Die Stadt Galor ragt als letzte Festung aus dem Trümmerfeld auf, in das die Invasion der Orks den Kontinent Fiondral verwandelt hat. Flüchtlinge aus allen Ecken und Enden des Landes suchen Zuflucht hinter den dicken Mauern. Doch während sich die feindlichen Heerscharen unter den hohen Zinnen sammeln, zerfressen Zwietracht und Hass die Reihen der Verteidiger, bis es schließlich an wenigen wackeren Streitern liegt, das Schicksal aller zu bestimmen. (Weitere Kapitel folgen in Kürze)
Die blassviolette Abenddämmerung hatte sich bereits über die Stadt gelegt, als Taena in den Stadtpalast zurückkehrte, um Toulessé von der Sorge des Heilers zu berichten, irgendjemand würde Montierre fortwährend vergiften.
Im Wartesaal vor dem Büro des Hochgeneral, das Toulessé mittlerweile bewohnte, musste sie jedoch feststellen, dass dieser gerade unabkömmlich war. So ließ sie sich auf der gepolsterten Steinbank nieder, von der aus sie den Stimmen lauschte, die durch die schwere, hölzerne Tür drangen, welche man einen Spalt breit offen gelassen hatte.
Zunächst berichtete Mikuzu von der Lage, in der sich die Stadt befand, von dem andauernden Beschuss, den die Magier zwar noch abfangen konnten, der sie aber mit der Zeit zermürben würde, wie er erwartete. Seinen Worten zufolge sah er keine Chance, den Wall noch länger als eine Woche zu halten, und allein das sei, wie er deutlich zum Ausdruck brachte, eine sehr optimistische Einschätzung.
Weiterhin erfuhr Taena, dass man das skatrische Viertel bereits geräumt und die Kampfunfähigen tiefer in die Stadt gebracht hatte, wodurch sich nun nur noch Kämpfer in der Nähe des Walls befanden. Man sei, so versicherte Mikuzu, auf den Durchbruch der Orks vorbereitet.
Als der Bericht des Hauptmanns endete, begann Kapitän Aleandro Chimerosa sich über das Verhör der gefangenen Xendor zu beklagen, welches immer noch keine Ergebnisse zeigte, da den Iurionisten die meisten effektiven Verhörmethoden verboten waren.
„Normalerweise ist das auch egal“, hörte Taena ihn sprechen, „weil die Gefangenen wissen, dass sie ohne Strafminderung durch Kooperation zum Todes verurteilt werden, aber wir können ja schlecht Filianas halbe Dienerschaft hinrichten lassen.“
Außerdem hörte die Magierin, dass Aleandro den Beschützer des Nekromanten Zylok ganz oben in den Reihen der Xendor vermutete, aber sonst nicht mehr wusste. Während sie weiter den Ausführungen des Kapitäns lauschte, entsann sie sich, dass jene Person, die Montierre fortlaufend vergiftete, zuvor mit Zylok zusammengearbeitet haben musste. Die Erkenntnis brach wie ein Vulkan aus ihrem Schlummer und zwang sie in feuriger Wallung, aufzuspringen.
„Wann sollte ein besserer Zeitpunkt sein, dies dem General mitzuteilen, als eben jetzt?“, dachte sie, die in der aus dem Angriff resultierenden Aufregung der letzten Tage nicht die Möglichkeit gehabt hatte, die Theorien des Heilers weiterzugeben.
Sie ergriff die Türklinke und stürmte in das Büro, wo sich ihr sofort alle Blicke zuwandten.
„Was soll diese Störung?“, blaffte Mikuzu, noch bevor er überhaupt erkannt hatte, wer gerade eingetreten war.
„Taena“, murmelte der General überrascht, „Verzeiht, doch wir befinden uns gerade in einer wichtigen Beratung. Ich muss Euch daher bitten,…“
Doch er sollte seinen Satz nicht zu Ende führen, da sie ihn unterbrach:
„Verzeiht, General. Aber ich habe Euer Gespräch mitverfolgt, ich…ich meine, die Tür stand offen, und da dachte ich…“
„Nun mal immer mit der Ruhe“, lachte Aleandro.
„Ihr solltet gehen!“, blaffte Kaito.
„Ich ging davon aus, dass es immer noch meiner Entscheidung obliegt, wer aus meinem Büro verwiesen wird“, entgegnete Toulessé scharf, bevor er sich wieder an Taena wandte, „Wir hören, was Ihr zu sagen habt.“
„Danke, Herr General“, gab sie zurück, bevor sie den drei Offizieren von dem berichtete, was ihr zuvor der Heiler dargelegt hatte.
Als sie geendet hatte, zuckte Aleandro mit den Achseln.
„Das ist eigentlich nichts, womit ich mich beschäftige“, seufzte er, „Ihr müsst entscheiden, ob wir diesem Hinweis nachgehen, General.“
„Hinweis?“, höhnte Kaito, „Das Hirngespinst irgendeines alten Narren, und selbst wenn es wahr ist: Was kümmert uns Montierre? Er stand die ganze Zeit nur im Weg, er hat Iurion verraten, er hat uns verraten und er macht noch Probleme, obwohl er fast schon tot ist.“
„Solltet Ihr mir soeben etwa geraten haben, einen Menschen einfach sterben…leiden zu lassen?“, zischte Toulessé.
„Verzeiht, Herr General“, entgegnete Mikuzu, wobei er sofort eine noch strengere Haltung annahm, „Aber der Herzog ist bereits tot. Wenn wir die Vergiftung stoppen muss er sogar noch länger leiden. Das ist nicht unsere Angelegenheit, wir haben genug mit anderen Dingen zu tun.“
„Es ist nicht unsere Entscheidung, ihn sterben zu lassen“, herrschte der General ihn an, „Die Gerechtigkeit verlangt, dass wir jenem Hinweis nachgehen. Ich würde nicht einmal wagen, an einen Platz an Iurions Tafel zu denken, wenn ich meinen Namen mit dieser Schande beschmutzt wüsste. Die Ehre gebietet, Iurion gebietet, dass Gerechtigkeit geschaffen wird. Um jeden Preis! Wir helfen Montierre nicht nur um seiner selbst willen, sondern weil sein Mörder eine Strafe verdient!“
„Natürlich, Herr General“, bestätigte Kaito aufrichtig.
„Wohlan denn“, rief Toulessé, „Aleandro, Ihr werdet Taena einen Tarnanzug besorgen. Sie soll sich in die Gemächer des Herzogs schleichen, um diesen zu überwachen.“
„Wie Ihr es verlangt“, gab der Kapitän zurück, „Ich werde mich sofort ins Arsenal der Hydra begeben und einen Anzug holen.“
Mit diesen Worten verbeugte er sich und zog davon, worauf der General sich noch einmal an Taena wandte:
„Bedenke, dass du nicht eingreifen darfst, was auch immer geschieht. Wenn du etwas herausfindest, wirst du zu mir zurückkehren und mir davon berichten, danach sehen wir weiter.“
„Natürlich, aber ich…ich meine, wäre nicht ein Soldat besser für diese Aufgabe geeignet. Ich bin doch nur eine Magierin“, gab sie zurück, worauf Toulessé lächelnd den Kopf schüttelte.
„Ich denke, dass Ihr für diese Aufgabe absolut geeignet seid“, erwiderte er, „Verzeiht, aber der Hauptmann und ich müssen noch den Wall inspizieren. Ich nehme an, Aleandro wird ohnehin bald zurück ein.“
Tatsächlich wartete sie nicht allzu lange, bis der Kapitän in Begleitung zweier Soldaten zurückkehrte, die eine kleine Kiste mit sich führten. Allerdings beorderte Aleandro sie sofort damit, diese in Taenas Gemächer zu bringen, damit sie sich umziehen konnte.
Nachdem die Männer ihre Räumlichkeiten verlassen hatten, machte sie sich daran, die Kiste zu öffnen, die sich ihr zunächst inhaltslos darstellte.
Vorsichtig tastete sie mit ihrer Linken hinein, wobei sie kurz unterhalb der Kante einen samtartigen Stoff berührte. Ebenso behutsam wie langsam packte sie ihn, um ihn aus dem gepolsterten Inneren der Kiste hinauszuziehen, wobei sich ihre einige Stellen des nachtschwarzen Inneren des Anzugs präsentierten, die haltlos in der Luft zu schweben schienen. Mit fragendem Gesichtsausdruck hielt sie den unsichtbaren Stoff in ihrer Linken, während sie mit der Rechten über seine weiche Oberfläche strich, um seine Größe erfassen zu können.
Nachdem sie ihn eine Weile gewendet und die Innenseite betrachtet hatte, stellte sie fest, dass er aus einem einzigen Stoffteil bestand, dass auf der Frontseite mit ebenfalls unsichtbaren Schnüren geschlossen werden konnte. Als sie sich etwa über die Ausmaße des Kleidungsstücks im Klaren war, legte sie ihre Robe ab, um hinein zu schlüpfen.
Wer des Öfteren einen Tarnanzug benutzte, dem gelang es meist, diesen innerhalb weniger Minuten anzulegen, wohingegen sie sich fast eine halbe Stunde mit dem unsichtbaren Stoff herumschlug, wobei das Verschnüren, der feinen Fäden die meiste Zeit in Anspruch nahm. Schließlich jedoch gelang es ihr, auch die letzte Schlaufe zu schließen, wobei sie einen jähen furchtsamen Gedanken niederrang, der ihr in Aussicht stellte, sie nie wieder aufzubekommen.
Zuletzt band sie ihre dunkelbraunen Haare zusammen, um anschließend ihren gesamten Kopf unter der hauchdünnen Kapuze verschwinden zu lassen. Tatsächlich war der ganze Stoff so zart geschnitten, dass sie das schamhafte Gefühl beschlich, gar nichts zu tragen, sodass sie einen Moment zögerte, bevor sie sich dazu überwinden konnte, ihr Gemach zu verlassen.
Als sich wie von Geisterhand die Tür öffnete, applaudierten Aleandro und die beiden Soldaten.
„Wir hatten auf eine Stunde gewettet“, lachte der Kapitän, „Ihr wart schnell. Wie fühlt Ihr Euch?“
„Ich…ungewohnt“, stammelte sie, die unter dem dünnen Stoff jeden Luftzug spürte, während die Kälte der Fliesen beißend in ihre Sohlen drang.
„Wir werden Euch mit einer Kutsche zur Botschaft fahren“, erklärte Chimerosa, „Es ist nicht allzu angenehm, mit diesen Teilen längere Strecken zurückzulegen.“
„Ich kann es mir vorstellen“, seufzte sie.
„Nun dann, folgt uns einfach“, forderte er sie auf, was sie nach kurzem Zögern tat.
Der Kapitän und seine Begleiter eskortierten sie aus dem Palast heraus, wobei sie die Magierin immer wieder flüsternd fragten, ob sie überhaupt noch bei ihnen war. Vor den Toren des Palastes wartete bereits eine kleine Kutsche aus dunklem Holz, in die sie sich hineinzwängten. Wenig später erreichten sie das ledrianische Viertel, wo ihr Gefährt wieder hielt, sodass sie allesamt aussteigen konnten. Aleandro erklärte ihr darauf, dass er sich während ihrer Überwachung ebenfalls in der Botschaft befinden würde. Sobald sie ihren Auftrag beendet habe, solle sie einfach dreimal leise an die Tür von Vigards ehemaligem Gemach klopfen, um wieder nach draußen geleitet zu werden.
Nachdem er ihr viel Glück gewünscht hatte, machten sie sich auf den Weg zum Eingang der Botschaft, wo Aleandro sich zunächst kurz mit den Wachen unterhielt. Als diese die Tür öffneten, welche nach Einbruch der Dunkelheit immer geschlossen wurde, schlüpfte Taena gleich mit hindurch. Chimerosa begab sich daraufhin zum Empfang, während sie ihm kurz hinterherblickte, einmal tief schluckte und anschließend die Treppe hinaufschlich.
Tatsächlich waren ihre Schritte durch den Anzug so gedämpft, dass sie sich auch ohne große Achtsamkeit fast lautlos fortbewegen konnte. Dennoch war sie froh, als sie endlich die kalten, steinernen Treppen verlassen und auf den warmen Teppich zurückkehren konnte.
Schließlich erreichte sie das Gemach Montierres, wo sie jedoch vor der geschlossenen Tür einhalten musste.
Da sie nicht wusste, ob sich außer dem Herzog noch jemand in dem Raum befand verharrte sie, wissend, dass sie die Tür nicht öffnen konnte, ohne dass es jemand bemerkte. So schlich sie langsam heran und legte ihr Ohr an das dunkle Holz des Portals, durch das gedämpft die rauen Stimmen der alten Heiler drangen, welche darüber debattierten, welche Wege sie noch einschlagen konnten, um dem Herzog zu helfen. Ihr Gespräch zog sich über Wärmflaschen, Kräuterheilung, Geisterbeschwörung und Aderlass, bis schließlich einer knurrte: „Ich gehe ins Lager und schaue, ob noch fiondralscher Lotus da ist. Danach haue ich mich aufs Ohr.“
Während seine schweren Schritte der Tür entgegen trampelten, sprang Taena sofort zurück. Nur einen Augenblick später schwang sie nach außen auf.
Sie hielt den Atem an, spannte ihre Muskeln, vertrieb den ernüchternden Gedanken, dass sie ohne die Magie zurechtkommen musste und blickte dann dem ältlichen Heiler entgegen, der aus dem Gemach hinkte. Bevor er die Tür wieder schließend konnte, glitt sie gewandt wie eine Katze hindurch, wobei er nicht einmal den Luftzug wahrnahm, der ihr folgte.
In dem Gemach lag Montierre offensichtlich benommen und mit schweißnasser Stirn in seinem Bett, während eine gutmütig lächelnde, aber greise Heilerin in ihrer mintgrünen Robe auf ihn herabblickte. Unterdessen saß Filiana in ihrem schwarzgoldenen Kleid an einem Tisch auf der anderen Seite des Raumes und verbarg ihr Gesicht hinter ihren feingliedrigen Händen, durch die ein leises Schluchzen schallte.
„Ich habe für heute alles getan, was in meiner Macht steht“, seufzte die Heilerin, wobei sie die mit Elixierrückständen beschmutzten Hände an ihrer mintgrünen Robe abwischte, „Ich werde ihm jetzt noch ein Schlafmittel verabreichen, damit er traumlos schlafen kann. Wisst Ihr, Hoheit, die Träume sind das schlimmste an der Verderbnis, sagen sie. Ihr seht alles sterben, was Ihr liebt, bis Ihr nichts mehr lieben könnt, weil Ihr zu sehr fürchtet, es zu verlieren.“
„Bitte…gebt ihm einfach das Mittel“, schluchzte die Prinzessin.
„Ja, natürlich“, gab die Heilerin zurück, wobei sie eine mit Rußflecken betünchte Phiole aus einer Tasche ihrer Robe zog, vorsichtig den Mund des Herzogs aufklappte und einen Teil des Elixiers in dessen Rachen goss. Für einen kurzen Moment schnappte Jean wie panisch nach Luft, bevor er in seine Kissen zurücksank und in ein leises, pfeifendes Schnarchen verfiel.
Die Heilerin verabschiedete sich und Taena trat von der Tür zurück, um ihr nicht im Weg zu stehen, als sie das Zimmer verließ. Nachdem sie gegangen war, blieb nur Stille zurück, während Filiana ihr gerötetes Gesicht unter ihren Händen hervor schob, um einen starren Blick auf die Tür zu richten.
So verharrte sie fast zwei Minuten, bis sie sich schließlich träge aus dem Sessel erhob, ihre erkalteten Tränen abwischte und zur Tür hinübertrat, wo sie den goldenen Schlüssel im Schloss behutsam doppelt herumdrehte. Das Klicken des Zylinders ließ verlauten, dass sie nun verschlossen war.
Gebannt betrachtete Taena, wie sich die Prinzessin an das Bett Montierres schob, an dem sie einhielt und einen mitleidigen Blick auf den Kranken fallen ließ. Sorgsam strich sie mit ihren Fingern über seine wächsernen Gesichtszüge, bevor sie ein letztes Mal schluchzte und eine Phiole unter ihrem Kleid hervorzog.
Taenas Blick erstarrte, als sie den Inhalt sah, der so gähnend schwarz war wie die tiefste, lichtlose Finsternis. Vorsichtig entkorkte Filiana das Glas und öffnete behutsam den Mund des Herzogs. Jeder Muskel Taenas brannte, während auch ihr Geist in Flammen stand und die Magie in ihren Venen pochte, dass sich ihre Finger verkrampften. In diesem Moment verhallten alle Worte der Gutmütigkeit, Mitleid und Gnade versanken in dem rücksichtlosen Verlangen nach Vergeltung, Vergeltung, die keinen Aufschub duldete, die keinen Prozess kannte, keine Regeln.
Zitternd stand sie da, während Filiana den Schwarzsaft in Montierres offenen Mund träufelte, der weiterhin friedlich schnarchte. Verzweifelt klammerte sie sich an die Worte Toulessés, die in ihrem Geist echoten:
„Bedenke, dass du nicht eingreifen darfst, was auch immer geschieht.“
Nur zwei Tropfen verließen die Phiole, bevor die Prinzessin sie wieder unter ihrem Kleid verschwinden ließ.
Taenas hämmernder Puls klang langsam ab, während Filiana rücklings vom Bett zurücktaumelte und noch mehr Tränen ihre Augen fluteten. Dann stürzte sie sich zur Tür, riss den Schlüssel wieder herum und stürmte hinaus. Taena verharrte noch fast zwei Minuten, bis sie wieder fähig war, sich zu rühren und mit einem mitleidigen Blick auf den Herzog ebenfalls den Raum verließ.
Während sie zu Vigards ehemaligem Quartier in der Botschaft schlich, blickte sie auf den Scherbenhaufen ihrer Emotionen und Ehrfurcht erwuchs in ihr. Ehrfurcht gegenüber jenen, die ihr Leben dem Kampf gegen das Böse verschrieben hatten, die sich schon etliche Male in eben solchen Situationen befunden hatten und dennoch an ihren Idealen festhielten, die sie einzig davor bewahrten, selbst in die Finsternis zu stürzen.
Als sie das Quartier erreichte, versicherte sie sich zunächst, dass sich niemand sonst auf dem Gang befand, dann klopfte sie dreimal leise, wie Aleandro es ihr aufgetragen hatte, worauf dieser öffnete. Auch sein Blick flog zunächst in beide Richtungen des Korridors, bevor er ihr zuflüsterte: „Wisst Ihr es?“
„Ja“, gab sie zurück und wollte gerade zu einem Bericht ansetzten, als Aleandro eilig das Wort erhob:
„Gut, dann lasst uns hier verschwinden. Ihr könnt mir alles auf dem Rückweg berichten.“
So folgte sie ihm aus der Botschaft heraus und zurück zur Kutsche, in der sie ihm alles erzählte, was sie gesehen hatte. Über ihre Gefühle allerdings schwieg sie eisig.
„Die Prinzessin also“, murmelte Aleandro, dessen Gedanken sich den Dingen zuwandten, die nun bevorstanden, „Tja, sieht so aus, als würde Toulessé nun beweisen müssen, wie viel ihm seine Ideale bedeuten.“
„Was meint ihr damit?“, erkundigte sie sich.
„Na ja, der Iurionismus schreibt ihm klar vor, wie er mit Filiana verfahren muss.“
„Er wird sie verurteilen und hinrichten lassen“, entgegnete Taena, „Ich meine, sie hat…“
„Sie ist die Prinzessin von Xendoras“, entgegnete Aleandro, wobei er den Kopf schüttelte, „Könnt Ihr Euch vorstellen, welche Konsequenzen ihre Exekution hätte, sollte man jemals in ihrer Heimat davon erfahren?“
„Aber dennoch, ich meine, sie…sie verdient nichts anderes“, erwiderte Taena.
„Da mögt Ihr Recht haben. Aber ich weiß nicht…ich könnte so nicht entscheiden, bei allem, was auf dem Spiel steht. Aber dem Herrn sei Dank, dass ich es nicht bin, der zu entscheiden hat“, seufzte Chimerosa, bevor die Kutsche am Stadtpalast hielt, worauf sie aussteigen, um sich zum Büro Toulessés zu begeben.
Dieser genoss gerade eine gute Flasche Wein mit dem Chevalier, während sie beiläufig über die Beerdigung der Gefallenen für den nächsten Tag berieten.
Als Taena eintrat und den General begrüßte, fuhr Asbel erschrocken herum und starrte panisch ins Nichts.
„Taena“, grüßte der General, der sich ein leises Lachen nicht verkneifen konnte.
„Wie…was geht hier vor?“, keuchte Asbel.
„Seid unbesorgt, Chevalier. Es ist nur Taena, die einen Tarnanzug trägt“, lachte Aleandro, der ebenfalls eingetreten war.
„Beim Herrn, ich wäre fast…gestorben“, ächzte der Chevalier, wobei er sich an die Brust griff.
„Ich denke, wir sollten Euch Gelegenheit geben, Euch umzuziehen“, sagte Toulessé, wobei er die Anomalie fixierte, die auf Taenas Anwesenheit hindeutete.
„Ja, ähm, danke. Kapitän Chimerosa kann Euch ebenfalls von meinen…Erkenntnissen berichten“, gab sie zurück, „Ich gehe dann mal.“
Damit tänzelte die Anomalie hinfort, während Chimerosa sogleich mit seinem Bericht begann.
„Das ist doch unglaublich“, rief Asbel, als der Kapitän seine Worte gesprochen hatte, „Die Prinzessin? Aber warum sollte sie etwas derart schreckliches tun.“
„Das hat uns nicht zu kümmern“, erwiderte Toulessé finster, „Unserer Aufgabe ist, das Böse zu vernichten, nicht es zu verstehen. Aleandro, Ihr werdet Mikuzu mitteilen, dass er die Prinzessin morgen festnehmen wird, sobald sie die Botschaft betritt. Chevalier, ich bitte Euch, ein Tribunal vorzubereiten.“
„Herr General, seid Ihr Euch sicher? Sie ist immer noch die Prinzessin von Xendoras“, entgegnete Aleandro.
„Und wenn sie der Erlöser selbst wäre“, zischte Toulessé, „für ihre Taten kann es nur ein Urteil geben.“
Es geschah, wie der General befohlen hatte, sodass sich Taena am nächsten Tag in Begleitung von Mikuzu sowie den beiden Soldaten Robert und Petron in der Empfangshalle der Botschaft einfand. Auf die Frage, ob die Prinzessin schon eingetroffen sei, antwortete ihnen Amelie, dass diese sich bereits bei Montierre befinde.
„Schnappen wir uns dieses Insekt“, knurrte Mikuzu, worauf er in Richtung der Treppe davon preschte, dass seine Begleiter Mühe hatten, ihm zu folgen.
„Aber Hauptmann, sollten wir nicht etwas…feinfühliger vorgehen. Ich meine, sie ist immerhin die Prinzessin von Xendoras“, rief Taena ihm nach, während er bereits über den Flur zu Montierres Gemach eilte.
„Sie ist nichts weiter als eine jämmerliche Kakerlake!“, blaffte Kaito, bevor er mit einem schmetternden Schlag die Tür öffnete, dass diese fast aus den Angeln brach.
Entsetzten starrte ihm aus den Gesichtern aller Anwesenden entgegen, bevor er seinen eisigen Blick auf Filiana senkte und ihre Miene nicht mehr von Empörung sondern von Angst verzerrt wurde, wohingegen Montierre die ganze Begebenheit kaum wahrzunehmen schien.
„Ich muss doch sehr bitten“, mahnte die ältliche Heilerin, nachdem auch Robert, Petron und Taena in das Zimmer geplatzt waren.
„Mund halten!“, blaffte der Hauptmann, der sich darauf sofort an Robert und Petron wandte, „Im Namen Iurions, nehmt sie fest!“
Sein bohrender Finger deutete, gehüllt in den schweren, silbernen Plattenhandschuh geradewegs auf Filiana.
„Wie bitte?“, ächzte diese, während Petron und Robert sie zögerlich anstarrten, „Ihr maßt Euch an, dreckiger ledrianischer Hund! Ich bin Filiana, Prinzessin von Xendoras, Tochter des…“
„Und wenn Ihr die Braut des gerechten Herrn selbst wärt“, bellte der Hauptmann, „Ihr habt Euch eines Verbrechens schuldig gemacht und werdet dafür bestraft.“
„Wovon redet Ihr da?“, zischte sie, „Das ist lächerlich!“
„Wollt Ihr mir das auch noch nehmen?“, keuchte Montierre auf seinem Bett, bevor ein Hustenanfall jedes weitere seiner Worte erstickte.
„Robert, Petron!“, rief Kaito, „Ich hatte euch einen Befehl erteilt!“
„Natürlich, Herr Hauptmann“, gab Robert langsam zurück, bevor er sich zu der Prinzessin begab und sie gemeinsam mit Petron, der ihm nachfolgte, achtsam an den Schultern packte.
„Was soll das? Lasst mich los!“, fauchte Filiana, während sie sich gegen den Griff der beiden Soldaten wand.
„Nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Euch noch erwartet“, lachte Kaito höhnisch, „Ihr habt nun eine Gelegenheit mir die Giftphiole zu geben, Eure Hoheit.“
„Euer Verhalten ist unerhört!“, schrie die Prinzessin.
„Was redet Ihr da für einen Unsinn, Mikuzu?“, wandte der Herzog ein, dem es sichtlich schwer fiel, laut zu sprechen.
„Sie trägt sie in einer versteckten Tasche in ihrem Unterkleid“, merkte Taena an, was Kaito ein erneutes Lachen entlockte.
„Gebt Ihr sie mir nun freiwillig oder muss ich sie mir holen?“, bellte er.
„Ich…“, keuchte die Prinzessin, die sich immer noch gegen der Griff ihrer Bewacher stemmte, während Mikuzu langsam näher kam.
„Ihr werdet das sofort unterlassen, Hauptmann!“, donnerte der Herzog, bevor er sich in einem erneuten Hustenanfall zu schütteln begann.
„Es ist nur zu Eurem Besten, edler Herr“, versicherte Kaito, der Filiana nun fast erreicht hatte.
„Also gut, ihr…ihr habt gewonnen“, seufzte sie, wobei ihre angespannten Arme erschlafften und die beiden Soldaten keine Mühe mehr hatten, sie festzuhalten. Willentlich ließ Robert zu, dass sie unter den Rock ihres Kleides greifen konnte und zwischen den Falten jene Phiole mit pechschwarzem Inhalt hervorbrachte.
„Ich hatte fast nicht daran geglaubt“, murmelte Petron, bevor Mikuzu die Phiole aus der Hand der Prinzessin riss, sie triumphierend in die Höhe hob und spöttisch lachte. Während die Heiler sich gegenseitig fragende Blicke zuwarfen, starrte Montierre unentwegt auf Filiana, wobei er wie ein Fisch nach Luft schnappte, den Mund öffnete, um etwas zu sagen, aber keinen Laut hervorbrachte.
„Jean, es…es tut mir leid“, schluchzte Filiana, „Aber ich…ich musste…“
„Ihr könnt Euch vor dem Tribunal rechtfertigen!“, herrschte der Hauptmann sie an, bevor er sich an Robert und Petron wandte, „Schafft mir dieses Insekt aus den Augen!“
„Nein…nein…“, heulte Montierre, während sie die Prinzessin aus seinem Gemach zerrten, und bittere Tränen tropften auf sein Laken, „Wie konnte ich nur…so versagen…“
„Was wird nun mit Ihr geschehen?“, erkundigte sich die ältliche Heilerin bei Kaito.
„Sie wird hingerichtet, so wie es ihre Taten verlangen“, tönte dieser.
„Aber“, die Greisin senkte die Stimme, „sie bedeutet dem Herzog offensichtlich sehr viel. Im Kampf gegen die Verderbnis ist vor allem die Stärke des Geistes wichtig. Ich fürchte, er wird es nicht verkraften, wenn sie stirbt.“
„Das ist nicht…“, begann Mikuzu, doch der Herzog selbst unterbrach ihn:
„Richtet sie, wie sie es verdient hat!“, zischte er, „Es ist gleichviel, alles ist gleichviel, denn ich bin verlassen, verlassen von jedem Licht! Und ich allein trage die Schuld, ich allein grub das Loch, in das meine Torheit und meine Schwäche mich stürzten. Und nun geht, geht alle, ich verdiene Eure Gesellschaft nicht!“
„Wir sollten ihm ein Balsam zur Beruhigung geben“, schlug einer der Heiler vor.
„Bleibt mir fern mit Eurer Quacksalberei! Sie kann mir ohnehin nicht mehr helfen. Verschwindet! Verlasst mich!“
„Möglicherweise sollten wir tun, was er verlangt“, murmelte Taena, worauf ihr von alleine Seiten stillschweigendes Nicken entgegengebracht wurde. So wandten sie sich allesamt langsam ab und trotteten aus dem Gemach heraus.
„Wem habt Ihr nun geholfen, Iurionist?“, wandte sich die alte Heilerin noch an Kaito, der unverzüglich zu einer Antwort ansetzten wollte, mit der sie ihn aber alleine zurückließ.