht für sich allein, sehr zu seinem Ärger..

Das jedoch hielt ihn nicht ab, sie so zu behandeln. „Ach Helene!“, säuselte Heilig in die veraltete Gegensprechanlage, „Seien sie doch so freundlich und bringen mir eine Tasse Tee, wie ich ihn mag, wenn sie schon auf dem Weg in die Küche sind!“ Helene hatte so viel zu tun, dass sie selten auf dem Weg zur Küche war, außer wenn Dr. Heilig, so nett bat.

Nach seiner „Bitte“ öffnete Heilig den ersten Brief. Eine Einladung zu einer Misswahl der Beginn einer mehrtägigen Benefizveranstaltung, für „Blablabla, blablabla! Ja wollen die mich auf den Arm nehmen, eine Misswahl, was soll ich denn da?!“ Heilig war aufgesprungen und tigerte in seinem Büro auf und ab. Das war doch alles unter seiner Würde.  Tja, wenn er noch in Amt und Würden gewesen wäre, dann hätte so eine Anfrage nicht einmal Platz auf seinem Schreibtisch gefunden. Eine Misswahl, wer kam denn auf sowas?

Gerade, als Heilig wieder laut lospoltern wollte, öffnete sich die Tür und Helene brachte einen schwarzen Tee, mit drei Löffelchen Milch und einem halben Würfel Zucker herein. So, wie ihn Heilig wollte.

Sie sah ihren aufgebrachten Chef an und stellte die Tasse vorsichtig auf den Schreibtisch. In dieser Verfassung reizte man die „Eminenz“, wie Heilig unter vorgehaltener Hand genannt wurde, lieber nicht. „Da, Helene, man erlaubt sich einen groben Scherz, hier lesen sie selbst!“ Der Doktor warf den Brief eher, als er ihn übergab und Helene musste sich zwangsläufig nach ihm bücken. Das entlockte dem Würdenträger a.D. dann doch ein Lächeln.

Ja, der holden Weiblichkeit war er zugetan und die Damen ihm natürlich auch. So eine nette Wirbelsäulenendrundung, die hatte was. Der vorher wutverzerrte Gesichtsausdruck 

wandelte sich und statt schmaler Lippen verwandelte sich Heiligs Mund zu einem entspannt liegenden Halbmond.

Helene tat, als bemerke sie die Blicke nicht. Sie las die Einladung. „Aber Herr Studienrat a.D. Dr. Heilig, das ist eine große Ehre. Der Erlös dieser Veranstaltung, die von den Firmen: Trossmann, Fuhrmann und Sohn und dem Unternehmen Meteor gesponsert wird, geht an eine Stiftung für herzkranke Kinder. Sie sind als Juror dazugebeten, eine Aufgabe, die nur Herren in hohen Positionen stets bekleideten!“ Heilig nickte lächelnd. „Ach so, für die Stiftung, das hätte man doch offensichtlicher schreiben können. Nun ja, das ist wahrlich eine respektable Aufgabe und nun weiß ich auch, warum man mich auswählte. Danke, Helene, für den Tee!"

Am Abend der Veranstaltung, die in jeder Großstadt nicht mit weniger Glamour,

vorbereitet worden wär, traf sich Oberstudienrat a.D. Dr. S. Heilig mit den anderen Juroren. Alle waren vornehm gekleidet, wie er, alle im feinsten Frack und alle hielten ein edleles Gläschen Champagner. Rosa, die Haushälterin des ehrenwerten Studienrates, hatte ihm gesteckt, dass ihre Nichte eine der Missanwärterinnen war.

Natürlich war dies nur eine Information am Rande. Der Weihnachtsstern, mit dem sie liebevoll das Fensterbrett in seiner Stube dekorierte, selbstverständlich aus eigener Tasche bezahlt, war da schon fast ein Bestechungsversuch. Nun sie hatte immerhin aufgehört, über die Vorzüge des Mädchens zu plappern. Heilig grinste breit in sich hinein. Die gute Rosa, die Einzige, die seit zwanzig Jahren immer genau wusste, was ihm gut tat, die ihn aber auch in seiner Männlichkeit zu würdigen wusste!

In diesen Gedanken hinein moderierte ein ehemaliges Männermodel, die kommende Wahl an.

Zehn Mädchen aus der Umgebung kämpften um den Titel der Miss Himmelpfort. Sie standen in einer Reihe vor einem glitzernden Vorhang, jede zunächst in ihrer Alltagsbekleidung. Das Männermodel Mark, rief die erste Anwärterin nach vorne und bat sie sich vorzustellen.

Heilig flüsterte dem Chefarzt Hochstatten neben sich zu: „Die sollte sich nicht vorstellen, man sollte jemanden vor sie stellen. Die ist mit ihrem Giraffenhals ja eine Zumutung."

Hochstatten grinste. „Ja, mein Lieber und zudem ist sie die Enkelin von Fuhrmann, also der Fuhrmann, von „Fuhrmann und Sohn“. Mein lieber Scholli, wer die mal ehelicht, der kann mit ihrem Erbe, ihren Giraffenhals hübsch mit Schmuck behängen und hat immer noch ausgesorgt!“ Heilig grinste zurück. “

„Naja, heutzutage nennt man das dann Schwanenhals, nicht wahr?!“

In der Zwischenzeit hatte sich ein weiteres Mädchen vorgestellt. Giselle, 18 Jahre, geboren im Sternbild Steinbock, Abiturientin, mit dem Ziel zu studieren. Heilig musterte das Mädchen. „Man, bei dem Gewicht, da hat sie echt Mut. Wenns um den Titel, der Miss Geburt gehen würde, bei den Massen, die sie mit sich schleppt, hat sie schon gewonnen. Sternbild Steinbock, hihi, Waage, ja Waage wär was für sie!“ Heilig bekam sich nicht ein vor Lachen und Hochstatten, sowie auch der Direktor des Zoos in Sankt Himmelspfort, fielen mit ein. „Hoffentlich haben sie auch ein geeignetes Badekleidchen in Übergröße 38 für das arme Kind!“, prustete der Zoodirektor.

Dann kam eine kleine, noch zierlichere Person auf die Bühne, die sich mit piepsiger Stimme vorstellte. Das allein reichte, um die Herren zu amüsieren.

„Nun ja, das Reden kann man ihnen abgewöhnen, aber der Spagetti, da vorn läuft, wie Pluto, der Disneyhund. Die Beine kreuz und quer, wie aus Gummi, die Füße, viel zu groß. Sie muss sich hüten, um nicht zu stolpern, zu fallen. „Genau!“, löste Heilig den Professor Doktor ab. „Im besten Fall wäre sie Miss Fallen!“

Doch danach kamen zwei Mädchen mit einem Mal auf die Bühne und diesmal brüllten die drei Herren vor Lachen. "Das ist nicht wahr, oder?“ rief Heilig, während er sich die Tränen aus den Augen wischte. Doch Hochstatten und der Zoodirektor sahen, was er sah. „Ich glaub´s nicht, das doppelte Lottchen in einer Misswahl, Zwillinge, eineiige. Ich hab mich selten so amüsiert. Die Veranstalter sind wahre Komiker!“, schluchzte Heilig. Mark das Model betonte bei den Mädchen, so sehr sie sich vom Äußeren ähnelten, sie waren doch noch immer zwei Persönlichkeiten.

Also, man solle gut hinhören und auch die inneren Werte nicht missachten.

Beim Wort „missachten“, hatten die Twins ihren Namen weg. „Zweimal Miss Achten, so wie wirs dachten!“ reimte der Direktor des Zoos. Dann tauchte plötzlich eine wahre Schönheit auf, an deren Äußerlichkeiten überhaupt nicht zu rütteln war. Ihre Stimme war sanft und einschmeichelnd, ihre Bewegungen fast katzenhaft. Sie beschrieb sich als zuverlässig, als Frau der Tat, die handelte, wo Bedarf war. „Grrr!“, schnurrte der Zoodirektor, Heilig leckte sich die Lippen und Hochstatten fing an zu lachen. „Vor uns sehen wir nun die berühmte Miss Handlung!“ Wieder ließen sich die anderen beiden verleiten. Aus einer wahren Schönheit mit Charakter wurde eine Miss Handlung.

Ganz am Ende trat ebenfalls eine besondere Schönheit auf, völlig verschüchtert, hatte sie doch hinter dem Vorhang die Juroren beobachtet. Ihr Plan selbstsicher und erwachsen aufzutreten verlor sich in dem Verhalten eben dieser Juroren.

Sie könnte die Prämie, für die neue Miss Sankt Himmelspfort, von fünftausend Euro gut gebrauchen. Sie hatte neben ihrem Studium noch zwei Jobs und trotzdem reichte es vorne und hinten nicht. Sie wollte gewinnen, aber so, so hatte sie keine Chance. Ja und ihre Unsicherheit übertrug sich und damit  wurde sie von den Juroren zu Miss Trauen erkoren. Sie traute sich zu wenig zu und die alten Herren, die merkten das schnell. Schwächen zu finden war ihnen in Fleisch und Blut übergegangen. Sie annten das einstimmig Lebenserfahrung.

Gewonnen hatte am Ende die Enkelin von Fuhrmann und Sohn, die Einzige, die bis dahin keinen abwertenden Titel erhalten hatte, wurde Miss Sankt Himmelspfort. Für die herzkranken Kinder wurde reichlich gespendet, denn viele respektable Herren hatten unerhört gute Laune an diesem Abend.Neun von zehn Mädchen waren enttäuscht, naja, eigentlich waren es nur

acht, denn „Miss Geburt“ hatte sich mit Mark dem Männermodel verabredet.

Die Juroren beglückwünschten die Veranstalter für so einen Erfolg. Heilig nickte allen freundlichst zu, erhob sein Glas, mehr als eines übrigens, auf jeden und alle, doch vor allem auf die jugendlichen Schönheiten. Die  Hälfte der anderen Leute standen im Rang unter ihm, ein Drittel etwa waren Schleimer und die, auf die es ankam, die hatten selten einen Blick übrig. So praktizierte der Herr Doktor schließlich auch, sein ganzes Leben lang!

Oberstudienrat a.D. Doktor Schein Heilig, kam sehr gut gelaunt nach Hause. Er legte sein Toupet ordentlich auf den Frisierkopf, entfernte Kontaktlinsen und sein weißes Lächeln packte er in Calgonat, damit es auch morgen wieder strahlte. Den Formbody, sowie den Stützgürtel musste er trocknen lassen vom Schweiß. „Ach!“, murmelte Heilig, „Was tut man nicht alles, um der Damenwelt zu gefallen?!“

Am folgenden Morgen stand weder Frühstück bereit, noch lag die aktuelle Tageszeitung an ihrem Platz. Statt derer lag dort ein Fetzen Papier. „Zwanzig Jahre war ich ihnen treu ergeben. Ich habe sie und ihre Arbeit geachtet und so habe ich meine Arbeit dann auch erledigt, immer in ihrem Interesse und noch einhundert Prozent mehr. Nun strafen sie alles mit Missachtung, ihr Job ist ihnen gestern reichlich misslungen. Ich äußerte in diesen zwanzig Jahren einen Wunsch, etwas näher hinzusehen. Was sie vor zwanzig Jahren säten, ist da auf fruchtbaren Boden gefallen. Misstrauen! Sie ist nicht meine Nichte, sondern unsere Tochter.

Ich kündige, Doktor Scheinheilig! Rosa

© 2012 Simone Scheuing