Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze)
„Es ist nur der Schulterschutz. Macht den Schulterschutz ab! Ich kann meinen Arm nicht mehr bewegen“, dröhnte eine Stimme in Vigards Ohren.
„Herr Hauptmann, ich glaube nicht…“, entgegnete jemand.
„Irgendeine orkische Missgeburt hat mich mit ihrer Keule getroffen. dabei muss sich das Teil irgendwie verhakt haben. Macht es los!“, forderte der erste, während Vigard unter größten Anstrengungen versuchte, seine Augen aufzuschlagen, um der Schwärze zu entkommen, die ihn wie ein Netz umfing.
„Also gut, wie Ihr meint“, hörte er weiter.
„Na, wurde aber auch Zeit!“
Endlich gelang es ihm, seine Lider einen Millimeter aufzustemmen, worauf das Licht so gleißend in seine Pupillen strahlte, dass er nichts anderes sehen konnte, als verschwommene, überblendete Konturen. Von fern hallten Schreie in seine Ohren, wohingegen das nächste Geräusch eindeutig das Quietschen einer schweren Rüstung war.
Stück um Stück gelang es ihm, seine Augen weiter zu öffnen, während er sich langsam an das Licht gewöhnte, sodass die Welt um ihn herum gemächlich zu alter Schärfe zurückfand.
Vor ihm erstreckte sich ein gewaltiger Raum unterbrochen von Trennwänden aus klinisch weißem Leinen, die bis kurz unter die lehmbraune Decke reichten. Schmerzensschreie brachen wie die Gischt gewaltiger Wogen über diese hinweg und trugen ihn zu seinem eigenen Leid zurück, das sich jäh über seinen ganzen Rücken ausgedehnt hatte. Mit einem qualvollen Ausdruck blickte er an sich selbst hinab, wobei er feststellte, dass man ihm seine Rüstung abgenommen hatte, sodass er nun nur noch eine braune, wadenlange Hose trug.
So schnell, wie der Schmerz gekommen war, verklang er auch wieder, sodass Vigard es wagte, sich von seiner Pritsche zu erheben, die in Mitten einer kleinen von weißen Leinenwänden eingehüllten Zelle stand. Humpelnd trat er zu dem Tisch hinüber, auf dem man feinsäuberlich gefaltet seinen königsblauen Umhang und Wappenrock gelegt hatte.
Obwohl beide von tiefen Rissen durchzogen wurden, legte er sie doch an, wobei er die Überreste seines zerbrochenen Schwertes freilegte, das man darunter positioniert hatte. Dort lag die Klinge auf halber Höhe vom Griff getrennt und jäh jagte es ihm einen wehmütigen Schauer über den Rücken, als er es erblickte.
„Der Wall muss gefallen sein“, stach die unerbittliche Vision seines Versagens in seinen Geist, worauf er sich kerzengerade aufrichtete und aus der Zelle hinausmarschierte. Sofort fand er sich auf dem großen Hauptgang wieder, wo Pritsche an Pritsche stand, das Blut der Verwundeten literweise den weißen Mull durchtränkte und die Schmerzensschrei wie tausende Trommeln in seine Ohren hämmerten, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als dem Leid zu entkommen.
So brach er sofort in die nächste Zelle, wo sich ihm drei verdutzte Gesichter zuwandten.
Zwei jüngere Heiler flankierten Hauptmann Kaito, der in voller Rüstung auf einer Pritsche saß und die beiden anderen immer noch anherrschte, sie sollten ihm endlich den rechten Schulterschutz abnehmen, der tatsächlich nur noch ein zu Klump geschlagener Metallbrocken war.
„Hauptmann Vigard!“, keuchte einer der Heiler, „Ihr seid wach. Geht es Euch gut?“
„Augenscheinlich. Wie verläuft die Schlacht?“
„Miserabel“, zischte Mikuzu, „Sie haben uns im skatrischen Viertel hart erwischt, aber wir haben uns gewehrt. Diese elendigen Hunde! Für jedes Haus, das sie passierten haben sie mit fünfzig ihrer Kämpfer bezahlt, aber es kommen immer noch mehr, wie ein verdammter Haufen widerlicher Insekten!“
„Aber sie haben das skatrische Viertel noch nicht verlassen?“, wollte Vigard wissen.
„Nein, noch halten wir sie auf. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie die Brücken erreichen“, knurrte Kaito, „Deshalb sollen mir diese Milchbuben hier auch endlich den Schulterschutz abnehmen, damit ich wieder an die Front kann.“
„Sir, ich glaube nicht, dass…“, entgegnete einer der beiden Heiler.
„Nun macht schon!“, blaffte der Hauptmann, worauf sie sich zögerlich an dem Metallstück zu schaffen machten. Während sie vorsichtig den zertrümmerten Schulterpanzer anhoben, verzog Mikuzu schmerzlich das Gesicht, worauf die Heiler ihre Bemühungen noch verlangsamten. Als sie es dann endlich schafften, ihm das Rüstungsteil abzunehmen, ragte ihnen aus einer tiefen, fleischigen Wunde im Oberarm ein abgebrochener Knochen entgegen.
Nachdem auch Kaito einen beiläufigen Blick auf den offenen Bruch geworfen hatte, verlangte er, dass die Wunde sofort verbunden werde.
„Sir, Euer Arm ist gebrochen“, entgegnete einer der Heiler, „Das können wir nicht einfach verbinden.“
„Sieht so aus, als würdet Ihr Euch erst einmal schonen müssen“, wandte Vigard ein.„Lächerlich!“, spottete Kaito, „Diese Lumpen mache ich auch mit einem Arm noch fertig.“
„Wenn Ihr Euren Arm behalten wollt, dann solltet Ihr uns jetzt unsere Arbeit machen lassen“, mahnte der andere Heiler, worauf Kaito sich widerwillig den Rest seiner Rüstung ablegen ließ.
„Besorgt Euch ein Schwert und einen Panzer, Vigard! Das ist jetzt Eure Schlacht“, lachte er noch, worauf der Hauptmann der Torwache sich verbeugte und das Lazarett eilig verließ.
Auf dem Weg zum Ausgang traf er zunächst einen Unteroffizier, der ihn in die ledrianische Botschaft brachte, wo man ihn kurz über die Lage informierte, ihm neue Ausrüstung und einen Schluck Azurgeist gab. In strahlend silberner Rüstung, mit einer vor Schärfe glänzenden Klinge und einem turmhohen Dreiecksschild, auf dem die ledrianische Lilie prangerte, verließ er das Gebäude, wobei ihm ein Zug schwergerüsteter Speerträger nachfolgte.
Unter dem lauten Scheppern ihrer Panzer marschierten sie in perfektem Gleichschritt zu jener gebogenen, breiten Steinbrücke, die das ledrianische Viertel über den Baskat hinweg mit dem skatrischen verband, von wo aus ihnen der Lärm der Schlacht, das Donnern der Geschütze, der Klang von Stahl, die Schreie der Krieger entgegenschallte. Das Viertel glich dem Inferno, dessen Feuer die Nacht erhellten, während in jeder Straße, auf jedem Platz, in jeder noch so engen Gasse und jedem Haus erbittert und ohne jede Formation gekämpft wurde.
Doch der Hauptmann hatte nicht vor, seinen Verbündeten zur Hilfe zu eilen, denn für ihn gab es nur einen Befehl, an dem er festzuhalten hatte: Die Brücke um jeden Preis zu halten.
Nachdem sie in Formation gegangen waren, bildeten sie eine Mauer aus Speeren, Schilden und Stahl, die in mehreren Reihen die gesamte Brücke überspannte.
„Auf einen glorreichen Tod“, flüsterte Vigard, den die Gebete seiner Mitstreiter umgaben, während sie allesamt dem rotschwarzen Qualm entgegenstarrten, der die Straße auf der anderen Seite der Brücke einhüllte. Die Feuer knisterten, die Rauchwolken schwärzten den Himmel zur tiefsten Dunkelheit und in einer Welt, die nur aus nachtschwarzen oder grauen Schattierungen bestand stach das Rot des Blutes aus allem hervor.
Dann zeichneten sich die ersten Gestalten im Qualm ab, die zunächst nur als schwarze Facetten auf sie zu eilten, wobei sie mit jedem Schritt klarer wurden. Als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, glaubte Vigard, erkennen zu können, dass es sich um Raham und einige Delioner handelte, bevor ein gewaltiger Felsbrocken aus Ventros Katapulten in ein angrenzendes Haus einschlug, das sich in einer Lawine aus Lehmziegeln und Mörtel in die Gasse ergoss.
Eine der Gestalten wurde unter der Flut des Gerölls begraben, wohingegen die anderen, die es nur zu Boden geschleudert hatte, sich wieder erhoben und weiter eilten.
Zugleich brachen weitere Gestalten aus dem Rauch hervor, deren bullige Facetten verrieten, dass sie Orks waren. Mühelos setzten sie sich über die Trümmer hinweg und folgten Raham wie seinem Begleiter, die die Brücke fast erreicht hatten.
„Springt in den Fluss!“, schrie Vigard, wissend das er die Formation nicht auflösen konnte.
„Ich kann kaum noch laufen“, keuchte Raham, dem seine Lederrüstung in Fetzen vom Körper hing.
„Spring schon!“, drängte der Ledrianer, worauf sein Gegenüber einen Blick über die Schulter warf.
„Ach Scheiße“, murmelte er, nachdem ihm bewusst geworden war, wie weit seine Feinde schon zu ihm aufgeschlossen waren, und trat auf die steinerne Befestigung oberhalb des Stroms.
„Wir sehen uns dann…irgendwann“, murmelte er noch, worauf Vigard salutierte und er sich in die Fluten stürzte, was sein Begleiter ihm nachtat.
Sekunden später preschte die erste Welle der Orks in die ledrianische Formation. Speerspitzen stachen in Herzen und Hirne, primitive Waffen schmetterten gegen feinsten ledrianischen Stahl, der Angriff zerschellte an den Schilden der Verteidiger, doch es war mitnichten der letzte. Immer mehr Orks und Verräter strömten aus dem Rauch, immer mehr Reihen des Phalanx gingen nieder, immer weniger Pfeile füllten die Köcher der Schützen, immer erschöpfter wurden die Züge der Magier, bis ihre Formation schließlich brach und ein brutaler Kampf Mann gegen Mann entbrannte.
Vigard schmetterte seinen Speer durch die Brust eines massigen Orks, der gerade auf ihn zustürmte, dann zog er sein Schwert und enthauptete die Bestie, die etwa einen Meter vor ihm auf die Knie gesunken war.
Er stürmte vor, schmetterte seinen Schild mit aller Kraft gegen einen Verräter, den er damit von der Brücke in die Fluten des Baskats stieß. Er wandte sich um, blockte den Hieb eines hünenhaften Orks ab, worauf die betäubend laute Resonanz seines Schilds in seine Ohren hämmerte.
Ohnehin gab es nichts zu hören als das grausige Orchester des Todes, während er aus seiner Deckung hervorbrach und seinen Gegner mit einem Stich ins Herz in das Inferno beförderte.
Er drehte sich um, schmetterte seine Klinge gegen einen Verräter, der sich ihm von hinten genähert hatte, traf dessen Parade, setzte mit einem Schildschlag nach, drängte auch ihn über die Brüstung, nahm gerade noch einen Ork wahr, der zu einem vernichtenden Abwärtshieb gegen ihn angesetzt hatte, sah ihn dann von einem Bolzen in die Stirn getroffen zu Boden gehen, hörte das Falchion auf dem Pflaster klirren, stürzte sich wieder in den Kampf.
Etliche Orks und Menschen fielen unter seiner Klinge, bis sein Schild schließlich unter dem Hieb eines Streithammers in tausende Splitter zerbarst.
Er selbst ging, von der gewaltigen Wucht erfasst, zu Boden, wobei seine Rüstung laut schepperte. Die orkische Bestie bäumte sich mit hocherhobenem Hammer über ihm auf, bereit, den finalen Schlag zu setzten und seinen Helm mitsamt Schädel zu zerquetschen. Dann schmetterte ein abgebrochener Speer geradewegs durch ihre Kehle, dessen Träger nur einen Augenblick später selbst von drei Orks niedergerungen und zu Tode geprügelt wurde.
Aber Vigard erhob sich wieder, packte das Falchion, das vor ihm zu Boden gefallen war, führte nun in jeder Hand eine Waffe und schnitt sich wie ein eiserner Wind durch die Reihen seiner Feinde, deren Zahl unendlich zu sein schien. Während die Erschöpfung an jedem Muskel nagte, seine Lungen brannten und seine Knochen unter der schweren Last des Panzers ächzten, echote nur ein Satz immer und immer wieder durch seinen Schädel:
„Die Brücken haben äußerste Priorität. Sie müssen um jeden Preis gehalten werden.“
Seine Hiebe verloren an Kraft, seine Verteidigung wurde unkonzentrierter. Bald steckte er einen Hieb gegen den linken Oberarm ein, ließ lächelnd das Falchion fallen, stemmte sich noch einmal gegen den nächsten Streich seines Gegners, versetzte ihm einen Faustschlag in den Magen und durchbohrte anschließend seinen Unterleib, beobachtete, wie eine Salve der Schützen weitere Orks in den Tod riss.
Viele Verteidiger standen nicht mehr auf der Brücke, doch sie wehrten sich mit aller Kraft, auch wenn es oftmals nur noch der eiserne Wille war, der sie aufrecht hielt. Fünf Pfeile hatten die Schützen der Verräter einem Ledrianer in die Brust jagen müssen, um ihn zu Fall zu bringen.
Auch Vigard steckte immer mehr Hiebe ein, doch die schartigen Klingen der Orks vermochten, seinen Wappenrock oder seinen Mantel zu zerfetzten, in seine Rüstung allerdings schlugen sie allenfalls kleine Beulen.
Nachdem eine weitere Bestie vor ihm in den Staub gefallen war, konnte er kaum noch sein Schwert halten und doch lächelte er, denn ein Blick auf das skatrische Viertel verriet ihm, dass der Ansturm der Feinde abriss. Nur noch zwei Dutzend letzte Orks stürmten auf die Brücke. Sein Lachen schallte durch sein Visier, als die Hoffnung den Brand in seinen Muskeln erstickte und er seine Klinge für den letzten Akt hob.
Die nächste Kreatur preschte ihm mit erhobenem Krummschwert entgegen, unter dem er sich hinweg zu ducken plante. Dann aber wurde er heftig gegen die Brust getroffen, dass es ihm den Atem raubte, obwohl der Ork ihn noch gar nicht erreicht hatte.
Ein erneuter Stoß traf ihn frontal, schmetterte ihn gegen die Brüstung, doch er konnte nicht sehen, wer ihn angriff, sodass er wild mit seiner Klinge hin und her schlug, ohne etwas zu treffen, bevor ihn die Ankunft des orkischen Hünen dazu zwang, sich diesem zuzuwenden.
Zwei Mal kreuzten sich ihre Klingen, bevor ihn jene unsichtbare Macht erneut traf, dieses Mal in die linke Kniekehle, und ihn zu Einsacken brachte. Der Möglichkeit zur Parade beraubt, traf ihn der Hieb des Orks auf die linke Schulter, deren Knochen zweifellos zertrümmert wurden, wohingegen sein Panzer dafür sorgte, dass er nicht gleich den ganzen Arm verlor.
Mit letzter Kraft stach er sein Schwert nach vorne, wobei er den Oberschenkel der Bestie durchtrennte, die ebenfalls niederstürzte. Sofort riss er die Klinge hoch, sodass der Ork sich beim Fall selbst aufspießte. Während der massige Kadaver zu seinen Füßen ausblutete, lehnte er von der Erschöpfung niedergerungen an der Brüstung, von wo aus er seine letzten noch stehenden Kameraden im Kampf gegen die wenigen verbliebenden Orks beobachtete.
Fast hatten die Verteidiger sie niedergerungen, fast lag der Sieg in ihren Händen, als ihn ein weiteres Mal etwas mit unglaublicher Wucht gegen den Helm traf, wobei sein Kopf rücklings gegen die Brüstung knallte. Der Klang des Metalls sirrte in seinen Ohren, während er erneut nicht ausmachen konnte, was ihn angriff, sodass er noch einmal aufsprang und erneut ohne Ziel mit seiner Klinge die Luft zerriss.
Vanessa lächelte, als sie ihn beobachtete, verwirrt, erschöpft und wehrlos, nur noch von seinem Panzer zusammengehalten. Nachdem er eingehalten hatte, schlich sie lautlos um ihn herum, zog behutsam den Seelendolch aus der verborgenen Tasche ihres Tarnanzugs, kostete den letzten Moment aus und stach sie dann in seinen linken Lungenflügel. Der verfluchten Macht der Klinge konnte selbst Vigards Rüstung nicht standhalten, sodass er tödlich getroffen in sich zusammensackte, wobei er noch einmal brüllte:
„Verfluchter Feigling! Zeig dich wenigstens! Ich will wissen, wer mich getötet hat!“
Nachdem sie ihre Klinge wieder in der Tasche hatte verschwinden lassen, hüpfte sie um den tödlich verwundeten Offizier herum und riss ihm das Visier auf, um den Ausdruck des Todes in seinen Augen sehen zu können. Doch was sie erblickte, war eine erschöpfte, aber vor Stolz glänzende Miene.
„Ich werde lachen, wenn du im Inferno brennst“, hauchte er ihr entgegen, während Blut über seine Lippen sprudelte und zu seiner Seite der letzte Ork fiel.
Von allen Seiten eilten die überlebenden Verteidiger herbei, worauf Vanessa floh, um nicht im Getümmel angerempelt und entdeckt zu werden.
Alle Streiter sammelten sich um Vigard, der immer noch auf den Knien verweilte, während der eisige Winterwind sanft den königsblauen Federbusch auf seinem Helm wogte.
„Sagt General Toulessé, dass ich…die Brücke gehalten habe“, keuchte er noch, bevor das gleißende Licht all seine Gedanken und alles, was er je gewesen war, auslöschte.