Alles im Leben hat zwei Seiten. Außer es hat drei. Eine Geschichte, die noch erzählt werden muss. Von einem außergewöhnlichen jungen Mann, der Kunst und des Schicksals, das eine Welt für immer verändern sollte
Es war schätzungsweise drei Tage her das sie Umariel geholt hatten. Schätzungsweise, den seine einzige Möglichkeit die Zeit zu bestimmen bestand in dem kleinen Fenster, durch das entweder licht fiel oder nicht. Nach dem ersten Tag hatte er nicht mehr wirklich darauf geachtet… und am nächsten war der Zauberer aus der Nebenzelle von den Inquisitoren geholt worden um zurück nach Venthron gebracht zu werden.
Wie einen Schwerverbrecher hatten sie den alten Mann an Ketten aus dessen Zelle gezerrt und den Gang hinab außerhalb seiner Sicht gebracht. Er konnte nur hoffen, dass er wirklich zur Stadt der Magier zurückgekehrt war… und man ihn nicht einfach getötet hatte.
Die nächsten zwei Tage war er vollkommen allein gewesen. Allein mit einer langsam unerträglich werdenden Stimme, die ihn kaum Schlaf finden ließ. Und seiner Trauer, die langsam aber sicher in reine Wut umschlug.
Wut, die er gegen niemanden richten konnte. Die einigen anderen Lebewesen, die er zu Gesicht bekam waren ein paar Ratten und ab und zu, ganz sicher nicht regelmäßig, brachte jemand Essen. Er ließ es stehen. Bisher war niemand gekommen um ihm zu sagen, wie es mit ihm weiterging.. oder ob… Und dabei geisterte ihm immer wieder die Vorhersage des Magiers durch den Kopf. Eines Tages würde ihn der Nardor in seiner Seele verschlingen. Und zu etwas anderem werden lassen.
Corinthis würde das nicht zulassen, wenn er die Chacne dazu bekam.
Es konnte gut sein, das sie ihn einfach für den Rest seines Lebens hier festhalten würden. Ohne, das er je wieder die Sonne sehen würde. Und das steigerte seine hilflose Wut nur noch. Und das schlimmste war… Corinthis glaubte langsam aber sicher den Verstand zu verlieren.
Wobei die ewig bohrende Stimme des Nardor seinen Teil beitrug…
Und jetzt hörte er auch noch Schritte. An sich wäre das nichts als zu Ungewöhnliches gewesen, aber die kleine Zelle lag bereits seit Stunden in der Dunkelheit. Vermutlich war es kurz nach Mitternacht.
Wer würde sich um diese Zeit hier herab verirren? Umso mehr verwunderte ihn daher die Tatsache, dass sich ein Licht den Gang hinab näherte. Seine mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnten Augen nahmen die Veränderung der Helligkeit schon war, als deren Quelle noch ein gutes Stück entfernt sein musste.
Einige Augenblicke später war Corinthis sich endgültig sicher… jemand näherte sich seiner Zelle.
Ein Mann in der vergoldeten Rüstung der Inquisition kam in Sicht. In einer Hand hielt er eine Fackel und in der anderen… einen Schlüsselbund.
Die Augen des Mannes zuckten nervös hin und her, als erwarte er jeden Moment angehalten und gefragt zu werden, was er hier zu suchen hatte. Eine berechtigte Frage, wie Corinthis fand.
,, Seit ihr Corinthis der Maler ?“
Corinthis antwortete nicht sofort. Eigentlich konnte ihm egal ein, was der Mann wollte. Er gehörte zur Inquisition. Das wahrscheinlichste war noch, das der Kaiser beschlossen hatte auch den letzten Zeugen für den Mord an einem Mitglied der kaiserlichen Familie aus dem Weg zu räumen… Nur für den Fall, das er jemals dazu kam zu sprechen. Das sähe ihnen ähnlich…
Er stand langsam auf und ließ den Inquisitor nicht aus den Augen. ,,Vielleicht.“
,, Wir haben keine Zeit für Spielchen.“
,, Seht ihr.. ich persönlich habe bedauerlicherweise alle Zeit der Welt.“
,, Verdammt nochmal…“ Sein Blick fiel auf Corinthis Verbundene Hand. ,, Gut, ihr seid es. Tretet vom Gitter zurück.“
,, Warum sollte ich ?“ , fragte er.
Der Mann seufzte und begann mit dem Schlüssel herum zu hantieren. Offenbar wusste er nicht, welcher davon in das Schloss passte und so suchte er eine Weile, bis einer schließlich ins Schloss der Zellentür einrastete. Sobald diese offen war ließ Corinthis seiner angestauten Wut freien Lauf. Er konnte geradezu spüren, wie der Geist des Nardor durch seinen Körper strömte, auch wenn er sich dagegen sträubte. Aber im Moment war ihm die zusätzliche Wut mehr als Willkommen. Es interessierte ihn nicht, ob er lebte oder starb, aber jemand würde bezahlen müssen.
Der völlig überraschte Inquisitor wurde von Corinthis gepackt und mühelos gegen die Wand gedrückt, so dass er kaum noch Luft bekam. Der Maler war kurz davor den Menschen einfach zu zerquetschen…
Warum nicht ? Er ist nur ein Mensch.. schwach.. du bist mehr…
Das der Nardor diese feststellte, brachte ihn wieder zur Besinnung. Es war besser nichts zu tun, was diese Kreatur vorschlug. Corinthis bremste seinen Zorn, hielt ihn aber auf Abruf. Ein falsches Wort und der Mann Würde sterben.
Er ließ ihn los und der Inquisitor fiel hustend zu Boden. ,, Was… ihr…“ Offenbar versuchte er zu sprechen. Corinthis sah mitleidslos auf ihn herunter. Sein altes Ich… in einem entfernten teil immer noch vorhanden hätte wohl Mitleid mit dem Mann verspürt. Er jedoch…
,, Nennt mir einen guten Grund euch nicht sofort zu töten.“
,, Ich bin nicht“ , der Mann wurde von einem Hustenanfall unterbrochen , ,, Nicht euer Feind.“
,, Ihr und eures gleichen habt mein verdammtes Leben zerstört.“ Er spürte erneut Wut in sich hochkochen.
,, Ich habe euch grade befreit.“
Dagegen konnte Corinthis nichts erwidern. Da stimmte. ,, Wieso ?“
,, Wie gesagt ich bin auf eurer Seite.“
,, Ich bin euch noch nie begegnet und soll euch einfach so vertrauen ? Für wie dumm haltet ihr mich?“
,, Welche andere Wahl habt ihr ? Hört zu, ich trage eine Inquisitionsrüstung, das heißt nicht, dass ich mit allem Einverstanden bin, was diese tun. Und kaltblütiger Mord gehört sicher nicht zu unseren pflichten.“
,, Dann solltet he euch nicht um mich kümmern. Geht in die Straßen, erzählt es den Leuten.“
,, Um am nächsten Morgen gevierteilt zu werden ? Nein danke, aber euch kann ich helfen.“
,, Gebt mir eine Klinge und ich helfe allen. Der Kaiser erlebt den morgen nicht mehr.“
,, Seit nicht dumm. Ihr habt ein paar Inquisitoren getötet, aber da draußen sind zweihundert davon, die das Gelände bewachen. Ihr könntet den Platz nicht einmal halb überqueren, bevor sie euch einfach mit Pfeilen spicken.“
,, Und ihr Schlagt stattdessen vor ?“
,, Wir fliehen… über die Grenze nach Niob. Ich kann ohnehin nicht mehr hierbleiben. Man wird schnell erraten, wer die Zellentür geöffnet hat.“
,, Und ihr glaubt, man wird usn dort aufnehmen ?“
,, Ein abtrünniger Inquisitor und ein Mann, der eine Anklage gegen den Kaiser von Ert vorbringen kann ? Die werden uns die Füße küssen.“ Der Mann schien langsam etwas Selbstvertrauen wieder zu Gewinnen.
Corinthis jedoch überlegte. Alle sin ihm Schrie danach, den Mann einfach zur Seite zu stoßen und in den Palast zu gehen. Um dafür zu sorgen, dass der Kaiser seine letzte Nacht gesehen hatte.
Aber gleichzeitig hatte der Inquisitor recht… Was auch immer ihn dazu trieb, Corinthis zu helfen… er hatte recht. Der Maler würde nicht einmal in die Nähe des Kaisers kommen… und somit wäre alles Sinnlos. Aber wieso auch nicht.. viel blieb ihm ohnehin nicht mehr übrig. Und gleichzeitig zwang ihn doch die simple Logik, dem Rat des Mannes zu folgen… Sterben konnte er später immer noch.
Vielleicht weniger sinnlos.
,, Nun gut, wo lang von hier aus ?“
Der Mann deutete den Gang hinab, wo sich Zellen an Zellen reihten. Allesamt leer soweit er sehen konnte. Auch als sie weiter den Flur entlangliefen blieben die Zellen leer.
,, Wieso ist hier unten niemand ?“ , fragte Corinthis
,, Die meisten die hierher kommen.. bleiben nicht lange.“
Corinthis nickte. Der Inquisitor brauchte das nicht weiter auszuführen.
,, Wie lautet eigentlich euer Name ?“
,,Darcon.“
,, Dann danke Darcon. Ich weiß nicht warum ihr das tut und bin mir nicht sicher, ob ich das nicht bereue. Aber trotzdem danke.“
,, Dankt mir, wenn wir außerhalb der Stadt sind.“
Am Ende des schmalen Korridors führte eine steile Treppe hinauf an eine schwere Holztür. Vorsichtig öffnete Darcon diese. Ein weiterer Gang, diesmal jedoch kein beklemmend enger Korridor wie unten in den Zellen sondern ein weiter offener Flur. Nun bestätigte sich auch endgültig Corinthis Vermutung, dass er sich in der Inquisitionskaserne befand, den durch ein niedriges verglastes Fenster konnte er den großen im Mondlicht Silber schimmernden Platz des Palastbezirks erkennen.
Der Gang selbst war verlassen und nur hier und da sporadisch durch Fackeln erhellt. Hinter einer Tür konnte Corinthis flackernden Lichtschein erkennen und hörte Stimmen. Es waren also noch Inquisitoren wach.
,, Hier entlang, schnell.“ , wies Darcon an, ihm zu Folgen. So leise wie möglich liefen sie durch die Gänge des verwinkelten Baus. Hier und da glaubte Corinthis, das sie jetzt bald draußen sein mussten, nur damit sie dann doch wieder einen anderen Weg einschlugen. Er fragte sich kurz, ob sein… Retter… diesen Weg absichtlich ging um Patrouillen auszuweichen oder ob das Gebäude wirklich wie ein Labyrinth angelegt war.
Vielleicht auch beides. Zumindest begegneten sie während der ganzen Zeit keinem einzigen Inquisitor und schließlich erreichten sie endlich eine weitere kleine Holztür, an der Darcon ihn anhalten ließ. Sie befanden sich offenbar in einer Art Küche. Langsam erkaltende Glut in einem Herd spendete schwaches Licht in dessen Schein er Töpfe, Messer und alles andere was sonst in einer Küche gebraucht wurde erkennen konnte.
Darcon indes war dabei zu versuchen, mit einem der zahlreichen Schlüssel an dem Bund, den er immer noch mit sich trug , das Schloss an der niedrigen Tür zu öffnen.
,; Das ist der Dienstboteneingang.“ , erklärte er nervös, weil auch der aktuelle Schlüssel sich nicht drehen ließ und probierte den nächsten. ,, Er führt direkt hinter das Kasernengebäude. Von dort aus…“ Der Schlüssel drehte sich und die Tür sprang auf. ,, Na wer sagt es denn.“
Sofort schlug ihnen warme Nachtluft entgegen und Corinthis trat, bevor ihn Darcon aufhalten konnte ins Freie. Natürlich bestand die Gefahr, dass er von drinnen gesehen wurde… aber für den Augenblick war ihm das egal. Nach der ganzen Zeit unter der Erde hieß er die frische Abendluft willkommen, die sich fast wie ein schwerer Mantel über alles zu legen schien. Nur genießen konnte er sie nicht…
Genau an so einem Abend war er Nehalenie das erste Mal begegnet…
Anstatt von Trauer stieg erneut Wut in ihm auf. Sofort schien der Nardor diese Gelegenheit nutzen zu wollen, aber Corinthis drängte den Geist sofort wieder zurück in eine Ecke seines Verstandes.
Es war nicht länger die Wut des Geists in ihm, es war sein eigener Zorn. Und dieser schien sich einfach gegen alles richten zu wollen. Selbst der Nardor schreckte davor zurück, aber Corinthis wusste, dass dieses Wesen nur auf eine weitere Gelegenheit warten würde… ein Moment der Unachtsamkeit und er wäre verloren. Und selbst wenn er weiterhin Aufmerksam blieb… der Geist würde letztlich mehr Ausdauer haben als er, das war ihm klar. Sein Leben war in zweierlei Hinsicht verwirkt. Wieso also überhaupt noch fliehen?
,, Geht es euch gut ?“
Corinthis nickte. ,, Wie geht es von hieraus weiter ?“ er vertraute dem Inquisitor immer noch nicht, aber im Augenblick hatte er nicht wirklich eine Wahl. Nicht wenn er wieder in den kerkern landen wollte. Wenn er einen Grund brauchte um zu fliehen, dann den das er sicher nicht dort unten sterben wollte.
Das bräuchtest du nicht.. das bräuchtest du nie. Ich kann dir bei allem helfen.
,, Tote zurück holen kannst auch du nicht.“
Darauf wusste der Nardor wohl nichts mehr zu erwidern und verstummte.
,, Wir müssen irgendwie aus der Stadt. Die Tore dürften unbewacht sein.“ , erwiderte Darcon und warf den Schlüsselbund durch die geöffnete Tür in die Küche. ,, Wenn sie den morgen finden, werden sie vielleicht denken, jemand hätt ihn verloren. Das bringt uns mehr Zeit, wie wenn plötzlich sämtliche Schlüssel fehlen.“
Corinthis nickte.
Sich immer im Schatten haltend überquerten sie den großen Platz und erreichten die Treppe, die hinunter in die Straßen Inglarions führte. Corinthis hätte gerne nach Keltor gesucht und sich von dem Mann verabschiedet. Nur damit der Händler wusste, dass er noch lebte. Aber das schien unmöglich. Sah man sie, wäre alles umsonst gewesen.
Kurz vor Sonnenaufgang erreichten sie endlich die Tore. Der Horizont war bereits in rötliches Licht getaucht und als die Sonne sich endlich über diesen erhob konnte man zwei Gestalten erkennen, welche die Stadt hinter sich ließen, durch die goldenen Felder in Richtung Grenze. Vor der Grenze jedoch lag Venthorn… die Stadt der Magier. Corinthis wusste nicht, wie lange sie Unterwegs sein würden, oder ob. Aber im Moment begnügte er sich damit, einen Fuß vor den anderen zu setzten und Inglarion hinter sich zu lassen. Und damit auch seine Vergangenheit…
Corinthsi existierte nicht mehr… Der Maler der einst diesen Namen getragen hatte, war verschwunden. Unfähig zu trauern und mit kochenden Zorn in den Andern ließ er die nebelverhangenen türme der Stadt hinter sich.
Es sollte eine lange Zeit dauern, bis er sie wiedersah.