Fjodor geht zu einem sogenannten "Archivar". Titelbild: www.pixelio.de/©Gerd Altmann/PIXELIO
Eines konnte man festhalten, was Wächter betraf. Ihre Arbeit war dröge, das dürfte der Leser bereits festgestellt haben. Aber eines war trotzdem festzustellen. Sie suchten so schnell wie möglich Bekannte in ihrem Job. Es waren ebenso Leidensgenossen, die zwar ebenso geachtet wurden und ebenso reich belohnt wurden für den großen gesellschaftlichen Dient, den sie verrichtete, doch das war nicht alles. Sie brauchten Freundschaften auch untereinander, denn sie verstanden die Probleme des jeweils anderen, denn sie hatten diese ja selbst. Keine dummen Fragen wurden gestellt, nur Verständnis entgegen gebracht.
Das merkte man vor allem bei den langen Essenpausen in den Baracken. Dort lernten sich die Wächter vornehmlich kennen und vertieften die Bekanntschaften bei gemeinsamen gesellschaftlichen Diensten. Dort hatte Fjodor auch seinen Freund Jonas Härtlein kennen gelernt. Jonas war ein wenig älter als er, seinem Aussehen nach war er jedoch deutlich älter, denn seine Haare waren schon früh ergraut und die Tränensäcke hingen ihm faktisch bis in die Kniekehlen. Immerzu, wenn er ihn sah, rauchte er eine Zigarette. Er bevorzugte eine Marke, die eigentlich so schlecht war, dass man sie hätte verbieten sollen, dachte er zuerst, bis er feststellte, dass Jonas keineswegs fertige Produkte erwarb, sondern seine eigene Mischung nutzte. Er schuf eine Mischung aus verschiedenen, an sich schon grausamen Tabaksorten und rauchte diesen Tabak dann in dünn gedrehtem Filterpapier, weshalb die große Dose, die er immer mit sich schleppte, in dem sein Tabak verstaut war, scheinbar niemals alle wurde. Er rauchte nur beim Essen nicht, doch sobald er nur einen Zeh aus der Baracke setzte glühte ein Glimmstängel in seinem Mund. Den Vorgang beobachteten selbst die schärfsten Augen selten, wie er erst die Gedrehte hervorholte und dann entzündete.              Â
Die Pausen waren zu lang um nur zu essen, man hatte immer fast eine halbe Stunde Zeit auch noch zu reden, was man aber nicht besonders viel tat. Auf Jonas war er wegen seines älteren Äußeren aufmerksam geworden, denn Mandzukicz hatte sich gefragt, wieso so ein erfahrender Wächter immer noch im gleichen Dienstrang steckte, wie er. Dieses hätte ein Fiasko werden können, wenn Härtlein nicht so verständig gewesen wäre darüber einfach zu lachen und Jonas mal in sein Geheimnis einzuweihen.
Danach hatte man sich häufiger zusammen unterhalten und war so zu Freunden geworden. Man spielte von nun auch gemeinsam an einem Wochentag Fußball zusammen, als Dienst für die Gemeinschaft.
Jetzt werden wohl wieder ein paar Leser fragen, wieso dass denn bitteschön gut sein sollte für die Gemeinschaft, wenn man sich eher den Freuden des Sportes hingab? Nun, hier ist es sogar doppelt hilfreich. Einerseits betätigt man sich sportlich, was ja den eigenen Körper gesundet und somit eine gesundende Wirkung für die Gesellschaft an sich hat, denn gesunde Mitglieder ebendieser erzeugen gesunde Kinder und errichten damit eine beständige und dauerhafte Gesellschaft, ein Gedanke, der seit jeher in der Staatstheorie angewandt wird. Und daneben schulte dieser Mannschaftsport, dass man sich besonderen Regeln unterwerfen musste, was besonders ein sozial adäquates Verhalten förderte. Zudem fördert dieser Mannschaftssport den Teamgeist und die Zusammenarbeit, was gerade im beruflichen Leben sehr wichtig ist, da Alleingänge nicht gehen, man braucht immer Leute, auf die man sich blind verlassen konnte und genau dieses Vertrauen und diese Kompetenz wurde so gefördert. Hiermit sei es nochmals ausführlich erklärt, wieso Sport ein geduldetes, nein, sogar erwünschtes Verhalten ist um der Gesellschaft dienlich zu sein.
Dadurch dass man sich besser kennen lernte man zwangsläufig auch die Leidenschaften des Anderen kennen. Bei Jonas hatte Fjodor lange gemutmaßt, dass auch außerhalb aller gesellschaftlichen Pflichten das Rauchen seine größte Passion sein sollte. Doch dem war nicht so. Jonas war sehr stark am Theater interessiert. Regelmäßig besuchte er verschiedene Veranstaltungen der jeweiligen Theatergesellschaften, denen man sich auch zum Wohle der Gemeinschaft anschließen konnte. Und das Angebot war vielfältig. Denn einen künstlerischen Pluralismus ließ man in diesem Bereich zu, besser gesagt, solange er sich in dem Rahmen hielt, den die Weltzentrale für Kunst, vorgab. Die jeweiligen Zentralen für Kunst hatten die Kompetenz das kulturelle Programm gewissermaßen ein wenig traditionell zu erweitern, gemäß dem Kulturkreis, dem man angehörte. Diese außerplanmäßigen Änderungen waren allerdings mit der Lupe zu suchen. Normalerweise richtete man sich nach den Vorgaben der Weltzentrale, denn mit den Jahren wollte man erreichen, dass kulturelle Unterschiede dermaßen marginalisiert werden, dass sich jeder Bürger des Planeten als ein Nächster des anderen fühlt ohne dabei irgendeine Kluft zu spüren, die durch die unterschiedliche Kultur erwachsen kann.
Diese Liebe zur Theaterkunst hatte ihn auch dahin geführt, dass er sich für Stücke interessierte, die offiziell nicht gespielt werden durften, von denen aber die Alten noch berichteten, weil sie sie vom Hörensagen kannten. Auch hier ergaben sich besondere Witze, was die gespielten Stücke betraf. Brechts „Leben des Galilei“ war erwünscht, weil es zeigte, wie man im Sekundären Naturzustand die Wissenschaft unterdrückte anstelle sie gemäß der korrekten Vorgaben, zu fördern, nur um die eigene Macht zu erhalten. Wobei man den Ausspruch Galileis, der sich auf den Verlust von der Bodenhaftung der Wissenschaft bezog, nicht erklingen ließ, denn dies konnte man falsch interpretieren. Zuletzt ließ man ihn aber wieder zu, weil man ja dieses Problem heute nicht hatte, denn die Wissenschaft arbeitete ja nur für die Gesellschaft und ihre Bürger und auch nur nach deren Wünschen besser zu leben und mehr zu erfahren um dann dadurch noch besserer und sicherer zu leben. Dagegen spielte man die „Dreigroschenoper“ nicht, denn ein Stück, welches die Gesetzlosigkeit verherrlichte war nicht im Sinne der Gesellschaftsdogmatik. Trotzdem hörte man auch von ihr, gelegentlich. Sogar in der Schule, wo man auch die Namen dieser Stücke lernte, deren Inhalt aber nicht, sondern nur, warum man sie nicht spielte. Dumm daran ist, dass gerade das Verbotene einen unheimlichen Reiz hat. Diesen dummen Reflex des Menschen konnte auch die moderne Gesellschaft des Goldenen Zeitalters noch nicht besiegen, trotz des funktionierenden Strafrechts.
Und da man solche Schriften nicht im freien Handel erhalten konnte musste man sie sich über verschlungene Wege selbst besorgen. Und tatsächlich gab es einen gewissen Schlag von Menschen, die sich dazu auserkoren sahen, dieses sonst verloren gegangene Wissen zu bewahren. Sie sahen sich nicht als gesetzlose, sondern als Bewahrer, als Hüter. Deshalb nannten sie sich auch die „Archivare“. Und solche Archivare waren auch keine anderen Menschen, als jeder Andere, Ihre freie Zeit gestalteten sie lediglich vollkommen anders, nämlich nicht gesellschaftsdienlich. Warum nicht? Nun, was im internationalen Strafgesetzbuch als Straftat angesehen wird und damit zuwider der Rechtsordnung ist kann unmöglich gesellschaftsdienlich sein. Die Verbreiter dieser Schriften werden mit 20 Jahren Freiheitsstrafe bestraft, die Leser, die man ausfindig machen kann werden in der Erziehungsanstalt, allerdings höchstens 5 Jahre lang, wieder dazu belehrt, dass solches Verhalten falsch ist und wie man sich als ordentlicher Staatsbürger zu verhalten hatte. Sollte man diese Schriften lesen und dann verbreiten konsumiert das schwerere Delikt das Leichtere und man erhält ebenso eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren. Man sieht also, dass es sich hierbei um kein geringes verbrechen handelte, sondern eine wahrlich gefährliche Straftat gegen die Gesellschaft, weil man Schriften verbreitet, die ideologisch dem Sinn ebendieser zuwider laufen. Und so etwas muss unter allen Umständen verhindert werden, weil es die Einheit und Beständigkeit der Gesellschaft als Solche gefährdet.
Wenn man aber eben solche verbotenen Schriften suchte, dann stieß man fast zwangsläufig auf eben diese Archivare. Viele hielten sich ab diesem Zeitpunkt aus ihrer Leidenschaft heraus und besannen sich darauf, dass man doch auch Sachen machen konnte, die der Gesellschaft nicht abträglich waren. Woran lag das? Nun, einerseits wirkten die hohen Strafandrohungen. Andererseits hörte man immer wieder von der Methodik, mit der man die Insassen der Anstalten und Gefängnisse dahin brachte, dass sie wieder Bürger dieser Gesellschaft wurden. Man kannte meist erschreckende Beispiele von Menschen, die über die Welt wanderten, als wären sie nichtmehr Menschen, sondern Maschinen, gebaut, um der Gesellschaft mit ihrer vollen Kraft zu dienen. Sie erkannten meist die Alten Freunde nicht mehr und auch die Familienmitglieder nur schwerlich. Langsam wurde sie wieder an sie herangeführt, was aber einem Prozess des vollkommenen Neukennenlernens glich, denn alte Erinnerungen besaßen diese Geläuterten kaum. Und die Methoden selbst wurden als grausam und furchterregend beschrieben. Die Geläuterten selbst sprachen allerdings nicht darüber, was den Anderen noch viel mehr Angst machte, denn wie grausam musste eine Behandlung sein, wenn man über sie kein Wort verlor, selbst dann nicht, wenn man gezielt über einen längeren Zeitraum danach gefragt wurde? Unvorstellbar war das Urteil, jedoch wusste niemand, was geschah, abgesehen von denen, die es durchführten. Doch wer in solchen Anstalten arbeitete musste einen Eid schwören, dass er nicht verriet und zudem wohnten diese Menschen auch in der Nähe der jeweiligen Anstalt in extra angelegten Wohntrakten zusammen mit ihren Familien. Niemand sagte etwas und wenn doch, dann konnte man nur hoffen, dass man niemals davon erfuhr, denn die Strafe für das Ausplaudern solcher Interna war selbst ein Grund den Eidbrüchigen in seine eigene Anstalt einzuweisen und zwar für 25 Jahre, denn solche Amtsträger mussten so schwer als möglich bestraft werden, weil sie eine besondere Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft eingegangen waren.
Doch wer sich davon nicht schrecken ließ, der stieß auf die Archivare, lernte sie kennen, zumindest oberflächlich, denn auch die Archivare lebten dadurch, dass man deren wahre Identität nicht kannte, denn so konnte im Ernstfall der Leser bestraft werden, aber nicht der verbreiter, der meist auch kein festes Domizil hatte, sonder seine waren immer an wechselnden Orten feilbot, die nur Eingeweihten im Vorfeld überhaupt bekannt waren. Die Geheime Staatspolizei könnte natürlich auf Verdacht Personen befragen, die dann gestehen mussten, was sie wussten. Allerdings ließ man diesen Plan schnell fallen, weil man Parallelen zur Hexenjagd früherer Jahrhunderte sah. Eine solche Aktion würde am Ende nur Paranoia auslösen und die Gesellschaft unruhig und unbeständig machen und zudem den Groll gegen die weisen Lenker dieser heraufbeschwören. Und um dies zu verhindern, ging man eben nicht so vor, obwohl es Stimmen gab, die ein solches Vorgehen befürworteten.
Und so war es auch Jonas Härtlein gelungen einen Archivar ausfindig zu machen. Bei dem ließ er sich aber praktisch nie blicken, denn was nutze es, seine Stellung zu riskieren? Aber er wusste, das Fjodor sich für diesen Mann interessierte und so gab er ihm bekannt, wo sich dieser sogenannte Mister Smith aufhielt.
So begab sich Fjodor Mandzukicz eines Abends in einen kleinen Laden, der geschlossen war und nur durch die Hintertür zu erreichen war. Eine Parole musste man an der Tür klopfen, erst dann erhielt man Einlass. Eine dunkle Gestalt führte ihn durch einen stockdunklen Raum und öffnete dann eine Falltür, durch die gleißendes Licht drang. Fjodor stieg die Treppe hinab in einen großen Lagerraum, in dem sich ein Sammelsurium von Büchern befand, die allesamt schon stark angegilbt waren und einen eigentümlichen Geruch verströmten.
Ein älterer Mann, der eine dicke Hornbrille auf der Nase balancierte, kam ihm entgegen. Er reichte ihm die knochige Hand und lächelte freundlich, wobei er seine falschen Zähne entblößte.
„Einen schönen Guten Abend, Suchender. Was wünschst du hier zu finden?“, fragte er mit milder Stimme. Fjodor wurde sich plötzlich bewusst, dass er eigentlich nichts Bestimmtes suchte, sondern einfach suchen wollte um etwas zu finden, von dem er aber noch nicht wusste, dass er es suchte.
„Nun, ich suche eigentlich nicht so richtig. Ich will einfach sehen, was mir geboten wird und dann etwas herauspicken“, antwortete er wahrheitsgemäß. Die Miene des Alten erhellte sich augenblicklich.
„Oh, ein Neuer!“, entfuhr es ihm mit einer Freude, die sonst nur Kinder zeigten, wenn sie ein Geschenk überreicht bekamen.
Der Führer, der Fjodor eingelassen hatte und hierher bekleidet hatte begann, auf ein Zeichen des Alten, ihn abzuklopfen.
„Entschuldige, aber das ist so Sitte. Wir wollen ganz sicher gehen, es ist auch eine Sicherung unsererseits, ich hoffe du verstehst das“, entschuldigte er sich und wartete das Ergebnis ab. Aber Fjodor trug nichts Verdächtiges bei sich.
„Gut, geh wieder nach oben“, wies Smith den Anderen an und dieser gehorchte, stieg wieder nach oben und schloss die Falltür.
„Nun folge mir bitte. Da du nichts Bestimmtes suchst will ich dich ein wenig herumführen und ein paar ausgesuchte Perlen meines Kollektion zeigen“, führte der Alte aus und begab sich, erschreckend flink, in eine der regalreihen hinein. Selbst Fjodor musste große Schritte machen um ihm zu folgen. Der Alte trug einen Arztkittel, der bis zum Boden reichte. Darunter trug er eine einfache Jeans und ein altes Hemd, welches an mehreren Stellen bereits geflickt worden war. Sein dünnes graues Haar hing ihm an den Seiten bis zu den Schultern hinunter. Allerdings waren seine Augen listig und tanzten flink in den Höhlen. Ebenso waren seine Hände und Füße von einer Beweglichkeit, dass man erschrecken musste als deutlich jüngerer Mensch.
Mit einem sicheren Griff holte Smith ein Buch hervor, welches in einen teuren Ledereinband gebunden war. Er reichte es Fjodor mit äußerster Vorsicht. Dieser schlug es an einer beliebigen Stelle auf und erkannte Tinte und las die saubere Handschrift eines Unbekannten.
„Das ist die wohl unglaublichste Art solche Bücher zu bewahren. Wie Sie sehen trägt der Einband den Titel  „Prinzipien der Gesetzgebung“ von Jeremy Bentham. Aber wenn Sie diesen abnehmen werden Sie einen gänzlich anderen Titel erblicken.“
Vorsichtig nahm er das Buch aus Fjodors Hand und löste den schwarzen Umschlag. Dahinter kam ein ebenso Schwarzer zum Vorschein, jedoch mit anderem Titel.
„Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ von Golo Mann. Was für eine Sprache ist das?“, fragte Fjodor, denn der Titel war in deutscher Sprache verfasst, ebenso der Inhalt.
„Das, mein unwissender Freund, ist Deutsch. Vielleiht habt Ihr davon schon einmal gehört. In unseren Breiten war es früher verbreitet. Aber nach 2026 wurde es abgeschafft. Heute spricht man in unseren Städten der europäischen Verwaltungseinheit nur noch Englisch. Aber was wirklich interessant ist, ist der Umstand, dass dieses Buch gerettet werden konnte, indem man eine handschriftliche Kopie anfertigen konnte und so das Original der Vernichtung preisgeben konnte, während diese Kopie überlebte. Das ist ein Weg, den aber nur die Wenigsten gegangen sind. Der Herr erkennt an der Dicke des Buches, welch ein Aufwand es war. Und das auch noch in einer toten Sprache, gut, das Datum der Anfertigung zeigt, dass die Sprache damals noch nicht o tot war wie heute. Aber trotzdem, selbst wenn der Kopierer die Sprache verstand und kannte ist es ein enormer zeitlicher Aufwand, der betrieben werden musste. Und das Schriftbild zeigt deutlich, dass es nur ein Kopierer war, nicht mehrere im Schichtbetrieb. Egal wer der Namenlose war, er hat uns einen gewaltigen Schatz gerettet.“
Vorsichtig wickelte er den Umschlag wieder um das Buch und stellte es ins Regal zurück.
Dann führte er Fjodor erneut in eine weitere Regalreihe. Der Alte bückte sich und zog einen Koffer hervor.
„Das hier ist eine Sammlung von Büchern von Friedrich Schiller. Also nicht der Bücher, die man kennt, sondern jene, die verboten sind.“
„Kabale und Liebe. Aber, da werden Klassen durchbrochen“, sprach er nach, was er schon in der Schule gelernt hatte.
„Genau. Und deshalb ist es hier. Der ursprüngliche Eigentümer hatte es als Vorratskiste deklariert und beim Essen. Er wusste dann selbst nicht, wohin die Sachen gekommen sind. Einige Jahre nach den Säuberungen hatte man dann diese Bücher, ganz zufällig, wiedergefunden.“
Der Koffer wurde geschlossen und schließlich führte er Fjodor noch in eine letzte Reihe, wo er ein Heft herauszog.
„Dieses Magazin wurde für Theologiestudenten geschrieben. Darin sind ausgesuchte Stellen aus der Bibel drin und manches interpretiert, oder es ist Sekundärliteratur erklärt. Das alles führt dahin, dass man manchmal ein anderes Bild von der Sache bekommt. Denn hier werden andere Ideen präsentiert, als man sie heute allein hört. Und wenn man ganz ehrlich sein will, so muss man am Ende immer wieder feststellen, dass auch diese durchaus etwas für sich haben. Sie erscheinen lange nicht so hanebüchen wie manche heutige Interpretation. Natürlich wird hier über Betrachtungsgegenstände geschrieben, die uns eigentlich kaum noch zur Verfügung stehen. Ebenso sind solche Fachzeitschriften kaum erhalten, weil man sofort die Bibliothekbestände angegriffen hat du die Datenbanken. Erst danach hat man die Säuberungen der Literatur bei den Privaten begonnen. Die hatten ja nur ihre Bestände und nichts von den Bibliotheken. Und man muss sagen, bei den Bibliotheken war man auch äußerst genau. Bei den Privaten, ich denke das haben meine Ausführungen gezeigt, da hat man weniger genau hingesehen, vor allem bei denen nicht, die nicht aus den entsprechenden Berufsfeldern entstammten, oder mit solchen Leuten verwandt waren. Der Spender war, soweit ich mich entsinne, ein ferner, wirklich ferner, Bekannter eines, heute nennen wir sie ja Redner, aber damals noch Pfarrer. Zumindest war das Wort, als ich jung war und das liegt schon lange zurück, noch recht präsent, aber eben auch schon im Verblassen begriffen. Und heute ist es eigentlich ein Fremdwort geworden, selbst in unserer eigenen Sprache. Aber ich rede und rede und Sie kommen gar nicht zum Umsehen. Naja, ich will Sie nicht länger belästigen. Aber es ist mir ein gewisses Bedürfnis Personen, die erstmalig zu einem Archivar kommen, die besonderen Perlen zu zeigen, die ich aufbewahre. Natürlich gibt es da noch viele mehr, aber das sind doch ganz ordentliche Aushängeschilder. Sehen Sie sich einfach um und sagen Sie Bescheid, wenn Sie etwas erstehen wollen. Einverstanden?“
Fjodor nickte nur wortlos, denn die ihm gerade offerierten Informationen, die wird der geneigte Leser unproblematisch verstehen können, denn Worte wie Pfarrer haben für ihn noch eine Bedeutung. Für Fjodor handelte es sich aber um ein gänzlich unbekanntes Wort oder eines, was er mal vereinzelt gehört hatte, den Sinn aber nie durchdrungen. Ihm ging es, ich will es für den Leser illustrieren, als würde man glauben, auf einem bestimmten Gebiet eine Menge zu wissen und erhält plötzlich eine enorm erhellende Information, die man erst einmal sacken lassen muss, weil sie das bisherige Wissen in ein ganz neues Licht rückt. Wenn Sie dieses Gefühl auch nur ein wenig ermessen können, so können Sie sich vorstellen, wie sich Fjodor in diesem Moment fühlte.
Allein streifte er noch eine Weile durch die Regalreihen und fühlte sich wie ein Kind, dass man in der Spielzeugabteilung des Kaufhauses hatte eingeschlossen. Immer wieder öffnete er vereinzelt Bücher und staunte über manche unbekannte Sprache oder gar unbekannte Schrift. Danach begab er sich wieder nach vorne, wo der Alte hinter seinem kleinen Tresen hervorkam.
„Und, fündig geworden?“, fragte er und rieb sich die Hände.
„Naja. Ich habe mir einen Ãœberblick verschafft. Sollte ich aber einen konkreten Wunsch haben, dann kann ich ja nochmal wiederkommen.“
Mr. Smith nickte verständnisvoll. „Das wird jetzt eine ganze Menge für Sie gewesen sein und bestimmt nicht einfach zu verkraften. Aber gehen Sie nur, gehen Sie nur. Man wird Ihnen eine anonyme Nachricht zukommen lassen. Dafür müssten Sie mir nur eine Adresse nennen, wohin wir sie senden sollen. Alles andere ist mir egal.“
Fjodor nannte Smith bereitwillig seine Wohnadresse und verabschiedete sich dann. Der Alte befahl über eine Gegensprechanlage, dass die Falltür geöffnet werden sollte, was prompt geschah. So konnte Fjodor in die erneute vollkommene Dunkelheit treten. Zusammen mit dem Mann verbrachte er noch eine Weile dort um sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Dann geleitete der Man ihn hinaus und Fjodor lenkte seine Schritte nach Hause. Sein Kopf schmerzte, denn er fühlte sich, als habe man gerade versucht seinen Kopf mit mehr Informationen zu füllen, als er aufnehmen konnte und deshalb gewaltsam nachgeholfen hat, dass sie alle hineingingen. Er achtete peinlich genau darauf, dass ihn niemand beobachtete, obwohl man da nie ganz sicher sein konnte. Zudem sorgte der Chip in ihm dafür, dass die Behörden wussten, dass er hier gewesen war. Man wusste aber eben nicht, was er getan hatte, was ihn doch mit einer gewissen Genugtuung erfüllte.