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Die Gebrochene Welt, Band II (Kapitel 3; Teil 5/6) - Der Fall Fiondrals

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"Die Gebrochene Welt, Band II (Kapitel 3; Teil 5/6) - Der Fall Fiondrals"
Veröffentlicht am 16. Dezember 2012, 22 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will? Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.
Die Gebrochene Welt, Band II (Kapitel 3; Teil 5/6) - Der Fall Fiondrals

Die Gebrochene Welt, Band II (Kapitel 3; Teil 5/6) - Der Fall Fiondrals

Beschreibung

Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze)

Wintereinbruch (Teil V)

Vigard starrte in die Tiefen seines leeren Rumglases, wobei ihn Yarbart von der anderen Seite des Tisches her mit lächelnder Miene beobachtete. Der Hauptmann war auf Geheiß des Generals in sein Quartier zurückgekehrt, wo er jedoch kein Quäntchen Ruhe hatte finden können, nicht allein weil das Quartier des Hauptmanns der Wallwache im Torhaus des Haupttores lag, wo der Beschuss Ventros wie ein munteres Orchester dröhnte.
So hatte er sich schließlich dazu entschlossen, seine Erholungszeit im Blut und Bier zu verbringen, wo er nun mit Yarbart an einem Tisch saß und sein drittes Glas Rum geleert hatte.
„Ist schon komisch“, lachte der Einarmige, „Als ich in diese Stadt kam, hätt ich nicht gedacht, dass ich mal mit einem ledrianischen Offizier zusammen trinken würde.“
„Man sagt, dies sei das Ende der Zeit, das Ende der Welt. Was ist da schon unmöglich?“, entgegnete Vigard.
„Der Sieg Galors“, antwortete Yarbart, „Sonst würd ich ja nicht trinken.“
„Guter Punkt“, murmelte Vigard, dem der Rum langsam die Kehle wieder hinaufkroch.
„Ihr Iurionisten habt es gut“, sinnierte sein Gegenüber, „Ihr könnt sterben und trotzdem gewinnen.“
„Es ist nie zu spät, Iurionist zu werden“, wandte der Hauptmann ein.
„Tja, wisst Ihr, ich hab schon so viel Mist gebaut, dass mir vollkommene Absolution mehr zusagt als das heilige Tribunal.“
„Wie Ihr meint“, gab Vigard zurück, „Ich denke, ich nehme noch einen Rum.“
„Guter Mann“, lobte Yarbart, bevor er die Stimme hob, „Pia!“
„Was?“, schallte es zurück.
„Wir brauchen hier noch zwei Gläser mit…“, begann der Einarmige, dessen Worte jedoch von den Rufen eines Mannes mit serpendrianischem Akzent verschluckt wurden:
„Hauptmann Vigard! Hauptmann Vigard, seid Ihr hier?“
„Nie hat man Ruhe“, sagte Yarbart mit einem Lächeln, während der Hauptmann bereits aufgesprungen war, um zwischen den im Halbdunkeln liegenden Wänden aus Bambusgeflecht zu dem Soldaten zu eilen, der soeben in die Kneipe gestürmt war.
Seine blutunterlaufenen, weitaufgerissenen Augen, die Schrammen in seinem angsterfüllten Gesicht, das Zittern seiner Hände sprachen Bände, sodass Vigard sich schon auf dem Weg zum Ausgang befand, bevor er ihm sagen konnte, dass dem Wall ein erneuter Großangriff bevorstand.
Schon brach der Hauptmann aus dem Tavernengebäude hinaus ins Sonnenlicht, wo ihn der einäugige Türwächter verwundert anstarrte. Der Soldat, der ihm nachgehechtet war, informierte ihn sogleich darüber, dass er zwei Pferde mitgebracht habe, die neben dem Blut und Bier angebunden seien, wohin sich Vigard unverzüglich begab.
Nachdem er aufgesattelt hatte, preschte er los, galoppierte durch die Straßen Galors, zog vorbei an all den furchtsamen Fratzen, schnappte Wortfetzten über Schwarzmagier wie Belagerungstürme auf, erreichte endlich das skatrische Viertel und fand sich in einem Chaos aus umherirrenden Menschen und Angstschreien wieder, das vom stetigen Donnern der einschlagenden Geschosse Ventros durchzogen wurde. Offiziere brüllten Befehle, um wieder Ordnung zu schaffen, wo ein jeder umherlief wie ein kopfloses Huhn.
Er sprang von seinem Ross, wobei er die gefrorenen Grashalme zerschmetterte, die sich zwischen den Pflastersteinen der Straße emporreckten, und eilte dem Torhaus entgegen, vor dem bereits ein Wachbataillon aufmarschierte. Seine Befehlsgewalt half ihm kaum dabei, sich einen Weg durch die Masse zu bahnen, weshalb er es letztlich nur dem Einsatz seiner Ellbogen verdankte, dass er das Torhaus erreichte.
Auch dort reihten sich die Kämpfer in der kalten Dunkelheit des Gemäuers bis an die schweren Balken des Tores, wobei sie so dicht gedrängt standen, dass man kaum noch atmen konnte. Daher dauerte es fast zehn Minuten, bis Vigard sich endlich zum Treppenhaus hindurchgerungen hatte, wo er die engen, steilen Stufen hinaufhechtete.
Auf dem Wall peitschte ihm die Flut des Krieges mit der Lautstärke eines Orchesters entgegen. Gewaltige Gesteinsbrocken gellten, als sie in das Mauerwerk einschlugen, hölzerne Gerüste ächzten, Todesschreie zerfetzten die Luft und das gleichtönige Scheppern etlicher Rüstungen dröhnte, während die Armee ihrer Feinde in Formation auf sie zu marschierte.
Vom Wald aus hatten sie es nun fast bis an den Graben geschafft, wobei sie die ganze Ebene überdeckten wie eine wabernde, graue Masse, aus der die mächtigen, hölzernen Belagerungstürme wie skelettierte Finger aufragten. So tief die Schneisen auch waren, welche die Verteidiger in ihre Reihen rissen, so viele Orks und Verräter sie auch erschossen, die Flut nahm kein Ende. Immer mehr Feinde rückten vom Waldrand her nach, während der Beschuss der Katapulte und die Hexereien der Schwarzmagier die Stellungen auf dem Wall langsam zermürbten.
Vigard stieg über die schwellenden Reste zerschmetterter Kanonen hinweg, marschierte an seinen Kameraden vorbei, die ausblutend, sterbend an den zerrütteten Zinnen lehnten. Er aber konnte nicht mehr tun, als sich kurz zu ihnen herabzubeugen, ein paar wärmende Worte zu sprechen, einen Priester oder einen Heiler herbeizurufen und dann schnellst möglich weiterzuziehen, bis er schließlich einen Unteroffizier traf, der sich mit einem Pfeil in der Schulter dennoch aufrecht hielt.
„Hauptmann“, keucht er, „Es tut mir leid, aber wir können den Feind nicht aufhalten. Zu hohe Verluste…wir haben fast keine Magier mehr und…“
Weiter kam er nicht, da das tosende Donnern eines Geschosseinschlags jedes andere Geräusch verschluckte und den ganzen Wall erbeben ließ.
„Feuert alles, was Ihr noch habt, gegen die Belagerungstürme“, befahl Vigard, der es gerade noch geschafft hatte, sich auf den Beinen zu halten.
„Ich fürchte, es sind keine Boten mehr da, um die Befehle zu überbringen“, ächzte der Unteroffizier, nachdem auch er sich wieder aufgerichtet hatte.
„Dann ist es an wohl an uns. Ihr nehmt die Nordseite, ich die Südseite. Weggetreten!“, knurrte der Hauptmann, wobei er losstürmte und aus dem Augenwinkel gerade noch sehen konnte, dass der angeschossene Unteroffizier dasselbe tat.
So eilte durch die geschlagenen Reihen der Verteidiger, während Pfeile, Steine und schwarze Feuerblitze an ihm vorbei sirrten, und er raffte alles auf, was noch nicht gänzlich am Ende war. Seine Hände rissen die Gestürzten wieder auf die Beine, seine Befehle setzten das Zündpulver der Kanonen wieder in Brand, mit ihm erhob sich die gesamte Macht der verbleibenden Verteidiger, und als er seinen Blick endlich wieder in die Reihen der Feinde richtete, sah er die ersten Belagerungstürme einbrechen, deren schwere Planken wie ein tödlicher Regen in die Reihen ihrer Feinde niederprasselten.
Mühsam erhob sich neben ihm ein junger Bursche, der mit zitternden, blutüberströmten Hände eine Armbrust hielt, starrte ebenfalls dem Feind entgegen, entdeckte einen Pfeil, der auf sie zuraste und duckte sich sogleich wieder.
Das Geschoss traf Vigard frontal, doch es entlockte ihm lediglich ein höhnisches Lachen, als es an seiner Rüstung abprallte.
„Gib mir die Armbrust, Junge!“, forderte er, worauf der Jüngling zögernd Folge leistete, „Und jetzt runter vom Wall, das ist kein Ort für dich.“
Während sein Gegenüber noch apathisch hinter den Zinnen verharrte, ergriff der Hauptmann auch noch den Köcher, lud die Waffe und feuerte einen Bolzen in die Reihen der Orks. Anschließend zog er weiter, bis er einen Zug von Soldaten sah, die sich über den Wall ausbreiteten und in deren silbernen Rüstungen das Blutrot der Abendsonne strahlte.
An ihrer Spitze entdeckte er Kaito, dem er alsbald gegenüberstand.
„Verstärkung“, seufzte er, „Wurde aber auch Zeit.“
„Wir mussten erst die Truppen im skatrischen Viertel neuformieren, um überhaupt bis hierher durchzukommen“, klagte Mikuzu, „Diese skatrischen Hunde haben augenscheinlich noch nie etwas von Disziplin gehört. Es hat eine Ewigkeit gedauert, da durchzukommen.“
„Aber nun seid Ihr hier“, lobte Vigard, während er seinen Blick über die neuen Kämpfer schweifen ließ, die sich ebenfalls an die Zinnen begaben, um ihre Feinde aufs Korn zu nehmen.
„Freut Euch nicht zu früh“, murrte Kaito, „Der General hält den Wall schon für verloren. Er geht zwar davon aus, dass wir die Belagerungstürme aufhalten können, aber die Trebuchets werden uns das Genick brechen.“
„Augenscheinlich“, gab er zurück, nachdem ein erneuter Einschlag den Wehrgang erschüttert hatte.
„Der General“, fuhr sein Gegenüber fort, „lässt Euch weiterhin ausrichten, dass, sollte der Wall fallen, die Brücken ins delionische und ledrianische Viertel äußerste Priorität haben. Sie müssen um jeden Preis gehalten werden.“
„Wenn der Wall fällt und ich noch lebe, habe ich versagt. Daher kümmern mich die Brücken recht wenig“, zischte Vigard.
„Wie Ihr meint“, entgegnete Kaito, „Ich habe da unten noch zu tun. Haltet die Stellung!“
„Wir sehen uns an der goldenen Tafel“, verabschiedete er sich, worauf die beiden sich trennten und er seine Aufmerksamkeit wieder dem Schlachtfeld zuwandte. Die unaufhaltsame, graue Front wälzte sich immer näher an den Graben heran, auch wenn der Beschuss der Verteidiger weiterhin tiefe Schneisen in ihre Reihen schnitt und den Weg nach Galor mit Leichen wie Blut pflasterte.
Ihre Kanonenkugeln zerlegten einen Turm nach dem anderen, indem sie zunächst große Löcher hineinrissen und sie dann gänzlich zum Einsturz brachten. Lediglich zwei der gewaltigen Konstruktionen standen noch, doch wie Vigard feststellen musste, konnten all ihre Bemühungen sie nicht zu Fall bringen.
Ein Blick durch sein zerkratztes Fernrohr offenbarte ihm, dass sich etliche Schwarzmagier um die beiden Gefährte geschart hatten, um diese mit ihrer Hexerei zu verteidigen. Ihre Kugeln zerschmolzen zu unförmigen Klumpen und jeder Pfeil verbrannte, bevor er das Holz der Türme erreichen konnte, die sich unaufhaltsam dem Wall entgegen schoben.
Währenddessen brandete die erste Welle der orkischen Angreifer am Graben, in den ihre nachrückenden Kameraden sie wie Lemminge hineinstürzten. Schon reichte man schwere Planken durch die Reihen der Kämpfer, um sie als Brücken über die Kluft zu legen. Doch im selben Augenblick erstarben alle Bemühungen und jeder Vormarsch in einem erbarmungslosen Regen aus brennendem Pech, der von den Zinnen Galors herabprasselte.
Die Schmerzensschreie waren noch auf dem Balkon des Stadtpalastes zu hören, von dem aus Toulessé, umringt von Offizieren und Meldeburschen, das Schlachtgeschehen mit einem Fernrohr beobachtete.
Wie weinende Violinen, wie schreiende Celli klangen sie in seinen Ohren, dass er sich bitter räuspern musste:
„Hört den ersten Satz der Symphonie des Todes.“
Vigard hingegen musste bald feststellen, dass er wesentlich mehr Gegner als Bottiche voll flüssigem Pech gab, sodass es dem Feind schließlich doch gelang, sich über den Graben hinwegzusetzten, wo er jedoch am immer noch felsenfesten Gemäuer strandete. Zugleich sah der Hauptmann, wie die ersten Hexer neben den Belagerungstürmen vor Anstrengung kollabierten. Ein anderer hingegen, der schon übel entstellt war, schien plötzlich durchzudrehen.
Getrieben von der Schwarzen Verderbnis, die seinen gesamten Geist verzehrt hatte, gebot ihm nur noch die Sucht nach dem Tod, die keinen Unterschied zwischen Freund und Feind kannte. Seine schattenhaften Flammen zischten in alle Richtungen, brannten sich ebenso durch Fleisch und Knochen wie durch das Holz der Türme.
Als man ihn endlich niedergerungen und enthauptet hatte, brannte eine der Belagerungsmaschinen in schwarzmagischen Flammen, während die andere ungeschützt von der dunklen Hexerei im Feuer der Kanonen unterging.
„Ja!“, brüllte Vigard, während die Türme in einer grauen Welle aus Staub und Holzsplittern in sich zusammenbrachen, „Seht, was die Schwarzmagie jenen bringt, die sich auf sie einlassen. Ihr steuert geradewegs ins Verderben!“
Sein Lachen schallte über den ganzen Wall, bis es unter dem Sirren eines gewaltigen Steinblocks verstummte, der direkt auf ihn zuraste.
Das Adrenalin riss seine Augen weit auf, während die gigantische Felsmasse vor ihm in das Gemäuer einschlug, das sich vor seinen Augen wie Wellpapier auftürmte. Einen einzigen Augenblick starrte er auf die Düne, zu der sich Ziegel und Mörtel am Einschlagskrater aufgeschoben hatten, dann erreichte ihn das Beben, erfasste ihn mit seiner unermesslichen Kraft und riss ihn von den Füßen. Rücklings prallte er gegen die hinteren Zinnen des Wehrgangs, die, zerrüttet vom Einschlag, nachgaben und auseinander barsten, sodass er in die Tiefe dahinter stürzte Schmerzhaft schmetterte er in ein hölzernes Gerüst, das man zur Stabilisierung unter dem Wehrgang errichtet hatte. Seine Rüstung quetschte sich gegen seinen Brustkorb, als er durch die Balken der beiden obersten Ebenen schlug, bis sein Fall auf der dritten schließlich ein Ende fand, wo die Planken zwar ächzten, aber nicht brachen.
Für einen Moment lag er auf dem Rücken, stemmte sich gegen den verbeulten Panzer, der ihn am Atmen hinderte, während jeder einzelne Muskel schrie und sein Körper ebenso zerrüttet war wie der Wall.
Dann aber gab das gesamte Gerüst nach, Balken barsten über ihm, stoben zusammen, er sackte seitlich weg, rutschte von der Ebene und knallte frontal in einen Kistenstapel, wo ihm der Aufprall das Bewusstsein raubte.

Raham sah sich erneut auf jener Straße, die dem Tor entgegen führt, nur dass er dieses Mal nicht wie angewurzelt dastand. Niemand ruhte mehr, niemand konnte überhaupt ruhen, denn der Strom riss sie alle mit sich, trieb sie dem Tor entgegen, um sie dort zerschellen zu lassen.
Alles war so schnell gegangen, dass er nur vermuten konnte, was geschehen war, doch glaubte er, dass nach der Zerstörung der Türme eines von Ventros Geschossen das Tor frontal getroffen und zum Bersten gebracht hatte. Danach waren die Orks hindurchgebrochen wie ein gewaltiger, alles fressender Insektenschwarm, dessen erstes Opfer das Fallgitter im Torhaus gewesen war. Anschließend hatten sie das Wachbataillon abgeschlachtet und waren in das skatrische Viertel geströmt, wo nun das blutigste Gemetzel entbrach, das Raham je gesehen hatte.
Viel war ihm von den Schlachten berichtet worden, oft hatte er von heldenhaften Kämpfen gehört, doch nun, da er die Realität sah, konnte er nur noch starren und auf schreckliche Weise staunen.
Kein Wort, so wurde ihm schlagartig klar, vermochte es, jene Grausamkeit zu beschreiben, die sich ihm darbot. Er hörte nichts mehr, denn die markerschütternden Todes- und Schmerzensschreie hatten seine Ohren geflutet. Er spürte nicht mehr, denn die schiere Todesfurcht hatte ihn wie ein eisiger Schauer eingefroren. Er wollte nichts mehr sehen, denn zu schrecklich waren die Bilder, die sich wie Nadeln in seine Augen stanzten.
Dann war ihm plötzlich glasklar präsent, dass er an diesem Ort nichts verloren hatte, und seine Muskeln brachen aus der Kälte, nur um lichterloh zu entflammen, dass er vor Schmerz beinahe aufgeschrien hätte. Jede Faser, jede Sehne, jeder Knochen, jeder Nerv schrie nach Erlösung, nach Flucht. So ergriff er die einzige Chance, die er sah, und stürzte sich aus dem mörderischen Strom, der alles dem Tod entgegenriss, in einen Häusereingang, wo er keuchend zu Boden sank.
„Warum?“, hallte es durch seinen Kopf, während die Schreie der Sterbenden immer noch in seinen Ohren echoten, „Warum musste es dazu kommen? Warum tun wir so etwas? Menschen, Orks, ist uns die Gewalt etwa angeboren? Müssen wir töten, um leben zu können? Warten wir nicht in jeder Zeit unseres Lebens auf Veränderung, nur um festzustellen, dass es vorher besser war und bereuen, dass wir unsere vorherige Zeit mit der Sehnsucht vergeudet haben? Dass wir einen jeden vergangenen Moment nicht so gelebt haben, wie es seiner würdig und wert gewesen wäre?
Niemand hat genug Zeit auf dieser Welt und doch trachten wir alle nur danach, sie uns selbst oder uns gegenseitig zu rauben. Uns sieht eine Feindseligkeit entgegen, die keinen Sinn ergibt, da wir alle nur glücklich sein, alle nur leben wollen. Wer sollte schon sein Glück an all diesem Tod und Leid finden? Dieser Krieg ergibt keinen Sinn! Kein Krieg ergibt einen Sinn!“
Jene Gedanken füllten seinen Schädel, als er seinen Kopf von den Knien hob, auf die er gesunken war, aufstand, und auf die Straße zurücktaumelte. Neben ihm ging eine junge Kämpferin zu Boden, deren Kehle ein Pfeil durchbohrt hatte. Vor ihm ertönte der letzte Schrei eines Ritters, bevor ein hünenhafter Ork ihm den Kopf von den Schultern riss.
Blut spritzte, Leid und Tod wurden gesät, doch Raham wandte sich ab und rannte, rannte zurück in die Stadt, während die Flut der Feinde hinter ihm über das Viertel hinwegbrach.
Pfeile sirrten von den Dächern, Soldaten strömten aus jeder Gasse. Aus Schlitzen in den hölzernen Verschlägen, die die Fenster der Häuser verbarrikadierten, stachen Lanzen in die Herzen der Angreifer, aus allen Ecken und Enden leisteten die Verteidiger Galors Widerstand. Ein Armbrustbolzen zischte haarscharf an Rahams Kopf vorbei, während dieser tiefer ins Viertel eilte.
Mit einem Mal blieb er stehen und es war ihm, als würde im Sirren des Pfeils, das immer noch in seinen Ohren echote, jener eine Gedanke mitklingen:
„Dass wir einen jeden vergangenen Moment nicht so gelebt haben, wie es seiner würdig und wert gewesen wäre…“
Für einen Sekundenbruchteil starrte er zum pechschwarzen Himmel hinauf, der schwer über der Stadt hing, bevor seine Lippen ein einziges Wort formten:
„Scheiße!“
Dann drehte er sich um, zog sein Schwert und rannte, so schnell es ihm seine Füße erlaubten, zur Front zurück.

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Crawley
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