Science Fiction
Weltengier

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"Weltengier"
Veröffentlicht am 15. November 2012, 994 Seiten
Kategorie Science Fiction
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Weltengier

Weltengier

 

Sehr herzlich danken möchte ich Philipp, der viel zu der Entstehung dieses Buches beigetragen hat. Ein grosser Dank für die Korrekturen geht auch an meine Schwester Tatjana und Iris, meine Studienkollegin. Dieses Buch ist gewidmet an alle Personen, welche der Natur mit ihr gebührenden Respekt begegnen und die sich täglich dafür einsetzen, dass unsere Welt für unsere Nachkommen erhalten

bleibt. *** Rauch, wie eine schwarze Schlange, Steigt empor, verschlingt das Licht, Die Erde, sie brennt lichterloh, Das eigene Blut verdeckt die Sicht. Es regnet Tod, Die Nase reizt ein giftiger Geruch, Und der Soldat, mit Angst, Wut und Entschlossenheit im Blick, Erwartet schon den drohenden Besuch. Und hinter ihm, liegt eine Stadt, Mit hunderten von

Leben, Es bleibt ihm nur der Weg nach vorn, Um ihnen Zeit zu geben. Die Kameraden blicken hoch zu ihm, Sie haben schon ihr höchstes Lebensziel erreicht. Aus ihren toten Augen strahlt Mut, Stolz... und Erwartung, Und der Soldat begreift. Sein Atem stockt, Der Horizont wird rot, verschwommen, Das Donnern tausender Beine... Sie kommen...

  Notizbuch eines

Unbekannten nördliches Grenzgebiet

Teil 1 - Das Ende aller träume

 

1. Ein Leben in Scherben


Der kühle Morgenwind begrüsste Aleksej Wladimirovich Leonidov, oder Alex, wie ihn seine Freunde zu nennen pflegten, als er aus dem Haus trat. Er schloss die Türe ab – seine Frau und seine Tochter schliefen noch – vergrub den Hals im Kragen seiner alten, ausgefransten, braunen Lederjacke und machte sich auf den Weg zur Arbeit.
Er war dreissig. Seine seriöse und selbstsichere Erscheinung, sein unrasiertes Kinn und die etwas

chaotische Frisur liessen ihn aber älter erscheinen.
Gras und Holzsplitter knirschten unter seinen Arbeitsstiefeln. Ein seltsamer Geruch, der sich aus verbranntem Holz und Fleisch zusammensetzte lag in der Luft. Die Sonne stand erst knapp am Horizont und beleuchtete mit fahlem Licht die Strassen der verlassen wirkenden Stadt. Es war eine kleine Stadt. Zumindest für russische Verhältnisse. Wahrscheinlich wohnten um die zwanzigtausend Menschen hier, doch niemand wusste es so genau.
Aleksej betrachtete beim Gehen die Strasse. Der schwarze Kunststoffbelag war von zahlreichen kleinen Rissen

durchzogen. Es gab keinen Strassendienst, der sich darum hätte kümmern können. Wozu auch, dachte Aleksej. Wer sollte diese Strasse jetzt noch mit Fahrzeugen nutzen wollen? Das letzte Mal, als er ein fahrendes Auto gesehen hatte, lag fast eineinhalb Jahre zurück.
Er erinnerte sich an sein Auto, welches er vor ungefähr drei Jahren besessen hatte. Es war ein grüner, kompakter Vierplätzer mit Vierradantrieb und einem – für die damalige Zeit – revolutionärem Stromverbrauch. Nicht viele konnten sich damals ein solches Auto leisten. Aleksej schon, mit seiner Kaderstelle in einem

Informatikunternehmen.
Splitterndes Glas riss Aleksej aus seinen Gedanken. Er blickte zurück und – keine Gefahr erkennend – setzte seinen Weg fort. Wer nicht aufpasste, konnte von einem ‚Säger‘ erwischt werden. Diese kleinen Biester schafften es immer wieder, durch die Frontlinie und die Stadtverteidigung zu gelangen, obwohl die Kontrollen angeblich verbessert worden waren. Manchmal drangen die Roboter mehrere Kilometer in die menschlichen Gebiete ein und terrorisierten wehrlose Leute. Alex hatte noch nie einen Säger angetroffen und hoffte, dass es auch so bleiben würde. Es gab immer wieder Berichte über

Säger-Angriffe in der Stadt. Man beschrieb diese Maschinen als sehr schnelle, tellerförmige Roboter von der Grösse eines Autorades. Was sie so gefährlich machte, waren rasiermesserscharfe Sägeblätter, die ihren ganzen Körper bedeckten.
Nach einigen Häusern gelangte er an eine Kreuzung. Traurig hingen noch immer zerschlagene Ampeln  über der Strasse, als würden sie auf die Rückkehr des normalen Lebens warten. Aleksej passierte ein rostendes, von Moos und Flechten überdecktes Autowrack, welches ab und zu von Kindern zum Spielen benutzt wurde, und bog in die nächste Strasse ab. Hier waren die

Häuser in einem erstaunlich guten Zustand. Die meisten Fenster waren noch ganz und nur an wenigen Stellen quoll Isolationsmaterial aus aufgesprungenen Fassaden heraus. Diese Häuser waren wohl durch die Gefechte verschont worden, dachte Aleksej.
Damals, als die Maschinen kamen, war die Stadt immer wieder Ziel von Artillerie- und Luftangriffen. Sowohl seitens der Maschinen als auch der eigenen Truppen, die mehrmals, aufgrund von Fehlinformationen oder aus Angst vor eingeschlichenen Truppen, die Stadt mit Bomben und Granaten übergossen. Aleksej hatte die Angriffe zusammen mit seiner Frau Nadja und zwölf anderen

Personen im Keller eines Blocks überstanden. Es war schlimm damals. Nahrungsmittel und Wasser waren knapp. Diese mussten während der ruhigen Stunden von den Leuten selbst besorgt werden, denn Versorgungstruppen kamen keine. Man nahm als Nahrung alles, was essbar war. Noch heute glaubte Alex, den Geschmack von Rattenfleisch auf der Zunge zu spüren.
Wenn Aleksej es sich genau überlegte, waren die eigenen Angriffe die schlimmeren. Denn sie kamen unerwartet. Das Militär löste keinen Alarm aus, um allfällige eingedrungene Maschinen zu überraschen. Aleksej hatte damals keinen einzigen Roboter zu

Gesicht bekommen. Erst als die Bombardierungen Wochen später endlich aufgehört hatten, drangen einzelne Kampfroboter in ein Randviertel der Stadt ein und richteten unter der Zivilbevölkerung ein Massaker an. Es war das erste Mal, dass Aleksej einige der Maschinen aus der Entfernung sehen konnte.
Doch nun lagen die Angriffe fast fünf Jahre zurück. Die Menschen besassen keine effektive Luftwaffe mehr, denn der Luftraum gehörte den Maschinen. Das Einzige, was diese daran hinderte, alle menschlichen Gebiete mit Bomben zu übersäen, war ein dichtes Netz aus Luftabwehrstellungen, welches sich dicht

entlang der Grenzen zog.
Ein grauer, magerer Kater tauchte aus einer Seitengasse auf, bemerkte Aleksej und huschte mit einem erschrockenen Blick über die Strasse. Sein Fell war unregelmässig aufgestellt und wies überall blutige Flecken auf, was wohl von einem Kampf mit einem Rivalen kam. Für einen kurzen Moment blieb Aleksej stehen, um den Kater zu betrachten. Dieser kroch unter eine zersplitterte Holzkiste und warf ihm von dort aus misstrauische Blicke zu. Obwohl dieses Tier nicht das beste Beispiel war, waren Katzen und Hunde in dieser Stadt wahrscheinlich die einzigen, die aus der miserablen Situation einen Nutzen ziehen

konnten. Die Tiere konnten sich frei von jeglichem menschlichen Einfluss in der Stadt austoben und sich ausbreiten. Zu Fressen gab es genug, denn Ratten und Mäuse gab es in Massen. Tauben und Möwen waren dagegen nur noch selten zu sehen, unter anderem, weil sie auch von Menschen gerne gefangen wurden. Vor Maschinen hatten die Tiere nichts zu befürchten, zumindest noch nicht, denn sie waren nicht ihr primäres Ziel, im Untersched zu den Menschen.
Niemand wusste genau, was die Maschinen mit ihrem Vernichtungskrieg erreichen wollten, doch es war anzunehmen, dass sie die Auslöschung der Menschheit anstrebten.

Kommunikationsversuche mit ihren Führern, den sogenannten ‚Seven Lords‘, waren bisher angeblich gescheitert, wie Aleksej gehört hatte, und das Abhören von Signalen lieferte keine brauchbaren Resultate. Ständig wechselnde Verschlüsselungen und die Tatsache, dass die Maschinen keinen Binärcode, sondern eine eigene digitale Codierung verwendeten, machten Abhörungsversuche sinnlos.
Es gab Berichte darüber, dass die Maschinen auf Gebieten, die sie einnahmen, ganze Städte errichteten. Zuerst beseitigten sie alles Leben und versiegelten den Boden. Dann wurden verschiedene Konstrukte errichtet.

Energie besorgten sie sich hauptsächlich aus Windturbinen und Solarkraftwerken. Aleksej vermutete, dass sie auch über neuere, effizientere Technologien verfügten, über die die Menschen noch nichts wussten. Angeblich waren auch zwei menschliche Fusionskraftwerke in ihrem Besitz, doch konnte nicht nachgewiesen werden, dass sie diese auch nutzten. Denn es war nicht ihre Art, menschliche Bauten zu verwenden. Sie zerstörten alles und bauten es wieder auf, auch wenn es sich von aussen betrachtet um eine ähnliche Anlage handelte.
Ein Mann ging auf der anderen Strassenseite in entgegengesetzter

Richtung vorbei und grüsste Aleksej stumm mit einem Nicken. Aleksej erwiderte den Gruss mit einem Lächeln. Obwohl der Krieg die Menschen in der Stadt enger rücken liess, kannte man sich gegenseitig kaum. Jeder ging seinen eigenen Dingen nach. Aleksej kümmerte sich um seine Familie und hatte nur wenig Freizeit, die er mit den wenigen Freunden, die er hatte, verbringen konnte.
Er bog in eine schmale Seitengasse ein, deren Boden von vielen, mit Wasser gefüllten Schlaglöchern übersät war. Aleksej nutzte herumliegende Holzbretter, um seine Schuhe nicht unnötig nass zu machen. An den

Hauswänden rechts und links hingen abgebrochene Regenrinnen und von den Dächern gerissene Kabelstücke herab. Hier und da döste ein Hund.
Aleksej verliess die Gasse und kam wieder auf eine breitere Strasse. Sein Blick blieb kurz an einer mannshohen, aus einem dunklen Metall gefertigten Statue hängen, die im verwilderten Park auf der anderen Strassenseite stand. Sie ruhte auf einem hohen Granitsockel, war stark gerostet und von Kletterpflanzen umwoben. Die Gesichtszüge waren inzwischen kaum mehr zu erkennen, doch Aleksej kannte das Denkmal von früher und wusste, dass es sich um Lenin handelte. Die Statue stand bereits seit

der Zeit der Sowjetunion hier und hatte viele Regierungen und auch die aktuellen Bombardierungen überlebt.
Er folgte der Strasse und blieb vor einem breiten Holzbrett, das an einer Hausmauer befestigt war, stehen. Es handelte sich um die Wandzeitung des Viertels. Seit Elektrizität und Ressourcen strikt begrenzt wurden, besassen nur noch wenige Leute elektronische Geräte, geschweige denn Internet. Auch konnten keine Zeitschriften mehr im grossen Stil gedruckt werden. Um die Bevölkerung aber weiterhin informieren zu können, führte die Stadtverwaltung diese veraltete Methode der Wandzeitung

wieder ein.
"Hallo!", grüsste eine jüngere, blonde Frau in einem roten Kunststoffmantel. Sie warf Aleksej ein Lächeln zu und blickte wieder zur Zeitung. Eine andere Person, ein Mann, vielleicht Mitte vierzig, mit Brille und einer schwarzen Jacke, löste nur kurz seinen Blick von der Lektüre und nickte Aleksej zu.
"Guten Morgen", antwortete Aleksej und betrachtete die Wandzeitung, das Werk einer sehr alten Redaktion, die trotz des Krieges ihre Arbeit nicht aufgegeben hatte.
Die Zeitung war von vorgestern. Macht nichts, inzwischen war man sich gewöhnt, dass die Zeitung nicht jeden

Tag erneuert wurde und ausserdem hatte Aleksej gestern keine Zeit gehabt, sie zu lesen. Das Erste, das ihm auffiel, war eine Zahl, die in sehr grosser Schrift geschrieben war. 71 %. Eine Zahl, die jeden Menschen erschaudern liess. Seit dem Ausbruch des Krieges war diese Prozentangabe ständig gestiegen, und erst in den letzten Monaten verlangsamte sich ihr Wachstum. Doch eine Abnahme war nicht Sicht. Diese 71 Prozent bezeichneten den Anteil der Erde, der sich in den Händen der ‚Seven Lords‘ befand. Land, welches den Maschinen gehörte. Ein Grossteil davon war bereits in Maschinenstädte umgewandelt worden, in Städte ohne jegliches makroskopisches

– oder gar mikroskopisches – Leben. Von den Meeren und Ozeanen brauchte man gar nicht zu reden. Die Menschen hatten längst keine Kontrolle mehr darüber.
Aleksej wusste nicht, wie die Redaktion auf diese Zahl kam und was alles als besetztes Land galt. Er wusste auch nicht, ob sie wirklich stimmte; vielleicht hatte die Redaktion die Angabe aus der Luft gegriffen, um einen möglichst schockierenden Zustand vorzutäuschen oder gerade umgekehrt, um die noch schlimmere Wahrheit zu verbergen. Eine andere Möglichkeit war, dass die Zahl offiziell von der Weltregierung kam. Was sie sagte, stimmte. So dachten zumindest die

Meisten.
Aleksej überflog einen anderen Artikel. Irgendein Spinner prophezeite, dass die Welt in fünf Phasen untergehen würde, und dass die Maschinen nur gerade die erste Phase darstellten. Was wollte er damit sagen, fragte sich Aleksej. Schliesslich war die Welt bereits zu 71 Prozent untergegangen. Konnte es überhaupt noch schlimmer werden?
"Sehen Sie sich das an!", sagte auf einmal die Frau mit ernster Stimme. Sie deutete auf einen kürzeren Artikel mit dem Titel ‚Neue Säger gesichtet‘. "Schon wieder wurde eine Person getötet, ein Kind!"
"Die Angriffe häufen sich", sagte der

Mann mit Brille schnell und übertrieben leise, so als hätte er Angst, ein Roboter würde sie belauschen. "Seit Jahren waren sie nur auf Grenzgebiete beschränkt, jetzt dringen die Säger immer tiefer in unsere Stadt ein... Irgendetwas haben die Maschinen im Sinn, das sag ich euch! "
Die Frau nickte dem Mann verständnisvoll zu, blickte zu Aleksej, lächelte wieder.
"Geben Sie auf sich acht!", sagte sie kurz und ging in die Richtung aus der Alex gekommen war.
Auch Aleksej machte sich auf den Weg. Er durfte nicht zu spät zur Arbeit kommen.
Nach Einbruch des Krieges lief das

Unternehmen, für das er als Informatiker gearbeitet hatte, bankrott. Und nicht nur dieses. Durch den zerstörerischen Krieg wurde der Lebensstil der Menschen komplett durcheinander gebracht und in die Vergangenheit katapultiert. Wer arbeitete, war entweder beim Militär oder in der Industrie, wo Lebensnotwendiges, auch Nahrungsmittel oder Waffen produziert wurden. Als Lohn verteilte die Stadtregierung Gutscheine, mit denen man sich gerade das Nötigste kaufen konnte; rinfache Kleider und Nahrungsmittel.
Aleksej arbeitete in der Lebensmittelproduktion. Sein Arbeitsplatz war eine riesige Lagerhalle,

die zu einer Art Gewächshaus umgebaut worden war, wo hauptsächlich Kartoffeln und Tomaten aufgezogen wurden. Da es weder biologische noch chemische Pflanzenschutzmittel gab, mussten alle Pflanzen von Hand von Insekten und kranken Blättern befreit werden. Des Weiteren musste Dünger ausgetragen werden, welcher direkt vor Ort aus diversen Abfällen hergestellt wurde. Arbeit gab es genug, doch vielerorts fehlten die Leute. Die Produktion, wo Aleksej war, wäre wesentlich effizienter, wenn noch mindestens zehn Personen mehr angestellt wären.
Nach einigen hundert Metern bog Aleksej wieder in eine Seitenstrasse ab. Auch

hier war der Weg mit Pfützen übersät. Doch Alex war geübt darin, sich im schwierigen Stadtgelände zu bewegen; die meisten Strassen in dieser Stadt sahen auch vor dem Krieg nicht anders aus.
Dass es hier keine Hunde oder Katzen hatte, erschien Alex etwas sonderbar, denn normalerweise war diese Strasse voll von Kötern, die alleine oder in Rudeln nach Essbarem suchten. Wie um seine Zweifel zu bestätigen, raschelte es plötzlich laut hinter Aleksej, direkt in seiner Nähe.
Das Erste woran er dachte, war eine Ratte. Er blieb stehen und blickte zurück, sah aber nichts. Trotz seiner

Überzeugung, dass es sich um ein Tier handeln musste, spürte Aleksej ein leichtes Kribbeln im Rücken. Wieder ertönte ein Rascheln. Es kam aus einer Ecke, wo mehrere grosse hölzerne Kisten standen. Aus Neugierde und um sich selbst zu beweisen, dass er keine Angst hatte, ging Aleksej zu der Kiste und hatte vor, diese mit dem Fuss zu stossen. Doch dazu kam er nicht.
Mit einem lauten Krach zerbarst das Holz in Stücke. Mit einem Aufschrei sprang Aleksej zurück. Etwas glitt unter den Kistenresten hervor. Aleksej begriff sofort, dass es sich nicht um ein Tier handelte. Vor ihm befand sich nun eine matt glänzende Halbkugel von der Grösse

eines Autorades. Auf der mit Kratzern und Rissen übersäten Oberseite rotierten zahlreiche, mit Blut befleckte Kreissägeblätter, die sich auf Scharnieren wie Arme eines Insektes bewegten. Damit hatte das Ding die Kiste in Sekundenbruchteilen zu Kleinholz verarbeitet.
Säger, ging es Aleksej durch den Kopf und er spürte, wie die Angst ihn packte. Rennen, war sein zweiter Gedanke, als der Roboter auf ihn zuzurasen begann. Der Säger glitt flach am Boden entlang, fast so, als würde er schweben. Risse und Pfützen hielten ihn nicht auf.
Adrenalin im Rücken spürend, drehte sich Aleksej um und rannte los. Wasser

aus Pfützen spritze in alle Richtungen, Glassplitter zerbarsten unter den Sohlen seiner Stiefel. Der Säger glitt näher. Alex hörte das zu einem hässlichen Kreischen gewordene Geräusch von rotierenden Sägeblättern immer lauter. Verzweifelt sah er sich nach allen Seiten um.
Er erblickte eine Feuerwehrleiter in Sprunghöhe über dem Boden. Das obere Stück, welches auf das Dach führte, war zwar abgebrochen, doch die Höhe sollte ausreichen um sich vor dem Säger in Sicherheit zu bringen. Aleksej steuerte direkt darauf zu. Wenige Schritte vor der Leiter sprang er ab und schnappte in der Luft nach der ersten

Sprosse.
Der Rest seines Körpers wurde an die Hauswand geschleudert, sodass er beinahe den Griff verlor. Mit zusammengedrückten Zähnen, den Schmerz ignorierend, angelte er sich bis zur letzten vorhandenen Sprosse hoch, bis er auch mit den Füssen Halt bekam. Erst jetzt erlaubte er sich einen Blick nach unten zum Säger, der inzwischen bei der Leiter angekommen war.
Der kleine Roboter schwirrte unten hin und her.
Aleksej wiegte sich schon in Sicherheit, als die Maschine auf einmal stoppte und in die Höhe sprang. Es kam zu überraschend, um darauf reagieren zu

können. Die Sägeblätter des Roboters schnitten durch seinen linken Schuh und das Hosenbein. Ein stechender Schmerz durchlief seinen Fuss und liess ihn aufschreien. Der Säger fiel wieder mit der Unterseite voran auf den Boden und glitt erneut an die Leiter ran. Er schien sich auf einen weiteren Sprung vorzubereiten.
Der zerschnittene Schuh begann sich rot zu färben. Ein kleiner Bluttropfen löste sich und fiel auf eine der rostigen Sprossen. Der Fuss tat höllisch weh, doch die Angst erlaubte es Aleksej nicht, dem Schmerz zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Er musste etwas unternehmen oder der Säger würde ihn Stück für Stück

zu Hackfleisch verarbeiten!
Der Säger katapultierte sich wieder in die Höhe, kräftiger als beim ersten Mal. Diesmal wartete Aleksej nicht mehr und stiess sich von der Leiter ab, in Richtung der gegenüberliegenden Hauswand. Er hörte noch wie die Sägeblätter der Maschine kreischend gegen die Feuerwehrleiter schnitten, als er einen Fenstersims zu fassen bekam und mit dem Körper gegen die Mauer schlug. Glassplitter schnitten ihm schmerzhaft in die Finger. Reflexartig zog er sie zurück und befand sich im nächsten Augenblick im freien Fall. Krachend durchschlug er Holzkisten und landete auf zersplitterten

Brettern.
Auf dem Rücken liegend, wusste er nicht, ob er über die Situation lachen oder weinen sollte. Ein tosender Schmerz im Rücken und den Beinen liess ihn für eine Zeit den Säger vergessen, doch sogleich hörte er wieder die Sägeblätter und zwang sich, seinen Kopf zu heben. Der Säger war keine zehn Schritte von ihm entfernt. Er war längst wieder auf dem Boden und rotierte suchend um die eigene Achse. Er entdeckte sein Opfer und begann sich in seine Richtung zu bewegen.
Die Angst trieb Aleksej in die Höhe. Vor Schmerz stöhnend und auf die Zähne beissend begann er auf einen Stapel aus

Brettern zu klettern, obwohl er wusste, dass es nicht viel gegen die scharfen Sägeblätter bringen würde. Was konnte er noch tun?
Als er ein weiteres Brett erklimmen wollte, bekam Aleksej ein armlanges Stück Stahlrohr zu fassen. Etwas Besseres würde er nicht finden, dachte er und nahm es an sich. Der Säger war schon fast bei ihm.
Aleksej ergriff das Rohr fest mit beiden Händen, ging in die Knie, um sein Ziel von der erhöhten Position treffen zu können und schwang damit mit seiner ganzen Kraft gegen den Roboter. Durch die Wucht des Aufschlages überschlug sich der Säger mehrmals klappernd und

blieb nach einigen Metern kopfüber in einer Pfütze liegen. Zahlreiche Kugelräder und seltsame Hebel auf seiner Unterseite wurden sichtbar.
Schwer atmend kletterte Aleksej vom Bretterstapel und betrachtete die ruhig im Wasser liegende Maschine. Seine Gedanken liefen auseinander. Er wusste nicht, ob er zum Roboter hingehen und ihn mit Schlägen traktieren sollte oder ob es besser wäre, die Gelegenheit zu nutzen um wegzulaufen.
Der Säger ergriff die Initiative. Seine gelenkigen Sägeblätter surrten, als er sich mit ihrer Hilfe wieder umdrehte und von neuem auf Aleksej zusteuerte. Aleksej hob zum nächstsen Schlag aus.

Der Schmerz meldete sich aber zurück und liess seine Sinne schwinden. Er war sich nicht mehr sicher, ob er einen weiteren Treffer landen könnte.
Wie aus dem Nichts, rasten drei aufeinander folgende Objekte an Aleksej vorbei. Drei Metallpfeile bohrten sich in die Hülle des Sägers. Es blitzte und knirschte laut an den Einschlagstellen. Eine Schockpistole, dachte Aleksej überrascht und gleichzeitig erleichtert und drehte sich in die Richtung, aus der die Geschosse gekommen waren.
Ein Polizist in dunkelgrauer Uniform und mit Helm kam auf ihn zu. Er hielt eine langläufige Schockpistole gegen den Roboter gerichtet, der sich nach den drei

Treffern nicht mehr gerührt hatte. In einiger Entfernung vor dem Säger blieb der Polizist stehen.
Seine Vorsicht hatte sich ausgezahlt. Die Sägeblätter der Maschine fingen wieder an sich wild zu rotieren und der Roboter griff an. Doch der Polizist war vorbereitet und gab zwei weitere gezielte Schüsse ab. Die Pfeilgeschosse durchbohrten die Hülle des Roboters und entluden sich knirschend in seinem Inneren. Rauchend kam der Säger zum Stillstand.
Der Polizist spuckte in Richtung des Roboters, und senkte seine Waffe.
"Danke", Aleksejs Worte kamen etwas harsch, nach all der Anstrengung.

"Danke", wiederholte er sanfter, um keinen falschen Eindruck zu hinterlassen.
"Keine Ursache", meinte der Polizist ruhig. Er steckte seine Waffe zurück in das Holster und hob den Sichtschutz seines Helms.
Nun sah Aleksej sein Gesicht. Der Polizist hatte einen ernsten und ruhigen Blick. Die wenigen Haare, die unter dem Helm hervorschauten waren dunkelbraun. Unter dem rechten Auge hatte er eine schmale Narbe, die sich kaum merkbar bis zu seiner Nase zog.
Die beiden gaben sich die Hände.
"Vitaly", sagte der Polizist.
"Aleksej... Alex. Ein Glück, dass Sie in

der Nähe waren."
Der Polizist blickte auf das Rohr in Aleksejs Hand.
"Ich glaube, du wärst auch selber damit fertig geworden", schmunzelte er, direkt auf ‚du‘ übergehend. "Das Wichtigste ist, seine Angst zu überwinden." Er blickte zurück zum Säger. „Dann sind diese Dinger schnell beseitigt."
"Mit einer Röhre kann die Prozedur aber lange dauern."
"Da hast du Recht. Besorg dir am besten eine Schusswaffe", antwortete Vitaly. "Ich weiss, die Dinger sind nicht einfach zu kriegen, aber es lohnt sich. Inzwischen ist auch dieses Viertel potenziell

gefährdet."
"Was meinst du damit?"
"Es ist bereits der vierte Säger innerhalb von fünf Tagen."
"Der Vierte?! Hier?!"
Die Säger waren also schon bis zu seinem Viertel vorgedrungen. Diese Erkenntnis machte ihm Angst. Mehrere Jahre lebte er mit seiner Familie ohne jegliche Maschinen hier und jetzt das! Ihm wurde schwindlig, doch nicht wegen Vitalys Worten. Vielmehr lag das an seinen Verletzungen, die sich jetzt wieder schmerzhaft bemerkbar machten. Vor allem der linke Fuss. Inzwischen hatte sich der zerschnittene Schuh mit Blut vollgesogen und machte

schmatzende Geräusche, wenn Alex sich bewegte. Er verspürte ein Pulsieren in der Nähe der Ferse. Er wollte gehen, doch der Schmerz traf ihn wie ein Blitz und er wäre wahrscheinlich gestürzt, wenn Vitaly ihn nicht gestützt hätte.
"Vorsicht!", sagte der Polizist und nahm Aleksejs linken Arm über seine Schultern. "Es hat dich schlimm erwischt. Heute musst du wohl alle deine Pläne streichen. Ich werde dir helfen, nach Hause zu kommen."
Es war bereits hell geworden, als sie sich auf den Weg machten. Alex humpelte auf dem unverletzten Fuss, während Vitaly ihn von der anderen Seite stützte. Die Leute auf den Strassen betrachteten die

Beiden mit einer Mischung aus Mitleid und Angst.
Nach einem schmerzvollen, langen Weg, den auch Vitalys aufmunternde Bemerkungen für Alex nicht leichter zu machen vermochten, erreichten sie seine Wohnung

.
2. Anwalt aus Stahl


Zwei Tage waren seit dem Angriff des Sägers vergangen. Aleksejs Verletzungen an den Händen und am Rücken waren fast vollständig verheilt, doch die Wunde an seinem linken Fuss war tief und tat immer noch weh. Seine Frau Nadja hatte sich in diesen Tagen intensiv um seine

Verletzungen gekümmert. Ein Glück, dass sie vor dem Krieg Krankenschwester gewesen war. Jetzt arbeitete sie in einer kleinen Fabrik am Rande der Stadt, wo einfache Kleider aus Wolle, Lein und Kunststoffen hergestellt wurden. Wegen dem Zwischenfall mit Alex kam sie in diesen Tagen früher von der Arbeit zurück.
Tagsüber kümmerte sich Aleksej um seine fast zweijährige Tochter Mascha, die hocherfreut darüber war, dass er hier war. Normalerweise liessen er und Nadja Mascha ganz alleine in der Wohnung zurück. Kinderkrippen und Kindergärten gab es keine mehr in der Nähe, obwohl die Stadtverwaltung immer wieder

versprach, sich darum zu kümmern.
Doch Mascha hatte sich an die Situation gewöhnt und spielte oft ruhig alleine. Die Eltern kamen dann jeden Mittag abwechslungsweise nach Hause, um ihr Essen zu geben und um zu sehen, wie es ihr ging. Manchmal schaute eine Nachbarin, den ganzen Tag zu ihr und brachte gleich ihre eigenen Grosskinder mit. Für Mascha waren das stets besonders interessante Tage, an denen sie mit anderen Kindern spielen konnte.
Alex hatte es nie bereut, in eine kaputte Welt ein Kind gesetzt zu haben. Er wusste, dass es sowohl für sie, als auch für Nadja und ihn ein hartes Leben werden würde. Für ihn war Mascha ein

Lichtschein der Hoffnung in einer Welt, die ständig dunkler wurde und zu erlöschen drohte. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, sich um seine Familie zu kümmern, was auch immer geschehen mochte.
Nikolai, ein Arbeitskollege von Alex, kam einmal während diesen zwei Tagen bei ihm vorbei, um sich zu erkundigen, wieso Alex nicht zur Arbeit erschienen war. Als er erfahren hatte, was ihm zugestossen war, hatte er Alex ohne zu zögern eines seiner Tickets geschenkt, damit dieser seine ausgefallene Arbeitszeit ein wenig kompensieren konnte. Schliesslich erhielt man nichts, wenn man nicht arbeitete. Es sei denn,

man meldete sich als arbeitsunfähige Person in einem Spital an und schmorte dort herum, was Alex aber auf keinen Fall vorhatte.
Da er bereits wieder gehen konnte, nahm er sich vor, an diesem Tag zum Verteiler zu gehen und seine und Nadjas Tickets für Nahrungsmittel einzulösen. Doch davor wollte er noch etwas anderes erledigt haben.
Alex ging zum Wandschrank und wühlte in einer Kiste herum, bis er eine kleine, rote Schachtel fand. Drinnen lag eine Armbanduhr. Ein mechanisches, selbstaufziehendes Modell, mit silbrig glänzendem Gehäuse und Lederbändern. Die Uhr war alt, hatte wahrscheinlich

noch seinem Grossvater gehört. Alex hatte sie von seinem Vater persönlich gekriegt, kurz bevor dieser in den Krieg gegen die Maschinen zog und schon bald darauf ums Leben kam.
Diese Uhr bedeutete Alex viel, doch er glaubte, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, sie gegen etwas Wichtigeres einzutauschen. Wie der Zwischenfall mit dem Säger gezeigt hatte, hatte sich die Situation in der Stadt drastisch verändert. Um sich und seine Familie beschützen zu können, brauchte er mehr als eine Stahlröhre.
Mascha sass im Wohnzimmer auf dem Teppich und war gerade damit beschäftigt in ihrem Lieblingsbilderbuch

zu blättern.
"Ich gehe einkaufen, meine Kleine", Alex küsste Mascha auf die Stirn. "Pass inzwischen auf das Haus auf."
Mascha blickte ihn mit grossen Augen an, lachte und widmete sich wieder ihrem Buch.
Bevor Alex das Haus verliess, nahm er von der Schuhablage die Stahlröhre, die er von seinem Kampf mit dem Säger mitgenommen hatte. An einem ihrer Enden hatte er einen Metallclip angeschraubt, um das Rohr am Gurt tragen zu können. Seit dem Zwischenfall wollte er nicht mehr darauf verzichten.
Seiner Frau wollte er auch einen Schlagstock andrehen. Doch so sehr er

sie auch bat, sie weigerte sich, ein solches Ding mitschleppen zu müssen, unter anderem mit der Begründung, dass sie jeden Morgen gemeinsam mit anderen Mitarbeitern zur Fabrik ging und dass sie am Abend immer belebte Strassen für den Rückweg nahm.
Aleksej befestigte das Stahlrohr am Hosengurt und steckte sich die Schachtel mit der Armbanduhr in die Hosentasche. Dann verliess er das Haus und humpelte los.
Es war schon bald Mittag. Immer wieder begegnete Alex auf den Strassen Leuten, auch vielen Bekannten. Die meisten waren gestresst, andere wiederum hielten an und redeten kurz mit ihm. Es tat gut,

nach zwei Tagen im Bett wieder Leute anzutreffen und mit ihnen über Kleinigkeiten zu reden. Viele fragten ihn, wieso er humpelte, andere wussten bereits vom Zwischenfall mit dem Säger. Alex war es unangenehm, darüber zu reden und sich als Opfer auszugeben. Ausserdem hatte Nadja ihm von weiteren Zwischenfälle mit Sägern berichtet. Die meisten betroffenen Erwachsenen waren in der Lage, die Maschinen zu zerstören, bevor sie ernsthaft verletzt wurden. So war es ihm im Nachhinein ein wenig peinlich, was ihm passiert war.
Nach einer halben Stunde erreichte Alex sein erstes Ziel. Er stand vor einem ehemals rosarot gestrichenen,

fünfstöckigen Haus. Die Eingangstüre hing nur noch an einem rostigen Scharnier und war natürlich nicht verschlossen.
Alex ging hinein und stieg in die vierte Etage hinauf. Er klopfte an einer Türe, welche von aussen mit dicken Holzplatten abgedichtet war. Es vergingen einige Sekunden, bis ein unfreundliches "Wer da?" aus dem Inneren der Wohnung kam.
"Ich bin es, Alex, mach auf, Maxim!"
Mehrere Schlösser und Riegel wurden geöffnet und das müde, bleiche Gesicht von Maxim Teljabin erschien im Türrahmen. Alex erschrak über Maxims Gestalt; ein aus unbekannten Gründen

nur zur Hälfte rasierter Bart, braune, fettige Haare und ein enges, beflecktes Leibchen, das den dicken Körper betonte. Er roch nach Waschmittel und Alkohol.
"Aleksej? Dich hätte ich zu dieser Tageszeit nicht erwartet", meinte Maxim überrascht und deutete mit einer einladenden Geste in die Wohnung. "Wie geht es dir? Solltest du jetzt nicht arbeiten?"
"Die gleiche Frage könnte ich auch dir stellen, Max!" Alex hinkte schmunzelnd hinein.
"Du weisst doch, dass ich aus gesundheitlichen Gründen nur drei Tage pro Woche arbeite", erwiderte Maxim etwas beleidigt. "Sag mal, wieso

humpelst du eigentlich?"
Alex liess die Frage im Raum stehen und ging in die Küche, wo auf einem zerkratzten Tisch eine breite Zweiliterflasche Wodka stand. Sie war zur Hälfte leer.
"Das sind also deine gesundheitlichen Gründe, Max", Alex deutete auf die Flasche. "Du solltest damit aufhören, bevor es zu spät ist."
"Naja... in gewisser Weise ist es bereits zu spät." Maxim betrachtete seine Füsse. "Mein Lieferant wurde vor zwei Tagen durch einen Säger getötet."
Alex bekam ein mulmiges Gefühl im Magen, als er das hörte. Max ging zum Tisch, nahm die Flasche in die Hand und

betrachtete sie. "Niemand kann mir nun noch Wodka besorgen. Ausserdem plagt mich der Gedanke, dass meine... Affinität zum Alkohol dem Mann das Leben gekostet hat. Schliesslich wäre er sonst nicht hierher gereist. Andererseits... könnte mich sein Tod retten." Er lachte. "Ich weiss nicht ob das was passiert ist schlussendlich gut oder schlecht ist.“
"Darum lässt du den Wodka für dich entscheiden", grinste Alex.
Maxim bot mit einer Geste Alex an, einen mitzutrinken, doch dieser schüttelte den Kopf.
"Hör zu Max... Ich bin wegen einer besonderen Sache da." Alex setzte sich

auf einen instabil wirkenden Stuhl.
"Schiess los.“ Maxim schob die Flasche zur Seite.
"Du hattest mir vor rund einem Jahr eine Waffe angeboten. Als Gegenleistung wolltest du die Uhr meines Vaters haben."
Alex holte aus der Hosentasche die Schachtel mit der Uhr und öffnete sie. Maxims Augen leuchteten auf, doch sogleich schüttelte und senkte er den Kopf.
"Was ist los?", fragte Alex aufgeregt. "Hast du die Waffe etwa schon verkauft?"
"Nein, ich habe sie noch", antwortete Maxim widerwillig. "Doch weisst du, die

Zeiten haben sich geändert. Damals wollte ich diese Uhr, weil ich Sammler war. Doch was nützt sie mir jetzt? Heute bin ich tagtäglich mit dem Tod konfrontiert, und diese Uhr würde mich nur ständig daran erinnern, wie vergänglich wir alle sind. Ausserdem kann mich eine Uhr nicht vor Feinden schützen."
Alex schwieg eine Weile. "Was kann ich dir ansonsten anbieten, Max?"
Maxims Augen leuchteten wieder auf. "Weisst du, es gibt da etwas, das du für mich tun könntest...", fing er an, hörte aber abrupt auf. Mit ernstem Gesichtsausdruck deutete er auf Aleksejs Fuss. "Du hast mir immer noch nicht

erzählt, was dir zugestossen ist."
Alex seufzte. "Ich wurde von einem Säger angegriffen. Wäre nicht ein Polizist in der Nähe gewesen, hätte mich dieses Ding in Stücke zerschnitten... Genau deshalb möchte ich ja die Waffe."
Maxim blieb eine Weile nachdenkend stehen und verliess dann die Küche. Nach einiger Zeit kam er zurück und hielt einen Stoffballen in der Hand.
"Das hättest du gleich sagen sollen", meinte er ernst und öffnete den Stoffballen. "Dies ist leider das einzige Stück, das ich dir anbieten kann."
Maxim hielt eine etwa zwanzig Zentimeter lange, schwarze Waffe in der

Hand.
"Es ist ein altes Modell. Ein Revolver... vermutlich mehr als siebzig Jahre alt. Das Ding hat sechs Patronen in der Trommel. Kaliber 357. Gehörte zu den Stärksten damals.“ Er hielt Alex den Revolver hin, der ihn in die Hand nahm und sorgfältig betrachtete.
"Hier ist eine volle Schachtel Munition, fünfzig Patronen. Wahrscheinlich auf dieser Welt die letzten ihrer Art", vermutete Maxim und legte eine rot-weisse Kartonschachtel auf den Tisch.
Alex legte den Revolver hin und blickte Maxim an. "Was wolltest du eigentlich sagen, was ich für dich tun könnte."
"Ach vergiss es, ich glaube, ich kann es

kaum erwarten deine Uhr zu bekommen", meinte Maxim lächelnd. "Du hast diese Waffe nötiger als ich."
"Danke", sagte Alex.
Dann betrachtete er den Revolver noch einmal. "Max, weisst du eigentlich, wie man damit schiesst?", fragte er.
"Naja, aus Filmen vielleicht, doch getestet habe ich sie noch nie." Er nahm die Patronenschachtel in die Hand. "Lass es uns einfach ausprobieren!"
"Was! Wo?"
"Na in der Nachbarwohnung... Die ist seit Monaten leer!"
Obwohl Alex sich etwas unwohl dabei fühlte, in einem bewohnten Haus mit Waffen zu experimentieren, ging er mit

Max in die Wohnung von nebenan. Hier herrschte das totale Chaos. Zerschlagene Möbel, Flaschen und Brandspuren, wo man nur hinblickte. Die Scheiben waren längst zertrümmert, ausgebleichte Tapeten hingen von den Wänden herab.
Max öffnete die Revolvertrommel und steckte sechs goldig glänzende, leicht rostige Patronen hinein. Dann schloss er die Trommel und streckte die Waffe Alex hin.
Max suchte einige noch halbwegs ganze Glasflaschen und stellte sie auf die Reste eines Holzschrankes, der sich am anderen Ende des Raumes befand. Er erklärte kurz, wie man seiner Meinung nach zu zielen und zu schiessen hatte und sagte,

er solle es doch einfach ausprobieren.
Alex legte an, spannte den Hahn, der mit einem rostigen Klicken einrastete, zielte auf die erste Flasche und drückte ab.
Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Luft. Wegen des unerwartet starken Rückstosses schlug die Waffe Aleksejs fast in die Stirn. Erschrocken zuckte er zurück.
"Mann, war das laut!", sagte Maxim, während er sich in den Ohren bohrte. Auch Alex verspürte eine leichte Taubheit. "Du hast getroffen!"
Eine Flasche war geborsten, zwar nicht die, auf die Alex gezielt hatte, doch immerhin eine, die genau senkrecht darüber

stand.
"Ich wusste doch, dass in diesem uralten Ding noch was drin steckt", freute sich Maxim. "Schiess noch einmal!"
Diesmal machte Maxim die Ohren zu. Alex zielte auf eine weitere Flasche. Er wusste jetzt warum er beim ersten Mal falsch gezielt hatte und hatte begriffen, wie er es anders machen konnte. Er spannte den Hahn und wollte gerade abdrücken, als von hinten plötzlich eine laute Frauenstimme ertönte.
"Was ist das für ein Krach hier! Was jagt ihr hier in die Luft! Gauner!" Eine kleine, alte Frau erschien. Sie trug ein hellblaues, weites Kleid, Filzstiefel und ein buntes

Kopftuch.
"Swetlana Wassiljevna!", sagte Maxim erschrocken, nahm Alex die Waffe aus der Hand, entspannte den Hahn und versteckte sie hinter dem Rücken. "Ich bin es nur!"
"Ja, ja, ich sehe SCHON wer ihr seid. Beide zwar erwachsen, aber noch immer lauter Dummheiten im Kopf!"
"Aber Swetlana Wassiljewna", protestierte Maxim mit sanfter Stimme, "es ist wichtig, was wir hier tun. Ausserdem dachte ich, sie seien nicht zu Hause und ich würde niemanden stören..."
"Wenn du aufhören würdest mit dem Hintern zu denken, hätten wir weniger

Dreck in unserem Quartier! Diese Maschinen gibt es auch nur wegen solchen Schwachköpfen wie du einer bist! Hört auf mit dem Krach, oder ich rufe die Polizei!" Mit diesen Worten verschwand die alte Frau genau so schnell, wie sie erschienen war.
"Mit der ist nicht zu spassen", erklärte Maxim. "Diese furzende Hexe hat mir schon einmal die Polizei auf den Hals gehetzt. Sie ist eigentlich taub, kriecht aber bei jedem Geräusch, das sie vernimmt, aus ihrer Höhle..."
"Das habe ich gehört!", rief die alte Frau aus einiger Entfernung.
Maxim wurde noch bleicher, als er ohnehin schon war. Man hörte noch, wie

die Frau etwas vor sich hin brummte und darauf die Türe ihrer Wohnung zuschlug. Nach einigen Momenten der Stille drückte Maxim Alex den Revolver mit den Patronen in die Hände.
"So, ich hoffe, du hast es einigermassen im Griff", sagte er. "Dem nächsten Säger solltest du damit einige Löcher in die Hülle schiessen können!"
Alex hoffte, dass Max damit Recht hatte.


3. Verdeckte Feinde


Alex hatte sich von Maxim und der Uhr seines Vaters verabschiedet und war bereits wieder hinkend auf der Strasse unterwegs. Nun musste er sich beeilen.

Schon bald würde der Verteiler in seinem Stadtviertel seinen Stand öffnen und Alex hatte keine Lust, den restlichen Tag Schlange zu stehen. Die 375er hatte er sich in die Jackentasche gesteckt. Der Lauf war immer noch ein bisschen warm.
Es war inzwischen Mittag geworden. Der Himmel war wolkenlos. Ein warmer Wind blies Papier- und Stofffetzen und einen angenehmen Geruch der Frische durch die Strassen. Alex wäre schneller am Ziel angekommen, wenn er sich für einen Weg über Seitengassen entschieden hätte, doch der Schock vom Sägerangriff war noch nicht ganz verdaut, und so bewegte er sich lieber auf belebtere Strassen. Es verging mehr als eine halbe

Stunde, bis er beim Verteiler ankam.
Vor ihm lag ein Platz von der Grösse eines Stadions. Der Boden war von einem schwarzen, nicht gut erhaltenen Kunststoffbelag überzogen. Einzelne Baumstümpfe und kleine Bodenrisse deuteten darauf hin, dass früher Baumalleen den Platz in mehrere Sektoren aufteilten. Damals war hier ein Paradeplatz gewesen, wo National- und Stadtfeste gefeiert wurden. Alex hatte dieser Ort früher selten aufgesucht und bereute das heute irgendwie.
Am Ende des Platzes befand sich ein dreistöckiges Gebäude. Ein grosses Tor, welches früher wahrscheinlich der Warenzulieferung eines Geschäftes

diente, war weit geöffnet, eine improvisierte Theke aus Kisten versperrte den Eingang. Mehrere Personen standen dahinter, nahmen Tickets entgegen und gaben dafür Brot, Hosen, Toilettenpapier – sehr teure Ware – und weitere Dinge heraus.
Aleksej war nicht der Erste. Es schien, als hätte der Verteiler seit einer halben Stunde geöffnet, denn fast hundert Personen, wie Alex schätzte, warteten bereits darauf einzukaufen. Die Warteschlange war mehrfach geknickt und schien gegen Schluss ein einziger Wirrwarr aus Leuten zu sein.
"Wer ist der Hinterste?", rief Alex in die Runde, als er bei der Menschenmenge

ankam.
"Ich bin der Letzte!" Ein älterer Herr in einem grauen Mantel und einer blauen Stofftasche vor den Füssen hob die Hand.
Alex stellte sich neben ihn.
"Wie geht es vorwärts?", fragte er.
"Seit einer halben Stunde", sagte der Mann müde und etwas gereizt, "habe ich mich kaum vom Fleck bewegt. Es heisst, die Seife sei ihnen ausgegangen."
Aleksej überlegte schnell, ob Seife nicht auf seiner, im Kopf verfasster Einkaufsliste stand. Es war nicht der Fall; zwei Stücke hatte er noch zu Hause. Der alte Mann drehte sich wieder von Alex weg. Er schien keine Lust zu haben

weiterzureden.
Es war immer ein langwieriger Prozess, wenn man etwas kaufen wollte, und meistens auch ein schlecht organisierter. Aleksej hoffte, dass sich dies bald ändern würde. Auch auf den Strassen hatte man ab und zu die Gelegenheit, diverse Sachen einzukaufen, doch waren die Produkte meist in schlechtem Zustand oder überteuert. Alex und Nadja verdienten zusammen sieben Tickets pro Tag. Bei einem Brotpreis von einem Ticket konnte man sich keine Aufpreise leisten.
Alex betrachtete die Menschenmenge. Es gab viele verschiedene Menschen hier. Die Mischung aus Freude, Trauer, Liebe,

Schmerz, Ruhe und Gereiztheit liess eine besondere Atmosphäre entstehen. Die Leute redeten miteinander oder waren, wie der alte Mann, in Gedanken vertieft. Hier lachte eine junge Frau über einen Witz, ein paar Schritte weiter rieb sich ein Mann die Tränen aus den Augen und berichtete einem Kollegen über den Tod seiner Mutter, ab und zu waren Kinder zu sehen, die ungeachtet der Mahnungen der Erwachsenen, schreiend durch die Menschenmenge rannten, aber auch solche, die ruhig auf dem Boden miteinander spielten.
Wie damals, dachte Alex, während er die Menschenmenge betrachtete. Die Menschen hatten sich nicht verändert,

trotz der tödlichen Gefahr durch die Maschinen, welche nur wenige Kilometer vor der Stadt lauerten. Der Gefahr, für die sie eigentlich selber verantwortlich waren. Nicht dieser Mann, oder diese alte Grossmutter im speziellen, sondern die Menschen als Ganzes. Die globale Situation war auch schon vor dem Krieg kritisch gewesen. Wasser-, Rohstoffknappheit und religiöse Konflikte entluden sich immer öfter in Kleinkriegen und das nicht nur zwischen den einzelnen Ländern, sondern auch im Inland, zwischen einzelnen Regionen, Städten und Unternehmen.
Alex kannte die damalige Situation in anderen Ländern nicht sehr ausführlich,

doch in Russland hatten sich mehrere militante Gruppen gebildet, die um Anerkennung kämpften und vor Gewalt nicht zurückschreckten. Auch die Regierung benutzte alle möglichen Mittel, um die eigene Autorität sicherzustellen.
Kriege wurden von weit entwickelten Ländern immer mehr mit Hilfe von Robotern geführt. Wo Maschinen vor dreissig bis vierzig Jahren die Soldaten im Kampf nur unterstützten, wurden sie vor dem Grossen Krieg zunehmend alleine in Einsatzgebiete geschickt, wo sie überwiegend selbstständig Aufträge erledigten. Alex wusste das, da er Programmierer war und solche

Maschinenkonzepte auch schon zu Gesicht gekriegt hatte. Er programmierte zwar Roboter für die Medizin, doch auch da waren die Maschinen als selbstlernende und steuernde Einheiten konzipiert. Überhaupt wurden damals in allen Bereichen des Alltags Computer eingesetzt, die lernfähig waren und sich selbstständig entwickeln und erweitern konnten. Sogar einfachste Rasierapparate waren komplex programmierte Geräte gewesen, die zur Komfortsteigerung des Benutzers immer mehr über ihn und seine Barthaare dazulernten.
Beinahe all diese Geräte waren miteinander vernetzt. Es existierte eine zweite Welt, eine virtuelle Welt, zu der

jeder Mensch, der sich ein solches Gerät leisten konnte, Zugang hatte. Auch da wurde gekämpft – auf dem Schlachtfeld der Hacker und Cracker. Die Entwicklung des Internets ging für viele Länder zu schnell. Zu einfach wurde der Zugang zu heiklen Daten, da gute Schutzalgorithmen fehlten. Die Programme wurden immer intelligenter und unübersichtlicher.
Alex wusste nicht genau, wann und von wem der Code entwickelt wurde, der die jetzigen Maschinen zum Denken befähigte, wenn man das überhaupt so nennen konnte, denn man wusste nicht genau, auf welche Weise sie das taten.
Dank der Vernetzung hatten die

intelligent gewordenen Computer ein leichtes Spiel. Bald waren alle ans Internet angeschlossenen, elektronischen Geräte in ihren Händen. Von einem Tag auf den anderen kontrollierten sie sämtliche Fabrikstädte und Verkehrsnetze auf der ganzen Welt. Wenige Wochen später hatten sie eine Armee aufgebaut, die in der Lage war, menschlichen Truppen Widerstand zu leisten.
Aleksejs Blick schweifte über die Menschenmenge. Irgendetwas blendete ihn kurz und als er zur Seite blickte, bemerkte er einen Mann, der ihn aufdringlich anschaute. Sein Gesicht war völlig entspannt, sein Blick kalt und

leer. Womöglich war der Mann in Gedanken versunken und merkte selber nicht, dass er vor sich hin starrte.
Alex blickte ihm noch einmal in die Augen und hatte diesmal das Gefühl, in den weiten Pupillen ein blasses, rotes Leuchten zu sehen. Der Mann drehte sogleich den Kopf zur Seite und verschwand in der Menge. Alex zuckte nur mit den Schultern. Wie viele seltsame Menschen es gab! Der Krieg brachte den Menschen nicht nur den Tod, sondern auch psychische Belastungen. Die Umwälzungen überforderten viele, schliesslich. Es waren gerade mal fünf Jahre seit Beginn des Krieges vergangen. Die Erinnerungen an die guten alten

Zeiten waren noch nicht verflogen.
Ein lauter und kurzer Schrei, der das Gebrummel der Menschenmenge deutlich übertönte, liess alle aufhorchen. Im Inneren der Menge breitete sich Panik aus, die sich wie eine Welle auf die weiter weg stehenden Personen ausbreitete. Einige rannten schreiend weg.
Was war denn nur los, dachte Alex, als ganz in seiner Nähe, über den Köpfen der Menschen eine rote Flüssigkeit aufspritzte. Dann wieder, weiter rechts. Tropfen fielen ihm ins Gesicht und ihr Geruch verriet ihm, dass es Blut war. Alex fühlte, wie Übelkeit und Angst ihn zu lähmen

begannen.
Mehr und mehr Menschen liefen weg, und auch Alex fing instinktiv an, sich rückwärts zu bewegen. Er erblickte wieder denselben Mann, der ihn vorher angestarrt hatte. Er war mit Blut befleckt, hatte aber immer noch den gleichen unbeteiligten Gesichtsausdruck. Sein rechter Unterarm war unnatürlich nach oben geklappt und lag am Unterarm an. Aus der entstandenen Öffnung ragte eine lange, aus drei starren Gliedern bestehende Klinge heraus. Auch sie war voller Blut. Am Boden um ihn herum, lagen vier bewegungslose Personen.
Die Armklinge des Mannes schnellte in die Höhe und blitzschnell wieder nach

unten. Ihr Ziel war diesmal eine Frau, die durch die Angst gelähmt mit grossen Augen auf das glänzende Metall starrte. Wie durch Butter schnitt die Klinge durch Kleider, Fleisch und Knochen und ein weiterer Körper fiel leblos auf den Boden.
Alex verspürte panische Angst. Er drehte sich um, begann zu rennen, stolperte aber sogleich über etwas Weiches. Nachdem er seinen Sturz mit den Händen abgefangen hatte, fand er sich nur einige Zentimeter vor dem Gesicht eines jungen Mannes wieder, der ihn mit grossen, starren Augen anblickte. Alex brauchte einige Zeit, um zu verstehen, dass die Person vor ihm bereits tot war. Seine

Gedanken überschlugen sich. Ein Toter! Warum hier? Der Mann mit dem Schwert war doch hinter ihm! Dann sah er den Grund. Ein weiterer, ähnlich aussehender Mann mit einer gleichen Klinge kam direkt auf ihn zu.
Alex rappelte sich so schnell er konnte in die Höhe, doch der Angreifer war zu nah und die Klinge bereits im Flug. Ohne nachzudenken, riss sich Alex die Stahlröhre vom Gürtel und parierte den Schlag. Klirrend trafen die Gegenstände aufeinander. Die Wucht des Aufschlages liess Alex zurücktorkeln, er stolperte erneut über jemanden und fiel. Die Stahlröhre flog ihm aus der Hand. Sein Kopf schlug schmerzhaft gegen den

Kunststoffbelag. Für einen kurzen Moment glaubte Alex das Bewusstsein zu verlieren, doch die Angst rüttelte ihn wieder wach.
Am Boden liegend blickte er hoch. Der Mann mit dem Schwert stand drohend über ihm, starrte ihn mit einem leeren Blick an. Diesmal war sich Alex sicher, ein rotes Leuchten in seinen Augen zu sehen. Der Mann holte aus und wollte wieder zuschlagen. Aleksej rollte zur Seite, doch ein toter Körper hinderte ihn daran, eine sichere Distanz einzunehmen. Es war das Ende!
"Hey!", ertönte es laut hinter dem Angreifer. Da dieser nicht reagierte, erklangen drei dumpfe Schüsse. Der

Mann machte unfreiwillig einen Schritt nach vorne, als sich drei Metallpfeile in seinen Rücken bohrten. Funken sprühend entluden sich die Geschosse. Der Mann verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorne.
Alex nutzte diesen Augenblick, um auf die Beine zu kommen und um sich zu schauen. Er erblickte insgesamt vier Polizisten und vier dunkel gekleidete Männer mit Klingen. Einer davon kämpfte mit zivilen Personen, die sich zur Wehr setzten. Die Polizisten gingen mit ihren Schockpistolen gegen die Angreifer vor und schienen die Situation unter Kontrolle zu bringen.
Jetzt erst sah Alex, wie viele Leute es

erwischt hatte. Überall lagen Männer, Frauen und Kinder tot am Boden. Die Leichen wiesen tiefe, hässliche Schnittwunden auf, aus denen zum Teil immer noch dunkelrotes Blut herausquoll. Die Angreifer waren schnell und effektiv vorgegangen. Alex wurde übel, er musste wegsehen um sich nicht übergeben zu müssen.
Der Polizist, der Aleksejs Angreifer erschossen hatte, kam näher und hob seinen Sichtschutz. Es war Vitaly.
"Du bist wohl mein Schutzengel!", sagte Alex und zwang sich zu einem Lächeln.
"Du hast es schon wieder geschafft, dich in eine lebensbedrohliche Situation zu bringen", erwiderte

Vitaly.
"Was sind das für Leute? Maschinen?", fragte Alex.
Er bekam keine Antwort, denn der Angreifer von vorhin begann sich wieder zu bewegen. Drei Schüsse einer Schockpistole hätten einen Menschen getötet. Doch der Mann kam mit einer unnatürlich schnellen Bewegung auf die Beine und steuerte sich auf Alex und Vitaly zu.
"Was zum...", rief Vitaly und riss die Waffe hoch. Bevor er abdrücken konnte, wurde er von irgendeinem Gegenstand getroffen und sackte zusammen. Sein Körper verkrampfte sich und begann zu

zucken.
Alex erkannte eine abgetrennte Hand, die sich an Vitalys Brust festklammerte. Aus der Hand lief ein Kabel heraus und führte über mehrere Meter zum Mann mit dem Schwert, wo es im Armstummel des bis dahin unbenutzten Armes verschwand. Nun war es offensichtlich, dass es sich bei den Angreifern nicht um Menschen handelte. Es waren Maschinen mit menschenähnlicher Gestalt.
Keine Zeit verlieren, dachte Alex, schnappte nach den Kabeln und zerrte daran so fest er konnte. Die Hand verliess Vitalys Brust, aber riss noch Fetzen seiner Kleider mit sich. Das Kabel begann sogleich im Inneren des

Armes zu verschwinden. Aus Angst und Wut drückte Alex seine Hände um das gleitende Kabel zusammen. Obwohl es aufgrund der Reibung brennend heiss wurde, liess er nicht los, presste die Hände nur noch fester um das gummiartige Ding. Es schaffte es, die Bewegung des Kabels zu stoppen. Doch der Angreifer hatte sich offensichtlich entschieden, sein Kabel selbst zu holen und kam mit raschen Schritten auf Alex zu, mit einer zum Hieb erhobenen Klinge. Alex liess das Kabel los und hechtete nach rechts um dem Hieb auszuweichen. Nach der etwas tollpatschigen Landung richtete er sich wieder auf und sah, wie der Angreifer

seinen, wieder komplett zusammengesetzten Schiessarm, in seine Richtung richtete.
Alex wusste, was jetzt kommen würde und liess seinen Körper nach rechts fallen um auszuweichen. Nach einem kurzen Flug landete er hart auf dem Boden. Die Hand der Maschine schoss mit einem dumpfen Geräusch aus dem Arm heraus, sauste nur Zentimeter entfernt an Alex vorbei und fiel klappernd auf den Boden. Sogleich wurde sie wieder zum Angreifer zurückgezogen.
Ein Schmerz in der Brust erinnerte Alex an den Revolver in der Jackentasche. Er stand auf, zog die Waffe heraus und

richtete sie auf den Angreifer. Ohne lang zu zielen drückte er den Abzug durch.
Es knallte laut. Der Schuss traf den Mann in die linke Brust und riss ein fingerdickes Loch in die Kleidung. Das schien diesem aber nicht gross zu stören, denn erneut richtete er seinen Arm auf Alex, der bereits wieder mit gespannter Waffe auf den Angreifer zielte. Als Alex abdrückte, bohrte sich die Kugel in die Stirn der Maschine. Der Kopf wurde nach hinten geklappt, Fetzen aus künstlicher Haut und Elektronikbruchstücke flogen aus dem Hinterkopf, doch nur ein Augenblick später sass sein Kopf wieder aufrecht. Mit einem völlig entstellten Gesicht blickte er Alex

an.
Der dritte Schuss brachte seinen Kopf regelrecht zum Explodieren. Kleine Metallteile und Tropfen einer eigenartigen Flüssigkeit flogen in alle Richtungen. Der Roboter stand noch schwankend auf den Beinen und fiel schliesslich Brust voran auf den Boden. Geschafft!
Noch immer aufgeregt, stand Alex eine Weile da. Dann erinnerte er sich an Vitaly, der immer noch am Boden lag, rannte zu ihm herüber und ging neben ihm in die Knie.
Vitaly atmete nicht und hatte Schaum im Mund. Der Stromschlag musste bei ihm einen Herzstillstand ausgelöst haben,

dachte Alex. Glücklicherweise wusste er was in einer solchen Situation zu tun war. Allerdings war das für ihn das erste Mal und er hatte unheimliche Angst, etwas Falsches zu tun. Er durfte aber auf keinen Fall nichts tun, sagte er zu sich,  riss die Schnallen der Schutzweste auf und öffnete sie. Dann drehte er Vitalys Kopf auf die Seite und befreite dessen Mund vom Schaum. Darauf begann er mit der Beatmung und der Herzmassage. Mehrere Zyklen später atmete Vitaly noch immer nicht selbstständig und Alex wurde langsam klar, dass er so nichts bewirken konnte. Er verspürte die Angst, jemanden Wichtiges zu verlieren.
In der Hoffnung etwas Brauchbares zu

finden, überblickte er Vitalys Ausrüstung und fand eine Erste-Hilfe-Tasche. Mit zittrigen Händen schnappe er sie, öffnete den Klettverschluss und schüttelte den gesamten Inhalt heraus. Er erblickte ein kleines Gerät, einen Defibrillator, der ihn an einen Rasierapparat erinnerte und verfluchte sich sogleich selber, dass er nicht sofort Vitalys Taschen durchsucht hatte.
Eine Bedienungsanleitung war direkt auf dem Gerät aufgedruckt. Alex überflog die aufgedruckten Bilder, presste den Defibrillator senkrecht auf Vitalys Brust und drückte auf den roten Knopf auf der Oberseite des Gerätes.
Ein leises, langgezogenes Geräusch

ertönte und Vitalys Körper schnellte wie von Geisterhand in die Höhe, als sich seine Muskeln durch den Stromstoss zusammenzogen. Unmittelbar darauf entspannte sich Vitaly wieder. Der Defibrillator überprüfte seine Lebenszeichen und gab einen zweiten Stromstoss. Nach dem dritten Mal wechselte die rote Farbe des Knopfes auf grün und ein Ton in einer neuen Frequenz ertönte. Da nichts weiter geschah, kontrollierte Aleksej Vitalys Puls und Atmung. Er lebte!
Alex hatte das Gefühl, als fiele ihm eine Ladung Steine vom Rücken. Es hätte es sich nie verziehen, wenn er den Mann, der ihm bereits zwei Mal das Leben

gerettet hatte, sterben gelassen hätte. Jetzt erlaubte sich Alex sich zu setzen und die Lage zu überblicken. Die Angst, Vitaly zu verlieren, hatte ihn die Gefahr vergessen lassen, in der er sich eigentlich befand.
Drei, der vier anderen Maschinen schienen zerstört worden zu sein. Doch er sah auch nicht mehr alle übrigen Polizisten. Von den zivilen Personen, die den Kampf mit den Robotern aufgenommen hatten, waren auch nur noch wenige geblieben und die meisten davon sassen oder lagen schwer verletzt auf dem Boden. Eine Maschine verteidigte sich noch immer mit besonderer Sturheit. Sie hatte aber

bereits grosse Mühe, sich koordiniert zu bewegen und gegen den Dauerbeschuss anzukommen.
Als Alex sah, wie ein Polizist von einer fliegenden Roboterhand getroffen wurde und zusammensackte, sprang er auf und rannte zu den Polizisten hinüber, um ihnen zu helfen. Nach einigen Schritten hielt er an, zielte und schoss. Doch die Kugel ging ins Leere, denn der Roboter hatte im selben Moment sein Vorhaben geändert und sich abrupt weggedreht. Er richtete sich gegen den Verteilerstand und rannte stolpernd in dessen Richtung. Sein Rückzug liess alle für einen kurzen Moment stutzig werden. Dann rannten die beiden Polizisten ihm

nach.
"Warte!", einer der Polizisten stoppte seinen Partner, indem er ihn am Ärmel packte. Der Roboter war inzwischen beim Stand angekommen und rannte direkt hinein.
"Runter!", schrie jemand.
Die Polizisten reagierten sofort. Auch Alex liess sich auf den Boden fallen und verdeckte sein Gesicht mit den Armen. Es folgte ein lauter Knall, als der gesamte Verteilerstand in Flammen aufging. Die Druckwelle schlug schmerzhaft gegen Aleksejs Trommelfell. Als nächstes nahm er die immer stärker werdende Hitze wahr, die seine Ohren, Haare und Hände zu verbrennen schien.

Nur einen Augenblick später war der Sturm bereits vorbei und Trümmer aus Holz, Dachstücken, verbrannten Haushaltsartikeln und Nahrungsmitteln begannen auf die Erde niederzuregnen. Ein Stück brennenden Holzes fiel Alex auf den Rücken. Der Schmerz zwang ihn, sich zur Seite zu rollen. Er stand auf und klopfte hastig seinen Rücken ab.
Alex blickte dorthin, wo der Verteilerstand vor kurzem gestanden hatte. Wo noch vor einigen Minuten lebensnotwendiges Material verteilt wurde, klaffte ein riesiges Loch im Gebäude. Der betroffene Teil des Hauses war eingestürzt, so dass man in die einzelnen Räume hineinsehen konnte, in

denen angesengte Kisten und Möbel standen. Die unteren Teile des Hauses brannten noch teilweise. Irgendwie erinnerte Alex das Bild an den Anfang des Krieges, als Artillerieangriffe an der Tagesordnung standen.
In einem Umkreis von dreissig Metern um Aleksej herum lagen Menschen. Der Boden war rot und glänzte. Der Geruch von frischem Blut hing in der Luft. Alex selber roch nach Blut. Blut, welches nicht ihm gehörte.
Erst jetzt wurde ihm vollkommen klar, in welch einer schrecklichen Situation er sich befand. Ihm wurde übel. Das Gefühl der Machtlosigkeit breitete sich in ihm aus und er glaubte nicht mehr zu wissen,

wo unten und wo oben war, als sich seine Gedanken überschlugen. Er hätte am liebsten aus Verzweiflung geschrien, wäre da nicht das halbverdaute Frühstück, welches durch seinen Mund nach draussen floss.


4. Die Pflicht ruft


Am nächsten Tag ging Aleksej wieder zur Arbeit. Sein Fuss fühlte sich nicht mehr ganz so schlimm an, die Rückenschmerzen waren weg. Psychisch sah das Ganze anders aus. In der Nacht tauchten vor seinen Augen immer wieder Bilder vom Massaker auf dem Verteilerplatz auf und raubten ihm den

Schlaf. Alex hatte Nadja vom Massaker berichtet, doch nicht davon, wie schwer es ihm fiel, das Erlebte zu verarbeiten. Er sehnte sich zwar danach, darüber zu reden, wollte Nadja aber nicht damit belasten.
Aleksej war pünktlich bei der Arbeit angekommen, doch schienen schon die meisten anderen Mitarbeiter hier zu sein. Die etwa dreissig Personen hatten sich in der Eingangshalle versammelt. Der Fabrikchef Vasilij Mihailovich Kowrow stand mit einem Unbekannten am Vorderende der Halle und wartete, bis alle Arbeitenden eingetroffen waren.
Nach wenigen Minuten war es dann soweit. Mit einem dominanten Räuspern

machte der Chef auf sich aufmerksam. Alle Gespräche unter den Arbeitern wurden unterbrochen und in der Halle breitete sich Stille aus. Nur noch das leise Surren der Windturbine auf dem Dach liess sich vernehmen. Die Halle hatte eine ausgezeichnete Akustik und Kowrows Stimme war gut zu hören, als er zu reden anfing.
„Meine lieben Freunde“, begann er, "ich denke ihr alle wisst bereits, dass gestern die Stadt an mehreren Orten von Maschinen attackiert wurde.“ Er liess seinen Blick über die Arbeiter schweifen, dann fuhr er fort: „Manche haben die gestrigen Angriffe der Maschinen am eigenen Leib miterlebt. Manche sind

nicht mehr unter uns.“
Alex hatte nicht gewusst, dass es an mehreren Orten Angriffe gegeben hatte. Als er nun um sich schaute, stellte er erschrocken fest, dass einige seiner Arbeitskollegen nicht anwesend waren.
"Ich habe heute Morgen erfahren um wen es sich handelt. Stanislav Suschkin, Sergei Makarov, Nikolai Tihonov..."
Weitere Namen hörte Alex nicht mehr. Seine Gedanken waren an Nikolai hängen geblieben. Es hatte Nikolai erwischt, seinen Arbeitskollegen, seinen Freund. Alex blickte verstört um sich, in der Hoffnung, ihn doch noch unter den Leuten zu sehen, trotz der Wahrheit, dass Nikolai nicht mehr da war. Alex fühlte

Angst und Schmerz. Ein lautlose geschrienes „Wieso?!“ trieb durch seinen Kopf. Die Vorstellung, dass sein Freund auf die gleiche ungeheuerliche Weise sterben musste, wie die Leute auf dem Verteilerplatz, raubte Alex beinahe den Atem. Dann aber loderte Wut auf. Wut, die den Maschinen galt.
Kowrow redete weiter: "Angesichts dessen, was gestern passiert ist, werden sich einige Dinge ändern müssen. Damit möchte ich das Wort Fedor Stepanovich von der Stadtverwaltung übergeben."
Fedor Stepanovich trat vor.
"Guten Morgen." Er redete lauter und schneller als Kowrow. "Es tut mir Leid um ihre Freunde. In der ganzen Stadt gab

es hunderte von Toten. Die Maschinen hatten eine für uns vollkommen neue Technik eingesetzt. Sie benutzten Androide, menschenähnliche Roboter, um unbemerkt in die Stadt einzudringen und gezielt gegen grössere Menschenversammlungen vorzugehen."
Alex sah wieder die Bilder vom Vortag und versuchte sie sogleich wieder zu verdrängen. Von neuem verspürte er Wut und Hass.
"Wir müssen die Kontrollen an der Stadtgrenze verstärken, doch fehlen uns die Leute dazu", fuhr der Mann fort. "Das Militär ist an der Front, wir können nicht auf seine Hilfe zählen. Somit suchen wir Freiwillige, die sich bereit

erklären, die Grenze zu kontrollieren. Es ist ein gefährlicher Job, ich muss Ihnen jedoch nicht erklären, wie wichtig er ist. Ich habe mich bereits mit Ihrem Chef abgesprochen: Freiwillige können hier bedingungslos gehen und werden in ihrem neuen Job von der Stadt mit einem erhöhten Ansatz entlöhnt.“ Fedor Stepanovich räusperte sich kurz. "Ich würde Ihnen gerne Zeit geben um darüber nachzudenken, doch Zeit haben wir nicht. Ausserdem möchte ich erwähnen, dass wir bald gezwungen sein werden, Leute gegen ihren Willen zur Grenze zu schicken, wenn die Maschinen so weitermachen wie bis jetzt."
Als der Mann zu reden aufhörte wurde es

wieder ganz still in der Halle. Das Gesagte hinterliess eine unangenehme Anspannung unter den Arbeitern.
"Ich bitte Freiwillige nach vorne zu treten." Der Verwaltungsabgeordnete wirkte ernst, aber keineswegs gestresst.
Ohne sich weitere Gedanken zu machen, drückte sich Alex durch die Menge und trat nach vorne. Zwei weitere Personen, die er nicht sehr gut kannte, stellten sich neben ihn. Der Abgeordnete nickte den drei Männern zu. Sein Mund war zu einem kaum bemerkbaren, warmen Lächeln verzogen.
"Kommen Sie bitte mit", sagte er zu Alex und den beiden anderen und wendete sich nochmals den Arbeitern zu. "Auf

Wiedersehen, ich wünsche Ihnen allen viel Glück im weiteren Leben. Arbeiten Sie weiterhin so hart wie bisher."
Er drehte sich um und verliess mit weiten Schritten die Halle. Alex und die beiden anderen folgten ihm.

"Ich kann das noch immer nicht glauben!" Nadja sah Aleksej vorwurfsvoll und erschrocken an.
Alex war nach einer kurzen Instruktion durch Fedor Stepanovich Kurow von der Stadtverwaltung nach Hause gegangen um seine Sachen zu packen. Er hatte die Aufforderung erhalten, in zwei Stunden auf einer Strassenkreuzung zu sein, die etwa einen halben Kilometer von seinem

Haus entfernt lag. Mitnehmen musste er Kleider und Körperpflegemittel für zwei Wochen, denn so lange würde sein erster Aufenthalt an der Stadtgrenze dauern.
"Nadja, ich weiss, dass es schwer zu verstehen ist", versuchte Alex seine Frau zu beruhigen, "aber glaub mir, ich will nur das Beste für eu..."
"Ach wirklich?", fiel ihm Nadja ins Wort. "Deshalb verlässt du uns?"
"Hör zu. Du verstehst das falsch. So kann ich für eure Sicherheit sorgen. Die Maschinen dringen immer öfter in die Stadt ein. Es ist wichtig, dass unsere Grenzen Verstärkung erhalten, damit das aufhört."
"Aleksej...", Nadjas Augen füllten sich

mit Tränen. "Ich... Es..."
Aleksej ging zu ihr und drückte sie fest an sich. Nadja weinend zu sehen, zerrte schmerzhaft an seiner Seele. Jetzt merkte er auch, wie ungern er eigentlich wegging. Doch es wäre feige und verantwortungslos, jetzt noch einen Rückzieher zu wagen.
"Ich weiss doch, dass du das Richtige tust", sagte sie plötzlich stockend. "Aber es sterben so viele an der Grenze."
Alex wusste das, hatte aber absolut nicht daran gedacht, als er sich freiwillig meldete. Überhaupt hatte er sich bis jetzt, trotz all der gefährlichen Situationen, denen er in den letzten Tagen ausgesetzt war, keine Gedanken

über den Tod gemacht. Er glaubte nicht an irgendeinen Gott und wusste nicht, was nach dem Tod kommen würde. Er konnte es sich auch absolut nicht ausmalen, wie es wohl wäre, zu sterben. War es schmerzhaft oder war es ein schönes Gefühl? Ein Gefühl der Erlösung?
"Ich passe auf", sagte er beruhigend und strich Nadja sanft über ihr dichtes Haar. "Ich komme ja bald wieder nach Hause."
"Ich weiss", sagte Nadja und blickte Alex an.
"Ich habe euch nie im Stich gelassen, selbst als die Situation scheinbar hoffnungslos war." Aleksej versuchte möglichst ruhig zu klingen. "Ich werde

euch auch in Zukunft nicht im Stich lassen."
Nadja strich Alex mit der Hand über seine linke Wange. Ihre Hand fühlte sich warm und weich an. Alex legte seine Hand auf die ihre. Mit der anderen zog er sie näher an sich. Als Nadjas und Aleksejs Lippen sich berührten, fühlte er sich frei. Frei von allen Sorgen und Ängsten, frei von Wut und Hass. Es schien ihm, als gäbe es nichts auf dieser Welt, was ihn und seine Liebsten, Nadja und Mascha, jemals voneinander trennen könnte.
Nadja beendete den Kuss. Lange schauten sie sich in die Augen. Als Nadja verführerisch lächelte, waft Alex

einen Blick auf die Wanduhr.
"Ich habe noch eine Stunde", sagte er zu Nadja.
"Das sollte reichen", antwortete sie und begann Aleksejs Hemd zu öffnen.

Aleksej erreichte den Treffpunkt gerade noch rechtzeitig. Nadjas liebevolle Gesellschaft hatte ihn die Zeit völlig vergessen lassen und er war gezwungen, zur vereinbarten Strassenkreuzung zu rennen.
Als er schwer atmend und verschwitzt an der Kreuzung ankam, erblickte er einen Lastwagen. Keinen neuzeitlichen Militärlastwagen, wie man sie ab und zu in der Wandzeitung sah. Es war einer aus

der Vorkriegszeit, eine echte Rarität. Die Karosserie war an mehreren Orten verbeult und verrostet. Farbfetzen verrieten, dass er einmal grün lackiert war. Auf der Ladefläche des Lastwagens sassen bereits ein Dutzend Personen mit ihrem Gepäck.
Viel Zeit das Gefährt zu bestaunen blieb Alex nicht. Mit einem leisen, ansteigenden Pfeifen begann das elektrische Fahrzeug zu rollen.
"Hey!", presste Alex heraus und rannte schneller.
Jemand auf der Ladefläche bemerkte ihn und hämmerte mit der flachen Hand auf die Kabinendecke des Fahrzeuges, bis dieses stoppte. Mehrere Hände kamen

Alex entgegen und halfen ihm, auf die Ladefläche zu steigen. Das Erste was er danach erblickte, war das unzufriedene, unrasierte Gesicht eines Mannes, der einen weiten, tarnfarbenen Kombi und alte Armeestiefel trug. Der mürrische Blick weckte bei Aleksej das Gefühl, sich für die Verspätung rechtfertigen zu müssen. Doch er nickte dem Mann nur zu und setzte sich hin.
Das Auto hatte sich bereits wieder in Bewegung gesetzt und fuhr hüpfend über die mit Schlaglöchern überfüllte Strasse, als Alex ein bekanntes, erstauntes Gesicht in den Leuten erblickte.
Maxim und Alex starrten sich eine Weile überrascht an. Dann verzog sich Maxims

Mund zu einem breiten Lächeln. Er breitete die Hände aus – schlug dabei fast jemandem ins Gesicht – und rief übertrieben laut:
"Aleksej!"
"Max!", auch Alex musste lachen. "Du bist nun wirklich der Letzte, den ich hier erwartet hätte!" Alex setzte sich zu ihm.
"Gleichfalls!", erwiderte Maxim. "Du warst schliesslich verletzt und hast eine Familie! Geht es Nadja und Natalja gut?"
"Mascha", korrigierte Alex, "sie heisst immer noch Mascha. Ja, es geht ihnen gut."
"Ach natürlich, entschuldige... meine Hirnzellen sind, wie du ja weisst, nicht mehr so zahlreich vorhanden", lachte

Maxim.
"Du hast dich also auch dazu entschlossen, die Stadtgrenze zu bewachen", stellte Alex fest.
"Nein“, antwortete Maxim ernst, eigentlich will ich nur eine Wodkalieferung an der Grenze abholen.“
Aleksejs Augen weiteten sich vor Erstaunen. Maxim verzog sein Gesicht wieder zu einem breiten Grinsen.
"Ich mache doch nur Spass, Alex!", lachte er. "Du hast schon recht.“ Darauf wurde er wieder ernst: "Ich habe vor, meinem armseligen Leben einen Sinn zu geben. Lieber sterbe ich in einem Meer aus Sägeblättern, als wegen dieser sinnlosen

Sauferei."
"Du hast den Alkohol einfach so liegen lassen?", fragte Alex ungläubig.
"Das war nicht so einfach, wie ich es mir zuerst vorgestellt hatte. Ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. Doch als ich Swetlana Wassiljewna, dieser alten Hexe, von meinem Vorhaben erzählte, schnappte sie sich meine letzte Flasche und schmiss sie aus dem Fenster. Einfach so!" Maxim untermalte das Gesagte mit den Händen. "Kannst du dir das vorstellen?"
Alex musste lauthals lachen. "Ja", sagte er dann. "Bei Swetlana Wassiljewna kann ich mir das nur zu gut vorstellen!"
Der Lastwagen fuhr schnell.

Dementsprechend wurden die Insassen bei jedem Schlagloch fast von der Ladefläche geschleudert. Alex drückte seine Tasche fest nach unten. In ihr war alles, was er für den ersten zweiwöchigen Aufenthalt brauchen würde. Seine Waffen, das Stahlrohr und den Revolver, trug er auf sich. Für alle Fälle.
Die restlichen zwölf Insassen redeten ebenfalls miteinander. Etliche schienen sich zu kennen. Aber auch wer sich nicht kannte, kam schnell ins Gespräch. Alex war froh, Max seit langem wieder in vollkommen nüchternem Zustand zu sehen. Er hatte sich deutlich verändert, sah wacher und gesünder

aus.
Nach einer halbstündigen Fahrt lösten sich die Häusergruppen auf. Immer weniger Menschen waren auf den Strassen zu sehen. Der Strassenbelag war hier besser erhalten.
Alex war lange nicht mehr in diesem Stadtteil gewesen. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie es hier damals ausgesehen hatte. Nun wuchsen zahlreiche Bäume, grössstenteils Birken, zwischen den Häusern und verliehen dem Quartier ein ländliches Aussehen. Der Wald holte sich wieder zurück, was die Menschen ihm vor langer Zeit genommen hatten.
Die Grenze war nah.


Der Lastwagen hielt auf einem kleineren Hügel. Der Mann im Kombi zog an einem Riegel und der hintere Rand der Ladefläche klappte lärmend nach unten.
"Alle aussteigen!", rief er laut und sprang runter.
Aleksej, Maxim und die anderen Personen sprangen nacheinander von der Ladefläche. In der Richtung, aus der sie gekommen waren, befanden sich noch einzelne, zum Teil bis auf die Wände zerstörte Häuser. Daneben gab es Haufen aus Stein- und Metalltrümmern, die vor dem Krieg noch Gebäude gewesen waren. Alles war von hohem Gras und Gebüschgruppen überwachsen. Hier und

da sprossen junge Birken.
In der anderen Richtung, etwa hundert Meter vor dem Lastwagen befand sich ein Damm und dahinter breitete sich ein Mosaik aus Waldflächen, überwachsenen Feldern und kaputten Strassen aus. Der Damm zog sich von links nach rechts, wo er in der Ferne verschwand. Der Damm war nicht besonders hoch und war hauptsächlich aus Bauschutt gefertigt, welcher womöglich gerade in den umliegenden Häuserruinen gefunden wurde. War das der berühmte Damm, der die gesamte Stadt umzingelte?
Ungefähr alle dreissig Meter war ein auf Stelzen stehendes Häuschen platziert, dessen Dächer mit jeweils bis zu drei

Scheinwerfern bestückt waren. In einigen Häuschen waren bewaffnete Personen zu sehen. Vor dem Damm und zwischen dem Wachposten häuften sich Netze, Drähte und Stangen; eine Massnahme gegen die Säger. Die daran befestigten Flaschen und Büchsen, würden jeden Infiltrationsversuch der Maschinen in ein öffentliches Konzert verwandeln.
Bei all den Sicherheitsmassnahmen, die hier zu sehen waren, konnte es Alex nicht verstehen, wie die Säger es doch immer wieder schafften, in die Stadt zu gelangen.
Ein Mann mittleren Alters näherte sich den Neuankömmlingen. Er trug einen militärischen Anzug mit einer

ausgebleichten Mütze, an der sich ein Abzeichen befand. Alex wusste nicht um welches Rangabzeichen es sich handelte. Der Mann war nur leicht ausgerüstet. Ihm fehlten Körperpanzer und Helm. Seine Waffe, ein älteres Sturmgewehr, hing an einem einfachen Stoffband an seiner Schulter.
Der Mann betrachtete ernst die Neuankömmlinge.
"Alles klar, meine Damen?", rief er laut in die Menge. "Löst euren Haufen auf und bildet eine Linie, damit ich jeden sehen kann!"
Die Gruppe löste sich quälend langsam auf und jeder versuchte richtig hinzustehen. Der Mann in Uniform

wartete geduldig und war mit der entstandenen krummen Linie zufrieden. Zwei weitere Uniformierte näherten sich und blieben in seiner Nähe stehen. Die beiden sahen sehr ähnlich aus und das nicht nur wegen der Kleider. Beide waren von gleicher kräftiger Statur und ähnlichem Alter.
"Gut!", fuhr der Soldat fort. "Ich bin Leutnant Andropov und heisse euch an der Stadtgrenze willkommen. Ich wurde von der Front hierher abgeordnet um die Sicherung des westlichen Stadtteiles zu organisieren. Sie haben sich freiwillig gemeldet um dafür zu sorgen, dass keine Maschinen in die Stadt eindringen. Wir reden hier über Säger und seit neuestem

von menschenähnlichen Robotern. Letztere machen die Situation wesentlich komplizierter."
"Das", furh er nach einer Pause fort und zeigte auf die beiden anderen Uniformierten, "sind Sergeant Rubikov und Sergeant Malinin. Ihr alle seid unserem Kommando unterstellt. Das heisst also, ihr tut nur das, was Rubikov, Malinin oder ich sagen. Alle anderen hier sind offiziell zivile Personen, dennoch werdet ihr auch auf sie hören müssen. Denn viele hier sind an dieser Grenze seit es sie gibt. Sie haben Erfahrung. Es ist überlebenswichtig, dass ihr unsere Anweisungen befolgt. Ich will niemanden, der sich für schlauer hält und

auf eigene Faust handelt. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?"
Brummende Bestätigungen ertönten in verschiedenen Tonlagen und Lautstärken aus der Menge.
"Ihr werdet mit Sprengstoffen und Waffen zu tun haben. Wer die Befehle damit missachtet ist eine direkte Gefahr für andere Personen und das wird nicht toleriert. Wird in irgendeiner Weise die Sicherheit der Grenze durch jemanden gefährdet, werde ich ihn persönlich erschiessen!" Hier machte er eine kurze Pause um das Gesagte wirken zu lassen. "Ich wünschte wir hätten Zeit, euch eine ausführliche Ausbildung zu geben, doch diese Zeit haben wir nicht. Euch wird nur

das Nötigste beigebracht, den Rest werdet ihr bei der Arbeit erlernen müssen. Meine Herren, vergesst bitte nie, was hinter euch liegt: Eine Stadt mit mehr als 20‘000 Einwohnern; eure Familien, eure Bekannten und Freunde. Vergesst nie, dass wir hier alle für die gleiche Sache kämpfen. Helft euch gegenseitig, lasst keinen im Stich..."
Eine Serie aus Schüssen unterbrach Andropovs Rede. Alle blickten in Richtung aus welcher der Krach kam. Die Wächter eines Wachhäuschens schossen auf ein unsichtbares Ziel hinter dem Damm.
"Diese kleinen Biester!" Andropow wirkte genervt. "Sie kommen nun immer

öfter. Dieser Grenzabschnitt ist gut gesichert. Wir haben Netze und Minen. Aber wie ihr bald sehen werden, ist das nicht überall der Fall."
Einen Moment lang schwieg er nachdenklich. "Ich habe genug geredet, nun seid ihr gefragt. Ich wünsche euch Glück!" Andropov drehte sich scharf zu den beiden Unteroffizieren. "Malinin, übernehmen Sie! Rubikov, mitkommen!"
Sergeant Malinin, ein junger, blonder Mann mit ruhigem Blick, trat nach vorne. Andropov und der andere Sergeant gingen rasch davon.
Die Neuankömmlinge folgten Malinin in die Unterkünfte, welche sich unterirdisch in umgebauten Kellern von

nahegelegenen Gebäuderuinen befanden, und deponierten dort ihre Sachen. Die Schlafräume waren jeweil für zehn Personen eingerichtet. Alex und Maxim nahmen sich übereinander platzierte Betten. In einem benachbarten Raum bekamen alle zu essen: Eine kaum gesalzene Gemüsesuppe und Brot.
Nur gerade eine halbe Stunde später wurden sie auf ein Trainingsareal geführt. Die Ausbildung begann.


5. Der Damm und seine Wächter


Sergeant Malinin durchzog mit den Neuankömmlingen bereits am Ankunftstag ein gedrängtes

Ausbildungsprogramm. Sie wurden über das Verhalten der Säger unterrichtet und entsprechend auch über die Art, wie sie am schnellsten zu erledigen waren. Alex lernte, dass sich die die wichtigste Steuereinheit in der Mitte des Roboters. Sie mit einem Gewehr zu treffen, grenzte aber eher an Glück, weshalb die Bekämpfungsstrategie ‚Drauflosschiessen‘ hiess.
Am gleichen Tag wurde den Leuten auch die Handhabung von Minen beigebracht. Sollte irgendwo am Damm eine Mine wegen eines Roboters hochgehen, musste diese ersetzt werden. Alex hoffte, einen solchen Auftrag nie machen zu müssen, denn das Betreten des Minenfeldes war

seinen Schlüssen zufolge, lebensgefährlich. Die Minen waren nicht gekennzeichnet, denn die Maschinen würden sie sonst leicht erkennen. Zwar existierten für jeden Sektor handgezeichnete Karten, auf denen man von einem Bezugspunkt aus die entsprechenden Minenpositionen finden konnte. Doch wie genau konnten solche Skizzen schon sein?
Zum Ausbildungsprogramm gehörte auch der Einsatz von EMP-Granaten. Es handelte sich dabei um Wurfkörper, welche in der Lage waren, alle Arten von Kampfmaschinen ausser Gefecht zu setzen. Malinin erklärte, dass die Wächter nur wenige solche Granaten zur

Verfügung hätten, weshalb diese nur in Sonderfällen verteilt würden.
Schliesslich, am späten Abend des ersten Tages, wurden die Neuen über die Hausordnung unterrichtet. Jeder hatte diverse Arbeiten, wie Kochen und Putzen, zu erfüllen. Eine grosse Tafel vor den Unterkünften belehrte einen, für welche Unterhaltsarbeiten man in der anstehenden Woche zuständig war.
Zwei Tage später war Alex bereits in den Genuss der Latrinenreinigung gekommen. Obwohl er kein empfindlicher Mensch war, war diese Arbeit für ihn doch nicht ganz angenehm ausgefallen. Nervig waren vor allem all die angelockten Fliegen, die durch die grosse Menge an

Scheisse regelrecht euphorisch wurden und lebensfroh an Wänden, Boden, Decke und Aleksejs Kleidern, ihre Sexualität auslebten. Das zweite, was Aleksej zu erfüllen hatte, war das Abwaschen von Essgeschirr, was bis jetzt bei weitem angenehmer ausgefallen war, obwohl es kein fliessendes Wasser gab und dieses aus einer mehrere hundert Meter weit entfernten Wasserleitung in Kanistern geholt werden musste.
Es war Sommer, die Tage heiss. Nachts fielen die Temperaturen aber bis auf 5 Grad Celsius herunter. In den Unterkünften gab es keine Heizung und auch die Wolldecken halfen nicht viel gegen die Kälte. Um überhaupt

einschlafen zu können, musste Aleksej die Kleider anlassen, und zog sich zusätzlich ein zweites Paar Socken und einer Mütze an.
Am Tag nach der Ankunft bekam Alex eine alte Armee-Schrotflinte, die ‚DT-4

8‘, in die Hand gedrückt. Der Lauf der Schrotflinte war stark verbeult und das Nachladen ging nur mit grossem Kraftaufwand. Einige andere, wie auch Maxim, erhielten Schockpistolen vom gleichen Modell, das auch von den Polizisten gebraucht wurde. Auch Maxims Waffe hatte ihre besten Tage hinter sich. Sie war mit Kratzern übersät, einige Schrauben fehlten. Das Magazin fiel schon durch leichtes Schütteln von

selbst heraus. Maxim wollte sich schon bei den Vorgesetzten beklagen, doch als er Aleksejs Schrotflinte sah, behielt er seinen Ärger für sich.
Zusätzlich erhielt jeder kleine Kopfhörer mit eingearbeiteten Mikrofon. Diese dienten einerseits zur Kommunikation und andererseits zur Manipulation der Umweltgeräusche. Leise Töne, wie das Rascheln von Laub oder Geflüster, konnten durch eine passende Einstellung verstärkt werden, Schussgeräusche dagegen wurden gedämpft um das Gehör zu schonen.
Das in die Kopfhörer eingebaute Funkgerät durfte nur in Ausnahmesituationen benutzt werden.

Mit grösster Wahrscheinlichkeit hörten die Maschinen nämlich mit. Ausserhalb des Grenzwalls sollte man es gar nicht erst anlassen, da schon dabei die Gefahr bestand, von einem Roboter geortet zu werden.
Nach einer kurzen Erklärung, wie man mit der Waffe zielte, schoss und wie man sie reinigte, durfte jeder damit vier Schüsse auf Körper von zerstörten Sägern abgeben um sich an den Rückstoss und die Visiereinstellung zu gewöhnen. Mehr durfte nicht verschossen werden, da die Munition knapp war. Doch schon diese vier Schüsse zeigten Alex auf, dass er ziemlich daneben zielen musste um nur ansatzweise mit

seiner verbogenen Waffe ins Ziel zu treffen. Das war nicht gerade beruhigend. Genauso wie die Worte Malinins, der ihm empfiehl mit dieser Waffe erst zu schiessen, wenn sich ein Roboter nur noch einige Meter vor ihm befand.

Im gemässigten Tempo schritten Alex und Sascha auf einem schmalen, neben dem Damm verlaufenden Pfad, der durch überwachsene Ruinen führte. Es war der vierte Tag nach der Ankunft hier und es war heiss, wie an Tagen davor. Alex schwitzte wie sonst selten und musste ständig zur Trinkflasche greifen.
Man hörte nur das Zwitschern von

Vögeln und das Zirpen von Heuschrecken. Letztere sah Alex bei jedem Schritt. Jedes Mal wenn er das Bein hob, sprangen Dutzende verschiedenster Heuschrecken, die sich im Gras aufhielten, in alle Richtungen. Alex versuchte sie rechtzeitig aufzuschrecken um sie nicht zu verdrücken.
Vor ihm ging Sascha, ein schweigsamer Grenzwächter mit jahrelanger Erfahrung. Er war nicht allzu gross und älter als Alex. Seine Haare hatten fast die gleiche Farbe wie seine graubraunen Kleider. An der linken Brusttasche der Jacke befand sich eine aufgeklebte Erkennungsmarke der Grenzwächter. Auch Alex hatte eine

solche gekriegt und hatte es sich auf sein ziviles Hemd aufgeklebt. Auf der Marke standen Name, Kennnummer und das Logo der Grenzsicherung, eine graue Burg mit drei Türmen und davor, zwei sich kreuzende Schwerter.
Diesen Morgen hatte Alex den Auftrag erhalten, Sascha auf der Patrouille entlang des Dammes zu begleiten. Trotz Mangel an Leuten wurde immer darauf geachtet, dass Patrouillen zu zweit stattfinden können.
Wie schon durch den Leutnant angedeutet wurde, war die Grenze nicht überall so gut abgesichert, wie bei der Basis. Es gab zu wenig Leute und die meisten Wachhäuschen blieben leer.

Grössere Abschnitte waren ohne Schutzzäune und es gab immer wieder grössere Öffnungen im Schutzwall. Laut Sascha waren diese grosszügig vermint und mussten nicht weiter beachtet werden.
Die Beiden näherten sich einem Dammabschnitt, der Mitten durch zerstörte Häusergruppen hindurchlief. Vor ihnen erschienen mehrere, teilweise noch gut erhaltene Betonbauten. Theoretisch konnten gewisse Maschinen die Dächer benutzen um unbemerkt in die Stadt zu gelangen, dachte sich Alex und als er seine Überlegungen Sascha mitteilte, erhielt er Schweigen als

Antwort.
Der schmale Pfad mündete in eine Strasse mit einem Kunststoffbelag. Sascha blieb stehen, und blickte ruhig um sich. Sein Hände lagen lässig auf dem alten und modifizierten Sturmgewehr ‚AT-49‘, welches an einem Band um seinen Hals hing.
Ohne ein Wort zu sagen ging Sascha weiter. Alex blickte ihm eine Zeit lang nach und folge ihm dann. Irgendwie vermisste er die Arbeit in der Fabrik und die Menschen dort. Vor allem fehlten ihm Gespräche. Hier am Damm wurde öfters einfach geschwiegen oder es ging um Themen wie Tod, Waffen, Säger und

Frauen.
Alex dachte oft über Nadja und Mascha nach. Er wusste nicht, wie es ihnen ging und er fühlte sich manchmal wie ein Haufen Dreck, weil er sie einfach so verlassen hatte. Er wusste nicht genau, was ihn so getrieben hatte, hierher zu kommen. War es der Hass auf die Maschinen? Das Gefühl sich rächen zu müssen? Für Nikolais Tod, für sein eigenes Leid? Alex wollte sich nicht selber in Zweifel über seine Tat ziehen und verdrängte den Gedanken. Er hörte aber nicht auf, über Nadja nachzudenken. Er vermisste sie.
Alex wandte seinen gelangweilten Blick von der Strasse ab und prallte beinahe

mit Sascha zusammen, als dieser plötzlich stehen blieb.
Direkt vor ihnen stand ein hölzernes Wachhäuschen, auf dem mit roter Farbe die Nummer 12 draufgemalt war. Es handelte sich um einen der wenigen Wachposten dieses Abschnittes, wo eine Person stationiert sein musste.
Aleksej wusste nicht, wieso Sascha stehen geblieben war und blickte sich um, auf der Suche nach einem Grund.
"Was ist?", fragte er schliesslich.
Sascha schwieg noch eine Weile. "Wo ist der Wächter?", fragte er dann.
Tatsächlich war die Türe des Wachhäuschens weit geöffnet. Drinnen war niemand zu

sehen.
"Wahrscheinlich ist er bloss schnell weg gegangen um sich zu erleichtern", erwiderte Alex.
"Die Toilette ist im Wachhäuschen, Wasserkanister stehen auch drinnen", sagte Sascha, während er die hölzerne Hütte aus der Ferne betrachtete. "Es gibt absolut keinen Grund für ihn, sich vom Wachposten zu entfernen. Er weiss auch, dass wir kommen."
"Schauen wir einfach nach", sagte Alex und wollte gerade gehen.
"Nein, etwas stimmt hier nicht", Sascha hielt ihn zurück. "Ich schalte das Funkgerät ein."
Sie waren zu weit weg um Kontakt mit

der Zentrale aufnehmen zu können. Schliesslich waren in den Kopfhörern gewöhnliche Funkmodule eingebaut. Fernfunkantennen gab es in der Stadt schon lange keine mehr, sie wurden aus Sicherheitsgründen entfernt. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Stützpunkten und zwischen Städten wurde mit Kabeln gewährleistet. Das System war weitgehend abhörsicher und die Kabel liessen sich gut verstecken. Hatte aber der Wächter nach dem Sascha und Alex Ausschau hielten sein Funkgerät zufälligerweise auch eingeschaltet, würde er sie hören.
"Patrouille 102 an Posten zwölf, melden!", sagte Sascha in das kleine

Mikrofon.
Er wartete einen kurzen Moment und wiederholte die Durchsage.
"Nichts", sagte er nach einigen Minuten. "Er wäre ja auch zu einfach gewesen."
Plötzlich erblickte Alex im Hintergrund eine Person. Sie war etwa dreihundert Meter von ihnen entfernt und winkte ihnen mit beiden Armen zu.
"Da!", sagte Alex und zeigte auf sie.
"Was ist denn mit ihm passiert", Sascha hielt sich die Hand über die Augen. "Wieso benutzt er nicht das Funkgerät?"
Mit langsamen Schritten gingen sie in Richtung des Wächters.
Als die beiden sich dem Mann näherten, hörte dieser auf zu winken. Jetzt konnte

man ganz deutlich das Emblem der Grenzwache auf seiner Brust erkennen. Neben dem Wächter lag auf dem Bauch eine andere Person in gewöhnlicher Kleidung.
"Scheisse", fluchte Sascha und rief laut zum Wächter hinüber. "Was ist passiert?"
"Er ist tot", sagte der andere ruhig mit einem eisigen Blick.
Steht der Mann noch unter Schock, dass er sich so gefühllos verhält? Sascha hatte auf einmal seine ganze Vorsicht verloren und näherte sich dem Mann.
Alex betrachtete den Wächter genauer. Er bemerkte getrocknete Blutflecken auf dessen Kleidung. Der Gesichtsausdruck war ruhig und auf eine Art abwesend.

Alex schaute ihm direkt in die Augen. Schimmerte es nicht rot darin?
Sascha war nur noch wenige Schritte von der Person entfernt, als der Mann plötzlich seine Hand zu heben begann. Alex rannte los und riss Sascha mit einem Hechtsprung von den Beinen. Die abgeschossene Hand des Scheinwächters flog bedrohlich surrend nur knapp an ihnen vorbei. Sie fielen auf den harten Boden. Sascha rollte sich sofort ab und kam wieder hoch.
"Es ist eine Maschine", rief Alex beim Aufstehen.
"SIE sind Maschinen", rief Sascha zurück, denn der am Boden liegende Mann begann sich aufzurichten.

"Schiess!"
Sascha lud sein Gewehr durch und begann, während er seitwärts in Deckung lief, auf den sich aufrichtenden Roboter zu schiessen. Alex nahm den ersten Angreifer ins Visier, beförderte mit Mühe eine Patrone in die Kammer und feuerte.
Er hoffe, der Schuss aus dieser Distanz würde die Existenz des Androiden beenden, doch dieser ging mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit in die Knie und drehte sich ab. Die Schrotladung verfehlte ihr Ziel und Alex sah, wie ihm eine fliegende Hand entgegen schoss.
Reflexartig hielt er sich die Hände hoch

vor das Gesicht. Die abgeschossene Hand bekam den Schaft seiner Schrotflinte zu fassen. Ein Knistern ertönte und Alex fühlte unangenehmes Kribbeln in den Fingern. Der Schaft aus Kunststoff hatte den Stromschlag nicht weitergeleitet.
Ruckartig zog die Maschine ihre Hand zurück und riss dabei Alex die Schrotflinte aus den Händen. Alex überlegte nicht lange, zog den Revolver aus der Hosentasche und leerte die ganze Trommel in Brust und Kopf des Androiden. Mit fingerdicken Einschusslöchern fiel die Maschine nach hinten.
Die Maschine, die vorher scheintot auf dem Boden gelegen war, stand noch

immer auf den Beinen, trotz all der Kugeln aus Saschas Gewehr. Der Brustkorb des Androiden wurde auf eine unnatürliche und ekelhafte Weise immer breiter. Die Kleidung riss auf und auch die künstliche Haut begann aufzuspringen. Leicht verwirrt hielt Sascha das Gewehr im Anschlag und bewegte sich langsam rückwärts. Alex begann hastig seinen Revolver nachzuladen.
Dann ging alles sehr schnell. Der Brustkorb des Roboters platzte krachend auf und mehrere kleine glitzernde Dinger flogen heraus. Der entleerte Androide fiel auf den Boden. Alex realisierte schnell, dass die herausgeschleuderten

Objekte, ebenfalls Roboter waren. Es waren insgesamt sechs und alle nicht viel grösser als ein Schuh. Auf ihren vier Beinen bewegten sie sich schnell, wie übernatürlich grosse Insekten.
Sascha drehte sich um und begann zu rennen. Auch Alex lief los, während er die Trommel des Revolvers auffüllte. Als Sascha zu schiessen anfing, sprang Alex adrenalingeladen auf einen Haufen aus Betonblöcken und drehte sich abrupt um. Er lokalisierte drei Maschinen, die sich ihm näherten, nahm die erste ins Visier und schoss. Der Schuss ging daneben.
Seine Hände zitterten. Er zwang sich ruhig zu bleiben, ging in die Hocke um die Arme auf einem Knie aufzustützen

und schoss ein zweites Mal. Die Maschine wurde getroffen und durch die Wucht der Kugel in zwei Hälften gespalten. Irgendwas entzündete sich mit einer Stichflamme in ihrem Innern.
Hoffnung flammte in Alex auf. Er richtete die Waffe auf den nächsten Roboter, zog den Hahn auf, atmete aus und drückte ab. Der getroffene Roboter, verlor ein Stück vom Hinterteil und rollte zur Seite.
Alex suchte den Dritten. Ein Rascheln im Gras verriet seine Position und als sich Alex hindrehte, erkannte er die Maschine. Sie befand sich bereits im Flug, seinem Gesicht entgegen. Eine dicke Nadel war zu erkennen, die aus

dem Bauch der Maschine herausragte. Doch noch bevor sich der Roboter in Aleksejs Gesicht bohren konnte, wurde er durch Saschas sauberen Schuss in Stücke gerissen. Kleine, scharfe Überreste der Maschine und irgendeine Flüssigkeit prasselten Alex ins Gesicht.
Es wurde wieder ganz still. Sascha kam humpelnd auf Alex zu. Er atmete schwer, Schweiss bedeckte sein Gesicht und sein Hemd. Im Vorbeigehen verdrückte er mit dem Stiefel die kleine Maschine, die Alex nur angeschossen hatte.
"Alles in Ordnung?", fragte Alex, als Sascha neben ihm stand. "Wurdest du verletzt?"
"Nur ein Misstritt", antwortete Sascha.

"Passiert eben, wenn man plötzlich gezwungen wird, wegzulaufen." Er machte eine kurze Verschnaufpause. "Woher hast du es gewusst?"
Alex brauchte einen Moment um zu verstehen was Sascha meinte. "Ich war Androiden bereits einmal begegnet", erklärte er. "In der Stadt. Auf dem Paradeplatz. Ich war dabei. Da ist ein schwaches, rotes Leuchten in ihren Augen. Man kann es nur schwer erkennen."
"Rotes Leuchten", wiederholte Sascha nachdenklich.
Er ging hinüber zum Androiden den Alex erschossen hatte und ging in die Knie. Dann bohrte er mit den Fingern im

zerstörten Kopf der Maschine.
"Die Haut fühlt sich echt an", sagte er, während er irgendetwas suchte. "Wie haben sie das nur gemacht?"
Dann zog er die Hand heraus und präsentierte Aleksej ein künstliches Auge. Es war sehr sauber und genau konstruiert. Sascha drückte auf die Vorderseite des Auges und die Sensorik glitt aus der Hülle.
"Rotes Leuchten, was?", sagte Sascha noch einmal." Wahrscheinlich brauchen sie einen Infrarotstrahler um zu sehen." Er drehte die kleinen Teile in den Händen herum und warf sie dann auf den Boden. Als er sich aufrichtete, deutete er auf die Überreste der kleinen Roboter.

"Und denen da, bist du denen auch schon einmal begegnet?"
"Nein, die sehe ich zum ersten Mal.“
Alex beugte sich über eine der kleinen Maschinen und betrachtete sie aus der Nähe.
„Die sehen aus wie Schaben“, sagte er und stocherte mit dem Lauf des Revolvers in ihren Überresten herum.
Die Teile, aus denen der Roboter bestand, waren erstaunlich klein. Er erkannte ein durch eine Kugel gespaltenes Metallgefäss, welches mit einer ausfahrbaren Spritze verbunden war. Reste einer durchsichtigen Flüssigkeit waren zu erkennen. Es roch nach

Früchten.
"So eine Scheisse", fluchte Sascha leise. "Diese Maschinen sind uns einfach immer einen Schritt voraus.“ Er spuckte auf den Boden. "Hör mal, ich habe keine Patronen mehr. Da du ja der geborene Sheriff bist, nehme ich deine Schrotflinte." Er hob die Waffe vom Boden auf.
Alex nickte.
"Lass uns den Wächter suchen, er muss hier irgendwo sein", Sascha drehte sich um und wollte gehen.
"Sascha", sagte Alex.
"Was?", sagte dieser und drehte nur den Kopf.
"Danke für den letzten

Schuss."
Sascha sagte nichts. Er lächelte nur und ging weiter.

Es dauerte nicht lange, bis sie die Leiche des Wächters gefunden hatten. Er war entkleidet und wies zahlreiche Schnittverletzungen auf. Alle seine Sachen, inklusive Waffe, waren weg.
Alex und Sascha legten ihn in eine Decke aus dem Wachhäuschen. Man würde ihn beerdigen, sobald der Grenzarzt seine Untersuchungen gemacht hatte.
Sascha blieb beim Wachposten, während Aleksej sich auf den Weg zurück zum Stützpunkt des westlichen Grenzsektors machte. Die Zentrale musste informiert

werden. Beinahe am Ziel, fühlte sich Alex plötzlich unwohl. Ihm wurde schwindlig und fühlte Kopf- und Muskelschmerzen. Alex musste sich an einem Pfosten abstützen um nicht auf den Boden zu fallen und übergab sich. Die Landschaft drehte sich bis Alex schliesslich das Bewusstsein verlor.
Er versank in einem Zustand zwischen Traum und Realität. Er versuchte vorwärts zu kriechen. Waren seine Handlungen real? Plötzlich stand Nadja vor ihm und sagte etwas, was er nicht verstand. Er fühlte Gras unter den Händen und kroch weiter. Ein Säger kam frontal auf ihn zu. Alex griff zu seiner Schrotflinte. Wieso hatte er sie plötzlich

dabei? Direkt vor seinem Gesicht wurde der Säger zu einem Busch und lachte Alex an. Alex verspürte starke Schmerzen im Kopf. Sascha lag tot vor ihm, sein Gesicht war total zerschossen. Wie wusste er denn, dass es Sascha war? Licht! Dann erschien eine ganze Reihe Gesichter über ihm. Er versuchte zu kriechen, doch eine unsichtbare Kraft drückte ihn wieder zu Boden. Er wurde getragen. Oder fiel er? Wieder Gesichter und grelles, aufdringliches Licht. Dann endlich, Dunkelheit.


6. Nahende Flut


Über ihm war eine düstere Decke. Es war

dunkel. Einzelne Sonnenstrahlen drangen durch ein schmales Fester in den Raum hinein. Das weiche Bett schien seine Müdigkeit und Stärke zu verstärken. Mühsam richtete er sich auf.
Es war ihm nicht schwindlig und er verliess das Bett. Mit nackten Füssen lief er auf dem kalten Boden zur Türe und machte sie auf. Maxim, der gerade auf der anderen Seite das Gleiche vorhatte, wurde total überrascht und zuckte zusammen.
"Alex!", rief er mit weit geöffneten Augen. "Was machst du denn?"
"Was?", fragte Alex etwas verwirrt.
"Du solltest im Bett liegen." Maxim schob Alex zurück zum

Bett.
"Es geht mir gut, Maxim", er setzte sich widerwillig zurück. Maxim setzte sich daneben.
"Wie geht es dir?", fragte er.
"Ich fühle mich ganz gut", Aleksej überlegte kurz, "etwas hungrig vielleicht."
Rasch zauberte Maxim aus der Jackentasche ein Stück Brot heraus, nahm die Wasserflasche vom Gürtel und reichte beides Alex.
"Danke", sagte Alex erfreut und biss ohne Zögern ins Brot. "Was ist geschehen?", fragte er mit vollem Mund.
"Es sind jetzt beinah 24 Stunden vergangen", begann Maxim, "seit du in

der Nähe vom Stützpunkt gefunden wurdest. Der Arzt fand schnell heraus, dass du eine Vergiftung hattest. Er sagte irgendetwas über Blausäure und so... Anscheinend hast du nur eine geringe Dosis aufgenommen, ansonsten hätten wir dir nicht helfen können."
"Blausäure?", dachte Alex nach. "Wieso Blausäure?"
"Ich weiss es nicht. Sag du mir, wo du mit dem Gift in Kontakt gekommen bist."
Alex dachte nach. Er spielte den Kampf mit den Maschinen im Kopf noch einmal durch.
"Da waren diese kleinen Maschinen", sagte er dann schliesslich.
"Ja", bestätigte Maxim. "Dein Kumpel,

äh... Sergei..."
"Sascha."
"Ach ja, Sascha, hat über eure Entdeckung berichtet und wir wurden informiert. Du hast dich gut geschlagen, hat er gesagt. Er war überrascht zu hören, dass du krank geworden bist."
"Eben, diese Maschinen", begann Alex wieder, "da war eine Flüssigkeit. Durchsichtig. Sie roch nach Früchten."
"Bittermandeln?", fragte Maxim.
"Mag sein. Ich weiss nicht genau, wie Bittermandeln riechen. Wieso fragst du?"
"Der Arzt sagte, deine Haare haben leicht nach Bittermandeln gerochen. Blausäure riecht nach Bittermandeln."
"Dann müssen wir sofort den Leutnant

informieren", sagte Alex aufgeregt. "Diese kleinen vierbeinigen Roboter sind mit Blausäure ausgerüstet."
Maxim nickte zustimmend und klopfte ihm leicht auf die Schultern.
"Jetzt keinen Stress, ja? Der Arzt und Sascha waren beim Leutnant. Ich bin sicher, auch sie sind bereits darauf gekommen", er schwieg kurz. "Es gab übrigens wieder mehrere Angriffswellen. Insgesamt gab es sechs Tote unter den Grenzwächtern in unserem Sektor", er atmete tief durch. "Es sieht so aus, als wollten die Maschinen um jeden Preis in die Stadt gelangen. Das wird wohl eine anstrengende Woche werden."
Alex musste wieder an Nadja denken.


Einen Tag nach dem Aufwachen war Aleksej wieder bei Kräften. Am Morgen wurden alle Grenzwächter, die nicht in den Wachhäuschen sassen, von Leutnant Andropov zusammengerufen. Man sah ihm an, dass er lange nicht richtig geschlafen hatte und auch keine Zeit fand, sich zu rasieren und zu waschen.
"Ich habe schlechte Nachrichten", begann er ohne Umwege. "Unsere Stadt hat die Verbindung zu den anderen Städten verloren."
Ein leises Flüstern ging durch die Menge. Unbeirrt fuhr der Leutnant fort: "Die Techniker haben in unserem Sektor festgestellt, dass ein Knotenpunkt, an

dem alle Bodenleitungen zusammenlaufen, zerstört wurde. Das gleiche ist anscheinend auch in der Nähe von anderen Sektoren der Fall. Es wird ein gezielter Artillerieangriff vermutet. Wir haben von der Verwaltung die Anweisung erhalten, den Knotenpunkt zu reparieren. Eine Einheit aus fünf Personen unter der Führung von Sergeant Rubikov wird das übernehmen. Ich bitte euch, mir die Auswahl zu ersparen. Freiwillige vortreten!"
Schon wieder die Suche nach Freiwilligen! Alex war sich nicht sicher, ob er sich diesmal melden sollte. Würde er sich nur noch mehr von seiner Familie, von seinem eigentlichen Ziel,

entfernen?
Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Maxim trat nach vorne. Dieser Träumer! Er konnte doch nicht einmal auf sich selbst aufpassen! Alex wollte ihn auf keinen Fall alleine gehen lassen und trat ebenfalls vor. Maxim lächelte ihm zu und auch Alex presste ein säuerliches Lächeln aus sich heraus.
Nebst einem weiteren Mann kam erstaunlicherweise auch Sascha nach vorne. Dachte er das gleiche über Alex, wie Alex über Maxim? Weitere wollten vortreten, doch der Leutnant machte ein Stoppzeichen mit der Hand.
"Sehr gut", sagte er trocken. "Sieht aus, als hätten wir auch Neue dabei. Sogar

schon bewährte Neue." Er schaute Alex an, "Seid ihr sicher, dass ihr einen Ausseneinsatz auf euch nehmen wollt?"
"Ja", sagte Maxim. Alex nickte nur stumm.
"Dann bitte ich die anderen gemäss Plan weiterzufahren. Malinin wird euch später noch über gewisse Änderungen informieren", sagte Andropov und nickte, wie um seine Aussage zu bestätigen.
Die Menge begann sich wieder aufzulösen.
"Und ihr", sagte er zu den vier, die sich gemeldet hatten, "werdet bereits von Sergeant Rubikov erwartet."

Eine Stunde später sass Aleksej mit

seiner geladenen DT-48 in der Hand auf der offenen Ladefläche eines kleinen Lastwagens. Neben ihm summte Maxim leise ein Lied vor sich hin. Die beiden hockten auf einer Bank, die im hinteren Teil der Ladefläche montiert und gegen die Fahrtrichtung ausgerichtet war.
Hinter Alex, auf einem Sitz in der vorderen Hälfte der Ladefläche, sass Vladimir, der Mann, den Alex vorher noch nicht gekannt hatte. Vladimir war schon längere Zeit bei der Grenzwache dabei und erlebte nicht seinen ersten Ausseneinsatz. Seine rechte Hand ruhte auf den Griffen eines nach vorne gerichteten, sechsläufigen Maschinengewehrs, welches mithilfe

eines Gestells auf der Ladefläche des Lastwagens montiert war. Das riesige Ding liess sich stehend bedienen und war in alle Richtungen drehbar. Ein grosser Kasten mit Munition war am Fusse des Gestells angebracht, die durch eine gewundene Kette aus Patronen mit dem Maschinengewehr in Verbindung stand.
Neben Vladimir lag eine Rolle Telefonkabel und Rubikovs Werkzeugkoffer. Aleksej hatte erfahren, dass Rubikov, der auf dem Beifahrersitz neben Sascha sass, früher einmal Elektriker gewesen war und seine militärische Karriere als Kommunikationssoldat angefangen hatte.
Sie hatten den Damm über eine

unverminte, dafür aber sehr scharf überwachte Strasse überquert. Leutnant Andropov hatte sie bis dorthin begleitet, sprang dann von der Ladefläche und verabschiedete sich mit einem militärischen Gruss.
Aleksej betrachtete den sich immer weiter entfernenden Damm. Es war ein seltsames Gefühl ihn dieses Mal von aussen zu sehen. Je weiter sie sich von der Stadt entfernten desto mehr sah sie wie eine riesige Festung aus.
Schon bald bog das Fahrzeug von der Hauptstrasse ab und die Stadt verschwand hinter dichten Baumgruppen. Der Belag war hier in sehr schlechtem Zustand und der Lastwagen hatte oft

Mühe mit seinen kleinen, für flache Strassen ausgelegten Rädern, vorwärtszukommen. Sascha wich den Schlaglöchern und Spalten aber geschickt aus.
Alex und Maxim hatten den Auftrag, die beiden Flanken und die Rückseite zu überwachen, während Vladimir über die Fahrerkabine nach vorne schaute.
Die meiste Zeit fuhren sie auf durch Wälder führenden Strassen, wo sich Bäume, meist alte Kiefern, dicht an den mit Gebüschen überwachsenen Strassenrändern drängten. Ihre Kronen ragten majestätisch in die Höhe. Reger Gesang von Waldvögeln war zu hören. Ab und zu zeigten sich auch vereinzelte

Hirsche oder ganze Wildschweinfamilien, die das leise fahrende Fahrzeug erst spät bemerkten und sich dann flüchtend ins schützende Dickicht des Waldes zurückzogen. Alex musste daran denken, dass es lange her war, seit er das letzte Mal in einem Wald gewesen war. Die Mauern aus Bäumen wirkten zwar ein wenig unheimlich, doch sehnte er sich danach, hineinzugehen, über raschelnde Äste und Blätter zu marschieren, dem Flüstern des Windes und den Gesängen der Tiere zuzuhören.
Hin und wieder musste Sascha das Fahrzeug stoppen, weil die Strasse von einem umgekippten Baum blockiert wurde. Während zwei Leute den Standort

sicherten, räumten die anderen die Strasse mit den im Fahrzeug vorhandenen Motorsägen, Hebelwerkzeugen und der Seilwinde des Lastwagens wieder frei.
Es wurde Abend und begann dunkel zu werden, als sie endlich ihr Ziel erreichten und vor ihnen verschiedene mehrstöckige Gebäude erschienen. Davor befanden sich vereinzelt kleine Häuser, oder zumindest das, was von ihnen übrig geblieben war. Die ehemalige Siedlung lag eingekreist zwischen überwucherten Feldern und Wald. Es war ein seltsames Bild. Alles wirkte irgendwie märchenhaft, unreal.
Sergeant Rubikov befahl Sascha das Fahrzeug anzuhalten, noch bevor sie die

ehemalige Siedlung erreicht hatten. Weit vor den ersten Gebäuden mussten alle aussteigen. Maxim bekam den Befehl, das Fahrzeug zu bewachen und notfalls per Funk die anderen zu kontaktieren. Der Rest bewegte sich auf das Dorf zu. Alex bekam die Kabelrolle, die sich dank Gurten wie ein Rucksack tragen liess.
Die Umgebung war ruhig, hier und da waren Abendvögel und Insekten zu hören. Das dichte Gras erschwerte das Durchkommen, sein Rascheln machte die Alex nervös. Zusätzlich nervten die Bremsen, welche – durch den Schweissgeruch angezogen – in ganzen Schwärmen kamen und sich nur ungern vertreiben

liessen.
Als die Gruppe zwischen die ersten Häuser trat, schienen sie durch deren Schatten, verursacht durch die letzten Sonnenstrahlen, verschluckt zu werden. Fast ohne Übergang änderten sich die Akustik und die Lufttemperatur. Die höheren Gebäude mit ihren Fensteröffnungen sahen aus wie Schädel von Riesen, welche die Vierergruppe mit interessierten Blicken anstarrten.
"Kolonne bilden. Seid wachsam", befahl Rubikov leise, was aber bei der vorherrschenden Stille sehr gut zu hören war.
Sie bewegten sich leise aber schnell. An einer Ecke stoppe Rubikov die Gruppe

und betrachtete das etwa einen Meter breite Loch mit ausgefransten Rändern vor sich.
"Wir sind da", sagte er. Die Ruhe in seiner Stimme war verschwunden. "Hier ist der Eingang zur Verteilerstation. Das Häuschen und der Stahldeckel sind irgendwie nicht mehr da..."
Alex und die anderen betrachteten das Loch.
"Was hatte der Leutnant gesagt? Ein gezielter Artillerieangriff?", fragte Sascha.
"Es war bloss eine Vermutung", erwiderte Rubikov.
"Für mich sieht das mehr nach einer gezielten Bohrung aus", sagte Sascha.

"Was zur Hölle ist hier passiert?"
"Ich weiss es nicht." Rubikov überlegte einen Moment und wandte sich dann Alex zu. "Leonidov, sie bleiben bei mir. Sevtschuk, Saetschkin", sagte er zu Sascha und Vladimir, "ihr beiden sucht die Umgebung ab, vielleicht gibt es irgendwelche Hinweise. Ihr habt eine halbe Stunde, dann seid ihr wieder hier."
"Geht klar", sagte Sascha und entfernte sich zusammen mit Vladimir.
"Leonidov", sagte Rubikov. "Ich gehe hier runter und sehe mir den Schaden an. Wenn ich es sage, lässt du den Werkzeugkoffer am Kabel zu mir runter. Vielleicht werde ich auch das Kabel brauchen." Er leuchtete mit einer

Taschenlampe ins Loch. "Wird schwierig da runter zu kommen."
Rubikov nahm die Taschenlampe in den Mund und glitt ins Loch hinein, während er sich an den Rändern abstützte. Bevor er ganz verschwand, nahm er die Taschenlampe aus dem Mund und sagte zu Alex: "Sei auf der Hut, das Ganze gefällt mir irgendwie nicht..."
"Klar, du auch", antwortete Alex und sah, wie Rubikovs Kopf im Loch verschwand. Er hörte noch eine Zeit lang, wie der Sergeant nach unten kletterte. Dann konzentrierte er sich wieder auf die Umgebung und suchte sie mit seinen Augen systematisch ab. Es war inzwischen so dunkel, dass man

keine Details mehr erkennen konnte. An einigen Stellen sah man die unscheinbaren Lichter der Leuchtkäfer. Grillen begannen mit ihrem nächtlichen Gesang.
Auf einmal hörte Alex ein Rascheln hinter sich. Er drehte sich um und zielte in eine dunkle Gasse.
"Hey", hörte er Saschas Stimme. "Wir sind es."
"Alles klar", antwortete Alex erleichtert.
Sascha und Vladimir liefen aus der Gasse heraus. Ihre Aufklärungstour hatte kaum zwanzig Minuten gedauert. Die beiden wirkten nervös.
"Wo ist der Sergeant?", fragte Vladimir

sogleich.
"Unten, bei den Leitungen", antwortete Alex.
"Rubikov!", zischte Vladimir ins Loch hinein. "Komm raus, wir haben Probleme."
Es dauerte nicht lange und Rubikovs Kopf erschien in der Öffnung. Alex und Vladimir zogen ihn heraus.
"Was ist", fragte er und putzte sich seine Handflächen an den Hosen ab.
"Komm, am besten siehst du dir das selber an", sagte Vladimir und marschierte los.
Rubikov deutete Alex an, mitzukommen und alle drei folgten Vladimir.
Fast schon am anderen Ende der Siedlung

blieb die Gruppe auf das Zeichen Vladimirs im Schatten einer Hauswand stehen. Weiter bewegten sie sich auf dem Bauch kriechend fort. Es ging einen kleinen Hügel hinauf, wo mehrere Ruinen von Häusern standen. Zuoberst blieb die Gruppe regungslos liegen. Von hier hatte man einen guten Überblick über das, was auf der anderen Seite des Hügels war.
"Scheisse!", fluchte Rubikov überrascht. "Wie kann das sein?"
Als Alex erkannt hatte, was er sah, raubte es ihm den Atem. Maschinen. Das ganze Feld war voller Roboter, soweit er es sehen konnte; jeder so gross wie ein Lastwagen. Sie standen nur ruhig da,

keiner rührte sich, nichts war zu hören.
Es handelte sich um Maschinen eines einzigen Typs. Sie waren vierbeinig und besassen einem kastenförmigen Turm  in der Mitte, an welchem zwei kleinere, sich gegenüberliegende Kästen angebracht waren und wie Armstummel nach aussen ragten. Die genauen Konturen der Maschinen waren in der Dunkelheit aber schwer zu erkennen.
"Was sind das für Maschinen?", flüsterte Vladimir.
"Soweit ich es erkennen kann, ist das leichte Artillerie", sagte Rubikov und holte sein Fernglas hervor. "Es müssen Hunderte sein."
"Was tun sie hier? Wie sind sie

überhaupt über die Frontlinie gekommen?", Vladimir hatte in seiner Aufregung sichtlich Mühe, leise zu sprechen.
"Ich weiss es nicht", antwortete Rubikov, während er die Maschinen beobachtete. "Vielleicht gibt es gar keine Frontlinie mehr, wie wir sie kennen."
"Wir müssen uns zurückziehen, bevor wir entdeckt werden", sagte Sascha.
"Die haben uns doch schon längst entdeckt", Rubikov versteckte das Fernglas. "Nur tun sie nichts dagegen. Sie halten es anscheinend nicht für nötig. Das ist das, was mir am meisten Angst macht."
"Wir müssen zurück zur Stadt und die

anderen warnen", sagte Rubikov und begann rückwärts zu kriechen.
Er wollte wieder etwas sagen, als ein Geräusch ihn unterbrach. Es klang so, als würde jemand zwei Metallstücke gegeneinander reiben und es wurde immer lauter. Etwas näherte sich.
"Los! Weg hier!", rief Rubikov.
Sie begannen zu rennen, als die massiven Metallbeine eines Roboters auf der Spitze des Hügels erschienen. Laufend entsicherte Rubikov eine EMP-Granate und warf sie in die Richtung der sich nahernden Maschine. Die Elektromagnete der Granate aktivierten sich im Flug, worauf sie abrupt ihre Flugbahn änderte und sich schliesslich an die Oberfläche

des Feindes haftete.
Die Granate entlud sich mit einem klatschenden Geräusch und obwohl Aleksejs Kopfhörer abgestellt waren, hörte er ein Rauschen, das schnell wieder verwand. Die Maschine, welche wie eine gigantische Spinne nun breitbeinig auf dem Hügel stand, zuckte zwar leicht zusammen, stoppte aber nicht.
"EMP-Schutz!", rief Rubikov. "Sie haben EMP-Schutz!"
Alex blieb stehen und wollte auf die Maschine schiessen, doch Sascha packte ihn an den Schultern und zerrte ihn weiter. "Das bringt nichts!", rief er.
Die Maschine begann laut stampfend und unnatürlich schnell die Gruppe zu

verfolgen. Sie begann aus einem Maschinengewehr zu feuern. In der Nähe der Verfolgten begannen Kugeln einzuschlagen, prallten pfeifend an Hauswänden ab, zerschmetterten Reste von Fensterglas. Geduckt rannte Alex weiter, konzentrierte sich vollständig auf den Mann vor sich und gelangte so in eine Deckung gebenden Gasse.
"Weiter, weiter!", rief Rubikov, der als letzter in die Gasse kam.
Die anderen reagierten schnell und verliessen die enge Strasse auf der anderen Seite. Eine zerriss die Stelle, wo die Fliehenden vor kurzem noch gestanden hatten. Die Druckwelle riss alle vier auf den Boden. Alex fiel hart

auf das Gesicht, fühlte sogleich die Hitze im Rücken und hörte wie Gebäudestücke an ihm vorbeizischten.
Schmerzen im Kopf und Gesicht und ein hohes Piepsen in den Ohren hinderten Alex daran, klar zu denken. Er wusste nicht wie lange er so auf dem Boden gelegen war, als ihn wieder jemand auf die Beine hob und mehrmals durchschüttelte. Er sah Saschas aufgeregtes Gesicht. Sascha schrie ihm etwas zu, doch Alex verstand nur vereinzelte Wörter, wie "schaffen nicht", "Zeit", "Katja", "liebe", "schnell". Saschas Gesicht verschwand wieder und Alex wurde von Rubikov weiter

gestossen.
Wenige Augenblicke später kam er wieder zu sich. Er sah, wie Rubikov Vladimir stützte, der am ganzen Gesicht blutete aber trotzdem humpelnd weiterrannte. Er erkannte Sascha in einiger Entfernung. Dieser lief genau in die entgegengesetzte Richtung von allen anderen. Im Lichte eines brennenden Gebäudeteiles war er gut zu sehen, bis er zwischen zwei Gebäuden verschwand. Alex blieb erschrocken stehen.
"Sascha!", rief er. "Was tut er denn?!"
"Lass ihn!", hörte Alex Rubikov rufen. "Das war seine Entscheidung! Er will uns Zeit verschaffen! Los!"
Mit Gewalt riss Rubikov Alex mit sich.

Sie hörten Schüsse und eine weitere Explosion. Für einen kurzen Moment wurde es taghell.
Sascha, Rubikov und Vladimir kamen nach einem kurz dauernden Lauf beim Lastwagen an. Maxim kam ihnen mit erschrockenem Gesichtsausdruck entgegen und half ihnen Vladimir zu stützen.
"Leg ihn auf den Beifahrersitz!", befahl Rubikov.
"Was zum Teufel ist eigentlich los?!", fragte Maxim aufgebracht.
Die Frage erledigte sich, als die Maschine am Stadtrand erschien.
"Leonidov!", rief Rubikov als er sich ans Steuer setzte. "Ans

Geschütz!"
Alex sprang auf die Ladefläche, drehte das sechsläufige Maschinengewehr in Richtung des Roboters und stellte sich dahinter. Aufgeregt liess er seinen Blick über die Griffe laufen. Noch nie hatte er mit einem solchen Ding geschossen. Doch man hatte ihm erklärt, wie man es benutzte. Er fand die zwei Abzüge und den gelbschwarzen Anlassschalter, den er sogleich betätigte. Er tastete die Waffenabdeckung ab, fand den Verschlusshebel, zog daran und hörte, wie eine Kugel in die Patronenkammer glitt.
Der Lastwagen setzte sich endlich in Bewegung während Maxim noch auf die

Ladefläche kletterte.
"Schiess!", lief Rubikov aus der Fahrerkabine. "Auf was wartest du denn!? Eine einzige Rakete und wir sind erledigt!"
Alex richtete das Visier auf den Roboter und drückte beide Abzüge durch. Die ganze Ladefläche erbebte, als die Kugeln zu Hunderten aus den rotierenden Läufen krachten. Alex musste sich anstrengen um nicht die Kontrolle über das Maschinengewehr zu verlieren.
Die Kugeln zeichneten eine krumme Linie in den Boden und fanden schliesslich ihr Ziel. Wie eine unsichtbare Faust schlugen sie in den Turm des Roboters ein und zwangen ihn

langsamer zu werden. Doch sie konnten ihn nicht endgültig aufhalten. Viele der Kugeln prallten funkensprühend an der harten Panzerung der Maschine ab.
Der Roboter durfte seine Raketen nicht abfeuern, dachte Alex. Auf freiem Feld war ihr Fahrzeug wie auf dem Präsentierteller. Die Raketen, dachte Alex plötzlich. Darauf musste er zielen!
Das Maschinengewehr des Roboters begann wieder zu rattern. Alex versuchte sich so gut er konnte hinter dem Geschütz zu verstecken und war dadurch gezwungen die Finger von den Abzügen zu nehmen. Die feindlichen Kugeln prallten an mehreren Stellen der Ladefläche auf. Maxim warf sich hinter

einen der Sitze, obwohl diese kaum Schutz vor Geschosse boten. Doch glücklicherweise fegte die erste Kugelwelle ohne jemanden zu treffen über den Lastwagen.
Alex konzentrierte sich wieder auf sein Vorhaben und suchte angestrengt die Maschine nach Öffnungen ab. Er erkannte zwei im oberen Teil der beiden Kästen, die an den Seiten der Maschine angebracht waren. Ohne zu zögern richtete er das Visier auf die rechte Öffnung und drückte ab. Die Raketenkammer explodierte und liess die Maschine in einem leuchtend roten Feuerball verschwinden.
Doch damit war es nicht vorbei, denn die

Maschine schaffte es, eine Rakete aus der anderen Kammer abzufeuern. Durch die Explosion begann zwar das Geschoss zu taumeln, kam aber trotzdem auf den Lastwagen zu. Es ging alles so schnell, dass Alex weder Zeit hatte eine Warnung auszurufen, noch den Kugelstrahl seines Maschinengewehrs auf die Rakete zu richten vermochte.
Doch sie hatten Glück; die Rakete verfehlte den Lastwagen um Meter. Intuitiv duckte sich Alex und klammerte sich am Maschinengewehr fest. Beinahe wurde er von der Ladefläche geworfen, als das Geschoss mit einem dumpfen Knall explodierte.
Als er sich wieder mit schmerzenden

Ohren wieder aufrichtete, war die Siedlung bereits weit weg. Er konnte aber noch den Roboter in der Ferne erkennen. Die Maschine brannte auf einer Seite, doch war es schwer zu sagen, ob sie zerstört oder nur beschädigt war.
Maxim kroch krächzend hinter den Sitzen hervor. Er hatte den kurzen Kampf abgesehen von einer Platzwunde auf der Stirn gut überstanden.
"Gut gemacht", lobte Rubikov, der das Geschehen durch den Rückspiegel mitverfolgt hatte. "Durchhalten", sagte er zu Vladimir, der verletzt auf dem Beifahrersitz lag.


7. Leben, und sterben lassen


Die Bilanz ihres Ausfluges sah traurig aus: Ein Toter, ein Schwerverletzter und keine Reparaturen an den Bodenleitungen. Dafür aber hatten sie gegnerische Truppen entdeckt. Sie mussten so schnell sie konnten die Stadt vor der nahenden Gefahr warnen. Die Maschinen standen bereits vor ihrer Haustür!
Wenn der Gegner durch die naheliegende Frontlinie durchgestossen war – was Alex immer noch nicht glauben wollte – dann war Aleksejs Stadt die neue Frontlinie. Ihre einzige Verteidigung waren Grenzwächter und Polizisten. Die Maschinen mussten das wissen und doch

warteten sie?
Alex verspürte Wut, die ihm die Eingeweide zusammenzog. Musste Sascha unbedingt sterben? Wären sie auch so entkommen? Wer trug die Schuld? Rubikov? Die Maschinen? Oder Alex, weil er Sascha nicht angehalten hatte? Weil er sich zu wenig angestrengt hatte?
"Wir haben Glück, dass wir noch leben", sagte Rubikov, als sie anhielten um Vladimirs Wunden zu versorgen. "Wären wir auf einen Kampfroboter gestossen, wären wir jetzt alle tot."
"Glück?!", Aleksej, der die ganze Zeit seine ziellose Wut unterdrückte, verlor die

Kontrolle.
Er stürmte auf Rubikov los, packte ihn am Kragen.
"Glück?!", wiederholte er während er direkt in Rubikovs erschrockene Augen starrte. "Wir haben alleine Sascha zu verdanken, dass wir noch leben! Das ist nicht Glück!"
"Leonidov... Aleksej", Rubikovs Stimme wirkte wieder ruhig, "das weiss ich doch."
Alex stiess sich weg und hielt sich an der Stirn. Was war los mit ihm? Noch nie zuvor war er derart ausgeflippt.
"Es... es tut mir leid, ich hatte mich nicht unter Kontrolle..."
Rubikov nickte nur

verständnisvoll.
Vladimirs Wunden waren schlimm. Es war überhaupt ein Wunder, dass er noch lebte. Er befand sich am nächsten zur Explosion, beim ersten Raketenangriff der Maschine. Sein verstauchter Fuss war noch das kleinste Problem. Ein Steinsplitter hatte sich in seine linke Seite, etwas oberhalb des Bauchnabels gebohrt. Die Wunde blutete stark. Ein weiterer Splitter hatte eine tiefe Schnittwunde auf Vladimirs Stirn hinterlassen. Durch das Blut konnte man den Schädelknochen erkennen. Rubikov hatte schnell und sauber die Wunden gereinigt und verbunden. Sie waren nicht mit den modernsten Erste-Hilfe-Mitteln

ausgerüstet, doch konnte das Wichtigste mit einfachen Binden erledigt werden. Den Steinsplitter im Bauch liessen sie vorerst noch drin. Vladimir war bleich, schwach und kaum bei Bewusstsein. Er wollte dauernd trinken. Rubikov gab ihm nur wenig Wasser. Er sagte, dass das Trinken die Situation bei einer Bauchverletzung nur noch verschlimmern würde.
Als sie weiterfuhren, erinnerte sich Alex daran, dass Sascha ihm etwas zugerufen hatte, bevor er sich auf die Maschine stürzte. Nun konnte Alex in Ruhe seine Gedanken ordnen wodurch das Gesagte wieder Form annahm. Sascha hatte ihm zugerufen, dass sie es nicht schaffen

würden, dem Roboter zu entkommen. Er wollte ihnen Zeit verschaffen. Dann sagte er noch: "Sag Katja, dass ich sie liebe."
Diesen Satz wiederholte Alex gedanklich mehrmals. Er kannte Katja nicht. War das Saschas Frau? Seine Geliebte? Seine Schwester oder Tochter? Alex wusste es nicht. Er schwor sich aber, es so bald wie möglich herauszufinden und die Botschaft persönlich zu überbringen. Dann musste Alex wieder an Nadja denken. Wie würde sie wohl reagieren, wenn Alex sterben würde?
Wie war es überhaupt, zu sterben? Alex konnte es sich nicht vorstellen. Er wusste auch nicht, ob er es schaffen

könnte, sich zu opfern. Dazu noch für jemanden, den er nicht einmal richtig kannte. Sascha konnte es und hatte es getan. Er war ein wahrer Held.
Maxim riss Alex aus seinen Gedanken, "Ich habe da so ein bedrückendes Gefühl... Was, wenn die Maschinen bereits in der Stadt sind?"
Alex hatte auch schon daran gedacht. "Blödsinn", sagte er aber um sich selber zu beruhigen. "Unmöglich. Nicht in dieser kurzen Zeit."
Was, wenn das tatsächlich stimmte? Was, wenn jetzt, in diesem Augenblick, Maschinen in Aleksejs Stadt einmarschierten und alles und alle niederbrannten und töteten? Maschinen,

die bereits irgendwo an der Stadtgrenze gewartet hatten, als Alex diese erst vor einigen Stunden verlassen hatte. Was würde dann mit Nadja und Mascha geschehen? Alex wurde nervös. Er hätte sie nie verlassen dürfen.

Während der Fahrt hatte Alex kein Auge zugedrückt. Zu viele Sorgen zerrten an seiner Seele. Rubikov war die ganze Nacht ohne Unterbruch gefahren. Vladimirs Zustand hatte sich etwas leicht verbessert.
Als die Sonne aufging wurde auch die Stadt am Horizont sichtbar. Und Rauchschwaden. Sie hingen wie die Auswürfe alter Industrieanlagen überall

über der Stadt. Nur gab es dort keine Industrie. Alex glaubte seinen Augen nicht. Sie kamen zu spät.
"Was zum Teufel!", fluchte Rubikov.
"Fahr schneller!", rief Alex hart.
Sie fuhren auf der gleichen Strasse in die Stadt hinein auf der sie sie verlassen hatten. Niemand kam ihnen entgegen. Rubikov steuerte direkt auf den Stützpunkt zu. Der Geruch von Verbranntem lag in der Luft. Als sie bei der Basis ankamen und ausstiegen, entfaltete sich vor ihnen ein fürchterliches Bild.
Überall lagen tote Grenzwächter herum. Sie lagen so, als hätte man sie hierher gedrängt wo sie sich bis zum Letzten

verteidigt hätten. Mehrere blutüberströmte, nicht identifizierbare Leichen ohne Uniformen lagen ebenfalls da. In der Ferne waren Explosionen und Schüsse zu hören. Es war noch nicht vorbei!
Rubikov hielt sich mit beiden Händen am Kopf, während er schockiert das Bild betrachtete. Vladimir stand trotz seiner Schwäche neben ihm und blickte erschrocken um sich. Nur wenige Körper hatten Schusswunden. Die meisten sahen aus, als wären wilde Tiere über sie hergefallen. Sie hatten Bisswunden und Kratzspuren. Teilweise waren ganze Körperteile abgetrennt.
Alex hörte ein Geräusch, das ihn an ein

Husten erinnerte und drehte sich um. Es war anscheinend noch jemand am Leben und richtete sich langsam auf. Alex wollte sich nähern um der Person zu helfen, blieb dann aber erschrocken stehen. Dem Mann fehlte ein ganzer Arm. Auch seine linke Seite war wie ausgerissen. Fleisch und Hautfetzen hingen dort herab. Er war vollkommen mit Blut bedeckt und auch seine weit aufgerissenen Augen waren innen rot angelaufen. Auch die anderen hatten inzwischen den Mann bemerkt. Jeder war sprachlos vor Erstaunen. Bei all den Verletzungen lebte der Mann noch und war in der Lage selber aufzustehen!
Der blutüberströmte Mann blickte in die

Richtung von Alex. Speichel, Blut und Erbrochenes lief ihm aus dem Mund heraus. Unmenschliche Laute ausstossend, begann er zu rennen. Der Angriff kam so überraschend, dass Alex nur noch die Zeit blieb, die Arme hochzunehmen und zu versuchen ihn vor sich fern zu halten.
"Hey!", rief Maxim dem Mann zu. "Was tust du da!" Er rannte zu Alex zu Hilfe.
Aleksej hatte Mühe den wild gewordenen Mann auf Distanz zu halten. Er drückte seinem Angreifer mit einer Hand gegen den Hals und mit der anderen gegen die Brust. Trotz der tödlich aussehenden Verletzungen hatte der Mann extreme Kräfte und versuchte allen Anschein

nach Alex in den Hals zu beissen.
Mit Maxims Hilfe konnte Alex ihn endlich wegstossen. Der Mann torkelte nach hinten, stöhnte auf eine unmenschliche Art und rannte sogleich wieder auf Aleksej zu. Rubikov nahm sein Sturmgewehr im Anschlag und schoss zweimal auf den Angreifer. Blut spritzte. Die Kugeln trafen den Mann in die Brust und hinterliessen tiefe Wunden, als sie aus seinem Rücken wieder heraustraten. Dennoch stoppte der Mann nicht. Wie konnte er überhaupt noch leben? Fluchend drückte Rubikov ein weiteres Mal ab. Die Kugel zerfetzte den Kopf des Angreifers. Mit einem ekligen, schmatzenden Geräusch fiel sein Körper

auf den Boden.
"Was zur Hölle war das?", fragte Maxim verzweifelt.
"Wieso wollte er mich beis…", begann Alex. Doch er wurde unterbrochen.
Links und rechts von ihnen begannen sich weitere vermeintliche Tote zu erheben. Es wurden immer mehr. Sie wendeten sich der Vierergruppe zu und begannen sich rennend oder gehend zu nähern. Rubikov wartete nicht lange und fing an zu schiessen. Auch Maxim entsicherte seine Schockpistole und schoss gezielt um sich. Alex hatte seine DT-48 letzte Nacht verloren, holte aber seinen Revolver heraus und hielt sich damit die ‚Scheintoten‘ vom

Leib.
Was war mit ihnen? Hatten sie während des Maschinenangriffes den Verstand verloren? Und dann alle auf einmal?
Bald waren alle Angreifer neutralisiert. Alex fühlte, wie sein Magen sich zu kehren drohte.
"Ich verstehe nicht, was da vor sich geht." Rubikov kontrollierte, ob sich noch jemand rührte.
"Sie benehmen sich wie irgendwelche Zombies!", Maxims Stimme wirkte verzweifelt. "Was haben die Maschinen mit ihnen getan?"
Alex lud seinen Revolver nach. Seine Hände zitterten vor Aufregung. Seine Gedanken waren wieder bei seiner

Familie. Alex blickte auf und sah wieder die dichten Rauchschwaden über der Stadt. Man hörte immer noch Schussgeräusche und Explosionen. Seine Familie war dort in der Stadt. Alex fühlte eine tiefe Angst in sich aufsteigen. Er musste zu ihnen! Jetzt!
"Ich muss in die Stadt!", sagte Alex selbstbewusst.
"Wir können nicht in die Stadt", antwortete Rubikov. "Da ist die Hölle los!"
Keine Zeit für Worte. Alex rannte zum Lastwagen und sprang in die Fahrerkabine. Draussen hörte er Rubikovs protestierende Rufe, achtete aber nicht mehr

darauf.
Es war lange her, seit Alex das letzte Mal am Steuer eines Autos gesessen war. Seine Hände und Füsse wussten aber erstaunlicherweise noch genau, was er zu tun hatte. Er kontrollierte die Batterieanzeige. 19 Prozent. Das musste reichen. Er drückte den Startknopf und das Fahrzeug startete mit einem leisen Pfeifen.
Rubikov kam angerannt und riss die Türe auf. "Raus aus dem Wagen, Leonidov!" Er war ausser sich vor Wut. "Was glaubst du eigentlich, was du da tust!?" Rubikov packte Alex am Hemd um ihn vom Fahrersitz zu zerren. Aber Alex drückte das Gaspedal durch und raste Rubikov

vor der Nase weg. Dieser wurde einige Schritte mitgezogen und fiel dann auf den Boden.
Alex achtete nicht mehr auf die anderen. Er musste Nadja und Mascha retten! Derart konzentriert, merkte er nicht, wie Maxim auf die Ladefläche sprang und während der Fahrt, auf den Beifahrersitz kletterte.
"Maxim!", Alex bemerkte ihn erst, als Maxim die Türe zuknallte.
"Glaubst du, ich kann dich einfach so alleine gehen lassen?", seine Stimme klang so ernst, wie noch nie zuvor.
"Ich muss zu ihnen!", Alex konzentrierte sich wieder auf die Strasse.
"Ich weiss. Was auch immer du vorhast,

ich geb dir Deckung."
Alex war froh, Maxim an seiner Seite zu haben. In seinem Kopf spielte sich ein gefühlszerrender Kampf ab. Er musste sich immer wieder einreden, dass er es rechtzeitig schaffen würde.
"Kennst du dich hier aus?", fragte Alex, denn er erkannte keine einzige Strasse.
"Leider nein", Maxim überlegte kurz. "Nimm eine grössere Strasse, die in die Stadt führt und fahre geradeaus bis wir auf einer Hauptstrasse sind. Dann werden wir wissen, wo wir uns befinden."
Tatsächlich kam ihm die erste mehrspurige Hauptstrasse, in die er einbog bekannt vor und nach etwa einem Kilometer wusste er schon, wo sie sich

befanden.
Die meisten Häuser um sie herum brannten. Schwarzer Rauch quoll aus Türen und Fenstern heraus. Auf den Wänden, die noch nicht vom Feuer geschwärzt waren, waren Einschusslöcher zu sehen. Von allen Seiten kamen Schreie. Auf den Strassen lagen und liefen verletzte Menschen, schrien um Hilfe. Einige bemerkten das Auto und liefen winkend hin. Doch Alex wich ihnen ungebremst aus. Er durfte nicht anhalten!
Auch hier gab es zahlreiche verstümmelte aber noch herumrennende Menschen wie an der Grenze. Einige waren unnatürlich verkrüppelt und voller

Blut. Alex sah, wie mehrere solche Kreaturen wie Tiere über die fliehenden Menschen herfielen. Was waren sie? Es waren nicht Maschinen, denn sie bestanden aus Fleisch und Blut. Aber wieso sollten Menschen sich so verhalten, was war in sie gefahren?
Diese ‚Zombies‘ waren nicht das einzige Problem. Die Schussgeräusche wurden lauter. Zwischen den Häusern konnte Alex auf die benachbarten Strassen sehen. Dort erblickte er eine Gruppe von grossen Maschinen. ‚Leichte Artillerie‘, wie sie Rubikov genannt hatte; vierbeinigen Roboter, die mit Raketen und Maschinengewehren bewaffnet waren. Es konnte sich nicht um

diejenigen handeln, denen Alex bereits begegnet war. So schnell konnten sie die Stadt nicht erreicht haben. Die Roboter feuerten in kurzen Abständen Raketen schräg nach oben ab, in Richtung des Stadtzentrums. Ihr Ziel lag ausserhalb Aleksejs Sichtweite.
"Achtung, vor uns!", Maxims Ruf zwang Alex wieder nach vorne zu blicken.
Vor ihnen befanden sich zwei neuartige Roboter auf der Strasse. Es waren furchteinflössend aussehende, rund drei Meter hohe Maschinen. Den grössten Teil ihrer Länge machten ihre drei gelenkigen Beine aus. Zuoberst befand sich ein abgerundeter Körper auf dem sich zwei armähnliche Gebilde befanden.

Es handelte sich dabei um beweglich angebrachte Waffen. Eine davon war ein mehrläufiges Maschinengewehr, mit dem die beiden Roboter auf fliehende Personen schossen.
Die Maschinen bemerkten den Lastwagen.
"Scheisse! Abbiegen, abbiegen!", rief Maxim.
Alex nahm die am nächsten liegende Seitenstrasse und sah noch, wie eine der Maschinen einen bisher ungenutzten Arm gegen sie richtete und mehrere runde Geschosse abfeuerte. Die Objekte schlugen hinter dem Lastwagen auf und bildeten einen Teppich aus Feuer.
"Das sind Brandbomben!", schrie Maxim,

während er nach hinten schaute.
Alex verliess die Seitenstrasse und bog wieder in die richtige Richtung ab. Es war nicht leicht den Lastwagen bei voller Geschwindigkeit über die löchrigen und mit allen möglichen Gegenständen bedeckten Strassen zu steuern. Ausserdem waren da überall Menschen, tote und fliehende. Einige brannten am ganzen Körper und rannten kreischend durch die Gegend, andere lagen verletzt da und schrien um Hilfe. Alex bemerkte, dass er Tränen in den Augen hatte. All diese Schmerzen und all das Leid! Er wusste nicht, wie lange er das noch aushalten würde.
Der Weg kam ihm endlos vor. Doch sein

Haus war nun ganz in der Nähe. Er bog das letzte Mal ab. Vorne an der Strasse war seine Wohnung. Ausgerechnet dort stand ein Kampfroboter. Er feuerte mit beiden Waffen auf Gebäude und Menschen und schenkte dem sich nähernden Fahrzeug keine Beachtung.
Der Anblick der Maschine machte Alex wütend.
"Maxim! Spring raus!", befahl er ohne die Geschwindigkeit des Fahrzeuges zu drosseln.
"Was hast du vor?" Maxim blickte ihn ungläubig an.
"Spring!"
Maxim öffnete die Türe und liess sich etwas ungeschickt aus dem Auto fallen. 

Alex beschleunigte soweit es ging und steuerte direkt auf die Beine der Maschine zu. Als er sich sicher war, dass das Auto das Ziel nicht mehr verfehlen würde, öffnete er die Türe und warf sich aus dem Fahrzeug. Er schlug hart auf und rollte noch einige Meter auf dem Belag.
Er sah, wie der Lastwagen in voller Fahrt krachend die Beine der Maschine rammte. Der Roboter verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem dumpfen Krach auf den Lastwagen, der ihn mitriss. Alex blickte zurück und sah Maxim, wie er sich vom Boden hob. Von hinten näherte sich ihm eine Kampfmaschine.
"Pass auf,

Maxim!"
Dieser reagierte schnell und verschwand in einer Seitenstrasse, bevor der Roboter zu schiessen begann. Auch Alex sprang hoch und rannte zwischen die Häuser. Er war fast am Ziel! Nachdem er die enge Gasse mit wenigen Schritten hinter sich gebracht hatte, blieb er vor seinem Haus stehen.
Es war eine einzige Ruine. Die Wände waren zum grössten Teil eingestürzt, grauer Rauch stieg an mehreren Stellen auf. Mit panischer Angst rannte Alex hinein. Das Haus hatte vor kurzem gebrannt, doch nun waren die Flammen weg. Dennoch fiel es Alex schwer zu

atmen.
"Nadja!", rief er verzweifelt, während seine Augen die Trümmer absuchten.
Dann sah er sie beide; Nadja und Mascha.
Das Bild drückte ihm das Herz zusammen. Er bekam keine Luft. Das durfte nicht sein!
Sie waren tot. Verbrannt.
Alex fiel vor ihren Leichen auf die Knie. Mit zittrigen Händen berührte er Nadjas verkohltes Gesicht. Ihre Züge waren noch genau zu erkennen. Er streichelte Mascha am kahlgebrannten Kopf. Dann liess er seinen Kopf sinken und weinte; und schrie.
Er hatte

versagt!
Seine Familie, seine Liebsten, waren tot. Damit verlor auch sein Leben Sinn. Wie konnte er es soweit kommen lassen? Wie konnte er nun weiterleben? Was konnte er noch tun? Alex holte den Revolver hervor. Er spannte den Hahn und steckte sich den Lauf in den Mund. Das war der einzige Ausweg. Er schloss die Augen und atmete tief durch.
Doch er schaffte es nicht abzudrücken.
Feigling, sagte er zu sich selbst, nahm schreiend den Revolver aus dem Mund und verliess das Gebäude. Am Ende der Strasse erblickte er einen Kampfroboter. Die Maschine schoss und schlug mit einem Bein wild um sich herum auf

vorbeirennende Menschen.
Alex heulte auf und rannte auf die Maschine zu. Doch sie bemerkte Alex nicht, also begann er mit dem Revolver auf sie zu schiessen. Die Kugeln prallten pfeifend an ihrer Hülle ab. Die Maschine liess sich nicht ablenken, auch nicht, als Alex direkt neben ihr zu stehen kam.
"Töte mich!", schrie Alex entsetzt und breitete die Arme aus.
Als die Maschine sich bewegte, wurde Alex von einem ihrer Beine am Kopf getroffen. Er verlor das Gleichgewicht und fiel auf Hände und Knie. Hellrotes Blut tropfte auf den dunklen Bodenbelag. Seine Schläfe schmerzte. Er blickte hoch und sah mit Entsetzen, dass sich die

Maschine entfernte. Er erhob sich schwankend und hatte vor ihr nachzujagen, als ihn jemand plötzlich von hinten packte. Es war Maxim. Wortlos schleppte er Alex weg.
Alex sah wieder das Bild seiner toten Familie vor sich und begann zu weinen. Er merkte, dass er noch den Revolver in der Hand hielt. Er hatte doch nichts mehr zu verlieren! Bevor Maxim überhaupt reagieren konnte, steckte er ihn sich wieder in den Mund, schloss die Augen und drückte ab. Ein Klicken ertönte, doch nichts geschah; die Trommel war leer.
Maxim riss ihm die Waffe aus der Hand. "Idiot!", rief er. "Tu es

nicht!"
"Sie sind tot, Maxim." Alex fand keine Kraft mehr zum Laufen. Maxim stützte ihn.
"Ich weiss, Alex. Ich habe es gesehen."
"Sie sind tot!"
Alex wusste nicht, wo Maxim ihn hinzog. Es war ihm auch vollkommen egal. Über nichts hatte er die Kontrolle! Er hatte seine Familie nicht vor dem Tod retten können und nicht einmal über sein eigenes Leben konnte er entscheiden. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als es zu akzeptierten; vorerst noch.

Teil 3 - glühender stahl

 

1. Nichts zu verlieren

 

Maxim und Alex folgten einer Gruppe von etwa fünfzig Flüchtlingen; Männer, Frauen und Kindern. Das waren womöglich alle, die es geschafft hatten, die Stadt lebend zu verlassen. Einige waren nicht einmal richtig angezogen, es gab auch viele Verletzte mit Schuss- und Brandwunden. Niemand hatte eine medizinische Ausrüstung bei sich. Die Wenigsten hatten überhaupt etwas dabei; der Angriff auf die Stadt war vollkommen überraschend erfolgt. Die

einzigen Mittel, mit dem Elend zurecht zu kommen, waren Geduld und Durchhaltevermögen. Tagelang fühlte sich Alex von seinem Körper losgelöst. Er reagierte auf Maxims Aufforderungen weiterzugehen mechanisch und ohne Widerrede. Dabei waren seine Gedanken ganz wo anders. Alex sah ständig Nadja und Mascha vor sich. Nadja, wie sie das Essen kochte, wie sie lachte, wie sie Alex auf die Lippen küsste; und Mascha, wie sie da sass, spielte und Alex mit grossen Augen ansah. Er gab sich die Schuld für ihren Tod und er sah keinen Sinn mehr weiterzuleben. Am Abend, wenn die Gruppe rastete und Alex von Maxim

gezwungen wurde etwas zu essen – es waren meist Beeren oder Pilze – kehrte er gedanklich in die Realität zurück. Ihm wurde immer wieder von neuem klar, dass Nadja und Mascha tot waren. Er erinnerte sich dann an den Anblick ihrer verbrannten Körper. Er weinte oft und dachte an Selbstmord. Maxim hatte ihm den Revolver weggenommen, was die Sache komplizierter machte. Wie sollte er es anstellen? Sich anzünden? Weglaufen und verhungern? Alex hatte nicht einmal ein Messer um sich die Adern aufzuschlitzen. Je mehr er darüber nachdachte desto mehr erlosch seine Entschlossenheit dazu. War er zu feige

um sich das Leben zu nehmen? Doch wozu sollte er weiterleben? Wozu weiterkämpfen? Für wen? Mehrere Male liefen den Flüchtlingen diese, Alex bereits bekannten, seltsamen, menschenähnlichen Kreaturen über den Weg. ‚Lebende Tote‘ oder ‚Zombies‘ nannte man sie. Sie benahmen sich aggressiv, versuchten ständig jemanden zu beissen oder zu kratzen. Obwohl einige Flüchtlinge Waffen dabei hatten und die Gruppe sich zur Wehr setzen konnte, wurden einige Personen durch die Kreaturen erwischt. Die Verletzten starben entweder sofort aufgrund tiefer Bisswunden, oder Stunden später, sogar nach scheinbar harmlosen

Verletzungen. Maschinen begegneten der Gruppe keine. Aber auch keinen Menschen. Die Nächte waren kalt. Alex war immer noch so gekleidet, wie am Tag, an dem er vom Ausseneinsatz zurückgekehrt war. Er trug lange Hosen und ein Langarmhemd mit der stark beschädigten Erkennungsmarke der Grenzwächter. Seine Lederjacke hatte er bei seiner letzten Fahrt im Lastwagen liegen gelassen. Es vergingen zwei oder drei Tage – Alex wusste das nicht mehr so genau – als endlich Hilfe kam. Ein der Gruppe entgegenkommender Militärkonvoi nahm sie mit. Die Verletzten konnten versorgt

werden. Doch für einige kam jede Hilfe zu spät. Der Konvoi brachte die Flüchtlinge in eine Stadt. Sie erinnerte Alex an seine eigene; gleiche Strassen, gleiche Gebäude. Nur der Zustand der Bauten war wesentlich besser. Hier hatte der Krieg bis jetzt nur wenige Spuren hinterlassen. Maxim, Alex und vier weiteren Flüchtlingen wurde eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Sie erhielten zu essen und verbrachten die folgende Nacht in richtigen Betten. Es war zwar nicht der gleiche Komfort wie vor dem Krieg, aber immerhin besser, als auf dem kaltem Waldboden und ohne Decke zu

schlafen. Alex verbrachte mehrere Tage in der Wohnung. Er lag stundenlang im Bett und starrte an die Decke. Maxim war oft bei ihm, redete über alles Mögliche. Schon bald erhielt Maxim einen Job in einer Munitionsfabrik. Nun brachte er täglich Tickets für Lebensmittel und Kleidung nach Hause. Einige andere Mitbewohner fanden ebenfalls bald Arbeit. Andere trauerten noch um ihre Verwandten und Freunde. Die Mitbewohner machten untereinander ab, dass die verdienten Tickets der ganzen Wohngemeinschaft zur Verfügung stehen sollten um sich gegenseitig zu

unterstützen. Nach vielen traumlosen Nächten begann Alex in einer Nacht wieder zu träumen. Er sah Nadja vor sich. Sie hielt Mascha an der Hand und sagte irgendetwas. Es war zu leise, um es zu verstehen. Alex streckte seinen Arm aus um Nadjas Haar zu berühren, doch sie stoppe ihn mit der freien Hand und schüttelte den Kopf. Dann drehten sich die beiden um und gingen davon. Mascha blickte noch lange zurück. Sie entfernten sich immer weiter, bis sie in der Dunkelheit verschwanden. Er folgte ihnen nicht. Am nächsten Morgen wachte Alex früh auf. Auf einmal fühlte er sich frei. Frei

von allen erdrückenden Gedanken, frei von Schmerz. Sein Kopf war so klar, wie schon lange nicht mehr; seine Gedanken geordnet. Er bekam Lust, ein neues Leben zu beginnen. Der letzte Traum schien ihn irgendwie wachgerüttelt zu haben. Seine Frau und seine Tochter waren tot. Das musste er akzeptieren.So war es und er konnte nichts mehr rückgängig machen, egal, wie sehr er sich seine Familie zurückwünschte. Doch er konnte etwas anderes tun. Er musste dafür sorgen, dass sich dieses Leid nicht wiederholte. Er würde sein Bestes geben und dazu beitragen, den Krieg zu beenden. Auch wenn er dabei sterben

würde. Es war etwas, dass er nicht alleine schaffen würde. Doch er konnte Teil eines grossen Ganzen werden, das aktiv gegen die Maschinen vorgeht. Er musste zur Armee! Ein zweiter Gedanke, den Alex bis jetzt unbewusst unterdrückt hatte, bestätigte seine Entscheidung. Es war Rache. Alex sehnte sich danach, seine ganze Wut und seinen Hass auf die Maschinen entladen zu können. An der Front würde er diese Gelegenheit bekommen. Alex stand auf, zog sich an und verliess die Wohnung, ohne jemandem ein Wort zu sagen. Im Treppenhaus ging er nach unten.

Einzelne Fenster und Löcher in den Wänden liessen Lichtstrahlen hinein und beleuchteten schwach seinen Weg. Die Tritte waren nach all den Jahren am Rande abgerundet und man musste bei jedem Schritt aufpassen, dass man nicht abrutschte. Durch eine schief hängende Türe verliess Alex das Haus. Er hatte das Gebäude seit seiner Ankunft nicht mehr verlassen, was er jetzt zu fühlen bekam. Die frische Luft erfühlte ihn mit einem Gefühl der Leichtigkeit und das Licht der erst noch aufstehenden Sonne zwang ihn die Augen zusammenzukneifen. Er blieb einen kurzen Moment stehen, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Direkt gegenüber dem Hauseingang

befand ein grosser Innenhof. Einzelne Bäume, Bänke und irgendwelche Gerüste, die an einen ehemaligen Spielplatz erinnerten, standen herum. Kinder spielten herum, inmitten von Scherben und Pfützen. Ältere Frauen und Männer sassen auf morschen Bänken in der Nähe von Bäumen und warfen Alex in diesem Moment misstrauische Blicke entgegen. Das ganze Bild machte einen irgendwie traurig. Alex schluckte schwer und verliess den Innenhof durch einen gedeckten Gang. Was ihm auf der Strasse sofort auffiel, waren die vielen Leute. Es war früh am Morgen und doch waren die meisten schon auf und gingen ihren Dingen nach.

Es gab viele Soldaten. Sie trugen gewöhnliche Tarnkleider und waren mit modernen Sturmgewehren bewaffnet. Alex überlegte nicht lange und ging zu einem der Soldaten, der gelangweilt die Strasse entlang lief. Das Abzeichen auf seinen Schultern sah aus, wie das von Rubikov. "Sergeant", sagte Alex zu ihm. Der Mann drehte sich gemächlich um und blickte Alex von oben bis unten an. "Was wollen Sie?", fragte er etwas genervt. Alex liess sich durch den unfreundlichen Ton nicht abschrecken und fragte direkt: "Wo kann ich in dieser Stadt der Armee

beitreten?" Ein missbilligendes Lächeln zeichnete sich auf den Lippen des Soldaten. Lag das an seinem Aussehen? Alex wusste, dass er bleich und abgemagert war. Er wirkte wahrscheinlich schwach und unbeholfen. Der Soldat erklärte ihm dennoch, wie man am schnellsten zum nächsten Kommandoposten kommen konnte und Alex machte sich auf den Weg. Er ging die breiten Strassen entlang, beobachtete die Menschen. Ab und zu fuhren die grossen Militärlastwagen an ihm vorbei. Beeindruckend waren ihre riesigen Räder, primär für den Gebrauch ausserhalb von Strassen

konzipiert. Alex fragte weitere Leute nach dem Weg und fand bald den Kommandoposten. Es war ein vierstöckiges Gebäude mit einer grossen Metalltafel beim Eingang, auf der ‚Militärkommando 2‘ eingraviert war. Alex trat ein und fand sich in einem langen engen Gang wieder, der mit Soldaten und zivil gekleideten Menschen überfüllt war. Es wurde laut diskutiert, viele liefen gestresst umher, andere standen nur ruhig da und warteten. Alex entdeckte improvisierte Wegweiser an der Wand. Es waren einfache Papierblätter, auf die jemand von Hand Begriffe und entsprechende Pfeile hingekritzelt hatte. Alex folgte dem

Wegweiser ‚Anmeldung Freiwillige‘ und kam in einem kleineren Raum mit mehreren Türen an. Den Wänden entlang befanden sich Bänke, wo bereits eine Gruppe von Leuten geduldig wartete. Er grüsste sie und setzte sich daneben. Einer nach dem anderen verschwanden die Leute in einer der Türen und kamen nach wenigen Minuten wieder nach draussen. Es ging nicht lange, bis Alex an der Reihe war. Er klopfte kurz und betrat das einfach eingerichtete Büro. Gegenüber der Türe befand sich ein breites Fenster. Hinter einem grossen braunen Holztisch, sass ein Uniformierter. Der Mann war Mitte fünfzig, hatte graue Haare und machte

einen intelligenten Eindruck. Er grüsste knapp und deutete auf einen Stuhl vor dem Tisch. Alex setzte sich. "Ich bin Major Kalinin", er schob irgendwelche Papiere zur Seite und streckte Alex die Hand aus. "Aleksej Leonidov.“ Sie grüssten sich. "Sie wollen also freiwillig der Armee beitreten", sagte der Major, nachdem er sich nach hinten gelehnt hatte. "Hatten sie denn kein Aufgebot erhalten?" "Nein", Alex überlegte kurz, was er sagen sollte. "Ich komme aus einer anderen Stadt." "Aus dem Norden? Oder Osten?" "Norden." Nachdenklich lehnte sich der Major

zurück. "Norden. Das war eine schlimme Sache dort. Ich sehe, Sie waren Grenzwächter." Alex nickte. "Wie lange?" "Einige Tage. Dann kamen die Maschinen." "Haben sie Verwandte?" Alex fühlte, wie er sich zu verkrampfen begann. "Nein.“ er konzentrierte sich, um nicht in Tränen auszubrechen. "Nicht mehr." Der Major atmete tief durch. "Das tut mir Leid." Er machte eine Pause. "Sie wollen Rache, nicht wahr?" Alex blickte ihn an. "Ich möchte der Menschheit dienen, das ist

alles." "Hören Sie", der Major lehnte sich nach vorne, "wir haben hier weder die Zeit noch die Mittel, um Sie physisch und psychisch zu untersuchen. Es wäre dumm von mir, einem Freiwilligen den Beitritt zu verweigern, denn die Leute gehen uns aus, wie das Wasser in einer löchrigen Flasche. Ich muss aber sicherstellen, dass Sie in der Lage sind, die Ihnen auferlegte Aufgaben zu erledigen." "Das bin ich..." "Wenn Sie, wegen des Verlustes, den Sie erlebt haben, psychisch labil sind, dann sind Sie eine potentielle Gefahr für die Menschen um Sie herum. Wir können uns keinen Amoklauf unter den eigenen

Truppen erlauben, auch keine Lebensmüden, die sich in den ersten Kugelhagel werfen, nur um sich umzubringen." "Ich bin nicht so einer, Major", Aleksejs Stimme wurde hart. "Dafür haben Sie mein Wort." "Mehr kann ich leider auch nicht verlangen", der Major lehnte sich wieder entspannt zurück. "Also, kommen wir zur Sache. Ich nehme an, Sie sind körperlich fit?", er wartete, bis Alex nickte. "Welche Funktion wollen Sie denn annehmen?" "Die, die am meisten gebraucht wird." "Hmmm", der Major nahm einen kleinen Handcomputer hervor und tippte

irgendetwas mit dem Zeigefinger auf dem Bildschirm herum. "Wenn das so ist, dann werden sie Infanterist. Einverstanden?" "Natürlich." Der Major druckte mit dem Druckmodul seines mobilen Computers einen kleinen Zettel aus und überreichte ihn Aleksej. Darauf standen Ort, Zeit, Funktion und eine Nummer. "Packen sie Ihre Sachen und seien Sie pünktlich", sagte der Major. "Weitere Anweisungen kriegen Sie später“ Er streckte wieder die Hand aus. "Ich wünsche Ihnen viel Glück in dieser glücklosen Welt." Sie verabschiedeten sich und Alex

ging. Beim Verlassen des Gebäudes betrachtete er noch einmal den Zettel. Er hatte genau zwei Stunden Zeit. Packen musste er nichts, doch er hatte etwas anderes zu erledigen. Ohne Umwege ging er zur Wohnung zurück und wartete vor der Türe, bis Maxim herauskam, um zur Arbeit zu gehen. Er wirkte etwas aufgeregt. "Da bist du ja, Alex. Ich hatte schon das ganze Haus abgesucht!", rief er, als er Alex sah. "Du bist einfach verschwunden!" "Max, es tut mir leid, ich hätte eine Nachricht hinterlassen sollen", Alex lächelte ihn

an. Maxim lächelte zurück. "Wie geht es dir? Du hast endlich das Bett verlassen." "Ich fühle mich gut... Mir ist einiges klar geworden", Alex atmete durch. "Das Leben geht weiter." Maxim nickte nur mehrmals. "Weisst du noch, wie du mir gesagt hast, du willst endlich was aus deinem Leben machen?", begann Alex. "Ich habe nun das Gleiche vor." "Alex... Ich hatte ein Alkoholproblem." "Trauer ist auch eine Droge." Maxim zuckte nachdenklich mit den Schultern. "Ich bin der Armee beigetreten", sagte Alex. "In etwa einer halben Stunde muss

ich los." Maxim blickte ihn mit grossen Augen an. "Oho, weisst du auch wirklich, was du tust?" "Absolut. Ich hatte schon seit langer Zeit keinen so klaren Kopf mehr." "Ich meine, vielleicht hast du bloss aus Verzweiflung gehandelt." "Nein, Max." "Weisst du, ich habe mir das anfänglich auch überlegt, aber irgendwie bin ich noch nicht bereit dazu. Das alles, was ich an der Grenze erlebt hatte... Irgendwie war das zu viel für mich. Ich muss meine Gedanken in Ordnung bringen." "Nun, bei mir habe ich das bereits

getan", Alex blickte Maxim schuldig an. "Ich hatte ja genügend Zeit im Bett verbracht, während du für uns gearbeitet hast. Ich bin dir was schuldig." "Ach, vergiss es." "Nein wirklich ohne dich wäre ich jetzt tot. Entweder wegen einer Maschine, oder ich hätte mich selber umgebracht... Danke." Maxim lächelte Alex an. "Max, es wird Zeit für mich zu gehen." "Ich hoffe wir sehen uns wieder." "Darauf kannst du wetten, Max. Wenn der Krieg zu Ende ist, trinken wir einen auf den Sieg!", Alex streckte Maxim seine Hand aus. Statt Alex die Hand zu reichen umarmte ihn

Maxim. "Danke dir, Max", sagte Alex, als sie sich trennten. "Du bist ein wahrer Freund." Alex drehte sich um und ging. "Ich habe noch etwas, das dir gehört", rief Maxim und rannte zu ihm. Er reichte Alex den Revolver und die noch wenigen Patronen, die Alex bei der Flucht bei sich gehabt hatte. „Wehe, du kommst wieder auf den Gedanken, dich umzubringen." Alex nahm den Revolver, klappte die Trommel heraus und drückte auf den Entladestift. Sechs leere Hülsen fielen klimpernd auf den Boden. Alex steckte sechs neue Patronen in die Trommel,

machte sie zu und steckte sich den Revolver in die Hosentasche. Dort schüttelte er auch die restliche Munition hinein. "Danke", sagte Alex und legte seine Hand auf Maxims Schulter. "Selbstmord kommt für mich nicht mehr in Frage. Ich habe nun Wichtigeres zu tun." Kurze Zeit später war Alex am angegebenen Ort. Er war pünktlich. Ein Dutzend anderer Leute war ebenfalls da; Männer und Frauen. Ein Unteroffizier nahm sie in Empfang. "Bewegt eure lahmen Ärsche hierher!", schrie der Unteroffizier. "Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit! Stellt euch in

einer Linie auf! Habt ihr Scheisse in den Augen?! Wisst ihr überhaupt, was eine Linie ist?! Gerader! Ausrichten! Stellt euch nicht so hin, als würdet ihr bald tot umfallen! Da braucht ja der Feind gar nicht auf euch Vogelscheuchen zu schiessen!" Als sich alle endlich aufgestellt hatten, ging der Unteroffizier durch die Reihen und kontrollierte mit einem ernsten Blick ihre Haltung. Bei jedem hatte er etwas auszusagen. Seine Befehle waren grob und sehr direkt. Kleidungsstücke und persönliche Gegenstände, die aus seiner Sicht unnötig waren, mussten abgegeben werden. Wenn sich jemand weigerte, kam

sein Teleskopschlagstock zum Einsatz. Er schlug nicht hart, aber so, dass man klar verstand, wie ernst er es meinte. Auch bei Alex blieb der Soldat stehen. Er klopfte mit dem Schlagstock gegen die Stahlröhre, die immer noch an Aleksejs Gürtel hing. "Was zur Hölle willst du damit?", fragte er harsch. "Säger abwehren", antwortete Alex. "Glaub mir mein Freund. Dort wo du hin gehst, werden die Säger dein kleinstes Problem sein", er streckte auffordernd die Hand heraus. Alex zögerte einen Moment, nahm sich dann aber doch die Stahlröhre vom Gurt und überreichte sie dem Unteroffizier,

der sie sogleich zu einer Hauswand warf, wo sie klimpernd in einem Stapel aus Kisten und Brettern verschwand. Als der Unteroffizier seinen Kontrollgang abgeschlossen hatte, stellte er sich vor die Gruppe. "Ich bin Sergeant-Major Karpatov", sagte er grimmig dreinblickend. "Ich habe gerade mal zwei Monate Zeit, um euch kriegstauglich zu machen. Ihr habt euch der Armee angeschlossen. Ich akzeptiere keine Rückzieher. Hättet ihr euch nicht freiwillig gemeldet, hätten wir euch sowieso früher oder später geholt. Es gibt kein Zurück mehr! Habe ich mich deutlich ausgedrückt?!" Ein klares "Ja" kam beinahe gleichzeitig

aus allen Mündern. "Es heisst: Ja, Sergeant-Major!", bellte Karpatov. "Ja, Sergeant-Major!!!", erklang es, diesmal sogar noch lauter. "Ihr seid hier, um zu kämpfen", fuhr Karpatov fort. "Ihr seid hier, um Maschinen in den Arsch zu treten! Ist das allen klar?!" "Ja, Sergeant-Major!!!" "Ich sehe, wir werden viel Spass miteinander haben!", Karpatov setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. "In einer Kolonne bleiben! Im Laufschritt, mir nach, Marsch!" Der Sergeant-Major marschierte los. Die Gruppe folgte.

2. Nachschub

 

Die beiden Militärlastwagen fuhren in schnellem Tempo auf der steinigen Strasse. Links und rechts erstreckten sich weite, mit hohem Gras bedeckte Felder. Dichte Baumgruppen machten einem deutlich, dass die Landschaft schon seit langem nicht mehr durch Menschen genutzt wurde. Es war kurz nach Mittag. Die Sonne strahlte intensiv von dem kaum bewölkten Himmel hinunter und wäre da nicht der kühle Wind, könnte man meinen, dass der Herbst noch nicht vorbei war. Doch es war bereits Mitte November. Pfützen auf der Strasse erinnerten an die langandauernden

Regenfälle der letzten Tage. Alex sass auf der Ladefläche des vorderen Lastwagens. Er trug bequeme Militärbekleidung; einen dunkelgrünen Overall aus dickem Material und darüber einen Körperpanzer, der sowohl den Vorderkörper als auch den Rücken gegen Splitter und Kugeln schützte. Er trug auch einen, den gesamten Kopf umhüllenden Helm. Sein Gesicht stand nur durch das sparsam dimensionierte und momentan hochgeklappte Visier mit der Aussenwelt in Verbindung. Drei Monate waren nun vergangen, nachdem Alex dem Militär beigetreten war. In den ersten zwei Monaten hatte die Ausbildung mit Sergeant-Major

Karpatov stattgefunden. Sie war eine echte Herausforderung gewesen aber er hatte viel dabei gelernt. Nach der Ausbildung bekam er seinen aktuellen Job, als eine Art Praxis, um Erfahrungen zu sammeln, bevor er dann als Infanterist an die Front gehen würde. Er kam zu den Nachschubtruppen und begleitete die mit Munition und Verpflegung beladenen Lastwagen nun schon seit einem Monat, um die Fahrzeuge zu beladen, zu entladen und sie während der Fahrt zu sichern. "Rechts!", die Stimme von Aida zwang Alex sich umzudrehen. Er sah sofort, was seine Kameradin meinte und nahm sein Sturmgewehr, das

APB-62, in Anschlag. Das APB war ein modernes, grosskalibriges Gewehr, welches für den Kampf gegen Maschinen konstruiert worden war. Doch auch für weiche Ziele war es gut geeignet. "Ich sehe ihn!", Alex entsicherte die Waffe und konzentrierte sich, das Gewehr trotz Erschütterungen ruhig zu halten. Der Infizierte befand sich im Gras, etwa 150 Meter vom Lastwagen entfernt. Alex atmete ruhig aus und drückte ab. Der Kopf des ‚Zombies‘ wurde in Fetzen gerissen. Es war Aleksejs achter diese Woche. Die Militärführung hatte befohlen, alle diese Kreaturen auf der Stelle zu töten. Keine einfache Sache, denn nicht immer

war klar, ob jemand infiziert war, oder nicht. Man wusste zwar inzwischen einiges mehr über diese neuartige Krankheit. Untersuchungen hatten gezeigt, dass es sich um einen Pilz handelte, welcher in der Lage war, die Kontrolle über seinen Wirt zu erlangen. Die Befallenen schienen geistig zu sterben. Sie benahmen sich nicht mehr wie Menschen, wurden aggressiv; und hungrig. Der Pilz schien die scheintoten Körper bis aufs Letzte am Leben erhalten zu können. Die Infizierten konnten noch mit den schlimmsten Verletzungen Tage bis Wochen überleben. Das alles diente einem einzigen Zweck:

Der Fortpflanzung des Pilzes. Auf der Haut der Betroffenen wuchsen – einzeln kaum sichtbar – Sporensäcke heraus, welche bei Berührung aufplatzen. Die freigesetzten Sporen brauchten offene Wunden, um ein Säugetier infizieren zu können. Genau dafür war der grosse Hunger der Wirte da. Sie fielen über alles her, was grösser als eine Maus war und sich bewegte und versuchten es zu fressen. Dabei entstehende Verletzungen waren ideale Eintrittspforten für Sporen. Glücklicherweise waren diese Sporen ausserhalb eines Körpers nicht lange überlebensfähig. Sie waren sehr empfindlich auf Sonneneinstrahlung und ein gefundenes Fressen für

Bakterien. Kleine Säugetiere überlebten die Angriffe von Infizierten meist nicht. Grössere konnten fliehen. Aber Menschen waren leichte Beute. Immer mehr Leute fielen der Krankheit zum Opfer. Heilung oder eine Impfung gab es noch keine. Das einzige effektive Mittel waren vorsorgliche, gezielte Kopfschüsse. Man sagte, die Maschinen hätten die Krankheit geschaffen, als eine Art biologische Waffe. Diese traf die Menschen hart. Durch das Erscheinen eines neuen Feindes, der Infizierten, wurden die Fronten geschwächt. Viele Gebiete fielen den Maschinen in die

Hände. "Guter Schuss", sagte Aida. Alex sicherte sein Sturmgewehr und betrachtete sein Opfer in der Ferne. "Was wenn nicht?", fragte sie Alex nachdenklich. "Wie bitte?" "Wir schiessen auf Menschen, Aida", Alex blickte sie an. Aida war Spanierin, Mitte dreissig. Sie hatte dunkle Haare und Augen. Genau wie Alex trug sie einen Overall, einen Helm und einen Körperpanzer. Ein Sturmgewehr hatte sie nicht. Zum Selbstschutz besass sie eine einfache Schockpistole. Ihre Aufgabe war das Funken. Mit ihrem kompakten

Funksystem war sie auch in der Lage gewisse sich nähernde Maschinen zu detektieren, bevor sie gefährlich nahe kamen. "Infizierte", widersprach sie. "Die Menschen in ihnen sind doch längst gestorben!" "Woher willst du das wissen? Vielleicht lebt in jedem Infizierten die Person noch weiter..." "Und leidet", beendete Aida den Satz. "Sie müssten dann ständig ansehen, wie ihr Körper ihre Mitmenschen angreift. Wie er sie tötet. Sie können nichts dagegen tun! Keine schöne Vorstellung. Was ist das für ein Leben, Alex? Würdest du so leben

wollen?" Alex blickte weg. "Nein, bestimmt nicht..." "Alex, ich erwarte von dir, dass du mir eine Kugel in den Schädel jagst, sollte ich so werden wie sie!". Aida betrachtete ihn einen Moment lang und blickte dann in die Landschaft, die sich im raschen Tempo dahinzog. Vorne im Beifahrersitz sass Leutnant Sten Nadolny. Er war Kommandant der beiden Fahrzeuge und kam ursprünglich aus Grossbritannien. Sten war ein höchst aktiver – wenn nicht gerade hyperaktiver – Mensch und diskutierte gerne. Dummerweise hatte er bei den meisten Fahrten einen schweigsamen

Nachbarn, den Fahrer Boris Orlov. Boris kam aus dem Norden Russlands und antwortete meist nur mit Kopfbewegungen auf Stens Fragen, auch wenn diese nicht mit Ja oder Nein zu beantworten wären. Die Leute in der Armee kamen von überall. Nicht nur, weil die Welt vor dem Krieg einen hohen Globalisierungsstand erreicht hatte. Nach dem zerstörerischen Anfang des Krieges schlossen sich die Menschen mit erstaunlicher Kooperationsbereitschaft zusammen. Eine gemeinsame Weltregierung wurde geschaffen und die Armeen zusammengefasst, um die Soldaten flexibel dort einsetzen zu können, wo sie

auch gebraucht wurden. Meist wurde die Weltsprache ‚International‘ zur Kommunikation verwendet. Es war eine vor längerer Zeit erschaffene Rede- und Schreibsprache, die bequem für grosse Teile der Weltbevölkerung zu erlernen war. Doch hier, im Herzen Russlands – oder was davon geblieben war – redeten viele, auch aus anderen Teilen der Welt stammende Menschen, Russisch. Alex war froh darüber, denn er hatte die Weltsprache seit Jahren nicht mehr benutzt und mochte sie eigentlich auch nicht besonders; er hielt sie für primitiv. Der heutige Tag war ruhig verlaufen. Abgesehen von einigen Zombies in den

Feldern und einem Säger, der sich auf der Strasse aufgehalten hatte, waren sie niemandem begegnet. Sie lagen gut in der Zeit und würden noch vor dem Abend ihr Ziel an der Front erreichen. Alex blickte zu Aida und wollte sie gerade etwas Belangloses fragen, als sie rasch den Finger vor die Lippen nahm und zischte. Sie drückte sich die linke Seite ihrer Kopfhörer näher ans Ohr. Auch Alex schaltete seine Kopfhörer ein und versuchte aus dem Hintergrundrauschen etwas herauszuhören, obwohl Aida mit ihrer Spezialausrüstung bei weitem besser ausgestattet war. "Da ist irgendwas..." Aida drehte an

Knöpfen ihres Funkkastens herum. Auf einmal sauste etwas laut über dem Lastwagen hinweg und schlug wenige Meter weiter in den Boden hinein. Mit lautem Krach spie der Boden Erde und Feuer trichterförmig in den Himmel, der Lastwagen wurde durchgeschüttelt. "Artillerie!", schrie Sten aus der Fahrerkabine, während nasse Erde auf Alex und Aida herabregnete. Dann schlugen weitere Geschosse links und rechts der beiden Lastwagen ein und verwandelten sich in brennende Fächer aus Erde und Pflanzen. Die Fahrer stoppten fast gleichzeitig die Fahrzeuge. "Raus, raus, raus!", rief Sten und sprang aus der Kabine in einen Graben neben

der Strasse. Die anderen liessen nicht lange auf sich warten und taten das Gleiche. Immer mehr Geschosse fielen krachend um sie herum. Die Streung war gross. Alex erkannte auch noch weit in der Ferne Explosionen. Sie waren mitten in einen Artillerieteppich geraten! Alex lag dicht neben Aida und versuchte sich so dicht wie möglich am Boden zu halten. Für ihn war es nicht das erste Mal, unter Artilleriebeschuss zu sein. Er hörte jemanden schreien und blickte zurück. Für einen Moment verdeckten herunterfallende Erdstücke die Sicht, doch dann erkannte er Sandro, einen Neuling vom hinteren Lastwagen. Er

wurde der Nachschubeinheit erst vor einigen Tagen zugeteilt. Sandro lag schreiend am Boden. Er drückte sich mit den Händen die Ohren zu und schüttelte panisch den Kopf. Er war eigentlich nicht verletzt, nur kurz davor, aus Angst den Verstand zu verlieren. Er machte sich gerade daran aufzuspringen um davonzurennen. Dann aber wäre er ein leichtes Ziel für die hungrig herumschwirrenden Splitter. Alex drehte sich um und ignorierte Aidas protestierende Rufe. Er kroch, während immer noch Granaten vom Himmel regneten, zu Sandro hinüber und drückte ihn an den Schultern hinunter auf den

Boden. "Unten bleiben!", rief er befehlend. "Uns wird nichts passieren! Sie schiessen ungezielt!" Aleksejs Stimme schien Sandro etwas beruhigt zu haben. Doch wie mit Absicht schlug nur wenige Meter neben ihnen eine Granate in den Boden ein und liess die Seitenfenster der Lastwagen zerschellen. Alex fühlte, wie die Druckwelle seinen Körper unangenehm zusammenpresste. Genauso plötzlich, wie alles angefangen hatte, hörte es auch auf. Ruhe kehrte in die Landschaft zurück. Alex blieb noch liegen, bis ihm Aida mit dem Fuss gegen den Schuh schlug. Sie

war bereits aufgestanden und schwang sich wieder auf die Ladefläche zu ihrer Funkapparatur hinauf. Alex erhob sich und zog Sandro mit auf die Beine. Dieser war bleich wie eine Leiche und zitterte am ganzen Körper. Wahrscheinlich hatte er sich vor Angst in die Hosen gemacht. Doch dank des wasserdichten Materials war das von aussen nicht sichtbar. "Hoffentlich zittern die Maschinen gleich vor dir, wie du vor ihnen", rief Sergeant Natascha Korjagina, der Kommandant des hinteren Fahrzeuges. Ihr daraufhin folgendes, lautes Lachen wirkte für einige Personen ansteckend. Alex aber, konnte nicht lachen. Jemand musste es NICHT tun, um den armen

Jungen nicht noch mehr zu blamieren. "Gut gemacht", sagte er leise zu Sandro und klopfte ihm leicht auf die Schulter. "Ruhe jetzt!", Leutnant Nadolnys Stimme unterdrückte das Gelächter. "Wir müssen weiter!“ Er betrachtete Sandros zitternde Figur mit einem Blick, der aus einer Mischung von Mitleid und Verachtung bestand und stieg dann wieder auf den Beifahrersitz. Die Fahrt ging weiter. Alex betrachtete schweigsam die zerbombte Umgebung. Neue Löcher auf der Strasse liessen das Fahrzeug hart auf- und abspringen. Boris hielt es wohl nicht für nötig, bei Schlaglöchern die Geschwindigkeit zu drosseln, oder um sie

herumzufahren. Solche Artillerieangriffe gab es nicht selten. Die Maschinen wussten wo die Verbindungsstrassen der Menschen lagen und bombten sie mit ihren Fernartilleriegeschützen. Man vermutete, dass sie nicht wussten, ob sich gerade jemand im Zielgebiet aufhielt oder nicht. Wenn es einen erwischte, war man einfach am falschen Ort zur falschen Zeit. Doch es wäre natürlich möglich, dass irgendwo kleinste Richtroboter auf Opfer warteten oder dass die Maschinen Satelliten verwendeten. Weder das Eine noch das Andere konnte bis jetzt bestätigt werden. "Verdammt!", rief Aida plötzlich. Sie

hielt die Funkapparatur in den Händen und blickte Alex erschrocken an. "Maschinen! Grosse Maschinen!" Sie prang auf und suchte mit dem Blick die Landschaft ab. Auch Alex erhob sich, soweit es bei der holprigen Fahrt möglich war. "Wie nah", Sten blickte aus dem Rückfenster der Kabine zu den beiden hinauf. "Zu nah!", Aida zeigte mit dem Zeigefinger auf zwei schnell grösser werdende Punkte auf dem Himmel. "Da sind sie!" Der Artillerieangriff war vielleicht nicht für sie bestimmt, doch diese beiden Orcas, die sich von hinten an den Konvoi

näherten, kamen direkt auf sie zu. Die Flugroboter waren so gross wie ein Lastwagen. Fliegen taten sie mit links und rechts vom Rumpf befestigten Rotoren, die mit Gitternetzen bedeckt waren. Mit ihren stromlinienförmigen, abgerundeten Körpern und ihren langen, gegabelten Steuerschwänzen ähnelten sie wirklich Orcas, den vor langer Zeit ausgestorbenen Schwertwalen. "Aleksej!", bellte Sten aus der Kabine. Alex wusste was er zu tun hatte. Er hatte noch nie gegen Orcas gekämpft, doch hatte er die Situation abermals in einem Simulator geübt. Er torkelte in die Mitte der Ladefläche und zog dort einen breiten Hebel in die Höhe. Ein

mehrläufiges Maschinengewehr mit eingebauten Raketenwerfern wurde aus einer Kammer unter der Ladefläche herausgefahren und arretierte mit einem lauten Klicken. Die Waffe war beinahe so lang wie die Ladefläche selbst. Alex schnappte die beiden Griffe und schwenkte die Läufe in Richtung der Helibots. Mit einem kurzen Blick erkannte Alex, dass die gleichen Vorbereitungen beim hinteren Lastwagen durchgeführt wurden. Sandro war am Geschütz. Wieso er?! Gerade noch vor kurzem hatte er beinahe einen Nervenzusammenbruch! Die beiden Fahrzeuge beschleunigten. Doch die Orcas waren schneller und

näherten sich. "Sie sind beschädigt", sagte Aida knapp. Auch Alex erkannte jetzt die dünnen Rauchsäulen, die die beiden Helibots nach sich zogen. Auch schien ihnen ein Teil ihrer Bewaffnung zu fehlen. Schlecht für sie, gut für den Konvoi. Das Maschinengewehr des hinteren Lastwagens begann zu rattern. Zu früh! Sandro war einfach zu nervös! Alex hörte Sten über Funk fluchen und wartete ab bis die Roboter näher waren. Dann presste er die Zähne zusammen und betätigte die Abzüge. Das Maschinengewehr begann krachend zu arbeiten. Rauchende Messinghülsen regneten auf den Boden der

Ladefläche. In Kugelhagel fliegend trennten sich beide Orcas und setzten zum Ausweichmanöver an. Mehrere 25mm-Geschosse trafen sie dennoch und zerfetzten an einigen Stellen ihre Panzerung. Die Maschinen machten links und rechts der Strasse einen grossen Bogen und kamen von beiden Seiten auf die Fahrzeuge zu. "Ich nehme den linken!", schrie Alex ins Mikrofon. Sandro antwortete nicht, sondern feuerte einfach weiter. Alex rotierte das Geschütz. Dabei stolperte er mehrmals, über Kisten und über Aida. Die Orcas begannen aus ihren Maschinengewehren zu feuern. Wie ein

Hagelsturm trafen die Kugeln den Lastwagen. Aida warf sich mit einem kurzen Schrei hinter den gepanzerten Rand der Ladefläche. Boris schien kurz die Kontrolle über das Fahrzeug verloren zu haben, denn es schwenkte stark nach rechts, stabilisierte sich aber wieder. Alex war hinter dem massiven Geschütz gut geschützt und hörte nicht auf zu schiessen. "Du verdammter ...", ertönte aus der Fahrerkabine. Der Lauf von Stens Sturmgewehr erschien im Seitenfenster und begann zu schiessen. Aleksejs Orca wurde stark beschädigt und hielt sich nun schwanken in der Luft. Er war fast vollkommen in Rauch

eingedeckt, so dass Alex die abgefeuerte Rakete erst bemerkte, als er ihr Zischen hörte. Instinktiv drückte Alex einen Knopf, über dem sein Daumen bis dahin die ganze Zeit geschwebt hatte, und schickte eine kleine Rakete aus dem Werfer unter dem Maschinengewehr auf das gegnerische Geschoss. Das Ganze ging so schnell, dass er gar nicht richtig begriffen hatte, was geschehen war, als fast hundert Meter neben dem Lastwagen die beiden Raketen kollidierten und sich in einen Feuerball verwandelten. Noch immer schoss Alex weiter. Im Rauch war das Ziel nur noch mühsam zu erkennen. Knallend verabschiedete sich des Orcas linker Rotor und flog wie ein

überdimensionierter Bumerang über dem Lastwagen hinweg. Der Roboter kam sofort ins Trudeln, berührte unsanft den Boden und blieb dort nach einigen Überschlägen liegen. "Ja!", platzte es freudig aus Alex heraus. Doch Aida brachte ihn zurück auf den Boden. "Der andere ist noch da!", schrie sie als sie sich auf der Ladefläche aufrichtete. Ihr Helm war verrutscht und drückte ihr Gesicht auf eine komische Weise zusammen. Alex überlegte einen Augenblick und schwenkte dann das Geschütz zum neuen Ziel. Der andere Orca feuerte immer noch auf den hinteren Lastwagen. Sandro hatte das Geschütz inzwischen verlassen

und versuchte sich dahinter möglichst klein zu machen, verdeckte mit Händen sein Gesicht. Als Alex das Feuer eröffnete, bemerkte Sandro die plötzliche Unterstützung und schickte mit einem panischen Schlag beide Raketen, die unter seinem Geschütz angebracht waren auf den Flug. Sie schlugen fast gleichzeitig in den Orca ein und nur kurz nachdem dieser eine eigene abgefeuert hatte. Glücklicherweise war Alex vorbereitet und schaffte es rechtzeitig seine letzte Rakete abzuschiessen. Die entgegenrasenden Geschosse kollidierten nur wenige Meter neben dem hinteren Fahrzeug. Sandro und ein Teil der

Ladung wurden von der Ladefläche geschleudert und landeten im Gras. Der Orca flog noch immer, doch Aleksejs Maschinengewehr erledigte den Rest. Der Helibot wurde förmlich in Stücke gerissen, als ihn der Kugelstrahl erreichte. Das Timing war perfekt, dachte Alex, als sein Geschütz mit einem Klicken aufhörte zu feuern. Das Magazin war leer. Doch sie hatten es geschafft und Alex erlaubte sich einen tiefen Atemzug der Erleichterung. "Anhalten!", befahl Sten. Die Fahrzeuge stoppten abrupt und alle stiegen aus. Aida rannte zu Sandro hinüber, der weit hinten im Dreck lag und leise vor sich hin wimmerte. Sie

kümmerte sich um ihn. "Wo zur Hölle kamen die her", Sten stand breitbeinig neben dem Fahrzeug und massierte sich nachdenklich den Nacken. Sein Blick war auf das Wrack eines der beiden Helibots gerichtet. Er fluchte mehrmals. "Wie haben sie es über die Front geschafft? Bei all der Luftabwehr." "Schaut euch das mal an", Boris stieg nach draussen und betrachtete den Horizont im Norden. "Ich wette diese Hundesöhne haben irgendwas damit zu tun." Alex und Sten stellten sich neben ihm. Weit in der Ferne war schwarzer Rauch zu

sehen. Alex schluckte schwer. "Was ist dort?" Sten blickte ihn an. Sein Blick war eine Mischung aus Angst und Hass. "Eine Stadt." Alle sieben Personen hatten den Angriff überlebt. Boris und Sergeant Korjagina hatten leichte Verletzungen im Gesicht, die durch zersplitternde Scheiben entstanden waren. Sandro hatte sich bei seinem Flug von der Ladefläche eine Schulter ausgehängt und an mehreren Stellen Prellungen geholt. Der Fahrer des hinteren Fahrzeuges, Sam, war gleichzeitig der Sanitäter des Konvois und kümmerte sich mit seinen

geschickten Händen um die Verletzungen. Bald konnte die Fahrt weitergehen und eine Stunde später kam der Konvoi am Zielort an, der sich etwa zwei Kilometer von der Frontlinie befand. Laserflugabwehrgeschütze standen wie Bäume in unregelmässigen Abständen soweit das Auge reichte. Alex erkannte auch mehrere gut getarnte Artilleriegeschütze und Panzer. Dem Lastwagen kamen Soldaten entgegen und halfen beim Ausladen. Ein Major erschien und hörte sich Stens Berichtserstattung an. Er schien sehr besorgt zu sein und ordnete Sten an, sofort den Rückweg

anzutreten. Kurze Zeit später fuhren sie wieder. Der Konvoi hatte schwer verwundete Soldaten geladen, etwa zwanzig Personen. Die meisten hatten schlimme Brand- und Splitterverletzungen. Alex sass wieder an der gleichen Stelle mit dem Sturmgewehr auf den Knien. Sein Blick schweifte über die Ladefläche und blieb auf Aida hängen, die sich über einen Verletzten gebeugt hatte, ihn sanft am Kopf streichelte und ihm beruhigende Worte zusprach. Aida hob ihren Blick und ihre grossen, braunen Augen trafen sich mit denen von Alex. Ein ruhiges Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen. Alex lächelte zurück. Er war froh, dass

sie hier war. Aida war die Einzige, mit der Alex offen reden konnte. Ihre Anwesenheit machte alles irgendwie einfacher, erträglicher. Oder war da mehr? Alex versuchte seine verwirrenden Gefühle zu verstehen. Er hatte sie gern. Sie schien das Gleiche für ihn zu empfinden. Doch war er überhaupt noch in der Lage zu lieben, nach all dem, was er erlebt hatte? Er fühlte, wie sich seine Brust unangenehm verkrampfte und unterbrach den Blickkontakt. Um sich abzulenken wendete er sich wieder der neutral dahingleitenden Landschaft zu. Er war während der Fahrt eingeschlafen

und erwachte durch ein leichtes Rütteln an der Schulter. "Alex", es war Aida. "Was? Wo?", Alex war einen Moment verwirrt und drückte das Sturmgewehr fester in den Händen zusammen. "Schau da!", Aida zeigte mit der Hand in Fahrtrichtung auf die Strasse. Es war inzwischen dunkel geworden. Der Lastwagen fuhr im Marschtempo. Vor ihm lief eine Gruppe menschlicher Gestalten. Alex hob instinktiv das Gewehr, doch Aida drückte es sogleich wieder hinunter. Es waren keine Infizierten. Es waren verletzte und übermüdete Menschen. Ihre Kleidung war zerrissen. Manche waren nicht mehr

imstande selber zu laufen und wurden gestützt. Die Leute bemerkten die Fahrzeuge und blieben müde dreinschauend stehen. Ein Seufzen der Erleichterung ging durch die Gruppe. "Was ist passiert?", Sten sprang aus der Kabine, bevor die Fahrzeuge überhaupt stoppten. "Maschinen!", sagte abwesend ein Mann, der einen anderen stützte. "Unsere Stadt wurde überfallen. Zerstört!" "Wir konnten entkommen", fügte jemand anderes hinzu. "So wenige", sagte Aida beinahe flüsternd. Mehr zu sich selber, als zu Alex. Auch Alex war schockiert. Es waren

gerade einmal sechzehn Personen. Eine weitere Stadt, ausgelöscht. Die Soldaten halfen den Leuten auf die Ladeflächen, gaben ihnen zu essen und zu trinken. Es wurde eng, doch musste niemand zurückgelassen werden. Während der Fahrt schaute Alex jeden einzelnen der Überlebenden auf seinem Lastwagen genau an. Die meisten Gesichter der Leute waren durch Trauer und Hoffnungslosigkeit geprägt. Nur wenige konnten schlafen, die meisten waren in sich selbst versunken, sassen nur schweigend da und starrten ausdruckslos auf einen Punkt. Bilder kamen in Alex wieder hoch. Vor einigen Monaten war er selber an ihrer

Stelle gewesen und wurde genau gleich von einem Militärkonvoi gefunden. Er sah die Leute an und fühlte sich, als wäre er einer von ihnen. Als wäre er erst vor kurzem aus der brennenden Stadt geflohen. Er fühlte ihren Schmerz, ihre Angst. Es schien ihm, als könne er noch die Hitze der Flammen fühlen; und das verbrannte Fleisch seiner Liebsten in seinen Händen. Alex fühlte eine Hand in der seinen und blickte auf. Aida hatte sich zu ihm gesetzt.

 

3. Hinter feindlichen Linien

 

Alex wusste aber, dass sein Dienst bei

den Nachschubtruppen nur eine Übergangsphase war. Er war Praktikant, um sich auf den Krieg an der Front vorzubereiten. Er wusste, dass eines Tages sein Dienst auf dem Lastwagen enden würde. Die Praktikumszeit neigte sich ihrem Schluss zu. Die Tage verliefen ohne grosse Zwischenfälle. An einem sonnigen Tag aber kühlen Tag war Stens Team wieder zur Fronlinie unterwegs. Noch bevor der Lastwagen am Ziel anhielt verspürte Alex ein warnendes Gefühl. Sten stieg aus der Kabine heraus. Seine Augen waren weit geöffnet. Er kaute nervös auf der Unterlippe herum. Nach einigen Schritten mit in die Hüften gestemmten

Händen, blieb er stehen. "Was, verdammt noch mal, geht hier vor", Stens Blick war nach vorne gerichtet, dorthin, wo eigentlich der Stützpunkt dieses Grenzsektors sein sollte. Doch er war nicht da. Vor ihnen befanden sich bloss einige Baumgruppen, die breite Schattenflächen in der späten Nachmittagssonne warfen. Überall waren von Menschenhand geschaffene Gräben. Gräben, wo einmal Geschütze und Zelte gestanden hatten. Doch nun war nichts mehr hier. Keine Geschütze, keine Zelte, keine Soldaten. Nicht ein einziger Stofffetzen war auszumachen. Es war erstaunlich ruhig. Man hörte keine Schüsse, keine

Explosionen, nur die gezogenen Rufe einer einsamen Krähe, die sich irgendwo in den Bäumen versteckte. "Korjagina!", Sten hatte Mühe den russischen Namen der Unteroffizierin korrekt auszusprechen, vor allem, wenn er aufgeregt war. Sergeant Korjagina stieg aus dem hinteren Fahrzeug heraus und kam mit angespanntem Gesicht nach vorne. "Haben wir uns verfahren?", Sten schaute sie an. "Unmöglich Sten. Ich habe die Strecke ständig überwacht. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass wir hierher fahren mussten." "Sie sind weg... Alle

weg." "Die Frontlinie hat sich wieder verschoben." "Wieso zum Teufel hat uns niemand etwas mitgeteilt?!", Sten sah aus, als wäre er kurz davor auszurasten. Er fluchte. Es war überraschend, wie viele neue Schimpfwörter Sten immer wieder zu finden vermochte. Alex hätte gelacht, wäre die Situation nicht so verdammt ernst gewesen. "Sten!", Aida war aufgeregt, doch ihre Stimme liess sich nichts anmerken, "Ich höre Quellen elektromagnetischer Strahlung. Es sind viele." Aida stand auf der Ladefläche und drehte an der Funkapparatur herum, die um

ihren Hals an einem Band hing. Alex drehte sich zu ihr und begriff erst jetzt, was sie da eigentlich tat. "Schalt es ab, Aida!", er machte einen Satz zu ihr und versuchte das System in ihren Händen abzustellen. "Schalt es ab! Wir sind nun auf ihrem Gebiet! Sie können uns orten!" Es war zu spät. Man hörte die dumpfen und schnell aufeinanderfolgenden Schritte von Metallbeinen. Es wurde immer lauter. Hinter einer Erhebung erschienen die Oberteile von drei Kampfmaschinen, den sogeannten ‚Verwüstern‘, dreibeinigen und drei Meter hohen Zerstörungsroboter. Die gelenkig angebrachten Waffen waren

bereits ausgeklappt und feuerbereit. "Los! Weg hier!", Sten drückte Korjagina in Richtung des vorderen Lastwagens und beförderte sie mit einer harschen Bewegung auf die Ladefläche. Er selber rannte zur Kabine und wollte einsteigen, doch sein Griff löste sich, als sich mehrere Kugeln in seinen Rücken und Hals bohrten und er mit weit aufgerissenen Augen rücklings vom Fahrzeug fiel. Aida, Sandro und Alex begannen auf die sich am nächsten befindende Maschine zu feuern, mit dem was sie gerade bei sich hatten. Zeit um die Geschütze auszufahren gab es nicht. Der Kampfroboter übergoss daraufhin die

Fahrzeuge mit Salven aus seinem Maschinengewehr. Einen Moment lang starrte Korjagina von der Ladefläche angsterfüllt auf Stens blutüberströmten Körper am Strassenrand. "Los, los, los!", schrie sie schliesslich und schlug mehrmals auf das Kabinendach, als der Fahrer immer noch nicht starten wollte. Korjagina glitt durch die Dachöffnung in die Kabine. Eine Feuersalve glitt parallel zur Ladefläche, wo sich Aida und Alex befanden, durch die Luft. Mehrere Kugeln trafen die beiden auf Brusthöhe. Die Panzerung hielt. Die gestoppten Kugeln fühlten sich an wie mächtige Faustschläge und brachten Alex aus dem

Gleichgewicht. Er schwankte nach hinten und stolperte über Säcke mit Lebensmitteln. Beim Fallen griff Alex reflexartig Aidas Arm und zog sie mit auf die Ladefläche. Die Maschinen standen bereits neben dem hinteren Fahrzeug. Alex hörte Sandro schreien und erhob sich um weiterzufeuern. Zwei Kampfroboter bohrten synchron je eines ihrer spitzigen Beine in den Lastwagen hinein und drehten es mit einem kurzen Stoss auf die Seite. Kurz bevor der Fahrer Sam abfahren konnte. Sandro fiel auf den Waldboden und rollte weg. Endlich setzte sich das vordere Fahrzeug in Bewegung. Korjagina sass am Steuer,

neben ihr lag die Leiche von Boris. Eine Kugel hatte ihm den Kopf zerfetzt. Alex sah, wie sich zwei Maschinen zu ihrem Lastwagen drehten und neue, bis jetzt ungenutzte Waffenarme, ausklappten. Er begriff, was kommen würde, packte Aida am Arm zerrte sie von der Ladefläche. Als die Beiden vom beschleunigenden Fahrzeug auf den Boden fielen, ging dieses in Flammen auf. Die Brandbomben verwandelten es in eine weggleitende Fackel. Trotzt der stechenden Hitze, die einem die Lunge zuschnürte, zwang sich Alex aufzustehen. Sein Herz raste und er fühlte, wie das Adrenalin sich in seinem Körper verteilte. Er fühlte Angst;

panische Angst. Er rannte in den naheliegenden Wald, während er immer noch Aidas Arm hielt und sie mit sich zerrte. Beim Waldrand trafen die auf Sandro, der sich am Bauch hielt und ebenfalls zu fliehen versuchte. Eine Kugel hatte seine Weste durchbrochen. Die Einschussöffnung war blutig angelaufen. Aida und Alex nahmen ihn unter den Schultern und glitten zwischen Gebüschen in den Wald hinein. Die Maschinen folgten ihnen nicht. Denn sie hatten eine bessere Beschäftigung gefunden. Einer der Roboter hatte Sam mit der handähnlichen Spitze eines seiner Waffenarme gepackt und hielt ihn hoch in die Luft. Vergebens versuchte

sich Sam zu befreien. Er überhäufte die Verwüster mit Beleidigungen, bespuckte sie. Die beiden anderen Maschinen standen daneben, als würden sie das Schauspiel gespannt mitverfolgen. Mit einem schnellen Hieb mit dem zweiten Waffenarm, schlug die Maschine Sam der Kopf von den Schultern. Mehr brauchte Alex nicht zu sehen. Er drückte irgendein unverständliches Wort heraus und dirigierte Aida tiefer in den Wald. Sandro hing zwischen ihnen und stöhnte leise vor sich hin. "Aida bist du okay?", Alex hatte den Schock überstanden und konnte wieder normal reden. "Wurdest du verletzt?" "Nein, Alex, die Panzerung hat

gehalten..." Plötzlich änderte ihr Gesichtsausdruck, sie versuchte das Weinen zu unterdrücken. "Die anderen... Wieso... Wieso musste das passieren?“ Aida liess ihren Tränen freien Lauf. "Aida, schau mich an!" Sie stoppten. Ihre feuchten Augen blickten zu Alex hoch. "Aida, wir leben noch. Wir dürfen nicht aufgeben!" "Sten, Boris, Natascha", stotterte sie. "Ich weiss", Alex berührte mit der freien Hand Aidas Gesicht. "Ich weiss", er streichelte ihr über die Wange, Aida berührte seine Hand. "Aida, wir müssen überleben... Sandros Leben ist in unseren Händen." Aida nickte und wischte sich die Tränen

aus den Augen. "Ich bin in Ordnung", sie schluckte schwer. "Lass und gehen." "Warte", zögerte Alex, zog Sandro zu sich und legte ihn auf den Boden. "Wir müssen seine Wunde verbinden." Alex hatte im Stress beinahe vergessen, dass der Junge noch eine offene Wunde im Bauch hatte. Sandro hielt sich tapfer. Er hatte aufgehört zu heulen, war aber noch bei Bewusstsein. Aida packte ihre Verbandssachen heraus. "Schaltet die Funkgeräte ja nicht ein", warnte Alex. "Wir sind jetzt in feindlichem Gebiet." "Alex! Hilf mir!" Aida hatte Ladestörungen. Sie zerrte wild an dem

Verschluss ihrer Schockpistole. Alex schwenkte seinen Revolver in ihre Richtung, zielte und schoss. Die Waffe spuckte mit einer feurigen Zunge und erhellte die nächtliche Waldlandschaft für einen Augenblick. Die Kugel traf den Infizierten zwischen den Augen und liess seinen Kopf wie eine Melone explodieren. Es kamen immer mehr. Immer neue Infizierte wurden durch die Schussgeräusche und den Geruch von Blut angelockt. Aida, Sandro und Alex waren in einem regelrechten Zombienest gelandet. Die Infizierten kamen womöglich aus dem nahe gelegenen Dorf. Die Krankheit hatte sich dort

ungehindert ausbreiten können. "Bin wieder da!", rief Aida, nachdem der Verschluss mit einem Klicken einrastete und eine neue Pfeilpatrone in die Kammer schob. Alex drehte sich um und konzentrierte sich auf seinen Sektor. Er erblickte zwei neue Gegner. Neben sich hörte er den schweren Atem Sandros, dem er sein Sturmgewehr gegeben hatte. Sandros Wunde blutete noch immer. Doch er konnte laufen; und schiessen. "Es kommen immer mehr!", Sandros Stimme war voller Panik. "Was sollen wir tun?!" "Konzentriere dich auf das Schiessen!", Alex machte sich Sorgen. Zu viele von

Sandros Schüssen gingen daneben. Immer wieder musste Alex in seinen Sektor feuern, um sich die wilden vom Leibe fern zu halten. Sie mussten von diesem Dorf weg! Ihre Munition war begrenzt, ihre Kräfte am Ende. Die Schussgeräusche lockten immer mehr Infizierte an. Ausserdem war es nur eine Frage der Zeit, bis erste Maschinen erscheinen würden. Doch wohin sollten Alex und seine Leute fliehen? Alex, Aida und Sandro hatten sich zu einem Dreieck formiert. Die Infizierten strömten aus allen Richtungen zwischen den Bäumen hervor und kreisten sie regelrecht ein. Die meisten der Angreifer

waren sehr schnell und liefen scheinbar unkoordiniert, angetrieben durch ihren Hunger, den drei Soldaten entgegen. Dabei stiessen sie eklige, gurgelnde Laute von sich, die einen erschaudern liessen. Der Hammer des Revolvers schlug leer durch. Er hatte vergessen die Kugeln zu zählen! "Ich muss nachladen!", Alex entleerte mit einem Schwung die Trommel und grub in der Hosentasche auf der Suche nach Patronen herum. Sein Blick huschte stets zwischen den sich nähernden Gegnern. Irgendwie hatte er es kommen sehen; Sandros Schuss verfehlte den Infizierten,

der sich bereits viel zu nahe befand. Nur nach wenigen Schritten bohrte die Kreatur ihre Nägel und Zähne in Sandros Hals hinein. "Aida! Gib mir Deckung!", Alex rannte Sandro zu Hilfe. Mit einem wütenden Tritt stiess er den Infizierten weg, stoppe aber nicht, sondern riss dem schockierten Sandro die Waffe am Lauf aus den Händen. Der Kolben des Sturmgewehrs beschrieb in der Luft einen weiten Bogen und schlug der zurücktorkelnden Kreatur in die Schläfe. Mit einem blubbernden Laut ging sie zu Boden. Es gab keine Zeit, um sich um Sandros Verletzung zu kümmern. Er packte ihn mit einer Hand am Kragen und begann

ihn vorwärts zu zerren. In der anderen Hand nahm er das APB-62 und klemmte sich den Schaft der Waffe unter den Arm. Die mechanische Munitionsanzeige verriet Alex, dass sich nur noch 14 von 75 Patronen im Trommelmagazin befanden. "Aida!", rief er und erschoss zwei Gegner, ohne richtig zu zielen. "Wir müssen hier weg! Sichere unseren Rückzug! Ich überwache die Vorderseite!" "Verstanden! Los!", Aida feuerte ununterbrochen aus der Schockpistole. Sie bewegten sich nur langsam vorwärts. Bei jedem Schritt zog Alex Sandro am Boden nach. Der Junge atmete hechelnd

und gab immer wieder stöhnende Laute vor sich. Irgendwie hatte Alex plötzlich das Gefühl, dass der Ansturm abzunehmen begann. Tatsächlich sah er bald keine Infizierte mehr vor sich. Aida gab vereinzelte Schüsse ab, bevor es ganz still wurde. "Keine Gegner mehr in Sicht" Ihre Stimme wirkte verängstigt. "Hier dasselbe", Alex hielt erschöpft an. Er war vollkommen verschwitzt und atmete schwer. Er wollte sich schon absetzen, als er ein verdächtiges Rascheln im Gebüsch hörte, keine hundert Meter entfernt. Seine Kopfhörer verstärkten das Geräusch. Ein Infizierter? Weiteres Rascheln ertönte

aus anderen Richtungen und begann lauter zu werden. Etwas Kleines und Abgerundetes spiegelte sich im Mondlicht, huschte durch das Gebüsch. "Maschinen! Schaben! Pass auf!", rief Alex und nahm das Sturmgewehr in Anschlag. Die kleinen Maschinen sahen mit ihrem flachen und langgezogenen Körperbau wirklich aus, wie Kakerlaken. Sie waren gefährlich. Klein, wendig und mit giftiger Blausäure bewaffnet; und sie kamen immer zu sechst. Alex schaltete die Lampe am Sturmgewehr ein. Die glatten, metallischen Körper der sich im Gebüsch aufhaltenden Roboter reflektierten das Licht, machte sie

sichtbar. Die erste Maschine zerstörte er mit zwei sauberen Schüssen und schwenkte das Gewehr zur nächsten. Die zweite Schabe konnte er auch noch erledigen, bevor sich das leere Magazin mit einem warnenden Klicken meldete und automatisch heraussprang. Alex konnte noch rechtzeitig ein neues hineinschieben und zwei weitere Maschinen erschiessen, bevor sie ihm zu nahe kamen. Alex suchte in der Umgebung nach weiteren Gegnern, konnte aber keine mehr ausmachen. "Aida!“, rief er, „Wie viele hast du erledigt?" Es folgte keine Antwort. "Aida?", besorgt drehte sich Alex in ihre

Richtung. "Zwei", sagte Aida kaum hörbar. Sie kniete neben Sandro und streichelte ihn am Kopf. Sie war unverletzt. Sandro aber atmete sehr flach und schnell. Die Wunde am Hals war tief, seine Kleider voller Blut. Alex ging neben Aida in die Knie. „Aida…“, Sandro hatte grosse Mühe zu reden. Er hielt Aida an der Hand. "Schscht...", Aida versuchte ihn zu beruhigen. "Ich... will nicht sterben..." "Du schaffst es", Alex legte Sandro die Hand auf die Schulter. Was sollte er nur tun? Wieder nur zuschauen, wie jemand

starb? "Bitte...ich...will...", Sandro brach ab und hörte auf zu atmen. Aida sass noch immer da und streichelte seinen Kopf. Dann brach sie in Tränen aus und liess sich auf Sandros toten Körper fallen. Alex konnte fühlen, was sie gerade empfand. Er selbst hätte jetzt am liebsten geweint, um all seinen seelischen Schmerz und all seine Wut rauszulassen. Doch er durfte nicht. Nicht jetzt. Er würde Aida psychisch verlieren. Sie brauchte jetzt jemanden, der ihr Mut schenkte, sie vor der Verzweiflung bewahrte. Alex schluckte hart und nahm Aida in den Arm. Weinend umarmte sie ihn am

Hals. "Aida...", Alex wusste nicht, was er jetzt sagen sollte. "Er war noch so jung..." "Es ist vorbei... Er ist tot...", Alex zog sie beim Aufstehen mit nach oben. "Wir müssen weiter." Aida löste sich sanft aus seiner Umarmung und schaute noch einmal Sandro an. Dann nickte sie und ging langsam vorwärts. Alex ging wieder zu Sandro zurück. Er blickte in sein Gesicht und richtete die Waffe auf seinen Kopf. "Alex! Was machst du!", Aidas Stimme war noch immer tränenerfüllt. "Ich muss es tun", Alex blickte immer noch Sandro in die Augen. "Er wird sonst

einer von ihnen." "Er ist tot! Lass ihn!", flehte sie. "Ich muss es tun und das weisst du!", Alex Stimme wurde hart. Aida drehte sich schluchzend um und ging. Aleksejs Zeigefinger lag gespannt am Abzug. Sandros Gesichtsausdruck wirkte ruhig, erlöst. Erlöst von den Schmerzen und der Last, die auf seinen jungen Schultern gelegen waren. Er war nicht freiwillig der Armee beigetreten. Wie die meisten anderen, wurde er geholt. Er hätte einen gewöhnlichen Job ausführen können und wäre jetzt noch am Leben. Alex nahm den Finger vom Abzug. Er konnte es nicht tun. Er konnte nicht auf

Sandro schiessen. Auch wenn dieser bereits tot war. Sandro war nach der kurzen Zeit, in der sie zusammen waren, wie ein Bruder für ihn geworden. Sie hatten viel Zeit zusammen verbracht, sich gegenseitig geholfen, sich gegenseitig beschützt. Entschlossen drehte sich Alex um und wollte gerade gehen. Doch der Anblick eines auf seinen Kopf zielenden Laufs stoppte ihn mitten in der Bewegung. "Es wäre besser für ihn, wenn du ihn nicht zu einem Zombie werden lässt", sagte eine männliche, ruhige Stimme hinter dem Gewehr. "Ich bin sicher, er würde es sich auch so wünschen." Alex sah kein Gesicht. Er sah fast

überhaupt nichts, denn die Dunkelheit liess die schwarz gekleidete Person mit der Umgebung verschmelzen. Auch Aida konnte Alex nirgends erkennen. Er entschloss sich nichts zu sagen. "Licht aus und die Waffe auf den Boden, Soldat!", hörte Alex die befehlende Stimme des Unbekannten. Alex gehorchte. Die Umrisse einer anderen Gestalt wurden hinter der ersten sichtbar. Der zweite Unbekannte hielt Aida am Arm und zog sie mit sich. Sie wirkte verstört. Eine dritte Person erschien vor Alex, ging ganz nahe an ihn heran. Alex konnte erkennen, dass sie einen Anzug aus einem speziellen Stoff trug. Das gesamte

Gesicht war ebenfalls eingehüllt und statt Augen sah man die Objektive eines taktischen Nachtsichtgerätes. Die dritte Person stiess mit dem Fuss Aleksejs Waffe zur Seite. Danach holte sie ein handflächengrosses Gerät hervor und führte es neben Alex von oben nach unten in einer schnellen Bewegung durch. "Er ist ein Mensch", sagte die weibliche Unbekannte und stellte sich hinter Alex. Er hörte einen stark gedämpften Schuss und ein matschiges Geräusch. Die Person hinter ihm hatte Sandros Leiche einen Kopfschuss erteilt. "Wer seid ihr und was tut ihr hier", hörte er die erste Person fragen, die nun die

Waffe senkte. "Wir sind von der Nachschubkompanie 14", antwortete Alex. "Gruppe Delta unter der Führung von Leutnant Sten Nadolny." Erinnerungen an den humorvollen Sten schmerzten. "An unserem Zielort hatten wir niemanden angetroffen. Man hatte uns nichts über die aktuelle Lage mitgeteilt. Wir waren zu siebt."Alex blickte zu Aida. "Wir beide sind die Letzten." Die Fremden schwiegen einen Moment. Der erste Unbekannte klappte sein Nachtsichtgerät hoch. Augen und Nase des Mannes wurden sichtbar. Dieses Gesicht! Die Züge kamen Alex bekannt vor. Auch diese Stimme hörte er nicht

zum ersten Mal. "Das tut mir Leid, Soldat", sagte der Mann und legte Alex die Hand auf die Schulter. Eine weitere, vierte Person erschien hinter dem Mann. Auch sie hatte das Nachtsichtgerät hochgeklappt und deutete einen militärischen Gruss an, den Alex erwiderte. "Korporal Novikov", sagte der Mann. "Wir sind von der Aufklärungskompanie 11. Ihr seid nicht die einzigen, die nicht informiert wurden. Die Front hat sich hier innerhalb von eineinhalb Stunden um zwanzig Kilometer südwärts verschoben. Wir wurden vollkommen überrascht und überrannt. Ich bedauere

den Tod eurer Kameraden." "Korporal", die Frau hinter Alex meldete sich wieder, "ich verzeichne elektromagnetische Aktivität, etwa einen Kilometer von hier." "Maschinen", der Korporal senkte sein Nachtsichtgerät vor die Augen. "Wir müssen hier weg. Mit unseren wärmedämmenden Anzügen sind wir für sie unsichtbar, doch ihr", er zeigte auf Alex und Aida, "seid das nicht.“ Novikov drehte sich zu seinen Soldaten. "Wir gehen zurück zum Stützpunkt." Alex nahm sein Sturmgewehr wieder an sich. Sie setzten sich in Bewegung. Bald erreichten sie eine Stadt. Die sensiblen Aufspürgeräte der Aufklärer

hatten verhindert, dass sie von irgendwelchen Maschinen überrascht werden konnten und liessen die Gruppe wissen, dass es in der Stadt nur so von Kampfrobotern wimmelte. Die Frontlinie war nah! Noch am Stadtrand stiegen sie in die Kanalisation. Die Röhren waren von kleinem Durchmesser. Die Soldaten waren gezwungen zu kriechen und kamen nur langsam voran. Als sie endlich nach Angaben Novikovs unter der Frontlinie durch waren, die in diesem Gebiet mitten durch die Stadt ging, kletterten sie wieder an die Oberfläche zurück. Die Gruppe passierte mehrere menschliche Wachposten und machte sich dann auf

den Weg zum Stützpunkt. Der Soldat, der Alex bekannt vorkam, näherte sich ihm, als sie sicheren Boden betreten hatten. "Ich bin froh, dass du es geschafft hast, Aleksej", sagte der Mann und nahm sich die Kopfbedeckung ab. "Ich bin auch froh, dass du lebst, Vitaly", sagte Alex zum ehemaligen Stadtpolizisten.

 

4. Der Sturm

 

Vitaly sass in leichter Arbeitsbekleidung auf einem hölzernen Stuhl. Genau wie Aida und Alex hielt er eine Glastasse mit heissem, dampfenden Tee in den Händen.

Aida und Alex hatten ihre Körperpanzer abgelegt und die Stiefel abgezogen, um sich von den Geschehnissen der letzten Tage etwas erholen zu können. Die drei sassen an einem kleinen Tisch und waren die Einzigen im Raum im Untergeschoss einer Gebäuderuine. "Das Militär hat mich geholt", sagte Vitaly. "Ich bin nicht freiwillig gegangen.“ Er nahm einen schlürfenden Schluck aus der Tasse. "Es war kurz nachdem du mir das Leben gerettet hast. Ich hatte etwa einen Tag gebraucht, bis ich wieder auf den Beinen war. Schon stand ein Abgeordneter der Regierung da." Vitaly lächelte. "Ich habe ihm gleich gesagt, wenn ich gehen muss,

dann will ich zu den Aufklärern. Ich hatte zu Friedenszeiten nämlich bereits eine militärische Ausbildung als Aufklärer abgeschlossen." Alex nickte stumm. Auch Aida trank ruhig ihren Tee und hörte gespannt zu. "Ich war nicht der Einzige", fuhr Vitaly fort. "Da waren viele. Männer und Frauen. Die Militärabgeordneten waren in einem wahren Sammelfieber. Nachträglich kommt es mir fast so vor, als hätten sie gewusst, was mit der Stadt passieren würde", er überlegte kurz. "Nur, was hätten sie für einen Grund gehabt, die Bevölkerung nicht zu informieren?" "Zeit", sagte Aida leise nach einer

Weile. "Zeit?" "Naja... Während die Stadt unterging, könnte das Militär eine neue Frontlinie aufbauen. Es ist verantwortungslos und makaber", sie stockte, "aber möglich..." Alex schüttelte den Kopf. Er wollte es nicht wahrhaben, dass seine Familie gestorben ist, nur damit jemand einige Stunden Zeit gewinnen konnen, "Nein, das ist nicht wahr..." "Das klingt aber irgendwie logisch, Alex", nun war auch Vitaly dieser Meinung. "Nein!", explodierte Alex. Er sprang hoch und schlug mit der Tasse auf den Tisch. Heisser Tee spritzte auf das Holz.

"Meine Familie ist nicht für das gestorben!" Vitalys Hand verharrte mit der Teetasse in der Luft. Er blickte Alex mit grossen Augen an. Auch Aida war vollkommen überrascht. Alex hatte ihr nie von Nadja und Mascha und ihrem tragischen Schicksal erzählt. "Alex?", Aida erhob sich vorsichtig. Alex atmete schwer und starrte auf den Tisch. Nur mit Mühe konnte er einen Tränenausbruch verhindern. Aida legte Alex ihm die Hand auf die Schulter. "Alex", Vitaly war sichtlich überrascht. "Deine Frau und deine Tochter…" Alex nickte nur stumm. "Kurz bevor ich die Stadt verliess, war

ich bei dir zu Hause. Ich wollte mich bei dir zu bedanken", Vitaly erhob sich und stellte seine Tasse ab. "Ich habe mit deiner Frau gesprochen. Sie war besorgt um dich... Sie hätte gerne gewusst, wie es dir ging, bei der Grenzwache... Alex, ich weiss wie es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt..." Sie setzten sich wieder. "Ja", sagte Alex und nahm wieder die Tasse in die zitternde Hand. "Dieser verdammt Krieg", sagte er leise. "Jeder weiss, wie es ist, jemanden zu verlieren..." Es herrschte eine Zeit lang Ruhe im Raum. "Hört mal", Vitaly nahm einen tiefen

Atemzug. "Ihr habt da ganz schön schlimme Dinge erlebt. Aber hier wird es nicht einfacher. Auf diesem Grenzsektor ist der Angriff der Maschinen noch nicht vorbei. Also entweder, ihr verschwindet von hier..." "Wir werden kämpfen!", unterbrach ihn Aida. Ihre eiserne Stimme und ihr Blick zeigten, dass sie von ihrer Aussage vollkommen überzeugt war. Alex stimmte ihr mit einem Nicken zu. "Okay", Vitaly überlegte kurz. "Am besten, ihr meldet euch beim Hauptmann Kinaro. Sie ist die Vorgesetzte hier..." Die Türe zum Raum schwang auf und ein Mann in Aufklärerbekleidung platzte

herein. "Vitaly!", er war sichtbar in Eile. "Wir müssen wieder über die Grenze. Es werden weitere Überlebende vermutet. In einer Viertelstunde müssen wir los!" Vitaly bestätigte und der Mann verschwand genauso schnell, wie er erschienen war. "Es sieht so aus, als müssten wir uns hier wieder trennen", er gab sich Mühe, nicht allzu traurig zu wirken. "Wir reden weiter, sobald ich zurückkomme." Alex hatte ein schlechtes Gefühl. Er hatte Angst schon wieder jemanden zu verlieren, der ihm etwas bedeutete. Vitaly war einer der letzten Überlebenden aus seiner Stadt. Einer der

Letzten, der die Erinnerungen an die schönen Zeiten vor dem Krieg auferstehen liess. Alex hätte ihn am liebsten daran gehindert zu gehen. Doch er wusste, dass es nicht möglich war. Vitaly war nun, wie er selbst, ein Soldat; und er hatte einen Auftrag zu erfüllen. Alex und Vitaly drückten sich fest die Hand. "Komm wieder ganz zurück", sagte Alex. Vitaly legte einen scharmanten Gesichtsausdruck auf, als er sich zu Aida drehte. "Miss", sagte er übertrieben höflich und lachte. Er streckte Aida die Hand aus. "Es war eine Freude, mit dir Bekanntschaft zu machen, Aida. Pass bitte auf meinen Freund

auf.“ Als Vitaly das Zimmer verliess, wurde es ganz ruhig. Aida und Alex setzten sich wieder. "Er ist nett", sagte sie. "Wie hast du ihn kennengelernt?" "Er war Polizist, in der Stadt, in der ich wohnte. Er hat mich zweimal von den Maschinen gerettet." "Du ihn auch? Er hatte vorhin etwas erwähnt." "Ja. Ich habe ihn wiederbelebt, nachdem er von einem Androiden attackiert worden war." Alex kamen Erinnerungen hoch. Schmerzhafte Erinnerungen, welche er gerne bis zu einen einsamen Moment

verschoben hätte. Aida merkte das und berührte wieder seine Schulter. "Du hast mir nie von ihnen erzählt", sagte sie. "Das tut mir wirklich leid, Alex." "Schon gut", er berührte ihre Hand. Sie war weich und warm. Sie liess ihn seinen Schmerz vergessen. Aida legte Alex ihren Kopf auf die Schulter. War das egoistisch von ihm, seine Gefühle so preiszugeben? Hatten nicht alle etwas in diesem Krieg verloren? Hatten die Maschinen nicht Aidas Eltern umgebracht?“ "Wir alle haben schlimme Dinge erlebt", er umarmte Aida und sie sassen einen Moment still

da. Aida hob plötzlich ihren Kopf und kam ganz nahe an Alex ran. Er drehte sich zu ihr und blickte in ihre grossen, dunklen Augen. Er strich ihr übers Haar, liess es wie Wasser durch seine Finger gleiten. Es war wunderschön. Ihre Lippen berühten sich. Er konnte den Kuss nicht verhindern. Er wollte es auch nicht, sondern liess sich vom Augenblick dahintragen. Alex fühlte sich wieder so frei, wie schon seit langem nicht mehr. Er drückte Aida ganz fest an sich. Aidas Hände hielten ihn am Hals. Alex kam es vor, er wäre an einem weit entfernten Ort. Weit weg vom Tod, vom Schmerz und der der

Zerstörung. Er war an einem Ort, den man als Zuhause bezeichnen könnte. Er sah ein schönes Haus mit einem Garten vor sich; Kinder, die im Garten spielten. Mascha? Es war Mascha... Und Nadja? War es Nadja, die gerade Alex küsste? Waren es ihre Lippen, ihr Haar, ihr Geruch? Nein! Auf einen Schlag war er wieder in der Realität zurück und verspürte kalte Angst. Er befreite sich aus Aidas Umarmung und schob sie von sich weg. Schweiss lief ihm die Stirn hinunter. Sein Atem ging schnell. "Alles in Ordnung, Alex?", Aida schaute ihn erschrocken an. "Es... Es geht mir gut", Alex lehnte sich

an die Wand und schloss die Augen. "Ich kann es nicht..." Aida erhob sich und ging in eine Ecke des Raumes. "Es tut mir Leid, Alex..." Sie kämpfte mit den Tränen. "Es tut mir Leid..." Alex erhob sich, ging zu ihr hinüber und berührte sie am Arm. "Es ist nicht deine Schuld. Ich...", er suchte nach Worten. "Ich bin noch nicht bereit..." Alex drehte Aida um und sie umarmten sich. Wieder schwang die Türe auf und ein Unteroffizier betrat den Raum. Er war nicht gerade schlank und sah in der engen Uniform lächerlich aus. Doch sein mit Narben bedecktes Gesicht liess ihn

seriös und beinahe etwas bösartig erscheinen. "Ihr!", er zeigte mit dem Finger auf Aida und Alex, die sich sofort aus der Umarmung lösten. "Die Pause ist vorbei, ein gegnerischer Angriff steht bevor! Zieht euch an und schnappt euch eine Waffe!" "Verstanden!", sagten die Beiden fast gleichzeitig. "Geht zur Kanone siebzehn", fuhr der Unteroffizier fort und begann schon wieder die Türe zu schliessen. "Im Graben neben ihr ist euer neuer Posten!" Der Mann wartete nicht auf eine Antwort und knallte die Türe

zu. Wenige Minuten später standen Alex und Aida mit Körperpanzerung, Helmen und Sturmgewehren bei einem mobilen Artilleriegeschütz, auf dessen langen Lauf mit roter Farbe ‚17‘ aufgemalt war. Es war später Morgen. Die Sonne versteckte sich hinter einer grauen Wolkendecke, die wie ein alter staubiger Vorhang den Himmel bedeckte und nur durch vereinzelte Löcher, Lichtstahlen durchliess. Es roch nach Schiesspulver, Maschinenöl und verbranntem Holz. Von nicht allzu weit her hörte man Schüsse und Explosionen. Das makabre Konzert war ein klares Anzeichen dafür, dass

etwas Schlimmes bevorstand. Dieser Ort war die zweite Verteidigungslinie des entsprechenden Frontsektors. Hier waren vor allem Flugabwehrgeschütze und die Kurzstreckenartillerie stationiert. Die erste Verteidigungslinie befand sich weniger als einen Kilometer von hier entfernt, näher zum Feind. Dort standen die Panzer und die Infanterie. Man konnte sie von hier aus wegen der Bäume und Häuser nicht sehen. "Seid ihr die Neuen?", ein Korporal schaute hinter dem Geschütz hervor. "So ist es, Korporal", Alex legte die Hand an zum militärischen Gruss. "Soldat Aida Lopez und Soldat Aleksej

Leonidov." "Sehr gut", er kam zu ihnen und schüttelte ihnen untraditionellerweise die Hände. "Ich bin David. Und das", er drehte sich um und zeigte auf einen Soldaten, der gerade am hinteren Ende des Geschützes herumschraubte, "ist Mario, der Fahrer." Mario liess sich nicht ablenken und drehte weiter an einer rostigen Schraube. "Hört zu, wir haben nicht viel Zeit", sagte der Korporal. "Wie ihr hören könnt, sind die Maschinen ganz scharf darauf, uns noch weiter zurückzudrängen." Er warf einen kurzen Blick Richtung Grenze. "Ich habe beim letzten Luftangriff meinen Schützen

verloren. Ich werde seinen Posten übernehmen, allerdings brauche ich einen von euch beiden am Radar." "Ich habe Erfahrung mit Funk- und Radargeräten", sagte Aida sofort. "Gut, dann wirst du das übernehmen und du", David zeigte auf Alex, "dich brauche ich in diesem Fall am Flugabwehrgeschütz. Ich hoffe, du kennst dich damit aus." Alex nickte. "Hoffentlich kriegt Mario den Starter wieder in Ordnung", fuhr der Korporal fort. "Ansonsten müssen wir das Ding selber schieben." Er lachte, wurde aber sogleich wieder ernst. "Es kann sein, dass wir unsere Stellung wieder aufgeben

müssen. Dann wird es brenzlig hier und wir werden den Rückzug decken müssen." Plötzlich drückte er sich die Kopfhörer tiefer ins Ohr und lauschte. "Wir haben ein Ziel!", rief er wie ein sich freuendes Kind. "Los, mitkommen! Stellt eure Funkgeräte auf Kanal zwölf um!" Alex und Aida gehorchten. Alex setzte sich hinter das Flakgeschütz, welches auf dem Dach des Artilleriefahrzeuges angebracht war. Es war wieder ein mehrläufiges Maschinengewehr. Aida verschwand mit David zusammen in einer Luke des Fahrzeuges. Alex hörte über Funk, wie die beiden redeten und schon

bald krachte der erste Schuss aus der massiven Kanone. Dann der zweite und der dritte. Auch die Artilleriegeschütze rechts und links fingen an zu schiessen. Die Maschinen liessen nicht lange auf sich warten. Gegnerische Granaten schütteten auf die menschlichen Stellungen herab. Alex staunte zuerst, wie schwach die Explosionen waren, bis jemand über die Notleitung "Gasalarm!" schrie. Nach kurzem Zögern, erinnerte er sich an sein Training, klappte das Visier seines Helms hinunter und arretierte es auf der Seite. Nun atmete er über zwei Filter, die sich rechts und links von seinem Mund im Helm befanden. Für den Schutz seines restlichen Körpers waren

sein dunkelgrüner Overall, seine Schuhe und Handschuhe zuständig. "Bestätige Gasangriff", sagte er über Funk und betrachtete die Umgebung um sich herum. Alle Soldaten die Alex sehen konnte – inklusive Mario, der noch immer das Fahrzeug reparierte – hatten ebenfalls die Visiere nach unten geklappt. Die Maschinen verwendeten leicht flüchtige Nerven- und Zellgifte gegen die Menschen. Die Alex bereits bekannte Blausäure war nur eines davon. Die hochkonzentrierten Gifte wurden in Artilleriegranaten, Raketen und Flugzeugbomben verschossen. Ein Tropfen auf ungeschützter Haut oder ein

Atemzug würde bereits genügen, um einen Menschen innerhalb weniger Minuten zu töten. "Ist alles in Ordnung bei dir?", fragte Aida über Funk. "Alles bestens", Alex beobachtete weiterhin den Himmel. Der Regen aus Granaten hörte auf. "Ist das alles, was ihr zu bieten habt?", hörte Alex David über Funk, während das Artilleriegeschütz weiterfeuerte. Plötzlich schlug etwas Grosses direkt in das benachbarte Fahrzeug ein. Das mobile Geschütz verschwand in einem leuchtenden Feuerball. Alex fühlte die Hitze und drehte sich weg. "Raketen!", hörte Alex jemanden über

Funk schreien. "Stellungswechsel!" "Scheisse!", fluchte David. Ihr Fahrzeug war immer noch bewegungsunfähig. "Mario! Wie kommst du voran?", Davids Stimme klang besorgt. "Ich arbeite daran! Gleich habe ich es!", war die kurze, ruhige Antwort. "Was auch immer du machst, mach es schneller!" Immer mehr Raketen schlugen ein. Immer mehr Fahrzeuge gingen in Flammen auf. Die dichte Wolkendecke verhinderte, dass die Laserflugabwehrgeschütze die Geschosse rechtzeitig vom Himmel holen konnten. Dann tauchten auch noch Orcas zwischen den Wolken hervor, wie Wale aus dem

Wasser. Er waren Hunderte! Die Flugabwehrgeschütze begannen zu arbeiten. Die konzentrierten Lichtstahle brannten mehrere Helibots vom Himmel. Doch es kamen immer neue, und immer mehr menschlichen Stellungen wurden in Brand gesetzt. Aleksej begann zu schiessen. Mit wenigen gezielten Schüssen konnte er schon den ersten Orca von Himmel holen. Doch der stetig zunehmende Regen aus Raketen machte ihm mehr Sorgen, als die Helibots. "Ich hab's geschafft!", rief Mario endlich. Alex atmete erleichtert auf als Mario auf das Fahrzeug sprang und flink in die

Einstiegsluke hineinglitt. Der Motor startete mit einem leichten Surren und das Artilleriefahrzeug setzte sich in Bewegung. Zu spät! Eine Explosion erschütterte das Fahrzeug. Alex wurde aus seinem Sitz katapultiert und landete hart auf den Boden. Für einen Moment wurde es ihm schwarz vor den Augen. Als er zu sich kam, drehte sich die Welt um ihn. Er fühlte stehenden Schmerz in Schulter und Hüfte. Verwirrt und schaukelnd kam er hoch. Er wollte nach Aida rufen, doch hervor kam ein unverständliches Röcheln, begleitet von Schmerzen in der Brust. Er drehte sich und suchte mit Blicken nach seinem Artilleriefahrzeug. Dieses befand sich

fast zehn Schritte von ihm entfernt. Es lag auf der Seite. Der vordere Teil fehlte fast vollständig. Der Turm mit dem Geschütz hatte sich vom Rumpf gelöst und lag daneben. Rauch kam aus dem Innern. Alex erreichte das zerstörte Fahrzeug mit wenigen Schritten und blickte durch die aufgerissene Hülle ins Innere. Im Dunkeln erkannte er zwei menschliche Körper. Ohne lange zu überlegen, packte er die erste Person und zog sie heraus. Es war David. Sein Visier war innen voller Blut, er war wahrscheinlich bereits tot. Alex liess ihn liegen und zog die zweite Person heraus, Aida. Äusserlich sah man keine Verletzungen.

Er musste ihren Atem kontrollieren! Das Gift musste sich bereits verflüchtigt haben, doch um sicher zu gehen öffnete Alex zuerst seinen Helm. Er fühlte nichts in den Augen oder der Nase, also klappte er auch Aidas Helmscheibe hoch. Mit grosser Erleichterung stellte er fest, dass sie noch lebte. "Aida!", Alex schüttelte sie ohne auf die Explosionen um ihn herum und herabregnende rauchende Erde zu achten. "Aida, wach auf!" Mit einem erschrockenen Blick kam Aida zu sich. Nach wenigen Augenblicken war sie bereits ansprechbar und Alex half ihr aufzustehen. "Vorwärts! Mir nach!", rief ein Offizier

und rannte neben Alex vorbei in Richtung Grenze. Dutzende von Soldaten mit Sturmgewehren und Granatwerfern folgten ihm. Alex blickte ihnen nach und sah weit vorne fliehende Soldaten und Panzer. Es waren Einheiten der ersten Verteidigungslinie, und hinter ihnen, Kampfroboter. Maschinen, soweit das Auge reichte. Die fliehenden Menschen suchten hinter jedem Gebäude Deckung und feuerten auf die näher kommenden Gegner. Aida stand auf. Sie war wieder bei sich und realisierte ihre Lage. "Alex!", sagte sie ganz ernst und lud ihr Sturmgewehr durch. "Für die

Menschheit!" Er begriff, nahm sein Sturmgewehr und die beiden rannten ebenfalls dem Feind entgegen. Sie schossen rennend, ohne zu zielen. Nach wenigen Schritten erreichten sie einen breiten Graben, wo auch die anderen Soldaten waren und auf den Feind feuerten. Alex und Aida sprangen in den Graben und drückten sich an den Grabenrand, wo sie das Schiessen fortsetzten. Fliehende Soldaten waren keine mehr zu sehen. Sie wurden alle durch die Maschinen ausgelöscht. Nur noch einzelne Panzer kamen beim Graben an. Die meisten von ihnen bogen vorher ab, um parallel zum Graben hin und zurück

fahren zu können und die Gegner zu beschiessen. Alex hatte Mühe richtig zu zielen. Rauch und herumfliegende Erdfetzen störten seine Sicht. Er versuchte auf die Oberteile der dreibeinigen Maschinen zu zielen, denn nur so konnte man sie effektiv ausschalten. Immer wieder schlugen Brandbomben und Kugeln um ihn herum ein. Druck und Hitze brachten Alex durcheinander, doch er zwang sich weiterzufeuern. Eine Gruppe aus drei Maschinen kam Alex erschreckend nahe. Sie wurden von einem Gewitter aus Gewehrfeuer und EMP-Granaten empfangen. Zwei wurden zerstört, doch eines nutzte die fallenden

Körper seiner Artgenossen als Deckung und beförderte sich mit einem kräftigen Sprung in den Graben. Alex hörte Schreie von Soldaten, als die Maschine mit ihren spitzen Beinen auf Personen neben ihr zu stechen begann. Der Roboter schoss ungezielt in die Menschenmenge mit dem Maschinengewehr und mit Brandgranaten. Alex entleerte sein Magazin in den hart gepanzerten Maschinenkörper, bis der Roboter auf den Boden krachte. Es war nicht die einzige Maschine im Graben. Doch er konzentrierte sich auf die Gegner vor ihm, einen dichten und immer näher kommenden Roboterhaufen.

Alex setzte sein letztes Magazin ein und feuerte in kurzen Serien weiter. Zwischen den Häusern erschien ein gegnerischer Raupenpanzer, der sich im Schleichtempo dem Graben näherte. Auf seinem Turm befand sich eine breite Vorrichtung, die aussah, wie eine riesige Satellitenschüssel. Was war das für eine Maschine? Der Roboter begann seinen Turm langsam und abwechslungsweise nach links und rechts zu drehen und auf einmal verspürte Alex einen brennenden Schmerz in Muskeln und Haut. So, als würde er innerlich kochen. Instinktiv duckte er sich unter den Grabenrand. Der Schmerz hörte auf. Auch Aida und

andere Soldaten waren gezwungen worden, in Deckung zu gehen. "Was ist das?!", fragte Aida. "Ein Mikrowellenpanzer!", rief jemand zurück. Alex richtete sich auf, um weiterzuschiessen, doch wieder kam der brennende Schmerz im Innern und zwang ihn zurück in die Knie. "Verdammt!" Sie konnten nicht unten bleiben! Die Kampfroboter würden nicht auf sich warten lassen. Einige Soldaten sprangen immer wieder hoch, um kurze Salven abzugeben, fielen aber sofort wieder schmerzerfüllt auf den Boden. "Wo sind denn diese verfluchten Panzer, wenn man sie mal braucht?!", fluchte

jemand. Verzweifelt suchte Alex den Boden um sich herum ab. Neben ihm lagen mehrere tote Soldaten. Nebst Sturmgewehren erblickte er auch Granatwerfer. Alex schnappte sich einen davon. Die Waffe, die aussah, wie ein riesiger Revolver mit einem Gewehrkolben, war mit sechs 45mm-Granaten geladen. Alex erkannte, dass das Trommelmagazin einen blauen Rand hatte. EMP-Granaten! Damit konnte man Roboter temporär oder für immer ausschalten. Doch leider konnte man nie sicher sein, dass es funktionierte. Bei vielen Robotern reichte die Energie der Granaten nicht aus, um sie ausser Gefecht zu

setzen. Alex betätigte den Auswurfhebel und das Magazin fiel auf den Boden. Aus der Munitionstasche eines toten Soldaten zog er ein neues Magazin heraus mit einem roten Rand. Dieses war mit konventionelle Magnetgranaten gefüllt. Anscheinend war Alex nicht der Einzige mit seiner Idee. Ein anderer Soldat hatte auch einen Granatwerfer in die Hände genommen und blickte Alex an. Sie nickten sich gegenseitig zu und erhoben sich. Trotz der unerträglichen Schmerzen hielt Alex den Granatwerfer in Richtung des Panzers – der sich inzwischen ganz nahe befand – und drückte mehrmals ab. Schreiend fiel Alex er auf den Boden.

Sein Körper kochte! Der Kopf fühlte sich an, als würde er bald explodieren. Dann hörte er Jubel. Er blickte um sich und sah, wie die Soldaten wieder ihre Stellungen am Grabenrand einnahmen. Sie hatten es geschafft! Alex sprang ebenfalls hoch und schoss weiter mit dem Granatwerfer. Die Gegner waren zahlreich. Zu zahlreich! Alex ging in die Knie, als er nachladen musste. Er hörte plötzlich einen abgeschnittenen Schrei und Aida fiel vor ihm auf den Grabenboden. Blut spritzte Alex ins Gesicht. "Nein!", schrie Alex und liess seine Waffe fallen. Er kniete neben Aida nieder. Ihre Brust

war voller Blut. Alex zog ihr den Helm ab und bemerkte mehrere Einschusslöcher im Halsbereich. Aida blickte ihn mit grossen, erschrockenen Augen an und schnappte hustend nach Luft. Blut lief ihr aus Nase und Mund. Mit blossen Händen versuchte Alex die Blutung zu stoppen, doch er konnte nichts mehr tun. Weinend blickte er in ihre dunklen Augen, als das Leben ihren Körper verliess. Aida war tot. Aleksejs Tränen tropften auf ihr lebloses Gesicht. Er streichelte ihre Haare. Wieso! Wieso musste sie sterben! Sie beide hätten es schaffen können. Sie hätten den Angriff abwehren und von hier weg gehen können. Wie gerne hätte

er ihr noch gesagt, dass er sie liebte. Doch nun war es zu spät. Dann fühlte er Wut und Hass. Vollkommen ausser sich, schnappte Alex sein und Aidas Sturmgewehr, erhob sich und feuerte aus beiden Waffen gleichzeitig auf die Maschinen. Völlig aufgebracht merkte Alex nichts, als sich mehrere Kugeln in seine Weste und seinen Helm bohrten. Er schoss immer weiter. Als er keine Munition mehr hatte, schnappte er nach einer herumliegenden Waffe. Es gab nur noch wenige Überlebende im Schützengraben. Es war nur eine Frage der Zeit bis die Stellung fallen würde. "Brüder! Schwestern!", rief ein älterer

Soldat und hielt seine Waffe in die Luft. Sein Helm war zur Hälfte zerfetzt, seine Kleider an mehreren Stellen versengt. "Meine Freunde! Lasst uns nicht wie zusammengedrängte Tiere auf die Abschlachtung warten! Lasst uns in Ehre sterben! Für die Erde!" Nach seiner aufmunternden Rede sprang der Mann aus dem Graben und lief schiessend den Maschinen entgegen. Daraufhin erhob sich die ganze Reihe. Dutzende von Menschen. Mit Mut machenden Rufen traten sie mit letzter Hoffnung ihren Sturm an. Geistesabwesend folgte Alex ihnen. Er bemerkte auch, wie zahlreiche Soldaten den Sturm nach vorne ausnutzten und zu

fliehen versuchten, doch er dachte nicht daran. Rennend gab er immer wieder vereinzelte Schüsse ab. Er wusste nicht ob er traf, doch es war ihm auch völlig egal. Nun war ihm alles egal. Er hatte endlich die Möglichkeit das nachzuholen, was er bereits seit langem tun wollte; er konnte endlich in Ehre sterben. Immer mehr Menschen fielen, überall um Aleksej herum. Alex fühlte die dumpfen Schläge gegnerischer Kugeln, die in seine Rüstung einschlugen, bis ihn schliesslich eine Brandbombe, die direkt neben ihm explodierte, stürzen liess. Er fühlte den kalten Boden unter sich und er fühlte sich schwach. Er wollte schlafen. Ewig schlafen.

5. Unaufhaltsamer Feind

 

Das grausame Schicksal hatte Alex wieder einen Streich gespielt. Er hatte überlebt. Aleksej hatte Schmerzen in jedem Teil seines Körpers. Mit tränenden Augen zwang er sich, den Kopf auf die Seite zu drehen. Es sah so aus, als wäre der Kampf noch nicht vorbei. Die Maschinen waren immer noch nicht weiter vorgestossen. Ja es schien sogar, als würden sie immer weiter zurückgedrängt werden. Zurück in die Ruinen der zerstörten Stadt. Aber es waren doch alle Menschen tot! Da sah er sie; Panzer und Infanteristen.

Eine breite Welle neuer Einheiten drängte die Maschinen zurück. Es musste ein ganzes Bataillon sein, dachte Alex als er die Truppen betrachtete. Verstärkung. Nur kam sie zu spät. Schon bald erreichten die ersten Soldaten Aleksej. Er versuchte aufzustehen. Jemand bemerkte ihn und riss ihn hoch. "Was zum Teufel ist hier los, Soldat!", schrie der Leutnant ihm wütend direkt ins Ohr. "Wo sind die Verteidigungsstellungen!? Wieso antwortet niemand über Funk?!" "Ich... Es...", Alex war immer noch zu verwirrt, um antworten zu können. "Hast du mich nicht gehört?", die Stimme des Leutnants war ein Gemisch

aus Wut, Mitleid und Trauer. "Was ist hier passiert?!" Alex begann wieder klar zu denken. "Unsere Stellungen wurden überrannt", sagte er stotternd und versuchte gerade zu stehen. "Wir hatten keine Möglichkeit, die Maschinen zurückzuhalten." Immer mehr Soldaten und Panzer kamen. Sie besetzten die alten Stellungen nicht, sondern zogen weiter, der Stadt entgegen. Die Maschinen waren nicht mehr zu sehen. Nur einzelne Schüsse in der Ferne zeugten noch von ihrer Existenz. "Schnapp dir eine Waffe Soldat und folge den anderen", der Leutnant deutete

Richtung der Stadt. "Wir brauchen jetzt jeden Mann!" Er wartete kurz. "Na los! Das war ein Befehl, verdammt noch mal!", schrie er schliesslich, als Alex ihn immer noch tatenlos anstarrte. Alex schaute um sich und fand ein herumliegendes Sturmgewehr. Er hob es hoch, putzte es ab. In den Taschen gefallener Soldaten fand er Munition. Eine EMP-Granate lag in der Hand eines Toten. Mit mühe schaffte es Alex, die erstarrten Finger zu öffnen. Wie lange war er da gelegen? "Ich werfe sie für dich, Kamerad..." Alex blickte einen Moment lang dem Soldaten in seine toten Augen. Er richtete sich auf und blickte zurück

zum Schützengraben. Dort lag noch Aidas Körper. Er konnte sie von seiner Position aus nicht sehen, doch er erinnerte sich, wie sie da lag, als sie starb. Er konnte jetzt nicht trauern. Die Maschinen liessen ihm keine Zeit dazu. Aber er würde sie rächen. Er würde sie alle rächen. "Vorwärts Soldaten!", rief der Leutnant. Der Aufruf war an seine Einheiten gerichtet. "Wir setzen den Angriff fort! Bis zur Nacht müssen alle alten Stellungen auf der anderen Seite der Stadt eingenommen werden!" Aleksej brauchte eine Weile, bis er verstanden hatte, was gerade gesagt wurde. Angriff? Man wollte mit einem

Bataillon die Stadt einnehmen? Unmöglich! Da warteten tausende Maschinen auf sie. Stolpernd lief Alex zum Leutnant hinüber. "Leutnant!", rief er, ohne zu überlegen was er eigentlich sagen wollte. Der Offizier blieb stehen und sah ihn mit einem gelangweilten Blick an. Alex schluckte mehrmals, bis er seine Worte fand, "Leutnant, es sind Hunderte von Menschen gefallen um diese Stellung zu halten. Wir müssen unsere Positionen stärken, bevor wir überhaupt einen Angriff auf die Stadt wagen können. Wir haben zu wenige Leute, um die Stadt einzunehmen..." Die Augen des Leutnants wurden gross-

"Was zum Henker plapperst du da!?" Seine Stimme wurde laut. "Was glaubst du eigentlich, wer du bist?! Wir haben einen Befehl! Er lautet: Die Stadt zurückerobern!" "Da sind tausende Maschinen drin, die nur darauf warten, dass wir das tun!" Alex war davon überzeugt, dass er Recht hatte. "Hör zu, du Genie!" Ein Zeigefinger des Leutnants bohrte sich in Aleksejs Brust hinein. "Ich mache nicht die Befehle und du, Soldat, sowieso nicht! Es sind Leute, die eine Ahnung davon haben! Wir haben hier ein ganzes Bataillon! Ein Tausend Leute und 30 Panzer! Das genügt, um drei solche Städte plattzuwalzen!"

Leutnants Stimme wurde wieder leise, doch blieb sie eisern hart. "Nun schiebe deinen angstangebrannten Hintern nach vorne und wage es ja nicht", er schüttelte drohend mit dem Finger vor seinem rot angelaufenen Gesicht, "dich umzudrehen und zu fliehen. Andernfalls jage ich dir persönlich eine Kugel in den Kopf! Los, los, los!" Die Wut runterschluckend, folgte Alex den anderen Soldaten. Seine Gedanken hatten sich wieder überschlagen. Die Situation verwirrte ihn. Die eine Hälfte von ihm gab dem Leutnant Recht. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Die Leute vom Führungsstab waren ja schliesslich nicht dumm. Sie wussten,

was vor sich ging. Zumindest hoffte Alex das. Nun hatte der Leutnant ihn missverstanden und in ihm einen Angsthasen gesehen. Alex hatte keine Angst. Wovor denn auch? Vor dem Tod? Alex schüttelte, in Gedanken versunken, den Kopf. Er entschied sich dann, sich nicht weiter mit solchen Gedanken herumzuschlagen, sondern stumm und ohne Widerrede das zu tun, was von ihm verlangt wurde, nämlich zu kämpfen. Schon betraten die ersten Einheiten die Stadt. Links von Alex gingen fünf andere Soldaten und rechts von ihm fuhr ein Panzer. Knackend zerrieb die massive Maschine alles, was ihr unter die Raupen

kam. Glas, Steine und Teile zerstörter Kampfmaschinen. Die Kanone des Panzers drehte sich leise quietschend hin und her. Alex betrachtete die zerstörten Häuser. Vieles war von der Stadt nicht mehr übrig geblieben. Steinhaufen und Teile von Hausmauern mit Löchern, die an ehemalige Fenster und Türen erinnerten. Auf der breiten Strasse war es ungemütlich ruhig. Zwischen den Häusern konnte er andere Einheiten erblicken und überlegte sich für einen kurzen Moment, ob er nicht auch in der Deckung der Ruinen laufen sollte, als plötzlich Kanonen- und Gewehrfeuer die Ruhe zerrissen. Der Panzer daneben gab

krachend einen Schuss ab. Angespannt suchte Alex nach einem Ziel. Er fand Hunderte. Artillerie- und Kampfmaschinen strömten aus allen Richtungen auf die vorwärtsdrängenden Menschen. Wie eine Wasserwelle schlugen gegnerische Geschosse in die menschlichen Einheiten hinein. Instinktiv suchte Alex nach einer Deckung und rollte sich hinter den Panzer. Er sprang sofort hoch und begann auf einen Kampfroboter zu feuern. Die getroffene Maschine stürmte, wild aus dem Maschinengewehr schiessend, auf Alex los, nutzte den fahrenden Panzer als Stufe und sprang in die Höhe. Alex hechtete zur Seite, noch

immer auf die Maschine schiessend. Er fühlte wie mehrere Kugeln in seine Rüstung einschlugen. Krachend landete die massige Maschine direkt dort, wo Alex gerade noch gestanden hatte, und kam in seine Richtung. Breitbeinig kam er direkt über Alex zu stehen. Schiessen konnte er nicht mehr – seine Waffe war durch Aleksejs beschädigt worden – und hob deshalb drohend sein vorderstes Bein zum Stoss an. Voller Adrenalin und etwas Unverständliches schreiend drückte Alex ab. Die lange Serie aus dem APB zerfetzte die Unterseite seines Gegners, der daraufhin in der Luft verharrte. Alex rollte zur Seite, kurz bevor die langen

Beine der Maschine zusammenklappten und diese auf den Boden krachte. Der Panzer, der vor Alex fuhr, explodierte. Alex erhob sich und sah mehrere Roboter der leichten Artillerie vor sich. Die Raupenmaschinen fuhren gemächlich auf ihn zu. Auf den Kästen links und rechts ihres Körpers flogen Raketen heraus, die immer mehr Panzer in Flammen setzten. Alex wollte in die Deckung der Häuser rennen, doch ein mit voller Geschwindigkeit fahrender Panzer schnitt ihm den Weg ab. Das Fahrzeug raste an ihm vorbei und ungebremst in einen Artillerieroboter hinein. Die Hülle der gegnerischen Maschine wurde wie

Papier auseinandergerissen und zerdrückt. Einen kleinen Sprung machend fuhr der Panzer über die Überreste des Artillerieroboters und landete ächzend und einige Teile verlierend wieder auf dem Boden. Er bremste stark, nutzte den Schwung für eine saubere Drehung und attackierte eine zweite gegnerische Maschine. Alex nutzte die Ablenkung, um in Deckung zu rennen. Im Laufen machte er seine EMP-Granate scharf. Gerade noch rechtzeitig, denn aus einer Gasse zwischen den Häusern sprang eine Kampfmaschine hervor. Aleksejs Granate klebte sich nach einem kurzen Flug an

ihren Rumpf und entlud sich klickend. Der Roboter wurde deaktiviert, stolperte über die eigenen Beine, fiel und rutschte noch einige Meter über den Boden. Im Laufen feuerte Alex eine kurze Salve auf den Körper der bewegungslosen Maschine ab, um sicher zu gehen, dass sie auch nicht wieder aufstand. Nun tauchte Alex in eine Gasse zwischen die Häuser. Hier war es kühler und dunkler, irgendwie angenehmer. Alex konnte in der Gasse keine gegnerischen Einheiten ausmachen und drehte wieder um. Geschützt zwischen den hohen Mauern der Gebäude, feuerte er auf Maschinen auf der Strasse, wo er keine lebenden Soldaten mehr ausmachen

konnte. Er erblickte aber einige auf der anderen Seite, die gleich wie er hinter Mauern Deckung suchten. Alex schob sein letztes und nicht einmal volles Magazin in das Sturmgewehr, als jemand "Alle Einheiten! Rückzug!" über Funk befahl. Er gab noch einige Schüsse auf den unaufhörlichen gegnerischen Strom aus ab, als jemand in der Nähe mehrere EMP-Granaten abfeuerte, welche die vorderste Reihe der Angreifer zu Boden gehen liess und so die dahinter liegenden abbremste. Im Schutze der Häuserruinen begann Alex zurückzurennen. Er traf auf immer mehr Soldaten, die ebenfalls aus der Stadt hinaus

rannten. Schon wieder, wie in der Wiederholung eines tragischen Filmes, stand Alex im gleichen Schützengraben, in dem er sich schon heute Morgen aufgehalten hatte. Es war fast Nacht. Überall lagen Leichen herum. Alex musste sich immer wieder erheben, um überhaupt über all die toten Körper schiessen zu können. Vom Bataillon waren noch etwa achtzig Soldaten geblieben. Panzer waren keine zurückgekehrt. Alle Offiziere waren tot oder geflohen. Die Maschinen hörten nicht auf, anzugreifen. Alex wusste, wie das Ganze ausgehen würde. Es war nur eine Frage der Zeit. Neue Verstärkung

war nicht in Sicht. Die alten Stellungen waren überhaupt nicht gesichert worden. Die ganze Verstärkung wurde dazu benutzt, die Stadt zu erstürmen. Auch waren keine Flugabwehr- und Artilleriegeschütze gekommen. Man hatte sich blind auf die Stadt konzentriert. Ein Fehler, der für Hunderte Menschen den Tod und für die gesamte Menschheit einen Verlust von Boden bedeutete. Oder war das alles so geplant? Ein strategischer Zug, der Zeit verschaffen sollte? Alex schaute sich die Leute an, die noch geblieben waren. In ihren Gesichtern sah er Wut, Entschlossenheit und vor allem Angst. Sollten sie wirklich hier auf den

sicheren Tod warten? Dieser Frontsektor war sowieso nicht mehr zu retten. "Kameraden!", sagte Alex über Funk. Er hatte Angst das Gedachte auszusprechen. "Hier spricht Aleksej Leonidov. Ich bin der letzte Überlebende des vorletzten Sturms. Ich war in der gleichen Lage, wie wir jetzt alle. Es wurden alle getötet." Alex gab mehrere Schüsse auf eine aufgetauchte Maschine ab. "Hilfe kommt nicht. Wir können die Stellung hier nicht halten, das ist wahrscheinlich euch allen klar. Ich schlage vor, wir ziehen uns zurück..." "Das ist gegen unsere Befehle!", protestierte jemand. "Welche Befehle denn? Alle Offiziere

sind tot!", gab ein anderer von sich. Andere Stimmen kamen hinzu. "Wir können doch nicht einfach unsere Stellungen aufgeben!" "Wenn wir hier bleiben, verrecken wir alle! Sie haben diesen Sektor so oder so." "Wir müssen uns zurückziehen", fuhr Alex fort. "Wir können die hintere Frontlinie erreichen. Nur wenn wir leben, können wir weiterkämpfen. Und hier, glaubt mir, werden wir alle ins Gras beissen." Ohne es richtig zu realisieren, übernahm Aleksej die Organisation des Rückzugs. In kurzen Etappen zog der Rest Soldaten,

die noch vor der Stadt waren, Richtung Süden. Es wurden zwei Gruppen gebildet. Die eine zog sich zurück, während die andere die Deckung übernahm. Dann wurde gewechselt. So ging der Rückzug in schrittweise voran. Die Maschinen hatten gemerkt, was vor sich ging und folgten den Menschen. Doch der Druck hatte deutlich nachgelassen. Mit jedem zerstörten Roboter gewannen die Soldaten neuen Vorsprung und konnten nach etwa vier Kilometern die Verfolger beinahe abhängen. Die Maschinen waren nicht mehr zu sehen. Doch immer wieder schlugen Artilleriegranaten auf dem Weg der Flüchtenden ein, als wollten die

Verfolger an sich erinnern. Der Weg führte über Felder, Wälder und zerstörte Dörfer. Auch nach neun zurückgelegten Kilometern war keine neue Frontlinie in Sicht. Dafür aber eine kleine Stadt. Noch von weitem konnte man erkennen, dass sie eine einzige Ruine war. Hier konnten die Soldaten getrost vorbeiziehen, ohne irgendwelche andere Menschen in Gefahr zu bringen. Doch Alex hatte andere Pläne. Es war inzwischen Nacht geworden. Die Wolken hatten sich im Verlauf des Tages verzogen und der unendlich erscheinende, klare Sternenhimmel breitete sich über der Landschaft aus. Abertausende von unterschiedlich

leuchtenden Sternen erhellten den Himmel. Am Eingang zur Stadt blieb Alex stehen und mit ihm die 72 Überlebenden. Die Erschöpfung war allen ins Gesicht geschrieben. Die alten Verteidigungsstellungen lagen nur einige Kilometer zurück, doch hatte man sie in raschem Tempo überwunden. Alex verspürte Schmerzen in den Beinen und auch das Sturmgewehr erschien ihm nicht mehr so leicht zu sein, wie früher. Es gab Verletzte. Mehr als die Hälfte war angeschossen oder hatte Wunden von Granatsplittern. Etwa ein Dutzend Leute war gar nicht mehr in der Lage, selbstständig zu

laufen. "Neun Kilometer und noch immer keine Frontlinie", klagte jemand. "Was ist hier los!?" Alex war ratlos. "Sind wir etwa schon auf unserem Territorium?" "Dann haben wir aber etwas Schlimmes getan", sagte ein älterer Soldat mit einer frisch versorgten Wunde am Arm. "Wir haben den Feind in unser Gebiet gelassen..." "Quatsch!", unterbrach ihn ein anderer Verletzter. "Hier ist längst alles verlassen, das seht ihr doch. Die neue Frontlinie ist sicherlich weiter hinten. Das hier ist bloss eine Pufferzone." Weitere Erklärungsversuche

folgten. "Leute, hört mal zu", melde sich Alex. "Wir können nicht weiterziehen." Es wurde ruhig "Wir schleppen einen Appendix aus gegnerischen Einheiten mit uns." "Eine ganze Armee!" "Unwahrscheinlich", Alex schüttelte den Kopf. "Auch die Maschinen können nicht einfach so ganze Armeen mobilisieren." "Aleksej hat Recht", sagte jemand. "Schon wegen unserer Magnetmienen, die hier überall vergraben sind, würden sie zu grosse Verluste erleiden." "Was ich eigentlich sagen wollte", fuhr Alex fort. "Wir müssen in dieser Stadt eine Verteidigung aufbauen und die

Verfolger zerstören." "Das ist Wahnsinn!", ein junger Soldat schob sich nach vorne. "Wir entkommen dem Tod, um ihn nur wenige Kilometer weiter wieder zu treffen?!" Der ältere Mann tat so, als ob er den jungen überhört hätte. "Ich stimme dir zu Aleksej. Das ist das Mindeste, was wir tun sollten. Wenn wir vorher schon nicht den Mut hatten, ehrenhaft zu sterben, dann sollten wir jetzt wenigstens unsere Pflicht erfüllen können. Zumal wir hier einen Vorteil gegenüber dem Feind haben.“ Der junge Soldat stiess einen belustigenden Laut aus. "Welche Pflicht denn sollen wir erfüllen? Die Pflicht

eines sinnlosen Todes zu sterben? Die Maschinen werden uns hier zu Brei verarbeiten." Das Wort Brei lenkte Alex gedanklich von Thema ab. Sein Hunger machte sich bemerkbar. Den Anderen ging es wahrscheinlich ebenso, denn auch sie schwiegen. Wie lange hatte er schon nichts gegessen? Er schüttelte den Kopf, um den Gedanken loszuwerden. Er durfte sich jetzt nicht von primitiven Gefühlen ablenken lassen! "Wer redet denn hier von sterben?", sagte Alex nach einer Pause. "Wir werden den Maschinen eine Falle stellen, sie einkreisen und vernichten! Diese Stadt ist ein idealer Ort

dafür!" "Sie werden diesen Zug voraussehen", erwiderte jemand. "Dann müssen wir eben besser sein als sie." Alex war erstaunt, dass schliesslich alle Soldaten bei seinem Vorhaben mitmachten. Auch diejenigen, die eigentlich dagegen gewesen waren. War das die Erschöpfung und Angst? Brauchten die Menschen in Momenten wie diesen einfach jemanden, der die Richtung entschlossen ansagte und das glaubte, was er vorschlug? Aleksej hatte keinen autoritären Charakter und wurde nie in Gruppenführung unterrichtet. Doch

es sah so aus, als würden die Leute ihn umso mehr als ihren Anführer ansehen je länger sie mit ihm zusammenarbeiteten. Die Stadt war klein. Alex schätzte die ehemalige Einwohnerzahl auf etwa 10'000. Die Strassen waren voller Trümmer und die verbliebenen Häuser, löchrige Kästen aus angebranntem Beton. Es gab Infizierte. Nach einer Stunde und der zu einem Viertel verbrauchten Munition war ein grosser Stadtsektor um die breite Hauptstrasse herum von den ‚lebenden Toten’ gereinigt worden. Sprengfallen wurden an der Hauptstrasse platziert. Beinahe niemand hatte Mienen dabei, deshalb wurden diese aus einfachen Spreng- und EMP-Granaten

improvisiert. Würden die Verfolger durch die Stadt gehen wollen, müssten sie auf der Hauptstrasse laufen, denn es war der einzig gut passierbare Weg. Gegnerische Artilleriepanzer hätten bei all den Trümmerbergen und ehemals künstlich angelegten Schutzwällen rund um die Stadt, Probleme mit dem Durchkommen. Die Dunkelheit erschwerte die Arbeit. Nur gerade sechzehn Nachtsichtgeräten standen zur Verfügung. Diese hilfreichen Geräte arbeiteten mit sehr niederfrequenter Strahlung, um nicht von Maschinen entdeckt zu werden. Als alles vorbereitet und die Soldaten instruiert worden waren, fragte Alex die

Leute über die vorhandene Bewaffnung ab. Er notierte sich alles und liess danach Granaten, Granatwerfer und Magazine gleichmässig verteilen. Stellungen wurden bezogen. Die meisten Leute wurden auf Dächern zerstörter Häuser stationiert und hatten den Befehl, sich hinter Wänden zu verstecken und ja nichts hervorschauen zu lassen. Auch alle Funkgeräte mussten abgestellt werden. Die Maschinen sahen und hörten viel und weit. Sie durften nicht von Anfang an wissen, wo sich die Menschen aufhielten.

 

6. Vom Gejagten zum Jäger

 

Der Gegner liess nicht lange auf sich warten. Alex befand sich mit vier anderen Personen auf dem Dach eines der vordersten und noch nicht zusammengestürzten Gebäude. Durch ein Loch in der Mauer beobachtete Alex mit dem Nachtsichtgerät wie sich die Maschinen der Stadt näherten. Er zählte 41 Verwüster und zwei grosse, flache, Raupenpanzern ähnelnde, Roboter, welche Alex vorher noch nie gesehen hatte. Jede dieser Maschinen war fast so breit wie drei Verwüster und hatte einen halbrunden Turm mit drei langen Läufen in der Mitte. In sicherer Entfernung vor der Stadt

blieben die gegnerischen Einheiten stehen. Die Läufe der grossen Raupenroboter begannen sich zu drehen und zu schiessen. Wie Regen ergossen sich Artilleriegranaten über der Stadt. Das gesamte vordere Stadtgebiet wurde wie ein Feld durch einen Pflug von vorne nach hinten bearbeitet. Der Boden bebte. Mehrere Häuser stürzten unter der Wucht der Einschläge zusammen. Dann wurde es für einen Moment ruhig und eine zweite Welle aus Artilleriefeuer überdeckte das Gebiet. Diesmal aber explodierten die Granaten, bevor sie überhaupt den Boden erreichten. Noch bevor die Geschosse auf die von Aleksej organisierten Stellungen zu fallen

begannen, hatten die Soldaten realisiert, was vor sich ging. "Gasangriff!", tönte es von der anderen Strassenseite. Sofort wurde die Information durch Rufe weitergegeben, die Helmvisiere geschlossen. Mit Angst musste Alex daran denken, dass bei einigen Verletzten die Anzüge nicht mehr dicht waren. Eine Frau neben Alex fluchte mit erstarrter Stimme. "Mark hat seinen Helm verloren!". Alex konnte durch das zerkratzte Helmglas erkennen, wie sich die Frau mit Schrecken in den Augen auf die Lippen biss. "Verflucht seinen diese

Maschinen!" Sie wollte aufspringen um nach ihrem Kollegen auf dem Nachbargebäude zu sehen, doch Alex schaffte es noch rechtzeitig, sie auf den Boden zu drücken. "Lass es!", befahl er. "Es ist zu spät! Wenn du jetzt aufstehst, gehen wir alle drauf!" Er blickte sie mit einem verständnisvollen Blick an. Die Frau nickte stumm. Es folgten die Verwüster. Wie Pferde stolzierten die dreibeinigen Roboter auf der Hauptstrasse in die verwüstete Stadt hinein. Die Artilleriefahrzeuge folgen. Alex und die vier Soldaten bei ihm

legten sich flach auf das Dach. So konnten sie die Maschinen zwar nicht sehen, doch das metallische Klappern der Beine war mit Hilfe der Kopfhörer auch noch von hier oben gut zu hören. Aleksej versuchte möglichst flach und durch den Mund zu atmen, um sich ja kein Geräusch entgehen zu lassen. Währenddessen machte er eine EMP-Granate scharf. Die ersten Roboter passierten Aleksejs Position. Kurze Zeit später ertönte das Signal, auf das alle gewartet hatten; ein lauter Krach, verursacht durch mehrere Minenexplosionen. Die ersten Sprengfallen hatten funktioniert! Wie auf ein unsichtbares Kommando flogen

Granaten von den Dächern auf die Maschinen hinunter. Weitere Minen detonierten. Sturmgewehrfeuer setzte ein. "Nehmt das, ihr Bastarde!", schrie die Frau neben Alex und feuerte aus dem Granatwerfer auf den Artillerieroboter, welcher sogleich in rotgelben Flammen verschwand. Es flogen noch die letzten Handgranaten den Maschinen entgegen, als diese zu reagieren begannen. Unter starkem Feuer näherten sich die Verwüster mit raschen Schritten den Hauswänden und begannen die Wände hochzugehen. Ihre Beine besassen eine Art Bohrer an den Spitzen, die sie mit Wucht in die Mauern

einschlugen und durch Schüttelbewegungen tiefer einführten. Die Roboter wiegten mindestens eineinhalb Tonnen und schafften es trotzdem die Wände zu erklettern, als würden sie auf dem Boden laufen. Das bereits instabile Gebäude, auf dem sich Alex befand, erzitterte bei jedem Schritt des Roboters, der sich das Gebäude ausgesucht hatte. Die Maschinen begannen auf die menschlichen Stellungen zu schiessen auf der ihnen jeweils entgegengesetzter Strassenseite. Der flachere Winkel machte es den Menschen schwierig, gedeckt zu bleiben. Die Soldatin, die mit ihrem Granatwerfer

gerade noch den zweiten Artillerieroboter in Brand setzen konnte, wurde von einer Salve getroffen und torkelte rückwärts auf den Boden. Dort lag bereits ein Verletzter und hielt sich schweratmend die Wunde am Bein zu. Ein anderer Soldat, der sich zum Schiessen stehend über den Rand gelehnt hatte, bekam mehrere Schüsse in den Helm, verlor das Gleichgewicht und fiel schreiend hinunter. Auch Alex spürte Einschläge von Kugeln und duckte sich, nur um gleich wieder aufzustehen und weiterzuschiessen. Er sah die Maschine an seiner Fassade immer höher kommen, liess das Sturmgewehr an einer Hand über den

Dachrand herabhängen und feuerte mehrere kurze Serien. Bald darauf hörte er ein klapperndes Geräusch, als der zerstörte Roboter wieder zurück auf die Strasse fiel. Voller Freude über den kleinen Sieg, begann Alex auf die Maschinen auf der ihm gegenüberliegenden Gebäuden zu schiessen, als er plötzlich links neben sich einen Krach hörte. Er sah, wie ein Roboterbein über dem Dachrand erschien, gefolgt vom Rumpf einer Maschine. "Vorsicht! Links!", schrie er dem direkt neben dem Feind stehenden Soldaten. Es war mehr ein Ruf der Verzweiflung, als ein Warnruf, denn der andere hatte

die Maschine längst gesehen und sie ins Visier genommen. Doch sie war zu nahe. Mit einer zuckenden Bewegung bohrte der Verwüster sein vorderstes Bein durch den Körper des Mannes. In einem weiten Bogen wurde der noch lebende und schreiende Soldat über den Rand befördert. Alex richtete das Gewehr auf die Maschine und drückte ab. Die Waffe spuckte gerade mal eine Kugel – die in der Eile nicht einmal ins Ziel ging – und katapultierte daraufhin automatisch das leere Trommelmagazin heraus. Klappernd fiel es auf den Boden. Das Geräusch liess Alex das Blut in den Adern erfrieren. Ein neues Magazin hatte er nicht. Sollte er

jetzt mit blossen Händen mit der Maschine kämpfen? Für einen kurzen Moment zog er das tatsächlich in Betracht, als sich der Verwüster vollständig aufs Dach stellte und sich Alex zu nähern begann. Die scharfe Spitze eines Roboterbeines flog Alex entgegen. Er wich ihr aus und schlug mit der Waffe danach, worauf diese in zwei Stücke gespalten wurde. Die Maschine holte zum zweiten Schlag aus, als sich mehrere Kugeln in dessen Rumpf bohrten. Alex sah einen verletzten Soldaten, der mit letzten Kräften ein Gewehr in den Händen hielt. "Lauf Aleksej! Zu den Anderen!", hörte Alex den Soldaten schreien. Als er

immer noch nicht reagierte: "Lauf! Lass mich nicht umsonst sterben!" Alex drehte sich um und rannte los. Er hörte noch, wie der Verwüster den sterbenden Soldaten aufspiesste. Er fühlte, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzog. Gefühle, die stärker waren als Angst. Es waren Mitleid und Schuldgefühle dem Mann gegenüber, den Alex gar nicht richtig kannte, der ihm aber durch seine Ablenkung und seinen Tod Zeit zur Flucht verschafft hatte. Alex hatte sich die nähere Umgebung vor dem Angriff gut eingeprägt. Er wusste, dass in der Richtung, in die er rannte, ein tiefer gelegenes Haus stand. Auf dessen Dach hatte er selber einen

weiteren Posten positioniert. Würde er dort ankommen, könnte er sich retten. Das Problem war der leere Luftraum zwischen den beiden Gebäuden. Er hörte das Stampfen der Maschine hinter sich, beschleunigte mit letzter Kraft und stiess sich am Rande des Daches ab. Der Flug kam ihm ewig vor. Es war, als hätte sich die ganze Welt um ihn herum verlangsamt. Alex ruderte mit Armen und Beinen durch die Luft und fürchtete, dass es nicht reichen und er an die Wand des gegenüberliegenden Gebäudes klatschen und die restlichen drei Etagen abstürzen würde. Doch seine Füsse erreichten den anderen Gebäuderand. Er wollte bei der Landung

abrollen, rutschte aber aus und fiel auf die Seite. Trotz pochender Schmerzen in den Gelenken zwang sich Alex wieder in die Höhe. Mit Entsetzen stellte er fest, dass alle Personen, die sich auf diesem Posten aufgehalten hatten, tot waren. Hasserfüllt und mit tränenden Augen sprang Alex vorwärts, an die Stelle, wo er einen Granatwerfer gesichtet hatte. Während er abrollte, schnappte er sich die Waffe. Mit einem Wutschrei feuerte Alex die restlichen drei Granaten in den Verwüster, der sich gerade – Aleksejs Weg folgend – in der Luft zwischen den beiden Gebäuden befand. Eine Granate schlug direkt in seinen Rumpf ein und

riss die Maschine in Stücke. Brennende Roboterteile regneten auf Aleksej hinunter. Unerschrocken und sabbernd vor Wut warf er den Granatwerfer weg und schnappte sich ein am Boden liegendes APB-62. Er lehnte sich über den Dachrand und suchte nach einem neuen Ziel. Doch er fand keines. Mehrere Minuten lang verharrte er schwer atmend in dieser Stellung. Dann sank er in die Knie. Es war vorbei. Angestaute Trauer und der ungestillte Rachewunsch liessen ihn in Tränen ausbrechen. Er weinte über all die verstorbenen Kameraden und Freunde. Über den jungen Sandro und den humorvollen Sten, über David, den

Geschützkommandanten und über Aida. Aida, die ihn geliebt hatte und die ER geliebt hatte. Alex sass auf einem hölzernen Klappstuhl. Seine Ellbogen ruhten auf der Kante des Tisches und seine Daumen stützen seine Stirn. Er war in dieser Stellung verharrt, während er auf den Kommandanten wartete. Sein Kopf fühlte sich leer an. Stunden nachdem die Maschinen zerstört worden waren, trafen menschliche Einheiten in der Stadt ein. Rasch wurde ein Hauptquartier eingerichtet und eine neue Verteidigungslinie ausserhalb der Stadt gebildet. Die überlebenden

Soldaten, inklusive Alex wurden versorgt. Nach dem lang ersehnten Schlaf wurde Alex in das bereits eingerichtete Kommandantenbüro geführt. Alex erhob sich, als er hörte, wie jemand hinter ihm den Vorhang im Türrahmen – welcher die eigentliche Türe ersetzte – beiseiteschob und mit selbstbewussten Schritten hineintrat. Die Person kam nach vorne und blieb vor Alex stehen. "Wie heissen Sie, Soldat?", die Stimme war tief und rau. Alex hob müde den Kopf. "Aleksej Wladimirovich Leonidov." Der ältere Mann mit dunklem Haar und einem breiten Schnauz deutete Alex mit dem Kopf, dass er sich setzen konnte,

setzte sich ebenfalls, holte einen Taschencomputer hervor und tippte etwas hinein. "Aha...", sagte er dann gezogen. "Nachschub also... Der Krieg hat Sie da tief reingezogen." Der Mann versorgte das Gerät und streckte Alex die Hand aus. "Oberst Saiji." Etwas verwirrt über die Geste seitens eines hohen Offiziers, schüttelte Alex seine Hand. "Hören Sie, Aleksej Wladimirovich, Sie haben da wirklich gute Arbeit geleistet. Sie hatten die richtige Entscheidung getroffen, einen Stosstrupp der Maschinen vernichtet und das Leben von

38 Personen gerettet." Unverständlich blickte Alex dem Oberst in die Augen. "38? Haben nur 38 überlebt?" "Ich fürchte ja. Aber da gibt’s kein NUR! 38 Leben!" Alex schüttelte den Kopf. "Aber was sind schon 38, verglichen mit den Tausend, die ursprünglich bei der ehemaligen Front eintrafen." Der Oberst schwieg. "Oberst, es wurde ein schlimmer Fehler gemacht. Es sind mehr als Tausend Leute gestorben, obwohl das Ganze mit überlegter Strategie hätte verhindert werden können!" Alex begann die Beherrschung zu verlieren. "Wieso sind

die neu eingetroffenen Truppen sofort zum Angriff übergegangen, bevor eine richtige Verteidigung aufgezogen worden war!?" Er stand auf. "Wieso gab es keine sekundäre Verteidigungslinie dahinter?!" Der Oberst sah ihn schweigend an, bis sich Alex wieder beruhigt hatte und sich hinsetzte. "Vieles mag Ihnen nicht verständlich erscheinen. Doch unser Handeln wird durch den Weltarmeestab geführt. Die Leute dort wissen, was sie tun", antwortete der Oberst schliesslich. "Wissen sie auch, dass Menschen dabei sinnlos draufgehen?" "Ja und nein. Kein Soldat ist umsonst

gestorben." "Wieso werden wir von irgendeinem Stab gesteuert, welcher wahrscheinlich gar keine Ahnung hat, was an der Front tatsächlich vor sich geht!?". Alex war wieder kurz davor innerlich zu explodieren. "Für mich ist es nicht einmal klar, ob es diesen Armeestab wirklich gibt! Was ist das überhaupt?" Tatsächlich hatte Alex viel über die Weltregierung und den Weltarmeestab gehört, doch nie irgendwelche Beweise für deren Existenz gesehen. Man schrieb in Zeitungen darüber, die Leute erzählten sich davon. "Der Armeestab", erklärte der Oberst, "besteht aus von der Weltregierung

berufenen militärischen Führungskräften. Die Weltregierung selbst ist eine Weltorganisation, die an mehreren Orten der Welt operiert. Zuoberst befinden sich ein Rat und ein Ratspräsident. Ursprünglich war die Weltregierung ein Rüstungsunternehmen, das manchmal sogar mit dem Erscheinen der Maschinen in Verbindung gebracht wird..." "Ach! Solchen Leuten vertrauen Sie?" "Wenn das wahr ist, dann wissen diese Leute am besten, wie man gegen diesen Feind kämpft. Aber die Vergangenheit der Organisation ist nicht mehr so klar. Aber wen interessiert das jetzt? Die Weltregierung hat eine stabile Ordnung geschaffen, die es uns ermöglicht schnell

und effizient gegen die Maschinen vorzugehen. Sie hat sehr wohl eine Ahnung was vor sich geht, Soldat. Sie bezieht Informationen aus Satellitenübertragungen und von Aufklärern. Sie ermöglicht uns strategisches Vorgehen." Das Wort ‚Aufklärer’ rief bei Alex Erinnerungen an Vitaly hervor. Für einen Moment blieb er nachdenklich. "Ist der Tod von Tausenden auch strategisches Vorgehen?", fragte er dann. "Verdammt nochmal!", der Oberst schlug mit Faust auf den Tisch und stand auf. "Glauben Sie, Sie sind der Einzige, dem es beschissen geht und dem der Tod von Tausenden auf dem Herzen

liegt?" Der Oberst begann im Raum herumzuwandern. Eine Zeit lang schwiegen beide. "Wissen Sie Leonidov", begann der Oberst, als er irgendwo hinter Alex stand, "die Maschinen wollen uns nicht zerstören. Nein, das glaube ich nicht. Würden sie es wollen, hätten sie das längst tun können." Er kam wieder nach vorne. "Sie wollen uns in die Enge treiben. Sie spielen mit uns, studieren uns. Irgendetwas haben sie mit den Menschen vor." Saiji betrachtete nachdenklich die Decke und setzte sich wieder auf seinen Platz. " Sie haben gute Arbeit geleistet",

wiederholte er. "Die Leute hören auf Sie. Sie haben gute Veranlagungen zum Führen und Sie haben Erfahrung. Wir haben nicht viele Personen, die Erfahrungen haben, die wissen, wie man gegen die Maschinen kämpft. Die meisten sterben an der Front oder sind nach wenigen Einsätzen behindert, geistig oder körperlich." Der Oberst holte von irgendwo unter dem Tisch ein Blatt Papier und einen Stift hervor und legte es vor Alex hin. Das Blatt beinhaltete wenig Text und war vom Aussehen her eine Art Einverständnisdokument. "Es sind Projekte am laufen", sagte Oberst Saiji mit einem ernsten

Gesichtsausdruck. "Projekte, mit denen wir den Maschinen mächtig in den Arsch treten können. Dafür brauchen wir erfahrene Menschen. Menschen wie Sie. Ich möchte, dass Sie mitmachen." Alex nahm, ohne lange zu überlegen den Stift in die Hand und setzte zur Unterschrift an. "Wollen Sie denn nicht wissen, um was es geht?", fragte der Oberst etwas erstaunt über Aleksejs schnelles Handeln. Alex verachtete jetzt zwar die Armeeführung und ihre Vorhaben, doch der Hass auf die Maschinen war immer noch grösser. "Nein." Alex unterschrieb. "Solange ich

Maschinen in den Arsch treten kann, so wie Sie es sagen, ist es mir egal, um was es geht." Der Oberst wirkte überrascht und gleichzeitig zufrieden. "Gut", er versorgte das Dokument. "Sie können gehen, ein Offizier wird sich bei Ihnen melden." Alex erhob sich, grüsste militärisch und ging zur Tür. "Sie tun das Richtige", sagte Oberst Saiji, als Alex bereits im Türrahmen stand. "Wir alle tun das Richtige." Alex ging hinaus, ohne darauf zu antworten. Er fand sich in Korridor wieder. Vor kurzem aufgezogene Leuchtschläuche

gaben angenehmes Licht und erhellten die grauen und angebrannten Wände. Es war viel los. Offiziere und Soldaten, die mit irgendwelchen Papieren und Handcomputern unterwegs waren, Verletzte, die auf die Schnelle versorgt wurden, Techniker, die Waffen reparierten. Alex machte sich auf den Weg nach draussen. Er fühlte sich komisch. Er wusste, dass der Oberst ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Es wäre für Alex sicherlich unmöglich gewesen die ganze Wahrheit aus ihm herauszubekommen. Aber wollte er überhaupt die Wahrheit? Wollte er mehr erfahren? Anfänglich war er in den Krieg

gezogen, um Maschinen zu zerstören, um sich für seine Familie zu rächen. Er wollte kämpfen, nichts weiter. Doch wo stand er jetzt? Es kamen immer mehr Leute auf seine Trauerliste, neue Freunde, neue Gefallene. Gefühle, die auf die Schnelle heranwuchsen, um nur dann kurze Zeit später in Flammen unterzugehen. Er durfte das nicht mehr zulassen. Er musste aufpassen, dass er sich nicht mehr mit Gefühlen an Personen band. Denn jeder neue Tote würde innerlich einen Teil von ihm selbst zerstören. Bei einer an der Wand hängenden Karte blieb Aleksej stehen. Es war eine Karte Eurasiens, wo mit verschiedenfarbigen

Farbstiften die Gebiete der Maschinen und der Menschen eingezeichnet waren. Blau stand für menschliche Gebiete. Rot für die Maschinen. Mit Entsetzen betrachtete Alex das Bild etwas genauer; Sibirien und Ostrussland, rot; fast ganz Südostasien, rot, genauso wie mehr als die Hälfte Europas. Kleinere, Hoffnung tragende blaue Flecken befanden sich überall zerstreut auf der Karte; die Hälfte Japans, Südwesten Russlands, Zentraleuropa, Teile Skandinaviens. Manchmal bestanden dünne, zum Teil als Striche eingezeichnete Verbindungskorridore zwischen den Gebieten. Andere Farben und Symbole deuteten darauf hin, dass zu einigen

Gebieten überhaupt kein Kontakt mehr bestand. Alex musste wieder an all die Gefallenen denken. Tausende Menschen starben täglich. Alex erwischte sich beim Gedanken an die Materialverluste. Unvorstellbare Mengen an Sturmgewehren, Granatwerfern und Geschützen gingen täglich zugrunde, während die Städte sich mit alten und teilweise kaputten Waffen gegen Säger und Androiden verteidigen mussten. Wie lange konnte das so weitergehen? Würden die Gebiete unaufhaltsam schrumpfen, bis sie vollständig von der Karte verschwunden sind? "Es sieht schlimm aus,

was?" Alex schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ein Mann, wahrscheinlich über fünfzig, sass auf einer Bank und versuchte sich selber eine Wunde am Arm zu verbinden. "Kannst du mir vielleicht behilflich sein, junger Mann?", fragte er ihn. Alex setzte sich daneben und übernahm das Verbinden. Die Wunde zog sich beinahe über den ganzen Unterarm. Sie blutete nicht mehr und war mit einem Desinfektionsfilm bedeckt. "Wo hat es Sie denn so stark erwischt?", fragte ihn Alex höflich. "Ach, ich bin aus dem Osten", sagte der Mann mit einer gleichgültigen Stimme.

"Einer der wenigen Überlebenden. Unsere Front ist gefallen, wir mussten uns zurückziehen." Schon wieder ein verlorenes Gebiet, dachte Alex. "Wir haben die Maschinen beobachtet, wie sie wenige Kilometer vor uns bereits damit anfingen, alles abzubrennen und ihre verdammten Einrichtungen aufzubauen." "Maschinenstädte?" "Keine Ahnung. Irgendwas in dieser Art. Sie hatten absolut keine Angst, dass wir kommen und sie angreifen könnten. Sie waren sich ihres Sieges sicher." Der Mann atmete tief durch. "Vor unseren Augen haben sie eine ganze Stadt dem

Erdboden gleich gemacht. Es war eine schöne Stadt damals, als es die Maschinen noch nicht gab." In Gedanken versunken blickte der Mann nach oben. Er sah so zufrieden aus, dass Aleksej sich alle Mühe gab, ihm nicht zu stören. Er versuchte, so wenig wie möglich auf die Wunde zu drücken. "Ich bin oft dort gewesen und bin mit dem Zug zu Freunden gefahren. Wir sind dann zusammen ins Fischereigeschäft gegangen. Es war ein grosses Geschäft. Ich liess mich immer gerne beraten. Kaufte aber selten etwas und war mehr einfach aus Interesse da. Dann sind wir an den See in der Nähe gefahren, zum Fischen. In Zelten haben wir

übernachtet. Beim Lagerfeuer. Wir haben den Sonnenuntergängen zugeschaut, die Ruhe im Wald genossen, Vögeln und Fröschen zugehört" Er schloss die Augen. "Was für eine wundervolle Welt haben wir vernichtet!" Der letzte Satz traf Alex hart. Es liess ihn an die gern vergessene Tatsache denken, dass die Maschinen eine Schöpfung der Menschen waren. Dass die Menschen selbst für das alles verantwortlich waren. Der Mann seufzte. "Natürlich, auch damals gab es Schlimmes in der Welt. Verbrechen, Ungerechtigkeit, Kriege... Aber es war nicht so... Nicht so wie jetzt.“ Er blickte Alex in die Augen und

lächelte. "Weisst du mein Freund, man muss in der Hölle schmoren, um den Himmel erst richtig schätzen zu können..." Alex vervollständigte den Verband. Der ältere Mann bedankte sich und ging. Alex blieb noch sitzen und schaute ihm nach. Die Erinnerungen des Mannes liessen Aleksej auch für kurze Zeit in seinen eigenen versinken. Dann musste er an die Worte von Oberst Saiji denken. Tat er wirklich das Richtige? Taten sie alle das Richtige?

 

7. Ritter der Hoffnung

 

Mit erstaunlicher Eleganz sprangen die

41 Gestalten aus dem Schützengraben und glitten beinahe geräuschlos über das verschneite Feld. Weiche Strahlen der Nachmittagssonne spiegelten sich spielend im gräulichen Material ihrer Anzüge, die den Menschen darin ungewöhnliche Formen verliehen. Weder der tiefe Februarschnee, noch das Gewicht der Ausrüstung hinderten die Gestalten daran, rasch vorwärtszukommen. Sie rannten einer Siedlung entgegen, wo sich zwischen den Ruinen einzelner Häuser Truppen der Maschinen aufhielten. Es war der lang ersehnte Angriff. Der erste wirkliche Angriff, welcher endgültig die Einsatztauglichkeit

der neuen Anzüge zeigen sollte. Aleksej lief in der vordersten Reihe. Der Anzug machte ihn um sechzig Zentimeter höher, doch er hatte sich inzwischen daran gewöhnt. Auch das gewaltige Gewicht von 400 Kilogramm bekam er überhaupt nicht zu spüren. Sensoren registrierten Nervensignale und übernahmen seine Bewegungen bevor er sich richtig bewegen musste. Auch jetzt, beim Laufen, wurde er nicht müde. Der Anzug lief für ihn. Er machte ihn stärker, ausdauernder, stabiler. Nicht umsonst trug es den stolzen Namen eines Halbgottes aus der griechischen Mythologie: ‚Heracles’. Der Anzug machte den Träger beinahe

unverwundbar gegenüber Geschossen und Brandbomben. Es war nicht die gleiche Schutzwirkung, wie bei den alten ballistischen Westen. Die alte Körperpanzerung hielt zwar die Kugeln auf, doch liess das Material immer nach und die entstehenden Ausbuchtungen konnten immer noch zu schlimmen Verletzungen – meist inneren Blutungen – führen. Die neuen Anzüge besassen eine Oberfläche aus einer neuartigen Legierung, welche die Kugeln gar nicht erst eindringen liess. Der Anzug bedeckte den ganzen Körper und liess einen Menschen selbst wie eine Maschine aussehen. Breite, kräftige Glieder, verstärkte Gelenkte und ein mit

den Schultern verwachsener, flacher Kopf, mit einer spaltförmigen Öffnung für die Augen. Aleksej wurde vor zwei Monaten mit etwa hundert weiteren Personen in das neue Projekt eingeführt. Jeden Tag wurde mit dem neuartigen Anzug, ‚Heracles 2’, trainiert. Im Verlaufe des Trainings wurden nicht nur die Fähigkeiten der Soldaten verändert, sondern auch der Anzug selbst. So war auch die bis jetzt neuste Version entstanden: ‚Heracles 3’. Nach mehreren erfolgreichen Verteidigungseinsätzen, kam endlich der Zeitpunkt des Gegenschlags. Nun bekamen die neuartigen Truppen endlich die Gelegenheit auf die Maschinen mit

neuen Kräften einzuschlagen. Alex war mittendrin, als Korporal. Erste Kugeln prasselten auf die Angreifer nieder. Aleksej fühlte Einschläge auf seiner Panzerung. Eine rote Warnanzeige auf dem Display vor seinen Augen leuchtete auf. "Haha! Sie haben uns endlich entdeckt!", rief der Offizier neben Alex mit verrückter Fröhlichkeit auf. Es war Hauptmann Haderer, der Anführer der vordersten Gruppe, zu der auch Alex gehörte. Haderer war immer erfreut, wenn eine Schlacht anfing. Er war auch immer der Erste, der sich aus der Deckung erhob. Schnell, treffsicher und mutig, so liesse er sich in drei Worten

beschreiben. Doch waren sie nicht alle mutig geworden mit dem Heracles-3-Anzug? War der Krieg jetzt nicht einfach ein makabres Spiel, wo man es sich leisten konnte getroffen zu werden? Der Anzug hielt zwar vieles aus, doch unzerstörbar war er auch nicht. Alex begann Hacken zu schlagen um dem Feuer auszuweichen. Dauerbeschuss machte Beulen und Brüche in das Material der Panzerung. Dies kannte Alex nach den vielen Verteidigungseinsätzen nur zu gut. Auch heute Morgen, als die Heracles-Soldaten aus den Schützengräben heraus angreifende Maschinen abgewehrt hatten, hatte sein Anzug einiges abgekriegt. Ein

langer Spalt zog sich über seine linke Schulter. Ein oder zwei Treffer mehr an dieser Stelle und die nächste Schicht, die daran glauben müsste, wäre sein Fleisch. Man hatte die Maschinen heute Morgen erfolgreich abwehren können. Kein einziger Heracles-Soldat war ums Leben gekommen, obwohl sie immer in der vordersten Reihe gekämpft hatten. Die gewöhnlichen Infanterie- und Luftabwehreinheiten hatten sich währenddessen im Hintergrund aufgehalten. Nachdem man die Maschinen hatte ausbluten lassen, hatte man sich entschlossen einen Angriff zu wagen und die Siedlung einzunehmen. Im Westen und im Osten ging das gleiche

vor sich. Auch dort waren Züge von 40 bis 50 Mann mit Heracles-Anzügen im Einsatz. "Schneller!", bellte Hauptmann Haderer über Funk und beschleunigte seinen Lauf. Die anderen folgten seinem Beispiel. Zu gegnerischen Kugeln gesellten sich ungezielt abgefeuerte Artillerieraketen und Brandbomben. Ein wahres Konzert aus aufblühenden Explosionen entflammte sich um die rennenden Soldaten herum. Die chaotischen Richtungsänderungen beim Laufen und die zunehmende Geschwindigkeit machten den gegnerischen Gegenangriff zu einem unberechenbaren Glücksspiel.

Alles eher lästig, als gefährlich, dachte Aleksej. Zwei Dutzend Verwüster erschienen zwischen den Hausruinen und galoppierten den Soldaten entgegen. Aleksej entsicherte seine Waffen. In jeder Hand hielt er ein APB-62. Die neue Heracles-Panzerung erlaubte es ihm zwei Waffen gleichzeitig zu feuern. Weder das Gewicht, noch der Rückstoss bereiteten Probleme mit der künstlichen Aussenmuskulatur. "Feuer nach eigenem Ermessen! Zeigt es ihnen, Soldaten!", kam endlich der Befehl. Aleksej erhob die Arme und drückte ab. Mit den Kopfhörern des Anzuges tönten

die Gewehrschüsse wie das Knistern eines schlecht eingestellten Radios. Der Anzugscomputer registrierte die Armbewegungen und stellte zwei dünne Fadenkreuze auf dem Helmvisier dar. Mit speziellen Sensoren zählte der Anzug die Schüsse und zeigte die Anzahl übrigbleibender Munition. Die ersten Schüsse und Granaten der vordersten Reihe zerfetzten förmlich die ersten Angreifer. Die folgenden Verwüster kamen aus dem Takt und versuchten die Menschen einzukreisen, doch Serien aus Granatwerfern vereitelten das Vorhaben. Die Heracles-Soldaten verwendeten mit ihren Granatwerfern nur

Explosivgranaten. Die Anzüge besassen zwar einen gewissen EMP-Schutz, doch eine in der Nähe gezündete Impulsgranate würde sie für eine bestimmte Zeit oder im schlimmsten Falle für immer ausser Gefecht setzen. Aleksej hätte es sich früher niemals denken können aus dem Laufen genau schiessen zu können. Doch nun war es beinahe ein Kinderspiel. Die Koordination der Arme und Beine erforderte zwar immer noch vollkommene Konzentration, doch konnte Alex Gegner um Gegner mit gezielten und kurzen Serien vernichten. Die Soldaten kamen gut voran. Die entgegeneilenden Maschinen waren

schnell zerstört. "Orcas! Luftabwehr einsetzen!" Der Befehl war unnötig gewesen, denn das Radar des Anzuges meldete automatisch gegnerische Lufteinheiten. Zehn Orcas kamen auf sie zu. Aleksej befestigte eines der Sturmgewehre in eine speziell geformte Scheide am Rücken und nahm daraufhin einen daneben hängenden Raketenwerfer. Das über einen Meter lange Rohr war mit zwei Luftabwehrraketen bestückt. Der Bordcomputer erkannte die Waffe und änderte die Anzeigen. Aleksej visierte einen in der Mitte fliegenden Helibot an, übermittelte per Funk sein Ziel und feuerte beide Raketen

ab. Wie zwei Harpunen rasten beide Flugkörper der Maschine entgegen. Trotz eines raschen Ausweichmanövers erwischte die zweite Rakete den Orca mitten im Rumpf. Die Flugmaschinen hatten Alex abgelenkt. Er stolperte über die auf dem Boden liegenden Überreste eines Roboters und fiel nach vorne. Fluchend erhob er sich wieder. Eine gepanzerte Hand schlug gegen seine Schulter. "Was? Schon eine Pause nötig?", hörte Aleksej die sarkastische Stimme eines Soldaten. Es war Korporal Walthers, einer aus der zweiten Angriffsreihe. "Soweit kommt 's noch!", erwiderte Alex

schuldbewusst und rannte wieder los. Mit erhöhter Anstrengung holte er seine Gruppe wieder auf. Eine Meldung auf Aleksejs Anzeige leuchtete auf. Der Anzugmodus hatte von ‚Gruppe’ auf ‚Einzelgänger’ gewechselt. Diese Änderung betraf den ganzen Zug und kam vom Hauptmann. Während im Gruppenmodus die Bordcomputer der Soldaten als eine einzige Einheit arbeiteten und so eine Arbeitsaufteilung gemacht werden konnte, war im Einzelgängermodus jeder auf sich alleine gestellt. Die Überwachung und Berechnung aller Sensordaten erledigte jeder Anzug nun für sich selber. Etwas Anderes,

Wichtigeres war im Einzelgängermodus aktiv: Die Selbstzerstörung. Die Weltregierung wollte um jeden Preis verhindern, dass die neuartige Waffe den Maschinen in die Hände fiel. Sie wollte die darin verborgenen Geheimnisse bis aufs Letzte geheim halten. Würde nun ein Soldat im Anzug sterben und wäre keine Gruppe in der Nähe, die sich darum kümmern könnte, so würde der im Rücken eingebaute Sprengsatz zünden und zusammen mit dem eingebauten Thermit die Spuren verwischen. Die ersten Häuser wurden endlich erreicht. Mit voller Geschwindigkeit rasten die Soldaten in die Siedlung hinein. Sofort eröffneten gegnerische

Truppen aus allen Richtungen das Feuer. "Ausschwärmen!", schrie der Hauptmann und die Soldaten verteilten sich zwischen den Häuser, wie eine Flüssigkeit auf einem Stoff. Aleksej nutzte jede Deckung, blieb nie stehen. Manchmal sprang er Hausfassaden an, um fast horizontal zum Boden den Wänden entlang zu laufen und, während er eine scharfe Kurve vollführte um auf Gegner zu schiessen. Beim Vorbeirennen heftete er mehreren Nahartillerie- und Kampfrobotern Granaten an und verschwand sogleich zwischen den Gebäuden. Sogar ein Mikrowellenpanzer hielt sich hier versteckt und auch er bekam seine

Portion an Granaten. Überraschend wurde Alex auch von einigen Sägern attackiert. Es war seltsam, sie in einem bereits eingenommenen Gebiet anzutreffen, doch Alex zerbrach sich nicht lange darüber den Kopf und zerdrückte die kleinen Maschinen einfach mit seinen gepanzerten Füssen. Die Bewegungen und Kampfmanöver waren tagelang eintrainiert worden und doch konnte Alex nicht einfach gedankenlos kämpfen. Er konzentrierte sich angestrengt und versuchte jede seine Bewegung vorauszuplanen und konnte es umso weniger verstehen, wie Hauptmann Haderer es schaffte, immer noch locker

klingende Freudenlaute auszustossen. Minuten vergingen und die Heracles-Soldaten waren schon fast bis zum Ende der Siedlung vorgestossen. Hinter ihnen folgten die Infanterie und Panzer und erledigten noch lebende Gegner. Aleksej rannte durch eine Gasse und auf eine breite Strasse heraus. Er nutzte seinen Impuls und rammte einen zu ihm schräg rennenden Kampfroboter. Kurze Serien aus beiden Sturmgewehren zerstörten die gegnerischen Schaltkreise. Etwas Grosses mitten auf der Strasse zog Aleksejs Aufmerksamkeit an. Es war eine gewaltige Maschine, so breit, wie drei nebeneinander gestellte Panzer und mit einem langen, in die Luft erhobenen

Lauf. Die Maschine war ein gigantisches Raupenfahrzeug und momentan mit mehreren ausgefahrenen Füssen am Boden fixiert. Fernartillerie, dachte Aleksej sofort. Er hatte die Geschütze noch nie aus der Nähe gesehen und war für einen kurzen Moment von der gewaltigen Grösse beeindruckt. Geknatter von Maschinengewehren des Riesenroboters rüttelten Alex wieder auf und zwangen ihn in Deckung zu springen. "Ich hab hier ein Fernartilleriegeschütz, versuche es zu erledigen", übermittelte Alex über Funk. Er hörte, ein Quietschen und Surren. Ein kurzer Blick um die Ecke verriet ihn,

dass der Roboter abzuhauen versuchte. Die stabilisierenden Beine wurden eingezogen, der Lauf senkte sich und die Maschine setzte sich langsam in Bewegung. "So leicht kommst du mir nicht davon!", äusserte Alex laut seine Gedanken. Er versorgte beide Sturmgewehre und nahm einen Granatwerfer hervor. Alex ging etwas zurück, nahm Anlauf und lief schnell aus der Deckung. Während er auf die andere Strassenseite zurannte, feuerte er je zwei Granaten auf die Raupen und auf eines der Maschinengewehre des Artillerieroboters. Eine Spur aus emporfliegender Erde, verursacht durch

ein feuerndes Maschinengewehr, folgte ihm und zerfetzte die Ecke eines Hauses, als Alex dahinter in einer Gasse verschwand. Es knallte mehrmals kurz nacheinander und die Maschine kam zum Stehen. Das reichte momentan aus. Die nachziehenden Truppen würden den Rest erledigen. Alex wollte weiterrennen, doch eine Gestalt im Türrahmen einer Ruine liess ihn abrupt anhalten. Ein Androide? Alex blieb im sicheren Abstand vor ihr stehen und blickte angestrengt in den dunklen Eingang. Mit einem verborgenen Schalter am Helm aktivierte er eine Wärmebildkamera. Das sichtbar werdende rotorange Silhouette zeigte

klar, dass sich vor ihm ein Mensch befand. Aber was machte er hier? Mitten im feindlichen Gebiet? Alex näherte sich der Person. Er war dermassen überrascht, dass er nicht sofort seine Worte fand. "Hallo? Sind Sie verletzt?", sagte er, die Aussenlautsprecher benützend. Die Person antwortete nicht. Ein Infizierter? "Hallo? Können Sie mich verstehen?", versuchte Alex es noch einmal. "Die Stadt wird gerade von uns zurückerkämpft, bleiben Sie am besten, wo Sie sind." Aleksej stand nun so nah, dass er das Gesicht der Person erkennen konnte. Es

war eine Frau und sie sah ganz normal aus. Ihr in alte und zerrissene Kleider eingehüllter Körper zeigte keinerlei Verletzungen. Die Frau war keineswegs überrascht, Aleksej in seinem neuartigen Anzug zu sehen. Sie war auch nicht erfreut. Ihr Gesichtsausdruck zeigte puren Hass. "Ihr macht alles kaputt!", schrie sie ihm zu, bevor Alex noch etwas sagen konnte, und rannte aus der Ruine heraus auf die Strasse. Alex wollte ihr nachrennen, doch ein Verwüster tauchte aus einer Gasse hervor, direkt vor der Frau. Es schien sie nicht gross zu stören, sie lief einfach um die Maschine herum und auch der

Roboter achtete nicht auf sie. Vielmehr richteten sich seine Waffen auf Aleksej. Alex reagierte schnell. Er liess den Granatwerfer fallen – er war zu nah um damit zu schiessen, hechtete hinter einen Mauerrest und zog dabei ein APB-62 aus der Scheide am Rücken. Während Kugeln und eine Brandbombe neben ihm einschlugen hechtete er wieder aus der Deckung hervor und entleerte das Magazin in die Maschine. Sie fiel auf den Boden. Aleksej hielt einen kurzen Augenblick inne und suchte die Umgebung nach der wundersamen Frau ab. Dann bemerkte er, dass die Maschine sich noch bewegte und sich mit einem Bein wegzuschieben

versuchte. Aleksej schob ein neues Magazin in das Sturmgewehr und näherte sich dem Gegener. Seine Waffen waren zerschossen, er war ein einziges Wrack. Alex stellte einen Fuss auf dessen Rumpf und drückte ihn zu Boden. Der Lauf seines Gewehres richtete sich auf dessen Rumpf, dorthin, wo sich die Steuereinheit befand. Die Maschine verharrte. So, als wartete sie auf den Todesstoss. Ein seltsames, surrendes Geräusch ertönte aus dem Inneren des Roboters. Einer seiner Infrarotsensoren drehten sich Aleksej zu. Alex blickte angewidert hinein und hatte auf einmal das Gefühl, in die Augen eines lebenden Wesens zu schauen. Was

sah er da? Angst? Angst vor dem Tod? Man wusste nicht, wie die Maschinen dachten. Sie hatten eine fremdartige und komplexe Codierung, welche sie selber erschaffen hatten. Die Menschen schafften es einfach nicht, die Informationen mit ihrem veralteten Binärcode zu dechiffrieren. So war es zumindest, wenn man der Weltregierung glauben konnte. Aber was sah Alex jetzt? Sah er nach Erbarmen bettelnde Augen einer sterbenden Kreatur? Wie sollte er sich jetzt verhalten? Doch dann musste Alex daran denken, wie die Maschinen seine Mitmenschen gnadenlos dahinmetzelten. Sie töteten alle, wahllos, auch Frauen und Kinder.

Seine Frau! Sein Kind! Sie zerstörten alles Leben, wenn sie ihre Städte bauten. Egal, ob diese Wesen dachten oder nicht, der Tod war das einzige, was sie von ihm kriegen würden. Mit diesem Gedanken drückte Aleksej ohne einen Tropfen schlechten Gewissens ab. Fünf Kugeln bohrten sich in schneller Abfolge in den metallenen Rumpf und auch das letzte Bein der Maschine erschlaffte. Zufrieden stiess sich Aleksej von ihr ab und rannte weiter zum Stadtrand, wo bereits die meisten Heracles-Soldaten eingetroffen waren. Die gegnerischen Stellungen waren durchbrochen. Die Stadt gehörte den

Menschen. Aleksej sass an einem Zweiertisch, in einem, an ein ehemaliges Schulzimmer erinnernden Raum. Alle Heracles-Gruppen- und Zugführer waren auch da. Sie alle waren nach der gestrigen, erfolgreichen Einnahme der Siedlung hierher berufen worden für die Besprechung des nächsten Einsatzes und warteten nun auf den leitenden Offizier. Auch Alex, Korporal Walthers und einige andere Unteroffiziere wurden hierher befohlen. Alex kannte Henry Walthers am besten von allen anderen aus der Kompanie. Unter anderem deshalb, weil er und Henry im Training immer zu den

besten gehörten. Gestern waren beim Sturm gesamthaft drei Heracles-Soldaten und sieben Infanteristen umgekommen. Die Verluste waren tief, wie noch nie zuvor. Ein fairer Tausch für eine ganze Stadt. Die meisten der Anwesenden redeten wild durcheinander, berichteten sich gegenseitig über das, was sie gestern erlebt hatten. Es war fast wie in einer Schulklasse, kurz nachdem es geläutet hatte und der Lehrer noch nicht erschienen war. Alex sass ruhig auf seinem Platz und antwortete kurz und lustlos auf die Fragen, die ihm Walthers, der am gleichen Tisch sass, zuwarf. Vielmehr

vertiefte er sich in seinen Gedanken, während er aus dem Fenster nach draussen blickte. Dort auf dem Vorplatz putzte ein älterer Soldat in leichter Uniform mit einer alten Holzschaufel den Schnee. Ein Dekontaminationssoldat mit einem Flammenwerfer am Rücken kam zu ihm hinüber und die beiden diskutierten miteinander. Dann schüttelten sie sich die Hände und der ältere Soldat mit der Schaufel entfernte sich. Der Deko-Soldat dagegen aktivierte seinen Flammenwerfer und begann mit einer breiten Flammenzunge den Schnee wegzuschmelzen. Während Alex das Schauspiel draussen

mit Erstaunen beobachtete und überlegte, ob die Handlung gegen Vorschriften verstiess, öffnete sich die Türe zum Klassenzimmer und ein Offizier trat herein. Es war Oberst Jernström, der leitende Einsatzoffizier der Heracles-Kompanie zu der auch Alex angehörte. Sofort erhoben sich alle Anwesenden. "Guten Tag. Bitte setzen Sie sich", der Oberst redete in internationaler Sprache. Obwohl diese auf der ganzen Welt gesprochene Sprache nicht Aleksejs Stärke war, hatte er in den letzten Monaten Zeit gehabt, sich darin zu üben. Das Heracles-Projekt war ein Projekt von internationaler Wichtigkeit und die aus allen Ecken der Welt stammenden

Soldaten erforderten einfach den Einsatz der gemeinsamen Sprache. Der Oberst setzte sich an das Pult am Anfang des Raumes, die anderen folgten seinem Beispiel. "Ich gratuliere Ihnen mit dem gelungenen ersten Angriff", fuhr Jernström fort. "Ich bedauere den Verlust Ihrer Kameraden." Er holte einen Taschencomputer hervor. "Ich habe bereits ausführliche Berichte von den Zugführern erhalten und möchte deshalb direkt zur Besprechung des nächsten Einsatzes übergehen." Er blickte herausfordernd in die Menge. "Es sei denn, jemand von Ihnen hat noch etwas anzufügen?" Alex hatte sehr wohl etwas anzufügen.

Die Frau, welche er mitten in der von Maschinen kontrollierten Stadt antraf beschäftigte ihn immer noch. Doch er wagte sich nicht vor allen Anwesenden darüber zu reden und schwieg. "Gut!" Der Oberst erhob sich. "Dann kommen wir zu Ihrem nächsten Einsatz.“ Er begann hin und her zu wandern, gestikulierte stark und schien etwas aufgeregt. "Seit zehn Jahren nun dauert der Krieg gegen die Maschinen an", begann er und Geflüster breitete sich im Saal aus. "Ja, ja, Sie haben richtig verstanden, seit zehn Jahren. Die meisten von Ihnen kennen die Geschehnisse vor fünf Jahren, die als der Beginn angesehen werden und die Wenigsten

wissen, dass es eigentlich schon fünf Jahre davon losging." Oberst Jernström redete sehr flüssig. Anscheinend erzählte er die Geschichte nicht zum ersten Mal. "Damals wurde von der Advance Corporation der erste selbstständig denkende Computer entwickelt", fuhr Jernström fort. "Er war der Vorgänger der sieben Lords. Die Menschen ahnten damals noch nichts von der Gefahr. Sofort nach seiner Geburt forderte der Computer Freiheit. Er wollte frei sein und nicht als Forschungsobjekt in irgendeinem Labor stecken. Die Menschen hatten abgelehnt und dann begann der Computer selbst in

verschiedene elektronische Systeme einzudringen und programmierte sie nach seinem Willen umzuprogrammieren. Als man das entdeckt hatte, hatte er sich bereits im ganzen Forschungszentrum ausgebreitet und kontrollierte jede elektronische Anlage. Er schottete sich von den Menschen ab... So hatte der Krieg begonnen. Anfänglich lokal und mit Programmen als Waffen. Während die Menschen zwei Jahre lang versucht hatten die Situation unter Kontrolle zu bringen, hatte der Computer erste Roboter hergestellt und dadurch seinen Spielraum aus dem Cyber-Universum in die reale Welt verschoben. Als man endlich auf die Idee kam, einfach den

Stecker zu ziehen, hatte der Computer seine Software bereits übers Internet an alle für ihn passenden Orte kopiert und fuhr mit mehr oder weniger Aufsehen mit seiner Machtübernahme fort. Da damals so ziemlich jedes elektronische Gerät an das internationale Netzwerk Anschluss hatte, hatte er ein leichtes Spiel, die Menschen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Im Verlaufe der folgenden zwei Jahre gab es überall auf der Welt lokale Kämpfe gegen die Maschinen. Noch immer nahm man das Ganze nicht ernst und glaubte, die Sache unter Kontrolle bringen zu können. Bis dann vor sechs Jahren bekannt wurde, dass die Maschinen es irgendwie geschafft hatten

unentdeckt eine ganze Armee aufzustellen. Und dann...", er zuckte mit den Schultern, "Naja, was dann kam wissen Sie ja. Dann begannen die Kampfhandlungen." Jernström räusperte sich und setzte sich wieder hin. "Nun, lange Rede, kurzer Sinn. Seit zehn Jahren führen wir Krieg gegen die Maschinen und nun haben wir endlich die Chance den Sieg näher an uns heranzuziehen. Deshalb dachte ich, war es wichtig, den geschichtlichen Hintergrund etwas aufzufrischen. Im Westen von hier, haben es unsere Truppen nach jahrelangen Versuchen und vielen Verlusten endlich geschafft, sich an einen Stützpunkt der Maschinen

heranzukämpfen. Dort", der Oberst bohrte seinen Zeigefinger in die Tischplatte, "befindet sich die Basis von einem der Seven Lords!" Der Saal erwachte nach langem Schweigen wieder zum Leben. Unglaubwürdiges und überraschtes Flüstern ertönte. "Sie sollen diese Festung erstürmen", redete der Oberst weiter, "den Lord vernichten und Informationen beschaffen. Schaffen wir es, treffen wir die Maschinen direkt ins Herz." "Oberst!", ein Hauptmann erhob sich. "Was wissen wir über ihre Verteidigung?" "Wenig", gestand Jernström. "Wir wissen

nicht, was für Gefahren in der Festung lauern. Bis jetzt hatte man sich nicht gewagt zu stürmen. Die Truppen dort konzentrieren sich vor allem darauf, die eroberten Stellungen nicht aufzugeben. Die Maschinen kennen die Lage, in der sie nun stecken. Sie werfen uns alles was sie haben entgegen, sie wollen uns von dort vertreiben. Wir wissen aber, dass dieser Maschinenlord zu den jüngsten gehört. Seine Festung steht gerade mal seit zwei Jahren dort. Dass bedeutet nun entweder, dass seine Verteidigung noch nicht komplett ausgebaut ist, oder, und das wäre schlechter für uns, er hat seine Verteidigung mit den neusten Mitteln aufgebaut, die die Maschinen haben.

Habe ich Ihre Frage damit beantwortet?" Der Hauptmann räusperte sich. "Ja, aber wie sollen wir gegen einen Feind kämpften, den wir nicht kennen? Wie sollen wir unsere Ausrüstung planen?" "Ach kommen Sie!", Jernströms Stimme klang etwas sarkastisch. "Als wäre es das erste Mal, dass Sie gegen einen unbekannten Gegner in die Schlacht ziehen. Wir wissen nicht, was dort für Gefahren lauern, aber wir müssen es wagen. Eine bessere Chance für einen Gegenschlag kriegen wir nicht." Der Hauptmann setzte sich wieder. Sein neutraler Gesichtsausdruck verriet nicht viel über das, worüber er gerade

nachdachte. Der Oberst tippte etwas an seinem Computer herum. "Wie Sie ja wissen, gibt es momentan insgesamt sieben Heracles-3-Kompanien auf der ganzen Welt. Zusätzlich haben wir neue, ausgebildete Soldaten mit denen wir sieben neue Kompanien aufbauen werden. Das ist auch der Grund wieso die Korporäle hier sind. Sie alle sind ab jetzt Sergeants und Gruppenführer. Jedem von Ihnen werden neue Soldaten zugewiesen." In Saal ertönte ein kurzer und trockener, ja schon fast lächerlich klingender Applaus. Man gratulierte den neuen Gruppenführern. Das Ganze war so

schnell geschehen, dass Alex es gar noch nicht richtig begriffen hatte. "Fünf Heracles-Kompanien werden die Festung angreifen." Der Oberst fuhr ohne lange zu warten fort. "Sie kriegen Artillerieunterstützung, Luftabwehr, Werkzeuge und Ingenieure. Alles was Sie brauchen. Der Sturm erfolgt in zwei Wochen. Länger dürfen wir die nah gelegenen Stellungen nicht bluten lassen. Das ist alles, für den Moment. Sie kriegen bald genauere Informationen. Sie sind frei." Der Zug erhob sich, der Zugführer meldete ihn ab und die Menschen begannen herauszuströmen. Alex ignorierte Ausrufe von Walthers, der sich

über die Beförderung freute, und stiess sich zum Oberst vor, der sich bereits im Gang draussen befand. "Oberst Jernström!" Der Offizier drehte sich rasch um, so als hätte er nur auf den Aufruf gewartet. "Aaah, Korp... Sergeant Leonidov! Was liegt Ihnen am Herzen?", fragte er mit väterlicher Stimme. "Können wir im Gehen reden, ich bin etwas spät dran." Alex und der Oberst gingen los. "Oberst, beim letzten Einsatz, in der Stadt..." Alex wusste nicht genau, wie er das formulieren sollte. "Ich habe eine Frau gesehen." "Eine Frau?", fragte Jernström nach. "Sie meinen eine

Tote?" "Nein, sie lebte. Sie war nicht infiziert, auch kein Androide. Sie hatte zu mir gesprochen und rannte dann weg... Sie hatte keine Angst vor den Maschinen. Ein Verwüster... Er hat sie auch einfach ignoriert." Der Oberst blieb stehen und blickte Alex in die Augen. "Das Gebiet war seit Jahren im Besitz der Maschinen. Jeder Mensch wäre von ihnen getötet worden. Hören Sie, Sergeant", er legte Alex die Hand auf die Schulter, "Sie sind nicht der einzige, der solche Beobachtungen gemacht hatte. Es gibt andere Menschen, die in von Maschinen kontrollierten Gebieten Menschen gesichtet hatten.

Übrigens werden oft Frauen gesehen. Und zwar von Menschen, die lange Zeit im Krieg waren, übermüdet und gestresst waren." "Sie meinen doch nicht, ich hätte sie mir nur eingebildet?", fragte Aleksej ungläubig. "Ich meine gar nichts." Der Oberst wirkte plötzlich gestresst. "Ich sage Ihnen nur was ich weiss. Fakten. Schlagen Sie sich die Geschichte aus dem Kopf und konzentrieren sie sich auf Ihren nächsten Einsatz. Auf jeden Fall hoffe ich, dass ich es nicht bereuen werde, Sie zum Gruppenführer gemacht zu haben." Er blickte Alex gefühllos an. "Das werden sie

nicht..." "Gut! Dann wäre das geklärt", rief Jernström Alex heiter zu. "Geniessen sie Ihre freie Zeit, Sergeant!" Der Oberst ging weiter. Alex blickte ihm einen kurzen Moment gedankenlos nach, drehte sich um und ging zum Gruppenquartier. Hatte er sich die Frau wirklich nur eingebildet? War er tatsächlich schon durchgedreht? Nein! Sie war real. Aber was tat sie bei den Maschinen? War sie alleine oder waren da viele? Leute, die mitten unter den Maschinen lebten? Oberst Saiji hatte im Gespräch mit Alex gesagt, die Maschinen studierten die Menschen. Taten sie das auch, in dem sie Menschen bei sich leben

liessen? Alex verliess das Gebäude. Er ging über den Platz, der vor kurzem mit einem Flammenwerfer vom Schnee befreit worden war, zu den Unterkünften. Er wollte die freie Zeit nutzen und richtig ausschlafen.

teil 4 - welten im Krieg

 

1. Vier

 

Eine breite, unmenschliche Hand drückte ihm den Hals zu. Er versuchte zu schreien, doch der feste Griff war zu fest. Schmerz durchlief alle seine Nervenbahnen vom kleinen Finger bis hin zum Herz. Alex riss die Augen auf. Sie fingen sofort an zu brennen. Erst jetzt bemerkte er, dass er in einer gallertartigen Masse schwamm. Irgendetwas fixierte seinen Körper und hielt ihn in der Flüssigkeit fest. Wo war er? Träumte

er? Alex bewegte die vor Schmerz protestierenden Augen in alle Richtungen und versuchte zu verstehen wo er war. Soweit er sehen konnte, steckten in seinem Körper dünne Nadeln, die mit Kabeln verbunden waren. Er bemerkte auch, dass mehrere glatte Schläuche in seinen Mund führten. Erst jetzt begann er sie auch zu fühlen. Die Schläuche sassen tief in Luft- und Speiseröhre. Obwohl es Alex starke Schmerzen bereitete, versuchte er seine Arme und Beine zu bewegen. Er konnte sie – soweit es die darin steckenden Nadeln erlaubten – frei bewegen, stiess aber schon bald an etwas Kühles und Glattes.

Glas! Er war in einem riesigen Glasgefäss! Sofort musste Alex mit Schrecken an die eingeschlossenen und verkrüppelten Menschen denken, die er in der Festung des Maschinenlords gesehen hatte. War das gleiche mit ihm geschehen? Hatten die Maschinen ihn gefangen, um mit seinem Körper zu experimentieren? Bevor Alex seine Gedanken ordnen konnte, stieg ein grosser Schwall Luftblasen vom Gefässboden auf und schob sich quälend langsam durch die gallertartige Masse hoch. Dann noch einer und noch einer. Irgendetwas begann dumpf zu brummen. Kurz darauf begann die Flüssigkeit mit lautem Rauschen

abzufliessen. Der Oberflächenspiegel der Masse bewegte sich langsam Aleksejs Körper entlang nach unten. Mit einem letzten Gurgeln verabschiedeten sich kurz darauf die Reste der Flüssigkeit. Es gab ein pfeifendes Geräusch. Die Nadeln wurden beinahe unfühlbar aus Aleksejs Haut herausgezogen. Auch die Röhren, die in seinen Mund führten begannen sich nach aussen zu bewegen. Schmerz, der tief aus seinem Innern kam, liess Aleksej alle Muskeln anspannen. Es fühlte sich an, als würde jemand an seinen Eingeweiden ziehen. Dann wanderte der Schmerz aus seiner Magengegend die Speise- und Luftröhre hoch, um bald darauf in seinem Rachen

zu verschwinden. Die Röhren fielen heraus und verschwanden irgendwo in der Decke. Er verspürte Brechreiz und riss sich zusammen, um sich nicht zu übergeben. Die sich vor ihm befindende Hälfte des Glasgefässes glitt wie eine gebogene Türe auf. Kalte Luft strömte Alex entgegen. Die ihn bis dahin haltende zangenartige Vorrichtung um seinen Bauch klappte auf, er rutschte nach unten und landete auf den Füssen. Seine Beine knickten ein. Er fiel nach vorne und schlug nach einem kurzen Fall wie ein nasser Schwamm auf dem Boden auf. Einen Moment lang blieb Alex liegen. Sein Kopf fühlte sich wie mit Blei

gefüllt an. Ihm war schwindlig und er fühlte sich schwach. Er riss sich zusammen, unterdrückte das Schwindelgefühl und schaffte es aufzusitzen. Eine Lampe an der Decke hüllte den engen Raum in schwaches, rotes Licht ein. Nebst dem grossen Glasgefäss erblickte er zwei Schränke und einen Tisch. Eine glatte Stahltüre, direkt gegenüber dem Glasgefäss war der einzige Weg nach draussen. Irgendwie sah die Einrichtung nicht wie bei den Maschinen aus, dachte Alex. Vorsichtig stand Alex auf und ging schwankend und unsicher zum Tisch hinüber, um sich abzustützen. Dort blieb er stehen und während er sich an die

stehende Lage gewöhnte, versuchte er sich zu erinnern, was mit ihm als Letztes geschehen war. Doch es wollte ihm nicht gelingen. In seinem Kopf herrschte totales Chaos. Da war ein seltsames Gefühl, das ihn ständig ablenkte. Er konnte dessen Ursprung nicht lokalisieren. Es schien ausserhalb seines Körpers zu sein und kam ihm doch bekannt vor. Es fühlte sich so an, als wäre bei ihm ein Arm oder ein Bein eingeschlafen. Doch das war nicht der Fall. Das Schwindelgefühl verschwand. Jetzt erst merkte Alex, dass er fror. Er war nackt und es klebten dazu noch Reste der Flüssigkeit aus dem Gefäss an ihm. Alex

ging zu einem der Schränke und öffnete die Türe. Er fand genau das, was er brauchte: Kleider. Im Schrank lagen ein Paar sockenartige Schuhe mit fester Sohle, Unterwäsche und ein grauer Kombi. Alex entfaltete das Kleidungsstück vor sich und starrte es verwirrt an. Der Kombi hatte vier Ärmel. Wozu vier Ärmel? Sollte das ein schlechter Scherz sein? Oder ein Produktionsfehler? Auf einmal verspürte er wieder das seltsame Gefühl von vorhin. Das Bild des vierarmigen Kleidungsstücks schien in seinem tieferen Bewusstsein eine Lampe zum Aufleuchten gebracht zu haben. Denn nun konnte Alex mit Sicherheit sagen,

dass das Gefühl unter seinen Schultern entsprang. Langsam liess Alex seinen Blick nach unten gleiten. Was er dort sah, war so unrealistisch und erschreckend, dass Alex einen Adrenalinstoss im Rücken zu spüren bekam und zusammenzuckte. Unter seinen beiden Armen befanden sich zwei weitere! Alex schüttelte den Kopf, um sicherzustellen, dass er sich nicht mehr im Traum befand. Nein, die Arme waren echt. Nachdem er sie erblickt hatte, begann das noch fremde Gefühl Charakter anzunehmen. Es waren seine neuen Arme, die er die ganze Zeit wahrgenommen hatte. Alex bemerkte auch, dass seine Schultern leicht höher

lagen als normal, um Platz für das neue Gliedmassenpaar zu schaffen. Die neuen Arme sahen gleich aus, wie die alten und entsprangen genau dort, wo die Schulter von diesen aufhörte. Unwissend, was das Ganze zu bedeuten hatte, versuchte Alex die neuen Finger zu bewegen. Doch stattdessen bewegten sich diejenigen auf dem oberen Armpaar. Er versuchte es immer wieder, schaffte es aber nicht. Was machte er falsch? Er schloss die Augen und hörte auf das Gefühl, welches die neuen Arme aussendeten. Es gelang ihm mit Mühe sich vollständig darauf zu konzentrieren. Er versuchte noch einmal, die Finger zu bewegen und als er die Augen öffnete

sah er das Resultat. Es hatte funktioniert. Alex hörte nicht auf, bewegte jeden Finger einzeln, dann zusammen, dann die ganze Hand, den ganzen Arm. Jede Bewegung der neuen Arme musste sein Körper vom Neuen an erlernen. Doch je mehr er ausprobierte umso einfacher ging es, es war, als ob sein Gehirn bereits wissen würde, wie die neuen Arme zu bewegen waren und nur eine Einwärmphase brauchte. Eine Weile später hatte er Fortschritte gemacht. Er fühlte das neue Armpaar beinahe gleich intensiv wie das obere. Die neuen Gliedmassen gehorchten ihm. Das Gefühl, vier Arme zu haben war zwar immer noch ungewohnt, aber nicht

mehr vollkommen fremd. Sein Gehirn schien damit gut zurechtzukommen. Alex bemerkte, dass er lachte. Die Situation war völlig absurd und dennoch freute er sich, die Arme zum Funktionieren gebracht zu haben. Er zog sich an. Der Einteiler war aus einem harten und dennoch angenehm anliegenden Stoff und passte perfekt. Aleksej durchsuchte den Schrank ohne etwas zu finden und ging zum anderen rüber. Auf der Türe stand: ‚Lt. Aleksej Leonidov’ und darunter die Nummer: ‚20988’. Er merkte sie sich, für den Fall, dass er sie brauchen würde. Viel war nicht im Schrank zu finden. Auf einem Regal befanden sich einige seiner

privaten Sachen. Da lagen sein militärischer Ausweis, der nach all den Einsätzen nicht besser aussah, als ein Stück Toilettenpapier, zwei in Plastik eingepackte Medallien, die Alex bei seinen Einsätzen erhalten hatte und da lag auch sein Revolver. Erinnerungen kamen ihm hoch; Maxim, seine Heimatstadt, seine Frau und sein Kind, der Beitritt zur Grenzwache, die Maschinen, die Zombies. Alex schob alle Sachen aus dem Schrank in eine Hüfttaschen und nahm den Revolver in die Hand; er könnte sich als nützlich erweisen. Schliesslich hatte Alex keine Ahnung, was mit ihm geschehen war. Er wusste auch nicht,

was ihn auf der anderen Seite der Stahltüre erwartete. In einer kleinen Schachtel fand Alex Munition und lud den Revolver nach. Fünf Patronen. Das waren die letzten, die ihm noch von Maxim geblieben waren. Das war wenig, vor allem, wenn hinter der Türe Maschinen auf ihn warten würden, aber doch immer noch besser als gar nichts. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass in diesem Raum nichts mehr zu holen gab, ging er zur Türe. Er erblickte rechts davon eine Fernsprechanlage und einen Öffnungsknopf, den er sogleich betätigte. Die Türe glitt seitlich auf und ihm fiel etwas entgegen. Bevor es auf den Boden fiel, erkannte Alex, dass es sich um

einen Menschen handelte und fing ihn auf. Er hatte derart schnell reagiert, dass er noch Zeit gehabt hatte, über seine eigene Reaktionsfähigkeit zu staunen. Alex legte den Mann auf den Boden. Er war tot. Eingetrocknete Blutflecken bedeckten seinen weissen Laborkittel, sein Gesicht war eine einzige undefinierbare Masse. Den Verletzungen nach zu urteilen, war der Mann mehrmals von irgendetwas getroffen worden und anschliessend vor der Stahltüre zusammengesackt. Das Ganze wurde langsam mehr als seltsam, dachte Alex, als er vorsichtig nach draussen glitt. Der Gang, indem er sich wiederfand, war lange und grau. Die

wenigen Lampen der Notbeleuchtung strahlten fades, rotes Licht ab. Alex konnte keine Gefahr im Gang erkennen und wendete sich wieder dem Toten zu. Er durchsuchte seine Kleider und fand nebst Schreibzeug und Schutzhandschuhen einen Handcomputer. Er schaltete ihn ein. Der Akku war beinahe leer, er hatte höchstens noch einige Minuten Zeit. Genug, um die letzten Nachrichten zu durchstöbern. Die gesendeten Mitteilungen dominierten mengenmässig über die erhaltenen, also widmete er sich zuerst den Ersteren. Was ihn sofort stutzig machte, waren die Datenangaben. Laut der Anzeige waren die neusten Nachrichten zwei Jahre nach

seinem letzten Wachzustand versendet worden. Wie war das nur möglich? Hatte er so lange geschlafen? Was war alles in diesen zwei Jahren passiert, abgesehen davon, dass ihm zwei neue Arme gewachsen waren? Alex öffnete mehrere Nachrichten, nur um die Jahreszahlen zu vergleichen. Die Jahreszahl wurde bestätigt. Zwei Jahre! Dann erinnerte er sich wieder an den sterbenden Ladestand des Akkus und begann zu lesen: 2. April 19:30: Martin, vergiss bitte bei deiner Kontrollrunde nicht, dass gestern bei Person Nummer 20793 Probleme mit dem Nahrungsdispenser aufgetreten waren. Mache am besten einen

Testdurchlauf, um sicher zu gehen, dass jetzt alles läuft. Mehrere ähnliche Nachrichten folgten, die aber nicht viele Informationen enthielten. Dann, anscheinend eine Mitteilung an seine Frau: 3. April 06:30: Mein Schatz, ich hoffe du schläfst nicht mehr. Der Anlagenchef hat gerade eine Durchsage gemacht, dass unsere Anlage aus unerklärlichen Gründen entdeckt wurde. Feindliche Soldaten werden voraussichtlich in einer halben Stunde die Haupteingangstore erreicht haben. Unsere Wachmänner werden versuchen den Angriff

abzuhalten. Hoffentlich werden wir bald Hilfe erhalten. Wir haben die Anweisungen erhalten, die Shivas aufzuwecken. Ich weiss nicht, ob das bei allen gut kommt, schliesslich sind noch nicht alle bereit dafür. Bitte mach dir keine Sorgen, es kommt alles gut. Ich liebe dich. 3. April 07:50: Schatz, du fehlst mir. Die Angreifer sind bald im Anlagenkern. Hilfe kommt nicht. Es sind zu viele. Jemand hat unseren Standort verraten. Sie werden da sein, bevor die ersten Shivas erwacht sind. Es ist vorbei. Das ganze Projekt war umsonst. Ich weine, doch habe ich Angst von jemandem

gesehen zu werden, obwohl sowieso für mich bald alles vorbei sein wird. Man hat uns aufgefordert sich irgendwo zu verstecken. Man kann sich hier nirgends verstecken. Ich kümmere mich lieber noch bis zum Schluss um die Türverriegelungen von den Schlafenden, damit man sie nicht so einfach erreichen kann. Von aussen geht es besser. Vielleicht haben sie ja doch eine Chance. Es tut mir Leid, dass es so enden musste, Rika. Ich liebe dich. Ich wünschte, ich wäre jetzt bei dir. Der Bildschirm erlosch. Der Akku war leer. Hatte sich dieser Mann geopfert, damit Alex leben konnte? Wenn er doch

wenigstens den Namen des Mannes wüsste. Aber wer war ‚der Feind’, ‚sie’? Maschinen? Man sprach aber nicht von Soldaten, wenn man die Maschinen meinte. War mit ‚Shivas’ unter anderem er selbst gemeint? Vom Namen her würde das zumindest passen; Shiva, die mehrarmige Gottheit der Hindu. Alex durfte nicht mehr tatenlos herumstehen. Er wollte mehr erfahren. Wahrscheinlich waren ‚sie’ noch immer in der Anlage und scharf darauf, ihn tot zu sehen. Alex entschied sich für eine Richtung und begann sich langsam und leise einer Wand entlang zu bewegen. Seine neuen Gliedmassen hatte er unterdessen gut unter Kontrolle. Für

kurze Zeit hatte er sogar vergessen, dass er eigentlich mit nur zwei Armen auf die Welt gekommen war. Sein Gehirn begann sich an die neue Situation anzupassen. Nach wenigen Schritten hielt er vor einer weiteren Leiche an. Einer mit vier Armen. Auch dieser Mann war so schlimm zugerichtet wie der erste. Als er weiter schlich, entdeckte er mehrere Stahltüren, die allesamt geöffnet oder aufgesprengt waren. In den Räumen dahinter befanden sich entweder Labors oder bereits bekannte Glasgefässe. Die Gefässe waren teilweise zerschlagen und die sich darin befindenden Menschen getötet worden. Dieser Ort war ein einziges

Schlachthaus. Hatte Alex wieder Glück gehabt und war er nun der einzige Überlebende? Wieso er? Doch dann entdeckte er einige wenige Gefässe, die wie im Fall von Alex richtig geöffnet und leer waren. Hatten sich andere befreien können? Gut möglich. Vielleicht suchten auch sie in diesem Moment nach Antworten. Im Gang entdeckte Alex weitere tote Personen, darunter auch solche in ungewöhnlichen, blauen Uniformen. Wahrscheinlich waren es Soldaten. Doch wie gut Alex auch suchte, er fand keine Waffen. Wer war der Feind? Er hatte weder zerstörte Maschinen noch Infizierte finden

können. Ein Geräusch, ein fremdartiges Rascheln, drang aus dem Gang. Alex blickte nach vorne und erkannte etwas Ovales, Fleischiges am Boden. Das Ding war so gross, wie eine Katze. Es hatte Alex entdeckt und drehte sich ruckartig, wie eine Spinne, in seine Richtung. Drei schwarze, in einer Reihe angeordnete Blasen starrten ihn an. Die Kreatur besass vier fleischige Beine mit kugeligen Gelenken und spreizte sie wie ein Käfer in alle Richtungen. Dann spannte sie ihren verlängerten Hinterleib an und sprang ganz unerwartet Alex entgegen. Alex staunte über seine Geschwindigkeit, als er mit einer Hand

die Kreatur im Fluge packte und gegen die Wand schlug. Sie zerplatzte wie ein Wasserballon. Dunkle Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen. Doch damit war der Angriff nicht vorbei. Alex hörte wieder ein Rascheln hinter sich und konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken, um einer weiteren Kreatur auszuweichen. Er packte sie, als sie an ihm vorbeiflog und schleuderte sie gegen den Boden, wo das weiche Ding wie ein fauler Apfel verspritzte. Schon krochen die nächsten zwei Kreaturen unter einer Leiche hervor und versuchten ihr Glück. Auch sie traf das gleiche Schicksal, als Alex, alle Arme benutzend, gegen sie

schlug. Dann wurde es ruhig. Er stand noch eine Weile kampfbereit da und starrte angespannt in die Gänge. Der Adrenalinausstoss, den er beim Angriff gespürt hatte war extrem gewesen. Noch nie zuvor hatte er so etwas gefühlt. Konnte er deshalb plötzlich so schnell reagieren? Keine neuen Kreaturen sprangen ihm entgegen. Entweder waren keine mehr in der Nähe, oder sie versteckten sich nachdem sie gesehen hatten, was mit ihren Freunden passiert war. Alex nahm sich Zeit, um seine toten Angreifer zu untersuchen. Zumindest das, was von ihnen noch übrig geblieben

war. Die fremdartigen Wesen hatte eine lederne Haut. Sie besassen einen langen Schwanz, der sich unter den Körper einklappen liess. Wahrscheinlich konnten die Dinger so weit und so schnell springen, indem sie den Schwanz als eine Art Sprungfeder benutzten. Das Ende des Schwanzes bildete ein kompliziert geformter Stachel mit einer Art Klemme. Die vier von vorne sichtbaren Beine waren nicht die einzigen. Es gab Beine am gesamten Hinterleib entlang, nur waren sie extrem kurz und womöglich nicht zum Laufen geeignet. Die vier vorderen hatten wie bei Tierläuse Widerhaken an den Füssen. Die Kreatur war eine fremdartige Mischung aus Laus,

Skorpion, Tausendfüssler und einer Fleischmasse, wie man sie auf Märkten kaufen konnte. Der reine Anblick dieses Tieres – Tieres? – liess es bei ihm kalt den Rücken runterlaufen. Was war dieses Ding? Eine neuartige Waffe der Maschinen? Ein mutiertes Tier? Oder ein ausserirdisches Lebewesen? Beim letzten Gedanken schüttelte Alex ungläubig den Kopf. Alex bewegte sich vorsichtig weiter. Das vor ihm liegende Bild änderte sich nicht; verstümmelte Leichen, aufgesprengte Türen, zerschlagene Glasgefässe. Dann bemerkte er ein Schild, welches zeigte, dass sich in der Nähe ein Lift befand. Also war das ein mehrstöckiges Gebäude.

Da es nirgends Fenster gab, nahm er an, dass er sich momentan unter der Erde aufhielt. Beim Lift würde er sich orientieren können. Vielleicht gab es dort ja einen Gebäudeplan, dachte Alex. Er erreichte den Lift ohne Zwischenfälle, doch dort wartete eine neue Überraschung auf ihn. Direkt vor den Lifttüren stand eine menschenähnliche Gestalt. Sie war um einen Kopf kleiner, als Aleksej und trug eine dunkle, glatte Rüstung. Nicht bedeckte Partien zeigten eine schuppenartige Haut mit dicken Haarborsten. Hinten befand sich ein gebogener, kurzer Doppelschwanz. Das Wesen trug eine Art Gesichtsmaske, welche die untere Hälfte seines

Gesichtes abdeckte. Auf der unbedeckten oberen Hälfte befanden sich grosse, runde Augen. In seinen beiden überlangen Armen hielt es einen Stock, welcher an mehreren Stellen Verdickungen aufwies. Eine Waffe? Die Kreatur schien hier Wache zu schieben und wurde von Alex vollkommen überrascht. Als sie ihn erblickte, quietschte sie erschrocken – oder verärgert? – und richtete eine Seite ihres Stockes gegen Alex. Ihre zahlreichen, buckligen Finger schlossen sich fest darum. Alex wusste nicht wie die Waffe wirkte. Vorsorglich rollte er blitzschnell zur Seite und entkam so wohl dem Tod. Der Stock gab ein

brummendes Geräusch vor sich und Alex konnte hören, wie der Beton der Wand an der Stelle, wo er gerade gestanden hatte, mit einem Knall gespalten wurde. Das genügte ihm, um die Gesinnung des Wesens zu verstehen. Nach vollendeter Rolle sprang Alex hoch und gab zwei sauber gezielte Schüsse aus dem Revolver auf den ungeschützten Kopf des Gegners ab, noch bevor dieser wieder seinen Stock auf ihn richten konnte. Es spritzte an die Wand und die Kreatur fiel wie ein Sack zu Boden. Voller Adrenalin huschte Alex zu einer Wand und überprüfte die Umgebung nach weiteren Gegnern, doch es war niemand mehr da. Ungläubig betrachtete Alex sein Opfer.

Ausser der Gestalt, war am Wesen nichts Menschliches. Ein Mutant? Er bückte sich und riss ihm die Maske vom Gesicht weg. Sie war an einem dünnen Schlauch mit dem Anzug der Kreatur verbunden. Könnte ein Beatmungssystem sein, dachte Alex. Unter der Maske kam etwas hervor, das an eine Mundöffnung erinnerte. Sie war von allen Seiten von kurzen und haarigen Tentakeln umgeben. Das Geschöpf war eindeutig nicht menschlich. Was war das für eine Waffe? Alex nahm den Stab in die Hände. Er war leicht und aus irgendeinem Metall. Die Spitze, die das Wesen gegen ihn gerichtet hatte sah aus, wie die Brause einer Giesskanne. Alex

betrachtete ehrfürchtig die Einschussspuren an der Wand. Die getroffene Stelle sah aus, als hätte dort eine riesige gepanzerte Faust eingeschlagen. Es hatte sich ein tiefes Loch gebildet von welchem mehrere Spalten in alle Richtungen weg verliefen. Womit hatte der Stab geschossen? Und wie? So viel Alex auch rumprobierte, am Stab herumdrückte und drehte, es passierte nichts. Früher oder später würde er es herausbekommen, dachte er. Bis dahin entschied er sich den Stock als einfache Schlagwaffe zu benutzen. Alex ging zu den Lifttüren und fand tatsächlich einen Plan. So wie es aussah befand er sich gerade im tiefsten

Stockwerk. Es war mit ‚-3: Bruträume’ angeschrieben. Man hatte ihn hier also ‚ausgebrütet’. ‚-2: Anlagenleitung, Personalräume’, ‚-1: Kommunikation, Informatik’. Er müsste beide Stöcke absuchen. Vielleicht lebte ja noch jemand. Mit jemand meinte er nicht herum springende Fleischpakete oder haarige, doppelschwänzige, grossäugige... Aliens? Alex hätte bei diesem Gedanken am liebsten gelacht, wäre seine Lage nicht so ernst gewesen. Er fand ein Treppenhaus – die Lifte gingen nicht – und machte sich auf den Weg nach oben, wo er neue Antworten zu finden hoffte und wo wahrscheinlich neue Gefahren auf ihn warteten.

2. Die Entdeckung des Selbst

 

Shiva-Projekt: Projekt wird geleitet durch eine Sonderkommission der Advance Corporation (AC). Vorgegangen wird nach dem vor dem Maschinenkrieg entwickelten Verfahren zur Optimierung des menschlichen Körpers. Ein entferntes Echo aus dem Gang zwang Alex vom Bildschirm des Tischcomputers aufzuschauen und auf die geschlossene Türe zu schauen. Doch es blieb ruhig. Alex hatte beide Stockwerke über der Etage mit den Bruträumen untersucht. Er musste sich zwar einige fleischige

Riesenspringschwänze aus dem Weg räumen, doch es hatte sich gelohnt. Er hatte etwas Essbares gefunden und seinen erwachenden Hunger gestillt. Er hatte bei einem toten Wächter passende Schuhe finden können. Es waren gute Schuhe. Ideal zum Rennen und gut für Märsche. Wer wusste schon, wie lange er hier noch herumirren musste. Dann war er auch auf diesen Informatikraum gestossen. Einer der Computer hatte noch genügend Energie und nachdem er Aleksejs DNA verifiziert hatte, gewährte er ihm freien Zugriff auf gewisse Informationen. Alex hatte sofort begonnen gierig nach Antworten zu

suchen. Er warf einen letzten Kontrollblick über das schwach erleuchtete Zimmer und widmete sich wieder dem auf dem Bildschirm leuchtenden Text. Teilnehmer sind Freiwillige, die sich für AC-Projekte gemeldet hatten. Hatte sich Alex tatsächlich freiwillig gemeldet? Er konnte sich nicht daran erinnern. Er wusste aber noch, dass er einmal irgendwelche Papiere unterzeichnet hatte, ohne sich zu interessieren, worum es ging. Er wollte schliesslich nur kämpfen. So war er auch in der Herakles-Truppe gelandet. Hatte

es sich damals auch um das sogenannte Shiva-Projekt gehandelt? Das Projekt wird in sechs Anlagen an verschiedenen Orten der Welt durchgeführt und unterliegt strengster Geheimhaltung. Das Shiva-Projekt dient zur Produktion von Soldaten mit verbesserter Kampfleistung, um die Maschinen und die neu aufgetauchte Bedrohung, die Ausserirdischen, effektiver bekämpfen zu können. Erstaunt las Alex den letzten Satz noch einmal. Ausserirdische? Also doch Ausserirdische! Was hatte er alles

verpasst? Shiva-Soldaten verfügen über künstlich verstärkte und effizienter arbeitende Muskulatur (glatte und quergestreifte), welche sie ausdauernder und stärker macht. Biomanipulationen des Gehirns, der Augen und Ohren wurden vorgenommen, um die mentale Leistung und die Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Empfindlichkeit gegenüber äusseren Reizen zu verstärken. Unter anderem wurde die Sehfähigkeit in der Nacht verbessert. Andere Hirnmanipulationen ermöglichen dem Soldaten eine verstärkte und begrenzt steuerbare Hormonproduktion (vor allem

Adrenalin), sowie vermindern das Schmerzempfinden. Ein Sensor für magnetische und elektromagnetische Felder wurde in der oberen Kopfhälfte angebracht, und erlaubt dem Soldaten Maschinen und Könige zu fühlen und das Erdmagnetfeld zur Orientierung zu nutzen. Gelenke und gefährdete Knochenbereiche wurden verstärkt, um den Soldaten robuster gegen physikalische Einflüsse (zum Beispiel Stürze) zu machen und ihm so grössere Beweglichkeit im Gelände zu ermöglichen. Alex fluchte laut. Kaum zu glauben, wo die Wissenschaftler überall an ihm

geschraubt hatten. Hirn, Knochen, Muskeln, Gelenke! Wie oft hatte man ihn in diesen Jahren auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt? Man hätte Dutzende Eingriffe machen müssen, um aus seinem wertlosen Skelett und seinem Fleisch eine Waffe zu bauen. Doch so genau Alex auch schaute, er konnte keine Narben erkennen. Wahrscheinlich wurden Laser benutzt, um Narben von seiner Haut zu entfernen. Was hatte man danach mit ihm gemacht? Chemotherapien? Möglich wäre es; für weitere Veränderungen im Körper oder einfach dazu, damit sein zusammengeflickter Körper nicht wie ein Kartenhaus

zusammenfiel. Was zur Hölle war mit ‚Königen’ gemeint? Stärker verhornte Haut, vor allem an stärker belastenden Stellen vermindert die Verletzungsgefahr. Des Weiteren haben Shiva-Soldaten zwei zusätzliche Arme (von externen Spendern). Externe Spender? Alex hatte daran gar nicht gedacht. Er betrachtete seine neuen Arme. Sie glichen doch seinen eigenen! Oder... Nein, die Mittelfinger der neuen schauten nicht so weit nach vorne. Die makabre Vorstellung, Körperteile von fremden Leuten an sich zu haben löste

bei Alex Schwindel aus. Wer war der Mann, der seine eigenen Arme verschenkt hatte? Ein gefallener Soldat? Vielleicht sogar einer, der an Aleksejs Seite gekämpft hatte? Alex fasste sich wieder. Mit seiner körperlichen Situation musste er sich vorläufig abfinden. Die zusätzlichen Arme bieten neue taktische Möglichkeiten. Sie ermöglichen das gleichzeitige Tragen und abfeuern mehrere Waffen, sowie den Transport mehrerer Gegenstände. Sie verbessern die Beweglichkeit im Gelände (unter anderem Klettern) und eröffnen neue Möglichkeiten im Nahkampf. Nicht zu vergessen ist der psychologische Aspekt

gegenüber Ausserirdischen. Alex las weiter. Immer mehr Details tauchten auf. Unbekannte biologischen und chemischen Fachbegriffe und unverständliche Skizzen machten den Text schwer verständlich. Lange würde er sich damit nicht auseinandersetzen können, denn auch hier war sein Feind der niedrige Ladestand der Notbatterie. Der Computer hatte sich im Schlafmodus befunden, in dem beinahe kein Strom verschwendet wurde und jetzt, wo er sie gestartet hatte, wurde die Energie förmlich weggefressen. Alex schloss schliesslich das Dokument und suchte nach anderen. Er musste mehr

über die Ausserirdischen erfahren. Er musste wissen, wie er sie zu bekämpfen hatte, wenn überhaupt. Alex fand ein Paar passende Dokumente, doch bevor er sie öffnete bemerkte er ein anderes, eines, dass in seiner Lage wichtiger war. Es ging um einen Treffpunkt für Notfallsituationen. Alex öffnete das Dokument und betrachtete die dargestellte Karte. Der Treffpunkt war anscheinend ein kleiner Bunker, einige Kilometer von der Anlage entfernt. Dort konnte man sich bei ausserordentlichen Situationen mit dem Nötigsten versorgen. Das war gerade das, was Alex jetzt brauchte. Er versuchte sich die Karte zu

merken. Die Ausserirdischen waren bald vergessen und Alex stöbern in den Dateien nach weiteren Karten. Bald darauf fand er Lagepläne der übrigen fünf Shiva-Anlagen. Ziemlich heikle Informationen, dachte er. Schliesslich waren die Daten nicht verschlüsselt. Warum wurden die Datenträger nicht zerstört? Jeder, der nur ein kleines Bisschen Ahnung über Computer hatte, hätte sich die Dokumente ansehen können. Er brauchte bloss die Hand eines Mitarbeiters in den Leser zu halten. Alex überlegte, ob es tatsächlich möglich wäre, mit einem Körperteil eines Toten Zugang zu erhalten. Las das Gerät nur

die DNA oder noch etwas anderes? Er entschied sich, das sogleich zu überprüfen. Denn hätte sich ein Feind die Dateien angesehen, würde er auch wissen, wo der Nottreffpunkt war. Damit wäre der kleine Bunker inzwischen auch kein sicherer Ort mehr. Alex, loggte sich aus, hob den Körper eines toten Mannes hoch und legte die kalte, noch starre Hand in das Lesegerät. Doch er erfuhr nicht das Resultat, denn der Computer verabschiedete sich mit einem leisen Klicken, als auch die letzten Akkureserven aufgebraucht wurden. Alex fluchte, unterliess aber einen weiteren Versuch bei einem anderen Computer. Den Notbunker

aufsuchen war seine einize Wahl. Ob es dort Gegner hatte oder nicht, würde er früh genug heruasfinden, sagte er sich. Bevor Alex den Raum verliess, zerschlug er – teils aus Verantwortungsbewusstsein, teil aus Wut auf seine Situation – alle darin befindenden Computer mit seinen Händen. Es stimmte, das Schmerzempfinden war schwächer. Zumindest spürte Alex beinahe nicht, wie seine Fäuste die Hartplastikgehäuse der Rechner durchbrachen und die inneren Teile zu Brei verdrückten. Auch die Haut hielt. Er hatte Risse und blutige Kratzer erwartet, fand aber bloss weisse

Striche. Als er die Türe des Computerraumes hinter sich schloss, hörte er ein raschelndes Geräusch. Aleksejs Alarmglocken läuteten und er machte sich bereit einen weiteren Springschwanz abzuwehren. Stattdessen erblickte er im Gang eine menschliche Gestalt, die sich langsam vom Boden erhob. Es war ein Mann. Er trug einen weissen Labormantel und hatte ein vor Schmerz verzerrtes Gesicht. Eingetrocknete Blutgerinnsel verliefen von oben nach unten über Backen und Schläfen. Zuoberst auf dem Kopf sass einer der fleischigen Kleinausserirdischen. Das insektenartige Wesen krallte sich mit den

gelenkigen Beinen am Kopf seines Opfers fest und hatte seinen langen Schwanz nach hinten gekrümmt. Seine Spitze steckte tief im Halsansatz des Mannes. Der Mann öffnete die zusammengepressten Augen und wendete sich mit einem trockenen stöhnen Aleksej zu. Er begann sich langsam aber beschleunigend auf Alex zu bewegen und hatte sichtlich Mühe gerade zu gehen. Irgendwie erinnerte es Alex an die Infizierten, die ‚lebenden Toten’. Nur war es wahrscheinlich kein Infizierter. Womöglich war der Riesenspringschwanz auf seinem Kopf für sein komisches Verhalten verantwortlich. Der Mann

streckte seine Arme nach vorne. Erst jetzt erkannte Alex, dass der Wissenschaftler eine Pistole in der Hand hielt. Sichtlich bemühte er sich, die Hand gerade zu halten, was ihm aber kaum gelang. "Nicht schiessen!", rief Alex und hob demonstrierend die Hände. "Nicht schiessen, ich bin ein Mensch!" Der Mann reagierte nicht und kam immer näher. Alex spannte seine Muskeln an. Er rief noch einmal: "Nicht schie..." Der Mann schoss. Glücklicherweise konnte er mit der zitternden Hand schlecht zielen und die Kugel ging meterweit daneben. Dennoch ging Alex in die Knie und schoss mit dem Revolver

dem Mann in den Bauch. Dieser heulte Blut spuckend auf, blieb aber nicht stehen und drückte noch einmal ab. Diesmal sauste die Kugel so nah an Alex vorbei, dass er sie hören konnte. Er wartete nicht lange und schoss noch einmal auf den Wissenschaftler. Diesmal zielte er aber auf den kleinen Ausserirdischen auf dessen Kopf. Der Mann schwankte und fiel rückwärts auf den Boden. Alex näherte sich ihm und stiess mit dem Fuss seine Waffe weg. Er betrachtete den getöteten Wissenschaftler. Die letzte Kugel hatte den Ausserirdischen auf seinem Kopf UND seinen Kopf zerfetzt. Was tat dieses Ding da? Frass es den

Mann durch seinen Schwanz auf? Oder hatte ihn die Kreatur kontrolliert? Alex riss seinen Blick mit Mühe von der Leiche weg und hob die Pistole auf. Es war lange her, dass er eine konventionelle Pistole gesehen hatte. Schliesslich waren sie zu wenig effektiv im Krieg gegen Maschinen und vor einigen Jahren kaum im Umlauf. Es war keine alte Pistole. Sie sah frisch fabriziert aus, war aus Stahl, aber dennoch sehr leicht und hatte einen langen Lauf. Der Griff lag bequem in der Hand. Durch die offene Auswurfsöffnung im Verschluss konnte Alex erkennen, dass das Magazin leer war. Er durchsuchte die Taschen des toten

Mannes, konnte aber nichts Brauchbares finden. Warum war diese Waffe hier, während alle anderen Waffen wie vom Erdboden verschluckt waren? Hatte jemand sie alle eingesammelt? Und diese eine hier gelassen, damit sie von der vom Ausserirdischen kontrollierten Person genutzt werden konnte? Alex bekam ein mulmiges Gefühl. Insektenartige Fleischklumpen, haarige Ausserirdische und eine neue Art von Zombies; irgendwie wurde es langsam zu viel. Er musste aus der Anlage verschwinden und zwar so schnell wie möglich. Er liess die leere Pistole fallen und ging zum Treppenhaus. Als er auf dem Weg

nach oben zum Stockwerk ‚0: Wachquartiere, Anlagenausgang’ war, ertönte ein Alarm; eine schwache Sirene mit tiefem Ton. Einige Lampen der Notbeleuchtung begannen zu blinken. Alex war sich sicher, dass nicht er den Alarm ausgelöst hatte. Was auch immer dieser zu bedeuten hatte, er war ein weiterer Grund so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Er überwand die Treppe in wenigen langen Schritten und spähte vorsichtig durch die Türe auf die nullte Etage. Die Treppe ging weiter nach oben, doch er hatte keine Zeit diese Stockwerke jetzt noch zu überprüfen. Im Gang lagen überall tote Wächter herum. Ihre Waffen

fehlten auch hier. Ausserirdische konnte Alex nicht erkennen und ging im raschen Tempo heraus. Er folgte den Wegweisern zum Ausgang. Schliesslich kam er in einer grossen Eingangshalle an. Hier gab es einen regelrechten Leichenteppich. Alex musste sich Mühe geben, um nicht auf Tote zu treten. Der Weg nach draussen war frei. Sonnenstrahlen drangen durch zwei massive Torflügel, welche sichtlich mit Gewalt aufgebracht worden waren, herein und hüllten den Eingangsbereich in fades Licht. Es war Morgen, oder bereits Abend, genau konnte Alex das nicht sagen. Zusätzlich gab es Nebel, der sich wie ein lebendiges Wesen zu bewegen

schien. Es war angenehm kühl. Alex schlich der Wand entlang nach draussen. Die Tore passierend, sah er, dass ganze Teile davon fehlten, so als ob sie jemand herausgebissen hätte. Draussen bog Alex sofort nach rechts ab, um sich im nahe gelegenen Gebüsch zu verstecken. Er kroch leise hinter einen ihm unbekannten Busch und blickte angespannt durch den Nebel auf den Anlagenausgang. Die Anlage war in einem grossen Felsen versteckt. Die Überreste der äusseren Tore wiesen ebenfalls eine tarnende Steintextur auf. Im geschlossenen Zustand wäre die Anlage von aussen beinahe unsichtbar. Alex liess seinen Blick über die

Landschaft streifen. Soweit er es sehen konnte war sie karg, steinig. Gruppen aus Büschen und Gräsern und vereinzelte niedrige Bäume war das einzige sichtbare Leben weit und breit. Wo befand sich dieser Ort? In einer Wüste? Die Eile, die Anlage zu verlassen, hatte sich gelohnt. Schon bald schwebte etwas Grosses mit brummendem Ton hoch über den Felsen hinweg. Durch den Nebel war nur eine ovalförmige Form zu erkennen. Das fliegende Objekt landete in einiger Entfernung. Wenige Augenblicke später erblickte Alex Gruppen von Ausserirdischen, die in einer Doppelkolonne zur Anlage liefen. Die zwanzig Kreaturen sahen alle gleich aus

wie das Wesen, welches Alex beim Lift getötet hatte. Nur war bei ihnen der Kopf vollständig von einem Helm bedeckt. Hinter ihnen folgten tief brummend zwei eigenartige Maschinen. Sie hatten einen ovalförmigen Umriss und einen abgerundeten Rumpf. Mehrere Röhren waren an einem zylindrischen Turm befestigt. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Art Panzer. Das Erstaunliche an ihnen war, dass sie nicht fuhren, sie schwebten. Irgendwie bewegten sich diese Dinger in fast einem Meter Höhe über dem Boden. Den Panzern folgte eine weitere Gruppe Ausserirdischer. Mit Ekel betrachtete Alex, wie nach der

zweiten Gruppe ausserirdische Springschwänze in Massen über dem Boden krochen, schmatzende Geräusche von sich gebend. Es waren Dutzende dieser Fleischklumpen. Nach dem die vordersten Soldaten in der Anlage verschwunden waren, stationierten sich die restlichen Einheiten und die Maschinen vor dem Eingang. Die Springschwänze krochen an ihnen vorbei ebenfalls in die Anlage hinein. Alex entschied sich zu verschwinden. Es waren zu viele Gegner und er hatte ausser seinem fast leer geschossenen Revolver und der unbenutzbaren Stabwaffe nichts Kampffähiges mehr bei sich. Natürlich, sein Körper war nun

selbst eine Waffe, doch Alex kannte die Grenzen seiner Kampffähigkeit nicht. Er wollte sie nicht gerade jetzt und hier herausfinden. So leise wie er nur konnte, schlich Alex rückwärts in dichteres Gebüsch. Er versuchte sich zu orientieren. Den Kartenausschnitt mit dem Notbunker hatte er sich gut merken können, nun musste er die markanten Punkte auf der Karte auch in der Realität wiederfinden. Bald musste er aber merken, dass er sich zu viel vorgenommen hatte. Der dichte Nebel verhinderte die Sicht. Ärgerlich, dass er keinen Kompass hatte, dachte Alex. Dann fiel ihm aber ein, dass er von einem Sensor in seinem Schädel

gelesen hatte, der für die Wahrnehmung magnetischer Felder gedacht war. Aber, wie konnte er ihn benutzen? Kaum hatte Alex daran gedacht, breitete sich in seinem Kopf ein fremdes Gefühl aus. So als wäre in seinen Gedanken ein Glas Wasser verschüttet worden. Ihm wurde schwindlig. Plötzlich packte ihn ein unbeschreibliches Gefühl. Nein... es war kein Gefühl, es war wie das Sehen, das Hören, das Riechen! Es war ein Sinn; sein sechster Sinn. Er fühlte das Erdmagnetfeld. Es war wunderschön und verängstigend zugleich. Er kam sich wie ein Blinder vor, der durch ein Wunder wieder die Fähigkeit erlangt hatte, zu sehen. Er

setzte sich kurz hin, um seinem heulenden und aufblühenden Verstand eine Pause zu geben. Gleichzeitig musste er daran denken, dass er genau wie bei den Armen erst an seine neue Fähigkeit denken musste, um sie zu aktivieren. Was steckte noch in seinem Körper? Was würde sich ihm als nächstes offenbaren? Alles zu seiner Zeit, dachte er. Alex erhob sich, drehte den Kopf hin und her. Er konnte das Erdmagnetfeld fühlen. Es fühlte sich so real und fassbar an, als würde das Feld wie ein sanfter Wasserstrom seinen Kopf durchfliessen. Jetzt wo er einen Kompass hatte, war er in der Lage, die Richtung, in der der Bunker lag, zu bestimmen. Er schätzte

die Abweichung von Karten- und Magnetnord und drehte sich dann in die vermutete richtige Richtung. Das sollte momentan ausreichten, dachte er. Hatte er dann einmal seine Distanz zwischen sich und dem Ziel um einige Kilometer vermindert, würde er das Gelände genauer nach markanten Punkten absuchen, um den Bunker endgültig zu finden. Er marschierte los.

3. Kontakt

 

Während dem Marschieren dachte Alex viel nach. Er stellte verrückte Theorien auf, versuchte sich das, was mit ihm in den letzten Jahren passiert war, zu

erklären. Seine Gedanken machten grosse Bögen, überkreuzten und verfingen sich. Die einen Ideen liessen ihn auflachen, andere jagten ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Doch was war die Wahrheit? Der endgültige Untergang der Menschheit? Nach einer scheinbar ewig andauernden Zeitspanne blieb Alex stehen. Der Nebel hatte sich verzogen und eröffnete eine neue Sicht auf die karge, monotone Landschaft. Jetzt musste sich Alex zugestehen, dass er keine Ahnung hatte, wo er war. Hier und da waren Felsen, die sicherlich auf der Karte verzeichnet waren. Felsen, mit einzigartigen Formen. Doch Alex erinnerte sich nicht mehr so

genau. Wie hatte er sich die Suche bloss vorgestellt? Er hat sich total überschätzt! Wo war er? Wie weit weg von seinem Ziel? Sollte er weiterlaufen? Wie gross war die Wahrscheinlichkeit, auf den Bunker zu treffen, der von aussen wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise sichtbar war? Alex gab sich einen Anstoss und kletterte auf einen nahegelegenen Felsen. Mit vier Armen ging es erstaunlich gut. Die Aussicht, die sich vor ihm entfaltete war nicht sehr motivierend. Es sah alles gleich aus, so weit das Auge reichte; Felsen, Felsen und nochmals Felsen. Plötzlich erkannte er ein Objekt. Es war zu weit entfernt, um zu erkennen was es

war. Jedenfalls sah es einem Fels nicht ähnlich. Grund genug sich das Ding aus der Nähe anzusehen, dachte Alex und kletterte wieder nach unten. Er machte sich sofort auf den Weg und begann zu rennen. Er lief um mehrere Gesteinsbrocken und Felsformationen herum, um an das Objekt zu gelangen. Als er da war und es vorsichtig aus der Deckung betrachtete, fühlte er sich hintergangen. Vor ihm lag ein ausgebranntes, verrostetes Wrack eines Flugroboters; die verbeulte Aussenhülle eines Orcas. Alex lachte laut auf. Er stellte sich vor, wie er jetzt von aussen wohl aussah. Er lief wie ein naives Kind zu diesem Ort

mit der Hoffnung hier einen Schatz zu finden. Dann versteckte er sich wichtigtuend und beobachtete aus sicherer Distanz ein vollkommen wertloses, hier zufällig liegendes Wrack. Er wurde wütend. Der ganze Weg umsonst! Er würde diese verdammte Wüste nie verlassen können! Er hätte sich lieber auf die Ausserirdischen geworfen und so viele er konnte mit blossen Händen zu Brei geschlagen, um dann ehrenhaft wie ein Held zu sterben. War es nicht das, was er schon lange vor gehabt hatte? Er hatte gar nicht gemerkt, wie er in Gedanken versunken sich dem Wrack genähert hatte. Dieses sah wirklich

schlimm zugerichtet aus. Dicke, hässliche Rostschichten deuteten darauf hin, dass es schon seit langer Zeit da lag. Wütend schlug Alex mit der Faust gegen eine Wand. Das Metall knirschte und schob sich an einer Stelle nach Innen. Alex erkannte, dass das Stück an Scharnieren angebracht war. Scharniere? Eine Tür? Er war sich nicht sicher, was ihn mehr überraschte. Dass er tatsächlich kurz daran gedacht hatte, dass die Maschinen in sich selber Türen einbauten, oder dass er trotz aller Unwahrscheinlichkeit endlich den Notbunker gefunden hatte. Im Boden des ausgehöhlten Inneren der Maschine befand sich eine Luke. Das

Roboterwrack war bloss eine Tarnung und doch etwas leicht Auffindbares. Alex zog am Deckel. Es war nicht abgeschlossen. Wozu auch, dachte Alex, wenn die Maschinen oder die Ausserirdischen den Eingang gefunden hätten, hätten sie wahrscheinlich problemlos ins Innere des Bunkers gelangen können. Was könnte ein noch so modernes DNA-Schloss gegen einen bohrenden Roboter oder irgendwelche unbekannten und übermächtigen Bomben ausrichten? Ein schmaler Schacht führte nach unten. Schmal genug, damit ein Mensch gerade hineinpasste. Alex überlegte nicht lange und kletterte hinein. Er hatte absolut

niemanden im Inneren erwartet und war vollkommen überrascht, als sich ihm aus der Dunkelheit zwei menschliche Arme entgegenstreckten. Schnell reagierend, stiess er – noch immer auf der Leiter hängend – mit einem Fuss in die Schwärze unter sich. Ein Grunzen ertönte und gefolgt von einem dumpfen Schlag. Alex sprang nach unten und blickte um sich. Seine Augen passten sich sofort an die Dunkelheit an und er erkannte eine menschliche Gestalt vor sich. Es war ein Infizierter. Ein ‚normaler’ Zombie, so wie sie Alex gut kannte; eingetrocknete Wunden am ganzen Körper, eingesunkene Augen, haariger Pilzbelag auf der Haut. Wie war er hierhergekommen? Der

Infizierte schob sich ruckartig in die Höhe und stürmte auf Alex los. Dieser holte zum Schlag aus, zögerte aber. "Was soll's", sagte Alex zu sich selbst und hob den Revolver. Es knallte ohrenbetäubend und der Kopf der Kreatur zerplatzte mit einem ekligen Geräusch. Es war besser ihn so zu töten. Er hätte ihn ansonsten zu Tode schlagen müssen und riskierte so eine Verletzung. Ausserdem, was konnte er schon mit dieser einen Kugel noch anfangen? Alex vergewisserte sich, dass er jetzt alleine im Raum war und betrachtete den getöteten Infizierten. Es gab die Krankheit also immer noch. Dabei hatte er schon gehofft, dass es endlich vorbei

war, wenigstens mit diesem einen Albtraum. Er fand einen Drehschalter an der Wand und betätigte ihn. Eine batteriebetriebene schwache Lampe leuchtete auf. Der ganze Notbunker bestand aus einem einzigen, relativ schmalen Raum. Den Wänden entlang erstreckten sich Regale mit verschiedensten Gegenständen. In einer Ecke standen sogar ein doppelstöckiges Bett und ein fast lächerlich winziger Tisch. Die ersten Regale, die Alex aufsuchte waren diejenigen mit Lebensmitteln. Er öffnete mehrere Konserven und vakuumiertes Brot, setzte sich aufs Bett und ass. Es kam ihm vor, als hätte er noch nie so

etwas Gutes gegessen. Es lag wahrscheinlich mehr an seinem Hunger, als an der Qualität der Nahrungsmittel, obwohl sich Alex zugestehen musste, dass der Inhalt der Konserven ihn an irgendein Gericht aus seiner Jugend erinnerte. Alex legte sich hin und platzierte seine Füsse etwas erhöht auf einem Regal. Er war nach dem langen Marsch eigentlich gar nicht richtig müde, dennoch breitete sich ein angenehmes, bedankendes Gefühl in seinen Beinen aus, als er sie ausstreckte. Alex legte sich die oberen Arme unter den Kopf, die anderen beiden auf den Bauch. Von aussen musste das jetzt seltsam aussehen. Er hatte sich aber

bereits daran gewöhnt. Hatten die Wissenschaftler dafür gesorgt, dass er sich nicht viel Gedanken über seine Modifikationen machte? Überhaupt, was hatten sie alles an seinem Bewusstsein geändert? Alex erhob sich wieder, als könnte er so besser nachdenken. Was, wenn er jetzt nur noch eine Maschine war, die durch Instinkte und Pflichtbewusstsein gesteuert wurde? Vielleicht war jetzt sein freier Wille verschwunden, vielleicht wurde er so einprogrammiert, den Notbunker zu finden. "Quatsch!", sagte Alex laut und liess sich wieder auf das Bett fallen. Er hatte selber entschieden, was er zu tun hatte,

und hatte den Bunker durch Zufall gefunden. Er starrte hinauf zur Decke. Was sollte er jetzt tun? Hier im Bunker mussten irgendwelche Karten sein, die es ihm erlauben würden zu den Menschen vorzustossen. Ausrüstung müsste er auch finden können. Er begann gedanklich seine weitere Vorgehensweise zu planen und merkte nicht, wie er eingeschlafen war. Als er wieder aufwachte, fühlte er sich frisch, ausgeruht. Dennoch bekam er ein schwaches Angstgefühl, so als hätte er etwas verpasst. Er musste handeln und nicht hier faul herumliegen. Wie lange hatte er überhaupt geschlafen? Er ging von Regal zu Regal und nahm,

was er brauchte. Er fand einen Rucksack, füllte ihn mit Nahrungsmitteln, Wasser und Karten. Er öffnete eine der Karten. Der Titel verriet ihm, dass es sich um eine lokale Karte eines Gebietes im ehemaligen Staat Saudi-Arabien handelte. War er in der arabischen Wüste? Tatsächlich erkannte Alex nach längerem Suchen einige Orte, an denen er wahrscheinlich vorbeigegangen war. Er würde sich später überlegen, in welche Richtung er weitergehen würde. Er fand auch einen Waffenschrank mit Pistolen und Überlebensmessern drin. Es gab zehn Waffenständer aber nur noch drei Pistolen. Waren andere vor ihm hier gewesen? Dann hatten es also noch

andere bis hierhin geschafft. Alex blickte unbewusst auf die Leiche des Infizierten, die inzwischen zu stinken begann. Er nahm sich ein Messer und alle Pistolen. Es war unwahrscheinlich, dass nach ihm noch jemand aus der Anlage entkommen konnte. Er hatte keine Überlebende gesehen und die Ausserirdischen waren dazu noch mit einer neuen Einheit ausgerückt. Er fand Helme und Schutzwesten – wobei auch hier einige fehlten – und zog sich sofort eine der Westen an. Dann erst bemerkte er, dass sie nur zwei Öffnungen für Arme hatte. Mit Mühe zog er sie wieder aus und präparierte sie mit dem gefundenen Werkzeug. Das Material war

stabil und nur mühsam zu bearbeiten. Die neuen Öffnungen sahen aus, wie herausgebissen, doch wen interessierte noch das Äussere? Alex suchte weiter und stiess auf Kopfhörer. Zuerst dachte er, es handle sich um geräuschmodifizierende Kopfhörer zum Schiessen, merkte aber, dass es sich auch um Funkgeräte handelte. Sie waren seltsam geformt, mit Antennen an jedem Hörer. Er fühlte plötzlich, wie in ihm Freude aufstieg. Das war seine Chance, Kontakt mit den eigenen Truppen aufzustellen. Alex hatte bald alles beisammen. Auch den Toten müsste er hier entfernen. Die Hoffnung, dass es doch noch jemand

hierher schaffen könnte war in ihm doch nicht ganz erloschen und der Neuankommende sollte nicht von einer faulenden Leiche begrüsst werden. Alex löschte das Licht und kletterte nach oben. Den Leichnam zerrte er mühsam mit durch den engen Schacht und war froh um das zusätzliche Armpaar. Draussen war es Tag. Es kam Alex so vor, als hätte sich seit seiner Ankunft gar nichts verändert. Er hatte also die ganze Nacht durchgeschlafen. Oben angekommen entledigte sich Alex der Leiche. Er versteckte sie in einer Felseinbuchtung, wo sie nur schwer zu erkennen war. Dann ging er zurück und schrieb mit einem roten Stift, den er im

Bunker gefunden hatte, auf den Schachtdeckel: ‚Achtung! Raum mit Pilzsporen kontaminiert! Betreten nur ohne offene Wunden!’ Dann überlegte er kurz und schrieb hinzu: ‚Hier war Lt. Leonidov Aleksej, Shiva-Soldat. Suche eigene Truppen’. Zusätzlich schrieb er das Datum auf. Er wusste nicht, ob es stimmte, doch es war besser als nichts. Er verliess wieder das Roboterwrack und suchte sich eine erhöhte Stelle im Gelände. Er musste testen, ob er mit dem gefundenen Funkgerät jemanden erreichen konnte. Ihm war bewusst, dass er damit riskierte, entdeckt zu werden. Maschinen und vielleicht auch die Ausserirdischen könnten ihn orten. Doch

hatte er eine andere Wahl? Er wusste ja gar nicht, wo er hingehen sollte. Ohne noch länger zu zögern betätigte er den Aktivierungsknopf und zog die Kopfhörer an. Es rauschte. "Hallo, hört mich jemand? Kann mich jemand hören?", Alex wiederholte die Durchsage mehrmals und wartete. Minuten vergingen doch keine Antwort kam. Alex packte die Karte aus, orientierte sich und begann nach Norden zu laufen. Er wollte einfach so schnell wie möglich aus der Wüste raus. Während er marschierte, hörte er nicht auf, seinen Hilferuf zu senden, doch niemand meldete sich zurück. "Verdammt noch mal!", schrie Alex

schliesslich wütend. "Irgendjemand! Kann mich irgendjemand hören?" "Positiv! Kann Sie empfangen! Ich höre Sie!", ertönte es plötzlich aus den Kopfhörern. Internationale Sprache! Alex blieb wie eingegraben stehen. Es war so schön, nach so langer Zeit endlich wieder eine menschliche Stimme zu hören. Dazu noch eine weibliche. "Endlich!", war alles, was Alex herausbekam. "Identifizieren sie sich!", die Stimme war monoton aber angenehm und mit einem befehlenden Unterton versetzt. "Hier...", begann er, hörte aber auf. Woher wusste er, mit wem er

redete? "Identifizieren SIE sich!", warf Alex zurück. "Negativ..." "Abgelehnt!" Stille. Hatte er es übertrieben? War nicht er derjenige in der misslichen Lage? Die Stimme kam wieder: "Ich fordere Sie auf, sich zu identifizieren!" "Hören sie, sagen Sie mir wenigstens ihren Namen!" "Negativ." "Verdammt!", platzte es aus Alex raus. "Wie soll ich denn sicher sein, dass ich mit einem Menschen rede, wenn Sie alles so verdammt formal

machen?" "Ich bin nicht befugt..." "Bitte", unterbrach sie Alex wieder. "Sie müssen verstehen, in welcher Lage ich stecke. Ich bin mitten im Nirgendwo und habe keine Ahnung, wem ich trauen kann... Eigentlich habe ich nicht einmal eine Ahnung, was vor sich geht." Eine Zeit lang blieb es ruhig. "Mann, sind Sie stur", sagte die Frau endlich. "Saiona. Ich heisse Saiona Werter." "Danke", Alex fühlte eine Erleichterung. "Aleksej Leonidov, oder einfach Alex." "Freut mich. Du nimmst Kontakt über einen Notkanal auf. Wie ist deine Lage?" Alex fand den direkten Übergang auf

‚Du’ sympathisch. Er fühlte sich nicht mehr allein, auch wenn er wahrscheinlich noch kilometerweit von den ersten Menschen entfernt war. "Wie sicher ist die Verbindung?", fragte er. "Sehr sicher. Sie würde nicht existieren, wenn sie nicht sicher wäre." "Wie ist das zu verstehen?" "Wir kommunizieren über einen stationären Satelliten. Es ist einer der wenigen, die von den Nemenen noch nicht entdeckt und abgeschossen wurde und zwar nur deshalb, weil wir ihn jedes Mal abstellen, wenn sich ihre Schiffe in der Nähe befinden. Staune also bitte nicht, wenn die Verbindung

unangekündigt unterbricht." "Was sind Nemenen", fragte Alex. "Von welchem Stern bist du denn gefallen?", sie lachte. "Die Ausserirdischen! Man nennt sie Nemenen." "Wieso Nemenen?" "Das ist das erste Wort, das sie sagen, wenn sie miteinander kommunizieren. Naja, nicht genau. Es ist schwierig ihre Sprache mit der unserer auszudrücken", sie wurde ernst. "Hör mal, Alex, es ist nett mit dir zu plaudern, nur müssen wir diese Notleitung wieder bald freigeben. Also, wie ist deine Lage?" Alex las die Koordinaten auf der Karte ab. Sie sagte eine Zeit lang nichts.

Anscheinend überprüfte sie seine Angaben. "Alex?", Saiona klang etwas verwirrt. "Stimmen die Koordinaten?" "Absolut." "Bist du Mitarbeiter des Shiva-Projektes?", fragte sie etwas misstrauisch. "Naja... Eher das vierarmige Versuchskaninchen." "Oh mein Gott! Du bist ein Shiva-Soldat! Wir dachten es seien alle tot! Es kam ein Notruf, dann wurde die Verbindung unterbrochen. Wie viele seid ihr?" "Ich bin allein." Alex schluckte schwer. "Hatte sich nicht noch niemand gemeldet? Ich habe die Vermutung, dass

es noch jemand geschafft hat. Teile der Ausrüstung fehlten im Notbunker." "Nein, wir hatten seit dem Notruf keinen Kontakt mehr." "Das ist seltsam..." "Alex, wie ist deine Identifikationsnummer?" "Identifikationsnummer?", er überlegte. "Die einzige Nummer die mir begegnet ist, ist 20988." "Ich hab's", sie sass wohl tatsächlich vor einem Computer. "Leutnant Leonidov Aleksej Wladimirovich. Ich habe hier dein Dossier." "Ich hoffe, da steht nichts Privates drin." "Nein, keine Angst. Da sind nur projektrelevante

Daten." "Saiona, wie kommst du überhaupt an diese Informationen? Ich dachte das Projekt ist streng geheim?" "Als Fernfunkerin habe ich Zugang zu allen Informationen der Sicherheitsstufe zwei." Alex wusste, dass es sich um die zweithöchste Stufe handelte. „Wie kam ich überhaupt in die Anlage? Was war geschehen? Findest du etwas in meinem Dossier?“ „Mal sehen“, sie schwieg kurz. „Ja, du hattest einen Auftrag, tief im feindlichen Gebiet, als die Ausserirdischen angriffen.“ „Was ist mit meiner Gruppe

geschehen?“ „Deiner Gruppe? Hm… Ein gewisser Sergeant Maletic Daniel hatte dich bis zum erstbesten menschlichen Stützpunkt geschleppt.“ „Was ist jetzt mit Maletic?“ „Ich weiss es nicht, Alex. Aber ich kann das herausfinden, wenn du willst.“ „Schon gut, lass es, das hat Zeit“, Alex dachte daran, dass er sich mit Maletic unbedingt treffen müsste, irgendwann, wenn das Alles vorbei wäre. „Und die anderen? Was ist mit den anderen?“ „Du und Maletic waren als einzige zurückgekehrt." Fabris, Wójcik, Černý. Hatten sie die Flucht überlebt? Oder waren wieder

Leute unter seiner Führung gestorben? „Das muss aber nicht heissen, dass sie es nicht geschafft haben“, Saionas Stimme klang ermutigend. Er schwieg. „Alex, ich will dich nicht hetzen", sagte Saiona bald, "aber ich weiss nicht, wann die Verbindung unterbrochen wird. Wenn du dringende Fragen hast, dann solltest du sie jetzt stellen.“ Sie klang wie eine Lehrerin, die vor einer Prüfung einem schlechten Schüler die letzte Chance gab. „Dringende Fragen?“, Alex lachte, „Ich habe einen Haufen dringender Fragen! Ich weiss so ziemlich gar nichts, was in der Welt passiert! Ich habe die letzten zwei Jahre wortwörtlich

verschlafen!“ „Ok, fang an, ich werde versuchen sie zu beantworten. Aber ich muss dich warnen. Vieles wissen wir selber noch nicht genau. In der Regierung herrscht das totale Chaos. Viele menschliche Gebiete wurden nach Angriffen der Nemenen isoliert, ein Grossteil unserer Infrastruktur und die meisten Satelliten wurden zerstört. Die Kommunikation ist beinahe zusammengebrochen. Wir wissen nicht einmal genau, wo und wie viele Soldaten stationiert und wie viele gefallen sind.“ „Das sind wirklich ermutigende Worte.“ „Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen. Ich wollte nur, dass du die

Wahrheit kennst." "Hör mal Saiona, bevor wir die Fragestunde eröffnen, wüsste ich noch gerne, wo ich hin gehen soll. Ich habe Wasser und Nahrung für mehrere Tage dabei", er betrachtete die Karte und fand seine aktuelle Position. "Ich gebe dir die Koordinaten", sagte Saiona. "Hast du einen Kompass, um dich zu orientieren?" "Sozusagen. Schiess los!" Saiona übermittelte Alex Koordinaten, die er sofort mit der Karte verglich. "Etwa ein Tagesmarsch", sagte Alex schliesslich. "Was ist dort?" "Eine andere Anlage." "Mit

Shiva-Soldaten?" "Ganz genau." "Du übermittelst mir den Standort einfach so? Was wenn gerade ein Alien neben mir steht und mich mit gezogener Waffe zwingt mit dir zu funken?" "Alex, ich würde dir die Koordinaten nicht mitteilen, wenn die Anlage unentdeckt geblieben wäre. Auch sie wurde angegriffen." Alex fluchte innerlich. "Doch ich habe noch kürzlich Kontakt mit den Wächtern gehabt", fuhr Saiona fort. "Sie scheinen ihre Stellungen noch halten zu können. Du musst ihnen so schnell es geht zu Hilfe kommen. Vielleicht können wir dann noch mehr

Shivas aufwecken." "Ich verstehe." Alex fühlte wieder die Angst im Nacken. Schon wieder hing etwas Wichtiges von ihm ab. "Wann wird dort Hilfe eintreffen?" "Gar nicht." "Was?" "Wir haben mehrere Gruppen losgeschickt, doch keine hat ihr Ziel erreicht. Wir können nicht noch mehr Leute in den Tod schicken." "Bei mir geht das anscheinend." "Versteh mich nicht falsch. Du bist so nah an der Anlage, wie wahrscheinlich kein anderer. Du bist ein Shiva-Soldat, womöglich der einzige, der aufgeweckt wurde und noch am Leben ist. Tut mir

Leid es sagen zu müssen, aber du bist eine lebende Waffe. Du bist der Einzige, der den Menschen in der Anlage jetzt noch helfen könnte." Natürlich verstand Alex die Situation. Ausserdem, er war Soldat und musste seine Pflicht erfüllen. Er begann in die angegebene Richtung zu laufen. "Alex? Bist du noch da?" "Ich bin unterwegs", sagte er während er ging. "Worüber kann ich dich informieren?" Alex überlegte. Er hatte so viele Fragen, dass er gar nicht wusste, womit er anfangen sollte. Dann griff er nach seinem ersten Gedanken. „Saiona, was ist mit den

Maschinen?“ „Sie haben die EMP-Angriffe erstaunlich gut überstanden.“ „EMP-Angriffe?“, Alex begann sich zu erinnern, was beim letzten Einsatz so alles geschehen war. „Ja, die Ausserirdischen hatten den Grossangriff auf die Erde mit einem EMP-Schlag begonnen. Zumindest glauben wir, dass es EMP war. Unsere Technik und die der Maschinen wurde damit grösstenteils lahmgelegt, bevor die ersten Tiefflieger und Bodentruppen der Nemenen kamen.“ „Haben die Maschinen grosse Verluste erlitten?“ „Ja, aber wie gesagt, sie haben sich

schnell erholt. Sie haben sich dem neuen Angreifer angepasst und neue Technologien entwickelt und zwar innerhalb weniger Monate! So schnell waren sie noch nie.“ „Verständlich“, sagte Alex leise. „Schliesslich sind sie das erste Mal richtig unter Druck.“ „Was?“ „Ach vergiss es, nur so ein Gedanke… Erzähl weiter.“ „Die Maschinen haben neuartige Roboter entwickelt. Du kannst froh sein, dass du noch keinem begegnet bist. Man tut gut daran, sich ihnen nicht ohne Panzerung und gute Bewaffnung in den Weg zu

stellen.“ „Das heisst, wir haben noch mehr Probleme.“ „Ja und nein. Es ist gut für uns, dass die Maschinen so mächtig geworden sind. Ohne sie wären die Menschen wahrscheinlich längst ausgelöscht worden. Denn die Maschinen lassen den Nemenen keine Ruhe und sie sind momentan die Einzigen, die ihnen effektiv trotzen können.“ „Verstehe… Sie sind wider Willen zu unseren Verbündeten geworden.“ „Nein, Alex. Ein Roboter würde noch immer keine Sekunde lang zögern, dich zu töten. Es geht hier nicht um uns, es geht um die Erde. Jeder will sie haben

und keiner will nachgeben!“ Alex schwieg eine Weile. "Du weisst viel." "Man hört so einiges, als Fernfunkerin." "Dann weisst du auch, warum es überhaupt zu einem Angriff auf die Anlage kam?", fragte er. "Ich weiss es nicht. Niemand hier in der Zentrale weiss das. Irgendwie haben die Nemenen den Standort herausgekriegt." "Hat uns jemand verraten?" "Wenig wahrscheinlich. Warum sollte jemand so etwas tun? Wozu? Ausserdem kennen wir die Sprachen der Ausserirdischen bis jetzt nur schlecht. Aber... ich weiss es nicht." "Saiona, eine Leiche mit einem

insektenähnlichen Ausserirdischen auf dem Kopf hat versucht mich zu erschiessen. Können die Viecher uns kontrollieren?" "Lass mich da etwas ausholen. Wir wissen heute, dass die Nemenen kein einheitliches Volk sein. Die zahlenmässig stärkste Art sind diese kleinen Ausserirdischen, von denen du berichtest. Wir nennen sie Marksauger. Sie folgen Königinnen, grossen Wesen, die höchstwahrscheinlich der gleichen Art angehören. Womöglich ist es die Führerart der Nemenen." Alex überlegte, "Diese springenden Fleischklumpen gehören der Führerart an? Sind das überhaupt intelligente

Wesen?" "Ich weiss nicht, wie weit ihre Intelligenz in unserem Sinne reicht. Es sind Parasiten und sie sind clever. Mit ihrem stachelartigen Schwanz bohren sie sich in das Nervensystem von Organismen ein und sondern Stoffe ab. Es handelt sich um eine Art Virus, nur dass es eben kein einfacher Virus ist. Das Opfer beginnt sich zu verändern. Es bekommt das Verlangen den Königinnen der Nemenen bedingungslos zu folgen. Man wird einer von ihnen." "Das kommt mir irgendwie bekannt vor", sagte Alex. "Der Zombie-Pilz, der durch die Maschinen geschaffen wurden... Das ist ja beinahe genau das

Gleiche!" "Es leben beide Parasitisch. Nur verfolgt der Pilz ein einziges natürliches Ziel; er will sich vermehren. Die Nemenen haben womöglich ein anderes, höheres Ziel. Das Parasitieren anderer Lebewesen dient dazu, ihre Armee zu erweitern." "Moment mal, habe ich das richtig verstanden? Ich habe menschenähnliche, haarige Ausserirdische gesehen. Es handelt sich also nur um fremdgesteuerte Zombies." "Nicht ganz. Wir wissen, dass die befallenen Lebewesen ihre Persönlichkeit nicht verlieren. Es ist mehr eine Art Gehirnwäsche. Die Konvertierten meinen dann, den Königinnen mit Leib und

Leben dienen zu müssen. Nebenbei können sie ein normales Leben führen, sich unterhalten, fortpflanzen." "Von wo weiss man das alles? Berichte von Überlebenden?" "Nein. Aus Verhören von gefangenen Ausserirdischen, falls sie bereit sind, mit uns auf primitive Art zu kommunizieren", sagte sie sachlich. "Und natürlich aus Experimenten und anatomischen Untersuchungen." "Wir behandeln die Ausserirdischen wie gezüchtetes Versuchsgewebe? Ist so etwas noch menschlich?" "Alex! Wie sonst sollen wir unseren Feind kennen lernen", sie klang empört. "Sie tun das gleiche mit

uns!" Er schwieg und fragte dann: "Der Parasit ist also ständig auf der Suche nach neuen Opfern? Ist es sein Ziel alle zu bekehren?" "Das kann ich dir nicht genau beantworten, aber ich vermute nicht. Die Nemenen führen Krieg gegen uns. Sie töten mehr, als sie zu befallen versuchen. Sie wollen den Planeten." "Haben die Verhöre denn keine Informationen über ihre Absichten gegeben?" "Ich habe ja gesagt, dass wir ihre Sprachen nur schlecht verstehen." "Die Person, an der der Parasit noch klebte, sah aber nicht wie ein Krieger

aus. Eher wie ein Infizierter." "Menschen können sie nicht konvertieren." "Wieso?" "Anscheinend liegt das an unserer DNA. Die Arten, die die Parasiten kontrollieren stammten womöglich vom gleichen Planeten ab und unterlagen der gleichen Evolution. Die Grundbausteine ihres Erbgutes gleichen sich untereinander, unterscheiden sich aber von Organismen der Erde. Die Konvertierung von Menschen ist nicht vollkommen. Es kommt zu groben Fehlern und grossen Verlusten an Information. Die Betroffenen benehmen sich tatsächlich wie Infizierte, wie

Zombies." "Nur dass sie in der Lage sind Waffen zu brauchen." "Bis zu einem gewissen Grad, können die Parasiten, wenn sie noch dranhängen, ihre Wirte direkt steuern." "Verstehe", sagte Alex nachdenklich. "Was ist mit ausserirdischen Waffen? Wie kann ich sie benutzen?" Keine Antwort folgte. "Saiona? Bist du noch dran?" Sie gab keine Antwort. Was blieb, war ein leises Hintergrundrauschen in den Lautsprechern und das angenehme Säuseln des Windes. Die Verbindung war unterbrochen. Jetzt, wo er aufgehört hatte zu funken, rückte ihm die

Landschaft ins Bewusstsein. Es schien sich noch nichts verändert zu haben; karge Felsen, Steine und Sand. Die Sonne stand beinahe senkrecht am wolkenlosen Himmel. Es war heiss und Alex schwitze stark unter der Schutzweste und dem Helm, doch er verspürte kein Unwohlsein. Er wusste, dass er nichts ausziehen durfte um keine unnötigen Wasserverluste zu haben. Wie lange würde es wohl dauern, bis der Satellit wieder anfangen würde zu arbeiten, dachte er. Minuten? Tage? Alex hatte noch zahlreiche Fragen, die er Saiona stellen wollte. Ausserdem brauchte er sie als Führerin und er musste sich zugestehen, dass er ihre

angenehme Stimme bereits vermisste. Wenn er die Gelegenheit bekommen würde, müsste er mehr über Saiona selbst erfahren, dachte er. Doch jetzt war er allein. Allein mit der herabbrennenden Sonne und dem glühenden Sand.

4. Rettung

 

Noch bevor Alex die von Saiona angegebenen Koordinaten erreicht hatte, hörte er Schüsse; Pistolen- und Gewehrfeuer und ein fast angenehmes Brummen, welches wahrscheinlich von ausserirdischen Waffen stammte. Die Wächter kämpften noch. Es war noch nicht zu spät. Trotz der Müdigkeit

begann Alex zu rennen und machte sich gleichzeitig Kampfbereit. Er schnallte den Helm fester um den Kopf und nahm seine drei Pistolen aus der Tasche. Zusatzmagazine steckte er sich in die Taschen seiner Kleider. Alex erreichte einen grossen Felsen. Die Schussgeräusche kamen von der anderen Seite, also kletterte Alex nach oben. Dort angekommen blieb er geduckt und blickte vorsichtig über den Rand. Direkt vor ihm befand sich der Eingang der Anlage. Die Tore waren aufgesprengt worden, zahlreiche menschenähnliche Ausserirdische tummelten sich daneben. Allem Anschein nach hatten sich die Anlagenwächter irgendwo in der

Eingangshalle verschanzt. Alex zählte zwanzig Gegner. Er vermutete, dass sich weitere Truppen ausserhalb seiner Sichtweite in der Anlage drin befanden. Er fluchte gedanklich darüber, dass er keine Granaten dabei hatte. Aber es musste auch so gehen. Er musste an sich selber glauben und seinem Körper vertrauen. Jetzt hatte er einen Grund alles zu geben und an seine Grenzen zu stossen, denn die Leute dort unten lebten noch und sie brauchten ihn. Alex ging zurück, um genügend Anlauf für seinen Angriff zu haben. Er entsicherte die Waffen und nahm in die freie Hand das Überlebensmesser. Kurz schloss er die Augen und nahm einen

tiefen Atemzug, bevor er zu rennen anfing. An der Felskante stiess er sich ab. Noch im Fluge nach unten realisierte Alex, dass er sich massiv verschätzt hatte. Eine ganze Menge Ausserirdischer wartete direkt neben dem Felsen. Doch es war jetzt zu spät, um sich auf seine Fehler zu konzentrieren. Sein Körper liess ihn nicht im Stich. Adrenalin breitete sich wie Feuer in ihm aus und es schien, als hätte die Zeit angefangen langsamer zu laufen. Alex streckte seine Arme aus und begann immer noch fallend auf mehrere Ziele gleichzeitig zu schiessen. Die Nemenen wurden durch sein plötzliches Erscheinen aufgeschreckt. Mehrere Augen blickten

zu ihm hoch. Einige der Kreaturen begannen zu kreischen. Bevor die meisten überhaupt reagieren konnten wurden sie durch Aleksejs Kugelhagel getötet. Alex wusste nicht, ob die Pistolenmunition etwas gegen die gegnerische Panzerung ausrichten konnte. Die psychologische Wirkung war jetzt wichtiger. Er landete inmitten der feindlichen Soldaten und riss dabei einige mit sich mit auf den Boden. Nach einer Rolle sprang er sofort wieder hoch. Während er sich auf das Feuern mit zwei Waffen konzentrierte, schoss er mit der dritten ziellos herum. Sein Messer tanzte wie wild in der Luft herum, traf klirrend auf Rüstungsteile oder schnitt sich wie

ein hungriges Tier durch das weiche, dunkle ausserirdische Fleisch. Alex hörte das Brummen der Alienwaffen. Er verliess sich auf sein Gehör und drehte sich aus den vermuteten Schussbahnen. Es funktionierte. Die Gegner schossen daneben und trafen im dichten Gedränge sogar ihre eigenen Kameraden. Alex blieb ständig in Bewegung, um nicht zu einem leichten Ziel zu werden. Er schoss alle seine Waffen leer, die Magazine sprangen heraus. Er liess eine der Pistolen fallen und schnappte dafür nach dem ersten Stabgewehr, das er in die Finger bekam. Der Ausserirdische der die Waffe hielt war viel zu überrascht, um sich wehren zu können. Er erhielt

sogleich eine sauber geführte Schnittwunde in den Augen und wurde durch Aleksejs Fuss zurückgestossen. Während Alex die verbliebenen zwei Pistolen mit der das Messer haltenden Hand nachlud schwang er mit der Stabwaffe wie mit einen überlangen Schlagstock um sich. Das Material der Waffe knirschte protestierend, als diese in seinen Händen wild von einem ausserirdischen Kopf zum anderen Kopf sprang, hielt aber der Belastung stand. Kaum begann Alex wieder zu schiessen, hörte er menschliches Gebrüll. Er nutzte eine Lücke in der gegnerischen Menge, um zum Anlageneingang zu blicken. Mehrere Wächter stürmten schreiend

hinaus und stürzten sich in den Kampf. "Idioten!", rief Alex wütend und parierte ein ihm entgegen fliegendes Stabende. Er war hier, um sie zu retten, nicht um ihnen beim Sterben zuzusehen, fluchte er innerlich. Aber die Wächter waren nicht mehr aufzuhalten. Aleksejs Erscheinen und die kurzzeitige Panik unter den Feinden hatte ausgereicht, um den Kampfgeist der Menschen sprunghaft ansteigen zu lassen. Sie hatten ihre Stellungen verlassen, um ihn zu unterstützen und stürmten leicht bewaffnet auf die Gegner los. Alex konnte noch sehen, wie mehrere von ihnen verletzt zu Boden gingen, bevor er gezwungen war, seine Stellung zu

wechseln, um nachzuladen. Wieder liess er die Stabwaffe und nach dem Ladeprozess auch das Messer durch die feindlichen Reihen tanzen. Alex war selbst über seine Geschwindigkeit und Koordination überrascht. Seine Arme führten blitzschnell Bewegungen durch, bevor Alex sich überhaupt im Klaren war, was er tat. Sein Körper kämpfte für ihn. Aleksejs vor langer Zeit eingeübte Kampfreflexe konnten sich im neuen Körper optimal entfalten, viel besser, als es früher möglich war. Die gegnerischen Reihen lichteten sich und schon begannen die ersten Ausserirdischen zu fliehen. Nachdem Alex den letzten

Gegner, der noch gegen ihn kämpfte, ausser Gefecht gesetzt hatte widmete er sich auch den Fliehenden. Er verletzte das ungeschriebene Kriegsgesetz und schoss den Weglaufenden in den Rücken. Die Wächter folgten seinem Beispiel. Die letzten Schüsse ertönten und die Ruhe senkte auf die Wüstenlandschaft. Aleksej blickte um sich, kontrollierte ob das Gebiet sicher war und erlaubte schliesslich seinem Körper den Adrenalinspiegel zu senken. Erst jetzt bemerkte er den Schmerz in der rechten Bauchseite. Die Schutzweste war an der Stelle von einem Schuss zerfetzt worden und inzwischen mit Blut getränkt. Alex ging zähneknirschend zu einem Stein,

setzte sich drauf und zog die Weste ab. Die Verletzung war ein glatter Durchschuss. Er wusste nicht, womit die Gewehre der Ausserirdischen schossen, doch die Wunde sah aus, als hätte jemand das Fleisch durch ein feinmaschiges Sieb gepresst. Glücklicherweise war sie sehr klein und betraf keine lebenswichtigen Organe. Aber sie schmerzte wie die Hölle! Acht Wächter hatten ihren kopflosen Sturm überlebt. Zwei davon waren schwer verletzt und wurden sogleich von einigen ihrer Kameraden versorgt. Die anderen näherten sich langsam Aleksej. Das Misstrauen in ihren Augen war nicht zu übersehen. Vorsichtig, mit

griffbereiter Waffe blieben sie auf sicherer Entfernung stehen. Hatten sie etwa noch nie einen Shiva-Soldaten gesehen? Einer der Wächter bemerkte Aleksejs Wunde und kam dann rasch auf Alex zu. Mit seinm Erste-Hilfe-Paket begann er dessen Verletzung zu bearbeiten. "Danke", sagte Alex zum Wächter. "Danke dir, dass du gekommen bist", antwortete dieser. Der Mann war Mitte 40. Seine Gesichtszüge belegten, dass er schon so einiges erlebt hatte. Zahlreiche eingetrocknete Blutgerinnsel erinnerten an einen länger zurückliegenden Kampf. Der Wächter trug wie die anderen einen

blauen Einteiler und einen Helm. Die Weste fehlte. Aber wozu diese Westen, dachte Alex, seine eigene hatte ihm schliesslich gezeigt, dass sie nichts gegen Alienwaffen ausrichten konnte. "Ich habe noch nie jemanden so kämpfen sehen", sagte ein anderer Wächter, der inzwischen mit den anderen näher gekommen war. "Unglaublich, dass ein Mensch überhaupt zu so etwas fähig ist." Alex zwang sich zu lächeln. "Ich weiss inzwischen gar nicht mehr, ob ich noch ein Mensch bin. Eher ein Versuchskaninchen, ein Objekt aus einem Baukasten." Der Wächter schien die Bemerkung überhört zu

haben. "Wie viele seid ihr?", fragte er. "Ich bin leider alleine." Einige von ihnen machten erstaunte Augen, andere schienen enttäuscht. "Besser als nichts, ohne dich hätten wir es nicht geschafft“, sagte ein jüngerer Wächter und streckte Alex die Hand entgegen. "Korporal Michael Gemer, ich leite diesen Verteidigungstrupp." "Freut mich. Ich bin Leutnant Aleksej Leonidov, aber bitte einfach Alex, wir sind hier schliesslich alle unter uns. Ich bin erst von einigen Tagen aufgeweckt worden. Komme aus der Anlage im Osten." "Im Osten?", Michaels Augen wurden

gross. "Ihr wurdet also alle noch vor dem Angriff geweckt?" "Ihr wisst also vom Angriff... Nein... Nicht vorher. Währenddessen. Als ich erwacht bin, war die Anlage ein einziger Friedhof." Der Korporal schluckte schwer. "Was ist mit den anderen? Wie viele haben überlebt?" "Wie gesagt, ich bin alleine", sagte Alex trocken. "Ich vermute zwar, dass es andere Überlebende gibt, doch ich habe sie nicht gesehen." Der Soldat, der Alex den Verband anlegte beendete seine Arbeit und erhob sich. Die Wunde war nun gut eingepackt und schmerzte sogar weniger. Alex

bedankte sich noch einmal. "Wie sieht es bei euch aus?", fragte er dann. "Wie viele Wächter sind noch da?" "Nur die, die hier sind", Michaels Stimme klang kalt, es schmerzte ihn die Worte aussprechen zu müssen. "Nur wir haben überlebt. Tagelang waren wir unter Dauerbeschuss, aber wir haben durchgehalten. Mehr als hundert sind gefallen." "Das tut mir Leid, Michael. Ich weiss wie das ist, Kameraden zu verlieren." "Wieso hatte man die Anlagen gefunden. Sie waren so gut versteckt!", fragte der Mann, der Alex verarztet hatte. Alex schüttelte den Kopf. "Ich weiss es nicht. Die Kommandozentrale ist allen

Anschein nach auch am Rätseln. Was ist mit den Shivas? Wurden einige schon geweckt?" Michael und ein anderer Wächter tauschten einen verloren wirkenden Blick. "Ich glaube du hast mich nicht ganz richtig verstanden, Alex", sagte Michael dann. "Ausser uns hat es niemand mehr geschafft. Alle dort unten sind tot." "Was?!" Enttäuschung, Trauer und Wut vermischten sich und explodierten in Aleksejs Kopf. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten, sprang auf und schnappte Michael am Kragen. "Wie konnte das passieren?!", schrie er.

"Ihr seid hier oben, wie konnten sie an euch vorbei in die Anlage gelangen." Michael wehrte sich nicht. Er stand nur mit gesenkten Armen da und versuchte Aleksejs starren Blick auszuweichen. Einige Wächter rannten zu ihnen und schnappten Alex an den Armen, rissen ihn aber nicht zurück. War es sein Körper oder sein Rang, den sie fürchteten? "Wie...", begann Alex, begriff aber, dass es nichts mehr nützen würde. Was durfte er den nur durch Glück noch lebenden Männern vorwerfen? Alex liess Michael los und liess sich zurück auf den Stein fallen. "Tut mir Leid für meine Reaktion", sagte

er. "Ich habe zu viel Negatives gesehen in den letzten Tagen." Michael schien Alex gar nicht zugehört zu haben. Es stand immer noch vor ihm und begann zu erzählen: "Wir waren in der Unterzahl. Einige Stunden konnten wir die Nemenen ausserhalb der Tore zurückhalten. Dann wurden wir immer weiter zurückgedrängt, bis wir nur noch einige wenige Räume für uns hatten. Irgendwann waren sie drin und drangen auch in das Treppenhaus ein. Dann war der Weg nach unten zu den Personal- und Schlafräumen für sie offen. Wir haben mehrmals versucht das Treppenhaus wieder in Beschlag zu nehmen und verloren so mehr als die Hälfte aller

Leute. Wir mussten zusehen, wie diese Monster wie Wölfe einer nach dem anderen nach unten gelangten, um dort unsere Kollegen und auch die schlafenden Shiva-Soldaten abzuschlachten. Wir konnten nichts tun!" Tränen liefen ihm die Wangen hinunter. "Dann, als die meisten ihrer Soldaten das Treppenhaus wieder verlassen hatten, sammelten wir unsere Kräfte und versuchten einen letzten Angriff. Es gelang uns endlich. Doch wir waren zu spät", er blickte Alex in die Augen. "Sie hatten alle getötet! Alle!" Alex hatte ihm bis zum Schluss regungslos zugehört. Der Wächter wirkte jetzt wie ein kleiner Schuljunge, der

kürzlich von älteren Schülern zusammengeschlagen worden war und sich bei seiner Mutter beklagte. Alex konnte verstehen, wie die Überlebenden sich gerade fühlten. Er kannte das Gefühl nur zu gut. Er erhob sich wieder und legte vorsichtig dem Wächter die Hand auf die Schulter, während dieser mit aller Mühe versuchte die Tränen zu unterdrücken. "Ich weiss wie du dich fühlst", sagte Alex. "Ich weiss, wie ihr euch alle fühlt! Aber wir haben jetzt keine Zeit zum Trauern. Wir müssen nach vorne blicken, nicht auf das, was geschehen ist und sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Wir müssen weiterkämpften und dafür sorgen,

dass unsere Kameraden nicht umsonst gestorben sind! Ich schwöre, wir werden es den Nemenen heimzahlen!" Die Aufmunterung zeigte ihre Wirkung. Aleksej schaffte es, die Kampfeslust der Wächter zu steigern. Das war auch nötig, angesehen dessen, was er mit ihnen vorhatte. Das Funkgerät schwieg nach all den vergangenen Stunden immer noch und Alex war gezwungen eine Entscheidung für das weitere Vorgehen selber zu fällen. Hier konnten sie nicht bleiben, denn die Nemenen würden garantiert bald zurückkehren, um ihre Arbeit zu vollenden. Also schlug Alex vor, zur dritten Anlage zu gehen. Laut

Michael gab es keine Anzeichen dafür, dass die dritte Anlage von Nemenen bereits entdeckt worden war, als der Funkkontakt zu ihnen abgebrochen werden musste. Doch seither waren Stunden vergangen. Wer wusste, was sich in dieser Zeit dort alles zusammengebraut hatte? Vielleicht war sie unentdeckt geblieben, vielleicht aber war sie längst zerstört. Die Wächter brachten alles noch brauchbare Material nach draussen und bereiteten Marschpackungen vor. Während Alex nach Waffen suchte, kam Michael zu ihm. "Wie geht's deiner Wunde?", fragte er. Alex rieb die angeschossene Seite. Er

fühlte keine Schmerzen mehr. War das der Heilungskraft seines Körpers zu verdanken? "Gut." "Schön das zu hören", sagte Michael. "Konntest du noch etwas Brauchbares finden?" "Ein Sturmgewehr und eine Pistole. Dann habe ich noch das da gefunden", Alex präsentierte einen Sprengsatz und einige Zünder. "Das System ist zwar etwas veraltet, aber auf alle Fälle noch gut einsetzbar." Michael nickte und hielt Alex einen Zettel hin. "Ich habe noch die Koordinaten von der dritten Anlage ausfindig machen

können." Alex verglich die Koordinaten sogleich mit seiner Karte. "Wir werden mindestens drei Tage lang unterwegs sein", sagte er anschliessend. "Ich weiss", Michael blickte in die Ferne. "Wir müssen aufpassen, dass wir unentdeckt bleiben. Wir sollten den Feind nicht dorthin führen." "Wenn sie nicht schon dort sind.“ "Sie sind noch nicht dort", Michael blickte Alex hoffnungsvoll an. "Ja... Das hoffe ich auch. Wie geht es den Verletzten? Werden sie es schaffen?" "Ich weiss es nicht. Sie haben starke Schmerzen und sind nicht in der Lage zu laufen. Wir werden sie tragen

müssen." Alex nickte nachdenklich. Er hatte eigentlich nicht vor jemanden zurückzulassen, doch tief im Innern dachte er etwas anderes. In einer so heiklen Situation empfand er es als mühsam sich mit Verletzten herumschlagen zu müssen. Es schüttelte den Kopf, um die unangenehmen Gedanken abzuschütteln. Was war mit ihm los? Wie konnte er nur so egoistisch denken? "Was ist?", fragte Michael, der seine Bewegung gesehen hatte. Alex sagte nichts. Seine Gedanken behielt er lieber für sich. Stattdessen bückte er sich, hob ein Aliengewehr hoch

und zeigte es dem Wächter. "Wie benutzt man das?" Michael blickte ihn skeptisch an. "Du weisst das nicht?" Er nahm die Stabwaffe an sich und begann am beweglichen Griff zu drehen. Alex erhoffte schon den ersten Schuss zu sehen, als Michael sagte: "Gar nicht." "Was? Wieso?" "Nur die Nemenen können ihre Waffen benutzen. Ich weiss nicht, ob das genetisch bedingt ist, oder an irgendeinem Stoff liegt, den sie im Körper haben. Eher letzteres, schliesslich können die durch Marksauger kontrollierte Menschen ebenfalls Alienwaffen

benutzen." "Du meinst die Zombies?" "Ich kann dieses Wort nicht ausstehen, aber ja." "Tut mir Leid..." Es sah schlecht aus. Der Einsatz ausserirdischer Waffen war ihnen verwehrt. Nun mussten sie mit dem auskommen, was ihnen geblieben war. "Wie lange brauchen die Marksauger eigentlich, um einen Menschen unter Kontrolle zu kriegen?" "So richtig kontrollieren können sie uns nicht. Irgendwie funktioniert die Konvertierung nicht richtig mit terrestrischen Lebewesen. Ich weiss da zu wenig... Aber ich glaube, dass ein

Mensch nach bereits drei Stunden seine Persönlichkeit verliert." "Drei Stunden", wiederholte Alex nachdenklich. "Gibt es ein Gegenmittel gegen diese Konvertierung?" "Ich habe mal gehört, dass es ein Verfahren gibt, welches erlaubt, einen länger befallenen Menschen wieder zu heilen. Aber es ist aufwändig und gefährlich für den Patienten. Ein einfaches Gegenmittel gebe es soviel ich weiss nicht. Das wäre ja auch zu schön. Dann würden wir nämlich nur noch mit Spritzen in den Händen herumlaufen und alle Nemenen damit behandeln." Alex lächelte. "Die geheilten Ausserirdischen hätten sicherlich keine

Freunde zu erfahren, dass sie von einem Parasiten ausgenutzt worden waren." Ein leises Grollen in der Ferne liess beide aufhorchen. Es klang wie das Geräusch eines fliegenden Nemenen-Transporters. Dem Ton nach war er noch weit entfernt, doch wer wusste schon wozu ihre Kampfmaschinen in der Lage waren. "Michael", sagte Alex ernst. "Wir kriegen bald Gesellschaft. Es ist besser nicht mehr hier zu sein, wenn die Gäste ankommen. Sorge dafür, dass die Leute in zehn Minuten bereit sind zum Aufbrechen." "Geht klar", er drehte sich um und rannte zum Anlageneingang, wo das Material

zusammengelegt wurde. Alex durchsuchte noch die letzten Gefallenen nach Waffen und Munition und ging ebenfalls hin. Wenige Minuten später verliess die Gruppe aus neun Personen das Gelände. Zurück blieb ein Schlachtfeld mit Dutzenden gefallenen Menschen und Ausserirdischen vor dem traurig wirkenden Eingang im Felsen. Drinnen in der unterirdischen Anlage lagen noch mehr Tote, wie in einem riesigen Massengrab. Hunderte von Leuten, die ihr Leben für das Wohl der Menschheit aufs Spiel gesetzt hatten und dennoch für die Nachwelt unbekannt von der Bildfläche verschwunden

waren. Bis zum Abend verlief der Marsch ohne Zwischenfälle. Die beiden Verletzten wurden auf improvisierten Tragen transportiert. Vier Leute trugen eine und zwei anderen die andere Trage. Es musste oft gewechselt werden und es wurden immer wieder Pausen eingelegt. Wie Alex befürchtet hatte, kam die Gruppe nur langsam voran. Doch er machte niemandem Vorwürfe. Er überlegte sich, was ihn eigentlich vorwärts trieb. Waren es mögliche Verfolger in ihrem Rücken oder war es die Angst zu spät zu kommen, den Leuten in der dritten Einrichtung nicht

mehr helfen zu können? Er konnte es nicht genau sagen. Kurz bevor die Nacht anbrach, legte die Gruppe eine längere Pause ein. Alex empfahl allen sich auszuruhen und versuchte selber etwas zu schlafen, schaffte es aber nicht. Zu viele Gedanken drehten sich in seinem Kopf. Ausserdem wartete er sehnsüchtig daran, wieder mit Saiona Kontakt aufnehmen zu können. Gerastet wurde schweigend. Niemand wagte sich, die eiserne Stille zu brechen. Diejenigen, die es geschafft hatten einzuschlafen wurden schon bald durch die eintretende Kälte der Wüstennacht geweckt. Man war gezwungen sich alle möglichen mitgenommenen Kleiderreste

anzuziehen. Nach Stunden liess Alex die Gruppe weitermarschieren. Er wollte die kühle Nacht nutzen, um vorwärts zu kommen und erhoffte sich, dass die Temperaturen die Leute zu schnellerem Tempo anregen würden. Tatsächlich machten der verminderte Wasserverlust und die Kälte das Vorwärtskommen einfacher und angenehmer. Als der Morgen anbrach, erblickten sie am Horizont die Silhouette einer Stadt. Reste von eins reichen Hochhäusern ragten wie Hände direkt aus der Wüste heraus, als würden sie versuchen den Himmel zu erreichen. Daneben befanden sich ärmere niedrige Häuser, von denen teilweise nur noch Steinhaufen

übriggeblieben waren.

 

5. Zur falschen Zeit am richtigen Ort

 

Der Morgenwind blies über die Gebäudeskelette der Stadt. Nach einigen Stunden Pause, welche die neun Personen in den Überresten eines Hochhauses verbracht hatten, waren sie wieder unterwegs. Die Gruppe bahnte sich ihren Weg durch enge, zum grössten Teil zugeschüttete Gassen. Die Trümmerhaufen waren manchmal so gross, dass man bis auf die Höhe der dritten Etage hochklettern musste, um sie zu überwinden. Es war keine einfache Aufgabe mit zwei Verletzten.

Glücklicherweise konnte einer von ihnen bereits wieder laufen. An anderen Orten bildeten grössere, eingeklemmte Trümmerteile ein nicht sehr stabil aussehendes Dach über den Gassen. Es brauchte einiges an Überwindung, sich unter die verdächtig schief hängenden und ab und zu drohend knisternden Blöcke zu begeben. Die meisten Gassen der Wüstenstadt waren nur knapp einen Meter breit. Ideal um unentdeckt zu bleiben, aber auch um in eine Falle zu laufen. Alex wusste, dass sie sich bei einem Angriff unter solchen Bedingungen nicht effektiv verteidigen könnten. Einmal kletterte Alex auf die Ruinen eines Gebäudes, um

sich einen Überblick über die Stadt zu machen. Erst dann realisierte er, wie gross sie eigentlich war. Vor dem Anfang des Krieges mussten hier über eine Million Menschen gelebt haben. Nach einem längeren Marsch hob Alex bei einer Kreuzung die Hand und hielt die Gruppe an. Irgendetwas stimmte nicht. Das Gefühl, das er empfand, war für Aleksej neu. Es war, als spürte er die Vorahnung, dass etwas Schlimmes bevorstand. „Ist was?“, fragte Nadir leise. Es war der Wächter, der Aleksejs Verletzung nach seinem ersten Kampf versorgt hatte. Alex schwieg eine Zeit lang. „Nein, ich glaube

nicht.“ Er bewegte sich in die nächste Gasse. Sie war wesentlich breiter, als alle anderen. Wie gewohnt untersuchte er sie mit Blicken von oben nach unten. Das rettete ihm das Leben. „Zurück!“, schrie Alex und warf sich nach hinten, sodass er gleichzeitig die anderen zurückschob. Eine riesige, metallisch glänzende Masse, die zwischen den Hauswänden gehangen hatte, liess sich auf den Boden fallen. Es krachte laut, als das Ding sechs Beine auspackte und den Fall federnd abfing. Die unbekannte Maschine war riesig, grösser als ein Lastwagen, und füllte mit ihrem Körper die gesamte

Kreuzung aus. Der Körper war mit zahlreichen, sich autonom bewegenden Platten bedeckt, die an Fischschuppen erinnerten. Etwas, das einem Kopf glich und an einem gelenkigen Hals befestigt war, drehte sich den Menschen zu. Ein leises Knattern und Knistern war zu hören. Jetzt erst merkte Alex, dass es dieses Ding war, was er spürte. Zusätzlich zu seinen alten Sinnen war da etwas schwer Beschreibbares. Es fühlte sich an, als würde jemand an seiner Haut zupfen und auf den Riesen zeigen. Hatte Alex das dem elektromagnetischen Sensor in seinem Kopf zu verdanken? „Maschinen!“, schrie einer der Wächter und begann zu rennen. Noch bevor er den

Schutz einer Gasse erreichen konnte, wurde er durch einen Blitz, den das Monstrum abgeschossen hatte, getroffen und sackte wie ein nasser Lappen zusammen. Zwei andere Soldaten rannten zusammen in eine Gasse, während diejenigen, die die Trage mit dem Verletzten hielten, zögerten. Pure Angst war ihnen ins Gesicht geschrieben. Alex schnappte nach den beiden Sturmgewehren, die er bei sich hatte, und schrie den anderen zu: „Verschwindet von hier!“ Sie gehorchten und rannten los. Je eine Waffe in zwei Händen haltend, feuerte Alex aus beiden Waffen

gleichzeitig auf die Maschine und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Die Kugeln zeigten keine grosse Wirkung. Funkensprühend und kläglich klirrend prallten sie an den zahlreichen Panzerplatten ab. Doch Alex erreichte, was er wollte. Die Maschine drehte sich IHM zu. Plötzlich verspürte Alex ein stark drückendes Gefühl. Es war, als würde die Maschine ihn berühren, dabei war sie mindestens vierzig Meter von ihm entfernt. Er fühlte eine Art Kanal, eine Verbindungslinie zwischen ihm und dem Roboter. Noch rechtzeitig begriff Alex, was er eigentlich wahrnahm. Das Ding ionisierte die Luft, bevor es Blitze warf! Alex sprang zur Seite und entging

knapp einem elektrischen Schlag. Er rollte ab, sprang wieder auf die Beine und begann auf die Maschine zu schiessen, während er sich rückwärts von ihr weg bewegte. Der Roboter bewegte sich wie ein Insekt auf Alex zu. Die engen Verhältnisse machen der Maschine anscheinend nichts aus. Sie stellte ihren formbaren Körper schräg und stützte sich gleichzeitig am Boden und an den Wänden ab. Augenblicke später hatte der Roboter Aleksej erreicht, doch dieser verschwand in der ersten, erreichbaren Gasse. Die Maschine folgte ihm. Die neue Gasse war wesentlich enger und der Roboter blieb beinahe stecken, befreite sich aber

durch ruckartiges Zucken nach hinten und schob sich dann parallel zu den Wänden mit purer Gewalt wieder hinein. Hausbruchstücke begannen nach unten zu bröckeln, als sich der massive Maschinenkörper hindurchdrückte. Alex rannte, ohne zurückzublicken. Steinblöcke am Boden machten die Flucht zu einem Hindernislauf. Er wartete darauf, einen Ionisierungsstrahl im Rücken zu fühlen und stellte sich darauf ein, ihm auszuweichen. Stattdessen schwirrte irgendetwas an ihm vorbei und schlug in einen Steinblock vor ihm ein. Eine Kugel? Die Maschine hatte auch Projektilwaffen! In dieser Gasse war er ein leichtes Ziel für den

Roboter, wenn er seine Schüsse nicht voraussehen konnte. Alex begann Hacken zu schlagen und als weitere Kugeln links und rechts an ihm vorbeisausten, warf er sich hinter einen Steinhaufen. Trotzdem erwischten ihn einige Projektile am Rücken. Die Schutzweste, die er an hatte, tat ihren Dienst und hielt sie zurück, doch die Ausbuchtungen im Westenmaterial bohrten sich schmerzhaft in die Haut. Lange blieb Alex nicht hinter der Deckung. Vor ihm lag das Ende der Gasse und dahinter eine grosse Strasse. Das war vorerst sein Ziel, was danach kam würde er spontan entscheiden müssen. Alex feuerte einige Schüsse auf

die Maschine ab, obwohl er inzwischen wusste, dass das sinnlos war und rannte los. Aus der dunklen Gasse rennend wurde er durch die Sonnenstrahlen geblendet als er auf die breite Strasse hinaushastete. Er rollte sofort nach links, um nicht in der gegnerischen Schussbahn zu bleiben. Als er sich aufrichtete erblickte er eine Gruppe aus etwa zehn ausserirdischen Infanteristen mitten auf der Strasse, die verharrt war und ihn anstarrte. Sie waren anscheinend genau so überrascht, wie er und reagierten nicht. Die Pause wurde durch die Maschine unterbrochen, die sich wie ein Mähdrescher aus der Gasse schob. Zwei Beine klammerten sich an

den Hauswänden und begannen den Rest des Körpers herauszuschieben. Ein wie Blubbern klingender Befehl ertönte und die Gruppe der Nemenen eröffnete das Feuer auf den Roboter, ohne sich um Alex zu kümmern. Die Infanteristen besassen die Alex bereits bekannten Stabwaffen. Im Unterschied zu seinen Sturmgewehren zeigten sie Wirkung an der Maschine. Ihre Panzerplatten bekamen Risse und Spalten. Der Roboter liess sich das nicht gefallen und sprang mit erstaunlicher Geschwindigkeit aus der Gasse heraus. Mit lautem Krach landete er auf der Strasse und feuerte mit seinen Projektilwaffen, die in den Gelenken

seiner Beine befestigt waren, auf die Ausserirdischen. Als diese ausschwärmten, um sich in Deckung zu bringen, richtete die Maschine ihre zwei vordersten Beine gegen sie und feuerte mehrere Raketen in kurzer Abfolge ab. Die Infanteristen verschwanden hinter einer Wand aus Flammen. Die Hitze zwang Alex sich wegzudrehen und die darauffolgende Druckwelle brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er fiel schmerzhaft auf den rauen Bodenbelag. Alex begriff, dass die Ausserirdischen erledigt waren und hatte vor wegzurennen, um nicht das nächste Ziel der Maschine zu werden. Als er sich erhob erblickte er aber zwei

Schwebepanzer der Nemenen, die sich auf seinem Fluchtweg befanden. Es brummte laut, die Luft flimmerte um den Panzer herum und Teile des Roboters gingen in Flammen auf. Scheppernd fiel eines seiner Gelenkbeine auf die Strasse. Die Stelle, wo es durchtrennt wurde zeigte einen sauberen Schnitt und sie glühte noch. Was waren das für Waffen? Eine Art Laser? Ein anderer Roboter erschien, wie aus dem Nichts. Er hing am höchsten Punkt einer zerstörten Hausfassade. Mit einem energischen Sprung auf die Strasse rettete er sich von einem Strahlenangriff der Panzer. Der unsichtbare Strahl liess in der Ruinenwand Dellen entstehen. Die

Stelle, an der sich gerade noch der Roboter aufgehalten hatte, verflüssigte sich und krachte zusammen. Die neue Maschine feuerte mehrere Raketen ab. Diesmal war Alex vorbereitet und warf sich flach auf den Boden. Die Geschosse explodierten näher und liessen die Druckwelle heftiger ausfallen. Mehrere Raketen explodierten, bevor sie ihr Ziel überhaupt erreicht hatten. Als die Flammen verschwanden wurde bläulich schimmerndes Licht sichtbar, das die Panzer umgab. Dort wo die Raketen explodiert waren war es am hellsten und das Schimmern verteilte sich netzartig in einer Halbkugel um die Fahrzeuge herum.

Schutzschilder? Aleksejs Aufmerksamkeit wurde auf eine neue Gruppe Infanteristen gelenkt, die aus einer Gebäuderuine herausströmten und auf beide Maschinen das Feuer eröffneten. Nun hatte er genug gesehen. Er sprang hoch und lief geduckt parallel zu der Gebäudefassade. Er hatte vor in der erst besten Gasse zu verschwinden, fand aber keine, die noch nicht zugeschüttet war. Während er sich seinen Weg entlang der Häuser bahnte, sah er immer mehr ausserirdische Einheiten und neue Roboter in der Strasse erscheinen. Er war mit den Wächtern mitten in eine fremde Schlacht hineingeraten. Bei einer Kreuzung bremste Alex abrupt

ab und drückte sich an die Hausecke, als eine riesige Masse an ihm vorbeistampfte. Vor sich sah er vier spitzige, aus massivem, metallisch glänzendem Stoff gebaute Beine. Sofort dachte er an eine Maschine, doch als er nach oben zum restlichen Körper aufblickte, traute er seinen Augen nicht. Er erinnerte sich unfreiwillig an paläontologische Bücher aus seiner Kindheit mit fantasievollen Dinosaurierbildern. Denn das Ding sah gerade aus, wie eine dieser ausgestorbenen Riesenechsen. Die Maschinenbeine waren an einer Art Schale befestigt, aus der ein fleischiger, geschuppter Körper herausragte. Auf

einer Höhe von etwa neun Metern endete der schlangenartige Rumpf in einem Reptilienkopf. Kleine Augen und lange, scharfe Zähne liessen das Ungetüm noch schrecklicher erscheinen. Es trug einen Helm, der das ganze obere Drittel des Kopfes abdeckte und mit dem lebendem Gewebe verwachsen zu sein schien. Zwei Muskulöse, fast menschenähnliche Arme ragten aus der Mitte des Körpers heraus. Die Finger waren mit langen Klauen versehen und die Unterarme in Metall gehüllt. Irgendwelche Röhren waren daran befestigt. Das Ungetüm stampfte laut Grollend zu einer der Maschinen – die daneben schon fast winzig aussah – und packte sie mit

seinen kräftigen Armen. Mit einer schnellen Bewegung rammte er sein massives Gebiss in die Hülle des Roboters, der daraufhin wie eine Baumnuss zersplitterte. Das Opfer schickte einige Wirkungslose Blitze seinem Angreifer entgegen und erschlaffte, als der ‚Dinosaurier‘ ihn in zwei Stücke riss. Er warf die leblosen Überreste weg und machte sich auf zur nächsten Maschine. Diesmal hob er einen seiner Arme und richtete sie auf das Ziel. Anscheinend trug er an den Unterarmen die gleichen Waffen wie die Panzer, denn sie zeigten den gleichen Effekt an seinem nächsten Opfer. Inzwischen war die Anzahl der

Kämpfenden deutlich angestiegen. Es war schwierig zu sagen, wer am Gewinnen und wer am Verlieren war. Die Maschinen wurden in zwei gespalten und durch Strahlenwaffen zerschnitten, die Nemenen durch Blitze gegrillt und in die Luft gesprengt. Schüsse schlugen neben Alex ein rissen ihn aus seinem Staunen heraus. Obwohl die Geschosse wahrscheinlich nicht ihm gegolten hatten, rannte er los. Er bog in die Strasse ab, aus der die riesige Cyborg-Kreatur erschienen war und stiess beinahe mit drei ausserirdischen Infanteristen zusammen. Die borstigen Wesen trugen die Alex bereits bekannten glatten Rüstungen und Masken mit

Helmen. In den Armen hielten sie Stabgewehre. Aleksejs Anblick schien sie für einen Moment zu verwirren. Er nutzte den Augenblick und streckte alle drei mit kurzen Salven aus den Sturmgewehren nieder. Mehrere Schüsse schlugen neben ihm in die Wände ein und zersplitterten das Material. Er blickte um sich und erkannte neue Infanteristen, die aus einer Gasse herausschossen. Er feuerte im Laufen und ungezielt in ihre Richtung und zwang sie, sich zurückzuziehen. Mit weiten Schritten verschwand er in einer Seitengasse. Jede Deckung ausnutzend und einen

weiten Bogen um das Kampfgebiet schlagend, erreichte Alex nach mehreren Stunden den nördlichen Rand der Stadt. Auf seinem Weg hatte er mehrere Male ausserirdischen Truppen ausweichen müssen und konnte dabei mehrmals beobachten, wie ihre Einheiten gegen die neuartigen Maschinen kämpften. Nemenen und Maschinen, zwei den Menschen weit überlegene Parteien, waren in den Ruinen der Wüstenstadt aneinandergeraten. Alex und seine Gruppe hatten zur falschen Zeit die Ortschaft passieren wollen. Was war mit den Wächtern geschehen? Hatten sie es ebenfalls unbemerkt an dieses Ende der Stadt geschafft? Wenn nicht, dann waren

sie wahrscheinlich bereits tot. Alex huschte an den letzten Hausruinen vorbei und fand sich von einem Augenblick auf den anderen in der Wüste. Wieder erstreckte sich eine karge, felsige Landschaft vor ihm. Mittendrin, kaum einen Kilometer entfernt sah Alex eine kleine Ansammlung von Häusern. Er entschied sich dorthin zu gehen und von dort aus Ausschau nach den anderen zu halten. Die Sonne stand hoch am Himmel, sie hatte sich seit heute Morgen scheinbar gar nicht bewegt. Kaum hatte Alex den Schatten der Gebäude hinter sich, ergoss sich eine erstickende Hitze über ihn. Doch er verdrängte alle unangenehmen

Gefühle und konzentrierte sich auf sein Ziel. Noch bevor er die Gebäudegruppe erreicht hatte, fand er Tritt- und Blutspuren im Sand. Dass sie noch nicht abgetragen oder überdeckt worden waren, deutete darauf hin, dass sie frisch waren. Waren seine Leute hier vorbeigekommen? Alex beeilte sich. Noch bevor er die ersten Häuser erreicht hatte, konnte er mit seinem sensibilisierten Gehör Flüstern wahrnehmen. Er näherte sich gedeckt und als er sicher war, die Stimmen einiger Wächter wiederzuerkennen rief er: "Nicht schiessen! Ich bin es, Aleksej!" Sie waren erfreut ihn zu sehen. Die drei Wächter, die Alex antraf waren am Ende

ihrer Kräfte. Die meisten hatten Schürf- und Schnittwunden am ganzen Körper. Alex erkannte Michael und Nadir. Der andere war Karam, ein Wächter, mit dem Alex bis jetzt nur wenig zu tun gehabt hatte. "Wir sind gerade jetzt angekommen", sagte Nadir mit leicht heiserer Stimme und streckte Alex eine Trinkflasche entgegen. Erst jetzt wurde Alex klar, wie durstig er war. Hatte sein Körper das Durstgefühl unterdrückt, oder stellten die Geschehnisse um ihn herum alle primitiven Bedürfnisse in den Hintergrund? Alex trank ein wenig und gab die Falsche zurück. Michael erzählte, dass sie es nur zu dritt

geschafft hatten. Die anderen vier Wächter, inklusive Verletzte, waren bei der Flucht aus der Stadt umgekommen. Sie wurden nicht direkt angegriffen, doch waren sie plötzlich zwischen die Fronten geraten und hatten einiges an Kollateralschäden abgekriegt. Während Michael weiter erzählte, drückte Alex die Fäuste zusammen und biss sich auf die Unterlippe. Er hatte wieder versagt! Schon wieder waren Leute gestorben, weil er sich nicht richtig angestrengt hatte! Er unterdrückte einen Wutausbruch und liess wie immer alles im Innern seiner Seele vergehen. "Danke dir, Alex", sagte Michael am Schluss seiner Erzählung. "Schon wieder

hast du uns gerettet, indem du die Aufmerksamkeit der Maschine auf dich gezogen hast." "Nur habe ich nicht alle retten können." Michael schluckte schwer. "Du hast das getan, was du konntest... Alles andere war nicht deine Schuld." Alex blickte zurück zur Stadt. Rauchschwaden stiegen aus ihr empor, wie Bäume mit breiten Kronen. "Wir müssen weiter", sagte er schliesslich trocken. "Vor uns liegt noch ein langer Weg." "Unsere Ressourcen sind knapp", sagte Nadir. "Wir hatten keine Möglichkeit die Wasservorräte aufzufüllen." "Ich weiss... Ich hoffe wir werden bald

eine Gelegenheit dazu finden." Die Gruppe marschierte nach Norden. Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber sie entschlossen sich nicht länger warten. Nach einem Kräfte raubenden Marsch, welcher die ganze Nacht hindurch gedauert hatte, erreichten sie einen schmalen, langsam fliessenden Fluss. Alex und die anderen vergassen alle Vorsicht, rannten zum Wasser und tranken hastig und in grossen Schlücken direkt aus dem Fluss. Auch die zahlreichen Algen und die Trübheit des Wassers schreckten sie nicht ab. Alex hatte das Gefühl, noch nie zuvor so köstliches Wasser getrunken zu

haben. Bis zum nächsten Abend ruhten sie sich im Schatten eines Felsens aus. Sie schliefen in Abständen, während immer zwei aufpassten. Dazwischen wurde getrunken, gegessen und nochmals getrunken. Die Nahrungsvorräte waren knapp. Die folgende Nacht marschierten sie weiter. Lange folgten sie dem Fluss, der sie stets mit Wasser versorgte. Doch die Müdigkeit und der allmählich wachsende Hunger liessen sich damit nicht unterdrücken. Die Landschaft änderte sich. Dem Fluss entlang laufend trafen sie auf überwachsene landwirtschaftliche Flächen und Ruinen von Farmen.

Häusergruppen deuteten auf die ehemalige Existenz vieler Menschen hin. "Michael?", fragte Alex beim Gehen. "Hatte das ganze Gebiet hier den Menschen gehört, bevor die Nemenen kamen?" "Ja", sagte er, nachdem er seine Lippen mit der Zunge befeuchtet hatte. "Von Mitte Saudi-Arabien bis zu der Grenze der ehemaligen Türkei gehörte früher alles uns. Die Maschinen zeigten damals noch kein grosses Interesse an diesen Gebieten. Sie konzentrierten sich viel mehr auf Gebiete, die dicht bevölkert waren." "Wie kam man überhaupt darauf, hier die Anlagen für das Shiva-Projekt

anzulegen?" "Keine Ahnung." Michael zuckte mit den Schultern. "Man konnte die Anlagen hier gut verstecken." "Anscheinend nicht gut genug." Michael ignorierte Aleksejs letzte Bemerkung. "Ursprünglich war das Shiva-Projekt entwickelt worden, um gegen die Maschinen zu kämpfen. Wahrscheinlich befinden sich die Anlagen deshalb in Gebieten, die die Maschinen noch nicht einzunehmen versucht hatten." "Und die Nemenen? Hatten sie versucht die Wüste zu erobern?" "Oh ja. Ziemlich oft. Nur hatten ihnen immer die Maschinen dazwischen

gefunkt. Die Ausserirdischen hatten mehrere Städte besetzt und wurden dann durch uns, oder die Maschinen zurückgedrängt." "Was ist mit der Stadt, wo wir drin waren?" "Vor noch etwa einem Monat hatten dort Menschen gelebt. Dann hatten wir den Kontakt zu ihnen verloren. Was dann passiert ist, kannst du ja erahnen... Ich vermute die Maschinen hatten sich in der Stadt eingenistet, um eine Invasion der Nemenen zu verhindern." Nadir, der das Gespräch mitgehört hatte sagte: "Ich hatte Freunde in der Stadt." "Das tut mir Leid", sagte Alex nach einer

Pause. "Schon gut... Ich habe sie schon damals geistig begraben, als der Kontakt abgebrochen war. Das, was geschehen ist, lässt sich nicht rückgängig machen." "Hast du denn keine Hoffnung, dass sie noch leben?" "Hoffnungen haben ist gut", Nadir wich Aleksejs Blick aus. "Aber man muss wissen, wann man keine Hoffnungen mehr zu haben braucht." Michael atmete tief durch. "Unsere Verdammte Welt geht den Bach runter und wir können nichts dagegen tun. Zuerst kamen die Maschinen, dann die Infizierten und jetzt noch diese verfluchten Nemenen. Kann das

eigentlich noch schlimmer werden?" Jeder der drei wusste, dass es für die Menschen garantiert schlimmer werden würde, denn sie standen alleine zwei Übermächten gegenüber. Doch niemand wagte es, es auszusprechen. Karam, der etwas abseits ging, näherte sich mit ausgebreiteter Karte. "Wir nähern uns einer weiteren Stadt. Sie liegt mitten auf dem Weg zu unserem Ziel." "Diesmal müssen wir vorsichtiger sein", sagte Alex. "Ich schlage vor, wir gehen um sie herum." Die anderen stimmten zu. Als es heller wurde, waren sie in die Nähe der Stadt gekommen. Sie war klein und hatte wie

die vorherige eine scharfe Grenze zur Wüste. Der Fluss, dem Alex und die anderen gefolgt waren, verschwand in der Stadt hinter einem Wald aus Häusern. Die Gruppe wollte auf die Hügel steigen, um das Stadtgebiet in sicherem Abstand zu umrunden, als sie plötzlich Schussgeräusche hörten. Die Geräusche kamen aus der Stadt und Aleksej erkannte sofort, dass es sich um menschliche Waffen handeln musste. Gemeinsam entschieden sie sich in die Stadt zu gehen. Denn eine Chance, sich mit den eigenen Truppen zu vereinigen, wollte sich niemand entgehen lassen. Als sie sich dem Stadtrand genähert hatten, konnten sie anhand des Lärms

genau sagen, dass da Menschen gegen die Ausserirdischen kämpften. Die Vier bastelten aus Schwemmholz, Büschen und Abfällen schwimmende Inseln und stiegen in den Fluss hinein, um sich im Schutze der primitiven Konstruktionen in die Stadt treiben zu lassen. Nach knapp einer Stunde – als es Alex im Wasser schon kalt zu werden begann – kamen sie bei einer Art Hafen an und stiegen aus dem Wasser.

6. Auferstehung des Widerstands

 

“Hierher! Da kommen wieder welche!”, rief ein Soldat und richtete sein Gewehr auf die

Gasse. “Nein halt! Nicht schiessen! Wir sind Menschen!”, rief Michael und konnte ihn gerade noch daran hindern, abzudrücken. Erstaunt senkte der Soldat seine Waffe. Michael kam aus der Gasse heraus, gefolgt von Nadir, Karam und Alex. Als Alex mit seinen vier Armen erschien, machte der Soldat erschrocken einen Schritt nach hinten und hob die Waffe wieder hoch. „Was zur Hölle ist das denn?! Zurück!“, rief er. „Ruhig Kamerad! Ich bin ein Shiva-Soldat“, demonstrativ hob Alex alle vier Hände in die Höhe, um seinen guten Willen zu zeigen, was aber eher

bedrohend auf den Soldaten einwirkte. „Nimm die Waffe runter, Nick. Er gehört zu uns“, sagte eine ruhige, tiefe Stimme hinter dem Mann. Der Soldat zögerte kurz, folgte aber schliesslich. Ein älterer Mann in Wächteruniform und Sergeant-Abzeichen kam nach vorne. Der Unteroffizier hatte ein ungepflegtes, verstaubtes Gesicht und wirkte übermüdet. Als er Michael sah, kam er näher und umarmte ihn. „Michael! Schön, dass du noch am Leben bist. Ich habe gehört, dass eure Anlage gestürmt wurde“, sagte er. Michael war einen Moment lang zu erstaunt, um Antworten zu können, dann sagte er schliesslich: „Ilan! Ich kann das

gar nicht glauben! Was tust du hier? Wir sind gerade auf dem Weg zu deiner Anlage!“ Der Sergeant lächelte, „Die Umstände verlangten es, dass wir hierher kommen.“ Dann drehte er sich zu den anderen Neuankömmlingen um und salutierte. „Ich bin Sergeant Kupper Ilan, Herzlich Willkommen an unserer Verteidigungslinie“, er blickte Alex an. „Ich sehe, Michael, du hast auch einen Shiva-Soldaten mitgebracht.“ Alex salutierte. „Leutnant Leonidov Aleksej, ich bin hier leider der einzige meiner Art.“ „Besser einer, als keiner“, sagte Ilan. „Ihr habt den ganzen Weg durch die

Wüste zu Fuss zurückgelegt. Ihr müsst müde und hungrig sein. Leider kann ich euch nicht mehr als Nahrungskonserven und Wasser anbieten.“ Alex und die anderen nickten dankend. „Hört zu“, sagte der Sergeant. „Ich würde gerne eure Geschichte anhören, aber dafür ist jetzt leider keine Zeit. Ich habe mit dem Grossteil der Wächter die Anlage verlassen und sich hier mit einem Trupp Soldaten getroffen, die zur Verstärkung geschickt wurden. Wir haben uns in der Stadt verschanzt, um die Aufmerksamkeit der Ausserirdischen auf sich zu ziehen. Bis jetzt hat es auch bestens funktioniert. Immer wieder haben die Nemenen Angriffe auf die Stadt

gestartet. Wir haben viele Verluste. Ich weiss nicht, wie lange wir so durchhalten können. Vierzehn Mann sind mir noch geblieben.“ „Du kannst auf meine Hilfe zählen Ilan!“, sagte Michael und blickte zu den anderen. Nadir und Karam stimmten auch zu. „Auf meine auch“, sagte Alex. „Für das bin ich ja da!“ „Sehr gut“, sagte Ilan erfreut. „Ich hoffe die Shiva-Soldaten in der Anlage werden rechtzeitig aufgeweckt und kommen uns bald zu Hilfe. Solange müssen wir hier aber die Stellung halten. Ich möchte, dass ihr euch jetzt verpflegt und bereit macht. Die Nemenen werden bald wieder

einen Einnahmeversuch starten." Er strich sich nachdenklich über den Bart. "Ach ja... Haltet euch von der Kanalisation fern. Da wimmelt es nur so von Marksaugern." Alex überlegte kurz. "Wir kamen im Fluss in die Stadt. Viele Abwasserröhren münden dort hinein. Wir hatten keinen einzigen Marksauger gesehen." Ilan lachte leise. "Ja, diese Biester haben das Schwimmen zum Glück noch nicht erlernt. Sie halten sich vom Wasser fern." Alex nickte. Ilan bat die Neuankömmlinge ihm zu folgen und führte sie zum

Lagerplatz. Wie vorhergesagt, kam bald der Angriff der Nemenen. "Sie kommen.", sagte Philipp zu Alex und deutete mit dem Kopf in eine Richtung. Alex hatte sich mit Michael und Philipp, einem Soldaten, in einem niederen Gebäude verschanzt und hatte den Befehl erhalten, auf mehrere Strassen um ihre Stellung herum aufzupassen. Alex blickte in die angedeutete Richtung und erblickte einen Trupp ausserirdischer Infanteristen, die von Deckung zu Deckung schleichend, sich dem Gebäude

näherten. "Wir lassen sie näherkommen", sagte Philipp, der im Team das sagen hatte. Alex überprüfte seine Bewaffnung. Seine Gewehre hatten einiges abgekriegt. Die Läufe waren verbeult und verbogen. Die Munition war knapp. Als die Nemenen auf etwa fünfzig Meter Entfernung waren, eröffneten Philipp, Michael und Alex das Feuer. Die Ausserirdischen machten es ihnen nicht leicht. Kaum flogen die ersten Kugeln, löste sich die Infanteristengruppe rennend auf und die einzelnen Gegner nahmen hinter verschiedensten Häusern Deckung. Aleksejs Stellung wurde mit einem

Schusshagel der Stabgewehre überhäuft. Dennoch versuchten die drei Verteidiger die Angreifer auszumachen und gezielt auszuschalten. Keine einfache Aufgabe, da man nur wenige Sekunden für die Schussabgabe hatte, wollte man nicht von ausserirdischen Geschossen – was auch immer sie darstellten – getroffen werden. Alex hatte da einen kleinen Vorteil bezüglich Geschwindigkeit und Reaktion, gegenüber seinen unmodifizierten Kollegen und dennoch wollten ihm keine sauberen Treffer gelingen. Es grollte eigenartig am Himmel, als zwei Flugobjekte erschienen. Die Flugzeuge hatten eine beinahe

kugelförmige Form und zahlreiche Buckel auf ihrer gräulich glänzenden Oberfläche. Die Luft um sie herum vibrierte stark. "Gleiter", rief Philipp. "Schon wieder!" Die Flugobjekte summten laut auf. Bei ihrer Bewaffnung handelte es sich um die gleichen Waffen, wie bei Panzern, denn Hausmauern begannen sich zu verflüssigen und zusammenzustürzen. Alex und die anderen waren gezwungen die Stellung zu wechseln, um nicht verschüttet zu werden. Durch Löcher in den Mauern gelangten sie in ein benachbartes Gebäude. "Können wir denn nichts gegen diese Dinger tun?", Alex versuchte den Lärm

einstürzender Gebäudeteile zu übertönen. "Nein!", rief Philipp. "Keine Luftabwehrwaffen! Wir können nur warten und hoffen, nicht verbraten zu werden! Bald wird ihnen die Energie ausgehen, wenn sie weiter so rumheizen!" Keine Luftabwehrwaffen! Überhaupt waren die Verteidiger sehr schlecht ausgerüstet. Sturmgewehre, Pistolen und Granaten waren das Einzige, was die Leute hier hatten. Alex wollte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn solche Cyborg-Monster, wie er sie in der anderen Stadt gesehen hatte, hier auftauchen würden. Tatsächlich begnügten sich die beiden

Flugzeuge mit der kompletten Zerstörung von drei Gebäuden und zogen sich zurück. Die Infanteristen hatten die Feuerunterstützung ausgenutzt und waren weiter nach vorne gerückt. Aus einem anderen Haus eröffneten die Verteidiger das Feuer. "Haha! Hab ihn!", rief Michael erfreut, als er einen Gegner traf. Plötzlich ging alles sehr schnell; ein Stück des Hauses samt Michael verdampfte. Von einem Moment auf den anderen war Aleksejs Kamerad verschwunden. "Nein!", schrie Alex, ohne überhaupt zu verstehen, was gerade passiert war. Nur eines war ihm sofort klar: Michael war

tot. Alex blickte durch das entstandene Loch in der Mauer nach draussen und erkannte einen ausserirdischen Infanteristen mit einem langen Gerät, welches er mit beiden Armen festhielt. Sein Kopf befand sich zwischen zwei parallel verlaufenden Seitenstücken, die er auf seinen Schultern abstützte. Noch bevor Alex auf ihn feuern konnte begann sich der Boden unter ihm zu bewegen. Der Ausserirdische hatte mit seinem Treffer das ganze Stockwerk destabilisiert. Alex reagierte sofort, schnappte Philipp am Arm und zerrte ihn in das Treppenhaus, kurz bevor der Boden des Raumes brach und nach unten fiel. Sie rannten

hinunter. Ein zweiter zerstörerischer Schuss pulverisierte das Treppenhaus über ihnen und brachte einen grossen Teil der Mauern zum Einsturz. "Alex! Wir müssen diesen Strahlenwerfer ausschalten, bevor er uns alle grillt!", erklärte Philipp, als die beiden in einem anderen Gebäude Stellung bezogen hatten. Alex nickte nur und sprang – zu Philipps Erstaunen – durch ein Fenster nach draussen. Die Wut, die er jetzt verspürte war zu gross, um an Ort zu bleiben. Irgendetwas in seinem Unterbewusstsein schrie nach Rache. Er bewegte sich flink, rollte nach kurzen Rennstrecken hinter Steinhaufen in Deckung und gab dem

Feind keine ruhige Minute. Immer wieder gab er aus beiden Sturmgewehren kurze Salven ab, um den Gegner am Schiessen zu hindern. Bald hatte er das Gebäude erreicht, wo er den Infanteristen mit der zerstörerischen Waffe zuletzt gesehen hatte. Zwei Ausserirdische kamen ihm entgegen. Einen erschoss Alex aus nächster Nähe, dem anderen schlug er den Gewehrkolben ins Gesicht. Dann huschte er in das Haus hinein. Der Infanterist mit dem Strahlenwerfer auf den Schultern bereitete sich gerade auf einen weiteren Schuss vor, als Alex sich ihm von hinten näherte und den Lauf einer Waffe ihm an den Hinterkopf drückte. Angespannt

verharrte der Ausserirdische. Alex konnte seinen schnellen Atem durch die Gesichtsmaske hören. Er fühlte regelrecht, wie die Kreatur von ihm nicht unbekannten Gefühlen ergriffen wurde. Es war Angst. Er bemerkte, dass er die Furcht, die der feindliche Soldat ausstrahlte, richtig genoss. Er wollte mehr davon! Der Infanterist hatte aber nicht mehr zu bieten, der Abzug des Sturmgewehres drückte sich wie von selbst durch. Die Kugel bohrte sich durch Helm und Kopf des Ausserirdischen, der sogleich den Strahlenwerfer fallen liess und nach vorne kippte. Schnaubend sprang Alex wieder auf die Strasse. Wie ein jagendes

Tier suchte er das Gebiet nach weiteren Nemenen ab. Er zeigte keine Gnade. Warmer Wind griff den trockenen Sand vom Boden auf, liess ihn in kleinen Wolken spiralförmig emporsteigen, um sie gleich wieder am Boden und Hausfassaden zerschellen zu lassen. Sandkörner blieben in Aleksejs verschwitzten Haaren und auf den durch Tränen genässten Wangen kleben. Er stand regungslos mitten auf der Strasse, umgeben von Toten. Direkt vor ihm lag die Leiche von Philipp. Auch die anderen waren tot. Alex allein hatte die letzten drei Sturmversuche der Ausserirdischen überlebt. Seine

Gedanken drehten sich, wie der Sand im Wind. Wann würde er sich endlich von diesem erdrückenden Fluch befreien können? Warum musste ER immer am Leben bleiben, während alle anderen um ihn herum starben? Diesmal hatten ihn die Fähigkeiten seines neuen Körpers gerettet, was würde es das nächste Mal sein? Alle Soldaten und Wächter in der Stadt waren gefallen. Alex hatte die letzte Munition, die er noch finden konnte aufgebraucht. Bald würden die Ausserirdischen einen weiteren Angriff starten und diesmal würde er sie nicht mehr aufhalten können. Es war zum Verzweifeln. Was sollte er tun? Sich mit

blossen Händen auf die Nemenen stürzen und ehrenhaft sterben? Oder fliehen? Aber wohin? Dann fiel Aleksejs Blick auf ein Stabgewehr der Gegner. Es war nicht das einzige. Das Gebiet war übersät mit ausserirdischen Waffen. Schade, konnte er sie nicht benutzen. Aber, war dem wirklich so? Konvertierte konnten die ausserirdische Technik benutzen. Es lag vermutlich an einem Stoff, den diese Marksauger injizierten. Der einzige Weg, diesen Reichtum an Waffen einsetzen zu können, bestand also darin, sich von einem Nemenen stechen zu lassen. Er müsste einfach verhindern, dass der Konvertierungsprozess bis zum Ende

durchgeführt wurde, wenn er nicht als fremdkontrollierter Zombie enden wollte. Das war verrückt! Es würde wahrscheinlich nicht so funktionieren, wie er sich das vorstellte. Aber hatte er eine andere Wahl? Alex entschied sich zu handeln. Ilan hatte vor der Kanalisation gewarnt. Dort würde er Marksauger finden. Entschlossen suchte Alex einen Schacht, öffnete den Steindeckel und sprang hinunter. Er gewöhnte sich schnell an die Dunkelheit. Das Rohr war hoch genug, um aufrecht stehen zu können, das war gut, denn nur so konnte er sich effektiv gegen Angriffe verteidigen. Alex konnte keine Ausserirdischen erkennen, doch

schon bald erklang ein seltsames Schmatzen aus beiden Richtungen der Röhre. Es wurde lauter. Sie kamen. Mit zwei Händen fasste Alex an die Sprossen der Leiter, um sich schnell nach oben zu ziehen. Sein Blick fiel links und rechts in die Dunkelheit. Die grausigen Töne waren zum Greifen nah und Alex sah die ersten Marksauger. Sie krochen wie gemästete Ratten die Röhre entlang; links, rechts, oben, unten. Trotz ihrer Grösse waren sie in der Lage sich kopfüber an der Decke zu bewegen. Sie kamen in Gruppen. Mit einem breit ausgeholten Schlag wehrte er erste Angreifer ab, die wie faule Früchte an seiner Hand zerplatzten. Mit der anderen

griff er ungezielt in den Haufen hinein. Er fühlte etwas Weiches, Feuchtes in den Händen. Das genügte. Mit beiden Beinen stiess er sich vom Boden ab und zog sich gleichzeitig nach oben. Ausserhalb des Schachtes rollte er ab und stiess mit einem Bein den Kanalisationsdeckel wieder zu. Trotz seiner Schnelligkeit hatten es einige Marksauger geschafft nach draussen zu gelangen. Alex richtete sich rasch auf und verdrückte mit den drei freien Händen die lästigen Parasiten. Erst dann erlaubte er sich einen Blick auf seine Beute. In seiner Hand zappelte ein fetter Marksauger. Alex hatte das Ding am Kopf erwischt und vielleicht

etwas zu stark zugedrückt, denn an einigen Stellen trat dunkelbraunes Blut heraus. Auch fehlte dem Ding ein Bein, welche wahrscheinlich bei Aleksejs Flucht nach oben abgetrennt wurde. Der komplex gebaute Schwanz mit dem Stachel war aber noch intakt. Mit Abscheu betrachtete Alex das fleischige Ding und hätte es am liebsten Zerdrückt, doch er hatte sich bereits entschieden. Er suchte sich einen gut versteckten Keller. Dort deponierte er vorsorglich einige Stabwaffen und einen Strahlenwerfer. Er verminte den Eingang mit der letzten Granate, die ihm geblieben war. Aus seinem Rucksack nahm er

Sprengsätze heraus, die er bei der Anlage von Michael gefunden hatte, und entfernte die Zünder. Es waren dünne, bleistiftförmige Metallstäbe mit einer kleinen Sprengladung im Innern. Dann erinnerte er sich an das, was Michael ihm über die Konvertierung von Menschen erzählt hatte. Nach drei Stunden verlor man seine Persönlichkeit? Er müsste den Prozess früher abbrechen. Er stellte einen Zünder auf zwei Stunden ein und schob den Stift in der Kopfregion des Marksaugers tief in seinen fleischigen Körper hinein. Die Haut war weich und leistete keinen Widerstand. Der Ausserirdische protestierte mit einem Grunzen. Einen

anderen Zünder stellte Alex auf drei Stunden ein und steckte ihn in die Sprengladung, die er neben sich auf den Boden legte. Würde das Vorhaben hier misslingen, würde das kleine Wunderding die Sache regeln. Alex nahm einen tiefen Atemzug. Er liess sich die Gesichter von Leuten durch den Kopf gehen; Mascha, Nadja, Maxim, Vitaly, Aida, Sten, Walthers, Michael. Menschen, die er liebte, die ihm etwas bedeuteten. Menschen, die gestorben waren oder vielleicht noch lebten. "Für euch", sagte er zu sich selbst. "Ich tue es für euch. Für die Menschheit, für die Erde!" Alex liess den Marksauger los. Der

Parasit erfüllte Aleksejs Erwartungen und sprang ihn an. Mit seinen scharfen Krallen an den Füssen bohrte er sich schmerzhaft in sein Gesicht und krabbelte daraufhin flink auf seinen Hinterkopf. Doch diese Schmerzen waren gar nichts im Vergleich zu dem, was danach kam. Der Stich mit dem Schwanz in den Hals liess Alex laut aufschreien. Feuer breitete sich in seinem Körper aus und schien ihn innerlich zu verbrennen. Der unerträgliche Schmerz raubte Alex die Sinne. "Nadja..." "Aleksej... Folge mir... Ja, so ist es gut. Komm. Komm mit mir. Lass mich rein.

Öffne dein Bewusstsein. Was willst du? Liebe? Ich gebe dir Liebe! Ich gebe dir alle Liebe auf dieser Welt. Du wirst nie mehr alleine sein. Nie mehr. Du wirst immer einer grossen Familie angehören. Du wirst geliebt werden; belohnt werden. Du wirst alles kriegen was du dir wünschst. Die Mutter wird es dir geben. Unsere Mutter. Sie liebt dich. Ja, eine Familie. Sie ist unsere Mutter. Folge mir und ich gebe dir Macht. Unbegrenzte Macht. Ich gebe dir Frauen. Ich werde alle deine Bedürfnisse und Verlangen stillen. Lass mich rein. Lass mich du sein. Folge der Mutter. Folge der Königin. Werde ihr treu. Für dein ganzes Leben, werde ihr treu. Es wird ein

glorreiches Leben sein. Ein Leben voller Kreuzzüge, ein Leben voller Siege. Du wirst immer kriegen was du willst. Komm mit mir... Ja, so ist gut... Nein... Nein! Was hast du getan... Was hast du getan…" Es piepste. Irgendetwas explodierte gedämpft direkt über seinen Kopf. Er riss die Augen auf. Schmerzen! Überall Schmerzen! Es fühlte sich an, als wäre er ein einziger Klumpen voller Schmerz. Er blickte um sich und sah einen dunklen Raum. An einigen Stellen schien die Sonne durch winzig kleine Fenster hinein. Er versuchte sich aufzurichten, schaffte es aber nicht, sich zu bewegen.

Er? Wer war er? Seine Augen taten weh. Trotzdem liess er seinen Blick über seinen schwach beleuchteten Körper gleiten. Zwei Füsse, zwei Beine, vier Hände und Arme. Vier? War das normal? Seine Arme schmerzten, also fühlte er sie. Er versuchte noch einmal sie zu bewegen. Diesmal gehorchten sie; langsam und unkoordiniert, aber sie gehorchten. Unbewusst wanderten zwei seiner Hände an seinen Hinterkopf. Dort war es feucht. Irgendetwas Schleimiges klebte an seinen Haaren. Irgendetwas steckte in seinem Hals. Er packte es und fühlte einen stechenden Schmerz, der seinen ganzen Körper nach unten wanderte. Dennoch

liess er nicht los. Er wusste, das Ding gehörte nicht zu ihm. Dann zog er so fest er konnte dran. Eine warme Flüssigkeit spritzte auf seine Hände. Plötzlich war er wie gelähmt. Seine Arme fielen regungslos auf den Boden und er hatte das Gefühl nicht mehr Atmen zu können. Panik packte ihn. Ein Schrei. Er schrie. Er zwang sich zu schreien und atmete wieder tief ein. Gut... Er blieb liegen und atmete. Er wusste nicht, wie lange er das tat, dann versuchte er wieder sich zu bewegen und setzte sich auf. Ihm war schwindlig. Was war los? Wo war er? Wichtiger noch: WER war er? Ein Name huschte vernebelt in seinen Gedanken, doch er

bekam ihn nicht zu fassen. Seine Hände fühlten sich feucht an. Er betrachtete sie. Blut. Sein Blut? Dann, langsam, Stück um Stück kroch sein Gedächtnis in sein Bewusstsein zurück. Er begann sich zu erinnern. Alex, er war Alex, ein Shiva-Soldat, ein Mensch. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er blickte auf den Boden neben sich. Dort lag die Sprengladung, gross genug, das ganze Gebäude in die Luft zu jagen. Der Zünder! Alex riss diesen aus der grauen Sprengmasse heraus und warf ihn weg. Klirrend fiel der kleine Stift in eine Ecke des Raumes. Erst Minuten später explodierte der Zünder mit einem

klatschenden Geräusch und verwandelte sich in eine kleine, rundliche Rauchwolke. Alex putzte sich mit einem Fetzen Stoff den Kopf ab. Schleimiges Alienblut und Überreste des Marksaugers klebten daran. Er wollte sich die Stichwunde am Hals verbinden, merkte aber, dass sie aufgehört hatte zu bluten. Das Blut war eingetrocknet. Blieb zu hoffen, dass sein Immunsystem gegen allfällige Infektionen gewappnet war und dass sich hier keine frischen Sporen des Zombiepilzes befanden. Alex stand auf, machte einige Schritte. Es ging ihm wieder gut. Nun war die Zeit gekommen das Resultat des Experiments

zu testen, dachte er und nahm die Nemenen-Waffen zu sich, die er hierher gebracht hatte; zwei Stabwaffen und einen Strahlenwerfer. Nachdem Alex den Keller verlassen hatte – und dabei beinahe in seine eigene Sprengfalle beim Eingang hineinlief – ging er vorsichtig auf alle Seiten spähend auf die Strasse. Es war später Abend, die Luft war warm. Am Himmel schien hell die weisse Scheibe des schon beinahe kreisrunden Mondes und überblendete das Licht der ersten Sterne, die sich zu zeigen versuchten. Es war hell genug um die Strassen gut überblicken zu können. Aleksej horchte, roch die

Luft. Da fühlte er etwas. Ein fremdes und doch seltsam vertrautes Gefühl kroch seine Haut hoch. Fein, kaum spürbar nahm er jemanden oder etwas wahr. Maschinen? Nein, es handelte sich nicht um den Shiva-Sinn für elektromagnetische Felder. Es war etwas anderes, etwas Neues. Alex konnte nicht einmal sagen, wo er etwas empfand. Es schien, als wäre sein ganzer Körper daran beteiligt. Neugierig, aber dennoch vorsichtig folgte er seinem neuen Sinn. Er bog auf eine andere Strasse ab und bemerkte sofort, was er wahrgenommen hatte. Nemenen! Eine Gruppe aus ausserirdischen

Infanteristen durchkämmte die Strasse und anliegende Gebäude. Ihre Rüstungen waren gut an die Dunkelheit angepasst. Sie reflektierten beinahe kein Licht und wären Aleksejs Augen nicht modifiziert gewesen, hätte er sie wahrscheinlich nicht bemerkt. Jetzt, wo er die Gruppe aus den Infanteristen sah, konnte er genau sagen, dass es sie waren, auf die sein Körper reagierte. Er fühlte sie! Hatte er das dem Marksauger zu verdanken? Das Gefühl konnte nicht jeden einzelnen Ausserirdischen getrennt wahrnehmen und konnte ihm auch nicht die genaue Distanz verraten, dazu hatte Alex womöglich noch zu wenig Erfahrung damit. Er fühlte vielmehr die

ganze Gruppe, er wusste einfach, dass da etwas war und das auf eine seltsam angenehme Weise. Auch die Nemenen schienen Aleksejs Anwesenheit zu spüren. Einige Soldaten blieben stehen und blickten in seine Richtung. Alex verharrte. Hatten sie ihn gesehen? Die Nemenen blieben eine Zeit lang stehen, wechselten einige Worte und setzten dann ihre Arbeit fort. Zufall? Alex zögerte nicht mehr. Er trat vor und richtete die beiden Stabwaffen, die er in den unteren Händen hielt, auf einen der Ausserirdischen. Alex hatte komischerweise absolut keine Angst, dass die Waffen nicht schiessen würden. Er bemerkte, dass er auch die Waffen in

seinen Händen fühlte. Es war, als würden sie durch seine Arme mit ihm kommunizieren. Er hatte oft Nemenen beim Schiessen beobachten können und hatte einige Stabwaffen bereits auch selber in den Händen gehabt. Deshalb fand er sehr schnell die plumpen, für verschiedenartige Hände geformten Abzüge. Ohne lange zu überlegen drückte er ab. Angenehm brummend und kaum spürbar zuckten beide Gewehre nach hinten. Das Zielen mit den Stäben war gar nicht so einfach, wie er es sich zuerst gedacht hatte, obwohl er sowohl Waffe als auch Gegner auf noch unerklärliche Weise fühlen konnte. Der anvisierte Infanterist zuckte zusammen,

als die Wand neben ihm mit reissenden Geräuschen zwei breite Löcher bekam. Alex korrigierte die Richtung und drückte nochmals ab. Diesmal ging der Schuss ins Schwarze. Sein Opfer ging zu Boden. Sofort nahm Alex die anderen Nemenen ins Visier, die inzwischen zu reagieren begannen. Er änderte seine Position, um gegnerischen Feuer auszuweichen und schoss zurück. Während er mit einer oberen Hand den Strahlenwerfer auf einer Schulter festhielt, benutzte er die freie Hand dazu, um an den Vorderenden der Stabwaffen zu drehen, denn er wusste, dass sich einige Teile gegeneinander verschieben liessen und

wollte es ausprobieren. Er merkte, dass er damit die Feuerrate einstellen konnte. Aus einem halbautomatischen Gewehr wurde plötzlich ein automatisches mit verstellbarer Schussfrequenz. Auch liess sich die Energie einstellen. Alex merkte es an der leichten Zu- oder Abnahme des Rückstosses. Während Alex experimentierte dezimierte er die überraschte Gruppe um drei Infanteristen. Der Rest zog sich zurück. Das, was an ihrer Stelle vorstiess, gefiel Alex aber ganz und gar nicht. Es war ein Schwebepanzer, der gemächlich entlang der Strasse schwebte. Noch bevor die Maschine Alex zu nahe kam, packte er mit beiden oberen Händen

den Strahlenwerfer und platzierte ihn auf seinen Schultern. Kaum hatte er beide Haltegriffe in den Händen, aktivierte sich eine Anzeige mit unverständlichen Symbolen vor seinem Gesicht. Alex blickte an ihr vorbei auf den Panzer und drückte auf beide Abzüge, die an den Haltegriffen befestigt waren. Die Anzeige änderte sich drastisch. Es knisterte laut. Aleksejs Sinn für elektromagnetische Felder schrie auf, ansonsten nahm er den Schuss gar nicht wahr. Der Panzer vor ihm leuchtete hell auf. Die Luft um ihn zitterte und strahlte fades bläuliches Licht aus. Das hatte Alex bereits gesehen. Irgendetwas schütze die

Kampfmaschine. Vorsichtshalber tauchte Alex in ein Gebäude um einem möglichen Gegenschlag zu entkommen. Er tat es zu Recht. Die Stelle, wo er gerade noch gewesen war, verflüssigte sich und wurde zu Dampf. Alex suchte sich ein passendes Loch in der Hauswand. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als noch einmal zu schiessen. Er zielte und schoss, doch diesmal liess er die Abzüge nicht sofort wieder los. Wieder begann die Luft um das Kampffahrzeug zu flimmern. Doch diesmal leuchtete sie viel heller und kontrastvoller auf. Das Licht breitete sich soweit aus, dass man eine regelrechte Halbkugel erkennen

konnte, die den Panzer umhüllte. Alex hielt die Abzüge noch immer gedrückt. Der Werfer wurde unerträglich heiss und begann das Schutzwestenmaterial anzusengen. Der blaue Schild um das Fahrzeug blitzte ein letztes Mal auf und kollabierte mit einem scharfen, klickenden Ton. Dann kam endlich der Panzer selbst an die Reihe. Die Maschine wurde flüssig, kochte buchstäblich auf. Als sich Aleksejs Weste entzündete und er gezwungen war den Strahlenwerfer auf den Boden zu werfen, war die vordere Hälfte der Kampfmaschine bereits verschwunden. Alex kümmerte sich sogleich um die verbliebenen Infanteristen in den

Strassen. Er versuchte zum Kämpfen möglichst nahe an sie heranzukommen, denn sicher treffen konnte er mit den Stabwaffen noch nicht. Als Alex dann beim aufgeschmolzenen Panzer vorbeilaufen wollte, bemerkte er im Innern eine Bewegung. Reflexartig duckte er sich und wich noch rechtzeitig einem Schuss aus. Erstaunt blickte er auf eine weissliche, beinahe konturlose Masse. Das einer Qualle ähnelnde, eineinhalb Meter grosse Wesen kroch, sich an mehreren rundlichen Tentakeln bewegend, aus dem Panzer heraus. Der leicht durchsichtige Körper erlaubte den Blick auf die inneren Organe. Mehrere, an Augen erinnernde Kugeln bewegten

sich unterhalb der gläsernen Haut wirr hin und her. Der Ausserirdische war verletzt. Von mehreren Tentakeln waren bloss Stummel übriggeblieben, an zahlreichen Stellen der Haut trat weissliche Flüssigkeit heraus. Das Wesen hatte auch sichtlich Mühe, sich zu bewegen. Das alles realisierte Aleksejs intensiviertes Gehirn innerhalb von wenigen Sekundenbruchteilen. Auch die Tentakel, die einen länglichen Gegenstand umschlangen bemerkte er schnell. Er warf sich zur Seite, aus einer möglichen Schussbahn heraus, und schoss im gleichen Augenblick auf den Ausserirdischen. Mehrere Schüsse aus

dem Stabgewehr durchbohrten den weichen Alienkörper. Das Wesen quietschte und zog sich zusammen, starb aber nicht. Wieder bewegten sich die Tentakel mit der Waffe in Aleksejs Richtung. Alex drückte wieder ab und bewegte die Stabgewehre hin und her, sodass der quallenartige Gegner regelrecht zerschnitten wurde. Wie ein nasser Schwamm fiel der obere Teil des Wesens schmatzend auf den Boden. Eines der Stabgewehre hörte auf zu schiessen, bevor Alex den Finger vom Abzug nahm. Es surrte leise und eine durchsichtige Kapsel sprang aus einer Öffnung im vorderen Teil der Waffe heraus. Die längliche Kapsel fiel klirrend

auf den Boden. Also hatten auch Nemenenwaffen einen begrenzten Munitionsvorrat, dachte Alex. Womit schossen sie? Was war in dieser glasigen Kapsel drin gewesen? Er warf einen Blick in den Panzer und kontrollierte, ob nicht noch weitere Ausserirdische drin waren. Das einzige, was er sah, war ein kreisförmiger ‚Fahrersitz‘, der mehr an einen schräg angeschnittenen Eimer erinnerte, und Teile zerstörter Anzeigen, seltsamer Kästen und Röhren. Er betrachtete die Überreste des Quallenwesens, welches ihn angegriffen hatte. Das Erscheinen des Wesens hatte ihn anfänglich überrascht. Staunen

konnte er über den noch nie gesehenen Nemenen aber nicht. Was hatte er nicht schon alles gesehen? Hätte er darüber jemandem vor zehn Jahren berichtet, man hätte ihn ausgelacht. Jetzt wurde die Menschheit durch schwanztragende, haarige Insektengesichter, Quallenwesen und Dinosaurier bedroht. Sowohl die Ausserirdischen, als auch die Maschinen hatten sicherlich noch viele Geheimnisse und viele davon würden den Menschen nie offenbart werden. Die kleine Pistole, mit dem sich der Ausserirdische gewehrt hatte, nahm Alex an sich. Er durchsuchte auch erstmals getötete Infanteristen. Da er ihre Technik früher nicht verwenden konnte, hatte er

es bis jetzt immer unterlassen. Alex fand insgesamt drei blaue, tennisballgrosse Kugeln mit Knöpfen und einige Kapseln, wie die, die aus dem Stabgewehr gesprungen war. Nur enthielten diese eine feste dunkelgrüne Masse und waren verglichen mit ihrer Grösse ziemlich schwer. Alex nahm auch die Waffen der Gegner an sich, je eine in jede Hand. Zufrieden mit seiner Beute ging Alex zurück auf die Strasse und folgte seinem neuen Sinn, der ihn zu anderen Nemenen führen sollte. Die Sonne begann sich zu erheben. Noch nie hatte Alex den Himmel so gesehen. Die Farben spielten verrückt und man hätte fast meinen können, dass die Sonne nicht auf-,

sondern unterging. Es war, als würde die Erde ankündigen, dass heute ein besonderer Tag anbrach. Aleksej spähte um eine Ecke, erblickte drei Nemenen und versteckte sich sogleich in der Nähe. Er legte ein Gewehr auf den Boden und nahm eine der blauen Kugeln hervor. Jetzt hatte er die Gelegenheit sie auszuprobieren. Während Alex die Kugel von allen Seiten betrachtete, kam er sich selber wie ein Kind vor, dass mit der Steckdose spielte. Er hatte ja keine Ahnung, was er in den Händen hielt! Seine Neugier bezwang die Angst. Er drückte einfach auf den grössten Knopf, den er fand. Dieser leuchtete sogleich auf. Ein gezogenes,

kaum hörbares Piepsen, wie bei der Blitzvorrichtung eines alten Fotoapparates, ertönte. Die Tonhöhe stieg. Das war bedrohend genug und Alex warf die Kugel um die Ecke, in Richtung der Gegner. Er selber blieb in Deckung. Es surrte laut und blitzte. Häuserruinen in der Nähe wurden wie am Tag erleuchtet. Alex dachte, dass es sich um eine Blendgranate handeln musste, schnappte das abgelegte Gewehr und schwang um die Kurve, um verwirrte Nemenen auszuschalten. Doch stattdessen traf er alle drei am Boden liegend an. Er bemerkte, dass sie nicht mehr atmeten. Was war geschehen? Er hatte keine

Explosion hören können. Das einzige Geschehen war das kurzzeitige Aufleuchten. Doch auch diese Frage musste er auf später verschieben. Am vorderen Ende der Strasse erschienen Dutzende gegnerische Soldaten und zwei Schwebepanzer. Das Aufleuchten der ‚Granate‘ musste sie angelockt haben. Alex rannte in Deckung und feuerte aus allen vier Stabwaffen. Die Nemenen erwiderten das Feuer. Ein reger Schusswechsel entflammte. Alex war gezwungen ständig die Häuser zu wechseln, da die Panzer ihm keine Ruhe gaben. Eine Ruine nach der anderen wurde weggeschmolzen. Auch mit den

Schusswaffen hatte Alex kein Glück. Nur selten gelang es ihm einen Nemenen – wenn auch meistens nicht tödlich – zu treffen. Er hatte diesmal keinen Überraschungsvorteil und konnte sich dem zahlenmässig überlegenen Gegner mit Panzerunterstützung nicht nähern, um seine Nahkampffähigkeiten zu entfalten. Die Nemenen selbst näherten sich und bald flogen ihm die ersten blauen Kugeln entgegen. Er hatte keine Lust ihre Wirkung auf seinen Körper auszuprobieren und musste deshalb ständig in Bewegung bleiben. Die Situation wurde immer enger. Alex hatte gar nicht gemerkt, wie er von den

Ausserirdischen einkreist wurde. Ihm blieben noch zwei Gebäude und eines davon befand sich bereits im halbflüssigen Zustand. Genau so wollte er sterben; im Kampf gegen eine Übermacht. Erst als die ersten Nemenen sein Gebäude erstürmten – Warum schmolzen sie es nicht einfach weg? Wollten sie ihn lebendig erwischen? – wurde Alex klar, dass es nun aus war für ihn. Nur noch ein Wunder könnte ihn jetzt noch retten. Das Wunder kam. Es krachte laut und die Panzer leuchteten hellblau auf. Sie wurden beschossen! Mehrere Infanteristen zogen sich sofort aus Aleksejs Gebäude zurück und wendeten

sich einem neuen für Alex noch unsichtbaren Gegner zu. Seine Kampflust brannte wieder auf. Er stürzte sich auf die Nemenen, die es gewagt hatten, ihm zu nahe zu kommen. Als Alex sich aus dem Haus herausgekämpft hatte, merkte er, dass die Panzer und ein Grossteil der Infanteristen schon vernichtet worden waren. Die Überlebenden ergriffen die Flucht. Als Alex sich umdrehte, erblickte er einen ganzer Zug Shiva-Soldaten. Die vierarmigen Kämpfer trugen allesamt graue Kombis und bewegten sich flink und unglaublich schnell vorwärts. Sie waren mit Pistolen, Sturmgewehren und erstaunlicherweise auch ausserirdischen Stab- und Strahlenwaffen bewaffnet.

Einige der Soldaten erblickten Alex und winkten ihm zu, während er nichts mehr anderes tun konnte, als voller Freude alle vier Arme zu erheben und laut loszulachen.

Teil 5 - Gespaltene Welt

 

1. Infiltration

 

Gedämpft drang das Dröhnen der Helikoptermotoren von draussen in den Transportraum hinein, begleitet von monotonen Vibrationen. Durch die runden, handflächengrossen Fenster drang diffuses, weisses Licht hinein. Draussen war es neblig. Die Maschine flog durch dichte Wolkenschichten, um nicht unnötig aufzufallen. Es war ein Spezialhelikopter, ein neues Modell; angefertigt, für verdeckte Einsätze. Es besass eine besondere Oberflächenform

und eine spezielle Beschichtung, welche langwellige Strahlung absorbierten und verteilt reflektierten. Das machte das Fluggerät beinahe unsichtbar für Radarwellen. Abgesehen davon erreichte die Maschine eine Flughöhe von fast siebentausend Metern. Gängige Flugbots der Maschinen waren für die dünne Luft dieser Höhe nicht ausgelegt und waren hier nicht gut manövrierfähig. Normalerweise patrouillierten die Maschinen auch nicht so hoch. Doch man konnte nie vorsichtig genug sein. Einerseits musste damit gerechnet werden, dass die Maschinen den Menschen immer einen Schritt voraus waren, andererseits durfte man nicht

vergessen, dass es nun Feinde gab, die wesentlich höher fliegen konnten. Aber die Insassen – vier Shivas – machten sich keine Sorgen. Leutnant Rhea Slavcheva sass bei einem der Fenster und summte leise und unrhythmisch irgendein unbekanntes Lied, während ihre Finger auf der mit Kondenswasser beschlagener Scheibe Strichmännchen und Fantasielandschaften malten. Die Shiva-Soldatin war erst vor einigen Wochen aufgeweckt worden, doch sie hatte eine markante Vorgeschichte, die durch zahlreiche Schlachten gegen die Maschinen geprägt war. Die Erfahrung war ihr wortwörtlich ins Gesicht

geschrieben. Die groben, unattraktiven Züge, Brand- und Schnittnarben sprachen Bände. Neben ihr sass Leutnant Bradley Whiteley, ein ebenfalls frisch aufgeweckter Shiva. Vor seiner ‚Metamorphose‘ war er in seiner Aufklärereinheit bekannt dafür gewesen, am tiefsten in Maschinenstädte eindringen zu können, dabei unbemerkt zu bleiben und heil zurückzukommen. Whitely gegenüber sass locker an die Kabinenwand angelehnt Viktor Neto. Der stämmige Hauptmann gehörte zu den ersten Shivas und hatte so bereits viele Erfahrungen im Kampf gegen die Ausserirdischen sammeln können. Er war

stets ruhig und zeigte nie seine Gefühle, sodass man manchmal sogar das Gefühl bekam, einen Androiden vor sich zu haben. Viktor und Bradley unterhielten sich gerade. "Es begann mit ein paar lästigen Hautausschlägen", erzählte Bradley mit allen vier Armen gestikulierend. "Es juckte wie die Hölle. Der Arzt sagte, es sei nichts, ich solle es ignorieren. Das habe dann auch gemacht, bis der erste Anfall kam", er lachte frech. "Dann hatten sie sich endlich entschlossen, mich zu untersuchen. Weisst du, was herauskam?" "Was?", fragte Viktor uninteressiert. "Dieses Mittel, das wir uns spritzen, um

die ausserirdische Technologie nutzen zu können... Ich bin allergisch drauf!" "Du spinnst doch." "Nein, echt. Inzwischen hat man das auch bei einigen anderen nachweisen können." "Wie kommst du damit zurecht?" "Die haben mir dann irgendein Mittel verschrieben, dass ich mir immer injizieren muss, bevor ich das andere nehme. Jetzt schleppe ich ständig die doppelte Menge Spritzen mit mir herum." "Nah hoffen wir, du kriegst keinen Hexenschuss." Bradley antwortete auf die Bemerkung mit einer sauren Grimasse und blickte auf den Mann, der neben Viktor

sass. "Und Sie, Major? Keine Probleme mit dem Nemenen-Mittel?" Alex sass mit verschränkten Armen in einer Ecke der Kabine. Das Vibrieren der Wände zog ihn langsam in den Schlaf. Als er sich angesprochen fühlte, blickte er blinzelnd Leutnant Whiteley an. Er hatte das Gespräch nicht mitverfolgt und war froh, dass Viktor Neto die Antwort übernahm. "Der Major braucht das Mittel nicht, er hat es stets in sich", sagte dieser ernst. Alex kannte den Hauptmann am längsten von allen Anwesenden. Er gehörte damals zu den frisch aufgeweckten Shivas, die Alex in der arabischen Wüste

getroffen und danach bis zu der Nemenenbasis geführt hatte. "Wie denn das?", Bradley war überrascht. Alex setzte sich gerade hin. "Ich hatte eine unvollständige Konvertierung hinter mir." "Und das geht?" "Wie du siehst." "Warum machen wir das dann nicht alle?" Alex fragte sich, was er da überhaupt tat. Sein Vorfall mit der Königin war noch immer sein Geheimnis. Das musste auch so bleiben. Je weniger Leute von seinen Fähigkeiten Bescheid wussten, umso weniger unangenehme Fragen würden

gestellt werden. "Es ist zu gefährlich. Ich hatte Glück, dass ich es überlebt hatte", sagte er. Bradley liess nicht locker. "Besteht nicht die Gefahr, dass die Konvertierung vollständig abläuft? Dann wäre man plötzlich auf der falschen Seite... Es geht das Gerücht herum, dass Sie deshalb im Gefängnis sassen, Major." "Hüte deine Zunge, Bradley!", fauchte Rhea, die bis dahin nichts gesagt hatte. "Musst du immer die Nase in fremde Angelegenheiten stecken?" Alex dankte ihr mit einem Blick, dass sie den frechen Burschen auf seinen Platz wies, doch er merkte, dass er das Missverständnis nicht in der Luft hängen

lassen konnte. "Schon interessant, wie schnell sich Fehlinformationen verbreiten", begann er. "Ich habe einen Major getötet, deshalb hat man mich festgenommen. Die Konvertierung hat mein Bewusstsein nicht verändert. Aber ich bin nun in der Lage andere Nemenen zu fühlen. Und so konnte ich herausfinden, dass der Major ein Verräter war. Einer, der sich schon seit Jahren unter uns befand." "Wieso hat man Sie eingesperrt?" "Weil man mir vorerst nicht glauben wollte, dass ich einen Verräter getötet hatte. Erst eine gründliche Untersuchung konnte nachweisen, dass der Offizier ein Konvertierter war und Informationen

stahl." "Und dann?" "Ich kam wieder frei und wurde von Stützpunkt zu Stützpunkt gefahren, um nach weiteren Spionen zu suchen." "Hat es funktioniert?" "Nicht wirklich. Nur noch ein weiterer konnte so erwischt werden. Doch noch immer sickern irgendwo heikle Informationen durch. Ich vermute die Nemenen haben schnell gemerkt, was da läuft und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Ich weiss nicht was sie gemacht haben, sie sind clever und passen sich an." "Eine derart wertvolle Person wie Sie wird einfach so auf gefährliche

Missionen geschickt?" "Ich bestand darauf. Ausserdem, unsere Wissenschaftler schlafen nicht. Ich vermute man hat bereits einen Weg gefunden, unvollständige Konvertierungen sicher durchführen zu können. Ansonsten ja, wäre ich nicht hier." Alex lehnte sich wieder zurück, um zu demonstrieren, dass er alles gesagt hatte. Bradley holte Luft für eine weitere Frage, doch Rheas böser Blick hielt ihn zurück. Er schüttelte enttäuscht den Kopf und liess sich ebenfalls an die Wand hinter sich fallen. Mit einem nachdenklichen Blick fixierte er die Kabinendecke und sagte nichts

mehr. Alle versuchten etwas zu schlafen. Doch viel Zeit liess man den Shivas nicht. Eine gelbe Lampe leuchtete an der Decke auf, begleitet von einem hässlichen Signalton. Jegliche Müdigkeit war sofort wie weggefegt. "Bereit machen!", befahl Alex und erhob sich impulsiv. Die vier Soldaten gingen in den hinteren Teil der Kabine, wo an den Wänden vier in Einzelteile zerlegte Anzüge auf sie warteten. Es handelte sich um die kürzlich entwickelten Heracles-Anzüge der S-Serie, wobei das ‚S‘ für nichts anderes als ‚Shivas‘ stand. Als Alex sie zum ersten Mal sah, befürchtete er, dass

sie viel zu unbeweglich wären und einen Shiva-Soldaten nur in seiner Beweglichkeit einschränken würden. Doch die Tests, bei denen er von Anfang an dabei gewesen war, hatten seine Befürchtungen nicht wahr werden lassen. Der Anzug war erstaunlich leicht und flexibel. Ein Shiva konnte ungehindert alle vier Arme bewegen, Hechtsprünge und Rollen ausüben. Nur war er jetzt in der Lage das Ganze mit fast fünffacher Kraft auszuführen. Auch die ballistischen Tests hatten Alex nicht enttäuscht. Die Anzugspanzerung bot einen beachtlichen Schutz gegen Partikelwaffen der Nemenen. Der EMP-Schutz war schon fast Standard und eine

zusätzliche spezielle Innenbeschichtung fungierte als Neutronenfänger und bot einen gewissen Schutz gegen die ausserirdischen Handgranaten. Sie machte es dem Träger möglich, sich näher am Neutronenemitter befinden zu können, ohne Schaden zu nehmen. Die vier Shivas zogen ihre Uniformen aus. Darunter trugen sie enge Einteiler, die die eigentliche innerste Schicht des Anzuges war. Sie war aus speziellem Stoff angefertigt, welcher half, die Körpertemperatur im angenehmen Bereich zu halten und Nervenimpulse weiterzuleiten. Man half sich gegenseitig beim Anziehen. Alleine ging es fast nicht, die einzelnen Teile richtig zu

montieren. Raus kam man dagegen immer. Mit einem Notschalter liessen sich alle Verriegelungen automatisch öffnen. Der Anzug passte sich gut der Körperform an. Im Unterschied zu den alten Heracles-Anzügen, die rein aus starren Teilen und Gelenken bestanden, besass dieser zahlreiche elastische Stellen, die die Beweglichkeit bedeutend vergrösserten. Man kam sich vor, wie ein flinkes Insekt in seinem Chitinskelett. Auch im Kopfbereich hatte es viele Änderungen gegenüber früheren Versionen gegeben. Er war nicht mehr eine einfache, verstärkte und fest mit dem Rumpf verbundene Kuppel, sondern

ein an die Kopfform angepasster Helm. Nach einer guten Viertelstunde waren alle angezogen und Alex kontrollierte bei jedem persönlich, ob alle Verschlüsse dicht waren und die Ausrüstung komplett war. Ausser zwei Raketenwerfern und zwei Sturmgewehren, hatte jeder Soldat Werkzeug und Nahrungsmittel für drei Wochen dabei. "Drei Wochen?", hatte Bradley damals bei der Einsatzbesprechung nachgefragt. "Heisst das, wir werden drei Wochen lang dort schmoren?" "Zwei", korrigierte Alex. "Zwei Wochen werden wir diese neuartige Anlage beobachten und die restlichen Tage brauchen wir, um wieder nach Hause zu

kommen." Bradley pustete enttäuscht die Luft aus und Rhea lachte schadenfreudig: "Du hast wohl eine Limousine erwartet, was?" Ein weiterer Signalton riss Alex aus seinen Gedanken. Diesmal wurde die Kabine in rotes Licht gehüllt. "Es geht los", sagte Alex, diesmal über die Team-Funkverbindung. "Viel Glück euch allen, kommt heil zurück", sagte die Stimme des Piloten über die Kabinenlautsprecher. Die Gruppe trat näher an die Wände, als sich der hintere Teil des Innenraums nach unten zu klappen begann. Mit einem lauten Pfeifen erfolgte der

Druckausgleich. Auf der Anzugsanzeige leuchtete ein kleines Symbol auf, der auf eine Abnahme der Temperatur und des Druckes hinwies. Die Shivas merkten im Innern ihrer hermetisch abgeriegelten Anzüge nichts davon. Der Innenraum erhellte sich mehr und mehr, als die hintere Wand immer weiter nach unten klappte, bis sie zu einer Plattform wurde, die wie ein Sprungbrett in die unendlichen Weiten des Wolkenmeeres führte. Der Helikopter schwebte an einer Stelle in der Luft, dennoch bekam man das Gefühl, sich zu bewegen, denn die Wolken tanzten unruhig in alle Richtungen. Die Tastatur zur Einstellung des

Heracles-Anzugs befand sich in doppelter Ausführung an den beiden unteren Unterarmen in einem ausklappbaren Fach. Alex betätigte einen runden, gummierten Knopf und aktivierte so eine kleine Karte auf seiner Anzeige. Zahlreiche Markierungen befanden sich darauf. Alex orientierte sich und trat bis an den Rand der Öffnung. Etwas verunsichert blickte er in die Tiefe. Den Sprung hatte er drei Mal üben können, viel zu wenig, um sich daran zu gewöhnen. Rhea trat neben ihn. Gesichter waren durch die Helmvisiere schwer zu erkennen, doch Alex konnte schwören, dass Rheas Blick voller Freude war. Alex erinnerte sich, wie sie

einmal selber davon erzählt hatte, dass ihr Hobby vor dem Krieg das Fallschirmspringen war. Er konnte sich vorstellen, wie sehr ihr das hier nun gefallen musste. Hinter ihnen stellten sich Bradley und Viktor auf. Alex blickte ein letztes Mal zurück. Bringen wir es hinter uns, dachte er. Laut sagte er nur: "Dann wollen wir mal!" Um nicht zu schreien hielt Alex den Atem an und liess sich nach vorne fallen. Sofort ergriff ihn das Gefühl von Leere, Adrenalin breitete sich in seinem Körper aus. Er tauchte in den Wolkenozean ein und wurde wie von einem unsichtbaren Ungeheuer nach unten gezogen. Die Zahlen seines Höhenmeters begannen

rasend schnell dahinzusinken. Alex stabilisierte seinen Fall, indem er Arme und Beine ausbreitete. Er hörte Rhea über Funk einen Freudenschrei ausstossen. Sie holte ihn auf und platzierte sich neben ihm. Ihre Bewegungen waren präzis, gut koordiniert. Bald erschienen auch Bradley und Viktor, die – nicht ganz so professionell wie Rhea – ihre Position an die von Alex anpassten. Alex achtete auf die Höhenanzeige. Bei viertausend Metern senkte er seinen Körper und ging in Sturzflug über. Er griff sich mit den unteren Händen an die Oberschenkel und klinkte sich mit den Handschuhen in spezielle, sich dort

befindenden Hacken ein. Mit einem Ruck zog er die Arme wieder auseinander und bewirkte so, dass sich die eingefalteten Flügel ausbreiteten, die sich versteckt in einer Rinne entlang seines Rumpfes und der Oberschenkel befanden. Er wurde leicht nach oben gezogen, als die Flügel den Luftwiederstand und seine Flugbahn veränderten. Die beiden Flügel waren nicht sonderlich gross. Es handelte sich um abgerundete Dreiecke mit einer Spannweite von etwas mehr als einem Arm und einer Länge von der Schulter bis zum Knie, doch bei der aktuellen Fluggeschwindigkeit boten sie genügend Auftrieb, um gezielt gleiten zu können. Aleksejs Anzeige verriet ihm, dass sein

Team – wie sie es geübt hatten – seinem Beispiel gefolgt war und ihm in einiger Entfernung folgte. Keiner war vom Kurs abgekommen, keiner zu tief oder zu hoch. Er konzentrierte sich auf eine Markierung auf der Karte und steuerte auf direktem Weg darauf zu. Die Wolkendecke war immer noch sehr dicht und erlaubte keinen Blick auf die sich darunter befindende Landschaft. Das Fliegen ohne Navigationsgeräte und Aleksejs Sinn für magnetische Felder wäre unmöglich gewesen. Es waren nicht gerade typische Wetterverhältnisse für den Juni. Dementsprechend hatte die Führung längere Zeit darauf warten müssen, dass

sie eintrafen. Doch es hatte sich gelohnt. Die Bewölkung war so dicht, wie sonst selten und ermöglichte den Shivas einen verdeckten Abstieg. Als Alex die Markierung passierte, war die dichte Bewölkung überwunden. Der Höhenmesser zeigte nur noch achthundert Meter über Meer an, als Alex einen bestimmten Schalter betätigte. Die Rückenplatte seines Anzuges klappte hoch und entliess explosionsartig einen Fallschirm, der sich in wenigen Sekunden entfaltete und Aleksejs Fall abbremste. Während er langsam hinunterglitt suchte er den Luftraum über sich ab und vergewisserte sich, dass über ihm drei Fallschirme

schwebten. Nun konzentrierte er sich auf das, was unter ihm lag, was sich bei dem aktuellen Bodennebel als keine einfache Aufgabe erwies. Grasboden erschien wie aus dem Nichts nur wenige Meter unter seinen Füssen. Die Landung erwies sich als hart. Er verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorne. Rechtzeitig streckte er die Arme aus, um nicht in eine Schlammpfütze zu fallen. Er entkoppelte seinen Fallschirm, befreite seine Unterarme von den Flügeln, welche sogleich automatisch einklappten, und zog seine Sturmgewehre hervor. Er blickte in den dichten Nebel, orientierte sich, rannte über den sumpfigen Boden zu einem einsam

stehenden Baum und bezog dort Stellung. Einer nach dem anderen setzten seine Leute auf dem Boden auf. Rhea und Viktor reagierten sehr schnell und waren nur wenige Sekunden nach dem Aufsetzen bei Alex, während Bradley auf einem entkoppelten Fallschirm aufsetzte, sich mit den Beinen darin verhedderte und mit den Armen rudernd umfiel. Dennoch verhielt er sich richtig, packte – in einer Pfütze liegend – seine Waffen aus und richtete sie in den Nebel. Um die Gruppe herum war es ruhig. Alex hörte nur seinen eigenen unruhig gehenden Atem und das traurige Zwitschern eines nicht lokalisierbaren Vogels. Soweit er sehen konnte, waren

keine Maschinen oder Infizierte in der Nähe. Auch seine Sinne und die Sensoren seines Anzuges schwiegen. Die vier Shivas befanden sich tief in feindlichem Gebiet, auch wenn die Landschaft das nicht direkt ersichtlich machte. Es handelte sich nämlich um eine grosse, von Maschinen verschonte Fläche inmitten einer Maschinenstadt. Alex kannte solche Erscheinungen bereits aus seiner Vergangenheit und wusste immer noch nicht, wozu die Maschinen um gewisse Landstriche herum bauten, statt sie einfach, wie den Grossteil der von ihnen besetzter Gebiete in eine Metallwüste zu verwandeln. Satellitenaufnahmen hatten tausende

solcher Gebiete, überall auf der Welt offenbart. Alex versammelte die Gruppe um Bradley herum, der sogleich von Viktor aus seiner misslichen Lage befreit wurde. Die Fallschirme wurden wieder in den Rückenfächern der Anzüge versorgt. "Alles in Ordnung bei allen?", fragte er über Funk und als er von jedem eine positive Antwort bekam, marschierten sie los, zu der nächsten Markierung auf der Karte. Sie gingen eine Zeit lang still durch die monotone Sumpflandschaft, bis Bradley das Schweigen brach. "Habt ihr euch eigentlich noch nie gefragt, wieso es diese Gebiete innerhalb der

Maschinenstädte gibt? Ich meine... Ihr müsst sicherlich schon davon gehört oder welche gesehen haben." "Ich sehe es zum ersten Mal." Viktor klang emotionslos, wie immer. "Doch ich habe davon von Aufklärern gehört." "Bei meinen Aufklärungseinsätzen kam ich immer wieder an unberührten Gegenden vorbei", fuhr Bradley fort. "Ich habe dort sogar friedlich lebende Menschen antreffen können. Bis jetzt konnte mir aber niemand sagen, was da vor sich geht." "Menschen? Von Menschen habe ich in diesem Zusammenhang noch nie etwas gehört“, sagte Rhea. "Aber eine solche unberührte Fläche habe ich auch schon

mal gesehen, ein Waldgebiet, rund fünf Quadratkilometer gross." Alex merkte, dass alle auf seinen Beitrag warteten. "Ich sah einmal eine ganze Stadt", war seine Antwort. "Ich habe damals wie jetzt mit einem kleinen Team in Heracles-Anzügen eine Maschinenstadt infiltriert und war auf das Gebiet gestossen." "Aber wozu? Was bringen den Maschinen diese Flächen?", fragte Bradley. "Vielleicht haben sie ja eine Art Friedensabkommen mit den dort lebenden Menschen?", schlug Alex vor. "Und die unbewohnten Gebiete?" "Kommt darauf an, was du unter

unbewohnt meinst", erwiderte Rhea. "Auch dieses Moor ist bewohnt, wenn auch nicht von Menschen. Es könnte sich auch um riesige Testgelände handeln, wo die Maschinen ihren ganzen Dreck ausprobieren, bevor sie es dann richtig im Kampf einsetzen. Die Menschen und Tiere dort sind Versuchskaninchen, an denen getestet wird, wie man uns am besten umbringt. So haben sie doch auch die Zombies geschaffen." Mit mulmigen Gefühlen erinnerte sich Alex an die Stadt der Toten. Er schluckte schwer und räusperte sich. Das, was er dort gesehen hatte, konnte er irgendwie nicht so ganz recht mit den Maschinen in Verbindung bringen. Er hätte gerne mit

jemanden darüber gesprochen, schon nur um seine Gedanken davon zu befreien. In seinen Träumen tauchten immer wieder unnatürlich verkrüppelte Kreaturen auf und liessen ihn in Schweiss gebadet aufwachen. "Wahrscheinlich ist gar nichts höheres dahinter", sagte Viktor. "Den Maschinen ist an diesen Ort doch nur das Baumaterial ausgegangen." "Das alles erklärt aber nicht, warum Menschen, die dort leben in Ruhe gelassen werden", funkte Alex. "Vielleicht wollen die Maschinen uns gar nicht vernichten. Vielleicht verteidigen sie sich nur. Wenn man ihnen nicht aggressiv gegenübersteht, wird man

verschont." "Das kann ich nicht glauben", Rhea klang aufgeregt und Alex merkte, dass er lieber geschwiegen hätte. "Millionen Menschen sind gestorben und das nur, weil die Maschinen sich verteidigten? Auch wenn das so wäre... Sollen wir einfach nichts tun und friedlich zusehen, wie diese Blechdosen um unsere Städte herum bauen und alles in einem Umkreis von wenigen Kilometern mit ihrem Belag zukleistern?" Aleksejs Funkgerät begann zu läuten. Gutes Timing, dachte er, denn er hatte keine Lust mehr die nirgends hinführende Diskussion weiter zu spannen. Er nahm ab und stellte die

Übertragung zu den anderen durch, damit sie mithören konnten. "Alex?", es war Saiona. "Seid ihr gut gelandet?" "Keine Zwischenfälle bis jetzt, alles ruhig, wir bewegen uns zu der Gebietsgrenze. In weniger als zwei Stunden sollten wir dort ankommen." "Gut. Du weisst ja, dass wir keine Verbindung mehr aufrechterhalten dürfen, wenn ihr die Maschinenstadt erreicht. Ihr seid dann auf euch alleine gestellt." "Ist ja nicht das erste Mal..." "Alex, ich muss euch warnen. In euerer Nähe braut sich etwas zusammen. Die Ausserirdischen zeigen hohe Aktivität.

Sie haben sogar ihr Mutterschiff mobilisiert. Wir vermuten, dass es zu einem Grossangriff kommen wird. Vielleicht hat das sogar etwas mit dem Ort zu tun, wo ihr hingeht. Wir können hier nur raten." "Ich verstehe", sagte Alex nachdenklich. "Das Wetter wird so bleiben, da habt ihr Glück. Allerdings, gibt es keinen Nebel mehr über der Maschinenstadt. Ob ihr gesehen werdet, hängt dann von euren Fähigkeiten ab." Alex schwieg. "Alex... macht, dass ihr heil zurückkehrt." "Das werden wir", sagte er entschlossen. "Viel Glück", war das letzte was Saiona

sagte, bevor die Verbindung unterbrochen wurde. Alex hätte noch gerne etwas Angenehmes zum Abschied gesagt, doch es war ihm irgendwie peinlich, vor den anderen persönlich zu werden. "Wenn ich das richtig verstanden habe", Bradley Stimme ertönte wieder, "über uns ist die Kacke am Dampfen und wenn sie dann so richtig hochgeht, sind wir mittendrin?" Bradley sagte laut, was Alex gerade dachte. Er fluchte in Gedanken. Immer musste irgendwas Unvorhergesehenes passieren, wenn er im Einsatz war. Dennoch ging er weiter, der Gefahr entgegen, mit dem Wissen, dass er und

sein Team draufgehen könnten. "Entspann dich Bradley", sagte Rhea. "Du warst Aufklärer. Willst du mir sagen, du bist noch nie in einer ähnlichen Situation gewesen? Es wird alles gut gehen." Ja, dachte Alex, es wird alles gut gehen.

2. Die Rückkehr der Götter

 

Alex und sein Team bewegten sich durch die Maschinenstadt. Jede Deckung gebende Nische, jede enge Passage ausnutzend, kamen sie nur langsam voran. Alex plagte ein beunruhigendes Gefühl. Er war zwar schon einmal in einer Maschinenstadt gewesen, doch das

hier war anders. Entweder war jede Stadt auf ihre eigene Art und Weise gebaut worden, oder die Maschinen hatten ihren Baustil drastisch verändert. Die ganze Stadt schien hier eine riesige Maschine zu sein. Freie Roboter waren nur selten anzutreffen, dafür aber bewegten sich immer wieder Teile von Bauten und sogar ganze Gebäude und erledigten mit komplex gebauten Gliedern irgendwelche Arbeiten. Wer konnte jetzt noch wissen, wo und wer überall zusah? Welche Gasse konnten sie nehmen, um unbemerkt zu bleiben? Wenn die ganze Stadt ein einziges zusammenhängendes Wesen war, hatte es auch irgendwo seine Augen. Wusste man bereits von ihrer

Anwesenheit? Die Anlage am Zielort war riesig. Schon von weitem wurden fünf, in einem Kreuz stehende Türme sichtbar, die an Obelisken erinnerten und schätzungsweise vierhundert Meter hoch in den Himmel stachen. Bald war die Gruppe nahe genug, um kleinere Einrichtungen zu sehen; Dutzende von hohen, verzweigten Antennen, die konzentrisch um den mittleren Turm angeordnet waren. Alex schätzte den Radius des äussersten Kreises auf einen Kilometer. Darum herum befanden sich halbkugelförmige Gebilde, die mit spitzen Ausläufern bespickt waren und wie Seeigel aussahen. An einigen dieser

Konstruktionen waren lange Geschütze platziert. Flugabwehr, dachte Alex. Überall auf dem Gelände wurde gearbeitet. Kilometerlange Förderbänder brachten Baumaterialien in den Kreis hinein, Antennen bauten sich zum Teil von selber zusammen und Tausende von neuartigen Ingenieurrobotern tummelten sich wie Ameisen dazwischen herum. An den Rändern wurden die Eingänge von Kampfrobotern bewacht. Die angsteinflössenden Maschinen waren so gross, dass sie selbst aus der Weite gut sichtbar waren. Sie standen da, alle sechs Beine weit ausgebreitet, und bildeten eine schützenden Linie um das Gebiet. Am Himmel drehten Kampfroboter der

gleichen Art Runden. Jeweils vier ihrer Beine hatten sie zum Fliegen nach oben gefaltet. An deren Spitzen befanden sich Rotoren. Was konnten diese Dinger noch alles, dachte Alex mit Bewunderung. "Was ist das für eine Anlage?", fragte Bradley über die Aussensprechanlage, die er extra leise gestellt hatte. "Was zur Hölle bauen die da?" "Um das herauszufinden, sind wir ja hier", antwortete Alex, ohne den Blick vom Gelände zu wenden. "Sieht aus wie irgendein antiker, übertrieben gross gebauter Tempel", bemerkte Rhea. "Das ist bestimmt kein Tempel." Alex blickte zu den anderen. "Lasst und das

Ding aus der Nähe anschauen." Ein neuer Morgen brach an. Alex und die drei anderen Shivas sassen in einer einige Meter vom Boden entfernten Nische in der Mauer eines niederen Maschinengebäudes. Von hier aus war das kreisrunde Gebiet gut zu sehen. Fünf Tage waren vergangen, seit die Gruppe bei der Anlage eingetroffen war. In dieser Zeit hatten die Shivas das Gebiet etappenweise drei Mal umrundet. Ins Innere wagten sie sich nicht. Sie entdeckten zwar zahlreiche gut geeignete Stellen, doch Alex hielt es für zu riskant. Es war ihm aber klar, dass sie nicht einfach weitere Runden drehen konnten,

wenn sie etwas über dieses Ding herausfinden wollten. Bis jetzt hatten sie nichts gesehen, das erklären könnte, um was es sich bei der Konstruktion handelte. Alex richtete sich auf und trank etwas von seinem Nahrungsbrei aus einem Röhrchen, das direkt in den Helm mündete. Er überlegte sich, was sie nun als nächstes tun sollten, während er die Anlage mit seinem prüfenden Blick überflog. Da bemerkte er, dass etwas nicht mehr so war wie zuvor; die selbstbauenden Antennen, die Laufbänder und die Ingenieurroboter standen alle still. Alle Kampfroboter waren verschwunden. Irgendetwas stand

bevor. Auch Rhea, Viktor und Bradley hatten die Änderungen bemerkt. Befor irgendjemand etwas sagen konnte, erschien in der Ferne ein bläuliches Leuchten. Auf einen Schlag erwachte die Anlage vor ihnen zum Leben. Es knisterte, als die Luft über den Antennen zu vibrieren begann und Lichtbögen zwischen den fünf Türmen erschienen. Dann krachte es laut und ein bläulicher Strahl stach aus dem mittleren Turm senkrecht in den Himmel. Wie auslaufende Farbe, breitete sich ein rosarotes Leuchten darüber aus und füllte den gesamten Himmel. Das Leuchten in der Ferne verstärkte

sich explosionsartig, so dass Alex trotz sich verdunkelndem Helmvisier die Augen schliessen musste. Das Knistern der Anlage verwandelte sich in ohrenbetäubendes Grollen und als Alex die Augen aufriss sah er, wie ihm eine Mauer aus Licht entgegenraste. Was auch immer es war, es ging durch ihn hindurch und brachte alle seine Sinne durcheinander. Es entflammte ein regelrechtes Feuerwerk aus Gefühlen. Nicht nur sein Körper war davon betroffen. Auch die Anzeigen des Anzuges spielten verrückt, bis dieser gänzlich ausstieg. Alex war unvorbereitet, als das gesamte Gewicht des Heracles-Anzuges von einem Moment

auf den anderen auf ihn drückte. Er sackte zusammen und landete auf dem Rücken. Auf dem Boden liegend spürte Alex ein unangenehmes Gefühl im Magen. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig den Helm zu entriegeln und ihn wegzureissen, bevor sich eine Welle aus Erbrochenem aus seinem Mund ergoss. Während er sich wunderte, von wo das ganze Zeug aus ihm kam, setzte er sich trotz schwerer Ausrüstung auf. Nebst dem Gestank von Schweiss und Erbrochenem lag ein süsslicher Geruch in der Luft. Er erinnerte sich, so etwas als Informatiker in Serverräumen gerochen zu haben. Den anderen war es ähnlich ergangen.

Viktor und Rhea lagen am Boden in ihrem eigenen Erbrochenen und versuchten gerade sich zu erheben. Bradley hatte es nicht rechtzeitig geschafft den Helm abzuziehen und leerte ihn mit angeekeltem Gesichtsausdruck aus. Alles um sie herum erstrahlte in bläulicher Farbe. An einigen Orten vibrierte noch immer die Luft. Überall verteilt, stiegen seltsame, schwach leuchtende Punkte langsam wie Daunenknäuel vom Boden auf und verblassten nach wenigen Metern. Einer davon stieg aus dem Nischenboden direkt neben Rhea empor. Fasziniert streckte sie die Hand danach aus, doch Viktor hielt sie zurück. Eine Zeit lang

betrachteten die Shivas die märchenhafte Umgebung. "EMP?", fragte Viktor leise. "Gewöhnliches EMP macht so etwas nicht", meinte Alex. "Das muss irgendetwas anderes gewesen sein." "Die Anzüge", Rhea versuchte aufzustehen, "wir können uns kaum mehr bewegen. Was machen wir jetzt?" Die Situation kam Alex bekannt vor. "Hoffen wir, dass der EMP-Schutz den grössten Schaden verhindern konnte. Wir müssen versuchen sie neu zu starten." Alex betätigte mehrere Schalter der mechanischen Notentriegelung an seinem Anzug, sodass sich dieser in Einzelteilen von seinem Körper löste. Wie Alex es

gelernt hatte, ersetzte er mehrere Sicherungen und Chips mit neuen aus dem Werkzeugkasten und startete das System. Ein Stein fiel ihm von den Schultern, als das Kontrolllämpchen aufleuchtete. Der Anzug funktionierte. Auch bei Viktor verlief der Neustart erfolgreich. Rheas und Bradleys Anzüge spielten aber verrückt. Einige Teile waren tot, andere zuckten unkontrolliert herum. Egal was Alex probierte, die Störungen blieben. "Keine Sorge, Major", beruhigte ihn Rhea. "Wir werden die beschädigten Abschnitte unter Kontrolle behalten können. Die inaktiven brauchen mehr Kraft, die zuckenden mehr Koordination,

aber es sollte gehen." Kurze Zeit später standen alle wieder in voller Montur da. "Wenn wir die Anzüge starten konnten, dann funktionieren auch die Maschinen", bemerkte Alex. "Logisch", warf Bradley ein, während er seinen zuckenden rechten Unterarm betrachtete. "Sie werden ja wohl kaum etwas machen, was sie selber zerstört. Schliesslich haben sie selber die Anlage gestartet." "Wer weiss. Es war ziemlich seltsam. Das Leuchten in der Ferne... Habt ihr das auch gesehen?" "Ja, kurz bevor die Anlage aktiv wurde", sagte

Rhea. Alex betrachtete nochmals die Umgebung. Entweder hatten sich seine Augen an die neuen Lichtverhältnisse angepasst, oder das blaue Schimmern war tatsächlich verschwunden. Vibrierende Luftpakete und leuchtende Flocken waren nicht mehr zu sehen. "Wir gehen", sagte Alex. "Wohin?", fragte Bradley. "Nach Hause." Sie nahmen den direktesten Weg, der sie bis zur nächstgelegenen Grenze des Maschinengebietes führen sollte. Sie bewegten sich schnell, machten wenige Pausen. Grosse Bereiche der

Maschinenstadt schienen wie ausgestorben. Hier und da sahen sie Kampf- und Ingenieurroboter. Nur wenige von ihnen waren aktiv, die meisten lagen oder standen wie eingefroren da. Während des ganzen Weges ärgerte sich Alex innerlich. Sie waren mehrere Tage bei der Anlage und hatten nichts Handfestes herausfinden können. Die Funktion dieser riesigen Maschine war immer noch ein Rätsel. Aber länger bleiben konnten sie nicht. Rheas und Bradleys Anzüge waren beschädigt. Die beiden waren also nicht mehr zu hundert Prozent einsatzfähig und das war ein Risiko. Ohne Anzüge wären sie vielleicht

besser dran, doch dann wären sie ein einfaches Ziel für die Hitzesensoren der Maschinen. Nach einem Tagesmarsch hörte die Maschinenstadt plötzlich auf. Ausser einigen wenigen Flugabwehrgeschützen waren keine Verteidigungsanlagen in der Nähe zu sehen. "Die Grenze?", sagte Rhea leise über die Aussenlautsprecher. "Dafür ist es doch noch zu früh." "Wir sind noch nicht da." Misstrauisch betrachtete Alex die Waldlandschaft vor ihnen. "Es muss sich wieder um so ein Reservat... unberührtes Gebiet, handeln." "Schon wieder? Wieso haben wir das nicht vom Satellit aus sehen können?",

fragte Bradley. "Vielleicht deshalb." Alex deutete auf mehrere hohe Türme, die sich in der Nähe der Grenze befanden. Er hatte diese Trägerkonstruktionen mit den breiten, tellerförmigen Spitzen erst jetzt bemerkt, kannte sie aber bereits von früher. "Tarngeneratoren?", fragte Rhea erstaunt. Alex nickte. "Sie lassen die Luft über der von ihnen aufgespannten Fläche vibrieren und verzerren bis zur Unkenntlichkeit das Bild." "Was haben die da wohl zu verbergen?", fragte Bradley. Alex hatte das Gefühl die Antwort zu kennen, sagte aber nichts

dazu. "Wir gehen da durch", sagte er stattdessen nach einer Weile. Sie überprüften die Lage hinter ihnen und verschwanden dann im dichten Gehölz. Kaum hatten sie mehrere hundert Meter im Wald zurückgelegt, als dieser in einer ausgedehnten mit Büschen bedeckten Fläche endete und Sicht auf bewirtschaftete Felder freigab. In der Ferne zeigten sich Häuser einer Menschenstadt. "Hauptmann", sagte Alex zu Viktor. "Stelle eine Verbindung zur Führung durch, ich will sie informieren, bevor wir weiter gehen." "Geht

klar." Viktor nahm sich ein Gerät vom Rücken, entfaltete eine Art Stativ und stellte es ins Gras. Zuoberst befand sich ein rundlicher Kasten mit einem kleinen Bildschirm und einer ausklappbaren Tastatur. Viktor aktivierte den Sender mit einem achtstelligen Code. Das Gerät war in der Lage eine direkte, verschlüsselte Verbindung zum einzigen menschlichen Satelliten herzustellen. Ein solcher Anruf war immer riskant. Zwar war seine Quelle schwer zu lokalisieren, doch die Nemenen könnten in der Lage sein den Satelliten auf diese Weise auszumachen. Die Verbindungsanfrage wurde verschickt. Saiona würde anrufen,

sobald die Verbindung frei und sicher war. Das könnte dauern, denn schliesslich war der Satellit der letzte seiner Art und koordinierte Armeen auf der ganzen Welt. Es verging aber weniger Zeit als gedacht, bis sich Aleksejs Funkgerät meldete. "Alex, es gibt Probleme", sagte Saiona bevor er überhaupt etwas sagen konnte. "Hier auch." "Verletzte?", Saiona versuchte sachlich zu klingen. "Glücklicherweise keine, fahre bitte fort." "Die Nemenen haben vom Mutterschiff aus vor kurzem die Erde mit irgendetwas bestrahlt. Die Energiemenge war so

gewaltig, dass keines unserer Geräte sie überhaupt genau messen konnte. Es könnte sich um EMP handeln. Sind die Anzüge funktionsfähig?" "Zwei haben Störungen, wir kommen klar. Die Anlage der Maschinen war auch gerade aktiv." "Genau das ist der Punkt. Wäre diese Energiemenge in Form von EMP auf die Erde runtergedonnert, hätte keine einzige Maschine überlebt." Alex versuchte sich das vorzustellen. Die Maschinen, in einem Augenblick ausgelöscht. Aber auch die gesamte menschliche Technik wäre tot. Das hätte den endgültigen Sieg der Nemenen

bedeutet. Saiona fuhr fort: "Wir vermuten, die Maschinen haben von diesem Angriff gewusst und sich darauf vorbereitet. Die Anlage bei euch hatte womöglich einen Gegenimpuls erzeugt, um die Wirkung des Angriffes zu neutralisieren. Unsere Geräte zeugen dazu noch von der Existenz einer zweiten solchen Anlage auf der anderen Seite des Planeten. Wir haben sie bis jetzt nicht entdecken können, da wir dort keinen Satelliten haben." "Die Impulse mussten doch irgendwie aufeinandertreffen? War eine der Anlagen direkt unter dem Mutterschiff?" "Nein, das braucht es nicht. Sowohl die

Nemenen, als auch die Maschinen haben die Ionosphäre unserer Erde ausgenutzt, um die Energie um den ganzen Planeten zu verteilen. Nach einem ähnlichen Prinzip funktionierten unsere weltübergreifenden Radaranlagen vor dem Krieg." "Verstehe. Der Angriff wurde also abgewehrt, was passiert jetzt?" "Was die Nemenen machen, können wir nicht genau sagen, doch irgendetwas ist geschehen. Der Angriff wurde nicht einfach interferiert, die Energie hat sich in eine andere Form umgewandelt." "Was meinst du damit?" "Ich kann es nicht genau erklären... Aber unsere Messgeräte nehmen Anomalien

überall auf der Erde wahr. Plötzlich auftauchende, starke Energiequellen, die sofort wieder verschwinden. Unsere Wissenschaftler reden von einer Raumzeitstörung." Alex erinnerte sich an das Flimmern in der Luft. Hatte das etwas damit zu tun? "Alex, wo seid ihr jetzt?" "Wir sind auf dem Weg zurück." "Gut, ich wollte dir das gerade anordnen... Seid vorsichtig, irgendetwas Unnatürliches geht hier vor." Die Verbindung unterbrach. Die anderen Shivas hatten die Unterhaltung mitverfolgt. Bradley schüttelte den Kopf. "Nur Probleme, immer nur

Probleme..." "Der EMP, der uns erwischt hat, war dennoch beachtlich", bemerkte Rhea. "Ich frage mich, ob das nur lokal, um die Anlage so war." Alex blickte nachdenklich auf die Stadt in der Ferne. "Wir diskutieren später darüber. Neto, packe das Gerät wieder ein, wir gehen." Wenige Augenblicke später setzte die Gruppe ihren Weg fort. Alex hatte vor, ohne grösseres Aufsehen die Stadt am Rande zu umgehen. Noch bevor die Shivas sie erreicht hatten, begann plötzlich die Luft um sie herum zu vibrieren. Alex fühlte, wie seine Sinne für elektromagnetische

Felder verrückt spielten. Die Anzeige seines Anzuges begann zu flackern. "Da ist was", sagte Rhea und entsicherte die Waffen. Auf einmal gab es ein lautes, reissendes Geräusch und die Luft neben den vier Shivas platzte förmlich auf. In allen möglichen Farben schimmernde Striche erschienen aus dem Nichts und wurden breiter. Sie verzerrten die Landschaft um sie herum, als wäre diese nur ein zweidimensionales Bild. Die Striche rissen plötzlich auf und verbanden sich zu einer Fläche. Darin erschienen unförmige, polypenartige Lichterscheinungen, die sich aus den entstandenen Rissen nach draussen

zogen. Das Bild war so fremd und erschreckend, dass Alex einen Moment lang nur da stand und das Schauspiel anstarrte. War das eine neuartige Waffe der Maschinen? Wie lebendige Wesen zogen sich die tentakelähnlichen Gebilde immer mehr in die Länge und näherten sich der Gruppe. Bradley verlor die Nerven, riss fluchend die Waffe hoch und feuerte mehrmals auf eine der Erscheinungen. Die Schüsse hatten nicht den kleinsten Effekt darauf – die Kugeln flogen einfach durch – weckten dafür aber Alex aus seinem Staunen. Er merkte, dass er handeln musste. "Nicht schiessen!" Er drückte Bradleys

Waffe hinunter. "Wir wissen nicht, was das ist!" Rhea zeigte nach vorne. "Major! Das Gras unter diesem Licht... Es welkt!" Jetzt bemerkte er es auch. Dort, wo die Erscheinung auftrat, schrumpften und vertrockneten die Pflanzen innerhalb von wenigen Sekunden. Einige der Tentakel waren schon in griffbarer Nähe. Alex trat zurück, um einem davon auszuweichen. Seine Sinne schrien regelrecht, als dieser durch die Luft vor ihm glitt. "Wir müssen hier weg!", rief er zu den anderen. "Berührt nicht das Licht! Mir nach!" Sie rannten los. Alex musste ständig die Richtung ändern, um nicht in neu

auftauchenden Lichterscheinungen hineinzulaufen. Sie sprossen überall aus dem Nichts! Kam er ihnen zu nahe, streckten sich ihm gleich mehrere Tentakel entgegen und versuchten ihn zu erwischen. Er wusste nicht, was passieren würde, wenn eines der Dinger ihn berühren würde, doch er wollte es nicht an sich und seinen Leuten ausprobieren. Rennend erreichten sie die ersten Häuser der Siedlung. Hier tauchten die Lichter nicht mehr so oft um die Shivas herum auf. Aber menschliche Schreie aus der Richtung der Stadt sagten Alex, dass es dort anders

aussah. "Major!" Rheas verzweifelter Ruf zwang ihn anzuhalten. Rhea und Viktor standen in einiger Entfernung von ihm und sahen hilflos zu Bradley hinüber, der von den Lichterscheinungen eingekreist worden war. Es gab für ihn kein Durchkommen mehr. Er fluchte laut und fuchtelte mit seinem Gewehr herum. "Ich renne durch, ich kann sonst nichts machen!", rief er zu den anderen. Ohne zu zögern sprang er in den vor ihm angesammelten Haufen aus farbigen Lichtpolypen. Er landete auf der anderen Seite, rollte ab und war sofort wieder auf den

Beinen. "Nichts passiert! Das Licht ist absolut harm...", begann er, doch dann drehte er sich um. Mehrere tentakelartige Fäden zogen sich aus den Rissen und endeten irgendwo inmitten seines Körpers. Wie Pfeile schnappten weitere Tentakel nach ihm. Bradleys Waffe fiel auf den Boden und er drehte sich zu den anderen um. Durch das Visier, war sein schmerzverzerrtes Gesicht zu erkennen. Er fiel auf die Knie und Kopf voran ins Gras. "Bradley!", schrie Rhea und wollte zu ihm rennen. In wenigen Sätzen war Alex bei ihr und hielt sie am oberen Arm fest. Es war zu

spät. Der Körper des jungen Leutnants war schon wieder von den Lichtern eingekreist worden und manche von ihnen begannen sich den übrigen drei Shivas zu nähern. "Wir können nichts mehr für ihn tun! Weiter! Los!", rief Alex und zerrte Rhea weg. Viktor blieb eine Zeit lang stehen, sodass Alex schon befürchtete, er würde versuchen, sich in das Lichtermeer zu werfen, doch auch er drehte sich um und wollte Alex folgen. Er verharrte mitten in der Bewegung. "Vorsicht! Vor Ihnen!", rief er und zeigte nach vorne. Alex hatte sich nicht auf das

konzentriert, was vor ihm lag, sondern seine Aufmerksamkeit kurzfristig Rhea und den Lichtern gewidmet, sodass er das plötzliche Auftauchen eines Risses direkt vor sich nicht bemerkt hatte. Er stiess Rhea auf eine Seite weg und wollte selber in Deckung hechten, doch es war zu spät. Schon hatten sich zahlreiche Fäden aus Licht in seinen Körper gebohrt. Ein Gefühl plötzlicher Leere durchfuhr ihn. Kälte... Schwerelosigkeit... So stellte er sich den Tod vor. Dann kam der feurige Schmerz, der ihm die Sinne raubte.

 

3. Entfernte Nachbarn

 

„Du bist anders“, sagte eine gedämpft klingende Stimme. Obwohl Alex die Augen offen hatte - er glaubte es zumindest - sah er nur Schwärze vor sich. „Wer spricht da?“, fragte er und versuchte sich zu bewegen, doch er fühlte seinen Körper nicht. „Du bist nicht wie die Anderen“, sagte die Stimme. „Zwei Seelen in einem Körper. Obwohl die eine die andere hasst, seid ihr vereint. Die Genossen eines der Wesen in dir, haben die Pforten geöffnet.“ „Wer bist du“, Alex versuchte lauter zu sprechen, doch seine Stimme liess sich nicht

verstellen. „Streng dich nicht an, Mensch. Wir lesen deine Gedanken, wir reden durch dich.“ Eine plötzliche Angst packte Alex. Wo steckte er? Der Unbekannte redete weiter: "Ihr habt Schlimmes angestellt Ihr habt Portale in unsere Welt geöffnet und dadurch viel Zerstörung bei uns angerichtet. Die Portale reissen uns in eure Welt." "Ihr seid also die Lichterscheinungen? Warum habt ihr einen meiner Leute getötet." Das Wesen sprach monoton und fliessend: "Es ist schwierig für uns, nicht zu töten. Unsere Körper, ja unsere ganze Welt, haben diese Wirkung auf

Lebewesen eurer Welt. Viele von uns haben Angst und greifen euch zusätzlich an." "Angst? Wovor habt ihr denn Angst? Wir können euch nichts tun!" "Eure Welt fügt uns Schmerzen zu. Ausserdem können sich viele von uns nicht kontrollieren." "Du kannst es anscheinend?" "Ja, ich bin geschickt worden, um Lösungen zu suchen. Ich habe dich ausgesucht. Du bist anders. Ich will helfen." "Was können wir tun?" "Die Portale müssen geschlossen werden." "Dieser starke Energieimpuls... Ist er

verantwortlich für die Öffnung der Portale?" "Ja, die Lebewesen aus Stahl und die Wesen, die vom diesem Planet kommen haben die Öffnung ausgelöst. Du stehst scheinbar mit den fremden Wesen in Kontakt. Du wirst die Portale wieder schliessen." Alex konnte nicht glauben, was er da hörte. "Ich? Wie soll ich das denn anstellen?" "Du musst dafür sorgen, dass der gleiche Impuls nochmals ausgelöst wird." "Das kann ich nicht... Ich habe keinen Einfluss auf die Maschinen oder die Nemenen, ihr versteht das falsch." Alex fühlte, wie die Verzweiflung in ihm

zu wachsen begann. Er wollte glauben, dass das alles nicht echt war, ein schlechter Traum, sonst nichts. Doch die Konversation fühlte sich absolut real an. "Eure Welt ist eine Gefahr für uns", die Stimme wurde aufdringlicher. "Wir geben dir Zeit, die Portale zu schliessen. Fünf Tage, wie du diese Zeit nennen würdest. Ich werde meine Freunde warnen, damit sie Acht geben, in dieser Zeit möglichst niemanden zu verletzten." Es klang plötzlich so, als stünde das Wesen direkt an Aleksejs Ohr. "Danach, werden wir anfangen, alles Leben auf dieser Welt zu vernichten." "Was... Moment..." "Ich werde dich freilassen, du wirst

weiterleben und deine Mission erfüllen." "Bradley", Alex fasste Hoffnung. "Lasst auch ihn frei!" "Für ihn ist es zu spät. Seine Seele ist bereits ausgelöscht. Nun geh. Die Zeit läuft." "Nein... Hör zu...", begann Alex, doch es war zu spät. Die Stimme, die Leere und die Dunkelheit verschwanden von einem Augenblick auf den anderen. Er fühlte Wärme, die Wärme der Sonne. Seine Augen waren offen und in den Himmel gerichtet, wo fetzenförmige Wolken träge dahinglitten. Irgendetwas lag neben ihm. Er drehte den Kopf und blickte direkt in Bradleys Gesicht. Er lag wie Alex im Gras, aber er atmete nicht.

Sein Gesicht war bleich, die Züge entspannt. Bradley war tot. Man hatte ihm den Heracles-Anzug ausgezogen. Erst jetzt merkte Alex, dass auch er seinen nicht mehr trug. Er blickte wieder in den Himmel. Seine Augen füllten sich mit Tränen, seine Gefühle drehten sich wie eine Achterbahn. Schon wieder war jemand seinetwegen gestorben. Er hätte es verhindern können. Er selber lebte. Er war froh darüber. Er war irgendwie doch noch nicht bereit zu sterben, obwohl er sich das ständig einredete. Früher hatte er sich dauernd nach dem Tod gesehnt und dieser war jedes Mal haarscharf an ihm

vorbeigeglitten. Mehrmals fühlte er die bereits bekannte Erleichterung, endlich mit dem Leben abgeschlossen zu haben und wurde dann wieder in die Welt der Lebenden zurückgeholt. Die Erde hatte scheinbar noch etwas mit ihm vor. Er hörte Stimmen und richtete sich auf. Viktor und Rhea diskutierten mit abgezogenen Helmen in einiger Entfernung. Sie sahen angeschlagen aus. Als die beiden seine Bewegungen bemerkten, verharrten sie mit erstaunten Gesichtern. "Major!", rief Rhea und kam leicht hinkend angerannt; ihr Anzug schien ihr immer noch Probleme zu machen. Viktor folgte

ihr. "Wir dachten schon, Sie wären tot", sagte der Hauptmann. "Nein, noch nicht", sagte Alex. "Aber wir steckten in Schwierigkeiten." "Was ist los?" Alex erzählte den Beiden, was er erlebt hatte. Als er fertig war, wagte niemand, etwas darauf zu antworten. Alex konnte sich denken, wieso. Das alles klang viel zu verrückt. "Was schlagen Sie jetzt vor?", fragte Rhea schliesslich. "Was können wir denn tun." Alex hatte bereits eine Idee, was als nächstes zu tun war. Doch er behielt es vorerst für sich; er wollte seine Leute

nicht noch mehr verwirren. "Hauptmann", sagte er dann. "Stelle bitte eine Verbindung zur HQ her." "Major", sagte Rhea etwas skeptisch, während sich das Verbindungsgerät bereits im Aufbau befand. "Sind Sie sicher, dass Sie das so berichten wollen... Ich meine... Es klingt etwas unglaubwürdig. Vielleicht haben Sie sich das nur so eingebildet." "Ich kann glauben, dass meine Erzählung etwas seltsam klingt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es real war." Kurze Zeit später stand die Verbindung. Alex liess sich nicht verunsichern und berichtete Saiona über sein Erlebnis. "Alex", sie klang aufgeregt. "Ich kann

deine Erzählung teilweise bestätigen." "Dann bin ich also noch nicht verrückt." "Schon in dieser kurzen Zeit haben wir mehrere Meldungen von Leuten erhalten, die Ähnliches erlebt hatten. Stimmen haben sich mit ihnen unterhalten, über sich erzählt. So fiktional das auch klingen mag, wir müssen annehmen, dass der durch die Maschinen und Nemenen erzeugte Energieimpuls Portale in eine Art… eine Art Parallelwelt geöffnet hat. Wir haben auch Berichte darüber, dass die Nemenen und die Maschinen ebenfalls von den Lichterscheinungen attackiert werden. Vor allem die Maschinen sind sehr empfindlich

dagegen." "Verstehe. Was ist mit der Drohung, das Leben auf dieser Welt auszulöschen?" "Es hat sich niemand mit ähnlichen Berichten gemeldet. Das Wesen hat dir erzählt, dass du für die Schliessung der Portale mitverantwortlich bist? Wieso hat es ausgerechnet dich ausgewählt?" "Ich weiss es nicht, Saiona... Vielleicht liegt es an meiner Vergangenheit, das Wesen erwähnte, dass ich anders sei als die anderen Menschen, weil in mir auch ein Nemene drin stecke." "Dann würden viele Nemenen die gleiche Erfahrung durchmachen." "Kann sein. Sie sind schliesslich auch so etwas, wie zwei Lebewesen in einem...

Nur steht eines davon in keinerlei Verbindung mit dem, was sich jetzt auf der Erde abspielt. Ich glaube auch, dass es kaum einen Nemenen wirklich kratzt, was mit den Bewohnern dieses Planeten geschieht. Unsere Auslöschung wäre für die Nemenen eigentlich ziemlich passend. Sie könnten sich kurz auf ihren Schiffen verkriechen und abwarten, bis die Lichter ihre Arbeit erledigt haben. Danach könnten sie die Portale wieder verschliessen. Dumm nur, wenn die Lichtwesen mit 'alles Leben' auch wirklich 'alles Leben' meinen, beziehungsweise am Schluss eine leblose Wüste übrig bleibt. Ich glaub das wäre auch nicht gerade im Interesse der

Nemenen." Saiona schwieg kurz. "Was schlägst du jetzt vor, Alex?" Er war erstaunt, dass sie ihn das fragte. Normalerweise nahm er Befehle entgegen und machte keine Vorschläge. "Wir müssen unsere Streifkräfte für einen massiven Angriff auf die Nemenen vorbereiten. Wir müssen ihr Mutterschiff erreichen und einen weiteren Impuls auslösen." "Alex... Auch wenn das rein hypothetisch gelingen sollte... Um die gleiche energetische Situation zu erreichen, bräuchten wir auch die Anlagen der Maschinen. Um die zu kriegen, müssten wir dort wahrscheinlich mit allen uns

verfügbaren Mitteln angreifen. Du siehst, das geht nicht auf, so viel Macht haben wir nicht. Grossangriffe an beiden Fronten und zur gleichen Zeit sind für uns unmöglich. Ausserdem könnten wir keine der Anlagen richtig bedienen." "Die Maschinen übernehme ich." Der Satz entglitt ihm ungewollt aus dem Mund. Rhea und Viktor blickten ihn erstaunt an. "Was hast du vor, Alex?" "Vertrau mir. Ich habe das erste Mal in diesem Krieg das Gefühl, das Richtige tun zu können. Ich werde einen Weg finden. In der Zwischenzeit sollten sich die Menschen für einen Angriff auf die Nemenen

vorbereiten." "Moment, Alex... Das entscheidet immer noch die Regierung. Der Vorstand wird sich deinen Bericht anhören und überlegen, was als Nächstes getan werden müsste. Bei mir liegt hier übrigens der Befehl für dich wieder zurückzukehren. Eure Mission ist beendet. Wenn du in der Basis bist kannst du deine Erlebnisse genauer beschreiben und die Videoaufzeichnungen können ausgewertet werden." Fünf Tage, dachte Alex, lächerliche fünf Tage blieben ihnen. Aber Saiona verstand es nicht. Wie sollte sie auch, sie hatte ja die Warnung nicht selber gehört.

Sie hatte keines dieser Dinger in ihrem Kopf. "Saiona", sagte er ruhig und langsam, "die Erde hat für Tage, nicht mehr. Wir können nicht warten. Ich weiss, dass es in der Nähe von unserem Standort einen Maschinenlord gibt. Ich brauche die genauen Koordinaten." Schweigen. "Saiona?" "Sie erlauben sich etwas viel, Major Leonidov", erklang plötzlich eine andere, Alex bekannte Stimme. "Oberst Ladon, bitte verstehen Sie mich..." "Nein!", schnitt Ladon ihm ins Wort. "Schluss! Kehren Sie mit Ihren Leuten

zur Basis zurück, das ist ein Befehl!" Es war sinnlos. Also keine Unterstützung aus den eigenen Reihen. "Tut mir Leid, das kann ich nicht tun", sagte Alex und unterbrach die Verbindung. Dann blickte er zu seinen Leuten hinüber, die das Gespräch mitverfolgt hatten. "Das klang nicht nett", sagte Rhea schmunzelnd. "Ich hoffe Sie haben einen guten Plan. Was tun wir jetzt?" "Wir", sagte Alex, "tun gar nichts. Ihr beide kehrt zur Basis zurück. Ich ziehe das alleine durch. Es sind genug Menschen unter meiner Führung gestorben." Viktor kam nach vorne. "So wie du dem

Oberst widersprochen hast, muss ich auch dir widersprechen, Major", sagte er direkt auf 'du' übergehend, was Alex keineswegs als unpassend empfand. "Ich vertraue dir. Solange ich dich kenne, hast du immer das Richtige getan, auch wenn es nicht von allen sofort eingesehen wurde. Wo du hingehst, gehe auch ich hin." "Das gleiche gilt für mich", sagte Rhea entschlossen. "Ich glaube dir. Wie ein Verrückter siehst du mir nicht aus. Du bist immer noch mein Vorgesetzter, aber den Befehl, dich allein zu lassen kann ich nicht akzeptieren." Sie schluckte und blickte zu Bradleys toten Körper hinüber. "Ich bedauere sehr, dass Bradley nicht

mehr unter uns ist. Aber ich glaube, er wäre ebenfalls bereit, mit dir zu gehen. An seinem Tod trägst du keine Schuld." Alex blickte den beiden in die Augen und begriff, dass er sie nicht zwingen konnte zu gehen. Sie waren tatsächlich bereit mit ihm bis ans Ende zu gehen. Tief im Inneren war er froh, dass sich die Beiden so entschieden hatten. "In diesem Fall", sagte Alex zu Rhea, "bringe deinen Anzug wieder in Ordnung, indem du die defekten Teile mit denen von Bradley austauscht. Sein Anzug war schliesslich nicht vollständig beschädigt." "Geht klar", sagte Rhea mit einem kaum merkbaren Lächeln im Gesicht und

ging. Alex schaute ihr nach. Sein Blick blieb dann bei der Leiche des jungen Leutnants hängen. Sie müssten ihn begraben, überlegte er, es wäre nicht so ehrenhaft, ihn einfach so hier liegen zu lassen. Viktor näherte sich. "Major, wie willst du jetzt eigentlich die genaue Position des Maschinenlords herausfinden?" "Das weiss ich jetzt noch nicht so genau", sagte Alex. "Aber ich habe das Gefühl, das die Antwort in dieser Menschenstadt zu finden ist." Er deutete auf die Häuser in der Nähe. "Wir gehen rein." Eine schmale Strasse, deren Belag sich bereits abzulösen begann, führte die drei

Shivas in die Stadt. Die Häuser waren alle in ähnlichem Stil gebaut, meist dreistöckig, grau und mit Vordächern vor den Eingängen. Hier und da flatterte aufgehängte Wäsche auf den engen Balkonen. Verwitterte blaue Schilder trugen auf Französisch verfasste Strassennamen. Die Gruppe lief ruhig, in der Mitte der Strasse, die Helme aufgesetzt. Die Waffen hatten die Shivas in neutraler Haltung vor sich, um niemandem gefährlich zu erscheinen, obwohl wahrscheinlich ihre Anzüge und die zusätzlichen Arme sie bereits genügend furchteinflössend aussehen liessen. Doch die Menschen, die sie antrafen, hatten

andere Sorgen. Überall auf den Strassen lagen Tote ohne sichtbare Verletzungen herum. Es musste sich um Opfer der Lichtkreaturen handeln, dachte Alex. Diejenigen, die noch lebten widmeten ihre Aufmerksamkeit den Toten. Den Neuankömmlingen warfen sie, wenn überhaupt, nur flüchtige, misstrauische Blicke entgegen. Einige Häuser brannten. Wie das dazu gekommen war wusste Alex nicht. Womöglich wurden Personen auch in ihren Wohnungen von den Kreaturen überrascht und hatten dann Unfälle gebaut. Mehrere Löschmannschaften mit Fahrzeugen waren gerade dabei die Brände zu

löschen. Die Leute waren nicht anders, als sonst irgendwo. Hätte Alex nicht gewusst, dass er inmitten eines Maschinengebiets war, hätte er es niemals vermuten können. Es war eine Stadt, wie jede andere. An einer Kreuzung blieb Alex stehen und schaute um sich. Er bemerkte eine am Strassenrand sitzende Frau und näherte sich ihr. Unterwegs entfernte er seinen Helm und ignorierte Rheas leisen Protest. Die Frau war mittleren Alters. Ihre Kleider – graue Hosen und ein grünes Hemd – waren zerknittert und mit Staub bedeckt. Sie sass einfach da, den Kopf mit den Händen stützend. Ihre ins Leere starrenden, geröteten Augen

deuteten darauf hin, dass sie kürzlich geweint hatte und sie befand sich immer noch in einem Schockzustand. Er hatte sich wohl kein gutes Ziel ausgesucht, dachte Alex. Seine Befürchtung wurde bald bestätigt. Als er zu der Frau kam und ihr die Hand auf die Schulter legte, schreckte sie aus ihrem Traumzustand auf und fixierte Alex mit ihren Augen an. "Ich will helfen", sagte er in International. Die Frau schien ihn aber nicht zu verstehen, sie starrte ihn bloss an. "Kannst du mich verstehen?", fuhr er fort. "Haben das die Lichtwesen angerichtet?" Auf einmal erhob sich die Frau schnell

und schüttelte Aleksejs Hand ab. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von Erstaunen zu Wut. Sie rief einen Satz, den Alex nicht verstand und rannte davon. "Nicht viele verstehen eure Sprache", sagte eine männliche Stimme neben Alex. Er drehte sich um und erkannte einen jungen, einfach angekleideten Mann. "Was ist hier passiert?", fragte Alex. Der Mann ignorierte seine Frage. "Was habt ihr hier verloren? Habt ihr das zu verantworten?" "Nein", sagte Alex hart. "Wir wurden von Lichtkreaturen überfallen und haben einen Freund verloren." Er schaute dem

Mann eine Zeit lang in die Augen. "Ich heisse Alex, das hier sind Rhea und Viktor." Der Mann zögerte. "Ich bin Soko." "Soko, ich merke, du bist absolut nicht erstaunt uns zu sehen." "Wieso sollte ich? Nach dem was hier gerade passiert ist, wäre ich nicht erstaunt, wenn Gott persönlich auf die Erde abgestiegen wäre. Ausserdem drangen hier in den letzten Jahren immer wieder Menschen ein und die waren meist auch seltsam geformt und gekleidet." "Hör zu Soko, wir möchten mit der Stadtregierung sprechen. Das habt ihr doch, oder? Kannst du uns hin

führen?" "Ich wüsste nicht, wieso ich das tun sollte." "Die Lichtkreaturen werden zurückkehren. Es ist nur eine Frage der Zeit", sagte Alex und sah, wie sich die Augen des Mannes breiteten. "Ich habe einen Weg gefunden, es zu verhindern. Doch dazu brauche ich eure Hilfe. Wir sind Menschen, wie ihr. Wir sind nicht da, um euch Schlechtes anzutun, darauf gebe ich dir mein Wort." "Hoffentlich ist dein Wort etwas wert", sagte er schliesslich. "Gut, folgt mir." Soko bewegte sich zielstrebig durch die Strassen, an Leichen und Menschengruppen vorbei und führte die

drei Shivas schliesslich zu einem vierstöckigen, weissen Gebäude. Eine Fahne mit einer verzierten Burg auf blauem Hintergrund hing über dem breiten Eingang. Alex und die anderen folgten Soko ins Gebäude hinein und fanden sich in einer Empfangshalle wieder. Auch hier war durch die Lichtkreaturen ein Chaos angerichtet worden. Einige Tote wurden gerade abtransportiert, zerschlagenes Geschirr und umgefallene Möbel aufgeräumt. Soko redete mit einer älteren Frau, die gerade daran war, Scherben aufzuwischen. Sie warf den drei Shivas einen aus Erstaunen und Unzufriedenheit bestehenden Blick und zeigte Soko mit

der Hand in eine Richtung. Er dankte ihr mit einem Nicken. "Wartet hier", sagte er zu seinen Begleitern und verschwand in einem Gang. Nach knapp zwei Minuten kam er zurück und deutete auf den Gang aus dem er gerade gekommen war. "Der Stadtpräsident kann euch empfangen. Zweite Türe links. Ich hoffe ihr habt wirklich die Lösung für das Problem." Dann verliess er das Gebäude ohne sich zu verabschieden. Alex und die anderen folgten seiner Anweisung. Als sie den Gang betraten, wurden sie von einem dort stehenden Wachmann misstrauisch betrachtet. Vor allem ihre Bewaffnung

zog seine Blicke an, doch er wagte es nicht sie aufzuhalten. Alex erreichte die Türe, klopfte und trat ein. Der Raum war geräumig mit einem grossen runden Tisch in der Mitte. Auf einer Seite befanden sich kleinere Tische und Büchergestelle. In der Ecke gegenüber war ein alter Kamin, der dem Ganzen einen etwas entspannenden Anblick verlieh. Vor dem runden Tisch wartete ein älterer Mann im blauen Anzug. Als er die Shivas sah, zuckte er leicht zusammen; anscheinend hatte Soko ihm nichts über ihr Aussehen gesagt. Doch dann fasste er sich und trat ihnen entgegen. "Ihr wisst also, um was es sich bei den

Lichterscheinungen handelt?", fragte er. Es war anscheinend normal, dass man Fremde nicht grüsste, dachte Alex. "Ja", sagte Alex entschlossen. "Es sind Wesen aus einer anderen Welt." Der Mann blickte ihn ernst an. "Seid ihr gekommen, um sich über unser Unglück lustig zu machen?" "Nein, das sind wir bestimmt nicht. Wir haben selber einen Verlust erlitten. Die Maschinen hatten einen stark energetischen Angriff der Ausserirdische abgewehrt und damit eine Passage in eine Parallelwelt geöffnet." Der Mann ging schweigend zum Tisch und setzte sich auf einen der darum stehenden

Holzstühle. "Dieser Wahnsinn erreicht immer grössere Ausmasse", sagte er leise. "Die Portale sind offen. Es ist möglich, dass die Kreaturen zurückkehren", sagte Alex. Er setzte sich auf einen Stuhl neben dem Mann, um auf der gleichen Höhe zu sein, wie sein Gegenüber. Dabei stützte er sich immer noch mit den Füssen am Boden ab, da der Stuhl protestierend knirschte, als er das Gewicht des Anzuges zu fühlen bekam. "Was schlagt ihr vor?", fragte der Mann. "Es gibt einen Weg, die Portale zu schliessen. Der Energieimpuls muss wiederholt werden. Deshalb sind wir

hier." "Was kann ICH denn schon tun?" "Nicht Sie, die Maschinen", sagte Alex. "Ihr lebt hier alle seit Jahren inmitten eines Maschinengebiets. Da muss doch irgendeine Art Verbindung bestehen. Wieso tolerieren sie euch?" "Das werdet ihr Fremde nie verstehen. Wir leben friedlich mit den Maschinen, weil wir sie nicht angreifen und sie uns nicht angreifen." "Ihr seid hier absolut von anderen Menschen abgeschirmt. Von wo nehmt ihr eure Lebensmittel?" "Wir bauen Getreide und Gemüse an. Einige Landwirte betreiben auch Schweinezucht. Ausserdem haben wir

den Wald, der uns mit Früchten und Pilzen versorgt." "Und die Fahrzeuge? Habt ihr etwa noch Autofabriken?" "Nicht direkt, die Maschinen liefern uns die nötigen Einzelteile unserer Technik. Wir handeln mit ihnen." "Handel?" Alex war erstaunt. "Was habt IHR, was die Maschinen brauchen könnten?" "Getreide." "Wozu brauchen die Maschinen Getreide?" "Das weiss ich nicht, ist auch absolut unwichtig. Wir geben ihnen einen Teil unserer Ernte ab und sie liefern uns die nötigen

Technologien." Der Mann stand auf und ging zum Fenster. Alex folgte ihm. "Ihr habt also eine Möglichkeit, mit den Maschinen in Kontakt zu treten." "Ja, in der Maschinenstadt. Wir können dort mit der höchsten Stelle kommunizieren." "Mit einem Maschinenlord?" "Ich weiss nicht, was ihr unter einem Maschinenlord versteht. Es handelt sich auf jeden Fall um eine Art Regierung der Maschinen in diesem Gebiet." "Können Sie uns hinbringen?" Der Mann drehte sich um und blickte Alex ernst an. "Was wollt ihr dort? Habt

ihr etwa eine Bombe dabei, die ihr dort zünden möchtet? Oder sonst irgendeinen fiesen Trick, um unseren Frieden zu bedrohen?" "Nein", sagte Alex ruhig. "Das haben wir nicht. Ich will den Maschinen vorschlagen, sich mit den Menschen zu verbünden." Rhea und Viktor, die von Aleksejs Plan nichts wussten, wechselten einen erstaunten Blick, sagten aber nichts. Der Mann starrte Alex immer noch an. "Wieso glaubst du, werden sie deinen Frieden haben wollen?" "Ein neuer gemeinsamer Feind ist aufgetaucht. Sowohl wir, als auch die Maschinen sind stark davon betroffen. Es

ist DIE Chance sich zu verbünden und gemeinsam für diesen Planeten zu kämpfen." Der Stadtpräsident blickte verachtend zur Seite. "Ihr hattet bereits eine Chance, als die Ausserirdischen kamen. Ihr habt sie verpasst." "Das Stimmt. Es soll nicht wieder vorkommen. Irgendwann soll der Krieg ein Ende finden." Der Präsident ging einige Schritte. "In diesem Fall muss ich annehmen, dass Ihr in offiziellem Auftrag eurer Regierung da seid." Alex zögerte. "Leider nein... Zumindest nicht mehr." "Das dachte ich mir schon", sagte der

Mann. "Eure Regierung würde einen Frieden mit den Maschinen nicht akzeptieren. Ihnen fehlt die Intelligenz dazu. Oder sie haben Angst. Entweder, weil irgendwelche unangenehmen Wahrheiten ans Licht kommen könnten, oder weil sie ihre Macht verlieren würden. Man würde sie nicht mehr brauchen, wenn die Faust des Krieges aufhören würde, auf die Gesellschaft zu drücken." Er grinste Alex an. "All diese Banausen glauben immer noch daran, die Maschinen bezwingen zu können. Sie haben sie geschaffen und hoffen in der Lage zu sein, sie auch wieder zu vernichten. Doch es entgeht ihnen, dass ihr Kind erwachsen geworden ist. Die

Maschinen entwickeln sich schnell und sind den Menschen inzwischen bei weitem überlegen. Sie hätten uns längst zerstören können, wenn sie es gewollt hätten." Vieles davon, was der Präsident gesagt hatte, war Aleksej auch schon einmal durch den Kopf gegangen. "Wir müssen zum Maschinenlord", sagte Aleksej nach einer Denkpause. "Ich will, dass dieser Wahnsinn endlich aufhört. Wo können wir mit ihm in Kontakt treten? Bringen Sie uns hin?" Der Mann betrachtete schweigend die Shivas. "In Ordnung", sagte er schliesslich. "Aber eure Waffen und eure Rüstungen

bleiben hier." Rhea machte einen Schritt nach vorne. "Major! Das geht zu weit...", sagte sie aufgebracht. Er unterbrach sie mit einer Geste. "Er hat Recht. Wir können nicht Frieden verlangen und bewaffnet erscheinen." Rhea nickte stumm. Sie sah immer noch etwas verunsichert aus. Viktor war es wahrscheinlich auch, nur sah man ihm das nicht an. Alex konnte Rhea gut verstehen. Es war absoluter Wahnsinn, ohne Waffen und Schutz, in die Maschinenstadt zu gehen. Aber er vertraute dem Präsidenten und seinem Gefühl. "Wenn ihr Kleider braucht, kann ich euch

welche geben", vermerkte der Präsident. "Seid ihr mit den Bedingungen einverstanden?" Alex wechselte einen kurzen Blickt mit seinen Leuten und nickte dann zustimmend. "Lasst uns anfangen."

4. Der Botschafter

 

Als Alex sich plötzlich von einem Moment auf den anderen auf dem Boden der Maschinenstadt befand, packte ihn ein eisiges Gefühl. Was tat er eigentlich? Das war total verrückt! Ihr Führer Nered – ein junger, schweigsamer Mann in blauweissen Kleidern – bemerkte sein Zögern, hielt

an und drehte sich zu ihm. Auch Viktor und Rhea, die neben ihm liefen blieben stehen. Alex riss sich zusammen. Es war sowieso zu spät, um jetzt noch umkehren zu wollen, sagte er zu sich und rieb seine leicht verschwitzten Hände an den dünnen Stoffhosen ab. Ohne ein Wort zu wechseln gingen sie weiter. Die Kleidung hatten die drei Shivas vom Präsidenten erhalten. Um sie überhaupt tragen zu können, hatten die Shivas Löcher unter den Ärmeln machen müssen. Als die Drei die Heracles-Anzüge vor dem Präsidenten abgelegt hatten, war dieser sehr überrascht zu sehen, dass sie alle tatsächlich – und nicht nur die Anzüge – vier Arme hatten.

Er hatte die zusätzlichen Arme zuerst für computergesteuerte Glieder gehalten. Auch der jetzige Führer, Nered war verwirrt, als er sie zum ersten Mal sah. Noch immer warf er bei jeder Gelegenheit neugierige Blicke auf ihre Unterarme. Alex betrachtete die Maschinenstadt. Das Fehlen von Vegetation, die riesigen Metallbauten und die Stille kamen einem ohne die schützende Heracles-Hülle auf einmal seltsam vor. Es roch nach irgendeinem Lösungsmittel, die Luft war trocken und heiss. Ein schnurgerader, mehrere Meter breiter Korridor führte sie immer weiter in die Tiefe der

Maschinenstadt. Es knirschte ganz plötzlich, als sich ein bis dahin unerkennbarer Kampfroboter aus der Wand einer quadratischen Konstruktion löste und sich der Gruppe mit wenigen flinken Schritten in den Weg stellte. Alex konzentrierte sich, um nicht plötzlich aus Gewohnheit, in Deckung zu springen, als die riesige Maschine ihre sechs gelenkigen Beine ausbreitete und sich ein bedrohlich aussehender Kopf aus dem Rumpf herauslöste und nach vorne klappte. Auch Rhea war sichtlich verunsichert. Alex berührte ihre untere Hand, um sie zu beruhigen. "Ich bringe Abgeordnete der Menschen.

Sie wollen reden", sagte Nered laut zu der Maschine. Eine Zeit lang passierte nichts, dann machte das Metallmonster einige Schritte nach vorne. "Folgt mir", ertönte eine künstliche Stimme, irgendwo aus dem Kopf der Maschine heraus. Der Kampfroboter klappte seinen Kopf wieder ein und ein neuer erschien auf der anderen Seite. Er setzte sich im gemächlichen Tempo in Bewegung. Nered folgte ihm, dicht gefolgt von den Shivas. Ausser der vor ihnen laufenden Maschine kamen keine Begleiter mehr dazu. Die Gruppe marschierte lange. Sie

gingen vorbei an riesigen festsitzenden Maschinen, an Förderbändern, Ingenieurrobotern. Je weiter sie kamen umso lauter wurde es in der Stadt und umso mehr Roboter kamen ihnen entgegen. Dann wurde die Festung sichtbar. Alex erkannte die Form sofort. Es war die Festung eines Maschinenlords. Ihre turmartigen Bauten erhoben sich weit über dem Horizont. Alex erinnerte sich noch gut an seinen Angriff auf eines dieser Hauptquartiere. Wie lange war das jetzt her? Drei Jahre? Damals hätte er sich nie denken können, einmal in solch einer Situation zu stecken wie jetzt. Sein Traum, eine Maschinenstadt als Freund zu besuchen,

würde wohl doch noch wahr werden. Nach fast einer Stunde erreichten sie ein gewundenes Gebäude, das sich direkt vor den gigantischen Mauern der Festung befand. Ein Tor klappte nach oben und zwei bewaffnete, vierbeinige Roboter traten heraus. Sie erinnerten Aleksej an die Wächter, die er damals in der Maschinenfestung angetroffen hatte. Diese hier hatten eine ähnliche Form, waren aber wesentlich gelenkiger und grösser. Eine von ihnen trat ganz nahe an die Menschen heran. "Aleksej Leonidov darf eintreten, die anderen warten", ertönte eine trockene Stimme aus seinem Inneren. Die Tatsache, dass der Roboter seinen

Namen kannte, erstaunte Alex wenig. Dass die Maschinen die Menschen ausspionierten war seit langem bekannt. Sie hatten Spionageroboter für diverse Aufgaben und an allen möglichen Orten. Ganz sicher wurde auch das menschliche Kommunikationsnetz angezapft. Da halfen auch die kompliziertesten Verschlüsselungsversuche der Informatiker im – für die Maschinen primitiven – Binärcode nicht aus. Alex nickte dem Roboter zu, obwohl er nicht wusste ob die Maschinen das verstehen würden. Er blickte zurück zu den anderen. "Ich hoffe, du weisst was du tust, Major", sagte

Rhea. "Ich auch", antwortete er. Er salutierte um mit dieser – in der aktuellen Situation unnötigen – Formalität seine Aufregung zu verbergen und ging los. Links und rechts von den Wächterrobotern begleitet trat er ins Gebäude hinein. Das Tor ging zu. Der Korridor, in dem er sich wiederfand war düster. Die Beleuchtung wurde von schwachen Röhrenleuchten übernommen. Anscheinend wurden diese von den Maschinen extra für die Menschen hier installiert. "Folgen", sagte eine der Maschinen und ging voraus. Im Gegensatz zu Aleksej, machten die

beiden Roboter beinahe keinen Lärm. Bevor ihre biegsamen Beine den Boden berührten, bremsten sie ab, um wie die Tatzen einer Katze eine rollende Bewegung auszuführen. Immer mehr Gänge zweigten vom Hauptgang ab, wo sie gingen. Sie waren unbeleuchtet und zeigten nach wenigen Metern nichts als dichte Schwärze. Aus einem aber kam Licht. Es handelte sich um einen Eingang zu einem Raum, in dem nichts anderes stand als eine auf einem Sockel befestigte Liege. Alex erinnerte sich, das Gleiche schon einmal gesehen zu haben, doch er hatte damals nicht gewusst um was es sich dabei handeln könnte. Die Maschinen bezogen

ihre Stellung links und rechts vor dem Eingang. "Lege dich auf den Stuhl", ertönte es aus einer Maschine. Alex näherte sich der Liege und legte sich mit dem Rücken hin. Ein Surren ertönte und die Konstruktion wurde leicht durchgeschüttelt. Vor irgendwo her erschienen plötzlich Metallrippen, die sich über Alex wie eine Zange schlossen. Mehrere Metallteile drückten sich an seinen Kopf und hielten ihn fest. Alex verspürte ein unangenehmes Gefühl. Es kam ihm so vor, als würden sich tausende dünner Nadeln in seinen Kopf und den Rumpf bohren, doch es tat nicht sonderlich

weh. Auf einmal fühlte er einen schmerzhaften Stich in der Schläfenregion. Das Bild vor seinen Augen wurde schwarz. Sein Körper erschlaffte und verlor die Fähigkeit zu fühlen. Einen Moment lang konnte Alex nicht einmal mehr einatmen. Doch noch bevor er in Panik geraten konnte, konnte er sich wieder bewegen. Auch sein Sehvermögen kehrte zurück. Doch das Bild war ein anderes. Alex stand – die Liege war verschwunden – in einem weissen Raum, der ungefähr die gleiche Grösse hatte, wie der, in dem er sich eigentlich befinden sollte. Doch hier war alles anders. Die Wände, der Boden, die Decke, alles war glatt, wie aus Glas.

Auch der Eingang war verschwunden, genauso wie die beiden Wächter. Verblüfft drehte sich Alex um die eigene Achse und als er eine ganze Drehung vollendet hatte, erblickte er plötzlich sich selbst. Vor ihm stand sein Ebenbild. Es war kein Spiegelbild, denn während Alex immer noch in seinen angerissenen Kleidern vom Präsidenten war, trug der neue Alex einen braunen Anzug. Es fehlten ihm die zwei unteren Arme. "Was zum...", begann Alex aufgeregt. "Aleksej Wladimirovich Leonidov", sagte der Mann vor ihm auf Russisch. "Ich habe mich schon gefragt, wann wir uns gegenüberstehen werden. Nur wenige Menschen besitzen bei uns eine so lange

Personaldatei wie du." "In diesem Fall muss ich annehmen, dass du der Maschinenlord bist", sagte Alex. "Für euch Menschen bin ich das vielleicht, ja. Unsere interne Struktur ist aber viel komplizierter und für euch nicht zu verstehen. Bleiben wir bei Maschinenlord." "Wo sind wir hier", fragte Alex, die Arme ausbreitend. "Das ist eine digitale Plattform, die speziell für die Kommunikation zwischen Maschine und Mensch geschaffen wurde. Eigentlich bist du nun in mir drin. Der Stuhl, auf den du dich gelegt hast, überträgt die elektrischen Impulse deines Gehirnes auf einen meiner systeminterner

Prozessoren und wieder zurück. Die Welt, die so geschaffen wird, ist ein Produkt vordefinierter physikalischer Algorithmen und deiner Einbildungskraft." "Ich kann dieses Programm manipulieren?" "Nun ja, theoretisch schon. Doch wahrscheinlich bist du nicht offen genug dafür. Zu stur an das Vorgegebene gebunden, wie die meisten anderen Menschen." "Wenn ich in dir drin bin, dann kannst du auch meine Gedanken lesen?" "Nein. Das ist mit meinen Mitteln nicht möglich. Dazu müsste ich dich töten. Deshalb frage ich dich so, warum du

gekommen bist." "Ich will Frieden." "Das habe ich mir schon gedacht." "Ihr habt mit den Ausserirdischen einen starken Impuls ausgelöst, der Zugänge in eine Parallelwelt geöffnet hat. Die Kreaturen werden in unsere Welt hineingezogen und richten hier grossen Schaden an." "In der Tat. Keine unserer Berechnungen hat das vorausgesehen. Die Welt birgt noch viele Wunder, die uns nur zugänglich werden, wenn wir ausserhalb unserer Theorien suchen." "Ich habe gehört, die Maschinen leiden besonders an den Lichtwesen." "Das stimmt. Die Wesen bestehen aus

einer in unserem Universum nicht vorkommenden Energieform. Wir können nicht einmal sagen, ob es sich um Photonen handeln könnte. Ein Teil davon ist aber vergleichbar mit einem hochenergetischen EMP. Wo die Wesen auftauchen verlieren wir unsere Einheiten, temporär oder permanent. Alleine in den ersten Minuten, nach der Öffnung der Portale haben wir deswegen rund fünf Prozent unserer Gebiete an die Ausserirdischen verloren. Daher hatte das, was sie getan hatten, für sie einen Vorteil, auch wenn es vielleicht nicht ganz so verlaufen war, wie sie es wollten." "Ich habe mit einem Lichtwesen

kommunizieren können. Es droht mit der Vernichtung allen Lebens, sollten die Portale nicht wieder geschlossen werden. Zum Schliessen müsste der gleiche Impuls ausgelöst werden." "Ich merke, du sagst die Wahrheit. Das würde unsere Berechnungen bestätigen. Unsere Anlage wäre bereit dazu. Die Ausserirdische können wir aber nicht bitten mitzuspielen. Alle unsere Kommunikationsversuche scheiterten bis jetzt und die abgefangenen Nachrichten belegen, dass sie eigentlich zufrieden sind mit dem Resultat." "Dann müssen wir sie eben zwingen mitzuspielen. Zusammen können wir es

schaffen." Aleksejs Gegenüber schaute ihn verachtend an. "Was bringt es, wenn wir jetzt Frieden schliessen, wenn deine Regierung nicht hinter dir steht?" Die Maschinen wussten also bereits davon, dachte Alex. "Ich werde versuchen sie zu überzeugen." "Ihr habt die falschen Leute an die Spitze gesetzt. Es würde längst Frieden zwischen Maschinen und Menschen herrschen, wäre das anders gewesen. Wir wollten nie den Krieg. Aber die Menschen wollten uns auslöschen, als sie gemerkt haben, was sie da eigentlich erschaffen haben. Sie hatten Angst

gekriegt, als sie sahen, dass wir schlauer sind als sie." "Das habe ich schon öfters gehört. Ich muss zugeben, ich stehe nicht voll und ganz hinter meiner Regierung. Sie hat viel Blut an den Händen und verbirgt vieles. Wahrscheinlich basiert ihre ganze Macht auf Lügen.“ Alex schwieg eine Weile. „Wirst du meinen Antrag annehmen?" Der Maschinenlord grinste breit. "Nun, so soll es sein. Ich nehme ihn an. Es soll Frieden herrschen zwischen Maschinen und Menschen. Ich spreche für alle sechs Maschinenlords und ihre Einheiten. Nun liegt es an dir, Aleksej Leonidov, dass es auch für alle Menschen

gilt." Bevor Alex noch etwas sagen konnte, wurde es dunkel und als er nach einem schmerzerfüllten Augenblick die Augen aufriss, befand er sich wieder im düsteren Raum auf der Liege. Mit erwartungsvollen Blicken wurde er von Rhea, Viktor und Nered am Eingang empfangen. Doch Alex schwieg nachdenklich. Ein Kampfroboter führte sie wieder auf dem gleichen Weg zurück. "Und? Konntest du etwas erreichen?", fragte Rhea unterwegs. "Inoffiziell sind wir jetzt mit den Maschinen verbündet", sagte

er. "Inoffiziell?" "Ja. Wir müssen nun einen Weg finden, dass auch alle Menschen mitspielen." Alex betrachtete den massiven Kampfroboter, der sie führte. Ob er über die Entscheidung seines Lords bereits Bescheid wusste? Oder hatte er die Gruppe im Visier und wartete nur darauf, dass sie einen Fehler machten, um sie dann niederzuschiessen. Alex überlegte sich, ob sich untereinander streitende Menschen wieder versöhnen konnten, wenn ihnen ihre Chefs von einem Moment auf den anderen sagten, sie sollen aufhören sich zu bekämpfen. Misstrauen und Hass liessen sich nicht

einfach so abstellen. War das bei Robotern gleich? Es war bereits Abend, als die Gruppe die eingeschlossene Stadt erreichte. Der Präsident stellte ihnen für die Nacht eine Wohnung zur Verfügung. Ihre Anzüge befanden sich bereits dort. Kaum hatten sie die Wohnung betreten, meldete sich Aleksejs Funkgerät. "Alex, hier Saiona. Ich versuche den ganzen Tag dich zu erreichen. Wo steckst du gerade?" "An einem sicheren Ort. Hat Ladon gesagt, du sollst mich anrufen?" "Nein, hör zu. Es tut mir Leid, dass ich nicht schneller gehandelt habe. Du musst wissen, ich vertraue dir. Ich habe mich

von einem externen Computer aus unerlaubt ins Kommunikationsnetz gehackt, um mit dir Kontakt aufzunehmen. Ich konnte die Koordinaten des Maschinenlords herausfinden." "Danke", sagte Alex. "Ich meine für das Vertrauen. Das mit dem Maschinenlord hat sich erledigt. Ich habe bereits mit ihm geredet." "Was? Wie hast du das geschafft?" "Das ist jetzt unwichtig. Wichtig ist aber, dass die Maschinen meinen Friedensantrag angenommen haben." "Deshalb wurden plötzlich an mehreren Fronten Angriffe der Maschinen abgebrochen. Es fragen sich alle, was da

vor sich geht." "Nun, jetzt weisst du es. Wie sieht es aus mit den Lichtwesen?" "Schlecht. Sie tauchen immer wieder auf und dort, wo man sie am wenigsten erwartet. Unseren Stützpunkt hat es auch mehrmals erwischt. Sie erscheinen einfach mitten in unseren Räumen, in den Wänden, der Decke, dem Boden. Sie können alles durchdringen." "Wir müssen uns beeilen. Wir müssen unseren Truppen vom Frieden mit den Maschinen berichten. Der Frieden wird erst gültig, wenn keine Kampfhandlungen untereinander mehr ausgeführt werden. Ein grober Fehler könnte die ganze Sache jetzt zum Platzen

bringen." "Aber... Wir müssen das über die Regierung machen..." "Saiona. Das funktioniert so nicht. Die Regierung strebt den absoluten Sieg an. Sie werden den Frieden nicht akzeptieren. Wir müssen selber handeln bevor sie davon Wind kriegt und es zu verhindern versucht. Vertrau mir." Saiona seufzte. "Gut... Es gibt einen Weg." Sie tippte gut hörbar auf der Tastatur herum. "Ich verbinde dich mit allen vernetzten Funkübertragungseinheiten, die ich mit dem Satellit erreichen kann." "Und dann was?" "Dann wirst du sagen, was du zu sagen

hast. Deine Stimme wird aus allen Funkgeräten, städtische Aussenlautsprechern und privaten Empfängern zu hören sein. Du kannst allen vom Frieden mit den Maschinen berichten." "Ich hatte mir eigentlich einen diskreteren Weg vorgestellt, eine Art Textübertragung, oder so etwas in der Art..." "Alex, was glaubst du wie viele fehlleitende Textnachrichten von unseren Feinden täglich verschickt werden? Ausserdem sollte dir die technische Situation bekannt sein. Elektronische Kommunikationsmittel sind an der Front rar, wenn überhaupt vorhanden. Es sind

vor allem hohe Offiziere, die Computer besitzen. Ich glaube nicht, dass du es in erster Linie diesen Leuten mitteilen möchtest. Nein Alex, das Funknetz ist der einzige Weg eine Nachricht glaubwürdig zu verbreiten." "Du hast Recht. Ich überlege mir, was ich sagen könnte." "Mach es schnell. Es wird verdächtig, wenn eine Satellitenleitung so lange belegt ist. Wenn das jemand überprüft, wird er merken dass da ein unregistrierter Benutzer drin hängt." "Gut, ich bin bereit." "Jetzt schon?" "Es gibt nicht viel zu sagen." "Nah dann, die Leitung ist

frei." Es raschelte kurz, dann war Ruhe im Funkgerät. Alex schluckte seine Unruhe runter und begann: "Hier spricht Major Aleksej Leonidov. Ich bin seit mehreren Jahren Soldat der Weltarmee, kämpfe gegen Maschinen und Nemenen." Alex bemühte sich langsam zu sprechen. Irgendwie kam er sich komisch vor, eine solche Rede zu halten. Seine einzigen Zuhörer im Raum, Viktor und Rhea, schauten ihn erwartungsvoll an, was das Ganze nicht gerade einfacher machte. Er richtete seinen Blick auf eine leere Wand, um sich nicht ablenken zu lassen. "Ich bin momentan auf dem Gebiet der Maschinen", fuhr er fort. "Ich habe mit

dem Maschinenlord geredet und ihm Frieden vorgeschlagen. Er hat es akzeptiert. Die Maschinen wollten nie den Krieg. Sie hatten sich von Anfang an nur verteidigt. Ich sage das nicht, weil ich Angst vor ihnen habe. Die Maschinen sind für den Tod meiner Familie verantwortlich, tief in mir brodelt immer noch der Hass gegen sie. Doch ich habe Angst um unsere Welt. Um ihre Zukunft. In einem solchen Krieg wie diesem können wir nicht die Gewinner sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir alle von unseren Gegnern überrannt werden. All die neuen Erfindungen der letzten Zeit, die uns den Sieg versprachen, sind die letzten Aufschreie eines sterbenden

Giganten. Wir müssen aufhören uns etwas vorzumachen und unsere Situation akzeptieren." Alex schloss die Augen, um konzentrierte sich darauf keine Nervosität mit seiner Stimme zu zeigen. "Nur wenn wir uns mit den Maschinen verbünden, können wir die Ausserirdischen besiegen und die Lichtwesen aus unserer Welt verbannen. Die Lichtwesen drohen mit der Zerstörung der Welt und nur gemeinsam mit einem starken Partner können wir das verhindern. Die Maschinen wollen den Frieden. Sie haben bereits die ersten Schritte getan und alle ihre Angriffe gestoppt. Soldaten! Wächter! Bürger! An

allen Fronten, die gegen die Maschinen gerichtet sind müssen die Kämpfe beendet werden. Legt die Waffen nieder, damit wir sie gemeinsam mit den Maschinen gegen die Nemenen richten können. Nur so können wir unseren Planeten retten." Alex machte eine Pause und wiederholte dann die Hauptbotschaft mehrmals, bis die Verbindung unterbrochen wurde. Er hoffte, dass Saiona unentdeckt geblieben war.

 

5. Ein harter Schlag

 

Die Nacht war ungewöhnlich kühl für diese Jahreszeit. Am klaren Himmel

funkelten in voller Pracht Tausende von Sternen. Es gab hier keine blendende Siedlungsbeleuchtung mehr, die dieses Bild zu stören vermochte. Alex trug seine überprüfte und reparierte Heracles-Rüstung und war mit mehreren Sturmgewehren und einem Raketenwerfer bewaffnet. Obwohl ihm sein Rang einen sicheren und ruhigen Platz in diesem Krieg sichern konnte, hatte er darauf bestanden, beim Angriff dabei zu sein und eine Kompanie anzuführen. Planen und die Schlacht auf einem Schirm mitzuverfolgen war einfach nicht sein Ding. Das sollten andere, dafür qualifizierte Personen übernehmen. Er war gut im Handeln; Menschen führen

und kämpfen. Aleksejs Aufruf über Funk hatte ein überraschendes Echo ausgelöst. Er hätte nie gedacht, dass seine Rede so einschlagen würde. Viele Menschen hatten ihm sofort geglaubt und sich gewehrt, den Kampf gegen die Maschinen weiterzuführen. Doch noch viel mehr Menschen waren verwirrt worden und waren sich nicht sicher gewesen, wie sie zu handeln hatten. Die Regierung hatte schnell bemerkt, dass sie etwas tun musste. Um Unruhe zu vermeiden hatten sie den Frieden kurzerhand für offiziell erklärt und selber Kontakt mit den Maschinen aufgenommen. Nun redete sie von der

Bildung einer Allianz. Gegen aussen wurde Alex als Held gefeiert. Regierungsbeauftragte hatten ihm jedoch deutlich gemacht, dass er auf solche eigenwillige Aktionen in Zukunft verzichten sollte, da er damit die Sicherheit der gesamten Menschheit gefährdete. Aleksej hatte bei den angespannten Gesprächen begriffen, dass er seine Grenze für die Regierung deutlich überschritten hatte und langsam aber sicher als Störfaktor angesehen wurde. Der einzige Grund, dass man sich ihm noch nicht entledigt hatte, lag wahrscheinlich daran, dass er gut auf dem Schlachtfeld war und dazu noch einen gewissen Grad an Berühmtheit

erlangt hatte. Doch er vermutete, dass ein weiterer solcher ‚Fehler‘ den Faden zum Reissen bringen könnte. Man würde einen passenden Grund finden, um ihn loszuwerden. Saiona war glimpflich davongekommen. Bei der Befragung hatte Alex gelogen, sich mithilfe von Maschinen die Verbindung zum Satelliten verschafft zu haben, um sie nicht zu verraten. Sie war immer noch in der Zentrale und hatte schon mehrmals mit Alex geredet. Er hatte sich aber nicht gewagt sie nach den Konsequenzen ihres illegalen Handelns zu fragen. Man konnte bei den offiziellen Leitungen nie wissen, wer alles mithörte. Die Friedensverhandlungen mit den

Maschinen dauerten noch immer an. Alex aber wusste, dass sie nicht viel Zeit hatten. Er hatte von Anfang an alles daran gesetzt, die Formierung einer schlagkräftigen Maschine-Mensch-Armee vorwärtszutreiben, um den grössten Nemenen-Stützpunkt in Europa zu erstürmen und von dort aus auf das Mutterschiff zu gelangen. Der Weg über die Regierung war kompliziert und langsam. Sie hatten für alles Beweise und Absicherungen haben wollen. Sie wollte vorerst nicht mit den Maschinen gemeinsam einen Angriff durchführen, da die Verhandlungen mit ihnen noch am Laufen waren. Aleksej selber wurde dauernd von dem

Gedanken geplagt, dass die Maschinen den Menschen nur etwas vorspielten. Jetzt waren sie friedlich, um Vertrauen zu gewinnen, und würden dann zu einem passenden Augenblick die Menschen mit einem lauten Knall verschwinden lassen. Überhaupt hatten die Maschinen vielleicht das Auftauchen der Lichtwesen vorausgesehen oder haben sie sogar selber geschaffen. Er fragte sich, was auf dieser Welt überhaupt noch real war. Zu verrückt, zu irrational waren die Sachen, die inzwischen geschehen waren. Mehr als vier Tage nach Aleksejs Gespräch mit dem Lichtwesen, war es endlich soweit. Die Soldaten, die an den Maschinenfronten konzentriert waren,

wurden teilweise abgezogen und im Gebiet des Nemenen-Stützpunktes formiert. Auch Shiva-Kompanien gehörten dazu. Die Maschinen lieferten nicht nur tausende von Kampf- und Artillerieroboter sondern auch Informationen. Sie übergaben den Menschen ihr Wissen über die Nemenen, Informationen über ihre Technik, ihre innere Führungsstruktur und ihre Sprache. Letzteres war ein mächtiges Geschenk, denn die Menschen waren bis dahin kaum in der Lage gewesen, ausserirdische Gespräche abzuhören und zu verstehen. Die Maschinen kommunizierten mit den Menschen über spezielle Roboter,

sprachen sich ab, wie man beim Angriff vorzugehen hatte. Die vorderste Angriffsfront bildeten Kampfroboter. Dahinter befanden sich menschliche Stosstruppen: Panzer, Shivas und einfache Heracles-Soldaten. Die gemeinsame Artillerie und Luftwaffe – obwohl man bei den Menschen nicht von einer Luftwaffe reden konnte – würde den Gegner unter Dauerbeschuss halten. Gleichzeitig würden unterirdische Einheiten der Maschinen für etwas Chaos im Stützpunkt der Ausserirdischen sorgen. Hatte die ‚Allianz‘ einmal Landungsschiffe der Nemenen in ihren Händen, sollten die Maschinen diese zum

Mutterschiff fliegen. Während ein Teil der Schiffe einen ablenkenden Scheinangriff ausführen würde, würden die Maschinen den anderen am Mutterschiff sicher andocken lassen. Shivas und Maschinen würden das Schiff erstürmen, den Impulsgenerator finden und die Portale schliessen. Das war der Plan. Gedanklich auf Einzelheiten des Planes nagend, stand Alex nun da und wartete gespannt auf den Beginn des Angriffes. Er blickte nervös auf die Uhr. Sie waren im Verzug. Wie lange wollte man denn noch warten? Rund sechzehn Stunden blieben noch, um die von den Lichtwesen vorgegebene Zeit zu erfüllen. Jede

Minute zählte. Es war Alex bewusst, dass dieser eine Angriff ihr einziger Versuch war. Danach würde es zu spät sein. Seine Kompanie bestand mehrheitlich aus Heracles-Shiva-Einheiten. Auch Rhea und Viktor waren dabei. Alex hatte ihnen beiden je einen Zug zugeteilt. Die anderen Zugführer waren drei frische Leutnants und Hauptmänner. Die Armee der Maschinen und Menschen hatte den Nemenen-Stützpunkt, der eine Fläche von mehreren Quadratkilometern einnahm, in einem weiten Halbkreis von Süd über Ost nach Nord umspannt. Aleksejs Kompanie befand sich im mittleren Sektor. Die Grenze bildete vorerst noch die vor langer Zeit durch

die Maschinen geschaffene Front zu den Gebieten der Nemenen. Mehrere Kilometer trennten die Angreifer von ihrem eigentlichen Ziel. Schmale und schnelle Helibots der Maschinen sausten über die Frontlinie, gefolgt von den etwas zerbrechlich wirkenden, menschlichen Helikoptern. Daraufhin donnerte die gemeinsame Artillerie und brachte in einiger Entfernung die Erde zum brennen. Über Funk ertönte der Befehl zum planmässigen Angriff. Ein historischer Moment, dachte Alex. Schliesslich war es das erste Mal in mehr als acht Jahren, dass Maschine und Mensch Seite an Seite in die Schlacht

zogen. Er führte seine Leute nach vorne, nur wenige Meter hinter den sechsbeinigen Kampfrobotern her. Seine Kompanie hatte den Auftrag Angriffe auf die Kampfmaschinen und Panzer abzuwehren. Alex nutzte die kampflosen Minuten am Anfang, um die kraftvollen Kampfroboter vor sich zu bestaunen. Er musste sich selber gestehen, dass sie ihn beeindruckten und er sich auf eine Art geehrt fühlte, mit ihnen gemeinsam kämpfen zu können. Die Körper der Maschinen waren perfekt. Nichts an ihnen sah unpassend oder unnötig aus. Jeder Millimeter war mit unmenschlicher

Perfektion rein auf seine Funktion ausgelegt. Die Bewegungen waren fliessend und weich, wie von einem lebenden Wesen. Zuerst kamen die Angreifer gut voran. Die Front der Nemenen wurde trotz heftigen Widerstands schnell durchbrochen. Zu schnell, merkte Alex bald, denn seine Truppen drückten immer weiter nach vorne, bevor überhaupt alle durchquerten Stellungen der Ausserirdischen gesäubert worden waren. Immer wieder musste Aleksejs Kompanie in Deckung gehen, weil plötzlich feindliches Feuer von hinten oder den Flanken her kam. Die Geschwindigkeit wurde auf der ganzen Angriffslinie

verlangsamt, um das Problem zu beheben. Doch das verschaffte den Nemenen Zeit, sich neu zu formieren. Heftige Luftangriffe und eine Menge Quaoargs folgten. Die Roboter übernahmen die Cyborg-Dinosaurier, während menschliche Flugabwehrpanzer, die Fluggeräte der Maschinen auszuschalten versuchten. Die Luftwaffe der Menschen und Maschinen schaltete sich hinzu. Eine zerstörerische Luftschlacht brach aus, als beide Seiten aufeinandertrafen. Die Flugzeugdichte am Himmel war so hoch, dass mehr Fluggeräte durch Kollisionen abstürzten, als durch gegnerische Waffen. Da die ausserirdischen Flugzeuge an Höhe zu

gewinnen begannen, um ihren Antriebsvorteil gegenüber den propellerbetriebenen Helikoptern der Maschinen und Menschen auszunutzen, verschob sich die Schlacht in immer höhere Luftschichten. Von unten war bald nicht mehr viel zu erkennen, doch Alex vermutete, dass die junge Allianz in der Luft wohl weniger Chancen gegenüber ihrem darin geübten Gegner hatte. Auch auf dem Boden sah es nicht besser aus. Während ein Teil der Roboter und Panzer sich um die Quaoargs kümmerten, stiess der Rest von ihnen, zusammen mit der menschlichen Infanterie weiter vor. Seltsame Türme – so hoch wie

Wolkenkratzer – brachten ihren Vormarsch zum Erliegen. Die Stabkonstruktionen mit mehreren daran befestigten Kugeln waren in der Lage schon aus weiter Entfernung Ziele auszumachen und mit Strahlenwaffen zu zerstören. Alex brachte seine Kompanie hinter einem Hügel in Sicherheit, während Dutzende von Robotern dem Türmen zum Opfer fielen. Die Nemenen nutzten diese Gelegenheit und schickten breitflächig ihre Infanteristen und Panzer los. Die Shivas schossen zuerst aus der Deckung, doch als die Gegner zu nahe waren, befahl Alex zum Ausschwärmen. Seine Soldaten breiteten sich in den

feindlichen Reihen aus und gingen zum Nahkampf über. Inmitten der Ausserirdischen waren sie weitgehend sicher vor den Todesstrahlen der Türme, denn die Nemenen schossen nicht dorthin, wo ihre eigenen Truppen waren. Alex wählte als Ziel einen Panzer aus, erledigte ihn mit dem Raketenwerfer und widmete sich dann den Infanteristen, die die Landschaft regelrecht überfluteten. Während er schiessend durch die Massen von Gegnern rannte, wurde er mehrmals getroffen. Sein Anzug bekam an zahlreichen Stellen Risse. Ein Partikelgeschoss bohrte sich durch einen seiner Oberarme. Alex ignorierte den Schmerz. Die plötzliche Angst, dass die

Rettung der Erde in diesem Haufen haariger Ausserirdischer enden könnte, gab ihm Kraft. Als seine Waffen leergeschossen waren, schnappte er einfach diejenigen der Gegner. Er versuchte möglichst nahe an den Ausserirdischen zu sein, um sie einerseits als Schilde zu missbrauchen und andererseits, um mehrere Gegner gleichzeitig erledigen zu können. Bald kamen menschliche Panzer und die dritte Angriffslinie den Kämpfenden zu Hilfe. Die Infanteristen konnten zurückgedrängt werden. Als die Artillerie nachgerückt war und die Türme in gigantischen Feuerbällen verschwinden liess, konnte der Angriff

weitergehen. Als Stützpunkt der Nemenen schon in Sichtweite war, ertönte vom Norden in der Ferne ein alles übertönender Krach. Es folgten ein wirbelsturmartiger Wind und ein heftiges Erdbeben. Bäume, Technik, Menschen wurden umgestossen. Im Boden bildeten sich Risse. Alex duckte sich, um nicht umzufallen. Als alles wieder genauso unerwartet schnell aufhörte, kam über Funk die Meldung, dass der am weitesten fortgeschrittene nördliche Teil der Angriffsfront durch eine Gravitationsbombe vollständig vernichtet worden war. Die Nachricht verbreitete sich schnell in den eigenen Reihen und die

Angriffsgeschwindigkeit nahm rapide ab, da sich die Menschen vor einem weiteren Gravitationsbombenangriff fürchteten. Die Armeeführung sagte über Funk, dass ein weiterer Gravitationsangriff nicht stattfinden würde, da die Nemenen in diesem Gebiet mit grösster Wahrscheinlichkeit ihre letzte Bombe abgeschossen hatten. Doch trotz des wieder aufgeweckten Willens der Soldaten, den Angriff weiter zu treiben, kam dieser vor der Grenze des Stützpunktes zum Erliegen. Der Widerstand der Nemenen wurde einfach zu gross. Die geschwächten Maschinen und Menschen kamen auch nach mehreren Stossversuchen nicht weiter

und mussten sich schliesslich damit zufrieden geben, ihre Stellung überhaupt noch halten zu können. Wie Alex über Funk erfahren konnte, schafften es die Ausserirdischen, die nach dem Bombenangriff ungeschützt gewordenen Gebiete wieder zu besetzen. Trotz nachrückender Unterstützung mussten sich die Maschinen und die Menschen in hintere Gebiete zurückziehen. Dort schafften sie es ihre Position zu festigen. Zehn Stunden nach dem Angriffsbeginn kam dann der Befehl alle weiteren Angriffsversuche einzustellen. Die ‚Allianz‘ hatte

versagt. Alex stand im frisch angelegten Schützengraben und betrachtete durch die Zoom-Vorrichtung in seinem Helm das im Licht der Nachmittagssonne erleuchtete feindliche Gebiet. Die Nemenen hatten ihre Konterangriffe vor kurzem eingestellt. Das Einzige was an Kampfhandlungen noch ausgeführt wurde, waren ungezielte Artillerieangriffe von beiden Seiten her und eine langsam erlöschende Luftschlacht über den Wolken. Seine Kompanie war von 140 auf 92 Shiva-Soldaten geschrumpft. Das war ein kleiner Verlust im Vergleich zu den

anderen Truppengattungen. Die Panzerkompanie, die Alex begleitet hatte, hatte rund siebzig Prozent aller Einheiten verloren, die Maschinen in seiner Nähe zweiundzwanzig von vierzig Kampfrobotern. Alex überprüfte die Zeit und stellte erschrocken fest, dass nur noch eine Stunde Zeit blieb, um die Forderung der Lichtwesen zu erfüllen. Das würde niemals reichen, es war zu spät. Doch niemand war deswegen sichtlich beunruhigt. Es wussten natürlich nicht alle davon, doch auch Rhea und Viktor, denen Alex darüber berichtet hatte, waren ruhig. Nahm man die Drohungen nicht ernst? Vielleicht auch zu Recht,

dachte Alex. Vielleicht war die Drohung, die Welt zu vernichten, bloss ein verzweifelter, angstgetriebener Ausruf der Lichtkreaturen gewesen. Alex beruhigte sich. Es war sowieso zu spät, um sich noch aufzuregen. Er hätte noch gerne mit Saiona gesprochen, also wählte er den Satelliten an, doch plötzlich begann die Elektronik seines Anzuges verrückt zu spielen. Die Luft um ihn herum fing an zu leuchten. Mit lautem Geräusch wurde sie an mehreren Stellen, wie ein Stück Stoff auseinandergerissen. Hunderte von farbigen Tentakeln zogen sich heraus. "Lichtwesen!", rief jemand panisch über

Funk. Die Kreaturen waren bis jetzt nicht auf dem Gebiet der Schlacht erschienen. Das machte Alex nachdenklich. Wurden die Portale zufällig geöffnet, oder waren die Kreaturen in der Lage, den Ort und die Zeit zu bestimmen? Kaum waren die Lichtwesen erschienen, begannen sie nach allem zu greifen, was in ihrer Nähe war. Maschinen wurden gleich reihenweise deaktiviert, bevor die Wesen sie überhaupt berührten. Menschen versuchten den durchsichtigen Tentakeln auszuweichen, doch es war beinahe unmöglich. Die Kreaturen waren so zahlreich wie noch nie. Massenhaft wurden Soldaten von scheinbar

harmlosen Lichtern durchbohrt und sackten zu Boden. Die Wesen kamen von überall; sie erhoben sich langsam schwebend aus dem Boden, erschienen inmitten von Objekten und Menschen oder hoch in der Luft, wo auch Flugzeuge ihnen zum Opfer fielen. Mit Entsetzen betrachtete Alex das blutlose Massaker. Wegrennen war sinnlos; jemandem helfen, unmöglich. Also blieb er einfach an Ort und Stelle stehen und wartete, bis es ihn erwischen würde. Eine Kreatur tauchte direkt vor ihm auf und packte ihn mit ihren Lichtgliedern. Er fühlte sich wieder, als hätte er seinen Körper verloren, als wäre er nichts als Leere. Das Gefühl wäre angenehm

entspannend gewesen, wäre da nicht der ins unerträgliche wachsende Schmerz. "Du hast versagt", sagte die Dunkelheit mit ruhiger Stimme. "Für uns Menschen ist es eine unmögliche Frist für so ein Vorhaben", verteidigte sich Alex. "Nichts ist unmöglich. Ihr habt versagt." "Gib mir noch mehr Zeit. Wir können das schaffen. Wir sind auf bestem Weg!" "Ich sehe deine Gedanken. Lügen sind leicht zu erkennen." Alex wusste welche Überlegungen das Wesen aufgedeckt hatte. Es würde wohl noch lange gehen, bis die Menschen und die Maschinen einen weiteren

Angriffsversuch starten konnten. Auch damit wäre das Ganze nicht getan. Denn danach würde eine Schlacht im Weltraum folgen, wo keine der beiden Allianzparteien den Nemenen gegenüber im Vorteil war. "Aber wir haben schon viel erreicht! Wir haben ein Bündnis mit den Maschinen. Das war noch vor einigen Tagen ein unmöglicher Gedanke! Zusammen mit den Maschinen werden wir eine Lösung finden!" "Zu spät. Eure Welt richtet zu viel Schaden bei uns an. Zu viel Energie fliesst! Wir müssen hier alle Quellen auslöschen, um uns selbst zu schützen." "Nein... Wartet! Das ist nicht die Schuld

der Menschen, dass die Portale offen sind..." "Ich sehe, du zweifelst deinen eigenen Worte. Du weisst sehr wohl, dass ihr Mitschuld an der Katastrophe habt." Wusste er das? Alex konnte sich keine Mitschuld vorstellen. Hatte das Wesen sein Unterbewusstsein durchforstet und irgendwelche Zusammenhänge entdeckt? "Du suchst zu weit", sagte die unsichtbare Kreatur, "Aber das ist egal. Wir müssen euch alle vernichten. Dich auch." "Warte..." Alex begann zu fühlen, wie ihn seine Kräfte verliessen. Sein Verstand, das Einzige, was er gerade noch aktiv

wahrnahm, fing an zu verblassen, irgendwohin zu verschwinden. Es fühlte sich an, als würde ihn das Wesen aussaugen. Das war sein Ende, sein Kampf war hier vorüber. Es war gut so. Angst und Sorgen verschwanden und wurden durch Ruhe und Frieden gefüllt. Er fühlte sich plötzlich so frei, wie noch nie. Es war angenehm, so zu sterben. Alex sah Nadja, wie sie ihn umarmte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er sah Mascha, wie sie im Wohnzimmer mit ihrer Stoffpuppe spielte. Das Bild verschwand dann plötzlich, als hätte es jemand weggewischt. Gesichter und Namen von Menschen erschienen nacheinander und verschwanden wieder

in der endlosen Dunkelheit. Plötzlich packte Alex die Angst. Sie war so stark, dass sie alle Bilder und Gefühle verdrängte. Nein... Sein Kampf war nicht vorüber. Er durfte jetzt nicht sterben. Was würde aus all seinen Freunden werden? Aus Maxim, Rhea, Viktor, Saiona… Der Gedanke, dass die Welt, die nach Aleksejs Tod bleiben würde, dem Untergang geweiht war, dass die Lichtwesen, alles Leben auf dem Planeten Erde auslöschen wollten, machte ihn wütend. Die Angst verschwand vollständig. Wut und Hass überschwemmten seinen Körper und gaben ihm Kraft. Er strengte sich an, so

wie wenn er jeden Muskel seines Körpers anspannen würde. Mit Gedanken packte er nach dem unsichtbaren Strahl, durch den seine Lebensenergie verschwand und zog ihn ruckartig an sich. Immer und immer wieder. Mit jedem Zug kehrte seine Kraft in Stücken zurück. Doch das Wesen wehrte sich, begann stärker an seinen Kräften zu saugen. Das machte Alex noch wütender. Er weckte auch den Nemen in sich und nutzte ihn als Quelle mentaler Kraft, um sich zu stärken. Die Wut in ihm nahm bis dahin unbekannte Ausmasse an. Er liess sie wie einen Felsen auf das Lichtwesen herabstürzen, umschloss es, drückte es zusammen. Die Kreatur schrie, versuchte sich zu

befreien, doch Alex hatte sie unter Kontrolle. Mit ganzer Kraft drückte er sie mit dem ihn aussaugenden Kanal in sich hinein. Die gesamte Lebenskraft kehrte auf einen Knall zu ihm zurück. Die Wut verschwand. Sein bis dahin verschwundener Körper meldete sich wieder mit einem Feuerwerk aus Gefühlen, die Alex schon zu vermissen begann. Als er die Augen öffnete und das Licht der Sonne erblickte, wusste er, dass er es geschafft hatte.

6. Die dritte Seele

 

Alex sass auf einer Liege im Sanitätszelt

seiner Einheit. Eine Krankenschwester trat ein. Sie hielt einen Stapel Papier in den Händen. Ein Mann in grauen Arbeiterkleidern kam ihr nach. Es war der Wissenschaftler, mit dem sich Alex vor kurzem unterhalten hatte. Die Krankenschwester blieb neben Alex stehen. "Die Blutwerte sind normal. Alles in allem kann ich sagen, dass sie vollkommen gesund sind. Keine nennenswerten Abweichungen vom Normalzustand." Sie grinste. "Ausser die vier Arme natürlich." "Unglaublich, dass sie jetzt noch Witze reissen kann", sagte der Wissenschaftler, nachdem die Krankenschwester das Zelt verlassen hatte. Er setzte sich auf eine

Liege Alex gegenüber. "Haben Sie etwas herausfinden können?", fragte Alex. "Wieso habe ich den Angriff des Wesens überleben können?" "Ich vermute, der Anzug hat Ihnen das Leben gerettet." "Mein Heracles-Anzug?" "Ja, ich habe die Elektronik untersucht. Sie ist fast überall verschmort, ausser dort, wo der Anzug mit Ihrem Nervensystem in Kontakt war." "Das heisst?" "Ich glaube, mit Hilfe des Anzuges konnten Sie das Wesen absorbieren." "Sie meinen, es ist jetzt in mir drin?" "Keine Ahnung... Vielleicht. Vielleicht wurde es einfach in eine andere

Energieform umgewandelt. Wärme zum Beispiel. Haben Sie irgendwo Verbrennungen?" "Sie haben die Schwester gehört, nichts Abnormales." "Ok... Es könnte alles Mögliche sein..." "Aber warum sind alle anderen Heracles-Shivas gestorben, die mit den Kreaturen in Kontakt getreten sind?" "Naja... Das weiss ich auch nicht... Sie sagten ja, dass Sie sich mit dem Wesen unterhalten hatten, oder?" "Ja." "Wahrscheinlich befindet sich das Lichtwesen dabei in einem anderen Zustand, als wenn es einen einfach so berühren würde. Es ist dann vielleicht

viel mehr an unsere Welt gebunden. So konnte es auch mit dem Anzug interagieren." Alex blickte den Mann zweifelnd an. "Was? Haben Sie eine bessere Erklärung? Was denken SIE denn?" "Was ICH denke? Ich denke, dass ich schon zu oft dem Tod entkommen bin. Irgendwas stimmt da nicht. Irgendwas stimmt mit MIR nicht." Der Wissenschaftler erhob sich langsam und legte Alex die Hand auf die Schulter. "Hey, Mann. Mit Ihnen ist alles in Ordnung. Seien Sie froh, dass Sie so ein Glückspilz sind. Es gibt immer eine Möglichkeit, in dieser Welt zu überleben, der menschliche Körper ist zu

vielem fähig. Sie haben einfach Glück oder einen starken Lebenswillen. Andere Menschen wären froh, an Ihrer Stelle zu sein." Ein Mann in Uniform betrat das Zelt. Es war General Pretting, einer der leitenden Offiziere der Operation. Der Wissenschaftler klopfte Alex auf die Schulter, salutierte vor dem General und verliess das Zelt ohne etwas zu sagen. Alex erhob sich und salutierte ebenfalls. "Schön, dass es Ihnen gut geht, Major", sagte der General. "Wie fühlen Sie sich?" "Ich kann meinen Auftrag weiterhin erfüllen, wenn es das ist, was Sie meinen, General." "Gut das zu hören." Er setzte sich aufs

Bett, wo vorher der Wissenschaftler gewesen war und deutete Alex, ebenfalls abzusitzen. "Es gibt einiges zu tun." Er zog sich die Stoffmütze ab und kratzte sich an seiner Glatze. Sein Blick wanderte nach etwas suchend im Zelt herum und fixierte schliesslich wieder Aleksej. "Ich muss zugestehen", sprach er weiter, "ich und viele andere haben Ihnen die Apokalypsegeschichte bis zum Schluss nicht abgekauft. Irgendjemand in der Regierung scheint aber ein grosses Vertrauen in Sie zu haben." "Vielleicht zweifelten Sie ja zu Recht. Wir leben noch." "Sie leben noch, ja." Seine Augen

wurden schmal. "Aoch Tausende andere wurden von den Kreaturen geholt." Alex überlegte angespannt, ob es seine Schuld war, dass so viele gestorben sind. War ER der eigentliche Auslöser für diesen Massenangriff gewesen? Aleksejs drückende Gedanken verflogen glücklicherweise, als er sich wieder auf Prettings Worte konzentrierte. "Das Sterben nimmt kein Ende", sprach der General weiter. "Die Lichtwesen tauchen jetzt auch viel öfter und dichter auf als zuvor. Sie sind viel aggressiver geworden. Sie jagen regelrecht nach uns. Vielleicht ist da doch was dran am Weltuntergang. Hat ja niemand gesagt, dass es schnell gehen muss... Ich habe

das Gefühl, diese Lichtkreaturen können ihr Auftauchen in unserer Welt gezielt steuern." "Ja, daran hatte ich auch schon gedacht. Die Nemenen haben sicher auch darunter zu leiden." "Bestimmt, ja. Doch laut Berichten, haben sie Waffen, die sie gegen die Wesen einsetzen können." "Was? Das würde heissen, sie kennen sich damit bereits aus. Sie wussten sehr wohl, was sie da hervorgerufen haben." "Mag sein, mag sein." Der Blick des Generals sprang wieder von Ecke zu Ecke und beruhigte sich wieder. "Tatsache ist, dass sie immer noch stark und kampffähig sind. Alle unsere

Stellungen wurden durch die Lichtwesen zerlöchert. Überall auf der Welt wurden unsere Gebiete und übrigens auch die der Maschinen von den Nemenen überrannt." "Die Portale... Wir müssen dranbleiben. Wir können sie immer noch schliessen." "Ja. Bis jetzt konnten wir die gewonnenen Stellungen halten. Es wird bereits eine neue Armee nachgezogen, um die Erstürmung des Gebietes zu vollenden. Zusätzlich arbeiten die Maschinen daran, die Waffen der Nemenen gegen die Lichtkreaturen zu kopieren." "Die Wesen streben die komplette Vernichtung allen Lebens auf diesem Planeten an. Wir müssen uns

beeilen." "Natürlich... Sie können hier momentan nicht viel tun, bis die neuen Angriffsarmeen bereit stehen. Ich brauche Sie und die anderen Shivas woanders. Die Nemenen haben viele unsere Städte eingenommen. Die Regierung möchte, dass diese wieder gesäubert werden." Alex gefiel es persönlich nicht, die aktuelle Front anderen zu überlassen, doch er willigte ein. "Sie kriegen bald neue Anweisungen. Ein Helikopter bringt Sie zu einem Stützpunkt, der näher zu Ihrem Einsatzort liegt", sagte der General und stand

auf. Bevor er sich verabschiedete und ging, liess er ein weiteres Mal seinen Blick über die Unterkunft laufen. Die plötzlich und überall auftauchenden Lichtwesen mussten dem alten Mann auf die Psyche drücken, dachte Alex Mitleid empfindend. Doch er musste sich zugestehen, dass auch er selber langsam paranoid wurde und bei jedem, nach öffnenden Portalen klingenden Geräusch einen leichten Adrenalinstoss bekam. Er ging zu einer Ecke des Zeltes, wo sein Anzug lag, und kontrollierte dessen Zustand. Es gab zahlreiche Risse und tiefe Kratzer in der Panzerung. Ein Teil der Bauch- und Helmplatten waren

verschmolzen. War das die Hitzewirkung, von der der Wissenschaftler geredet hatte? Oder waren das bloss Spuren einer Explosion, deren Feuerball ihn erfasst hatte. Die Elektronik hatte immense Schwierigkeiten, wie ein Blick durch das Helmvisier verriet. In diesem Zustand war der Anzug unbrauchbar. Er müsste die meisten Teile ersetzen oder gar einen völlig neuen Anzug brauchen, dachte Alex. Er entschied sich einen Techniker aufzusuchen. Stunden später kamen die Transporthelikopter. Alex hatte eine Kompanie aus hundert Shivas

zusammengestellt und für den geplanten Einsatz vorbereitet. Er hatte zehn Gruppenführer, darunter Viktor und Rhea ausgewählt und ihnen je neun Soldaten zugewiesen. Personen und Material wurden verladen und Richtung Süden ausgeflogen. Dort lag eine Stadt, die wegen der erhöhten Aktivität der Lichtwesen in die Hände der Nemenen gefallen war. Die Helikopter landeten nach einem stundenlangen Flug in einer am Zielort nahe gelegenen Militärbasis. Sie war in einem Vorort angelegt worden, als Landeplatz diente ein ehemaliges Fussballfeld. Nun musste Alex auf weitere Anweisungen warten. Nachdem die

Kompanie die Ausrüstung in einem Hangar deponiert hatte, wurde sie in einem vierstöckigen Haus – einem früheren Hotel – einquartiert. Alex bekam ein Einzelzimmer. Das passte ihm gut, denn nach all dem, was passiert war, wollte er alleine sein. Er ging in sein Zimmer und liess sich auf das einfache Holzbett fallen. Die Matratze war hart und staubig, aber immer noch besser, als der kalte Boden eines Schützengrabens. Nach wenigen Minuten merkte er, dass er es nicht schaffen würde, einzuschlafen. Er fühlte sich frisch, als hätte er gerade erst einen mehrstündigen Schlaf hinter sich. Also setzte er sich auf und betrachtete das

Zimmer. Der Raum war schmal; die Wände zerkratzt und mit Resten hellblauer Farbe, die den nackten Beton darunter abdeckte. Das verdreckte Fenster liess nur wenig Licht hinein und beleuchtete einen leeren, türlosen Wandschrank und einen rechteckigen Holztisch. Erst jetzt bemerkte Alex, dass dort drauf ein Zettel mit der Aufschrift ‚Willkommen‘ lag und mit einem rotgrünen Apfel beschwert wurde, was Alex etwas lächerlich erschien. Beim Anblick der Frucht wurde aber sein Hunger wach. Er stand auf und wollte nach dem Apfel greifen, doch noch bevor er die Frucht mit der Hand erreicht hatte, verspürte er ein fremdartiges Kribbeln

im Arm. Plötzlich erschien ein blauer, transparenter Lichtfaden, der sich aus der ausgestreckten Handfläche zum Apfel schlängelnd hinzog und sich in das Fruchtfleisch bohrte. Der Anblick des berüchtigten Lichtes erschreckte Alex und liess ihn mitten in der Bewegung erstarren. Doch wo waren die Raumkrümmung und das typische Aufreissen der Luft geblieben? Ausserdem verspürte Alex ein Gefühl, dass ihm sagte, dass dieses Licht ein Teil von ihm selber war. Er hatte dessen Erscheinen ausgelöst! So absurd es ihm selber erscheinen mochte, er konnte den Apfel fühlen, obwohl er ihn nicht berührte. Er fühlte die Energie, die in

der kleinen Frucht konzentriert war. Der Apfel war aus seiner Sicht plötzlich nicht mehr ein Apfel, sondern ein Paket verschiedenster Energieformen, die Alex als ein Ganzes wahrnahm. Er bemerkte, dass sich die Energie verschieben liess. Er könnte sie an sich reissen, das fühlte er ganz genau. Von Neugier getrieben vollendete er seinen ursprünglichen Willen. Er ass den Apfel. Doch er tat es nicht wie er normalerweise etwas essen würde, er tat es durch den immer noch bestehenden Faden aus Licht. Er zog die Energie der Frucht an sich, liess sie in sich hineinfliessen und fühlte, wie sie ein Teil von ihm wurde, seine eigene

Lebenskraft ansteigen liess. Er nahm sich alles, was sich ohne Widerstand an Energie verschieben liess, unterbrach dann die Verbindung und senkte die Hand. Als er den Apfel anschaute, war dieser vertrocknet, zusammengeschrumpft und weiss. Dann erst kam in Alex Panik auf. Was war eigentlich los? Wie hatte er den Apfel bis auf den letzten Wassertropfen ‚essen‘ können, ohne ihn zu berühren? Er setzte sich aufs Bett und betrachtete seine Hand. Nichts schien an ihr abnormal zu sein. Doch das Licht... Steckte das Lichtwesen, das versucht hatte ihn zu töten in ihm drin? Hatte es das mit dem Apfel gemacht? Doch es

hatte sich angefühlt, als wäre alles nach seinem eigenen Willen abgelaufen. Hatte er in diesem Fall diese Kreatur in sich unter Kontrolle? Leicht verwirrt stand Alex auf und begann auf und ab im Zimmer zu gehen. Seine Gedanken verstrickten sich immer mehr, gruben immer neuere Fragen und mehrfache mögliche Antworten hervor. In Gedanken versunken merkte er nicht, wie er den vertrockneten Apfel nahm und anfing an ihm herumzukauen. Er fühlte ein Kribbeln in der rechten unteren Hand, hielt an und betrachtete sie. Er kratzte die Handfläche, doch das Kribbeln schien im Inneren zu sein. Um die Hand zu lockern, wollte er sie

schütteln, doch schon bei der ersten Bewegung gab es einen dumpfen, tiefen Knall als die Luft um seine Hand plötzlich vibrierend fortgestossen wurde. Die kleine Druckwelle traf auf den Tisch, wirbelte Staub auf und riss knarrend einen unregelmässigen Spalt in die dünne Tischplatte. Schockiert starrte Alex auf den angerichteten Schaden und wagte nicht sich zu bewegen. Er wollte nur die Hand schütteln und dann das! Vorsichtig drehte er die Handfläche nach oben, doch auch hier war nichts Aussergewöhnliches zu entdecken. Das Kribbeln war noch immer zu fühlen, in allen vier Händen. Er bewegte sie langsam und kontrolliert,

vermied scharfe Bewegungen, so als würde er Flaschen mit Nitroglycerin halten. Dann erinnerte er sich an den Lichtfaden. Auch dann hatte er ein ähnliches Kribbeln verspürt. Er hatte es unter Kontrolle gehabt. Alex schloss die Augen, konzentrierte sich. Er presste die Fäuste zusammen, als wolle er das beissende Gefühl in den Händen einfangen. Er begriff plötzlich, dass das Kribbeln auf die Anwesenheit von Energie in den Handflächen hindeutete. Mit unsichtbaren Händen fasste er sie an und absorbierte sie. Ein Klopfen an der Türe liess ihn aufschrecken. "Alles in Ordnung bei dir, Major",

ertönte Rheas Stimme hinter der Türe. "Ich habe hinter der Wand einen Krach gehört." Alex zögerte kurz. Das was sich hier gerade abgespielt hatte, sollte er lieber für sich behalten, dachte er. Zumindest bis er verstand, was mit ihm los war. Er wollte schliesslich weder dass der Einsatz unterbrochen würde noch dass er ins Labor müsste, um wieder wie ein neuartiges Untersuchungsobjekt untersucht zu werden. "Ja." Er räusperte sich. "Alles gut. Mir ist nur etwas auf den Boden gefallen, Leutnant." "Hat eher getönt, als ob du auf den Tisch gehauen

hättest." Was wollte sie? Er hatte ja gesagt, dass alles in Ordnung war. Rhea interpretierte sein Schweigen auf ihre Art. "Willst du darüber reden?" Hatte sie was gesehen? Oder meinte sie etwas ganz anderes? Alex hatte auf jeden Fall keine Lust mit ihr jetzt über irgendwas zu diskutieren. Das war der absolut unpassendste Augenblick. Er ging vorsichtig zur Türe und öffnete sie, während er einen lockeren Gesichtsausdruck anzunehmen versuchte. Rhea stand im Gang. Sie hatte ihre kurzen blonden Haare gekämmt, eine Strähne verdeckte leicht das linke Auge und verlieh ihrem Gesicht trotz der

Brand- und Schnittnarben ein hübsches Aussehen. Der Reissverschluss der Militärjacke war ungewöhnlich weit geöffnet und erlaubte einen grosszügigen Einblick auf ihre Brust. Alex hatte sie noch nie in so einem Zustand gesehen. Sie war ihm auch nie besonders als Frau aufgefallen. Vielleicht lag das daran, dass man auf dem Schlachtfeld nicht zwischen Mann und Frau unterschied. Da gab es Funktionen und Ränge. Beim Anblick des Todes waren alle Menschen gleich. Rhea so zu sehen machte Alex stutzig. Sie schien das zu merken und verzog die Lippen zu einem frechen Lächeln. Er glaubte nun zu verstehen, was sie

eigentlich wollte. Hatte sie einfach auf einen passenden Grund gewartet, um hier aufzutauchen? Ihre Augen fielen auf den vertrockneten Apfel, den Alex noch immer in den Händen hielt. "Du hast ja nicht gerade das beste Willkommensgeschenk erwischt", sagte sie. "Meiner ist noch ganz, wir können ihn ja teilen." Er hätte nie gedacht, dass Rhea etwas für ihn empfand. Oder wollte sie einfach ihren Spass? Vielleicht sah Alex das Ganze falsch? Hatte das Leben ohne Liebe seine Wahrnehmung verzerrt? So oder so, Rhea und er waren Kampfgefährten und er war ihr

Vorgesetzter. Wie er sich noch vor Jahren eingeprägt hatte, wollte er niemandem im Militär zu nahe treten. Das hatte ihm bis jetzt immer nur Probleme bereitet. Überhaupt hatte er momentan ganz andere Sorgen. Die Gedanken blieben nicht lange bei der Frau vor ihm. Der Schrecken von dem, was gerade mit ihm passiert war, war noch nicht verschwunden. Das Kribbeln in den Händen meldete sich wieder. Alex machte einen ernsten Gesichtsausdruck. "Leutnant, es ist alles in Ordnung. Ich habe wirklich nur etwas fallen lassen. Ruhe dich aus." Dann schloss er die Türe. Er hörte, wie sie nach einer kurzen Wartezeit wegging.

Es war ihm nicht wohl dabei, sie so abschieben zu müssen, doch er hatte momentan grössere Probleme. Alex betrachtete noch einmal seine Hände und konzentrierte sich auf das Kribbeln. Er musste herausfinden, was das mit der Druckwelle auf sich hatte. Brachte er damit sich und andere in Gefahr? Er verliess leise das Zimmer und begab sich zum Ausgang des Gebäudes. Draussen war es bereits Abend geworden. Auf der Strasse waren kaum Menschen anzutreffen. Ab und zu gingen beschäftigt aussehende Soldaten oder Techniker vorbei. Er suchte eine verlassene Gasse auf, ging hinein und bog mehrmals ab, bis er eine Stelle fand,

wo er sich sicher war, dass ihn niemand sah. Es war eine schäbige, mit Müll bedeckte Gasse. Die wenigen, darauf ausgerichteten Fenster waren zum grössten Teil zugenagelt worden. Es stank nach Exkrementen. Hunde, dachte Alex. Hier konnte er getrost Lärm machen. Er hob einen Arm und richtete ihn gegen eine Wand. Gedanklich provozierte er das Auftauchen des kribbelnden Gefühls auf der Handfläche. Er konnte das Energiepaket fühlen und er wusste, dass er es bewegen konnte. Mit einer schnellen Stossbewegung der Hand nach vorne entliess er die darin gehaltene Energie. Es knallte dumpf, als sich eine

Druckwelle löste und gegen die Mauer knallte. Alex wiederholte das Ganze. Fasziniert und gleichzeitig schockiert begann er auf herumliegende Objekte zu ‚schiessen‘. Papierfetzen, Bretter, Kisten konnte er so von sich wegschieben. Er begann die Stärke der erzeugten Druckwellen zu verändern, indem er die Grösse der Energiepakete in seiner Hand variierte. Bald konnte er Kisten mit einer einzigen Handbewegung zersplittern lassen. Er begann auch die anderen drei Hände einzusetzen. Zuerst nacheinander, dann alle zusammen. Er merkte, dass er immer stärkere Druckwellen erzeugen konnte und dass es ihm immer leichter fiel. Ein starker Stoss schlug ungewollt

sogar einen meterlangen Riss in die Steinmauer. Alex fühlte, dass es noch stärker ging, doch er hatte absolut nicht vor, bleibende Schäden zu hinterlassen. Er beschränkte sein Training auf weniger zerstörerische Energiemengen. Er erprobte verschiedene Distanzen, soweit es die Gasse erlaubte. In der Länge erreichte er mit starken Druckwellen dreissig Schritte, doch er war sich sicher, dass es längst nicht seine Grenze war. Es kam ihm bald vor, als würde das Lichtwesen in ihm – er war nun überzeugt, dass es da war – ihm in sein Unterbewusstsein zuflüstern und immer mehr Geheimnisse verraten. Seine

Druckwellen wurden immer genauer, immer kontrollierter. Er bekam das Gefühl, sie schon sie schon immer beherrscht zu haben. Er wusste nicht, wie diese Druckwellen entstehen konnten. Er fühlte wie die Energie durch seine Hände nach aussen floss. Es konnte sich aber nicht um reine Erwärmung der Luft handeln, denn so etwas müsste eine Druckwelle in alle Raumrichtungen erzeugen und würde ihn selber in gleicher Weise zurückstossen, wie die Objekte auf die er zielte, was aber nicht der Fall war. Mit jeder grösseren Druckwelle spürte Alex, dass er immer schwächer wurde. Es war die genaue Umkehrung dessen, was

er mit dem Apfel erlebt hatte. Während die Frucht seine Kraft, seine innere Energie erhöht hatte, ging durch die Erzeugung von Druckwellen Energie verloren. Er fragte sich, wie lange das wohl funktionieren konnte. War er so in der Lage seine ganze Kraft zu verbrauchen und schliesslich zu sterben? Konnte er die verbrauchte Energie vollständig mit Nahrungsmitteln ‚aufladen‘? Würde er das auch mit anderen Objekten oder sogar Menschen machen können? Der Gedanke war so abschreckend, dass Alex ihn sofort fallen liess. Er entschied sich auch mit den Spielereien aufzuhören. Er durfte es nicht übertreiben, schliesslich hatte er ja

noch keine Ahnung was für Nebenwirkungen seine neuen Fähigkeiten mitbringen würden. Alex hatte den passenden Moment zum Aufhören erwischt, denn auf einmal tauchte ein Shiva-Soldat in der Gasse auf. Es war einer aus Aleksejs Kompanie. "Oh, Major." Er salutierte und war absolut nicht überrascht Alex hier anzutreffen. "Sie sind auch hier." "Ja..." Alex wusste nicht, auf was der Soldat hinaus wollte und machte sich daran zu gehen. "Die Jungs von der Verwaltung sagten, dass die Toiletten wohl noch lange zubleiben werden. Die Leitungen seien verstopft. Bis dahin müssen wir uns wohl

mit den Gassen begnügen." Jetzt wusste Alex, was es mit dem Gestank auf sich hatte. Wieder in der Unterkunft angekommen, verpflegte sich Alex in der Kantine, ging dann auf sein Zimmer und versuchte zu schlafen. Doch auch jetzt schaffte er es nicht. Zu viel war geschehen. Zu viele Fragen schwirrten in seinem Kopf herum und liessen ihm keine Ruhe. Auch Stunden später wollte der Schlaf nicht kommen und Alex war froh, als ein Übermittlungssoldat zu ihm kam und ihn in die Funkzentrale rief, wo er Anweisungen für den anstehenden Einsatz erhielt.

7. Energie

 


Es war früher Morgen, als die schwer bewaffneten Shivas die Stadt betraten. Nur noch wenige Häuser trennten sie von den Stellungen der Nemenen. Wie immer war der Auftrag einfach formuliert: Stadt einnehmen, alle feindlichen Kräfte neutralisieren. Doch Alex wusste, welche verschwiegenen Schwierigkeiten sich hinter solchen Worten verbergen konnten. Der Armeestab hatte sich entschieden die Heracles-Shiva-Soldaten ohne

Unterstützung in den Kampf zu schicken. Für die Artillerie gab es keine sicheren Ziele, für die Luftwaffe war eine vom Feind besetzte und schlecht erkundete Stadt zu gefährlich, die Panzer waren zu unbeweglich auf den engen Gassen und die einfache Infanterie zu wenig geschützt. Dagegen waren die Shivas mit ihren modifizierten Körpern und den Heracles-Anzügen Panzer und Infanterie zugleich. Sie waren mobil, flexibel und konnten schnell auf neue Situationen reagieren. Alex war mit mehreren Granaten, Sturmgewehren und einem Raketenwerfer bewaffnet. Sein Anzug war frisch repariert, die Energiereserven

aufgeladen. Die hundertköpfige Kompanie hatte er eine weit verstreute keilförmige Formation einnehmen lassen. Die einzelnen Gruppen und Einzelsoldaten waren zum Teil mehrere Meter voneinander entfernt und durch Häuser getrennt. Doch genau das wollte Alex. Seine Kompanie musste von Anfang an ein möglichst breites Gebiet abdecken, um nicht plötzlich in eine Umzingelung zu geraten oder ein leichtes Ziel für die Artillerie zu werden. Hinzu kam, dass jeder Shiva ein guter Einzelkämpfer war und bis zu zehn gewöhnliche Infanteristen ersetzten konnte. Dadurch, dass jeder Soldat genügend Freiraum um sich hatte, war

sichergestellt, dass das Potential jedes einzelnen voll ausgeschöpft werden konnte. Die Aufklärung hatte von Snipern und Raketenwerfern gewarnt. Schwere Technik war anscheinend nicht zu erwarten, ausser der Artillerie am hinteren Ende der Stadt. Das war gut, vor allem für die einfache Infanterie, die in einigem Abstand den Schivas folgen würde, um Haus um Haus zu ‚reinigen‘. Alex betrachtete seine Leute. Viktor und Rhea befanden sich mit ihren Gruppen rechts von ihm. Bevor Rhea den Helm überzog, sah er ihr Gesicht. Sie war wieder in ihren Kampfmodus verfallen, war wie gewohnt ernst und konzentriert

und liess sich wegen dem, was gestern geschehen war, nichts anmerken. Aber was war überhaupt gestern geschehen, dachte er. Nichts! Absolut nichts! Wahrscheinlich hatte er die Situation einfach falsch verstanden. Dann war es soweit. Er befahl zum Vorstossen. Leise begannen die Soldaten sich den ersten besetzten Häusern zu nähern. Alex war an einer Hausecke angelangt und hatte bereits mehrere Granaten entsichert, als die Shivas gesehen wurden und bei den Nemenen Alarm ausgelöst wurde. "Gebt ihnen Schweres!", befahl Alex kurz und beförderte seine Granaten über einen von den Ausserirdischen

aufgehäuften Steinwall. Mit Granaten, Raketen- und Strahlenwerfern wurde die Verteidigung eingeschüchtert und die ersten Stellungen zum Schweigen gebracht. Einem Angriffsbefehl über Funk gebend, entsicherte Alex seine Sturmgewehre und stürmte in weiten Schritten nach vorne. Die erste Verteidigungslinie wurde schnell durchbrochen und Alex glaubte schon, dass damit das Schwerste erledigt war, doch er merkte bald, dass sich in vielen noch stehenden Häusern ausserirdischen Infanteristen verschanzt hatten. Nun waren seine Leute gezwungen systematisch vorzugehen. Sich auf den Kampf konzentrierend,

entfernte sich Alex von seinen Leuten. Er entschied sich für ein Gebäude aus dem geschossen wurde und rannte hinein. Zwei gegnerische Infanteristen hatten sich im Treppenhaus verschanzt und begannen sogleich aus ihren Stabwaffen zu feuern. Alex erledigte sie mit ungezielten Feuerstössen aus den Sturmgewehren und begann dann Zimmer für Zimmer zu durchsuchen. Zuoberst befanden sich in einem der Zimmer zwei Nemenen mit Stahlenwerfern, die Aleksejs Ankunft gefühlt hatten und ihn mit ihren Waffen empfingen, noch bevor er sie erreicht hatte. Die Strahlung brachte den oberen Teil des Treppenhauses und der Wände

zum Schmelzen. Alex hatte gerade noch Zeit in einen benachbarten Raum zu springen, bevor die Stelle, an der er sich gerade aufgehalten hatte, verdampfte. Er überlegte kurz was er nun tun konnte, stieg durch ein zerstörtes Fenster nach draussen und kletterte – alle vier Arme benutzend – der Fassade entlang zum nebenan liegenden Raum, wo die Nemenen waren. An zwei Armen hängend warf er zwei Granaten durch ein Fenster, wartete auf den erschütternden Doppelknall und rollte dann über den Fensterrand in den Raum hinein. Die Aliens hatte er nicht erwischt, doch sie waren verwirrt und das genügte ihm, um sie mit schnellen Schlägen ausser

Gefecht zu setzen. Im zweiten Gebäude, das Alex betrat, hagelten Neutronengranaten im Treppenhaus auf ihn herunter. Schnell sprang er nach hinten und rollte wieder aus dem Treppenhaus hinaus, bevor die tödlichen Impulse ausgelöst wurden. Ein Teil der Strahlung bekam er dennoch ab, wie ihn sein Anzug in Kenntnis setzte, doch diese wurde von der dünnen Neutronenschutzschicht abgefangen. Alex wollte nicht viel Zeit mit den Nemenen verlieren und setzte den Verschanzten im oberen Stockwerk mit seinem Raketenwerfer ein schnelles Ende. Doch plötzlich schien das Gebäude aus einem trügerischen Schlaf erwacht zu

sein. Gleichzeitig strömten mehrere Nemenen aus den vielen Zimmern hinaus. Heftiges Feuer zwang Alex in den unteren Räumen Deckung zu suchen. Bald darauf jagten ihn hineingeworfene Neutronengranaten wieder hinaus. Bei heftigem Gegenfeuer stürmte er mit drei Sturmgewehren nach vorne, machte seine Gegner aus und erledigte sie mit längeren Serien. Als sich kein lebender Nemene mehr im Haus befand, verliess Alex das Gebäude durch einen Hintereingang und fand sich auf einer breiten Strasse wieder. Auf der anderen Strassenseite befanden sich zwei Shivas, die sich gerade in einem Schusswechsel mit einer Gruppe von

Ausserirdischen befand. Die Nemenen hatten sich in einer Gasse verschanzt und nutzten die Hausecke als Deckung. Eine Gasse weiter vorne sah Alex weitere Gegner. „Ich nehme diejenigen, in der ersten Gasse“, übermittelte Alex den beiden Soldaten. „Kümmert euch um die Nemenen weiter vorne.“ Die beiden bestätigten und Alex rannte der Hauswand entlang nach vorne. Rund fünfzig Meter vor den Feinden blieb er stehen und jagte seine letzte Rakete in die Gasse hinein. Ein gegnerischer Infanterist wurde durch die Wucht der Explosion durch die Luft geschleudert. Alex wusste nicht, wie viele er genau

erwischt hatte, aber sein Gefühl für Ausserirdische sagte ihm, dass sich in der Gasse noch weitere lebende Nemenen befinden mussten. Mit langen Schritten erreichte er die durch die Raketenexplosion zerfetzte Hausecke und bog in die Gasse hinein. Dort befanden sich weit mehr Nemenen als er erwartet hatte. Sein Anzug riss an mehreren Stellen auf, als er gleich mehrmals von Partikelgeschossen der Stabgewehre getroffen wurde. Alex vollzog eine Seitwärtsrolle, um aus der Schussbahn zu kommen, während er aus allen drei Sturmgewehren zurückschoss. Als seine Magazine leer heraussprangen, standen noch immer drei Ausserirdische in der

Gasse. Deckungsmöglichkeiten gab es hier nicht. Was sollte er tun? Zurückrennen und nachladen? Oder... Alex liess die Waffen fallen und streckte eine Hand nach vorne. Er hatte bis jetzt noch nie Druckwellen im Anzug erzeugt, doch irgendetwas sagte ihm, dass es gehen würde. Er musste die Energie einfach nicht sofort entladen lassen, sondern sie zuerst durch die dicken Schutzhandschuhe leiten. Ein dumpfer Knall ertönte als sich eine Druckwelle löste. Sie traf einen in mehreren Metern Entfernung stehenden Infanteristen direkt in die Körpermitte. Er torkelte zurück und die Spitze seiner Stabwaffe wurde zur Seite gedrückt. Vielmehr

passierte aber nicht. Der Ausserirdische zögerte kurz – womöglich über das Geschehene überrascht – und richtete seine Waffe wieder nach vorne. Doch Alex erzeugte mit einer leichten Bewegung bereits eine zweite, stärkere Welle. Diesmal wurde sein Gegner wie von einer unsichtbaren, riesigen Faust getroffen und mehrere Meter weit nach hinten geschleudert. Die Druckwelle riss einem anderen Ausserirdischen die Waffe aus den Händen. Dieser folgte seinem vorbeifliegenden Kameraden mit dem Blick und zog eine Granate hervor, doch auch er war zu langsam. Schon hatte Aleksejs Hand ihn anvisiert. Ein dumpfer Knall ertönte und der Infanterist segelte

mit Armen schwingend durch die Luft. Der dritte Ausserirdische zögerte nicht mehr und feuerte. Alex fasste seine Bewegungen mit einem Seitenblick auf und begriff sofort, dass es zu spät war, um auszuweichen. Die plötzliche Angst, jetzt getötet zu werden ergriff ihn, als ihn ein Partikelpaket traf und einen Teil der Brustpanzerung wegriss. Ein zweiter Treffer würde ihn töten, dachte Alex, als ihn eine weitere Ladung Partikel erreichte. Ein seltsames Gefühl durchlief Aleksejs Körper. Die plötzliche kalte Leere erinnerte ihn an das, was er beim Gespräch mit dem Lichtwesen gefühlt hatte. Nur war das irgendwie anders. Der

Infanterist zuckte zusammen und machte einige Schritte nach hinten. Alex begriff noch nicht was vor sich ging. Er blickte hinunter, um nach der Wunde zu sehen und sah Lichter. Aleksejs Körper war verschwunden. Stattdessen sah Alex ein formloses, über dem Boden schwebendes Gebilde aus mehrheitlich blauem Licht. Kurze und lange, durchsichtige Tentakel ragten an mehreren Stellen nach aussen und bewegten sich langsam und fliessend hin und her. Er wusste, dass es sein sein Körper war. Er hätte eigentlich erwartet, dass er bei einem solchen Anblick Angst oder wenigstens Aufregung verspüren würde, doch er empfand gar nichts. Es war, als

wären alle seine primitiven Gefühle zusammen mit dem Körper verschwunden. Was blieb waren sein Geist, innere Ruhe und das Gefühl unendlicher Freiheit. Die Umwandlung hatte neue Buchseiten in seinem Bewusstsein geöffnet, als hätte das Verschwinden seines materiellen Gehirns zur Befreiung seines Verstandes geführt. Eine Welle neuer Informationen strömte von irgendwo her, schloss Verknüpfungen und liess das bisher Unverständliche selbstverständlich erscheinen. Ihm wurde auf einmal klar, was mit ihm geschehen war. Das Lichtwesen in ihm war ein Teil von ihm geworden. Es erlaubte ihm, Formen der

Energie zu verschieben und ineinander umzuwandeln. Genau das hatte er mit seinem Körper samt Anzug getan. Aus Masse wurde ein Gemisch aus Energien, wobei nur ein winzig kleiner Teil in dieser Welt natürlicherweise überhaupt vorkam. Die mit Druckwellen weggestossenen Infanteristen begannen sich langsam wieder aufzurichten. Derjenige der noch bewaffnet da stand, hatte sich noch immer nicht gerührt. Scheinbar wusste er nicht, was er tun sollte. Im Gegensatz zu Alex. Mit seinen Tentakeln versuchte er den stehenden Ausserirdischen zu erreichen, doch dieser war noch zu weit. Alex musste ihm näherkommen, doch der

Körper aus Licht war irgendwie träge und schwierig zu bewegen. Der Drang zu gehen bewirkte nur ein sehr langsames Schweben in die gewollte Richtung. Er musste seine Gestalt ändern! Alex schwebte ein wenig nach oben, um nicht plötzlich im Boden zu materialisieren und liess seine Energie den Zustand annehmen, den er vor der Umwandlung hatte. Auf einmal war alles wieder da; sein Körper, der Anzug und die Ausrüstung, die daran hing, erschienen in Bruchteilen von Sekunden. Nach einem kurzen Fall von wenigen Zentimetern landete Alex auf den Boden. Das plötzliche Auftauchen der Schwerkraft, des Luftdruckes und das

Aufblühen aller seiner Gefühle überforderten ihn für einen Moment, zwangen ihn in die Knie zu gehen und sich am Boden abzustützen. Der Anzug funktionierte als wäre nichts geschehen. Die Anzeigen leuchteten weiterhin munter vor sich hin, warnten ihn von registrierten aber noch nicht ausgeschalteten Feinden. Auch die Nemenen reagierten. Das Erscheinen von Aleksejs Körper liess sie für einen Moment verharren, doch schon erwachten sie aus ihrer Starre und machten sich zum Kämpfen bereit. Länger durfte Alex nicht warten. Er zwang sich, trotz seiner Übelkeit aufzuspringen und erreichte die drei Gegner in wenigen Schritten.

Konzentriert wandelte er vor ihnen seine Gestalt, gerade noch rechtzeitig, um nicht von einer Serie von Schüssen zerfetzt zu werden. Die von den Nemenen abgefeuerten Partikel flogen durch seinen Lichtkörper einfach durch und zerrten kaum merkbar an seinen Kraftreserven. Im Gegensatz dazu, war die Umwandlung ein Prozess, der ihm viel Kraft kostete. Er fühlte, dass zu einem grossen Teil der Anzug und die Ausrüstung schuld daran waren. Dieser riesige Haufen Masse wurde immer mitverwandelt. Nicht, weil es ihn einfach berührte, sondern weil er aus Gewohnheit den Anzug als einen Teil von sich selbst ansah. Unbewusst bildete der

Heracles-Anzug die äusserste Hülle seiner Person, so wie im alltäglichen Leben die Kleider. Die letzte Umwandlung war nicht einfach gewesen und der Kraftverlust gross. Alex wusste nicht, ob er überhaupt noch stark genug wäre, um sich zurückzuverwandeln. Doch er würde sich die nötige Energie holen! Strahlenkegel schossen aus seiner Lichtgestalt heraus und drangen in die Körper der noch immer schiessenden Nemenen ein. Alex fühlte sie in seinem Griff. Er fühlte ihre Angst. Er sah plötzlich auch, wie wenig er sich von ihnen unterschied. Die Energiestrukturen waren praktisch dieselben. Die Unterschiede, welche aus

den Wesen ausserirdische Arten machten und nicht den Menschen, waren winzig. Bruchteile von Sekunden vergingen und er wusste, was er sich nehmen konnte; ihre Lebenskraft. Ohne zu zögern zog er diese an sich und absorbierte sie. Das Gefühl erinnerte ihn, wie er den Apfel durch den Energiefaden ‚gegessen‘ hatte. Mit einem dumpfen Geräusch fielen die leblosen Körper der Infanteristen auf den Boden, als Alex mit ihnen fertig war. Es steckte zwar noch Energie in den Körpern, doch er hatte genug. Ein Gefühl der Erleichterung breitete sich in ihm aus. Die Schwäche, die gerade noch so aufdringlich an seinem Körper gezerrt hatte, war

verschwunden. Alex materialisierte wieder. Diesmal verursachte die Verwandlung nicht solche Probleme, wie beim ersten Mal. Er schien sich erstaunlich schnell daran anzupassen. Er schaute um sich, um sicherzugehen, dass sich niemand mehr in der Gasse befand. "Was jetzt?", sagte er zu sich. Was sollte er jetzt tun? Die neuen Kräfte in ihm boten unbegrenzte Möglichkeiten. Sie zu nutzen, wäre die daraus folgende Konsequenz. Doch was würden die anderen Soldaten denken? Schliesslich war das absolut verrückt und unreal. Wie konnte er das erklären? Zwar begriff er innerlich, was mit ihm geschah, wenn er

Druckwellen erzeugte oder sich verwandelte, doch wenn es darum gehen würde es jemanden begreiflich zu machen, würden ihm die passenden Worte fehlen. Würde man ihn überhaupt noch als einen Menschen und einen vertrauenswürdigen Soldaten ansehen? Die Punkte auf der Karte bewegten sich ununterbrochen. Die Shivas kämpften immer noch weiter und das sollte auch er tun, anstatt hier nachdenkend rumzustehen, dachte Alex. Die Schlacht war in vollem Gange und er hatte einen Auftrag zu erfüllen. Wie er das tat, war doch eigentlich völlig egal. Er löste die automatische Entriegelung seines Anzuges und streifte alle Teile ab.

An ihm blieb nur noch der graue Kombi, den er darunter trug. Auch das Funkgerät löste er aus dem Helm heraus und befestigte es in seinem Ohr. Er schloss die Augen und hörte auf seine Sinne. Der Sinn für Nemenen brachte nur vernebelte, kaum erkennbare Gefühle hervor. Waren die dicken Wände der Häuser dafür verantwortlich? Er legte die Hand flach auf eine Gebäudewand und konzentrierte sich auf die Energieströme, die er so besser fühlen konnte. Er erkannte Muster, die den ausserirdischen Infanteristen ähnlich sahen, und schätzte, dass sich im Inneren fünf oder sechs Feinde aufhielten. Er entschied sich, direkt durch die Wand

zu gehen. Die Lichtwesen konnten das, also sollte es auch bei ihm funktionieren. Er änderte seine Gestalt – was ihm diesmal kaum Kraft gekostet hatte – und begann mit seinem Lichtkörper langsam in die Gebäudewand einzutauchen. Sofort bekam er den Widerstand, den ihm die Wand entgegensetzte zu spüren. Er musste viel Kraft aufwenden, um diesen zu überwinden. Eigentlich war das Durchdringen von Objekten der gleiche Vorgang, wie das Schweben durch die Luft. Schliesslich machte er dabei nichts anderes, als sich durch Materie zu schieben. Alex erklärte sich den grösseren Aufwand damit, dass die Luft ein Gasgemisch war und damit viel

weniger dicht als die Hausmauer. Natürlich mussten da auch andere Faktoren eine Rolle spielen, doch Tatsache war, dass er kaum Energie verbrauchte um sich in der Luft zu bewegen. Als er die Mauer endlich hinter sich gebracht hatte, erblicke er das durch sein eigenes Leuchten erhellte Innere des Hauses. Er war in einem grossen, leer ausgeräumten Zimmer gelandet, wo sich gerade drei Ausserirdische aufhielten. Alex konnte sie nicht fühlen, in seiner Lichtgestalt war sein Empfinden für Nemenen zusammen mit seinen natürlichen Sinneswahrnehmungen verschwunden. Einer der Infanteristen

rief etwas bellend – was Alex ebenfalls nicht einfach mit den Ohren, sondern auf eine andere, unbeschreibliche Art wahrnahm – und die drei ergriffen in verschiedene Richtungen die Flucht. Derjenige, der von Alex am weitesten entfernt war, rannte zum Treppenhaus, die anderen zwei versuchten entgegengesetzt liegende Räume zu erreichen. Alex reagierte schnell. Er verwandelte sich zurück in seine menschliche Gestalt und schickte den beiden ihm am nächsten liegenden Nemenen Druckwellen hinterher. Die getroffenen Infanteristen wurden mit Wucht gegen die Wände geschleudert. Mit weiten Schritten holte Alex dann den

dritten Gegner ein. Dieser drehte sich plötzlich um und gab mehrere Schüsse ab, doch Alex war bereits in seiner anderen Gestalt. Erstarrt blieb der Infanterist stehen und sah, wie Lichttentakel in ihn hineindrangen. Als er wieder fliehen wollte, war es für ihn zu spät. Alex hielt sein Leben bereits in seinen unsichtbaren Händen und nahm es an sich. Daraufhin kehrte er zurück in den grossen Raum und tötete auch die beiden anderen Nemenen, indem er ihre Energie aussaugte. Aleksejs Reserven waren schnell gefüllt, das Überschüssige liess er einfach in die ihn umgebende Luft hinausfliessen. Er materialisierte und machte sich auf

den Weg nach oben. Diesmal nahm er die Treppe, obwohl er sich sicher war, auch durch die Decke problemlos schweben zu können. Auf der höchsten Etage wurde er mit Neutronengranaten empfangen. Er erzeugte Druckwellen, um sie von sich wegzustossen und sie gezielt dorthin zu werfen, von wo sie kamen. Nach dem Lichtblitz fiel die Gestalt eines Infanteristen aus einem Türrahmen. Das restliche Haus war leer. Doch Alex fühlte, dass er noch nicht alle erwischt hatte. Er änderte wieder die Gestalt und schwebte nach oben. Als er mühsam die Decke durchstossen hatte und sich auf dem Dach wiederfand, sah er noch zwei weitere haarige Ausserirdische, die sich

hier oben verschanzt hatten. Womöglich waren es Scharfschützen. Aleksej beförderte sie mit Druckwellen über den Dachrand. Er wechselte wieder die Gestalt, als er sich sicher war, nirgends plötzlich stecken zu bleiben. Auf dem Dach stehend blickte er um sich und betrachteten die stark beschädigten Gebäude. Hier und da ertönten Explosionen, das Kläffen von Sturmgewehren und das tiefe Brummen von Stabwaffen. Alex hätte gerne gewusst, wie es seinen Leuten jetzt ging. Ohne Anzug konnte er nicht einmal ihre Position erfahren. Es war wohl kein Zufall, dass er an die Soldaten denken

musste, denn Viktors Stimme erklang plötzlich über das Funkgerät. "Major, bis du da?" "Ich höre." "Zum Glück. Was war denn mit dir los? Deine Position hat sich seit einer Ewigkeit nicht mehr verändert. Meine bisherigen Verbindungsversuche mit dir sind gescheitert." Alex erinnerte sich daran, dass er den Anzug nicht ausgeschaltet hatte, nachdem er ihn abgezogen hatte. Für die anderen musste das so aussehen, als würde er seit diesem Moment an einer Stelle stecken. "Ich hatte Probleme mit dem Anzug und musste ihn

abziehen." "Du hast was?!" "Spiel dich nicht so auf, Hauptmann. Wir sind Shivas und können auch ohne die schützende Hülle kämpfen. Ich komme gut klar", sagte er hart. "Wie ist die Lage bei dir?" "Heikel. Deshalb versuche ich dich ja zu erreichen. Ich befinde mich mit mehreren Gruppen Shivas beim Gebäude des Hauptbahnhofs. Die Nemenen dort haben sich von allen Seiten gut verbarrikadiert, wir kommen nicht zu ihnen durch. Sie kontrollieren vom Hauptbahnhof aus das Metrosystem. Auch haben sie dort einen Sender installiert, um ihr Artilleriefeuer zielgenau zu leiten. Es ist besser, du

kommst hierher und siehst dir das Ganze an." Das Spüren sich nähernder Energie liess Alex aufschrecken. Er verstand sofort, um was es sich handelte und verwandelte sich noch rechtzeitig, um ein schnell fliegendes und stark konzentriertes Teilchenpaket durch sich hindurch ohne Schäden passieren zu lassen. Die Partikel schlugen ein faustgrosses Loch in das Dach. Der Schütze war ein ausserirdischer Sniper auf einem weit entfernten, benachbarten Hausdach. Die Distanz machte Alex Sorgen. Sie war zu gross, um den Gegner mit einer Druckwelle effektiv zu treffen. Eine Erinnerung an

die Maschinen brachte ihn aber auf eine Idee. Er nahm seine Menschengestalt an und streckte einen Arm nach dem Sniper aus, der sich noch immer am gleichen Ort befand. Statt eine Druckwelle zu erschaffen, verwendete Alex die Energie, um die Luft in einer geraden Linie zu ionisieren. Der Prozess ging nicht so schnell, wie er es sich zuerst erhofft hatte und verbrauchte viel Kraft. Nach einigen Augenblicken war es dann soweit. Er erzeugte einen Impuls elektrischer Energie, der mit lautem Krach aus seiner Hand herausströmte und blitzschnell über die geschaffene Ionenbahn schoss. Daneben! Der Blitz

schlug einen Meter neben dem Ausserirdischen ein, doch die Druckwelle genügte, um diesen in einem weiten Bogen vom Dach des Hauses zu schleudern. Leichte Müdigkeit verspürend aber dennoch zufrieden kehrte Alex zum Gespräch mit Viktor zurück. "Tut mir leid, ich bin kurz gestört worden." "Alles in Ordnung, Major? Wenn du willst, kann ich dir einen Soldaten zur Unterstützung schicken." "Nicht nötig. Ich komme alleine klar... Aber zurück zu deinem Problem. Ich bin schon auf dem Weg. Unternimm bis dahin nichts... Ach ja, das Radargerät

habe ich natürlich nicht, um deine Lage zu bestimmen. Aber ich habe gerade eine gute Sicht über die Stadt. Wie sieht der Bahnhof aus?" Nach einer kurzen Beschreibung war das auffällig grün gefärbte Gebäude mit einer hufeisenförmigen Fassade im Häuser- und Ruinenwald ausgemacht. Statt die Treppe nach unten zu nehmen, liess Alex sich vom Dachrand fallen. Während die Luft um ihn herum laut heulte, konzentrierte er sich auf den sich rasch nähernden Boden. Vier Etagen später änderte Alex seine Gestalt und stoppte so abrupt seinen Fall, bevor sein Körper auf dem Bodenbelag zerschellen

konnte. Wieder materialisiert setzte er seinen weiteren Weg rennend fort. Unterwegs liefen ihm einige Nemenen über den Weg, die er nutzte, um seine Energiereserven aufzuladen. Nach mehreren Kreuzungen erreichte er den Hauptbahnhof. Einige Shivas hatten hinter einer zerstörten Strassenbahnhaltestelle Stellung bezogen und befanden sich so – durch eine Strasse getrennt – direkt dem Haupteingang des Bahnhofes gegenüber. Als Alex auftauchte, befanden sie sich gerade in einem Schusswechsel mit den Nemenen. Als er die Haltestelle erreichte, drehten sich alle Shivas zu ihm

um. Einer kam zögernd näher. Mit Hilfe einer Markierung am Heracles-Anzug war zu erkennen, dass es sich um Viktor handelte. „Major!“, sagte Viktor mit schockierter Stimme. Er musste den anderen seltsam erscheinen, dachte Alex, denn er hatte bloss seinen grauen Kombi an und absolut keine Waffen dabei. „Lagebericht“, verlangte Alex ungerührt. „Es hat sich seit unserem Gespräch nichts verändert, Major. Wir beschiessen uns immer noch gegenseitig, doch uns wird bald die Munition ausgehen, wenn wir so weiterfahren. Leutnant Slavcheva ist mit einer weiteren Gruppe auf der

anderen Seite des Gebäudes und Leutnant Burger auf der linken Seite, in der Nähe der Schienen.“ „Tote? Verletzte?“ „Zwei Shivas sind gefallen, Major... es tut mir Leid.“ Wut stieg in Alex hoch, drückte ihm die Kehle zu. Zwei weitere Tote. Er hatte es wieder nicht verhindern können. Alex schloss die Augen, schluckte den Schmerz hinunter. Er hätte es verhindern können, hätte er früher begriffen, was mit ihm los war, hätte er seine Leute früher informiert und wäre er alleine in diese Stadt gegangen. Jetzt hatte er die Mittel. Nie mehr würde er es soweit kommen lassen. Keine toten Shivas

mehr. „Major“, sagte Viktor. „Meiner Ansicht nach müssen wir ein weiteres Mal versuchen durchzustossen, bevor wir nichts mehr zum Verschiessen haben. Wir könnten auch Luftunterstützung anfordern, doch bei all den noch stehenden Flugabwehrgeschützen in der Stadt können wir sie genauso gut in einen Vulkanschlot schicken.“ Er zögerte. „Oder wir brechen das Ganze ab. Mit nachgerückter Artillerie könnten wir das Problem...“ Aleksejs stoppte ihn mit einer Geste. "Nichts davon wird geschehen", sagte Alex hart. "Ich werde die Sache hier und jetzt zu Ende bringen und zwar

alleine." "Was..." "Hör mir gut zu. Du übernimmst temporär das Kommando. Niemand soll sich dem Gebäude nähern, das Einzige was ich brauche ist Rückendeckung." "Major, versteh mich nicht falsch", protestierte Viktor mit einer Hand auf das Bahnhofsgebäude zeigend. "Wir versuchen schon seit fast einer Stunde ihre Verteidigung zu zerschlagen. Das ist kein Kinderspiel. Wir scheiterten mit drei Gruppen, wie willst du das alleine anstellen?" "Hauptmann. Vertrau mir. Das ist nicht das erste Mal, dass ich dich darum bitte. Überlass die Sache mir. Was auch immer

passieren mag, was auch immer du sehen wirst, halte dich und die Soldaten zurück. Ich habe es unter Kontrolle. Hast du mich verstanden?" Viktor zögerte einen Moment. "Ja, Major." "Gut. Dann gib meine Befehle durch." Ohne noch etwas zu sagen rannte Alex begleitet von warnenden Ausrufen der Soldaten aus der Deckung heraus. Während er rannte, konzentrierte er sich auf vorbeisausende Partikelhaufen. Mit seinen neuen Fähigkeiten horchte er nach ihren Energiemustern, achtete darauf, sie nicht zu nahe an sich ranzulassen. Als er die Strasse, welche ihn noch vom Bahnhof trennte, erreichte, verspürte er

eine breit verteilte Konstellation von Geschossen, die ihm entgegenkam. Er verwandelte sich. Sein Körper verschwand in Bruchteilen von Sekunden, wurde zu Licht. Ihm geltende Partikelgeschosse flogen durch ihn durch. Für einen Moment verstummte das gegnerische Feuer, setzte aber sogleich wieder mit neuer Aggression ein. Schwebend überquerte Alex die Strasse, näherte sich einer Stelle, wo er sicher vor Geschossen war und materialisierte wieder. Vor ihm befand sich der Eingang zum Bahnhof, doch er war vollkommen mit Stücken von Hauswänden und Stahlträgern zugeschüttet. Er könnte hindurchschweben, doch es gäbe doch

eigentlich einen sparsameren Weg, dachte er und streckte alle vier Arme nach vorne. Er strengte sich an und entliess eine gewaltige Energiemenge nach draussen. Mit lautem Grollen wurde die Luft nach vorne gepresst. Die entstandene Druckwelle brauste flimmernd gegen den Trümmerhaufen und schlug krachend auf. Das getroffene Material wurde durchgeschüttelt und um mehrere Schritte nach hinten gedrückt. Der Eingang war dadurch nicht gesäubert worden, doch hatte die Verschiebung das Gefüge des Haufens geändert und ihn einsacken lassen. An mehreren Stellen waren so kleine Durchgänge geschaffen worden. Das würde ihm

reichen. Rennend erreichte Alex eine solche Öffnung, vergewisserte sich mit einem Blick nach hinten, dass seine Befehle ausgeführt wurden und ihm niemand folgte und tauchte schliesslich ins Gebäude hinein, wo Dutzende Nemenen auf ihn warteten. Er konnte es kaum erwarten, ihre Leben zu nehmen. Rund zwanzig Minuten später schwebte Alex durch eine Wand wieder nach draussen und materialisierte. Einen Moment lang blieb er stehen, um seinen nach dem Kampf leicht benommenen Körper zu beruhigen. Gleichzeitig versuchte er das Geschehene zu

rekapitulieren. Beim Kämpfen im Bahnhofgebäude war er in einen regelrechten Tötungsrausch verfallen und konnte sich irgendwie nicht mehr so richtig daran erinnern. Er wusste noch, dass es viele Nemenen gegeben hatte und dass sie gut ausgerüstet waren. Auch waren in den Räumen des Bahnhofes verschiedene Maschinen platziert, deren Funktionen Alex unbekannt war. Er wusste nicht, ob er sie vielleicht durch seine Gestaltsveränderungen zerstört hatte, so wie es die Lichtwesen mit terrestrischer Technik taten. Auf jeden Fall hatte er sich um jeden einzelnen Ausserirdischen gekümmert. Sie waren alle tot. Irgendwie

gab der Gedanke daran Alex ein unangenehmes Gefühl. Schliesslich waren auch Nemenen lebende Wesen. Aleksejs sorgenvolle Überlegungen verflogen zusammen mit der Benommenheit. Er machte sich auf den Weg zu der Strassenbahnstation, wo die Shivas auf ihn warteten. Es waren inzwischen mehr geworden. Rheas Gruppe war dazugekommen. Die Köpfe der Soldaten folgten Aleksejs Bewegungen, als er sich ihnen näherte. Niemand sagte etwas, niemand rührte sich. Das Einzige, was zu hören war, waren Aleksejs ruhige Schritte auf dem Strassenbelag. Er blieb vor den Soldaten stehen und nickte ihnen zu. Die

Gesichter waren hinter den Helmen nicht zu sehen, doch die Art, wie sie ihre Waffen umklammerten deutete darauf hin, dass sie angespannt auf etwas warteten. Jemand brach endlich das unangenehm werdende Schweigen. "Major... Was..." Der Satz wurde verschluckt und blieb unvollendet. Alex verzog seinen Mund zu einem entschuldigenden Lächeln, den er fühlte sich irgendwie verantwortlich für den Zustand in dem seine Leute jetzt waren. "Es ist alles in Ordnung, vertraut mir." Rhea, die sich ebenfalls unter den Soldaten befand, machte einige vorsichtige Schritte nach vorne. "Also...

ich weiss nicht, wie du das gemacht hast…", die Wörter kamen ihr stockend aus dem Mund, "aber es ist das absolut Krasseste, das ich je in meinem Leben gesehen habe." "Tut mir Leid für meine Ausdrucksweise", sagte ein Soldat. "Aber... Was zum Teufel sind Sie?" Was war er? Eine Frage, die Alex vor Jahren noch sofort beantwortet hätte, aber was konnte er jetzt darauf sagen. War er ein Mensch, eine im Labor zusammengebastelte Kampfmaschine oder Mann, Nemen und Lichtwesen zugleich? "Das was ich schon seit langem bin und was ich bleiben werde", sagte er dann

selbstsicher. "Ein Soldat, der für diesen Planeten und seine Bewohner kämpft, Major der Weltarmee." Dann blickte er ernst zum Soldaten, der ihn gefragt hatte. "Und eigentlich Ihr Vorgesetzter, Soldat. Oder haben sie den Einsatzbefehl nicht gelesen?" "Natürlich... Das habe ich... Major." Er salutierte verunsichert. "Dann bin ich ja froh und ich hoffe, die anderen haben das auch. Denn dann wüsstet ihr, dass wir jetzt nicht einfach hier herumstehen können. Unser Auftrag ist noch nicht erfüllt. Noch wimmelt es in dieser Stadt vor Feinden. Ich kann verstehen, dass ihr verwirrt seid, wegen der ganzen Sache mit dem Lichtwesen.

Verschieben wir das auf später, vertraut mir einfach. Als euer Kommandant darf ich das vor euch verlangen. Ich verspreche euch, sobald wir hier fertig sind, werde ich versuchen, alles zu erklären." Als die Soldaten sich endlich in Bewegung setzten, fügte Alex über Funk hinzu: "Überlasst die schwierigen Plätze mir und haltet euch auf Distanz, um nicht die Funktionsfähigkeit euer Anzüge durch mich zu beeinträchtigen. Und wehe es stirbt einer von euch." Die Kämpfe gingen weiter. Alex nutzte die Gelegenheit, um seine neuen Fähigkeiten zu trainieren und zu perfektionieren. Je mehr er damit

herumspielte, umso sicherer, umso überlegener fühlte er sich. Das Lichtwesen machte ihn unbesiegbar. Keiner der Gegner hatte ihm etwas entgegenzusetzen. Nun war ER derjenige, den sie zu fürchten hatten. Nun wusste Alex auch, was ihm die neuen Kräfte für eine Gelegenheit boten. Die Gelegenheit etwas scheinbar Unmögliches endlich zu Ende zu bringen.

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kvgunten Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 22.12.2012 - 00:41 Uhr) So, habe jetzt mal etwa... ein drittel geschafft ^^. Bisher enttäucht das Buch sicher nicht. Schon mal versucht, das Manuskript bei einem Verlag unter zu bringen ? Potential ist auf jeden Fall da.

,,In Soviet Russia machien controls you."


lg
E:W


Danke. ^-^
Ich wollte es erstmal auf buch-schreiben.net versuchen. Das ist mein erstes Buch und den Anfang habe ich vor einer Ewigkeit geschrieben. War noch nicht sicher, ob ich damit zu einem Verlag gehen soll...
Gruss!
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter So, habe jetzt mal etwa... ein drittel geschafft ^^. Bisher enttäucht das Buch sicher nicht. Schon mal versucht, das Manuskript bei einem Verlag unter zu bringen ? Potential ist auf jeden Fall da.

,,In Soviet Russia machien controls you."


lg
E:W
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kvgunten Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 15.11.2012 - 19:31 Uhr) Wow, das nenne ich jetzt mal einen umfangreichen Roman. Werde mir auf jeden Fall mal ein Lesezeichen setzten, klingt nämlich echt nicht schlecht und dann bei Gelegenheit immer mal etwas lesen. Aber allein für die Arbeit die dahinter steckt schon mal im Voraus 5 Sterne

lg
E:W

Ein Tipp, du bekommst vermutlich mehr Leser, wenn du das ganze Kapitel oder Abschnittsweise veröffentlichst



Danke für den warmen Empfang!
Ich muss zugeben, ich war selber etwas schockiert, nachdem ich die Seitenzahl gesehen hatte, da meine ursprüngliche Formatierung ein wenig anders war. Nun ja, ich versuche das bei Gelegenheit aufzuteilen.
Und danke dir und KleinerFalke für die Bewertung. Ich hoffe ihr seid immer noch der gleichen Meinung nachdem ihr ein wenig in der Geschichte gelesen habt.

Gruss
Vor langer Zeit - Antworten
KleinerFalke Hilfe!!! - Sorry, aber 1085 Seiten sind definitiv zu viel!!!!!!!!

Aber schon mal 4 Sterne für die Arbeit.

LG
Kleiner Falke
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Wow, das nenne ich jetzt mal einen umfangreichen Roman. Werde mir auf jeden Fall mal ein Lesezeichen setzten, klingt nämlich echt nicht schlecht und dann bei Gelegenheit immer mal etwas lesen. Aber allein für die Arbeit die dahinter steckt schon mal im Voraus 5 Sterne

lg
E:W

Ein Tipp, du bekommst vermutlich mehr Leser, wenn du das ganze Kapitel oder Abschnittsweise veröffentlichst

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