Als ich sechzehn war (lange ist es her), da war er bereits vierundzwanzig. Er sang ein Lied über seine erste Liebe, - und ich kannte mich in dieser Hinsicht überhaupt noch nicht aus.
Mit neunzehn verliebte ich mich in eine junge Frau. Sie war schon fast dreundzwanzig und schenkte mir nur ein müdes Lächeln. Er war inzwischen auch schon siebenundzwanzig und sang immer noch von seiner ersten Liebe. Warum auch nicht.
Mit zweiundzwanzig hatte ich meine erste intime Freundin. Endlich konnte ich mitreden, wenn auch nicht mitsingen. Dafür sang er immer noch das alte Lied von seiner ersten Liebe. - Inwischen war er dreißig.
Als ich dann mit siebenundzwanzig meinte, ohne zwingenden Grund, heiraten zu müssen, da spielte die Kapelle seinen größten Hit (... das Lied über seine erste Liebe). Er selbst konnte an unserer Hochzeitsfeier leider nicht teilnehmen.
Seine künstlerische Pause dauerte sechs Jahre. Meine Ehe auch!
Als ich mich nach der Scheidung wieder neu verliebte, da tauchte er auch wieder auf ... und sang immer noch von seiner ersten Liebe. Mit sechzehn hatte ich ihn beneidet, jetzt tat er mir nur noch leid.
Nach meiner ersten Liebe und der ersten Hochzeit folgte die zweite, dritte und vierte Liebe und schließlich die zweite Hochzeit. Ich war mittlerweile fünfunddreißig und er war dreiundvierzig, - und er sang immer noch (oder schon wieder) von seiner ersten Liebe.
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Heute bin ich fünfzig geworden ("Herzlichen Glückwunsch"). Meine Frau und ich sitzen vor dem Fernsehgerät, unser Sohn auch. Das Fernsehballet ("Hupfdohlen" sagt unser Sohn) tanzt und ich schwelge in Erinnerungen (so sah meine Frau vor Jahren auch mal aus). Zwischen den Tänzerinnen bewegt sich schwerfällig eine massige Gestalt, macht den Mund mit den dritten Zähnen auf und zu - und singt mit achtundfünfzig wieder den Hit von seiner ersten Liebe.
Meine Frau ist ganz begeistert ("ein toller Typ"), unser Sohn verdreht die Augen und ich kaue mit den mir verbliebenen Zähnen mühsam auf drei halben Erdnüssen herum.
Irgendwie kann ich meine Frau nicht verstehen.
Wenn ich mir vorstelle, der Sänger wäre eine Sängerin und diese würde mit knapp sechzig Jahren von ihrer ersten Liebe singen (quasi als Großmutter und nach längst überstandenen Wechseljahren), - ich mag gar nicht daran denken.
Muss ich auch nicht!
Ein weibliches Gesangsduo betritt die Bühne. Ich kenne die Frauen, wenn auch nicht persönlich. Als ich achtzehn war, da hing ein Poster von ihnen an der Wand meines Jugendzimmers. Ich vergötterte sie, obwohl sie einige Jahre älter waren. Auch sie sangen damals, wie heute, von ihrer ersten Liebe.
Die Regie erbarmte sich meiner und verschonte mich mit Großaufnahmen.